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medizin&technik 01.2020

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■ [ MEDIZIN IM DIALOG

■ [ MEDIZIN IM DIALOG ] eine Weile brauchen, um sie zu interpretieren. ■ Welche neuen oder weiterentwickelten Medizinprodukte wären dabei hilfreich? Wir werden auf jeden Fall viel Bioinformatik brauchen, um die Zusammensetzung der Gemeinschaften zu verstehen. Und wir brauchen Medizinprodukte, mit denen wir gezielter Proben nehmen können. Eine Stuhlprobe zum Beispiel zeigt am Ende nur eine Mischung aus allem, was auf dem Weg durch den Darm passiert ist. Der Darm ist aber segmentiert, und einzelnen Bereichen kommen unterschiedliche Aufgaben zu. Das wird sich auch in unterschiedlichen Mikroorganismen widerspiegeln. Noch können wir das nicht nachweisen, da wir nicht gezielt Proben nehmen können. Hierfür wären besondere Formen Mehr zur Mikrobiomforschung Der Begriff Mikrobiom wird häufig im Zusammenhang mit dem Menschen verwendet, bezeichnet aber auch die Zusammensetzung von Mikrobengemeinschaften in Tieren oder ganzen Ökosystemen. Zu den Mikroorganismen, die beim Menschen eine Rolle spielen, wurde und wird unter anderem in folgenden Projekten geforscht: ■ Das Human Microbiome Project (HMP) startete 2008 auf Inititative des US-amerikanischen National Institute of Health und sollte zeigen, welche Mikroorganismen den menschlichen Körper besiedeln. Erste Ergebnisse wurden 2012 vorgelegt, darunter die Erkenntnis, dass über 10 000 Arten von Mikroorganismen bei einem gesunden Menschen vertreten sind. Die Ergebnisse waren als Referenz für den Genpool eines Mikrobioms gedacht. www.hmpdacc.org ■ Im DFG-Schwerpunktprogramm Intestinal Microbiota (2013-2019) ging es vor allem um das Zusammenspiel der Mikroorganismen mit ihrem Wirt, also Mensch oder Tier. www.intestinal-microbiota.de einer Kapselendoskopie mit integrierter Probenahme sinnvoll. Derzeit rekrutieren wir Fachleute aus der Technik, um solche Lösungen zu entwickeln. Auch Biosensoren wären willkommen, um zum Beispiel Säuren in verschiedenen Segmenten nachzuweisen – oder auch nur die Verteilung von Wasser im Darm. Und für eine Stuhltransplantation gäbe es sicher andere Möglichkeiten als das heute übliche Verschlucken einer Kapsel. ■ Was wird die größte Veränderung in der Medizin sein, die wir in den kommenden zehn Jahren durch die Mikrobiomforschung zu erwarten haben? Das ist in etwa der Zeitraum, der uns im Sonderforschungsbereich 1371 zur Verfügung steht. Bis dahin wollen wir das Thema klinisch implementieren, so dass Mikrobiommessungen vom Arzt in ■ Im Anschluss an das Schwerpunkt - programm entstand der Sonder - forschungsbereich 1371 Microbiome Signatures. In diesem interdisziplinären Verbund untersuchen die Beteiligten, welche Funktionen das Mikrobiom im Körper übernimmt und was das für die Medizin heißen könnte, speziell für entzündliche Darmerkrankungen oder Krebs. www.sfb1371.tum.de Welche Bakterien zusammen einen Darmabschnitt bevölkern, beeinflusst den Stoffwechsel des Wirtsorganismus – auch den des Menschen. Wie genau, wird in verschiedenen Vorhaben erforscht (Bild: Alex/stock.adobe.com) der Dia gnostik eingesetzt werden können. Dafür brauchen wir gesicherte Protokolle, die zum Beispiel vorsehen, dass ein Patient vor der Darmuntersuchung, der Coloskopie, eine Stuhlprobe zur Verfügung stellt. Es muss klar sein, was daran analysiert wird und welche Informationen aus der Analyse abgeleitet und dem Arzt zur Verfügung gestellt werden. Bisher gibt es dafür in Deutschland keine Standards. Das Wissen könnte aber helfen, um zum Beispiel eine Therapie individueller zuzuschneiden. Man muss die Messlatte für einen klinischen Nutzen der Mikrobiommessung aber auch nicht zu hoch legen: Aspirin nutzen wir heute erfolgreich, selbst wenn wir nicht im Einzelnen wissen, wie es wirkt. ■ Wie wichtig ist das Thema Mikrobiom für die Menschen derzeit? Es ist – leider – offenbar schon zu interessant, denn es hat sich bereits ein Markt für Scharlatane entwickelt, die für sehr viel Geld Mikrobiomanalysen anbieten und mögliche Krankheitsrisiken für das Individuum daraus ableiten. Eine Therapieempfehlung liefern sie gleich mit plus ein Angebot für angeblich passende Nahrungsergänzungsmittel. Gehen Patienten mit dem Vorschlag zum Hausarzt, wird dieser mit den teuren Daten nichts anfangen, denn mehr als Wahrscheinlichkeiten für Erkrankungen – noch dazu mit hoher Fehlerquote – können seriöse Fachleute daraus nicht ableiten. Solche Angebote sehe ich als grenzwertig fahrlässig. ■ Was wissen Sie über Ihr eigenes Mikrobiom? Eine ganze Menge, da im Rahmen der Forschung regelmäßig Proben untersucht und mit den Daten anderer Menschen abgeglichen wurden. Mein Mikrobiom ist erfreulicherweise reichhaltig und produziert viele wünschenswerte kurzkettige Fettsäuren. Es verändert seine Zusammensetzung und passt sich zum Beispiel um die Weihnachtszeit an die veränderte Ernährung an. Danach oder auch in der Folge medizinischer Behandlungen pendelt es sich aber wieder auf den alten Zustand ein. Das zu beobachten ist sehr spannend. Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de 14 medizin&technik 01/2020

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