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2017-1 REISE und PREISE

KANADA DIE REPORTAGE Die

KANADA DIE REPORTAGE Die Nachfahren der »First Nations« in Alert Bay pflegen wieder ihre alten Traditionen (links). Shoppende Flaneure in Gastown (rechts) Indianische Traditionen mitten in der Großstadt Die Provinz British Columbia ist seit Jahrtausenden die Heimat der Indianer. Mehr als 200 Stämme leben hier noch – das ist fast ein Drittel aller kanadischen First Nations. Auch mitten in Vancouver kann man indianische Kultur erleben. Wo im Stanley Park, dem größten Stadtpark Nordamerikas, heute Jogger ihre Runden drehen und Hunde Gassi geführt werden, lebten einst Indianer am Meer. Und sie lebten gut: Der Ozean lieferte Fisch und Meeresfrüchte, aus dem Wald kamen Fleisch und Medizin, Kleidung und Baumaterial. Ein Thema, über das Erica Vader viel zu erzählen weiß. Die 23-jährige Kulturanthropologin vom Stamm der Shishalh führt Besucher durch den Park bis zum Brockton Point, wo neun Totempfähle auf das Meer blicken – die meistbesuchte Sehenswürdigkeit der Provinz. Unterwegs erfährt man viel über die indianische Kultur: »Aus den Stämmen des Riesenlebensbaumes haben wir Kanus gebaut, aus der Rinde Hüte geflochten«, erklärt sie unter einem gigantischen Koloss. »Und da drüben wachsen Pracht-Himbeeren – die sind lecker zusammen mit Fischeiern.« Vader erzählt von ihrem Stamm, in dem von 2.000 Mitgliedern nur noch sieben die traditionelle Sprache Sháshíshálhsprechen, eine bedrohliche Situation für ein Volk, dessen Geschichte immer nur mündlich überliefert wurde. Der Verlust ist das Resultat jahrhundertelanger Unterdrückung: Viele Zeremonien waren verboten, Kinder wurden in Residential Schools zwangsassimiliert, die Stammesgebiete parzelliert und zur Bewirtschaftung durch Holz- und Energieunternehmen freigegeben. Doch seit einigen Jahren wendet sich die Situation für die Ureinwohner: Gerichte urteilen in Landfragen häufig zu ihren Gunsten. Die letzte Residential School schloss 1996 ihre Pforten, eine Kommission hat die Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Und viele aus der jungen Generation haben begonnen, Traditionen wieder fortzusetzen, die alten Sprachen zu lernen und das Wissen der Stammesältesten aufzugreifen. Die Totempfähle von Alert Bay Fotos: Oliver Gerhardt, Tourism BC/JF Bergeron Wandern auf dem Pacific Coast Trail Das Heulen ist schon von weitem zu hören: Das Nebelhorn des Leuchtturms am Amphitrite Point in Ucluelet gibt alle paar Sekunden denselben klagenden Ton von sich. Nicht umsonst wird dieser Teil der Küste vor Vancouver Island wegen der vielen Schiffbrüche auch als »Friedhof des Pazifiks« bezeichnet. Auf dem Waldweg entlang der Küste öffnen sich immer wieder Fenster: zu wilden Steilküsten, an die gewaltige Wellen donnern; zu Holzhäusern auf den Klippen; zu den versprengten Inseln des Pacific Rim National Park. Oft sieht man auch vorbeiziehende Grauwale. Der Wild Pacific Trail führt sehr abwechslungsreich über zwei verschiedene Runden durch den verwunschenen Küstenurwald: der Lighthouse Loop (2,6 km) und der Loop Big Beach to Rocky Der Wild Pacific Trail führt sehr abwechslungsreich durch den Küstenurwald Bluffs (5 km einfach plus 1 km Erweiterung durch einen alten Zedernwald). Im Sommer veranstaltet die Wild Pacific Trail Society geführte Touren, z. B. an der Seite des Gründers der Strecke oder mit Biologen zu den Gezeitenbecken (Termine und weitere Infos unter www.wildpacifictrail.com). Vier der Totempfähle von Brockton Point stammen aus dem Dörfchen Alert Bay, das auf einer kleinen Insel vor Vancouver Island liegt. Wenn man in Port McNeill mit der Fähre nach Cormorant Island ablegt, kann man sich entspannt zurücklehnen, nach springenden Fischen Ausschau halten und dem Kreischen der Möwen lauschen. Im Hafen von Alert Bay liegt schon der Duft von verbranntem Zedernholz in der Luft. Heute ist traditionelles Wildlachsgrillen in der Culture Shock Gallery, einer kleinen Kunstgalerie. Bis vor kurzem zeigte ein Stammesältester Besuchern, wie man den Fisch auf indianische Weise zubereitet, jetzt hat seine 16-jährige Enkelin den Job übernommen. Gwantilak Hunt-Cranmer trägt Zahnspange, ein dichter Haarschopf verdeckt ihre schüchtern blickenden Augen, während sie die Lachsfilets schneidet, zwischen gespaltene Zedernholzstöcke klemmt und diese dann am Lagerfeuer in die Erde steckt. Für die First Nations waren die Lachse immer »täglich Brot« und unersetzlich zum Überleben. Lieder und Tänze fungierten als Geschichtsbücher: Im Rahmen von Potlaches – zeremoniel- 10 REISE & PREISE 1-2017

len, teils wochenlangen Festen – wurden die Familiengeschichten mit großen Holzmasken inszeniert, Geburten gefeiert, Hochzeiten besiegelt und Tote betrauert. Die kanadische Regierung sah in den Potlaches eine Bedrohung für ihre Autorität und verbot sie von 1884 bis 1951. In Alert Bay wurden damals die Holzmasken konfisziert und an Museen in Kanada, England und den USA gegeben. Heute kann man sie im U‘mista Cultural Center in Alert Bay wieder betrachten – der Stamm hat sie in mühevoller Recherche aufgespürt und in langjährigen Verhandlungen zurückerlangt. Whale Watching im Broughton-Archipel Die gewaltige Schwanzflosse eines Orcas taucht aus den Fluten im Broughton-Archipel Ganz in der Nähe von Alert Bay liegt Port McNeill. Dort macht Mike Willie sein kanariengelbes Schnellboot startklar, mit dem er Besucher zu Grizzly-Bären und Schwertwalen bringt. Der junge Indianer vom Stamm der Kwakwakawa’wakwgilt als Vorzeigeunternehmer im indianischen Tourismus. Vor 15 Jahren gab es nur fünf indianische Tourismusfirmen in British Columbia, heute sind es über 90. Mikes Boot taucht in die zerklüftete Landschaft des Broughton-Archipels mit seinen Inseln, Kanälen und Fjorden ein. Einmal zieht eine Gruppe Wale vorbei, gewaltige Schwanzflossen heben sich aus dem Wasser und tauchen elegant wieder ab. Eine Wolke steigt auf, wenn einer von ihnen bläst. »Ich erlebe das fast jeden Tag«, sagt Mike. »Viel mehr Leute aus meinem Volk sollten hier rauskommen und ihre Wurzeln spüren, aber sie stecken im Reservat fest.« Mike engagiert sich neben seinen Touren in der Stammespolitik, er kämpft gegen Holzfirmen und Lachsfarmen. Die Zahl der Lachse nimmt kontinuierlich ab. »Die Lachsfarmen sind schuld«, sagt Mike. »Sie verfüttern Medikamente, die in die Nahrungskette gelangen. Teilweise schwimmt der Wildlachs auch in die Farmen und wird gefressen.« In einer spektakulären Aktion enterte er mit anderen Stammesmitgliedern eine Zuchtstation, um eine Zeremonie durchzuführen. Kürzlich haben die Kwakwakawa’wakw mehreren Farmen auf ihrem Gebiet Räumungsbescheide zukommen lassen. Die Chancen vor Gericht stehen nicht schlecht – die Zeiten haben sich geändert. INFO Kanada auf Seite 12 Unvergessliche Augenblicke im Westen der USA. Der perfekte Moment mit Fred. Schon beim Einstieg in den Reisebus macht uns Fred klar, dass wir nicht genau die selbe Tour fahren, wie andere Touristen. Er weiß, wo es am schönsten ist. Aber was viel wichtiger ist: er weiß, wann. Deshalb plant er das Besichtigungsprogramm auch nach Tagesund Uhrzeiten, um uns zum Beispiel den Grand Canyon in einem unbeschreiblich schönen Licht zu zeigen. Bilder, die man auf kaum einer Postkarte findet – Bilder einer echten Berge & Meer Reise. Die 13-tägige Rundreise durch den Westen der USA ist ab 1.999 € p. P. buchbar. Mehr Infos unter: www.berge-meer.de

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