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Taxi Times Berlin - Januar / Februar 2019

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KOMMENTAR ES GEHT UM

KOMMENTAR ES GEHT UM MARKT UND MACHT In ihrem Gastkommentar zeigt die Taxikollegin Yvonne Schleicher: Was laut mytaxi und einigen Politikern für die Kunden gut sein soll, bedeutet in Wahrheit, dass Daseinsvorsorge mit Füßen getreten wird. Offenbar wird eine Aufhebung der Kategorien „Taxi“ und „Mietwagen“ im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) diskutiert. „mytaxi“ plädiert zudem für eine Flexibilisierung der Tarife, und der wissenschaftliche Beirat des Verkehrsministeriums schlägt eine neue Kategorie im PBefG vor: „Taxizentralen und webbasierte Taxi-Vermittler“ sollen „die Preise festlegen, die die Kunden bezahlen müssen“. Der Bericht von Hermann Waldner [...] bei der Mitgliederversammlung der „Innung“ des Berliner Taxigewerbes e. V. über die Arbeit des BZP bezüglich der Herausforderung des Taxigewerbes durch die sogenannten „neuen Mobilitätsanbieter“ und sein Vortrag „We digitalize the taxi industry“ über taxi.eu beim Internationalen IRU-Taxiforum lenkte den Blick am Rande auf eine derzeit in Österreich intensive Diskussion. Zitat Waldner: „Es wird überlegt, die Kategorien ‚Taxi’ und ‚Mietwagen’ abzuschaffen, wobei eine einzige neue Kategorie herauskommen könne, die dann eventuell ‚Taxi’ heißen könnte.“ Betrachtet man in diesem Zusammenhang zwei Dokumente aus dem Jahr 2017 nochmals, zeigt sich für Deutschland folgendes Bild: Die Stellungnahme der Intelligent Apps GmbH (mytaxi) beim BMVI-Workshop „Digitale Mobilitätsplattformen“ (April 2017) malt sehr ausführlich eine Zukunft aus, in welcher der moderne, entspannte „Mobilitäts-App-Nutzer“ mit einem „Fingertipp“ in „Echtzeit“ alle möglichen Fortbewegungsarten am aktuellen Standort sowie deren Kosten und Dauer sofort überblicken und spontan die individuell zugeschnittene Wahl treffen kann. Es liest sich, als würde der beispielsweise gewählte Bus sich räumlich und zeitlich augenblicklich nach Bedienung des Smartphones materialisieren. Es wird eine alle Kunden umfassende Erwartungshaltung suggeriert, der Bedürfnisse jenseits der Smartphonenutzung völlig fremd sind. Um dieses Trugbild der schönen neuen Welt abzurunden, formuliert „mytaxi“ in einem Halbsatz: „Wo bis vor zehn Jahren noch telefoniert und disponiert werden musste, ...“ – das klingt nach Schweiß und verrottenden Telefonkabeln und erweckt den Eindruck, dass das Mittelalter der Taxivermittlung gerade noch rechtzeitig verlassen wurde. Tatsächlich leisten die „alteingesessenen“ Taxizentralen nach wie vor mit moderner Technik die Hauptvermittlungsarbeit und Taxi und Mietwagen: Österreich plant Einheitsgewerbe. bemühen sich erfolgreich, mit verhältnismäßig wenig Budget, ohne übertriebene Profitorientierung und neben ihren laufenden Aufgaben um ein gut funktionierendes System, das auch die Bestellung mittels einer App ermöglicht. „mytaxi“ stellt heraus, die soziale Funktion der aktuellen Ausgestaltung des Taxigewerbes respektieren zu wollen, verneint „im ersten Schritt“, Befürworter des surge-pricing (Preisabhängigkeit von Angebot und Nachfrage) zu sein, wünscht sich insgesamt mehr Flexibilität, fordert eine Tarifflexibilisierung „mit Leitplanken nach unten und oben“ und denkt daran, sollte es dadurch zu Benachteiligungen für „Menschen mit Behinderung, Ältere, Kranke“ kommen, einen „bezuschussten Sozialtarif“ einzuführen. Der wissenschaftliche Beirat im Verkehrsministerium geht in seinem Taximarktgutachten (Februar 2017) gleich noch einen Schritt weiter: „Taxizentralen und webbasierte Taxivermittler werden nach der Preisfreigabe eine neue Rolle übernehmen: Sie werden die Preise festlegen, die die Kunden bezahlen müssen. Deshalb sollten sie als neue Kategorie ins PBefG aufgenommen werden.“ Hier wird nebenbei die Festlegung der Beförderungsentgelte aus der öffentlichen in die privatwirtschaftliche Hand verschoben und Taxizentralen und „webbasierte Taxivermittler“ werden in einen Topf geworfen. Diese sollen zudem alle erhobenen Daten den Behörden zur „Marktmissbrauchskontrolle“ bereitstellen. „Begründet“ wird dieses gewollte Vorgehen mit Komparativen und Schlagwörtern: „Nach einer solchen Reform der Regulierung ist damit zu rechnen, dass die Kunden von einem breiteren Angebot und geringeren Wartezeiten profitieren werden. Die bessere Vermittlung und die Vermeidung von Leerfahrten reduzieren die Umweltbelastung und die Kosten der Taxifahrten.“ Da es keinen Sinnzusammenhang zwischen der Preisgestaltung durch Vermittler und der besseren Bedienung von Kunden gibt – schon gar nicht mit einer reduzierten Umweltbelastung –, darf man sich getrost fragen, wo die eigentliche Motavation liegt. Nimmt man zu der Flexibilisierung der Tarife und der Festschreibung der „webbasierten Vermittler“ als gesetzlich autorisierte Preisgestalter noch die im folgenden zitierte Idee von „mytaxi“ hinzu und ruft sich in Erinnerung, dass sich nach Vorstellung eines „Arbeitskreises Öffentlicher Personennahverkehr“ (AK ÖPV) der zulässige Höchsttarif am aktuellen Taxitarif FOTO: 24 JANUAR/FEBRUAR 2019 TAXI

KOMMENTAR orientieren soll, steht dem Untergang des Taxigewerbes eigentlich nichts mehr im Wege: „Am Ende stünde ein Einheitsgewerbe aus Taxi und großen Teilen des heutigen Mietwagengewerbes. Dieses würde alle die folgenden Merkmale auszeichnen: • das Taxischild (weltweit bekannte Marke), • deregulierter Tarif mit Leitplanken nach oben und unten, • freie Konzessionen, kontrolliert von engagierten Stadtverwaltungen, • vereinfachter Marktzugang für Fahrer mit erweitertem Schwerpunkt auf Servicequalität (siehe „Erleichterung der Ortskundeprüfung“), • einheitlicher Umsatzsteuersatz. Wer in diesem Modell weiterhin Mietwagenverkehre nach heutigem Modell anbieten möchte, unterliegt den bisherigen Regularien. Dieser Service ist nur auf Vorbestellung verfügbar.“ Spätestens, wenn man noch die vom wissenschaftlichen Beirat visionierte Abhängigkeit der Tarife für eine bestimmte Fahrt vom Einstieg an bestimmten kostenpflichtig genutzten Taxihalteplätzen mitdenkt, sollte klar sein, worauf all diese Bestrebungen zielen: Markt und Macht. WER PROFITIERT? Das Taxigewerbe, das schon jetzt nicht in der Lage ist, Löhne jenseits der Mindestlohngrenze zu zahlen? Mietwagenunternehmen, die 25 Prozent Provision zahlen, um uberhaupt an Aufträge zu kommen? „mytaxi“ behauptet, „Durch die Digitalisierung wird das Mobilitätsangebot breiter und weniger komplex“: Breiter und komplexer werden einzig die Versuche, mittels des „trojanischen Pferdes Digitalisierung“ einen nicht unerheblichen Teil des Umsatzes des Taximarktes an sich zu reißen. Es wird wohl immer Bestrebungen geben, mit einem behaupteten Mehrwert in ein Gewerbe einzudringen, um daraus Profit BZP-Vizepräsident Hermann Waldner bei der IRU-Tagung am Rande der Europäischen Taximesse 2018 in Köln zu schlagen. Wir sollten uns nicht mit ein paar Schlagworten wie „Modernität“ und „Digitalisierung“ den Kopf vernebeln lassen – und auf keinen Fall auch noch den rechtlichen Rahmen dafür schaffen! Hoffen wir, dass taxi.eu bei seinen ausgeschriebenen Zielen „Schutz der Kunden durch Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften in der Personenbeförderung“ und „Sicherung der Existenz von über 140 unabhängigen Taxizentralen und Sicherung der Arbeitsplätze in diesen Unternehmen“ das alte PBefG mitdenkt, auch wenn die Betreibergesellschaft ihren Sitz am Ort der angeblich intensiven Debatte zum Thema Deregulierung hat – in Österreich. Und hoffen wir, dass unsere Behörden und Gerichte, solange das PBefG noch in seiner derzeitigen Form gültig ist, mindestens so klar Position beziehen wie die Österreicher. yps SIND UNS DIE USA NUR EIN PAAR JAHRE VORAUS? FOTO: Taxi Times Durch Uber & Co. würden Stadtmenschen auf ihr eigenes Fahrzeug verzichten, was deutlich weniger Verkehr bedeutet. Diese Aussagen haben diverse US-Studien als Lüge entlarvt. Vier Berliner haben die Studien übersetzt. Yvonne Schleicher hat sich gemeinsam mit ihren Kollegen Martin Laube, Rüdiger Flesch und Theo Dolit-Nivellier ausführlich mit wissenschaftlichen Studien zur wirtschaftlichen Entwicklung der Personenbeförderung befasst, unter anderem von Stefan Kissinger, Rainer Fischbach, Heather Appel, Bruce Schaller, Regina R. Clewlow und Gouri Shankar Mishra. Sie haben amerikanische Texte ins Deutsche übersetzt und zusammenfassend kommentiert. Einige Aussagen daraus: „Wenn lokal gewählte politische Entscheidungsträger daran gehindert werden, eine Politik zur Regulierung ihrer eigenen Verkehrssysteme und zur Unterstützung ihrer eigenen Arbeitnehmer zu entwickeln, ... dann steht die örtliche partizipative Demokratie auf dem Spiel.“ Heather Appel, aus: „Uber State Interference“ „Das Wachstum der internationalen Konzerne ist zwar für die Mobilität in der Stadt auf individueller Ebene von Vorteil, hat jedoch eine Reihe von Problemen in Bezug auf Verkehr, Transport und Umwelt sowie Gerechtigkeit, insbesondere für Personen mit niedrigem Einkommen und Rollstuhlfahrer, aufgeworfen.“ Bruce Schaller, aus: „Empty Seats, Full Streets“ „Wir stellen fest, dass 49 bis 61 Prozent der Fahrten mit Fahrdienstvermittlern überhaupt nicht zustande gekommen wären oder durch Zu-Fuß-Gehen, Radfahren oder Benutzung des ÖPNV erledigt worden wären. Diese Daten zum Wechsel der Verkehrsart deuten darauf hin, dass Ride-Hailing tendentiell wahrscheinlich mehr zurückgelegte Fahrzeugmeilen (VMT) entstehen lassen, als sie in den Großstädten reduzieren.“ Regina R. Clewlow und Gouri Shankar Mishra, aus: „Disruptive Transportation“ Die Studien und weiterführende Informationen finden Sie auf der Internetseite der „Innung“. Danke an die vier genannten Kolleginnen und Kollegen für Ihre Mühe! Firmen, die taxiähnlichen Verkehr anbieten („Transportation Network Companies“, TNC) verdrängen in den USA massiv das Taxigewerbe. TAXI JANUAR/FEBRUAR 2019 25

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