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prima! Magazin - Ausgabe Mai 2020

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IM GESPRÄCH Dr. Mag.

IM GESPRÄCH Dr. Mag. Stephan Schulmeister ist einer der führenden Wirtschaftsforscher Österreichs. Im Neoliberalismus sieht er eine der größten Gefahren Stephan Schulmeister und seine Kritik am Neoliberalismus – kurz gefasst Im Neoliberalismus reguliert der Markt die gesamte Gesellschaft. Der Staat soll dem Markt nicht dreinpfuschen, sondern soll sich aus der Wirtschaft zurückziehen. Es gilt der Grundsatz: weniger Staat, mehr privat! Ethik und Moralvorstellung haben hier keinen Platz. Stephan Schulmeister sieht im Neoliberalismus einen unsichtbaren Gegner, eine Weltanschauung, die „die Köpfe der Intellektuellen mehrheitlich erfasst hat.“ Schleichend setzt sich ein Denken durch, das bei den Menschen das Gefühl der Ohnmacht verstärkt, „man kann eh nichts machen, es ist eh schon egal“. Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, Staatsverschuldung, soziale Unsicherheit und Armut werden dadurch verstärkt. „2020 wird der größte Wirt in der Geschichte des Indus Das Coronavirus hat massive Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Stephan Schulmeister zählt zu den renommiertesten Ökonomen Österreichs. Im Gespräch mit prima! Herausgeberin Nicole Mühl zeichnet er die Folgen des wirtschaftlichen Stillstands auf, aber auch, welchen Weg es aus der Krise gäbe. Nicole Mühl Als einer der bedeutendsten Wirtschaftsforscher Österreichs weisen Sie auf die massiven Auswirkungen von Corona auf das Wirtschaftssystem hin. Die Aktienfonds befinden sich derzeit im Sturzflug und damit verbunden auch die Pensionsfonds. Besteht die Gefahr, dass wir später in Pension gehen müssen oder dass Pensionen gekürzt werden? Stephan Schulmeister: In Österreich besteht diese Gefahr nicht, weil der Anteil der kapitalgedeckten Altersvorsorge, also Betriebspensionen oder persönliche Pensionsfonds, relativ gering ist. Ganz anders 4 MAI 2020 ist die Lage in Ländern wie Holland oder England oder den USA. Aber dennoch haben im ersten Quartal dieses Jahres die österreichischen Pensionsfonds im Durchschnitt zehn Prozent verloren. Das ist schon spürbar. Aktien, Immobilien und Rohstoffe werden entwertet. Die Folgen für die Realwirtschaft sind katastrophal. Sie reden gar von einem Bankencrash. Auch hier wieder ganz plakativ gefragt: Wie sicher ist das Geld auf den Banken? Stephan Schulmeister: Wenn jemand weniger als 100.000 Euro auf einem Sparbuch oder Konto hat, besteht einmal überhaupt keine Gefahr. Aber auch für die Beträge darüber halte ich die Gefahr für sehr gering, weil die Europäische Zentralbank einen Bankencrash verhindern wird. Über einen niedrigen Rohölpreis freuen sich derzeit viele. Warum ist das aber alles andere als ein Grund zum Jubeln? Stephan Schulmeister: Langfristig ist das sogar eine katastrophale Entwicklung. Der Rückgang der Erdölpreise könnte langfristig zu einer größeren Katastrophe www.prima-magazin.at

STEPHAN SCHULMEISTER IM GESPRÄCH Stephan Schulmeister ...wurde 1947 geboren und hat an der Universität Wien das Studium der Rechtswissenschaften (Dr. jur.) und Wirtschaftswissenschaften (Mag. rer.soc.oec.) absolviert. Er ist einer der bedeutendsten Wirtschaftsforscher Österreichs. Von 1972 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2012 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter beim österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO). Er hatte Gastprofessuren an mehreren Unis inne, etwa an der Uni Wien, in Berlin, Bologna, New York und New Hampshire. Im Fokus seiner Forschungen stehen die Finanzstabilität und ihre realwirtschaftlichen Konsequenzen, das Zinsniveau und Wirtschaftswachstum sowie die längerfristige Entwicklung der Weltwirtschaft. Stephan Schulmeister gilt als der Rebell unter den österreichischen Wirtschaftsforschern. Bekannt ist er überdies durch seine Zeitungskommentare (u.a. im Falter) und durch seine Vorträge. Er ist Autor zahlreicher, auch populärwissenschaftlicher Fachbücher. Schulmeister übt dezidierte Kritik am Neoliberalismus, den er als „Marktreligiosität“ bezeichnet und fordert Alternativvorschläge wie einen gesamteuropäischen New Deal. In seinem zuletzt (2018) erschienenen Buch „Der Weg zur Prosperität“ rechnet er mit dem Neoliberalismus ab und skizziert außerdem eine Navigationskarte für den Weg aus der Finanzkrise. So sieht er den sogenannten „New Deal für Europa“ als Erneuerung der Wirtschaft in Richtung einer Kreislaufwirtschaft – unter anderem auch als Maßnahme gegen den Klimawandel. schaftseinbruch triekapitalismus“ führen als das Coronavirus. Wenn Erdöl längerfristig billig bleibt, dann fehlt es an Anreizen, das Verbrennen von Erdöl, aber auch von Kohle und Erdgas schrittweise zu reduzieren. Das würde bedeuten, dass alle Ziele der Klimapolitik verfehlt würden. Das Grundproblem ist ganz einfach: Die Europäische Union versucht derzeit den Klimawandel mit zwei Hauptinstrumenten zu bekämpfen. Zum einen mit einer CO2-Steuer, also die Besteuerung des Verbrennens fossiler Energie. Und andererseits mit dem sogenannten Emissionshandel, wo sich Industriebetriebe für jede Tonne CO2, die sie emittieren, Rechte kaufen müssen. Die Preise solcher Zertifikate gehen in den Keller gemeinsam mit dem Ölpreis. Das heißt, es macht dann für die Akteure keinen Sinn, konsequent fossile Energie einzusparen, weil diese ohnehin nichts kostet. Daher müsste man hier einen ganz anderen Weg beschreiten. Welchen sehen Sie da als sinnvoll? Stephan Schulmeister: Meiner Ansicht nach sagt einem das der Hausverstand. Wenn jemand im Burgenland ein Einfamilienhaus hat, das noch nicht thermisch saniert ist, dann wird er das dann tun, wenn er weiß, dass sich das auszahlt. Es zahlt sich aber nur aus, wenn er gleichzeitig weiß, dass Heizöl immer teurer wird. Gefragt ist also eine europäische Lösung... Stephan Schulmeister: Wenn alle Leute wissen, dass der Preis für Erdöl, Erdgas und Kohle innerhalb der europäischen Union von Jahr zu Jahr immer teurer wird – sagen wir um fünf Prozent pro Jahr – wissen die Leute, dass es sich über 20 Jahre dann doch lohnt, das Haus thermisch zu sanieren. Oder dass es sich doch heute schon lohnt, auf ein Elektro-Auto umzusteigen. Oder dass es sich beispielsweise auch für die VOEST heute schon lohnt, ganz massiv in andere Technologien in der Stahlproduktion – hier geht es um die Wasserstofftechnologien – zu investieren. Das heißt, meine Idee lautet: Die Europäische Union gibt einen Preispfad für Erdöl, Erdgas und Kohle für die nächsten Jahrzehnte vor, der stetig steigt. Die Differenz zwischen unserem Zielpreis und dem Weltmarktpreis wird durch eine flexible CO2-Steuer abgeschöpft. Das heißt, wenn der Weltmarktpreis etwa bei 20 Dollar liegt bzw. bei 18 Euro und der Richtpreis wäre 70 Euro, dann würde eine Steuer in Höhe von 52 Euro eingehoben. Wenn das Bewusstsein da ist, dass es sich lohnt, in eine thermische Sanierung zu investieren, weil der Preis für alle fossilen Energieträger stetig steigen wird, dann werden dies mehr Menschen auch tun. Nun soll nach dem Lockdown die Wirtschaft langsam wieder hochgefahren werden. Die Finanzlage in den Haushalten hat sich aber durch Corona massiv verschlechtert. Die Ausgaben müssen zum Teil stark reduziert werden. Was glauben Sie, wie lange wird es dauern, bis sich die Situation wieder verbessert? Stephan Schulmeister: Das ist im Moment nicht einzuschätzen, weil viele Unsicherheitsfaktoren bestehen. Was ziemlich klar scheint, ist, dass schon in den nächsten Wochen bestimmte Beschränkungen reduziert werden. Man wird die Erfahrung anderer Länder ausarbeiten. Das faszinierendste Beispiel ist nach wie vor Schweden. Weil in Schweden bis heute keine Ausgangsbeschränkungen, keine Verbote von Einkäufen oder von Restaurantbesuchen bestehen und die Infektionszahlen in Schweden nicht höher sind als in Österreich. Die Sterbefälle sind allerdings häufiger. Nur hat das offensichtlich nichts mit den Ausgangsbeschränkungen zu tun, denn wenn das der Fall wäre, dann müssen ja auch die Infektionen steigen. Viel mehr ist es so, dass in den Altenheimen leider zu wenig Isolationsmaßnahmen rechtzeitig ergriffen wurden. Also das alles ist jetzt noch in Bewegung. Was für Auswirkungen sind wirtschaftlich zu befürchten? bitte umblättern >> MAI 2020 5

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