Blu-ray Sonderheft "Regie-Special zu Oliver Stone, Woody Allen, J. J. Abrams, Christopher Nolan u.v.a." Regie-Special zu Oliver Stone, Woody Allen, J. J. Abrams, Christopher Nolan u.v.a. (Vorschau)
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Regisseure im Spotlight<br />
DAS MAGAZIN FÜR<br />
HÖCHSTEN FILMGENUSS<br />
Bilder: 20th Century Fox, <strong>Oliver</strong> <strong>Stone</strong>, „Savages“ auf <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> erhältlich<br />
Regisseure<br />
im Spotlight<br />
Vol. 1<br />
<strong>Oliver</strong> <strong>Stone</strong> & Co.<br />
im Interview
Film Anspruch<br />
Nicolas<br />
Nicolas WiNdiNg RefN<br />
im Spotlight<br />
oNlY god foRgiVes Walhalla RisiNg<br />
38<br />
L’Enfant Sauvage, das wilde Kind – so nennen die Dänen ihren aufstrebenden Arthaus-Regisseur Nicolas Winding<br />
Refn. Wenn man seine Filme sieht, lässt sich tatsächlich eine latente Gewalt erkennen, die nur darauf wartet, sich in<br />
einem neuen Meisterwerk <strong>zu</strong> entladen.<br />
Spätestens seit dem spektakulär stylischen<br />
Arthaus-Drama „Drive“ ist Winding Refns unkonventioneller,<br />
vorrangig visueller Erzählstil bekannt<br />
wie ein bunter Hund. Seine Filme sind für<br />
den heutigen Hollywood-Apparat im Prinzip das,<br />
was Sergio Leones Spaghetti-Western in den<br />
1960ern waren. Ohne viele Worte <strong>zu</strong> verlieren,<br />
geht es um die Blicke, die Körpersprache und<br />
die inneren Prozesse, die der Zuschauer nur vermuten<br />
kann. Refns Helden sind also mindestens<br />
so cool wie Clint Eastwood. Und wenn sie doch<br />
einmal ein paar Worte verlieren, dann hallen diese<br />
wider, wie ein Donnerschlag. Auch das Stilmittel<br />
der expliziten Gewalt wird quantitativ sparsam<br />
gesät. Wenn sie jedoch ausbricht, dann in einer<br />
kurzen, unästhetisch nüchternen Szene, die stets<br />
einen faden Beigeschmack hinterlässt. Die Macht<br />
eafeaR X<br />
der Worte nutzt der Drehbuchautor, Produzent<br />
und Regisseur als punktuell eingesetzte Waffen.<br />
Beispielsweise gibt es in seinem Wikinger-Epos<br />
„Walhalla Rising“ (2009) gerade einmal 120<br />
Dialo gzeilen. Dem von Mads Mikkelsen gespielten<br />
Protagonisten kommt hierbei kein einziges Wort<br />
über die Lippen.<br />
Der Berserker<br />
Ursprünglich standen die Weichen für Refns<br />
Filmkarriere nicht so gut. Beschaut man sich den<br />
extrem ruhigen Kopfmenschen in persona, mag<br />
man kaum glauben, dass er in jungen Jahren wegen<br />
eines Wutanfalls (er schleuderte einen Tisch<br />
gegen die Wand) von der American Academy Of<br />
Dramatic Arts flog. Und auch die Ausbildung an<br />
der Danish Film School war nur von geringer Dauer.<br />
Erst die Ausstrahlung einer seiner Kurzfilme<br />
lenkte die Aufmerksamkeit einiger Produzenten<br />
auf ihn, was ihm das Budget für seinen ersten<br />
Kinofilm einbrachte. „Pusher“ (1996) war in vielerlei<br />
Hinsicht ein Sprungbrett für den <strong>zu</strong> dem<br />
Zeitpunkt gerade einmal 26-jährigen Winding<br />
Refn. Das schonungslose Drogendrama über die<br />
Kopenhagener Unterwelt kam bei der Kritik und<br />
auch beim Publikum gleichermaßen gut an und<br />
gilt heute <strong>zu</strong>sammen mit seinen zwei Fortset<strong>zu</strong>ngen<br />
als Kultwerk schlechthin. In Teil zwei spielt<br />
übrigens ein bis dato noch recht unbekannter<br />
Mads Mikkelsen die Hauptrolle, der sich während<br />
des Drehs mit dem Regisseur anfreundete. Nach<br />
dem medienkritischen „Bleeder“ (1999) und<br />
einer TV-Miniserie, widmete er sich einem seiner<br />
intensivsten, introvertiertesten Psychothriller.<br />
„Fear X“ gehört <strong>zu</strong> den weniger bekannten Werken<br />
des Regisseurs, trägt aber alle Ingredienzen<br />
eines echten Winding Refn. John Turturro spielt<br />
hier einen traumatisierten Kaufhauswächter, der<br />
unermüdlich nach dem Mörder seiner Frau sucht.<br />
Unzählige Abende schaut er alte Überwachungsvideos<br />
durch. Auf einigen von ihnen macht er Personen<br />
ausfindig, die ihm verdächtig erscheinen.<br />
Während des Schlafs suchen ihn <strong>zu</strong>dem immer<br />
dieselben seltsamen Visionen heim, in denen er<br />
der verborgenen Wahrheit hinterherjagd. Als ihm<br />
eines Tages die verpixelte Aufnahme des wahren<br />
Täters gezeigt wird, beginnt für ihn eine stille, nervenaufreibende<br />
Reise <strong>zu</strong>r Antwort auf die Frage<br />
nach dem „Warum?“.<br />
Mit „Bronson“ (siehe Ausgabe 2/2010) schuf<br />
Refn ein Bühnenstück, das sich locker mit Stanley<br />
Kubricks Beatnik-Meisterwerk „Uhrwerk Orange“<br />
(1971) vergleichen lässt. Dieser und die beiden<br />
folgenden Filme „Walhalla Rising“ (siehe Ausgabe<br />
01/11) und „Drive“ (siehe Ausgabe 03/12)<br />
feierten kompromisslose Kritikererfolge und markieren<br />
den Beginn von Nicolas Winding Refns Höhepunkt<br />
seiner Schaffensphase. Doch mit gerade<br />
einmal 41 Jahren hat er noch viel Zeit, seine außergewöhnliche<br />
Filmkunst <strong>zu</strong> betreiben. So hält er<br />
mit seinem Nachfolgeprojekt „Only God Forgives“<br />
(2012) an seinem derzeitigen Lieblingsdarsteller<br />
Ryan Gosling fest.<br />
FAlko Theuner<br />
Bilder: Sunfilm, Universum, Studiocanal, Porträt-Foto: (c) Filmfest München/Volker Rebhan
WiNdiNg Ref<br />
Anspruch<br />
im Spotlight<br />
Film<br />
dRiVe BRoNsoN<br />
„schWeigeN ist immeR iNteRessaNteR“<br />
Dass Nicolas Winding Refn kein Mann vieler Worte ist, bewies der Regisseur<br />
im Gespräch mit uns auf dem diesjährigen Münchener Filmfest. Was er auf<br />
seine ganz eigene ruhige Art sagte, erscheint jedoch intelligent, durchdacht<br />
und vollkommen ehrlich.<br />
Herr Winding Refn, während Ihre ganzen<br />
anderen Filme explizite Gewalt zeigen,<br />
arbeitet „Fear X“ ausschließlich mit Albträumen<br />
und abstrakten Bildern. Warum?<br />
Ich dachte wohl, dass dies sehr gut <strong>zu</strong>m Film<br />
passen würde. Es ist nicht so, dass ich ständig<br />
Gründe für alles habe, was ich tue. Ich mache<br />
es einfach, solange es sich <strong>zu</strong> dem Zeitpunkt<br />
richtig anfühlt (lacht). Manchmal denke ich dann<br />
im Nachhinein darüber nach. Es gab viele Dinge<br />
bei „Fear X”, die mit Schwierigkeiten verbunden<br />
waren. Dennoch denke ich, dass es dem Film<br />
sehr gut tut, ganz ohne physische Handlungen<br />
aus<strong>zu</strong>kommen.<br />
Ihre letzten beiden Filme „Walhalla Rising”<br />
und „Drive” besitzen scheinbar den selben<br />
Typ von Anti-Held. Wieso sind beide Protagonisten<br />
so schweigsam?<br />
Weil Schweigen oftmals viel interessanter ist. Die<br />
Zuschauer werden auf diese Weise gezwungen,<br />
den Charakter wesentlich stärker <strong>zu</strong> interpretieren.<br />
Dadurch wird er <strong>zu</strong>m „Enigma“, <strong>zu</strong>m Mysterium.<br />
Es gibt viele Parallelen zwischen Einauge<br />
und dem Driver, weil sie beide Mysterien desselben<br />
Typus von Heldentum darstellen. Sie<br />
sind wie ultimative Formen der menschlichen<br />
Existenz.<br />
Sind Ihre Filme eine Antwort auf all jene<br />
Filme, die Worte und Gewalt inflationär<br />
verwenden?<br />
Ich bin in keinster Weise ein politischer Filmemacher,<br />
daher würde ich das verneinen. Aber ich<br />
überlasse diese Entscheidung den Filmexperten.<br />
Wie können Sie trotz Ihrer Farbenblindheit<br />
die Farben intentional in ihren Filmen einsetzen?<br />
Wenn man farbenblind ist, kann man nur spezifische<br />
Dinge sehen. Daher kann man nur mit<br />
einer blassen Farbpalette arbeiten. Und damit<br />
komme ich <strong>zu</strong>recht.<br />
Und was bedeutet Rot in Ihren Werken?<br />
Sie ist eine meiner Lieblingsfarben. Und sie ist<br />
sehr cinematisch.<br />
WiNdiNg Ref<br />
Nicolas WiNdiNg RefN<br />
Nach „Drive“ ist „Only God Forgives“ Ihre<br />
zweite Zusammenarbeit mit Ryan Gosling.<br />
Was ist so speziell an ihm?<br />
Er ist ein großartiges Ultra-Ego.<br />
<strong>Blu</strong><br />
WeiteRe <strong>Blu</strong>-RaYs<br />
BRoNsoN<br />
dRiVe<br />
Stimmt es, dass Sie in der „Barbarella“-<br />
TV-Serie <strong>Regie</strong> führen werden?<br />
Das stimmt!<br />
Und was erwarten Sie sich von diesem<br />
Projekt?<br />
Ich habe noch nicht damit angefangen und muss<br />
es <strong>zu</strong>erst noch schreiben.<br />
Na gut, dann habe ich jetzt keine weiteren<br />
Fragen mehr.<br />
Cool! Ich bin übrigens ein riesiger <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong>-Fan<br />
und denke, <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> ist die beste Sache der Welt.<br />
Und warum?<br />
Es ist einfach nur die coolste Sache. Ich habe<br />
vor kurzem meine erste <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> veröffentlicht.<br />
Interessant, welcher Film ist es denn?<br />
Ich hatte mir ein altes Filmarchiv auf ebay ersteigert,<br />
weil ich so von Andy Milligan besessen war.<br />
Und ich fand darin einen Film, der nie von jemand<br />
anderem publiziert wurde. Ich ging also <strong>zu</strong><br />
British Films und veröffentlichte und produzierte<br />
meine erste <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> in Zusammenarbeit mit dem<br />
BFI (British Film Institute). Jetzt ist es das Projekt<br />
in meiner Laufbahn, auf das ich am meisten<br />
stolz bin. Und das gibt es nur auf <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong>. Es heißt<br />
„Nightbirds“ (1970) und wurde im Flipside-Label<br />
(Dualformat: <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong>/DVD, Anm. d. Red.) veröffentlicht,<br />
was richtig cool ist.<br />
Vielen Dank für das Gespräch!<br />
Walhalla<br />
RisiNg<br />
Film | www.blu<strong>ray</strong>-vision.de | 5.2012 39
Aktuelles Regisseur des monats<br />
WOODY ALLEN<br />
im Spotlight<br />
WOODY<br />
DEr stADtNEurOtikEr mANHAttAN<br />
Zum Auftakt unserer neuen Reihe, in der wir Ihnen ab jetzt regelmäßig die größten und interessantesten Regisseure<br />
der Kinogeschichte vorstellen wollen, haben wir uns mit <strong>Woody</strong> <strong>Allen</strong> einen Filmemacher herausgesucht, der seit<br />
bald einem halben Jahrhundert und in mittlerweile unglaublichen 45 Filmen bewiesen hat, dass er einer der Großen<br />
seiner Zunft ist. Entdecken Sie mit uns den Großstadtneurotiker und Psychoanalytiker unter den Filmemachern!<br />
Es gibt wohl keinen anderen Regisseur, dessen<br />
Name und Schaffen so eng mit seiner<br />
Heimatstadt verzahnt ist, wie <strong>Woody</strong> <strong>Allen</strong> mit<br />
seiner ewigen Liebe New York City. Vor 77 Jahren<br />
erblickte er dort das Licht der Welt, und trotz heftiger<br />
Flirts mit so einigen anderen verlockenden<br />
Metropolen ist er seinem „Big Apple“ doch<br />
immer treu geblieben. Das 1,65 Meter kleine<br />
Genie aus Brooklyn bereichert nun schon seit<br />
WOODY ALLEN<br />
fürs HEimkiNO<br />
Eine breite Auswahl des Œuvres von <strong>Woody</strong> <strong>Allen</strong><br />
liegt bei 20th Century Fox, Universal und Paramount<br />
auf <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> und DVD vor. Hier einige der<br />
wichtigsten Veröffentlichungen aus der Frühphase<br />
und dem Spätwerk:<br />
− Der Stadtneurotiker (1977)<br />
− Manhattan (1979)<br />
− Match Point (2005)<br />
− Midnight In Paris (2011)<br />
1966 die Kinolandschaft mit seinem ureigenen<br />
und unverwechselbaren Stil. Es vergeht kaum ein<br />
Jahr, in dem er nicht einen neuen Film an den<br />
Start bringt: Sein unglaublicher Output an neuen<br />
Drehbüchern und Produktionen lässt auch in<br />
einem Alter, da Otto Normalbürger längst seinen<br />
wohlverdienten Ruhestand genießt, einfach nicht<br />
nach. Mit schöner Regelmäßigkeit versammelt er<br />
in den letzten Jahren die größten und gefragtesten<br />
Namen der Schauspielbranche um sich –<br />
wenn <strong>Woody</strong> <strong>Allen</strong> ruft, dann kommen sie alle,<br />
und zwar mit Kusshand!<br />
Glanzvolle Karriere<br />
Insgesamt 23 Oscar®-Nominierungen im Laufe<br />
seiner einmaligen Karriere sprechen aber auch<br />
eine ziemlich deutliche Sprache. Obwohl ihm die<br />
Regeln und Beschränkungen der Hollywood-Maschinerie<br />
immer suspekt waren und er bei den<br />
Preisverleihungen meistens gar nicht auftauchte,<br />
wurde er viermal mit dem glänzenden Goldjungen<br />
ausgezeichnet. Für „Der Stadtneurotiker“ aus<br />
dem Jahre 1977, mit dem er erstmals voll <strong>zu</strong><br />
seinem typischen Stil fand, wurde er als bester<br />
Regisseur und für das beste Drehbuch geehrt.<br />
Mit diesem Film und dem nur zwei Jahre später<br />
entstandenen „Manhattan“ (eine bittersüße Ode<br />
an seine Heimatstadt, gedreht in poetischen<br />
Schwarz-Weiß-Einstellungen) befand er sich<br />
sicherlich auf dem frühen Höhepunkt seines<br />
Schaffens. Nachdem er sich jahrelang an amerikanischen<br />
Themen und Problemen abgearbeitet<br />
hatte, ging er <strong>zu</strong> Beginn des neuen Jahrtausend<br />
so langsam in seine „europäische Phase“<br />
über. „Match Point“ war dann der erste in einer<br />
Reihe von Filmen, die komplett auf dem alten<br />
Kontinent entstanden. Dies war auch die erste<br />
Zusammenarbeit mit Scarlett Johanssen, seiner<br />
aktuellen Muse, die übrigens ebenfalls aus New<br />
York stammt. Mit London, Barcelona, Paris und<br />
Rom widmete er in den Folgejahren den schönsten<br />
europäischen Zentren jeweils eigene Filme.<br />
Sehr schade, dass Berlin nicht mit in die engere<br />
Auswahl gefallen ist – <strong>Allen</strong>s Blick auf typisch<br />
deutsche Eigenheiten und Befindlichkeiten hätte<br />
uns dann doch brennend interessiert!<br />
Einfach unverkennbar!<br />
Doch was macht einen <strong>Woody</strong>-<strong>Allen</strong>-Film eigentlich<br />
aus? Da wäre <strong>zu</strong>allererst natürlich die<br />
(pseudo-)intellektuelle Redseligkeit seiner Protagonisten,<br />
die fröhlich wechselnd zwischen feiner<br />
Ironie, gewitztem Zynismus und beißendem Sarkasmus<br />
die ganze Bandbreite der hohen Kunst<br />
des eloquenten Verbalgefechts abdeckt. Der<br />
kopfgesteuerte Intellektuelle, der sich in seiner<br />
Intelligenz sonnt, gleichzeitig aber auch mit ihr<br />
hadert und sich nach unbekümmerter Natürlichkeit<br />
sehnt, ist einer der entscheidenden Archetypen<br />
in <strong>Allen</strong>s charakteristischem Figurenarsenal.<br />
Bilder: 20th Century Fox, Paramount Home, Universal Pictures Home<br />
14
ALLEN<br />
Regisseur des monats<br />
Aktuelles<br />
im Spotligh<br />
stArDust mEmOriEs<br />
Dabei sollte man allerdings nicht übersehen,<br />
dass zeitpolitisch und gesellschaftlich relevante<br />
Themen hier nicht nur auf doppeldeutig-humorvolle,<br />
sondern durchaus auch auf überraschend<br />
tiefsinnige Weise durchexerziert werden. Zudem<br />
werden die typischen Wohlstandswehwehchen<br />
einer bildungsbürgerlich geprägten Großstadtklientel<br />
mit fast schon psychoanalytischer<br />
Präzision bloßgestellt. <strong>Woody</strong> <strong>Allen</strong> legt den Finger<br />
in die Wunde und hat dabei doch immer<br />
ein süffisantes bis gespielt-unschuldiges Lächeln<br />
auf den Lippen.<br />
Der Duft der Frauen<br />
Starke Frauen, die den Männern oftmals zeigen,<br />
wo es langgeht, sind ein weiteres Markenzeichen<br />
eines guten <strong>Woody</strong>-<strong>Allen</strong>-Streifens. Da<strong>zu</strong> passt<br />
natürlich ausgezeichnet, dass sich der Meister<br />
in den verschiedenen Phasen seines filmischen<br />
Schaffens immer wieder neue weibliche Inspirationsquellen<br />
gesucht hat. Von Diane Keaton über<br />
Mia Farrow bis hin <strong>zu</strong> Penélope Cruz und Scarlett<br />
Johanssen (um nur die wichtigsten <strong>zu</strong> nennen):<br />
Die Liste ist lang und wunderschön, und bei so<br />
manchem Film wurde die innige Beziehung <strong>zu</strong><br />
Obwohl <strong>Allen</strong> nur mit den Besten arbeitet, würde<br />
er gern jeden Aspekt seiner Filme übernehmen<br />
seinen weiblichen Stars auch über die Grenzen<br />
des Sets und den Zeitraum des Drehs hinaus<br />
ausgedehnt.<br />
Die zwar dynamischen, aber anfangs noch recht<br />
eingeschränkten Mann-Frau-Konstellationen<br />
wichen später immer öfter einem großen Reichtum<br />
an Figuren, der Stoffe und Ideen in offenere<br />
und variablere Richtungen erweiterte. Oftmals<br />
finden sich in <strong>Allen</strong>s Drehbüchern eindeutige<br />
Merkmale des Episodenfilms, der eher markante<br />
Schlaglichter auf die Charaktere, den Schauplatz<br />
oder bestimmte leitmotivische Themen wirft,<br />
und dem keine umfassende und bis ins letzte<br />
Detail ausgearbeitete Handlung im herkömmlichen<br />
Sinne <strong>zu</strong>grunde liegen muss.<br />
Schöngeist mit vielen Facetten<br />
Seine umfassenden Fähigkeiten, was das Kino<br />
betrifft, sind unbestritten: Als Drehbuchautor, Regisseur,<br />
Schauspieler und Produzent hat <strong>Woody</strong><br />
<strong>Allen</strong> die Zügel bei all seinen Projekten immer<br />
fest in der Hand. Doch auch ansonsten ist er ein<br />
regelrechtes Allroundtalent: Er schrieb Stücke für<br />
den Broadway und verfasste bissige Kolumnen<br />
für die großen amerikanischen Tageszeitungen;<br />
die pointierten Kurzgeschichten, für die er bekannt<br />
ist, liest er neuerdings auch in Hörbuchmanier<br />
ein. Seine Liebe <strong>zu</strong>r Musik reicht von der<br />
großen Vielfalt des Jazz bis <strong>zu</strong> den Sphären der<br />
großen Meister der Klassik – Jam-Sessions mit<br />
Jazzlegenden stehen ebenso in seiner Vita wie<br />
eine umjubelte Arbeit als Opernregisseur.<br />
Für alle, die nun auf den Geschmack gekommen<br />
sind: Ende des letzten Jahres ist bei Eurovideo<br />
die ausführliche und sehr empfehlenswerte<br />
Doku „<strong>Woody</strong> <strong>Allen</strong>: A Documentary“ des amerikanischen<br />
Filmemachers Robert B. Weide erschienen,<br />
mit der er dem weltbekannten New<br />
Yorker Urgestein schon <strong>zu</strong> Lebzeiten ein ausführliches<br />
und gelungenes filmisches Denkmal setzt.<br />
Bücher, Bildbände und Biographien gibt es ohnehin<br />
in rauen Mengen.<br />
WAs siE scHON immEr<br />
übEr sEx WissEN WOLLtEN<br />
TiEmo WEisEnsEEl<br />
WOODY ALLENs<br />
NEuEstEr strEicH:<br />
„tO rOmE WitH LOvE“<br />
Mit dieser lebenslustigen Ensemblekomödie,<br />
die seit dem 10. Januar auf <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> <strong>zu</strong> haben ist,<br />
gelingt <strong>Woody</strong> <strong>Allen</strong> eine in warme Farben und<br />
reinste Wohlfühlatmosphäre getauchte Liebeserklärung<br />
an die Ewige Stadt Rom. Mit dabei unter<br />
anderem: Penélope Cruz, Roberto Benigni, Alec<br />
Baldwin, Jesse Eisenberg und Ellen Page. Und natürlich<br />
… <strong>Woody</strong> <strong>Allen</strong>! Der in unglaublich schönen<br />
Bildern eingefangene Streifen geriet ihm vielleicht<br />
ein bisschen lang, vielleicht ein wenig <strong>zu</strong> klischeehaft,<br />
um neben der unterhaltsamen auch eine<br />
wirklich wahrhaftige Ebene <strong>zu</strong> erreichen – aber<br />
letzten Endes ist es doch ein enorm amüsanter<br />
Spaß rund um die Irrungen und Wirrungen der<br />
Liebe. Und das alles vor der unglaublichen Kulisse<br />
einer Stadt, die unzweifelhaft <strong>zu</strong> den schönsten<br />
und romantischsten Orten der Welt gehört!<br />
Der nächste <strong>Allen</strong> ist übrigens auch schon wieder<br />
im Kasten: Der noch in diesem Jahr in den Kinos<br />
anlaufende „<strong>Blu</strong>e Jasmine“ (u.a. mit Cate Blanchett<br />
und Alec Baldwin) befindet sich gerade in der Postproduktion<br />
und markiert mit den Drehorten New<br />
York und San Francisco auch so etwas wie eine<br />
Rückkehr des Filmemachers <strong>zu</strong> seinen Wurzeln.<br />
Aktuelles | www.blu<strong>ray</strong>-vision.de | 2.2013 15
Aktuelles Regisseur des Monats<br />
OLIVER STONE<br />
im Spotlight<br />
OLIVER<br />
Einer der schillerndsten, streitbarsten und definitiv interessantesten Regisseure unserer Zeit ist nach wie vor <strong>Oliver</strong><br />
<strong>Stone</strong>. Seine Filme sind in den unterschiedlichsten Genres <strong>zu</strong> Hause und tragen doch immer einen unverkennbaren<br />
Kern aus provokanten politischen und gesellschaftskritischen Ansätzen in sich. Zur Deutschlandpremiere seines aktuellen<br />
Filmes „Savages“ (Test auf Seite 30) trafen wir den charismatischen New Yorker vergangenen Herbst in Berlin.<br />
Mister <strong>Stone</strong>, geht Ihnen so ein Stoff wie<br />
in Ihrem neuesten Film „Savages“ eigentlich<br />
leichter von der Hand als ihre anderen,<br />
stark politisch geprägten Filme?<br />
So sehe ich das gar nicht. Ich bin Dramatiker, es<br />
geht mir vor allem darum, eine gute Geschichte<br />
<strong>zu</strong> erzählen! Ob es nun um Nixon oder Bush<br />
geht: Es ist immer eine Herausforderung, es unterhaltsam<br />
<strong>zu</strong> machen. Und mit „Savages“ ist<br />
es genauso, diese komplizierte Geschichte im<br />
OLIVER STONE auf BLu-Ray<br />
Viele von <strong>Oliver</strong> <strong>Stone</strong>s heiß diskutierten Werken<br />
liegen inzwischen auf <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> vor, unter anderem<br />
bei Universal, Studiocanal und Fox. Dabei reicht<br />
die Auswahl von den frühen Hits wie<br />
„Wall Street“ über die mittlere Phase<br />
(„The Doors“) bis hin <strong>zu</strong> seinem neuesten<br />
Streifen, dem kompromisslosintensiven<br />
Drogenthriller „Savages“:<br />
− Wall Street 1 & 2 (1987 & 2010)<br />
− The Doors (1991)<br />
− Savages (2012)<br />
Drogenkriegsmilieu muss glaubhaft sein, was<br />
ein enormes Maß an Recherche erfordert. Und<br />
zwar auf beiden Seiten: Sowohl was die Dealer,<br />
als auch was die Polizei betrifft.<br />
Was denken Sie, wie nahe dran an der<br />
Realität sind Sie mit Ihrem Film?<br />
Nun, es ist immer noch Fiktion. Don Winslow<br />
hat vor ein paar Jahren einen fantastischen Roman<br />
geschrieben („The Power Of The Dog“ –<br />
„Tage der Toten“, Anm. d. Red.), eine verrückte<br />
und ziemlich ausufernde Fantasie darüber, was<br />
wohl passieren würde, wenn zwei völlig unterschiedliche<br />
Welten aufeinanderprallen. Das war<br />
natürlich auch eine großartige Idee für einen<br />
Film. Die ganze Welt ist inzwischen leider noch<br />
viel barbarischer geworden – denken Sie nur<br />
an die grausamen Szenen aus dem Irak – auch<br />
das haben wir bewusst in unseren Film mit einfließen<br />
lassen.<br />
Glauben Sie, dass man die ausufernde<br />
Gewalt zwischen den Kartellen und der<br />
Polizei durch eine schrittweise Legalisierung<br />
von Marihuana in den Griff bekommen<br />
könnte?<br />
Nun, wir hatten in unserer Geschichte schon<br />
einmal die Chance da<strong>zu</strong>, aber Nixon entschied<br />
sich dagegen, und das ist jetzt vierzig Jahre her.<br />
Inzwischen hat sich das Ausmaß dieses Konfliktes<br />
<strong>zu</strong> einem regelrechten Krieg ausgeweitet,<br />
einem erbarmungslosen Kreislauf, den keiner<br />
mehr aufhalten kann. Es gibt da Parallelen <strong>zu</strong>m<br />
Krieg gegen den Terror, <strong>zu</strong>m Krieg im Irak oder<br />
in Afghanistan. Es geht um das ganz große Geld<br />
und keiner wird es jemals freiwillig hinnehmen,<br />
wenn ihm ein Stück vom großen Kuchen weggenommen<br />
werden soll. Das ist absolut hoffnungslos,<br />
glauben Sie mir!<br />
Bilder: 20th Century Fox, <strong>Oliver</strong> <strong>Stone</strong>, Studiocanal, Universal (Pictures Home)<br />
16
STONE<br />
Regisseur des Monats<br />
Aktuelles<br />
im Spotligh<br />
Es wurden ja so einige Parallelen zwischen<br />
„Savages“ und „Pulp Fiction“ gezogen –<br />
können Sie mit diesem Vergleich eigentlich<br />
etwas anfangen?<br />
Ich würde die beiden nicht vergleichen – welchen<br />
Sinn hätte das auch? „Pulp Fiction“ hatte<br />
einen anderen Stil...aber ich mochte den Film!<br />
Vielleicht geht „Savages“ eher in Richtung „U-<br />
Turn“ – mein Humor war ja schon immer ein<br />
wenig von der bösen Sorte, und so ist es auch<br />
diesmal wieder!<br />
Sie sagten vor einiger Zeit einmal, dass<br />
Marihuana eine Gabe der Götter sei.<br />
Es heißt nicht Marihuana, sondern „Mariuannahhh“<br />
(lacht)! Es ist keine Droge, es ist ein<br />
Heilkraut, eine Pflanze. Sie hat starke medizinische<br />
Eigenschaften, was von Wissenschaftlern<br />
und Ärzten wieder und wieder nachgewiesen<br />
wurde. Sie hilft den Menschen bei Schmerzen<br />
und in vielen anderen Bereichen – es ist ein-<br />
fach ein spirituelles Geschenk. Es liegt natürlich<br />
immer an einem selbst: Manche Leute können<br />
einfach alles ins Gegenteil verdrehen, es missbrauchen<br />
– manche schnappen sich ein Fahrrad<br />
und rauschen irgendwo rein (lacht) – es<br />
kommt also immer darauf an, was man aus den<br />
Dingen macht, die einem gegeben werden.<br />
Vielen Dank für das Gespräch!<br />
Es ist ja kein Geheimnis, dass Sie auch<br />
persönlich so einige Erfahrungen mit<br />
Drogen gesammelt haben – bereuen Sie<br />
irgendetwas davon?<br />
Schauen Sie: Ich weiß nicht, ob ich etwas bereue,<br />
ich habe jedenfalls viel gelernt dabei.<br />
Na klar, ich hab meine Erfahrungen gemacht;<br />
nach dem Vietnam-Krieg, das war schon ein<br />
ziemlicher Kampf, damit klar<strong>zu</strong>kommen. Aber<br />
man lernt da<strong>zu</strong> im Leben und ich bin nun frei<br />
von diesen Dämonen, würde ich sagen. Ich<br />
habe nie einen Film über einen Drogenabhängigen<br />
gemacht – wenn man Al Pacino als „Scarface“<br />
nicht als solchen ansieht – für mich waren<br />
die Drogen immer nur das Mittel <strong>zu</strong>m Zweck,<br />
das den eigentlichen Plot ins Rollen brachte.<br />
Ich mag Themen wie „Macht“ und „Geld“, da<br />
drängt sich das Milieu förmlich auf!<br />
Es gibt ja das Gerücht, dass Sie bei den<br />
Dreharbeiten <strong>zu</strong> „Platoon“ mit ihren Darstellern<br />
geraucht hätten...<br />
...Nein, da ist nichts dran, ich würde niemals auf<br />
einem Set rauchen, das ist Arbeit und jeder reagiert<br />
auch ganz unterschiedlich darauf. Ich wäre<br />
niemals so dumm, so etwas <strong>zu</strong> tun. Wenn ich<br />
Lust auf Party hätte, dann würde ich das ganz<br />
privat für mich machen – und ich wäre sehr<br />
wählerisch, was für eine Art von Party das dann<br />
werden würde!<br />
Smart, selbstbewusst und nie um eine schlagfertige<br />
Antwort verlegen: Ein Mann mit Charisma<br />
Aktuelles | www.blu<strong>ray</strong>-vision.de | 3.2013 17
Aktuelles Regisseur des monats<br />
J. J. AbrAms<br />
im Spotlight<br />
J. J. Abr<br />
im<br />
Für unsere Rubrik „Regisseur des Monats“ kam in dieser Ausgabe nur ein Kandidat in Frage: Der gebürtige New<br />
Yorker J. J. <strong>Abrams</strong> ist derzeit vor allem bei den Freunden der unendlichen Weiten des Weltraums in aller Munde,<br />
kommt er doch am 9. Mai mit „Into Darkness“, dem heiß ersehnten zweiten Teil seines stylishen „Star Trek“-<br />
Reboots, in die Kinos. Außerdem ist er bereits fleißig am Werkeln, um in gut zwei Jahren Episode VII der legendären<br />
„Star Wars“-Saga <strong>zu</strong> einem unvergesslichen weltweiten Kinoereignis <strong>zu</strong> machen.<br />
Diese plötzliche Spezialisierung auf die beiden<br />
wichtigsten Franchises der Science-Fiction<br />
mag angesichts der bisherigen beruflichen Laufbahn<br />
von J(effrey) J(acob) <strong>Abrams</strong> etwas überraschend<br />
kommen – doch schaut man sich die<br />
Qualitäten, die seine Serien und Filme seit Beginn<br />
seiner Karriere ausmachen, etwas genauer<br />
an, dann kommt man schnell <strong>zu</strong> dem Schluss,<br />
dass es kaum einen besseren Mann geben<br />
stAr trek: Into DArkness<br />
Nur noch ein paar mal schlafen, dann ist es so weit:<br />
Am 9. Mai startet der unter strengster Geheimhaltung<br />
entstandene zweite Teil von J.J. <strong>Abrams</strong> spektakulärer<br />
„Star Trek“-Wiederbelebung endlich in den<br />
deutschen Kinos. Auch wenn bis <strong>zu</strong>r Premiere von<br />
„Into Darkness“ keinerlei Informationen über den<br />
Plot des Films an die Öffentlichkeit gelangen sollten<br />
(<strong>Abrams</strong> weiß genau um die unwiderstehliche Anziehungskraft,<br />
die ein gut gehütetes Geheimnis hat):<br />
Die ersten Plakate und Trailer haben bestätigt, was seit<br />
Monaten vermutet wurde – es gibt ein Wiedersehen<br />
mit den übermenschlichen „Augments“, von denen<br />
einer (Benedict Cumberbatch ist schlichtweg genial<br />
in seiner Rolle!) <strong>zu</strong>r existenziellen Bedrohung für<br />
die Sternenflotte und die gesamte Menschheit wird.<br />
könnte, um diese (mit Verlaub) leicht angestaubten<br />
Galionsfiguren des Genres erfolgreich in die<br />
Zukunft <strong>zu</strong> führen.<br />
Beste Vorausset<strong>zu</strong>ngen<br />
Aufgewachsen in der „Haupstadt des Films“<br />
Los Angeles – inmitten einer Produzentenfamilie,<br />
die tagtäglich mit dem Film- und Fernsehgeschäft<br />
<strong>zu</strong> tun hatte – scheint der Weg von<br />
<strong>Abrams</strong> bis an die absolute Spitze der Branche<br />
beinahe folgerichtig <strong>zu</strong> sein. Dass viele andere<br />
es trotz bester Vorausset<strong>zu</strong>ngen nicht schaffen,<br />
zeugt andererseits für das außergewöhnliche<br />
Talent, den unermüdlichen Arbeitseifer und die<br />
unbedingte Durchset<strong>zu</strong>ngskraft, die <strong>Abrams</strong> von<br />
Beginn an auszeichnete. Mittlerweile hat er sich<br />
<strong>zu</strong> einem höchst erfolgreichen und bemerkenswert<br />
innovativen Film- und Fernsehproduzenten<br />
gemausert, ist ganz nebenbei auch noch kreativer<br />
Drehbuchautor, begabter Hobby-Komponist<br />
und aktuell einer der gefragtesten und bestbezahlten<br />
Regisseure auf diesem Planeten. Das Label<br />
„Bad Robot Productions“ (seine eigene Produktionsfirma)<br />
am Ende so vieler erfolgreicher<br />
Serien bürgt gleichzeitig für ungewöhnlich hohe<br />
inhaltliche wie auch produktionstechnische Qualität.<br />
Dabei ist so gut wie all seinen Projekten<br />
dieses typische J. J. <strong>Abrams</strong>-Gen eingepflanzt,<br />
das mit Worten nur schwer <strong>zu</strong> greifen, beim Anschauen<br />
der Folgen jedoch jederzeit <strong>zu</strong> spüren<br />
ist. Schlagworte wie „mysteriös“, „faszinierend“<br />
und „außergewöhnlich“ kommen einem nur all<strong>zu</strong><br />
leicht in den Sinn.<br />
Serien-Highlights wie am Fließband<br />
Bestes Beispiel hierfür ist natürlich „LOST“, das<br />
„Twin Peaks“ unserer Zeit, eine jener seltenen<br />
Bilder: Paramount Pictures, Paramount Home<br />
14
Ams<br />
Spotlight<br />
Regisseur des monats<br />
Aktuelles<br />
Serien, über deren neueste Folgen nach der<br />
Erstausstrahlung leidenschaftlich diskutiert wird,<br />
über deren Fortgang die wildesten Spekulationen<br />
und Gerüchte im Internet und der Fachpresse<br />
kreisen, und um die sich ein regelrechter<br />
Fankult in der Popkultur bildet, der über die<br />
Reichweite einer gewöhnlichen Fernsehsendung<br />
weit hinausgeht. Eine Serie, die selbst drei Jahre<br />
nach ihrem Ende noch kontinuierlich neue Fans<br />
hin<strong>zu</strong>gewinnt, ist zweifellos etwas Besonderes<br />
und in seiner Gesamtheit war und ist „LOST“<br />
einfach ein Serienphänomen, das sich so bald<br />
sicher nicht wiederholen wird – eben „Must-See-<br />
TV“, im allerbesten Sinne!<br />
Auch „Fringe“, der anfangs sehr kritisch beäugte<br />
nächste Streich aus dem Hause <strong>Abrams</strong><br />
und „Bad Robot“, fand nach leichten Anfangsschwierigkeiten<br />
bald seinen eigenen Weg abseits<br />
der ausgetretenen „Akte X“-Pfade und<br />
entwickelte sich im Laufe der Jahre <strong>zu</strong> einer<br />
der mutigsten und interessantesten Mystery-<br />
Serien überhaupt.<br />
Von der Mattscheibe <strong>zu</strong>r Leinwand<br />
Der Start in die Blockbuster-Regionen des Kinogeschäfts<br />
erfolgte für J.J. <strong>Abrams</strong> im Jahr 2006:<br />
Und zwar mit Pauken und Trompeten, als er<br />
den dritten Teil der prestigeträchtigen „Mission<br />
Impossible“-Reihe inszenierte und die Reihe<br />
nach dem etwas abgehobenen zweiten Part<br />
von John Woo wieder auf den richtigen Kurs<br />
brachte. Seine jahrelangen Erfahrungen im Geheimagenten-Genre<br />
bei den Dreharbeiten <strong>zu</strong><br />
„Alias“ kamen ihm hier natürlich <strong>zu</strong>pass. Mit einer<br />
genial inszenierten cross-medialen Werbekampagne<br />
<strong>zu</strong> seinem modernen Mystery-und-<br />
Monster-Mix „Cloverfield“ bewies er dann 2008,<br />
dass er auch in Sachen Promotion und Marketing<br />
<strong>zu</strong> völlig neuen Wegen bereit ist. Vorläufiger<br />
Höhepunkt seiner Filmographie waren dann<br />
sicher die letzten beiden Großproduktionen<br />
„Super 8“ (übrigens eine schöne Hommage an<br />
Steven Spielberg, eines seiner großen Vorbilder,<br />
mit dem er bei dieser Produktion auch eng <strong>zu</strong>sammenarbeitete)<br />
und natürlich vor allem der<br />
umjubelte Neustart der „Star Trek“-Kinoreihe.<br />
Dem schon bald anlaufenden zweiten Teil dieses<br />
Reboots widmen wir uns im Extra-Kasten<br />
unten noch einmal etwas genauer.<br />
Tiemo Weisenseel<br />
Selbstbewusst, entschlossen und <strong>zu</strong>versichtlich:<br />
J. J. <strong>Abrams</strong> gehört die Zukunft im Filmgeschäft<br />
Anzeige<br />
Aktuelles | www.blu<strong>ray</strong>-vision.de | 4.2013 15
Aktuelles Regisseur des Monats<br />
Julian Pölsler<br />
im Spotlight<br />
Julian<br />
Als Regisseur und Drehbuchschreiber war er bis vor kurzem für seine Fernsehfilme wie etwa die “Inspektor Simon<br />
Polt“-Reihe bekannt. Er unterrichtet an der Filmakademie in Wien und hat nun mit der Verfilmung von Marlen<br />
Haushofers „Die Wand“ ein kleines, intensives Meisterwerk vorgelegt, das viele Fragen aufwirft. Fragen, die wir unter<br />
anderem im kleinen Kreise bereits auf der Berlinale 2012 an ihn stellen durften.<br />
Die WanD<br />
Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ von 1963 galt für lange Zeit<br />
aufgrund seiner Vielschichtigkeit als nur schwer verfilmbar. Durch den<br />
unerklärten Fakt, dass die namenlose Protagonistin während einer Wandertour<br />
in den Bergen komplett von der Zivilisation abgeschnitten wird<br />
und auch durch eine unsichtbare Wand daran gehindert wird, ins alte<br />
Leben <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> finden, ergeben sich viele verschiedene Lesarten. Nummer<br />
eins wäre <strong>zu</strong>m Beispiel, darin eine Metapher auf eine psychische<br />
Weiterentwicklung <strong>zu</strong> sehen. Oder ist es doch eher ein Sinnbild für die<br />
Einsamkeit eines jeden Menschen? Ist es Zivilisationskritik? Gar eine<br />
Natur-Utopie, in der die Protagonistin ihren Frieden im Zusammenleben<br />
mit den Tieren findet? Den <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> Test <strong>zu</strong> Julian Pölslers aktuellem Film<br />
lesen Sie auf Seite 41.<br />
Herr Pölsler, Sie sind sehr behütet auf<br />
dem Lande aufgewachsen, können Sie<br />
ein bisschen über Ihre Kindheit in dieser<br />
Abgeschiedenheit erzählen?<br />
Ich bin ein begeisterter Fernseher geworden.<br />
Unten im Tale, im Extrazimmer vom Kirchenwirt<br />
stand unter dem Herrgottswinkel nach einiger<br />
Zeit nicht mehr das Bild der heiligen Anna,<br />
sondern ein Fernsehgerät. Und diese Welt,<br />
die da hereingekommen ist, die hat mich sehr<br />
fasziniert. Ich wollte am Anfang Schauspieler<br />
werden, weil ich geglaubt hab, das sind die,<br />
welche die Geschichten erzählen. Irgendwann<br />
hab ich dann bemerkt, dass es die Regisseure<br />
sind. Und dann hab ich mich für <strong>Regie</strong> interessiert<br />
und in Wien an der Filmakademie studiert.<br />
Dort hab ich dann Axel Corti kennen gelernt<br />
und der hat mich sehr gefördert, dass ich das<br />
machen darf/kann, was ich jetzt mache.<br />
Ihr Film „Die Wand“ lebt von Stimmungen.<br />
Wie hat das mit den sieben<br />
Kameraleuten funktioniert, die diese<br />
Stimmungen einfangen sollten?<br />
Es war so, dass ich den Supervisor der Kameramänner<br />
gemacht habe. Ich habe den Kameramännern<br />
der einzelnen Drehblöcke genau<br />
gesagt, was ich will. Ich bring mich immer sehr<br />
stark in die Kameraarbeit ein, das war auch bei<br />
den „Polt“-Filmen so. Ich hatte einen wunderbaren<br />
Kameramann, mit dem ich immer in<br />
einem heftigen Austausch war. Hier war es ja<br />
so, dass ich 14 Monate gedreht habe. Sie können<br />
einen Kameramann von der Klasse eines<br />
Martin Gschlacht nicht 14 Monate blockieren.<br />
Das würde ich gern tun, aber das geht nicht.<br />
Und so habe ich für jeden Drehblock einen<br />
eigenen Kameramann gehabt. Und ich habe<br />
als Supervisor drüber geschaut, dass der Atem<br />
nicht verloren geht und hab auch viel Kraft in<br />
diese Kamera-Arbeit gelegt. Neben der Tiertrainer-Arbeit<br />
war das meine zweitwichtigste<br />
Arbeit und irgendwo hab ich dann auch <strong>Regie</strong><br />
geführt. Es gibt ja nur eine Schauspielerin und<br />
die ist so großartig, dass sie nicht viel <strong>Regie</strong><br />
gebraucht hat.<br />
War Martina Gedeck Ihre erste Idee als<br />
Beset<strong>zu</strong>ng?<br />
Es war so: Ich wollte ursprünglich eine österreichische<br />
Schauspielerin haben, weil das als<br />
rein österreichische Produktion gedacht war<br />
und da wäre es die Julia Stemberger oder die<br />
Birgit Minichmeyer gewesen. Dann gab es<br />
kurzzeitig eine österreichisch-französische Koproduktion.<br />
Da hab ich in Paris Juliette Binoche<br />
getroffen, die ich gestern übrigens auch in<br />
Berlin getroffen habe, das war sehr schön, das<br />
Wiedersehen. Aber schließlich wurde es eine<br />
Bilder: Studiocanal, Starhaus<br />
14
Pölsler<br />
Regisseur des Monats<br />
Aktuelles<br />
im Spotligh<br />
österreichisch-deutsche Koproduktion. Und<br />
dann war klar, das muss Martina Gedeck sein.<br />
Und nach den 70 Drehtagen muss ich sagen:<br />
Ich bin sehr, sehr glücklich, dass Martina Gedeck<br />
die Hauptrolle spielt, weil ich glaube, das<br />
Ergebnis kann sich sehen lassen und vor allem<br />
die Arbeit mit ihr war sehr intensiv und sehr<br />
beglückend. Das habe ich vorher eben nur von<br />
der Zusammenarbeit mit Julia Stemberger und<br />
Hannelore Hoger gekannt.<br />
Wie habe Sie ihr die <strong>Regie</strong>-Anweisungen<br />
gegeben? Wie haben Sie sie gefördert<br />
und gefordert?<br />
Also ich unterrichte ja an der Universität in<br />
Wien und habe ein paar Studenten von mir<br />
eingeladen, die gerne mit dabei sein wollten.<br />
Und die waren dabei und haben <strong>zu</strong>geschaut<br />
und haben dann irgendwann gesagt, „Sind Sie<br />
böse auf die Frau Gedeck oder die Frau Gedeck<br />
auf Sie? Sie reden ja gar nix mit ihr.“ Und<br />
es war auch so. Mit der Fortdauer des Drehs,<br />
und Sie dürfen nicht vergessen, bei 70 Drehtagen,<br />
das ist lang, war es plötzlich so, dass wir<br />
uns nur noch angeschaut haben und manchmal<br />
war es nur ein „Kopf <strong>zu</strong>r Seite neigen“ oder<br />
ein Nicken oder ein Lächeln – und wir haben<br />
beide gewusst, was es ist. Die Studenten waren<br />
wirklich ganz überrascht.<br />
Zum Thema des Films: Haben Sie sich<br />
schon selber einmal isoliert gefühlt?<br />
Ich glaube wir alle fühlen uns zeitweise einsam.<br />
Es war natürlich so, als ich den Hund<br />
gekriegt habe für die Dreharbeiten. Für sein<br />
Training bin ich auf eine Hütte gegangen. Sie<br />
haben den Film ja gesehen, wo diese zwei<br />
Alten sitzen, diese kleine Hütte. Und dort war<br />
ich fünf Wochen mit dem Hund oben und bin<br />
nie ins Tal gegangen. Und das war schon sehr<br />
beeindruckend, wie stark man dann Isolation<br />
empfindet. Es gibt kein Fernsehen, das man<br />
aufdrehen kann. Es gibt niemanden, mit dem<br />
man schimpfen könnte. Oder auch mit dem<br />
man nur murmeln könnte. Es war auch im<br />
Herbst und diese Hütte ist so über Hallstatt, sie<br />
werden’s kennen. Das ist ein Nebelloch und da<br />
ist dann immer um fünf Uhr am Abend Nebel<br />
gekommen. Und da habe ich geglaubt <strong>zu</strong> verstehen,<br />
was Marlene Haushofer gemeint hat,<br />
wenn sie schreibt: Von allen Seiten kriecht die<br />
Angst auf mich <strong>zu</strong>. Und ich will nicht warten,<br />
bis sie mich erreicht und überwältigt. Da bin<br />
ich ein bisschen in Gefahr geraten, selbst in<br />
eine Depression <strong>zu</strong> rutschen. Aber ich hatte ja<br />
<strong>zu</strong>m Glück keine Wand auf dem Weg ins Tal.<br />
Und nach fünf Wochen bin ich dann … aber<br />
da war der Zustand auch schon wieder vorbei.<br />
Aber ich bin dann doch gerne hinunter.<br />
Isolation ist heute Gang und Gäbe. Denken<br />
Sie, dass der Film deshalb so gut in<br />
diese Zeit passt?<br />
Die große Frage war ja, siedeln wir den Film<br />
in den 60er Jahren an? Oder in der Jetzt-Zeit?<br />
Und ich hab gesagt, warum nicht in der Zukunft?<br />
Weil ich glaube, dass dieser Text und<br />
die Themen, die in diesem Text angesprochen<br />
werden, zeitlos sind. Und mit der Isolation, da<br />
haben Sie natürlich recht, aber es ist nur dann<br />
leicht, wenn Sie auch Kraft haben, in dieser<br />
selbst gewählten Isolation <strong>zu</strong> bestehen. Was<br />
wir jetzt haben, ist ja die Möglichkeit, in die Isolation<br />
<strong>zu</strong> gehen und jederzeit wieder heraus.<br />
Wenn wir nicht in eine Depression rutschen,<br />
geht das schon relativ leicht. Sie brauchen ja<br />
nur die Fernbedienung nahe genug legen und<br />
dann haben Sie schon ein Tor …<br />
Aber das ist ja dann eher künstlich …<br />
Ja, wir leben ja ohnehin sehr künstlich. Das ist<br />
ja das, warum ich sage, diese Demut vor der<br />
Schöpfung. Also ich finde, dass jeder Architekt<br />
und jeder Städteplaner <strong>zu</strong>erst „Die Wand“ lesen<br />
muss, bevor er den ersten Plan zeichnet.<br />
Das Schreiben als Mittel <strong>zu</strong>r Lebensbewältigung<br />
– Ist das ein Gedanke, den Sie<br />
nachvollziehen können?<br />
Absolut. Also ich denk mir manchmal, für mich<br />
ist Filmemachen ein Weg um <strong>zu</strong> überleben.<br />
Weil ich <strong>zu</strong> wenig gut schreiben kann. Wenn ich<br />
so Texte lese wie z. B. den von Marlene Haushofer,<br />
dann denk ich mir immer, es ist besser<br />
ich mach Filme, als dass ich schreibe. Man<br />
muss sich ja immer am Besten orientieren.<br />
Und ich kenne es nur gut. Ich führe Tagebuch<br />
seit 1986 und das ist lustigerweise das Jahr<br />
in dem ich „Die Wand“ gelesen habe. Und ich<br />
hab begonnen, jede Tagebucheintragung mit<br />
der Beschreibung des Himmels <strong>zu</strong> beginnen.<br />
Und seltsamerweise, wenn ich jetzt 15 Jahre<br />
<strong>zu</strong>rück liegende Aufzeichnungen lese und ich<br />
lese nur die Beschreibung des Himmels, weiß<br />
ich sofort, wie es mir da ergangen ist. Insofern<br />
ist das Schreiben auch für mich so eine Lebensbewältigung<br />
– weil das Filmen halt viel,<br />
viel länger dauert und viel mehr Geld kostet.<br />
Vielen Dank für das Gespräch!<br />
Ruhig, intelligent und gewissenhaft beantwortet<br />
Julian Roman Pölsler die Fragen <strong>zu</strong> „Die Wand“<br />
Aktuelles | www.blu<strong>ray</strong>-vision.de | 5.2013 15
Aktuelles Regisseur des Monats<br />
Danny Boyle<br />
im Spotlight<br />
Danny<br />
Normalerweise ist der letzte Slot an einem langen Interview- und Pressetag ja gefürchtet bei uns Journalisten.<br />
Doch Mister Danny Boyle sprühte auch nach einem wahren Interviewmarathon noch vor Energie und Auskunftsfreude<br />
und gab uns an einem sonnigen Berliner Freitagabend kürzlich in aller Ausführlichkeit Auskunft über<br />
seinen neuesten Kinofilm. Vorhang auf und Bühne frei für „Trance“!<br />
Mister Boyle, mit jedem Ihrer Projekte<br />
probieren Sie ja etwas völlig Neues aus –<br />
ist „Trance“ ihre Version des „Film Noir“?<br />
Er hat auf jeden Fall etwas von diesem Genre,<br />
ja! Die Geschichte hat jede Menge Crime in<br />
sich, was ja einer der Hauptbestandteile des<br />
Film Noir ist. Die drei Hauptcharaktere sind –<br />
wenn sie denn mal Mitgefühl zeigen – nur <strong>zu</strong>m<br />
Schein freundlich. Das eindeutigste Zeichen ist<br />
natürlich Rosario Dawsons Charakter, der sich<br />
ganz als Femme Fatale gibt. Der Grund, warum<br />
sie diese Züge so offen auslebt, ist allerdings<br />
nicht die klassisch-männliche Fantasie<br />
von der Femme Fatale. Ihre Geschichte, die<br />
sich nach und nach entfaltet, ist tatsächlich viel<br />
Danny Boyle aUF BlU-Ray<br />
Inzwischen ist beinahe das gesamte Kinoschaffen<br />
von Danny Boyle auf <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> verfügbar, wenn<br />
auch – wie im Falle seines Debüts „Shallow Grave“<br />
(„Kleine Morde unter Freunden“) – teilweise nur als<br />
Import. Wer also Lust auf eine kleine Retrospektive<br />
hat, der kann sich am unglaublich vielseitigen<br />
und abwechslungsreichen Œu v re des genialen<br />
Briten sogar in feinstem HD sattsehen. Empfehlen<br />
möchten wir vor allem die Wiederentdeckung des<br />
Kultstreifens „Trainspotting“ aus dem Jahre 1996,<br />
dessen Fortset<strong>zu</strong>ng „Porno“ kurz bevorsteht.<br />
gebrochener, gefährlicher, leidenschaftlicher<br />
und vor allem wichtiger als die typischen Noir-<br />
Stoffe das der Frauenrolle normalerweise <strong>zu</strong>gestehen.<br />
Ihre Story dreht sich im Grunde um<br />
häusliche Gewalt und wie schwierig es ist, sich<br />
dagegen <strong>zu</strong> wehren. Sie weigert sich, weiterhin<br />
das Opfer <strong>zu</strong> sein – sie wehrt sich: <strong>zu</strong>erst<br />
nur gegen einen Gewalttäter, dann gegen fünf<br />
professionelle Killer, die ihr ans Leben wollen!<br />
Doch sie läuft nicht davon, sondern nimmt den<br />
Kampf an.<br />
Also dreht sich der ganze Film letzten<br />
Endes vor allem um sie?<br />
Ja, absolut! Man denkt ja <strong>zu</strong>erst, dass es um<br />
James McAvoy geht: Er ist schließlich ein<br />
„X-Man“, sieht umwerfend aus, er hat die Erzählerstimme<br />
und gerät sofort in die Bredouille,<br />
sodass man mit ihm mitfiebert. Aber eigentlich<br />
geht es um ihre Geschichte, und wenn Sie<br />
den Film in der chronologischen Schnittfolge<br />
gesehen hätten – auf der <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> wird es diese<br />
Version übrigens geben! – dann wäre das von<br />
Anfang an klar geworden.<br />
Wie haben Sie sich auf „Trance“ vorbereitet<br />
– haben Sie sich intensiv mit dieser<br />
Art von Suggestion beschäftigt?<br />
Ja, wir hatten sogar einen Professor der<br />
Hypnotherapie, das ist ein ganz ernst<strong>zu</strong>nehmender<br />
Wissenschaftszweig. Sie sind ehrlich<br />
gesagt nicht so furchtbar versessen darauf,<br />
<strong>zu</strong><strong>zu</strong>geben, dass nur fünf bis zehn Prozent<br />
der Menschen wirklich empfänglich sind für<br />
echte Suggestionen. Der Rest von uns lässt<br />
das alles gern mit sich geschehen, wird ruhig<br />
und entspannt, verliert aber nie die Kontrolle<br />
über die eigenen Gedanken oder gar den eigenen<br />
Körper: Man weiß immer noch genau,<br />
wo man sich befindet, dass man nur auf einer<br />
gedanklichen Reise ist. Wenn man <strong>zu</strong>r Show<br />
eines Hypnotiseurs geht, dann suchen die<br />
sich die wirklich Empfänglichen – die, die sich<br />
ganz auf dieses Experiment einlassen wollen –<br />
Bilder: 20th Century Fox (Home), Eurovideo, Fox Searchlight, Universal Pict.<br />
14
Boyle<br />
Regisseur des Monats<br />
Aktuelles<br />
im Spotligh<br />
ganz bewusst heraus, und diese „geeigneten“<br />
Menschen holen sie dann <strong>zu</strong> sich auf die Bühne.<br />
Und haben Sie die Hypnose denn eigentlich<br />
selbst einmal ausprobiert?<br />
Nein...habe ich nicht. Aber die Schauspieler haben<br />
es versucht: Bei Vincent und James war es<br />
so was von langweilig, es hat einfach ewig gedauert!<br />
Das ist extrem unspektakulär und alles<br />
andere als filmisch, völlig statisch und alle sind<br />
fast am Eindösen. Rosario hat aber wirklich<br />
viel in der Richtung gemacht und bei verschiedenen<br />
Spezialisten auch tatsächlich gelernt,<br />
wie man das Ganze richtig angeht.<br />
Ihre Filme scheinen auf den ersten Blick<br />
alle völlig unterschiedlich – und doch stellt<br />
sich stets dieses gewisse „Danny Boyle“-<br />
Feeling ein. Woran liegt das?<br />
Wissen Sie: Viele meiner Kollegen mögen so<br />
eine Interviewsituation wie diese hier nicht<br />
besonders – aber bei mir ist das anders! Seltsamerweise<br />
findet man bei solch einem Gespräch<br />
jede Menge über den eigenen Film<br />
heraus, wo man doch normalerweise denken<br />
würde: ‚Was für ein Unsinn, ich hab doch den<br />
Film längst gemacht und er ist endlich fertig!‘<br />
Aber man lernt da nie aus. Dieser eine Journalist<br />
sagte mal <strong>zu</strong> mir: ‚Im Grunde erzählen<br />
Sie in ihren Filmen immer wieder die gleiche<br />
Geschichte: Es ist die Story von jemandem,<br />
der vor gerade<strong>zu</strong> unüberwindbar scheinenden<br />
Hindernissen steht – doch derjenige bewältigt<br />
diese Schwierigkeiten, und daher kommt auch<br />
dieses überwältigende Glücksgefühl am Ende.‘<br />
Als ich darüber nachdachte, stellte ich fest:<br />
‚Verdammt, das stimmt tatsächlich!‘ Es gibt ja<br />
dieses Modell, dass man eigentlich nur sieben<br />
verschiedene Geschichten erzählen kann –<br />
und genaugenommen hab ich exakt eine davon<br />
neun mal erzählt! Bei „Trance“ ist es diesmal<br />
eben eine Frau, die vor dieser gewaltigen<br />
Aufgabe steht. Hoffentlich ist aber das Gefühl,<br />
das man bei jedem Film bekommt, ein völlig<br />
anderes – denn ansonsten hätten die Leute<br />
sicherlich schon vor einer ganzen Weile genug<br />
von mir gehabt!<br />
Vielen Dank für das Gespräch!<br />
Der Film lebt ja von seinen großartigen<br />
Schauspielern und seinem stylishen Look<br />
– was war Ihnen eigentlich wichtiger?<br />
Schauen Sie: Ich komme ja ursprünglich vom<br />
Theater, deshalb gehe ich immer <strong>zu</strong>erst von<br />
den Schauspielern aus. Der Cast muss einfach<br />
stimmen, das ist das Allerwichtigste – da<br />
kann der Style noch so genial sein: Sobald die<br />
Schauspieler nicht gut sind, verliert man nach<br />
ungefähr drei Minuten jegliches Interesse. Erst<br />
danach erschafft man etwas um sie herum,<br />
das dem Ganzen auch eine besondere visuelle<br />
Faszination verleiht. Bei diesem Film haben wir<br />
versucht, dass einfach alles den Zuschauer verführt:<br />
Die Kleidung, die sie tragen; die Orte, an<br />
denen sie leben – das sind keine realistischen<br />
Abbildungen, aber sie erzeugen dieses besondere<br />
Gefühl beim Zuschauer: ‚Ja, das könnte<br />
mir auch gefallen!‘ Wir verwenden auch speziell<br />
die Farben, um die Leute regelrecht in den<br />
Film hinein<strong>zu</strong>saugen. Das war auch der Trick<br />
mit McAvoy, der ja eigentlich ein wahnsinnig<br />
sympathischer Kerl ist: Ihn benutzen wir auch,<br />
um das Publikum erst einmal so richtig ein<strong>zu</strong>lullen<br />
und in falscher Sicherheit <strong>zu</strong> wiegen.<br />
Danny Boyle (rechts) mit seinem „Traum-Cast“<br />
auf dem roten Teppich der Premiere von „Trance“<br />
Aktuelles | www.blu<strong>ray</strong>-vision.de | 6.2013 15
aktuelles<br />
regisseur des monats<br />
<strong>Christopher</strong><br />
<strong>Christopher</strong> NolaN<br />
im Spotlight<br />
Wenn man über die wichtigsten und einflussreichsten Regisseure unserer Zeit nachdenkt, dann darf ein Name<br />
nicht fehlen: <strong>Christopher</strong> <strong>Nolan</strong>. Sein Aufstieg vom experimentellen Low-Budget-Tüftler aus England <strong>zu</strong>m Großmeister<br />
des anspruchsvollen US-Blockbuster-Kinos ist beispiellos. Wir schauen <strong>zu</strong>rück und nach vorn, beleuchten<br />
sein bisheriges Werk und den nächsten ganz großen Streich: „Interstellar“.<br />
Stellt man <strong>Nolan</strong>s schwarzweißes <strong>Regie</strong>debüt<br />
„Following“ und das hyperstylishe Science-<br />
Fiction-Kunstwerk „Inception“ nebeneinander,<br />
dann mag man kaum glauben, dass es sich um<br />
zwei Filme von ein- und demselben, kreativen<br />
Kopf handelt. Bedenkt man dann noch, dass<br />
nicht viel mehr als eine Dekade zwischen ihrer<br />
Entstehung liegt, mutet die immense handwerkliche<br />
Entwicklung, die der smarte Brite in jenen<br />
Jahren durchgemacht hat, gar noch furioser<br />
an. In diesem Zeitraum entstanden Filme von<br />
einer enormen Bandbreite. „Der Revolutionär<br />
des anspruchsvollen Mainstream-Kinos“: Diesen<br />
Titel hat er sich nach der absolut erfolgreichen<br />
„The Dark Knight“-Trilogie sowie nach<br />
<strong>Christopher</strong> NolaN aUF BlU-raY<br />
Neben der Einzel-<strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> von „Memento“ gibt es<br />
auch noch die „<strong>Christopher</strong> <strong>Nolan</strong> Collection“, eine<br />
Gesamtbox mit den Filmen „Insomnia – Schlaflos“,<br />
„Batman Begins“, „Prestige – Meister der Magie“,<br />
„The Dark Knight“ und „Inception“. „The Dark<br />
Knight Rises“ ist in diesem Paket nicht enthalten,<br />
ebensowenig <strong>Nolan</strong>s Erstling „Following“, den es<br />
derzeit leider nur auf DVD gibt.<br />
all seinen anderen, sowohl von den Kritikern<br />
als auch vom Kinopublikum gefeierten, Thrillern<br />
vollkommen verdient.<br />
Steiler Aufstieg<br />
Es ist schon Wahnsinn, wie groß die Abstände<br />
der Sprossen von <strong>Nolan</strong>s steiler Karriere-Leiter<br />
sind: „Following“ (1998) drehte er noch mit ein<br />
paar Freunden und fast ohne Budget an den<br />
arbeitsfreien Wochenenden. Für „Memento“<br />
(2000) standen ihm schon einige (Geld-)Mittel<br />
und eine Handvoll großartiger Schauspieler <strong>zu</strong>r<br />
Verfügung. Nach diesem Indie-Hit führte er im<br />
mit Hollywoodgrößen wie Al Pacino und Robin<br />
Willimas besetzten Remake „Insomnia – Schlaflos“<br />
(2002) die <strong>Regie</strong>, woraufhin das Vertrauen<br />
der großen Studios in das „Wunderkind“ so groß<br />
wurde, dass er mit dem Projekt „Batman Begins“<br />
(2005) die Chance seines Lebens bekam … die<br />
er auch nutzte. Der Rest ist Geschichte, wie es so<br />
schön heißt. Im ständigen Wechsel produzierte<br />
er seine eigenen Traumprojekte („Prestige“, „Inception“)<br />
sowie die weiteren Teile der „The Dark<br />
Knight“-Trilogie, die ihn in kürzester Zeit an die<br />
Spitze des <strong>Regie</strong>-Olymps katapultierten. An seiner<br />
Seite befinden sich stets sein jüngerer Bruder<br />
Jonathan <strong>Nolan</strong>, der mit ihm die anspruchsvollen<br />
Drehbuchideen ausarbeitet, sowie seine Ehefrau<br />
Emma Thomas, die bislang all seine Filme produzierte.<br />
Inzwischen gehört der 43-jährige Brite<br />
quasi fest <strong>zu</strong>r „Hollywoodfamilie“ und sitzt bei<br />
den großen Drahtziehern der Filmindustrie am<br />
gleichen Tisch wie Steven Spielberg, James Cameron,<br />
Peter Jackson und J. J. <strong>Abrams</strong>.<br />
Der nächste Blockbuster: „Interstellar“<br />
Das kommende Science-Fiction-Projekt von <strong>Christopher</strong><br />
<strong>Nolan</strong> nennt sich „Interstellar“, startet voraussichtlich<br />
im November 2014 in den Kinos<br />
und basiert auf den hochinteressanten, physikalischen<br />
Hypothesen des Naturwissenschaftlers<br />
Kip Thorne. Thornes Spezialgebiet liegt hauptsächlich<br />
in der Astrophysik und konzentriert sich<br />
auf die Eigenschaften von sogenannten Wurm-<br />
Bilder: Warner Home Video<br />
20
NolaN<br />
im Spotlight<br />
löchern, die in vielen Science-Fiction-Werken<br />
als Abkür<strong>zu</strong>ngen durch Raum und Zeit herhalten,<br />
was sehr dramatische Nebeneffekte haben<br />
kann. Bereits seit 2006 spielt Produzent Steven<br />
Spielberg mit dem Gedanken, aus diesem Stoff<br />
einen Film <strong>zu</strong> machen. Jonathan <strong>Nolan</strong> stieß nur<br />
ein Jahr später als Drehbuchschreiber <strong>zu</strong>m Projekt<br />
und entwickelte für Paramount den ersten<br />
Entwurf eines Science-Fiction-Skripts. Von da an<br />
war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch<br />
dessen Bruder <strong>Christopher</strong> hin<strong>zu</strong>kommen würde,<br />
was nach der Veröffentlichung von „The Dark<br />
Knight Rises“ dann auch tatsächlich geschah.<br />
Dieser überarbeitete das Skript seines Bruders<br />
bzw. erweiterte es um seine eigenen Ideen – ein<br />
Erfolgsrezept, das auch schon bei den vorherigen<br />
gemeinsamen Filmen hervorragend funktionierte.<br />
Ob die Geschichte um eine Gruppe<br />
von Sternenreisenden an die Grenzen des wissenschaftlich<br />
Vorstellbaren nun auch Zeitreisen<br />
enthalten wird, ist bislang noch Geheimsache.<br />
Aber schon allein das an „2001 – Odyssee im<br />
Weltraum“ erinnernde Thema verspricht ein aufsehenerregendes<br />
Kinospektakel.<br />
Gute, alte <strong>Nolan</strong>-Familie<br />
Der Dreh von „Interstellar“ begann im August in<br />
Kanada und die Produktion läuft auf Hochtouren,<br />
wobei sich die Beset<strong>zu</strong>ngsliste wirklich sehen<br />
lassen kann: Neben <strong>Nolan</strong>s Dauercast Michael<br />
Caine tummeln sich auch namhafte Schauspieler<br />
wie Anne Hathaway (<strong>zu</strong>letzt als Catwoman <strong>zu</strong><br />
sehen), Jessica Chastain, Matt Damon, Matthew<br />
McConaughey, Topher Grace („Spider-Man 3“),<br />
Ben Afflecks Bruder Casey und David Oyelowo<br />
(„Planet der Affen: Prevolution“) auf der Kinoleinwand.<br />
Der Dreh findet erstmals ohne Kameramann<br />
Wally Pfister statt, mit dem <strong>Christopher</strong><br />
<strong>Nolan</strong> all seine bisherigen Filme produzierte.<br />
Der Grund: Pfister arbeitet derzeit selbst als Regisseur<br />
an einem eigenen Science-Fiction-Film<br />
namens „Transcendence“ (April 2014), der von<br />
<strong>Christopher</strong> <strong>Nolan</strong> produziert wird und Stars wie<br />
Johnny Depp, Morgan Freeman und Rebecca<br />
Hall in den Hauptrollen zeigt. Die Rolle des Kameramanns<br />
für „Interstellar“ übernimmt daher<br />
der Schweizer Hoyte Van Hoytema („Dame, König,<br />
As, Spion“, „The Fighter“), der sich unter der<br />
<strong>Nolan</strong>schen Flagge mit der großen und <strong>zu</strong>gleich<br />
sperrigen Imax-Kamera-Technologie auseinandersetzen<br />
muss. Ähnlich wie in den „The Dark<br />
Knight“-Filmen wird es also auch hier wieder<br />
Wechsel zwischen den Standard-35-Millimeter-<br />
Anamorph-Aufnahmen und den visuell hochkarätigen<br />
Imax-Aufnahmen geben.<br />
Die Musik stammt wie gewohnt vom „Herrn<br />
der bombastischen Blockbuster-Klänge“: Hans<br />
Zimmer höchstpersönlich. Und auch die visuellen<br />
Effekte werden wieder von Paul J. Franklin<br />
überwacht. Es bleibt also ein eingespieltes Produktionsteam,<br />
das den Zuschauern ohne Frage<br />
wieder einen extrem hohen Qualitätsstandard<br />
bieten wird.<br />
Tiemo WeiSenSeel, Falko Theuner<br />
Er ist das „Wunderkind“ Hollywoods und begeistert<br />
Kritiker, Publikum und Studio gleichermaßen<br />
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Aktuelles<br />
Regisseur des Monats<br />
Radu Mih<br />
Radu Mihaileanu<br />
im Spotlight<br />
Im Interview berichtet Radu Mihaileanu über seine Arbeit als Regisseur, darüber, welchen Stellenwert der<br />
Humor in seinen Filmen einnimmt, und über seinen neuesten Film „Quelle der Frauen“, der seit dem<br />
2. Oktober auf <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> erhältlich ist.<br />
Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptthemen<br />
Ihrer Filme?<br />
Vielleicht bin ich nicht der perfekte Ansprechpartner,<br />
um meine Filme <strong>zu</strong> analysieren, aber<br />
ich glaube, dass es in nahe<strong>zu</strong> allen meinen Filmen<br />
um die Situation des Menschen geht, der<br />
für Demokratie kämpft, für Freiheit und dafür,<br />
jeden Tag besser durchhalten <strong>zu</strong> können. Dabei<br />
spreche ich von durchhalten in einer spirituellen<br />
Hinsicht. Jeder Charakter meiner Filme möchte<br />
sich selbst erreichen und durchhalten, frei<br />
sein. Darum geht es auch in „Zug des Lebens“<br />
(1998). Es lässt mich etwas versuchen <strong>zu</strong> erreichen,<br />
von dem ich denke, dass es etwas Großartiges<br />
am Menschsein ist. Vielleicht entspringt<br />
genau das in all meinen Filmen meiner eigenen<br />
Erfahrung mit einer Diktatur. Ich selbst lebte ja<br />
Radu Mihaileanu<br />
auF <strong>Blu</strong>-RaY<br />
Seit dem 2. Oktober ist<br />
„Quelle der Frauen“ auf<br />
<strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> erhältlich. In<br />
dem Drama kämpfen<br />
arabische Frauen für<br />
einen Brunnen und für<br />
die Liebe.<br />
in Rumänien unter Ceauşescu, und so sage ich<br />
in all meinen Filmen: „Sei frei!“ Der Mensch ist<br />
<strong>zu</strong> vielen wundervollen Dingen fähig und ich<br />
versuche jeden Tag, glücklich über die grenzenlose<br />
Kapazität an Menschlichkeit <strong>zu</strong> sein.<br />
Wie viel von Ihrer eigenen Person ist in<br />
den Charakteren Ihrer Filme wieder<strong>zu</strong>finden?<br />
Ich glaube, eine ganze Menge, auch wenn<br />
ich versuche, das <strong>zu</strong> verstecken. Ich glaube,<br />
ich erscheine ziemlich oft in jedem Charakter,<br />
sogar in den bösen. Ich fühle mich sehr mit<br />
Schlomo verbunden („Geh und lebe“, 2005),<br />
aber auch mit denen, die etwas verrückt sind<br />
und fanatisch werden. Manchmal werde ich<br />
auch nicht einig mit Menschen und werde<br />
selbst ein wenig fanatisch, da versuche ich vorsichtig<br />
<strong>zu</strong> sein. Ich fühle mich natürlich sehr mit<br />
dem afrikanischen Jungen verbunden, der nach<br />
Israel geht und allein ist, weil ich als Immigrant<br />
ja selbst allein war, weit weg von meiner Familie.<br />
Und ich fühle mich sehr mit den Frauen<br />
in den arabischen Ländern verbunden, die für<br />
ihre Freiheit kämpfen und dafür, als Menschen<br />
beachtet <strong>zu</strong> werden, in gleicher Weise wie die<br />
Männer. Ich fühle mich dahingehend verbunden,<br />
weil ich selbst dafür kämpfen musste.<br />
Der Humor ist einer der zentralen Aspekte<br />
Ihrer Filme. Ist er eine direkte Metapher<br />
für Ihre Arbeit als Regisseur?<br />
Ja, für mich macht er das Leben erst lebenswert.<br />
Ich bin so und die Menschen, die mir<br />
nahe stehen, sind ebenfalls so. Wir leben alle<br />
nur ein Leben, wir leben Tragödie, Drama, aber<br />
auch den Humor, die Komödie. Das ist auch<br />
ein Weg, frei <strong>zu</strong> sein, weil jeder von uns weiß,<br />
dass wir eine Art Gefangene sind, wir wissen,<br />
dass das Leben sehr kurz ist und dass wir aus<br />
der Dunkelheit kommen und wieder dahin<br />
<strong>zu</strong>rückgehen. Humor ist also der Weg aus<strong>zu</strong>drücken,<br />
dass wir aus diesem Gefängnis entkommen<br />
wollen. Ein Gefängnis des Verurteilt-<br />
Seins. Und es ist sehr wichtig für mich, niemals<br />
im Drama, der Tragödie fest<strong>zu</strong>stecken. Es ist<br />
wichtig, dem Tod <strong>zu</strong> sagen: Mich kümmert es<br />
nicht, ich bin am Leben und du machst mir keine<br />
Angst! Und ich glaube, das ist das schönste<br />
Geschenk an die Menschen, dass wir diese<br />
Gabe haben. Wir haben die Gabe des Humors,<br />
um unsere Angst, davor, dass wir nur menschlich<br />
sind und nur ein kurzes Leben haben<br />
<strong>zu</strong> besiegen.<br />
Wie schaffen Sie diese Brücke zwischen<br />
Humor und Drama?<br />
Ich weiß es nicht, ich analysiere das nicht so.<br />
Wenn ich schreibe, schreibe ich und ich schreibe<br />
so, wie mein Leben ist. Wenn ich Zeitung<br />
lese oder fernsehe und ich jede Tragödie sehe,<br />
die in der Welt passiert, weiß ich, dass mein<br />
einziges Werkzeug, meine einzige Waffe der<br />
Humor ist. Es ist meine einzige Waffe, weil ich<br />
Bilder: Tiberius Film<br />
14
aileanu<br />
Regisseur des Monats<br />
Aktuelles<br />
im Spotligh<br />
nie in der Lage sein werde, eine richtige Waffe<br />
<strong>zu</strong> benutzen. Und Humor ist die einzige Waffe,<br />
um am Leben <strong>zu</strong> bleiben. Das setze ich in<br />
meinem Leben um und auch, wenn ich das<br />
Drehbuch meiner Filme schreibe. Ich weiß<br />
nicht, wie ich das mache, aber ich brauche das<br />
nach jeder tragischen Szene oder währenddessen,<br />
dass der Charakter trotzdem fröhlich<br />
wird. Denn das ist das Leben. Leben ist nicht<br />
nur eine Farbe, es hat alle Farben.<br />
In Ihrem neuesten Film „Quelle der<br />
Frauen“ erzählen Sie von den Rechten der<br />
muslimischen Frauen. Woher bekamen Sie<br />
die Inspiration dafür?<br />
Für mich ist es nicht nur ein Film über die<br />
Rechte der muslimischen Frauen, ich glaube,<br />
in einem gewissen Grad handelt er von der<br />
Situation aller Frauen auf der Welt. Natürlich ist<br />
es nicht überall dasselbe. Es ist das Märchen<br />
vom Wasser, was man wirklich braucht, um<br />
<strong>zu</strong> leben. Ich hatte die Gelegenheit, 1985 oft<br />
in Marokko und in einigen ähnlichen Ländern<br />
unterwegs <strong>zu</strong> sein, und ich habe mich in diese<br />
Länder verliebt. Vor allem in das Landleben. Ich<br />
weiß nicht genau wie, denn es ist dort eigentlich<br />
sehr schwierig, aber ich sprach viel und ich<br />
hörte viele Geschichten von Frauen. Es ist nicht<br />
leicht, mit Frauen auf dem Land <strong>zu</strong> sprechen<br />
und einen Dialog <strong>zu</strong> führen, gerade wenn man<br />
aus Europa, aus dem Westen kommt. Dabei<br />
spreche ich nicht von den Städten, dort ist es<br />
leichter, ins Gespräch <strong>zu</strong> kommen. Ich entdeckte<br />
viele wundervolle Menschen, eben<br />
vor allem Frauen, großartige Geschichten und<br />
großartigen Humor, auch wenn wir inmitten<br />
von Leid miteinander sprachen. Ich entschied<br />
eines Tages, dass ich diese Geschichte erzählen<br />
muss. Ich musste diese Geschichte über<br />
die Frauen erzählen, auch wenn das Bild von<br />
den muslimischen Frauen <strong>zu</strong> der Zeit sehr vereinfacht<br />
und karikativ war. Ich wollte deutlich<br />
machen, dass sie viel kultivierter sind und –<br />
was wir nicht wissen – dass sie kämpfen.<br />
In „Quelle der Frauen“ geht es um den<br />
Brunnen als zentralen Konflikt. Bald ist<br />
aber klar, dass das Problem viel tiefer<br />
liegt. Was ist also für Sie die wahre Quelle<br />
der Frauen?<br />
Ich glaube, das eigentliche Problem ist das<br />
Wasser auf der einen Seite als reales Problem,<br />
etwas, was wirklich passiert ist. Auf der anderen<br />
Seite ist es, wie Sie sagten, metaphorisch.<br />
Wasser ist der Regen, Leben, es gibt so viele<br />
Bilder und Metaphern von Wasser. Aber für<br />
mich ist es Liebe, der Respekt und wie man<br />
mit anderen umgeht. Mit Männern, mit Frauen,<br />
Kindern, alten Leuten. Es gibt eine schöne Metapher<br />
dafür in den arabischen Ländern, die<br />
besagt, dass wenn man einer <strong>Blu</strong>me kein Was-<br />
ser gibt, diese stirbt. Ich glaube, darum geht es<br />
in dem Film. Es geht darum, wie man mit anderen<br />
umgeht, ob man sie mit Respekt behandelt.<br />
Das ist es, wofür sie kämpfen. Wenn man<br />
liebt, wenn man wirklich die Probleme erkennt,<br />
dann teilt man das Wasser. Wenn nicht, wenn<br />
man das Wasser nicht <strong>zu</strong>führt, stirbt auch die<br />
Liebe. Und wenn die Liebe stirbt, muss alles<br />
wieder aufgebaut werden. Darum geht es für<br />
mich in dem Film. Die Frauen kämpfen nicht<br />
nur für Wasser, sie kämpfen für wahre Liebe,<br />
für Respekt. Ich glaube auch, dass das nicht<br />
nur ein Problem in den arabischen Ländern ist.<br />
Für mich ist es ein weltweites Problem. Überall<br />
auf der Welt haben wir etwas abgebrochen<br />
und haben deswegen keine echte Liebe mehr.<br />
Vielen Dank für das Gespräch!<br />
Radu Mihaileanu mit Leila Bekhti, der Hauptdarstellerin<br />
aus „Quelle der Frauen“<br />
Aktuelles | www.blu<strong>ray</strong>-vision.de | 8.2013 15
aktuelles<br />
regisseur des Monats<br />
ZiAd doue<br />
ZiAd doueiri<br />
im Spotlight<br />
Sein brillantes Drama „The Attack“ gewann aus gutem Grund den Preis für die beste internationale Literaturverfilmung<br />
auf der Frankfurter Buchmesse. Wir sprachen mit Regisseur Ziad Doueiri über die Liebe, Vorurteile und<br />
die Fassungslosigkeit, die ein Terroranschlag hinterlässt.<br />
IntervIew: Falko theuner<br />
Herr Doueiri, Sie haben <strong>zu</strong>vor bereits als<br />
Kameramann u. a. an diversen Tarantino-<br />
Filmen gearbeitet. Wann entschieden Sie<br />
sich dafür, Regisseur <strong>zu</strong> werden?<br />
Die Idee schwebte schon lange durch meine<br />
Gedanken. Als ich in Los Angeles lebte und an<br />
Filmen als Kamera-Assistent und Kameramann<br />
arbeitete, fühlte ich, dass mich dies nicht mehr<br />
ausfüllte. Nicht dass es keine gute Zeit war, es<br />
war eine großartige Erfahrung. Aber ich hatte<br />
das Gefühl, mich weiterentwickeln <strong>zu</strong> müssen.<br />
Ich hatte bereits viele Jahre Set-Erfahrungen<br />
und fühlte mich nun bereit, mit dem Schreiben<br />
und <strong>Regie</strong>führen <strong>zu</strong> beginnen. Das war<br />
der Punkt, an dem ich die Richtung änderte.<br />
Ich ging <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> den Wurzeln und schrieb ein<br />
Skript, so als wäre es die frühe Biografie meiner<br />
Auf <strong>Blu</strong>-rAy:<br />
„The ATTAck“<br />
Ein Bombenanschlag<br />
erschüttert Tel Aviv.<br />
Als unter den Toten Dr.<br />
Jaafaris Frau entdeckt<br />
und als Selbstmordattentäterin<br />
beschuldigt<br />
wird, beginnt für ihn<br />
eine schmerzhafte Suche<br />
nach der Wahrheit.<br />
Kindheit und Teenager-Tage in Beirut. Daraus entstand<br />
mein erster Film „West Beyrouth“ (1998).<br />
Und wie entdeckten Sie dann Yasmina<br />
Khadras Roman „Die Attentäterin“?<br />
Ich wurde von dem amerikanischen Filmstudio<br />
Focus Features angerufen. Sie kannten meine<br />
bisherigen Filme und fragten, ob ich an dem<br />
Material interessiert wäre? Ich hatte <strong>zu</strong>vor noch<br />
nie etwas von Yasmina Khadras Buch gehört. Die<br />
Thematik des mittleren Ostens widerstrebte mir<br />
ein bisschen. Ich versuchte <strong>zu</strong> dem Zeitpunkt,<br />
etwas Abstand da<strong>zu</strong> <strong>zu</strong> gewinnen. Aber meine<br />
Agentin in New York riet mir: „Lies das Skript! Lies<br />
es, und entscheide später.“ Ich las es also und<br />
dachte mir: „Was für ein fantastisches Buch!“ Es<br />
handelt von wirklich menschlichen Problemen.<br />
Es ist nicht nur der Konflikt zwischen den Palästinensern<br />
und den Israelis. Es hat eine größere<br />
Dimension und eine gewisse Allgemeingültigkeit.<br />
Ich traf mich mit dem Produzenten und wir<br />
beschlossen, den Film <strong>zu</strong>sammen <strong>zu</strong> machen.<br />
Ich flog also wieder nach Beirut <strong>zu</strong>rück, um mit<br />
der Koautorin des Drehbuchs Joelle Touma (die<br />
Ehefrau Ziad Doueiris, Anm. d. Red.) das Buch für<br />
die Leinwand <strong>zu</strong> adaptieren. Über einen Monat<br />
später begann der Krieg zwischen den Israelis<br />
und den Hisbollah in Beirut, während ich vor Ort<br />
noch an dem Skript schrieb. Zu dieser Zeit fragte<br />
ich mich, ob die Fortset<strong>zu</strong>ng meiner Arbeit noch<br />
Sinn hatte. Es wurde nach 2006 so viel über die<br />
Hisbollah, Israel und den Krieg berichtet, dass<br />
möglicherweise niemand den Film als Fiktion<br />
ansehen würde. Ich hegte Zweifel am ganzen<br />
Produktionsprozess, befürchtete, dass wir einen<br />
Film produzierten, den möglicherweise niemand<br />
sehen wollte. Doch dann fühlte es sich richtig an,<br />
die Arbeit fort<strong>zu</strong>führen, und wir beendeten das<br />
Skript <strong>zu</strong>m vorliegenden Film „The Attack“.<br />
Haben Sie die Handlung verändert?<br />
Wir veränderten insbesondere den dritten Teil<br />
des Buches, also das gesamte Ende. Das Ende<br />
des Originals ist ebenfalls sehr gut. Beim Schreiben<br />
fiel mir aber auf, dass ich mehr auf das verbleibende<br />
Gefühl des Doktors eingehen wollte.<br />
Ich wollte, dass Dr. Jaafari in einem größeren<br />
Dilemma verweilt, als im Buch. Als der Autor des<br />
Buches den Film sah, war er <strong>zu</strong>nächst geschockt,<br />
weil wir das Ende komplett geändert hatten. Es<br />
dauerte eine Weile, bis er damit klar kam.<br />
Welchen Stellenwert nimmt die Liebe zwischen<br />
Amin und Siham für diesen Film ein?<br />
Das Buch und der Film wollen die Liebesstory<br />
betonen, weil sich die Handlung eher um die<br />
Beziehung dreht, als um den isralisch-palästinensischen<br />
Konflikt. Wir wollten uns der Frage widmen,<br />
wie ein Mann über so lange Zeit eine Frau<br />
lieben und mit ihr verheiratet sein kann, ohne jemals<br />
etwas <strong>zu</strong> ahnen. Es geht um die persönliche<br />
Nachforschung, die Reise, die der Protagonist<br />
riskiert. Es geht darum, die größere Wahrheit <strong>zu</strong><br />
entdecken. Es ist gleichermaßen eine Geschichte<br />
Bilder: Senator<br />
14
iri<br />
im Spotlight<br />
über Betrug wie über Verständnis. Was motiviert<br />
einen <strong>zu</strong> solch einer dummen Tat? Er ist nicht<br />
damit einverstanden. Weil er ein Arzt ist, der Leben<br />
rettet. Was seine Frau tat, ist das komplette<br />
Gegenteil von seinem Glauben. Aber am Ende<br />
kommt er damit <strong>zu</strong>recht. Er befürwortet es nicht,<br />
aber seine Liebe <strong>zu</strong> ihr bleibt sehr stark.<br />
Es ist also kein Film über den Anschlag,<br />
sondern über das, was <strong>zu</strong>rückbleibt.<br />
Ganz genau! Man kann es in vielerlei Hinsicht so<br />
sehen. Es kommt auf mehreren Ebenen <strong>zu</strong>r Geltung,<br />
dass der Doktor am Ende von jedem verstoßen<br />
wird. Er befindet sich im Niemandsland und<br />
wird nirgendwo akzeptiert. Das ist eine der Szenen,<br />
in der wir genau das zeigen. Aber es gibt auch noch<br />
weitere Filmmomente dieser Art. Damit wollten wir<br />
eine Vielschichtigkeit erreichen und zeigen, dass<br />
es immer mindestens zwei Perspektiven auf jeden<br />
Konflikt gibt. Es gibt kein Gut-gegen-Böse, das ist<br />
nicht der Fall. Es gibt so viele Filme, die so etwas<br />
vereinfachen. Aber hier haben wir einen Konflikt,<br />
der schon so tief verwurzelt und alt ist, dass man<br />
nicht mehr so einfach sagen kann, die eine Partei<br />
hat vollkommen recht und die andere liegt vollkommen<br />
falsch. Natürlich gibt es eine Beset<strong>zu</strong>ng.<br />
Und natürlich gibt es eine Bevölkerung, die unter<br />
der militärischen Führung einer größeren, stärkeren<br />
Nation lebt. Dennoch gibt es zwei Perspektiven,<br />
weshalb ich auch so interessiert am Buch war. Es ist<br />
einfach nicht didaktisch. Es ist nicht schwarz-weiß.<br />
Wo haben Sie den Film gedreht?<br />
Wir haben an den Orten gedreht, an denen<br />
die Filmhandlung stattfindet. Einen Teil davon<br />
in Tel Aviv, einen Teil in Palästina. Wir mussten<br />
aufgrund der Produktionskosten einige Krankenhaus-Szenen<br />
in Belgien drehen.<br />
Gab es irgendwo Probleme?<br />
Nein, es gab absolut keine Probleme, weder mit<br />
den israelischen noch mit den palästinensischen<br />
Behörden. Im Gegenteil: Beide halfen beim Dreh.<br />
Die palästinensischen Behörden waren unglaublich<br />
<strong>zu</strong>vorkommend. Als wir <strong>zu</strong>m Bürgermeister<br />
von Nablus gingen, fragten wir ihn, ob wir in der<br />
Moschee drehen dürften. Normalerweise ist es<br />
nicht erlaubt, dort <strong>zu</strong> filmen. Es ist noch nie <strong>zu</strong>vor<br />
geschehen. Aber ich denke die Stadt Nablus<br />
wollte ihre Aufgeschlossenheit demonstrieren<br />
und ein anderes Bild von Nablus geben. Wie Sie<br />
wissen hat sie seit der „Intifada“ einen schwierigen<br />
Ruf. Und sie wollten zeigen, dass die Stadt<br />
Touristen und Filmemacher willkommen heißt.<br />
Sie traten also aus dem Weg und ließen uns in<br />
der Moschee filmen.<br />
Wurde der Film in Israel und Arabien<br />
gezeigt? Wie reagierten die Zuschauer?<br />
Der Film wurde in der gesamten arabischen<br />
Welt verboten. Die Arabische Liga, die eine Art<br />
Pendant <strong>zu</strong>r Europäischen Union ist, beschloss,<br />
den Film <strong>zu</strong> verbieten, weil jüdische Schauspieler<br />
darin vorkommen. Ich dachte, es wäre<br />
erschreckend und eine Schande so etwas <strong>zu</strong><br />
tun. Sie wollten den Film nicht, weil wir in Israel<br />
drehten. Und die Araber boykottieren Israel, was<br />
auch immer das bedeutet. Aber der Film wurde<br />
in Israel gezeigt und war dort ein sehr großer<br />
Erfolg. Und er wurde auf vielen jüdischen Filmfestivals<br />
gezeigt in New York, Los Angeles, San<br />
Francisco. Er wurde sehr gut von der jüdischen<br />
Gesellschaft aufgenommen. Leider kann ich<br />
Ihnen nicht erzählen, ob die arabische Gesellschaft<br />
den Film akzeptierte, weil die meisten ihn<br />
nicht sehen konnten. Ich wollte ihn unbedingt in<br />
meiner Heimat, Libanon, zeigen. Jedoch wurde<br />
er auch dort verboten. Ich dachte, gerade dort<br />
wäre es wichtig, den Film <strong>zu</strong> zeigen, aber der libanesische<br />
Innenminister sagte, er könne solch<br />
einen Film nicht erlauben, weil Juden im Film<br />
mitspielen bzw. als Techniker an dem Film mitarbeiteten.<br />
Und weil ich in Tel Aviv drehte. So ist<br />
das passiert.<br />
Vielen Dank für das Gespräch!<br />
Anzeige
aktuelles<br />
regisseur des Monats<br />
arnaud d<br />
arnaud des Pallières<br />
im Spotlight<br />
Zur deutschen Filmpremiere seines neusten Films „Michael Kohlhaas“ saß uns in Leipzig Arnaud Des Pallières<br />
gegenüber und sprach mit uns über seine Herangehensweise bei der Kleist-Verfilmung. Die Antworten des<br />
französischen Regisseurs sind die eines nachdenklichen, humorvollen Kopfmenschen.<br />
IntervIew: Falko theuner<br />
Bald auf <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong>:<br />
„Michael Kohlhaas“<br />
Ich habe gelesen, dass Sie am Anfang der<br />
Produktion viel mit Mads Mikkelsen über<br />
seinen Filmcharakter Michael Kohlhaas<br />
diskutiert haben. Was waren denn da so<br />
die größten Reibungspunkte?<br />
Der große Unterschied zwischen Mads Mikkelsen<br />
und mir besteht einfach darin, dass<br />
ein Schauspieler immer alles verstehen muss.<br />
Er will immer Gründe haben, warum er etwas<br />
spielt. Er will auch immer die Figur, die er ver-<br />
Am 28. März erscheint die<br />
neue Kleist-Verfilmung<br />
„Michael Kohlhaas“ auf<br />
<strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong>. Sie beschreibt<br />
die himmelschreiende<br />
Ungerechtigkeit, die dem<br />
Pferdehändler Kohlhaas<br />
widerfährt, sowie dessen<br />
anschließenden Rachefeld<strong>zu</strong>g.<br />
Herr Des Pallières, Sie verwendeten ausschließlich<br />
natürliches Licht und hauptsächlich<br />
Originaltöne. Warum wählten Sie<br />
einen dokumentarischen Stil für den Film?<br />
Was mir wichtig ist, ist dass es innerhalb eines<br />
Dokumentarfilms auch eine Art von narrativer<br />
Struktur gibt und umgekehrt in einem Spielfilm<br />
ebenso eine dokumentarische Wahrheit existiert.<br />
Am wichtigsten ist für mich immer, dass<br />
der Zuschauer an die Geschichte glaubt, die ich<br />
ihm erzähle. Ich glaube auch überhaupt nicht<br />
an <strong>Special</strong> Effects oder an irgendwelche Dinge,<br />
die dem Kino künstlich hin<strong>zu</strong>gefügt werden. Mir<br />
geht es immer darum: Wenn es geht, alles vor<br />
der Kamera geschehen <strong>zu</strong> lassen. Und so war<br />
das eben auch hier. Das heißt einfach, dass es<br />
für sehr viele Leute sehr, sehr viel Arbeit bedeutet<br />
hat und man muss so etwas sehr lange im<br />
Voraus sagen, damit das überhaupt funktionieren<br />
kann.<br />
Demnach ist die gezeigte Pferdegeburt<br />
tatsächlich echt?<br />
In dem Fall war es so, dass Frederic Sanabra, der<br />
Pferdezüchter und -experte, den Schauspielern das<br />
Reiten beigebracht und sich um die Pferde gekümmert<br />
hat. Er sagte mir: „Ich habe eine Stute, die<br />
ist trächtig und wird im September ein Fohlen <strong>zu</strong>r<br />
Welt bringen.“ Und das hat er natürlich erwähnt,<br />
um mich <strong>zu</strong> überzeugen, mit ihm <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>arbeiten,<br />
was er dann auch geschafft hat. Daher<br />
war klar, dass der September der erste Drehmonat<br />
werden würde. Wir haben dann in den ersten drei<br />
Wochen mit Mads Mikkelsen alle diese Szenen gedreht,<br />
die von Michael Kohlhaas in seinem Haus,<br />
um sein Haus herum und die bei seiner täglichen<br />
Arbeit. Es war klar, dass die Stute eben Tag und<br />
Nacht in der Lage gewesen wäre, das Fohlen <strong>zu</strong><br />
werfen. Wir waren also per Handy permanent in<br />
Alarmbereitschaft und hätten die Geburtsszene<br />
egal <strong>zu</strong> welcher Tageszeit gedreht. Wir haben auch<br />
mit einem Tierarzt <strong>zu</strong>sammengearbeitet, weil man,<br />
kurz bevor es soweit ist, so ein bisschen nachhelfen<br />
muss, damit es <strong>zu</strong>r Geburt kommt.<br />
Und wie hat sich Mads Mikkelsen als<br />
Geburtshelfer geschlagen?<br />
Mads Mikkelsen hatte natürlich noch niemals<br />
bei der Geburt eines Fohlens assistiert und<br />
Frederic Sanabra hat also versucht, ihm alles<br />
<strong>zu</strong> sagen, was es da <strong>zu</strong> erklären gibt und ihn<br />
auf diese Art und Weise vor<strong>zu</strong>bereiten. Als die<br />
Szene dann gedreht wurde, war Frederic Sanabra<br />
hinter einer Tür, die man nicht sehen<br />
kann, und hat ihm immer mal wieder ganz<br />
kurze Anweisungen gegeben – hat ihm gesagt:<br />
„Jetzt zieh!“ oder „Jetzt musst du sie<br />
an den Läufen festhalten!“, damit Mikkelsen<br />
wusste, was er <strong>zu</strong> tun hat. Aber im Prinzip<br />
hat er da wirklich alles allein gemacht. Und<br />
das Schwierige für ihn war natürlich, dass<br />
es so wirken musste, als sei das ganz alltäglich<br />
für ihn. Für ihn war das eine hochemotionale<br />
Szene, weil er das erste Mal bei<br />
einer Geburt eines Fohlens dabei war. Die<br />
Schwierigkeit bestand natürlich darin, seine<br />
Emotionen <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>halten, weil eben diese<br />
Figur so wirken muss, als wäre das eine ganz<br />
alltägliche Sache. Er musste praktisch seine<br />
Gefühle maskieren.<br />
Bilder: Studiocanal, © Severine Goupil, © Nicolas Guerin<br />
16
es Pallières<br />
regisseur des Monats<br />
aktuelles<br />
im Spotligh<br />
körpert, verteidigen können. Normalerweise<br />
neige ich auch da<strong>zu</strong>, so weit wie möglich<br />
den Schauspielern das <strong>zu</strong> erklären, ihnen gute<br />
Gründe <strong>zu</strong> geben. Und wenn es auch irgendwie<br />
geht, ihnen ihre Fragen <strong>zu</strong> beantworten, so weit<br />
mir das möglich ist. In dem Fall ist es aber so,<br />
dass sowohl bei Kleist als auch bei mir selbst<br />
diese Figur von Kohlhaas immer wieder irgendwelche<br />
Logiksprünge macht. Und einfach auch<br />
unerklärliche Entscheidungen trifft, die auch ich<br />
nicht verstehe. Um Ihnen ein Beispiel <strong>zu</strong> geben:<br />
Als die ganze Situation noch nicht so eskaliert<br />
ist, noch lange vor dem Tod seiner Frau, verkauft<br />
Kohlhaas sein gesamtes Anwesen. Das ist eine<br />
für mich vollkommen unverständliche Entscheidung,<br />
ebenso wie für Mads Mikkelsen. Viele<br />
haben auch <strong>zu</strong> mir gesagt, dies wäre natürlich,<br />
wenn er das nach dem Tod seiner Frau macht,<br />
dann hat das Leben für ihn keinen Sinn mehr.<br />
Und ich hab eine Weile mit dem Gedanken<br />
geliebäugelt, das <strong>zu</strong> verändern, habe mir dann<br />
aber gesagt: „Nein, dieses Irrationale ist genau<br />
das, was Kleist wollte.“ Das verbindet diese Figur<br />
mit Kleist, das drückt das Kleistsche Denken<br />
letztendlich aus. Und dann dürfen wir eins auch<br />
nicht vergessen: Dass wir heute sehr viel rationaler<br />
sind und sehr viel rationaler agieren als es<br />
im 16. Jahrhundert der Fall war. Die Historiker<br />
neigen da<strong>zu</strong>, alles <strong>zu</strong> psychologisieren und aus<br />
der Psychologie heraus <strong>zu</strong> erklären. Aber man<br />
wäre erstaunt, wenn man einer Unterhaltung<br />
aus dem 16. Jahrhundert beiwohnen würde.<br />
Die war überhaupt nicht so rational aufgebaut,<br />
sondern funktionierte vielmehr mit Assoziationen<br />
und auch mit Logiksprüngen. Wir dürfen<br />
auch nicht vergessen, dass Descartes der erste<br />
Philosoph war, der das Begründen eingeführt<br />
hat, dass er zwischen uns heute und dem 16.<br />
Jahrhundert steht. Wir leben heut<strong>zu</strong>tage in dieser<br />
Tradition des Denkens von Descartes. Aber<br />
das ist etwas relativ Neues und das war eben<br />
letztendlich auch das Problem zwischen Mads<br />
Mikkelsen und der Figur, die er <strong>zu</strong> spielen hatte,<br />
dass ich ihm dann irgendwann auch gesagt<br />
habe: „Ich habe nicht auf all deine Fragen eine<br />
Antwort. Du musst es einfach akzeptieren und<br />
du musst in dir selbst diese Löcher, die es gibt,<br />
irgendwie füllen.“ Das war dann die Arbeit, die<br />
er machen musste, weil ich ihm sagte, ich kann<br />
ihm eben nicht alles erklären, ich habe nicht<br />
immer die Gründe und er muss diese Gründe<br />
irgendwo in sich selbst finden.<br />
Der Film war schon lange ein Wunschprojekt<br />
von Ihnen. Nun ist er fertig. Sind Sie<br />
<strong>zu</strong>frieden? Oder gibt es einige Stellen, die<br />
Sie gerne noch verändern würden?<br />
Ich werde noch einmal darauf <strong>zu</strong>rückkommen,<br />
dass ein Film bzw. die Filme, die ich mache,<br />
absolut etwas mit der gegenwärtigen Zeit <strong>zu</strong><br />
tun haben, mit dem Hier und Jetzt. Man muss<br />
praktisch den Film machen, den man machen<br />
muss. Filme <strong>zu</strong> erstellen, ist ein Beruf, eine<br />
künstlerische Tätigkeit, die letztlich sehr stark<br />
mit dem Material <strong>zu</strong>sammenhängt, mit dem<br />
es entsteht. Ich kann schon sagen, dass dieser<br />
Film, den ich jetzt gemacht habe, sich natürlich<br />
von einem Film unterscheidet, den ich vor 25<br />
Jahren gedreht hätte oder den ich in zehn Jahren<br />
drehen würde. Das wären dann immer andere<br />
Versionen, immer andere Vorschläge, die<br />
ich unterbreite. Letztendlich ist ein Film nicht<br />
nur das Produkt des reinen Wunschdenkens,<br />
sondern etwas, das durch die Drehorte existiert,<br />
durch die Pferde, die dort eine Rolle spielen. Er<br />
existiert durch die Ökonomie der Mittel und alles,<br />
was ich da<strong>zu</strong> sagen kann, ist, dass ich, wenn<br />
ich all diese Elemente, die mir <strong>zu</strong>r Verfügung<br />
gestanden haben, in Erwägung ziehe, dass ich<br />
dann das Beste daraus gemacht habe.<br />
Jetzt ist es natürlich so, dass es ganz klar ist,<br />
dass ich mit einem anderen Schauspieler oder<br />
mit mehr Geld oder an einem anderen Ort<br />
einen ganz anderen Film gemacht hätte. Das<br />
ist ganz sicher. Ich wiederum kann einfach nur<br />
sagen, dass ich gleichermaßen sehr, sehr stolz<br />
bin und mir aber auch darüber im Klaren bin,<br />
dass jemand anderes wiederum einen ganz<br />
anderen Film gemacht hätte. Das wäre vielleicht<br />
ein Film gewesen, der noch interessanter<br />
gewesen oder notwendiger gewesen wäre, als<br />
meiner. Aber ich will Ihnen noch etwas sagen:<br />
Mads Mikkelsen war nicht meine erste Wahl.<br />
Ich wollte ursprünglich diesen Film mit einem<br />
italienischen Schauspieler drehen, den ich auch<br />
getroffen habe. Ich war felsenfest davon überzeugt,<br />
dass dieser Schauspieler meine richtige<br />
Wahl sei und war verzweifelt, als dieser Schauspieler<br />
dann abgelehnt hat. Daraufhin hat meine<br />
Casting-Frau mir Mads Mikkelsen vorgeschlagen<br />
und jetzt ist Mikkelsen so zentral in diesem<br />
Film, er ist so präsent – und letztendlich ist er<br />
doch nur die Frucht eines Zufalls. Und das ist<br />
genau das, was ich meine: Das Beste, was man<br />
macht, ist letztendlich das Beste, das man aus<br />
all diesen Zufällen hervorbringt, die während<br />
eines Drehs letztendlich entstehen. Daher ist<br />
der Film so wie er ist. Es ist einfach das, was<br />
dabei herausgekommen ist.<br />
Vielen Dank für das Gespräch!<br />
Arnaud Des Pallières beim Filmen des epischen<br />
Aufgebots der Reiter.<br />
Aktuelles | www.blu<strong>ray</strong>-vision.de | 2.2014 17
Aktuelles<br />
Regisseur des monats<br />
Lars von<br />
Lars von Trier<br />
im Spotlight<br />
Lars von Trier: Ein Filmemacher, der keinen kalt lässt. Wer erst einmal einen seiner Filme gesehen hat, wird<br />
unweigerlich neugierig werden auf den Mann hinter den Bildern, hinter diesen so beunruhigenden Figuren<br />
und Geschichten. Dies ist eine Annäherung, nichts weiter – denn um sein Werk ein<strong>zu</strong>ordnen, braucht es viel<br />
Zeit und Geduld, und vor allem eigenes Engagement.<br />
Geboren wurde Lars Trier am 30. April 1956 in<br />
der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Das<br />
adlige „von“ schummelte er später einfach hin<strong>zu</strong>:<br />
Ein augenzwinkerndes Spiel mit seinem (Künstler-)<br />
Namen und schon ein erster Hinweis auf seine<br />
omnipräsente Extravaganz. Nach frühen Versuchen<br />
mit dem Medium Film (erste kleine Kurzfilme mit<br />
primitiven Heimkameras entstanden schon im<br />
Kindesalter; in einer dänischen Kinderserie stand<br />
er als Darsteller vor der Kamera) schien sein Weg<br />
in die Welt des Films vorprogrammiert. Die logische<br />
Konsequenz war das Studium der Filmwissenschaften<br />
in Kopenhagen. Erste Auszeichnungen für seine<br />
Projekte ließen nicht lange auf sich warten, so gewann<br />
er mit seiner Filmhochschul-Abschlussarbeit<br />
Lars von Trier<br />
im Kino<br />
Aktuell haben viele<br />
Programmkinos den<br />
zweiten Part von<br />
„Nymphomaniac“ im<br />
Programm. Ein starker,<br />
gewagter, expliziter und<br />
mitreißender Film, der<br />
das Krankheitsbild Nymphomanie<br />
ernst nimmt.<br />
Pornographie sieht aber<br />
definitiv anders aus.<br />
aus dem Jahre 1982 („Bilder der Befreiung“) gleich<br />
auf Anhieb den Preis für den besten Film des Jahres<br />
auf dem Filmfest München.<br />
Das Dogma-Manifest<br />
Mit radikalen filmästhetischen Ideen wie „Dogma<br />
95“ sorgte von Trier immer wieder für Aufsehen<br />
in der Branche. Gemeinsam mit einigen<br />
befreundeten dänischen <strong>Regie</strong>-Kollegen<br />
propagierte er 1995 – 100 Jahre, nachdem die<br />
Bilder dank der Brüder Lumière laufen lernten –<br />
plötzlich die völlige Abkehr von allem bisher Erreichten.<br />
Die „Dogma-Filme“ legten sich selbst ein<br />
komplexes Korsett von Regeln und Beschränkungen<br />
auf (ausschließlich Handkameras, kein Kunstlicht,<br />
keine Spezialeffekte, keine Nennung des<br />
Regisseurs uswusf...), durch das man sich erhoffte,<br />
endlich wieder <strong>zu</strong>m Kern des Filmemachens, dem<br />
Geschichtenerzählen und einer gewissen Nähe <strong>zu</strong>r<br />
Lebenswirklichkeit der Menschen, vordringen <strong>zu</strong><br />
können. Ironischerweise begriffen die Initiatoren<br />
ihre Bewegung auch als Gegenentwurf <strong>zu</strong>m klassischen<br />
Autorenkino – als dessen wichtigster europäischer<br />
Vertreter von Trier inzwischen gilt.<br />
Enfant terrible<br />
Heute ist Lars von Trier eine der schillerndsten<br />
<strong>Regie</strong>-Persönlichkeiten überhaupt. Jeder neue Film<br />
wird von den Kritikern und einem interessierten<br />
Arthouse- und Festival-Publikum mit Spannung<br />
erwartet. Doch nicht nur seine kaum <strong>zu</strong> kategorisierenden<br />
Filme machen das Phänomen Lars von<br />
Trier aus. Mit grenzüberschreitenden Auftritten wie<br />
auf der legendären Pressekonferenz in Cannes<br />
2011, wo er seine jahrelang gepflegte Koketterie<br />
mit der NS-Vergangenheit deutlich <strong>zu</strong> weit trieb,<br />
bringt er die Öffentlichkeit scheinbar ganz bewusst<br />
gegen sich auf. Was bei solchen Skandalen mit<br />
Ansage Kalkül, was „spontanes Missgeschick“ oder<br />
was einfach nur Dummheit ist, lässt sich im Nachhinein<br />
oftmals nur schwer beurteilen. In seinen<br />
wenigen Interviews widerspricht er sich oft selber,<br />
wettert heute gegen das, was er vor Jahren noch<br />
vehement verteidigt hat, inszeniert sich mal als leidenden<br />
Depressiven, dann wieder als clownesken<br />
Spaßmacher hinter der Kamera. Vielleicht sollte<br />
man ihn ebenso als Kunstfigur begreifen wie all die<br />
verschrobenen, kranken, leidenden Grenzgänger,<br />
die er in seinen Drehbüchern erfindet und auf der<br />
Leinwand <strong>zu</strong> beeindruckendem Leben erweckt.<br />
Die Trilogien<br />
Charakteristisch für sein Werk erweist sich immer<br />
wieder eine gewisse inhaltliche und/oder formale<br />
Zusammengehörigkeit mehrerer Filme einer gewissen<br />
Phase seines Schaffens. Als Autorenfilmer<br />
hat er die Zügel bei seinen Projekten fest in der<br />
Hand: Wenn man Drehbuchautor, Regisseur und<br />
oft auch Produzent in Personalunion ist, dann kann<br />
man die Ausrichtung seiner Filme <strong>zu</strong>mindest so<br />
Bilder: Concorde (Home)<br />
16
Trier<br />
Regisseur des monats Aktuelles<br />
im Spotlight<br />
stark beeinflussen, wie es in der „Teamkunst“ Kino<br />
normalerweise eigentlich gar nicht möglich ist. So<br />
lassen sich denn auch mehrere Trilogien im Werk<br />
von Lars von Trier ausmachen, beispielsweise die<br />
„Amerika-Trilogie“, die Elemente der US-Filmkultur<br />
aufgreift, umgehend ad absurdum führt und natürlich<br />
auch konsequent in Amerika angesiedelt ist. Zu<br />
dieser Reihe zählen „Dancer In The Dark“ (2000),<br />
„Dogville“ (2003) sowie „Manderlay“ (2005).<br />
Aktuell kristallisiert sich mit „Antichrist“ (2009),<br />
„Melancholia“ (2011) und „Nymphomaniac“<br />
(2013) gerade ein weiterer filmischer Dreierpack<br />
heraus. Epizentrum dieser Werke ist eindeutig die<br />
Französin Charlotte Gainsbourg, die in den letzten<br />
Jahren <strong>zu</strong> von Triers Muse geworden ist und<br />
diesen drei Filmen mit bewundernswertem Mut<br />
und unerschöpflicher Ausdruckskraft ihren Stempel<br />
aufdrückt. Themen wie<br />
die Abgründe der Sexualität, der Teufelskreis der<br />
Depression und der Todestrieb werden hier auf<br />
bildmächtige Weise in modernes Kino übersetzt.<br />
Eine Werkschau<br />
Die Frage, wo man angesichts des beträchtlichen<br />
Umfangs und der erschlagenden thematischen<br />
Vielfalt dieses Œuvres anfangen soll, ist angesichts<br />
der nur sehr eingeschränkten Verfügbarkeit der frühen<br />
Filme gar nicht so schwer <strong>zu</strong> beantworten. Ab<br />
Mitte der 1990er Jahre ist – <strong>zu</strong>mindest auf DVD –<br />
alles käuflich <strong>zu</strong> erwerben, sodass einer Werkschau,<br />
wenn man denn einmal <strong>Blu</strong>t geleckt hat,<br />
nichts im Wege steht. Auf <strong>Blu</strong>-<strong>ray</strong> sind bisher leider<br />
nur „Antichrist“ und „Melancholia“ erhältlich. „Nymphomaniac“<br />
wird Anfang September erscheinen,<br />
sodass <strong>zu</strong>mindest die letzte Trilogie dann komplett<br />
in HD vorliegt.<br />
Tiemo Weisenseel<br />
Stacy Martin ist die Entdeckung aus „Nymphomaniac,<br />
Vol. I“, hier in einer Szene mit Shia LaBeouf.<br />
Anzeige<br />
Aktuelles | www.blu<strong>ray</strong>-vision.de | 4.2014 17