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NK 07_2019

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18 TITELINTERVIEW

18 TITELINTERVIEW dinavier folgt keiner Anordnung einfach nur so. Er fragt nach. Warum? Warum soll ich etwas tun? Warum links, warum rechts? Warum nicht geradeaus? Und das ist legitim. Denn warum sollte ich etwas tun, wovon ich den Sinn nicht verstehe? Wie kann ich mich dann mit meiner Persönlichkeit einbringen und einen sinnvollen Beitrag leisten? Niemand hat den Wikingern jemals ihre Neugierde abgewöhnt oder beigebracht, die richtige Antwort in eine Box zu legen. Schließlich gibt es nichts Wertvolleres, als den Blickwinkel des anderen. NK: Sie haben sich weltweit auf die Suche nach glücklichen Menschen gemacht und durchaus viele gefunden, die trotz völlig unterschiedlicher Lebensumstände einfach glücklich sind oder nicht ausreichend oder dem düst du jetzt natürlich selbst- nen anzufeuern? Und diese Energie einfach völlig irrelevant. Ich spreche verständlich ab, auch als CEO. Denn kannst du doch prima wieder für jetzt natürlich vom deutschen Schul- was gibt dir mehr Energie und Sau- dem Job nutzen, wenn der Lütte ein- system, denke aber auch, dass sich erstoff im Hirn, als dein Kind bei Ren- geschlafen ist, abends um 20 Uhr. viele Eltern (mich eingeschlossen) da an ihre eigene Nase fassen können. „Strategy eats culture for breakfast“, gilt durchaus auch schon in deutschen Kinderzimmern. Wir trainieren unseren Kindern die Experimentierfreude ab und ersetzen sie durch lineares Denken, was vielleicht in der jeden Vergangenheit mal zielführend war, heute aber nicht mehr. Heute benö- VITA Morgen aus dem Bett tigen wir in vielen Bereichen agil, chaotisch, unstrukturiert. Und ich Maike van den Boom © Michael Zelbel treibt. Das macht verdammt glücklich. Und möchte jetzt gar nicht auf die Fehlerkultur zu sprechen kommen. Die Maike van den Boom ist eine ganz besondere Frau. Spontan, offen und. wie auf sind. Könnte en passant auch noch um die 20 haben Skandinavier nämlich nicht. ihrer Homepage zu lesen ist, bescheiden. Hier sagt sie über sich: „Eines man aus Ihren Erfahrungen so et­ Prozent produktiver. Das ist ja das Die machen keine Fehler. Die kreie- ist ja wohl jetzt klar: Ich bin nun mal die einzig wahre Wahl, wenn es um was wie eine Betriebsanleitung für Schöne am Glücklichsein. Das uns ren nur Abweichungen. die Rednerin oder die Gesprächspartnerin in Sachen glücklicher Un- das Lebensglück machen? das, was wir uns vornehmen, auch ternehmen, glücklicher Teams und ebenso glücklicher Menschen geht, Maike van den Boom: Ich bin tat- täglich besser gelingt. Denn dann NK: In Ihrem Buch beschreiben Sie die voller Tatendrang und Mut zusammen eine Zukunft erschaffen. So! sächlich durch die 13 glücklichsten öffnen sich die Scheuklappen, die anhand vieler Beispiele, dass in Entspannen Sie sich! Ich nehme mich gar nicht so ernst, wie es meine Länder der Welt gereist, bevor ich wir tragen, wenn wir gestresst sind. Schweden die sogenannte Work- Webseite vermuten lässt. ,Die schietern alle aus demselben Loch!‘, dann für mein zweites Buch die Dann liegen auf einmal alle Lösungen Life-Balance an erster Stelle des pflegte mein Hamburger Vater immer zu sagen. So sehe ich mich, so Skandinavier unter die Lupe genom- und alle Menschen, die uns helfen Arbeitslebens steht. Heißt das, die sehe ich jeden Menschen, der mir begegnet. men habe. Eine starre Betriebsan- können, in Sicht- und Greifweite. Skandinavier arbeiten um zu leben, Wir sind Menschen unter Menschen, die zusammenleben und etwas leitung für das Glück gibt es nicht. während wir meist leben um zu ar­ Großes erschaffen wollen. In den Worten Hovers, den ich auf einer Glück ist ein lebenslanger Weg, bei NK: Im World Happiness Report beiten? Sprich, die Arbeit ist für meiner Reisen in Oslo traf: ,Dies ist wirklich die Geschichte normaler dem man sich am besten flexibel 2019 steht Deutschland an Platz 17. viele zum Sinn des Lebens gewor­ Menschen mit normalen Interessen und einem normalen Leben, die auf das einstellt, was da kommen Es tröstet wohl wenig, dass die den. Kann das auf Dauer glücklich gemeinsam unglaubliche Dinge erschaffen.‘ Er ist Ingenieur bei Snøhetta, mag. Gelassenheit und Vertrauen in Menschen in Taiwan, Chile, Guate­ machen? einem der berühmtesten Architektenbüros der Welt. Wir sind, wie es das Leben hilft da ungemein, das mala, Saudi-Arabien oder Katar Maike van den Boom: Bei Work-Life- Albert Einstein von sich selbst behauptet hat, alle nur Menschen ohne sagen die Menschen in den Slums unglücklicher sind. Deutschland ist Balance bekomme ich immer die besondere Begabung, nur leidenschaftlich neugierig. von Costa Rica, die Kanadier oder ein schönes und reiches Land, es Krise. Also ob wir nicht leben, wenn Neugierig auf andere Menschen, auf das Leben und die Zukunft und die Finnen. Ansonsten hilft es, das geht uns gut. Warum bezeichnen wir auf der Arbeit sind. Und das tun mit einer Klappe gesegnet, die selten schweigt, das bin ich. Viele Boot des Lebens ungefähr auf Kurs sich so viele Deutsche in den Um­ die Skandinavier tatsächlich. Ihr Le- Schulstunden habe ich deshalb in der cremeweiß gefliesten Ecke mit zu halten und der heißt grob: Finde fragen als nicht glücklich? Haben ben ist Teil ihres Jobs und wird nicht Waschbecken vorne rechts neben der grünen Tafel verbracht. Meine und folge dem, was dich antreibt und wir kein Talent zum Glücklichsein künstlich ausgeklammert. Es be- Devise schon damals: ,Niemals aufgeben, trotzdem deinen eigenen vergesse nie, dass andere Menschen oder machen wir uns einfach zu steht ein grundlegendes Verständ- Weg gehen. Mutig sein, anders, eigensinnig und immer denken, es auf deinem Weg deine besten Be- viele Sorgen? nis dafür, dass du ein kompletter wird schon irgendwie klappen.‘ Heute nehme ich Zehntausende Men- gleiter sind. Dann wirst du bald mer- Maike van den Boom: Ich würde mal Mensch bist, mit deinem eigenen Set schen mit auf eine Reise in die Zukunft, die ich mir für uns alle Wünsche, ken, dass du dafür eine Menge Ver- sagen, wir sind äußerst talentiert im an Fähigkeiten, Schwächen, persön- eine Reise in ein glückliches Deutschland.“ trauen in dich und andere benötigst, Glücklichsein. Bis zum Alter von sechs licher Erfahrung und halt drei Kin- https://maikevandenboom.de dass das viel Mut erfordert, aber dir Jahren. Dann lernen wir nämlich, dass dern zu Hause, wovon eins heute letztendlich den Sinn bringt, der dich ziemlich viele Dinge, die wir tun, falsch um 14.00 Uhr sein Skirennen hat. Zu 07.2019

© Evia Photos Stockholm TITELINTERVIEW 19 © Heider Fotografie Skandinavier sind extrem effektiv, nur erreichen sie das anders als wir. Wir denken bei Effektivität an einen sinnvollen Einsatz von Zeit, Skandinavier an Energie und die hat nicht unbedingt etwas mit der Zeit zu tun, die wir investieren. Energie muss fließen. Deshalb können Sie im Norden auch nicht mit Überstunden punkten. Während Sie zehn Stunden auf ihrem Stuhl kleben, macht der Schwede nämlich lieber Yoga und erledigt in einer Stunde das, wofür Sie drei benötigen. Skandinavische Unternehmen wissen das und sind deshalb unglaublich flexibel. Sie passen sich, wenn möglich an die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter an. Geht es dem gut, geht es dem Unternehmen gut. Es ist doch tendenziell egal, wie und wann du deinen Job erledigst. Es ist das Resultat, das zählt. NK: Was hat, wie in Ihrem Buch beschrieben, Neugierde, Mut und Fürsorge mit Lebens-Glück zu tun? Was Aufmüpfigkeit und Bescheidenheit mit Glück im Job? Warum sollten wir Arschbomben hinlegen und rote mit grünen Socken tragen? Und vor allem das Leben nicht vergessen? Und warum ist die Basis von Glück Vertrauen, Anteilnahme und Liebe? Maike van den Boom: „Oi“ würde jetzt der Schwede sagen. Das ist dann jetzt also der Inhalt von 400 Seiten in einer Frage. NK: Ein ganz schöner Wälzer! Maike van den Boom: Das ist er tatsächlich und das hat einen einfachen Grund: Ich konnte kein inspirierendes Management-Buch für die arme gestresste Führungskraft schreiben oder einen Ratgeber für den armen unverstandenen Mitarbeiter. Denn in Skandinavien gibt es kein „ich hier – du da“. Kein Management über Mitarbeiter, Lieferant unter Kunde, Gewerkschaft gegen Arbeitgeber, Marketing gegen Produktion. Wir machen das zusammen! Wir führen das Unternehmen zusammen und jeder Mensch in welcher Rolle und mit welchem Wissen auch immer, ist gleich wertvoll fürs Gelingen. „Wir können nicht operieren, wenn die Reinigungskraft den OP nicht geputzt hat, der Anästhesist fehlt oder der Chirurg nicht kommt“, so ein Anästhesist aus Göteborg. „Wir nutzen das Beste von allen für alle.“, so ein Bauarbeiter eines kleinen Baubetriebs im Westen Schwedens. Das zeigt, dass es sich hier nicht um ein nettes angewandtes Management-Tool handelt, sondern, dass der Gedanke wirklich tief in der Gesellschaft verwurzelt ist: Jeder Mensch ist gleich wichtig. Jeder hat auch das Gefühl, wichtig zu sein. Und das macht Menschen glücklich, denn ihr Tun und Sein hat einen Sinn. Und dieser Sinn sollte uns 24 Stunden pro Tag begleiten. Arbeit sollte nicht der Sinn des Lebens sein, aber EIN Sinn des Lebens, um auf Ihre Frage am Anfang zurückzukommen. Sinn bedeutet Glück. Sinnlosigkeit Unglück. Wie wollen wir ein glückliches Leben führen, wenn wir die Hälfte unserer Wachzeit unglücklich sind? Und das könnte mit einer der Gründe sein, weshalb die Liste des Wirtschaftsmagazins Forbes „Best countries for doing business“ derzeit vom Norden dominiert wird und im Europäischen Innovationsanzeiger Schweden ebenfalls regelmäßig die Führungsposition in der EU einnimmt: weil sie die Kräfte individueller Persönlichkeiten bündeln und dadurch vervielfachen. Die gemeinsame Aufgabe und das gemeinsame Ziel stehen zentral. Und das funktioniert, weil Skandinavier sich nie verbiegen mussten. Sie haben schon als Kinder ein Selbstbewusstsein entwickelt. Also haben sie nicht die Neigung, das große Ganze mit den Speerspitzen ihres Egos zu torpedieren. Sie müssen sich nicht abgrenzen, nicht neidisch auf die anderen schielen, nicht durch Wissen glänzen, welches sie ängstlich horten. So wie sie sind, sind sie wertvoll genug. Nordmenschen sind einfach nur nett und zuvorkommend. Denn wenn ich dir helfe, helfe ich ja uns allen. Dann erst ist Transparenz und echter Austausch möglich. Und schwups, da ist sie dann, die Innovation, nach der wir in Deutschland so dürsten. NK: Sie sprechen in Ihrem Buch durchgehend von Glücklichsein, nie über Zufriedenheit. Wollen wir nicht alle glücklich und zufrieden sein? Maike van den Boom: Ich mag einfach das Wort Zufriendenheit nicht so gerne. Das kommt mir zu behäbig daher. Nach dem Moto: „So fertig! Jetzt brauche ich meinen Hintern nicht mehr zu bewegen.“ Das ist zweitweise prima, doch Glück liebt Veränderung, Entwicklung und Impulse. Glück kommt nicht von alleine. Es ist nur das Resultat dessen, was wir mit unserem Leben anstellen und ist eine lebenslange, spaßige Herausforderung. NK: Auch wenn wir ein glückliches Leben führen, gibt es immer Tage oder Phasen, an denen das Glücklichsein mehr oder weniger stark empfinden. Verliert man mit der Zeit die Wertschätzung des Glücks? Maike van den Boom: Das Negative rückt einfach schneller in den Fokus. Leider sind wir so im Hirn ver- netzt, denn früher war es gefährlich, hungen mit einander eingehen. Menschen, die in der Lage sind, anderen Dinge positiv zu sehen: „Guck mal, der süße Säbelzahntiger. Der will bestimmt nur spielen.“ Abgesehen von Prozent glücklicher, auch alle ande- zu vertrauen, sind nicht nur um 18 der Bedrohung des Klimas leben wir ren Faktoren, die glücklich machen, aber so sicher wie noch nie in der basieren darauf. Im Umkehrschluss gesamten Geschichte der Menschheit. Was wir heutzutage benötigen, men einsetzen um mangelndes Ver- macht all das, was wir an Mechanis- ist unsere Kreativität. Gott sei dank trauen auszugleichen, andere und leben wir aber auch so bewusst wie uns selbst unglücklich. Das wäre noch wie. Wir reflektieren sehr viel nämlich dann Kontrolle. Und die ist mehr über unser Leben, unsere Ziele und Wünsche. Aber auch über das, einfach nicht vorgesehen. Denn jeg- in den skandinavische Glücksländern wofür wir dankbar sein können. Und liche Form von Kontrolle, wie Regeln, Dankbarkeit kann man trainieren. Am Abläufe, aber auch Hierarchien, Abteilungen, Rollenumschreibungen oder besten bei jeder roten Ampel oder jeder Warteschlange einfach mal darüber nachdenken, was wir erreicht Energie und ihren Drive. Deshalb Befugnisse entziehen Menschen ihre haben, was gut läuft, wie gesegnet gilt im Norden: so wenig Kontrolle, wir mit Möglichkeiten sind, was für wie möglich, so viel wie nötig. 90 eine tolle Zukunft wir haben und Prozent der Menschen werden sich wie wir mit dieser Energie die Zukunft meistern können. Und da ha- Lass sie laufen und ihre Energie nut- deines Vertrauens würdig erweisen. ben es die „armen“ Glücksländer, zen. Die wissen schon, was sie tun. wie Kolumbien oder Costa Rica Die haben ja nachgefragt. Kümmere einfacher als wir. Wer weniger dich einfach ein wenig mehr um die hat, weiß das Wenige mehr zu restlichen zehn Prozent. Wir Deutschen hingegen kontrollieren lieber schätzen. alle, damit uns niemand durch die NK: Zum Schluss noch eine ganz Lappen geht. einfache Frage, die Sie sicher Im Norden geht man davon aus, dass im Schlaf beantworten können: jeder Mensch gut ist und nur sein Was macht glücklich, wie kommen wir da hin und was müssen man das so sieht, dann wird man al- Bestes geben möchte. Und wenn wir tun, damit dieses Glück anhält? les, was geschieht mit Milde und Maike van den Boom: Vertrauen. Seelenruhe betrachten. Ich denke, Denn ohne Vertrauen läuft einfach das ist der Grund, weshalb sich jeder Besucher spontan so entspannt nichts. Wir können nicht mutig Arschbomben hinlegen, ohne das Vertrauen zu spüren, dass wir auf beischen oder schwedischen Boden fühlt, wenn er norwegischen, däniden Beinen landen werden oder betritt. Kommen Sie doch einfach mal andere uns auffangen werden. Das vorbei. Ich biete auch Führungs-Seminare in Stockholm an (lacht). gilt für die Erziehung, wie für die Politik. Wir können nicht loslassen und andere sich entwickeln lassen. Noch NK: Danke Maike, Sie haben unsere können wir in irgendeiner Weise zusammen arbeiten oder tiefe Bezie- Leserinnen und Leser glücklicher gemacht. BUCHTIPP Acht Stunden mehr Glück Warum Menschen in Skandinavien glücklicher arbeiten und was wir von ihnen lernen können Es gibt ein Leben vor dem Feierabend. Wir verbringen mehr Zeit im Job als zu Hause. Wenn wir dort nicht glücklich sind, wird’s schwierig mit dem rundum glücklichen Leben. Deshalb sollten wir uns dringend um unser Glück auf der Arbeit kümmern. Skandinavier sind die glücklichsten Menschen der Welt. Was machen sie richtig? Und was können wir uns von ihnen abgucken? Maike van den Boom packte ihre Koffer und reiste zwei Jahre durch Skandinavien, sprach mit Bauarbeitern, Krankenschwestern und Vorständen, deutschen Gastarbeitern, interviewte Experten und Menschen auf der Straße. Was sie entdeckte, sind glückliche, mutige und selbstbewusste Menschen, die miteinander mehr erreichen wollen als allein. Sie haben Wörter wie Liebe und Leidenschaft im Businesskontext. Die Freiheit, man selbst zu sein. Eine erstaunliche Effizienz. Eine nie zu stillende Neugierde. Einen offenen Umgang mit Fehlern. Immer die Frage nach dem Warum? Unerhörten Spaß. Und immer wieder die feste Überzeugung, dass dein Glück in deinen Händen liegt. Gebundenes Buch, 400 Seiten, Fischer Krüger Verlag, 2. Auflage, 20 Euro Im Buchhandel oder bei Amazon.de oder als iBook

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