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Rotary Magazin 02/2023

THÈME DU MOIS –

THÈME DU MOIS – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – FÉVRIER 2023 28 kämen», erzählt er. «Zum Glück wurde unsere Angst durch die Freundlichkeit so vieler guter Menschen auf der ganzen Welt gemildert. Sie kontaktierten uns über die Websites unserer Clubs, per E-Mail oder Telefon und fragten uns, wie sie helfen könnten.» Skup und andere bildeten eine Arbeitsgruppe, der auf ihrem Höhepunkt Vertreter von 14 Rotary Clubs oder Distrikten aus aller Welt angehörten. Sie hielten wöchentliche Videokonferenzen ab, um zu besprechen, wie sie Spenden sammeln und Hilfe leisten konnten. «Zu Beginn wussten wir nicht, wie lange der Krieg dauern würde», sagt Skup. «Viele Flüchtlinge befanden sich im Stand-by- Modus, ohne zu wissen, wie es weitergehen sollte. Sie brauchten Unterstützung, um zu versuchen, sich zu erholen und ein normales Leben zu führen, vor allem die Kinder. Ich glaubte, dass dieser Krieg nicht so schnell enden würde, also mussten wir daran denken, den Flüchtlingen auf nachhaltige Weise zu helfen.» Im September eröffnete die Gruppe mithilfe von Katastrophenhilfe-Grants der Rotary Foundation und Spenden von lokalen Unternehmen, Einzelpersonen und Rotariern in Deutschland, Kanada, Japan, Korea und den Vereinigten Staaten das Zentrum. Sie stellte Psychologen, Lehrer und einen Zentrumsleiter ein – fast alle ukrainische Flüchtlinge – und bildete sie aus, um Kinder und andere vom Krieg traumatisierte Personen zu beraten und zu unterrichten. «Die ganze Sache ist so surreal für mich», sagt Skup. «Obwohl wir in der Ukraine so viel Böses erleben, kommen all diese guten rotarischen Menschen aus eigenem Antrieb zu uns und bieten ihre Hilfe an. Das Ausmass der Güte ist einfach unglaublich.» Während des Gesprächs erwähnte Skup mehr als einmal den Namen Alex Ray. Als Mitglied des Rotary Clubs Plymouth, New Hampshire, spendete Ray mehr als 300 000 Dollar für das Zentrum. «Er ist in der Ukraine», sagt Skup. «Vielleicht treffen Sie ihn.» Skup wiederholt, was Pola mir am Abend zuvor gesagt hat, nämlich dass mehr Menschen in Polen Zuflucht suchen könnten, wenn Russland den Krieg eskalieren lässt. Vor diesem Hintergrund und dank Rays Spende hoffen Skup und seine Kollegen, das Zentrum langfristig ausbauen zu können, um Flüchtlingen aus anderen Ländern, darunter Russland und Weissrussland, Tagesbetreuung, Berufs- und Sprachkurse, psychologische Hilfe und medizinische Grundversorgung zu bieten. «Wir sind ein relativ kleiner Club mit 17 Mitgliedern», sagt Skup. «Aber unser klares Bekenntnis, anderen zu helfen, treibt die Mitgliederzahlen in die Höhe, und wir erwarten bald mindestens drei neue Mitglieder.» Mit diesen Worten wirft sich Skup vor dem Chopin-Denkmal in Pose, streckt die Arme weit aus und hält die Fahne seines Clubs in die Höhe. DONNERSTAG,17.15 UHR, ZAMOŚĆ Von Warschau nach Zamość ist es eine vierstündige Busfahrt durch die polnische Landschaft. Als Zirkle und ich in der Abenddämmerung aus dem Bus steigen, zeigt Google Maps an, dass wir weniger als 40 Meilen von der Grenze zur Ukraine entfernt sind. Bald bricht die Dunkelheit über uns herein, und in der Oktoberluft liegt der stechende Geruch von verbranntem Holz. Angesichts der explodierenden Energiekosten nutzen viele Familien hier und in ganz Europa Kamine und Holzöfen, um ihre Häuser zu heizen. Zamość liegt an einer mittelalterlichen Handelsstrasse, die West- und Nordeuropa mit dem Schwarzen Meer verband. In einem Nachrichtenbericht vom März hiess es, dass etwa 4000 Flüchtlinge in der Stadt Zuflucht gefunden hätten. Das Hotel Morando liegt am Rande des charmanten und liebevoll restaurierten Grossen Marktes, der einer italienischen Piazza ähnelt. Als Zirkle und ich unser Gepäck in die palastartige Lobby schleppen, treffen wir auf Alex Ray, genau wie Skup es vorausgesagt hatte. Ray hatte mithilfe von Freunden 1.3 Millionen Dollar gesammelt, die alle für humanitäre Projekte in der Ukraine bestimmt waren – und hat diese Spenden dann fast mit einer Million Dollar aus seinem eigenen Vermögen aufgestockt. Der Besitzer der beliebten «Common Man»- Restaurantfamilie in New Hampshire, der sanftmütige und bescheidene Ray, reist zusammen mit seinem rotarischen Freund Steve Rand und ihren Partnerinnen. Sie sind gerade von ihrer zweiten Reise in die Ukraine zurückgekehrt, um herauszufinden, welche Dinge am dringendsten benötigt werden, da sich die Ukrainer auf einen dunklen und kalten Winter vorbereiten, der durch den Ausfall der Stromversorgung noch schlimmer geworden ist. «Als wir im vergangenen März die Bilder russischer Panzer sahen, die in die Ukraine einrollten, war das ein sehr bedrückendes Gefühl», sagt Rand, ein 78-jähriger Eisenwarenladenbesitzer. Da Ray und er Mitglieder des Rotary Clubs Plymouth, New Hampshire, sind, fanden sie ihre Lösung über diese Organisation. «Wir beschlossen, unser rotarisches Netzwerk in Polen und der Ukraine zu nutzen und sie als Vermittler einzusetzen», sagt Ray. «Auf diese Weise können wir unseren Spendern versichern, dass das Geld direkt vor Ort bei den Menschen in der Ukraine ankommt.» Ray und seine grossherzigen Freunde beschlossen, in ihrem Heimatstaat Geld zu sammeln. Sie gewannen die Unterstützung lokaler Politiker, eines Radiosenders, eines Baseballteams der Minor League und lokaler gemeinnütziger Organisationen. Ray bezog auch seine 850 Restaurantangestellten ein, die Karten und Broschüren an die Kunden verteilen. «Wir sind stolz darauf, dass New Hampshire mit seinen 1.38 Millionen Einwohnern in der Lage ist, für jeden Einwohner des Staates etwa einen Dollar zu spenden», sagt Rays Partner Mure. Er und seine Freunde führten im letzten Sommer eine Erkundungsmission in Polen und der Ukraine durch und identifizierten sechs Projekte, darunter das von Skup und seinem Club eingerichtete Flüchtlingszentrum und ein vom Rotary Club Krakau erworbenes Blutmobil zur Unterstützung von Krankenhäusern in der Ukraine. Über die Rotarier in Zamość wurden rund 700 Tonnen Lebensmittel gekauft und verteilt. «Jetzt kommen Schlafsäcke und Generatoren hinzu», sagt er. «Der Grund für unseren Erfolg sind die Rotary Clubs hier. Sie kennen die Situation in der Ukraine und übernehmen die Verantwortung, unsere Gelder zu verwenden und die Hilfe dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wird.» Mit etwas Bammel vor meiner bevorstehenden Reise in die Ukraine frage ich die Reisenden, ob sie sich Sorgen um ihre Sicherheit gemacht hätten. «Meine Reise im Mai war das erste Mal, dass ich ein Kriegsgebiet betreten habe», antwortet Mathison. «Ich bin eine ganz normale Mutter mittleren Alters aus der Mittelschicht. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich dort wiederfinden würde. Bevor wir nach Lviv aufbrachen, warnte unser Gastgeber, dass es Bombenanschläge gegeben hatte, und fragte uns, ob wir trotz-

THÈME DU MOIS – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – FÉVRIER 2023 dem fahren wollten. Ich dachte bei mir: Es gibt Millionen von Ukrainern, die jeden Tag angesichts von Bombenanschlägen aufwachen und den Mut finden, ihre Kinder zu ernähren, zu kleiden und in Sicherheit zu bringen. Wenn sie das können, ist es meine Aufgabe, es für ein paar Tage zu tun und dann diese Erfahrung zu nutzen, um ihnen langfristig zu helfen.» Die vier beschreiben, was sie in der Ukraine gesehen haben: ein Kongresszentrum und eine Kaserne aus der Sowjetzeit, die zu rudimentären Flüchtlingsunterkünften umgebaut wurden, ein behelfsmässiges Lager, das Lebensmittel notlieferungen in die Ostukraine koordiniert, und ein heruntergekommenes Waisenhaus, bei dessen Wiederaufbau sie helfen konnten. Ihre Reise im Oktober bestätigte die Befürchtungen eines kalten Winters für die Kinder in der Ukraine. Ray und seine Freunde kehrten Mitte Dezember in die Ukraine zurück. Während der Reise übergab er 18 Tonnen Lebensmittel, 1000 Schlafsäcke und 24 Generatoren sowie 1300 Weihnachtspakete an Waisenkinder in den Städten Lviv und Rivne. Unser Gespräch hätte noch stundenlang weitergehen können, wenn die vier nicht zum Abendessen gerufen worden wären. Ich mache mich auf den Weg zu meinem Hotelzimmer und als ich eintrete, klingelt mein Telefon. Es ist Piotr Pajdowski, der Präsident des Rotary Clubs Warszawa-Belweder. Er sagt mir, ich solle mich bereithalten: Zwei Rotarier werden am Morgen im Hotel eintreffen und mich und den Fotografen über die Grenze begleiten. Um 9 Uhr schlendern Vasyl Polonskyy und Hennadii Kroichyk in die Hotellobby, wo das Quartett aus New Hampshire und ein Rotarier aus Zamość auf das Auschecken warten. Die blosse Erwähnung von Rotary beseitigt alle sprachlichen oder kulturellen Barrieren, und wir begrüssen uns herzlich wie alte Freunde. Die Gespräche sind so angeregt, dass wir unsere Taschen durcheinander auf die Fliesen fallen lassen. Dann fahren wir los. Polonskyy hält an, um mich zweimal durch die landschaftlich reizvollen Teile von Zamość zu fahren und mir Glück zu wünschen, das wir für unseren nächsten Halt dringend brauchen: die Ukraine. K Wen Huang | A RI Michał Skup und Jacek Malesa vor dem Chopin-Denkmal in Warschau 29

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