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Trans-Form - factorY

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4Inhalt222 Wandel durch <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>5810 Das Verschwinden der Produkte17 Historisch wirksam. Wie Innovation und Technik transformieren22 Freiwillig nur unter Zwang. Nachhaltig verpflichtet – aber wodurch?28 Die transformative Kraft der Wissenschaft32 Damit gelingt der Wandel: <strong>Trans</strong>formatives Design für Nachhaltigkeit43 Unter die Haut und ins Gehirn49 Mit Systemsprüngen zu ressourcenleichten Lebensstilen53 Denn sie wissen, was sie tun58 In der Werkstatt der guten Gedanken63 Impressum175310 49


5 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>»Bevor man die Weltverändert, wäre es vielleichtdoch wichtiger, sie nichtzugrunde zu richten.«Paul Claudel (*1868, † 1955), französischer Schriftsteller, Dichter und Diplomat.


6 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Zahlen und Fakten11In Deutschland verursacht jeder Mensch im Schnitt 11Tonnen Kohlendioxid-Ausstoß pro Jahr, das ist etwa dreimalso viel wie der Weltdurchschnitt von 3,8 Tonnen. Zusätzlichkommen die CO2-Emissionen für die Waren hinzu, die inChina und anderswo produziert werden. Dann beträgt derjährliche Pro-Kopf-Ausstoß hierzulande 15 Tonnen, in derSchweiz 18 Tonnen, in Österreich 14 Tonnen. Soll der Klimawandelnoch beherrschbar bleiben, müssen die Emissionenbis 2050 weltweit auf 2,7 Tonnen pro Kopf sinken.Hertwich/Peters, Carbon Footprint of Nations, EnvironmentalScience & Technology 200915Unser direkter Materialverbrauch dürftepro Person und Tag weltweit höchstens 15Kilogramm betragen, wenn wir nicht mehrRessourcen verbrauchen wollen, als nachwachsen.Tatsächlich hat er ein Gewicht von 39Kilogramm. In Europa wiegt er knapp 55 kg, inNordamerika 102 kg, in Asien 15 kg, in Afrika11 kg (2004). www.materialflows.net1.500.000.000Keinen Zugang zu Strom besitzt jeder fünfte Mensch auf der Welt, das sind 1.5 Milliarden.Jeder dritte Mensch (rund 2,7 Milliarden) kocht und heizt mit Holz oder Dung, besonders aufdem Land. Peter Hauff, Ökostrom über alles? E+Z, Jg.52, 20111975Schon immer verwendeten Menschen natürlicheRessourcen für ihre Versorgung. SeitMitte der 1970er Jahre haben wir eine kritischeGrenze überschritten: Der menschlicheVerbrauch an natürlichen Ressourcen übersteigtlaufend die Reproduktionskapazität derErde, es wird mehr CO2 ausgestoßen, als sieabbauen kann. www.footprintnetwork.org50.000.000.000Weltweit wurden 2005 jährlich über 50 Milliarden Tonnen Rohstoffe gefördert,geerntet und benutzt. Dazu kommen noch einmal 40 Mrd. Tonnen, diebeim Abbau umgesetzt werden, aber nicht in die Produkte gelangen. Insgesamtbewegt der menschliche Konsum 90 Mrd. Tonnen pro Jahr. Im Jahr 2030wird sich der globale Rohstoffverbrauch verdoppelt haben. www.seri.at1,5Mittlerweile verbraucht die MenschheitRessourcen im Wert von 1,5 Planeten, seit1961 hat sich dieser Faktor verdoppelt.Würden alle so leben wie in Deutschland,bräuchten wir 2,6 Planeten.www.wwf.org


7 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Zahlen und Fakten30Nach dem Erfinder des ökologischen Rucksacksund des MIPS-Konzepts, FriedrichSchmidt-Bleek, schleppt jedes KilogrammIndustrieprodukte im Durchschnitt 30 kgNatur mit. Das heißt, dass weniger als zehnProzent der in der Natur bewegten Materialienin nutzbringende Produkte umgewandeltwerden. www.nachhaltigkeit.info1,6Eine empirische Erhebung in Japanzeigte, dass Autofahrer, die sich nacheigener Wahrnehmung ein ökologischeresAuto zugelegt haben (z. B. mit Hybridmotor),ein Jahr nach dem Kauf 1,6mal mehr Kilometer damit gefahren sindalso zuvor mit ihrem herkömmlichenAuto. www.wupperinst.org1200Der klassische VW Käfer von 1955 und der VWBeetle von 2005 verbrauchen mit 7,5 bzw. 7,1 Literpro 100 km nahezu gleich viel. Aber während derKäfer mit 30 PS und einer Spitzengeschwindigkeitvon 110 km/h noch 730 kg wog, bringt der Beetlebei 75 PS und 160 km/h rund 1200 kg auf dieWaage. www.wupperinst.org10Um weltweit den Materialverbrauch auf einMaß zu reduzieren, das zukunftsfähig ist unddie Ökosphäre sich langfristig erholen lässt,ist eine radikale Dematerialisierung erforderlich.In den hochentwickelten Industrieländernmüssten die Wirtschaftssysteme mindestensum den Faktor Zehn reduziert werden.www.factor10-institute.org13Effizientere Heizungen und Maßnahmen zurDämmung haben den Wärmebedarf zwischen1995 und 2005 um neun Prozent je QuadratmeterWohnfläche verringert. Der gesamteHeizenergieverbrauch der privaten Haushaltestieg im gleichen Zeitraum jedochum 2,8 Prozent an, weil die Einsparerfolgedurch den um 13 Prozent gestiegenenWohnflächenbedarf kompensiert wurden.www.wupperinst.org2030Nach einer Untersuchung der TU Dresden könntedas Internet 2030 so viel Strom verbrauchen wieheute die gesamte Weltbevölkerung. Bereits jetztstößt es so viel CO2 aus wie der gesamte Flugverkehr,so das Freiburger Öko-Institut. Die Rechenzentrenverbrauchen rund 1,5 bis 2 Prozent desweltweit erzeugten Stroms. Ulrich Clauß, Wie dasInternet zum Klimakiller wird, Welt, 2011


8 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Wandel durch <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>


9 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>»Ich kann freilich nicht sagen,ob es besser werden wird,wenn es anders wird;aber soviel kann ich sagen:Es muss anders werden, wennes gut werden soll.«Georg Christoph Lichtenberg (* 1742, † 1799), Mathematiker und erster deutscher Professor für Experimentalphysik.


12 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Das Verschwinden der Produkte© Can Stock Photo Inc. / jgroupGenauer: Produkte sind transformativ,wenn sie die damit verbundeneDienstleistung komfortabler und aucheffektiver erbringen als die bisherigen.Sie dienen der Nachhaltigkeit, wenn siezudem einen Beitrag zu Dematerialisierungoder Dekarbonisierung leisten,also den Verbrauch an Rohstoffen unddie Emission von klimaschädlichen Gasenerheblich reduzieren. So definiert esOrtwin Renn, Professor für Technik- undUmweltsoziologie an der UniversitätStuttgart und renommierter Technikfolgenabschätzerfür factory im Interview.„Produktkonzepte, die beispielsweiseeinfachere Geräte erstellen, wieTrockenleine statt Elektrotrockner, oderdie empfehlen, statt mit dem Bagger mitder Schaufel zu arbeiten, dienen zwarder Nachhaltigkeit, sie sind aber keinetransformativen Produkte“, sagt Rennder factory im Interview. <strong>Trans</strong>formativsind diese Produkte erst, wenn sie diegewünschte Dienstleistung effektiveroder effizienter erstellen und gleichzeitigdafür weniger Material und Energieverbrauchen.„Wenn wir jetzt die großen Trendsder Zukunft bewältigen wollen, vorallem zu dematerialisieren und zu dekarbonisieren,dann sind alle Produkte,die dazu beitragen, aus meiner Sicht<strong>Trans</strong>formationsprodukte“, stellt derRisikoforscher fest.Vernetzung, wie sie Wippermannals transformativ benennt, ist für Rennähnlich wie Dezentralisierung nur Mittelzum Zweck. Diese Mittel könneneffektiv sein, müssen es aber nicht.Entscheidend sei immer die Frage:Tragen sie etwas zur Dekarbonisierungund Dematerialisierung bei oder nicht?„Beantworten wir diese Frage mit Ja,müssen wir uns um Nachhaltigkeitkeine Sorgen machen“, so Renn. Vernetzungkönne zwar zur Dekarbonisierungbeitragen, müsse aber nicht. Als Designorientierungreiche sie nicht aus, wie dieRebound-Effekte durch zunehmendeSmartphone-Verwendung zeigten.Renn meint aber ebenfalls, dassdas Internet der Dinge wohl die nächsteWelle der IT-<strong>Trans</strong>formation sei, unddas Smartphone der treue Helfer, derzunehmend unabhängig und intelligentAufgaben erledigen wird. Die Wirkungauf den Verbrauch von Material und


14 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Das Verschwinden der Produkte© Can Stock Photo Inc. / grasychoaufzuzäumen, fordert er dazu auf, überAufwandsreduktion nachzudenken.„Wir müssen darüber nachdenken, wieman vermeiden kann, dass überhauptneue Produkte in die Welt kommenund dass die, die schon da sind, umein erhebliches Maß reduziert werden.Das transformative Produkt kann ichmir in diesem Sinne gar nicht richtigvorstellen.“Welzer geht es um das Verschwindender Produkte, jedoch nicht wieWippermann durch Digitalisierung undVernetzung, sondern durch <strong>Trans</strong>formationsdesign.Dabei meint er nicht dasDesign von Produkten, das sich wandelnmuss, „das würde zu kurz greifen“.Sein Institut beschäftigt sich mit derFrage, wie moderne Gesellschaften gestaltetwerden können, so dass sie hinsichtlichihres Umgangs mit Energie undMaterial wieder zukunftsfähig werden.„Da wir dringend eine <strong>Trans</strong>formationunserer Lebensstile und unseres Ressourcenverbrauchsbrauchen, um nichtim Desaster zu enden, müssen wir einegestaltete <strong>Trans</strong>formation haben, deshalb<strong>Trans</strong>formationsdesign.“ Statt einanderes Produktdesign zu entwerfen,schlägt Welzer vor, eine gesellschaftlichePraxis zu designen, in dem man Produktevermeidet und zum Verschwindenbringt.Mit dem Austausch „irgendeinesEnergie-Features“ sei es im <strong>Trans</strong>formationsdesignnicht getan, sondernes gehe bei den gesellschaftlichen Veränderungsprozessensowohl um dieVeränderung von soziologischen Gegebenheitenals auch von psychologischen.Die nachhaltige Entwicklung hat,meint Welzer, bisher nicht viel gebracht.Seitdem sie gefordert wird, haben sichMaterial- und Energieverbrauch in dienicht-nachhaltige Richtung verändert,so der Soziologe. „Es kann natürlichsein, dass moderne Gesellschaften genauso mit dem Problem umgehen, indem sie die Menge des Sprechens überdas Problem erhöhen, um an dem Problemselber nicht arbeiten zu müssen.“Sicher werden auch im <strong>Trans</strong>formationsdesignnicht alle Produkte verschwinden.Die des täglichen Bedarfsund Lebensmittel müssten unter Veränderungder Produktionsbedingungenweiter entstehen, doch schon beimBedarfsfeld Bauen und Wohnen müsse


15<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Das Verschwinden der Produktewar für seine qualitätsvolle Lebensgestaltungnotwendig ist. „Die gegenwärtigeKonsumpraxis und dieses Einredenvon irgendwelchen Innovationen sindEntmündigungstechniken“, sagt er. Bestimmte<strong>Form</strong>en gemeinschaftlicherProduktion und Konsumption würdenzu einem qualitätsvolleren Leben undzu weniger Material- und Energieverbrauchführen. „Ich wüsste überhauptnicht, was daran Verzicht sein sollte.“In einem Forschungsprojekt „Vonder Nische in den Mainstream“ amNorbert-Elias-Center wollen die Wissenschaftleruntersuchen, wie sich dieseressourcenleichten Arten der Produktionund der Gemeinschaftlichkeit ausden Nischenbereichen in gesellschaftlichdominante Dimensionen entwickeln.Zwar entstehen immer mehrBest-Practice-Beispiele in Nischenbereichen,wie die Bedingungen für ihrebreite Durchsetzung, für ihre Skalierungaussehen, ist jedoch bisher nicht untersucht.„Die große Frage für die <strong>Trans</strong>formationist die der Skalierbarkeit“, sagtWelzer. Viele Projekte können nur inder Nische existieren und sind nicht imMainstream-Maßstab vorstellbar, andemanfragen, wie groß der nötige Raumdenn sein dürfe, so Welzer. Beim ThemaMobilität ist der <strong>Trans</strong>formationsdesignerbesonders ungnädig: „Irgendwieist das eine in Marmor gemeißelte oderdurch göttliches Gebot dekretierte Erscheinungsform,unsere Mobilität. Nichtveränderbar, nicht reduzierbar, nichtrückführbar.“ Es sei eines der großenungelösten Rätsel der Menschheit, warumsie immer bessere Kommunikationsmittelproduziere und gleichzeitigimmer mehr Mobilitätsaufwand. Auchtechnologische Entwicklungen wie derHyperloop, eine Art Mega-Personen-Rohrpost, die die Strecke zwischen LosAngeles und San Francisco auf einehalbe Stunde verkürzen soll, sind fürWelzer falsche Wege. „Ich halte es auchfür eine mentale Fehlentwicklung, wennman innerhalb eines solchen fehlentwickeltenSystems Prozesse optimiert.“Die Optimierung und Hinzufügung vonTechnologien führe zu nichts anderemals zu neuen Problemen.Nun ist Welzer dennoch kein Predigerdes Verzichts für eine <strong>Trans</strong>formation.In seinem Konzept eines mündigenKonsumenten entscheidet jeder selbst,re, wie genossenschaftliche Energieproduktion,sind ohne weiteres skalierbar.„Für das Design von <strong>Trans</strong>formationsprozessenist von großer Bedeutung,was mainstreamfähig ist und was nicht.“Mehr zu transformativen Produkten und <strong>Trans</strong>formationsdesignin den vollständigen Interviews mit Prof. PeterWippermann, Folkwang Universität Essen, Prof. Dr. OrtwinRenn, Universität Stuttgart, und Prof. Dr. Harald Welzer,Universität Flensburg, unter www.factory-magazin.de.


17<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Historisch wirksam. Wie Innovation und Technik transformierenHistorisch wirksam.Wie Innovationund TechniktransformierenDie Londoner U-Bahn ist 150 Jahre alt. Zunächstsprach nicht viel für diese Mobilitätsinnovation,die mit Dampf und offenen Wagen durch die Tunnelfuhr. Ein Essay zur Technikgeschichte von derschöpferischen Zerstörung durch Innovation biszur <strong>Trans</strong>formation durch das Internet der DingeVon Bert Beyers© shutterstock.com© Can Stock Photo Inc. / remik44992


18<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Historisch wirksam. Wie Innovation und Technik transformierenWir schreiben das Jahr 1863. In Londonnimmt die Metropolitan RailwayCompany ihren Betrieb auf – und zwarunterirdisch. Die erste U-Bahn derWelt. England war das Mutterland derindustriellen Revolution. Und Londondie größte und reichste Stadt der Welt.Sie erstickte im Verkehr. TausendeKutschen, Droschken und von Pferdengezogene Busse verstopften die Straßen.Hunderttausende Arbeiter wohnten ander Peripherie, weil es billiger war. JedenTag mussten sie in die Stadt, zu Fuß.Das Bedürfnis nach einem neuen, leistungsfähigenVerkehrsmittel war groß.Aber niemand konnte sich vorstellen,dass man mit Bahnen unterder Erde fuhr. Das konnte nur CharlesPearson. Jahrelang umgarnte er Investoren,vermittelte zwischen befeindetenUnternehmern, machte PR. Und die warbitter nötig.Es gab keine Erfahrung, keineStudien, keine Tests. London war eineder am dichtesten besiedelten Städteder Welt. Der Bau der U-Bahn: eineOperation am offenen Herzen. Pearsonhatte eine Menge Probleme, sein größtes,die Züge fuhren mit Dampf. Unterder Erde stank es zum Himmel. In denTunneln stand der Rauch. Panikattackenvon Frauen und Kindern in vernebeltenU-Bahnstationen waren an derTagesordnung.Trotzdem hatte die erste U-Bahnder Welt Erfolg. Denn sie war billig. Undfür viele die einzige Möglichkeit, vonA nach B zu kommen. So ließ sich mitder Metropolitan Railway prächtig Geldverdienen. Erst 1890, also fast vier Jahrzehntenach Eröffnung der Londoner U-Bahn, wurde das Dampfproblem gelöst,durch den Elektromotor.Das sind sie: Innovationen, die dasLeben der Menschen mit einem Schlagverändern. Die schwere Geburt ist dannschnell vergessen.Innovationen zerstörenDie Eisenbahn, genauer: die amerikanischeEisenbahnindustrie, war auch dasLieblingsbeispiel des Ökonomen JosephSchumpeter, der sich intensiv mit derRolle der Innovation und der „schöpferischenZerstörung“ des Bestehendenbefasst hat. Die US-Regierung unterstütztein den 1830ern die Eisenbahngesellschaftendurch riesige Landzuteilungen.Zusammen mit den Siedlernerschlossen sie den Kontinent RichtungWesten. Ende des 19. Jahrhundertsüberzog ein gewaltiges Schienennetzalle Regionen der Vereinigten Staaten.Chicago war ein Kind der Eisenbahn,ebenso Omaha, Fort Worth, Denver undviele andere Städte.Hunderte Neuerungen setzten sichdurch, kleine und große. Riesige SummenGeldes wechselten den Besitzer.Mittels Aktiengesellschaften wurdengewaltige Investitionen möglich. Der<strong>Trans</strong>port beschleunigte den Handel,ein einheitlicher Binnenmarkt entstand.Schumpeter sieht in dieser <strong>Trans</strong>formationnicht allein das Werk des technischenFortschritts, sein Interesse giltdem historischen Prozess. Samt derMärkte, deren Rahmenbedingungenentsprechend zu justieren sind.Dabei zeigt sich: Technischer Fortschritthat ein Janusgesicht. Er löst Problemeund gebiert dabei beständig neue.Die wohl erste Beschreibung des Bumerangeffektsstammt von dem britischenÖkonomen Stanley Jevons Mitte des 19.Jahrhunderts: „Es ist eine vollständige


19<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Historisch wirksam. Wie Innovation und Technik transformierenVerwirrung der Ideen anzunehmen,dass der sparsame Gebrauch von Kraftstoffenzu einem geringeren Verbrauchführt. Das genaue Gegenteil ist der Fall.Die Regel vielmehr, dass neue <strong>Form</strong>ender Sparsamkeit eine Zunahme desVerbrauchs nach sich ziehen, und warin vielerlei Hinsicht.“ Jevons nennt alsBeispiel die Dampfmaschine des JamesWatt. Sie war ungefähr 17 Mal energieeffizienterals ihre Vorgängermodelle.Aber sie führte zu einem gewaltigen Anstiegdes Kohleverbrauchs.Der Bumerangeffekt spielt in derSichtweise des TechnikphilosophenJacques Neirynck eine zentrale Rolle. Erzeigt, dass der Fortschritt in der Regeleinen gesteigerten Forderungsdruck aufdas jeweilige technische System und dieNatur erzeugt. Weil durch bessere Technikder Zugriff auf mehr und andereRessourcen möglich wird (zum BeispielÖlbohrungen in der Tiefsee) und derPreis der Güter tendenziell sinkt. Aberselbst wenn fallende Preise in gesättigtenMärkten keine direkten Nachfrageeffektemehr erzeugen, sprich: wennjeder Haushalt bereits über Computer,Fernseher, Auto etc. verfügt, selbst dannkann Effizienz zu verstärktem Konsumführen. Dann fährt man eben mit demeingesparten Geld in den Urlaub – derindirekte Bumerangeffekt. UntermStrich bleibt ein gewaltiger und immernoch zunehmender Druck auf das ökologischeTrägersystem, die Erde.Innovationen sozialisierenDer Systemtheoretiker Franz Josef Radermachersieht in diesem Prozess einfundamentales Muster, das sich durchdie gesamte Geschichte zieht. Den „SuperorganismusMenschheit“ versteht erals ein Wissen generierendes, Wissenverbreitendes und Wissen tradierendesSystem. Zentral sind dabei Organisation,Technologie und Materialbeherrschung.Pfeil und Bogen sind Material gewordeneIdeen, ebenso moderne Flugzeuge.Jede technologische Neuerung hat direktoder indirekt zur Folge, dass mehrMenschen länger leben, mehr miteinanderkommunizieren und sich immermehr ausdenken.Deshalb sehen wir heute überalltolle Ideen für regenerative Energiequellenund Speichertechnologie, intelligen-© Can Stock Photo Inc. / remik44992


20<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Historisch wirksam. Wie Innovation und Technik transformierente Netze, neue Mobilitätskonzepte für Städte, nachhaltigeAquakultur, intelligente Materialien. Hinzukommt eine umfassende Informatisierung derLebens- und Arbeitswelt. Das Internet der Dingeist längst im Werden: Alltagsgegenstände, Geräteund Waren werden addressierbar und lassen sichin Raum und Zeit verfolgen. Autos, Räume, ganzeProduktionsstränge werden „intelligent“. MobileSchnittstellen zum Internet sind allgegenwärtig,nach den Handys kommen die Datenbrillen unddann?Die Geschichte der Technik und der Innovationvon Gesellschaft und Ökonomie zeigt, wie unsereVorfahren ständig Grenzen überschritten haben.Aller Rückschläge, Katastrophen und Kriege zumTrotz: Die Zahl der Menschen ist dabei ständiggewachsen.Im 21. Jahrhundert findet dieser Prozess einEnde. Das rasante Tempo der Bevölkerungsentwicklungin den vergangenen Jahrzehnten hat sichbereits verlangsamt. Irgendwann in der Mitte desJahrhunderts wird es sich auf neun oder zehn Milliardeneinpendeln. Aus vielerlei Gründen: Industrialisierungder Schwellenländer, Ressourcenknappheit,Überforderung, Stress. Ob dieser Übergangeinigermaßen friedlich verläuft, wissen wir nicht.Bert Beyers ist Autor und Journalist in Hamburg. Er schreibt immer wiederfür factory, zuletzt „Das Rad neu erfinden“ in der Zukunfts-Ausgabe„Vor-Sicht“Literatur:Gunkel, Christoph: Bei Abfahrt Erstickungsanfall. 150 Jahre LondonerU-Bahn. Spiegel Online 10.01.2013 http://einestages.spiegel.de/s/tb/26701/150-jahre-londoner-u-bahn.htmlGrübler, Arnulf: Technology and Global Change. Cambridge 1998McCraw, Thomas K.: Joseph A. Schumpter. Eine Biographie. Hamburg 2008Neirynck, Jacques: Der göttliche Ingenieur. Die Evolution der Technik.Renningen-Malmsheim 1998Radermacher, Franz Josef; Beyers, Bert: Welt mit Zukunft.Die Ökosoziale Perspektive. Hamburg 2011© Can Stock Photo Inc. / remik44992


21 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>»Wenn ich die Menschengefragt hätte, was sie wollen,hätten sie gesagt: schnellerePferde.«Henry Ford (* 1863, † 1947) gründete den Automobilhersteller Ford Motor Company.


22 Tran-<strong>Form</strong>Freiwillig nur unter Zwang.Nachhaltig verpflichtet– aber wodurch?Freiwillige Vereinbarungen, gesetzliche Vorgaben,moralische Verpflichtungen: Die nachhaltige <strong>Trans</strong>formationgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handelns wirdsich nicht durch Appelle an den guten Willen der Akteurebewältigen lassen. Welche Auswahl an Ermunterungenbrauchen wir, um unser aller Handeln so zu transformieren,dass wir nicht mehr Ressourcen verbrauchen, als esunserer eigenen Zukunft zuträglich ist?© Can Stock Photo Inc. / designworkVon Bernd Draser


23<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Freiwillig nur unter Zwang. Nachhaltig verpflichtet – aber wodurch?Kaum ein Wort darf sich einer so rapidenProliferation erfreuen wie das Wort„Nachhaltigkeit“, freilich zum Preis eineretwas porösen Konsistenz. In diesePoren kann dann jeder das ihm Genehmeund Dringliche einfüllen. Dasseine nachhaltige Umformung unseresAgierens Züge eines Gebotes annimmt,zeichnet sich schon seit Jahrzehntenab, ist allerdings als dominanter Diskursrecht jung. Zunächst musste daserreicht werden, was man im Pathos derspäten Sechziger einen Bewusstseinswandelzu nennen pflegte. Hier kanngesagt werden: Mission accomplished!Zu erkennen ist das insbesondere andem Ausmaß der werblichen Rede vonder Nachhaltigkeit, sei es als authentischeCorporate Social Responsibilityoder triviales Greenwashing, dennselbst wer nachhaltige Qualitäten nurvortäuscht, setzt damit immer schon dieWertigkeit solcher Qualitäten voraus.Eines der fatalen Missverständnissevieler Nachhaltigkeitsdiskurse istder Glaube, dass Einsicht oder Überzeugungeine Verhaltensänderungnach sich zöge. Dieses ausgesprochendeutsche Vorurteil ist aus verschiedenenGründen falsch und erweist sichbei genauerer Betrachtung als ein Auswuchsdes lutherischen Dogmas, dassder Mensch allein im Glauben, sprich inseiner inneren Überzeugung und Heilsgewissheit,gerechtfertigt sei, und nichtetwa in äußeren Handlungen. So gesehenist praktizierte Nachhaltigkeit eherkatholisch: Was zählt, sind die äußerenHandlungen, nicht das korrekte Bewusstsein.Und diverse Milieu-Studienweisen darauf hin, dass die nachhaltigstenLebensstile gerade nicht dort stattfinden,wo sie geglaubt werden, denndort wähnt man sich durch die rechteÜberzeugung von entsprechendemHandeln bereits entbunden, sondernvielmehr dort, wo man „Nachhaltigkeit“nicht sagt, weil man konservativ, traditionell,sparsam ist.Ein zweiter Fehlschluss kann konsumistischoder objektfixiert genanntwerden. Denn wenn <strong>Trans</strong>formation als<strong>Trans</strong>formieren von Objekten praktiziertwird, verlegt man die nachhaltigeQualität in die Eigenschaften einesGegenstands, wo doch die eigentlicheQualität vor allem im Gebrauch desselbenliegt. Die Objektfixierung ist dieMutter aller Rebound-Effekte. Es mussalso um die <strong>Trans</strong>formation von Lebensstilenund Konsumweisen gehen,nicht um Bewusstseinskorrekturen.Durch Appelle an den guten Willen alleinwird sich die nachhaltige <strong>Trans</strong>formationgesellschaftlichen, wirtschaftlichenund individuellen Handelns nichteinstellen. Es bedarf einer Auswahl anErmunterungen und Ermutigungen, umunser aller Handeln so umformen zuhelfen, dass wir nicht mehr Ressourcenverbrauchen, als es unserer eigenen Zukunftzuträglich ist. Versuchen wir eineInstrumentenschau.1. Der ObrigkeitsstaatEr agiert kraft seiner Autorität und derSanktionen, die er verfügt. Die Autoritätwiederum muss sich, um glaubwürdigzu sein, aus Legitimität speisen. Das istnach unseren Vorstellungen die demokratischeLegitimation. Ein Staat, dem esan solcher Legitimität gebricht, hat seineAutorität verspielt. Es wimmelt vonaktuellen Beispielen: Keine Regierunghat die Türkei in einem solchen Maßedemokratisiert und liberalisiert wie die


24<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Freiwillig nur unter Zwang. Nachhaltig verpflichtet – aber wodurch?Regierung Erdogan; in dem Augenblickaber, als staatliche Autorität desGrundgefühls der Legitimität entbehrt,sind alle Verdienste vergessen. Einzweites, deutlich harmloseres Beispiel:Die Grünen haben im Zuge des Wahlkampfs2013 einiges an schmerzhaftenProgrammpunkten präsentiert, undselbst beträchtliche finanzielle Mehrbelastungenwurden vom Publikum imBewusstsein der verdienten Strafe angenommen.Zum Aufschrei kam es erst,als der ziemlich harmlose Vorschlag füreinen unverbindlichen „Veggie Day“ inöffentlichen Kantinen ruchbar wurde.Beide Beispiele demonstrieren: Abstrakteund allgemeine Verfügungen werdenhingenommen, wo aber der eigene Leibins Spiel kommt, hört der Staat auf. Darausmüssen auch nachhaltigkeitstransformativeBemühungen ihre Schlussfolgerungenziehen.2. Die PflichtethikEine Ethik der Pflicht stellt die individuelleSeite des Obrigkeitsstaats dar,indem sie, wie Kant es formuliert, nichtetwa aus Neigung oder Verlangen nachGlückseligkeit, sondern aus Achtung vordem Gesetz eine Handlung als notwendigerachtet. Eine gute Handlung lässtsich in diesem Sinne vor allem daranerkennen, dass sie dem Handelndenschwerfallen muss, denn „nicht ausNeigung oder Furcht“ resultiert Moral,sondern eben nur aus der Pflicht.Da die Achtung vor dem Gesetz, alsoder Sanktionsandrohung des Staates,sich aber am ehrlichsten mit Furchtübersetzen lässt, erfand Kant den gutenWillen, um seinen kategorischenImperativ zu entsichern, wie man eineSchusswaffe entsichert. Den Wesenskerndieses kategorischen Imperativshat schon mancher von uns als Rügegehört: Stell dir vor, das würden alle somachen! Das ist nun nicht so lächerlich,wie es zunächst klingt, denn zumindestim Straßenverkehr ist das tatsächlichein kategorischer, also immer gültigerImperativ. Ob man einem <strong>Trans</strong>formationsprozessin Richtung Nachhaltigkeitdamit einen Gefallen tut, ist zu bezweifeln– auch dem Kantianer Hans Jonaswäre zu wünschen gewesen, das PrinzipVerantwortung weniger pflichtethischzu formulieren.3. FreiwilligeSelbstverpflichtungenEs hat sich vor allem in wirtschaftsliberalenArgumentationsweisen etabliert,zunächst auf die Freiwilligkeitvon Akteuren zu setzen, wenn es um<strong>Trans</strong>formationen aller Art geht. Das istnicht so naiv, wie es zunächst klingenmag, zumindest nicht auf unternehmerischerEbene. Denn Unternehmen sindgewinnorientiert und in dieser Wirtschaftsordnungmüssen sie es sein. Dasich aber für den Konsumenten ein Distinktionsgewinndurch den Gebrauchbestimmter Marken erzielen lässt unddiese Distinktion ein entscheidenderSelling Point ist, kann eine authentischeCorporate Social Responsibilityeinen erheblichen Marktvorteil darstellen.Gleichzeitig wächst jedoch dieVerführung, sich ein Corporate Imageunverdient zu erschleichen, und dasberüchtigte Greenwashing setzt ein.Daher sind freiwillige Selbstverpflichtungenvor allem da sinnvoll, wo siestaatlich ermutigt und im Falle desScheiterns mit pekuniären Sanktionenbewehrt sind. Im zwischenstaatlichen


27 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>»Die größte Schwierigkeitder Welt besteht nicht darin,Leute zu bewegen, neue Ideenanzunehmen, sondern alte zuvergessen.«John Maynard Keynes (* 1883, † 1946), britischer Ökonom, Politiker und Mathematiker.


28 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>Die transformativeKraft der WissenschaftHäufig beobachtet Wissenschaft gesellschaftlicheVeränderungsprozesse nur. Oder sie stellttechnologisches Wissen zur Verfügung, hält sich aberansonsten heraus. Um die <strong>Trans</strong>formation zu einerNachhaltigen Entwicklung vollziehen zu können, reichtdas nicht aus. Wissenschaft muss zur „transformativenWissenschaft“ werden. Sie muss sich selber ingesellschaftliche Veränderungsprozesse einbringen.Das hat Auswirkungen auf ihre Herangehensweisen undMethoden.Standpunkt von Uwe Schneidewind© Can Stock Photo Inc. / buchachon


30<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Die transformative Kraft der WissenschaftStadtteile sein, genauso wie einzelne Unternehmenoder Branchen. Gemeinsam ist solchen „Reallaboren“,das hier Veränderungsprozesse unter wissenschaftlicherBegleitung getestet, ausgewertet undkontinuierlich optimiert werden.Für eine so gestaltete transformative Wissenschaftbrauchen wir Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler mit erweiterten Fähigkeiten,die über methodische Exzellenz in ihrer eigenenDisziplin hinausgehen. Ausbildungswege und Erfahrungensind nötig, die die Ausprägung solcherFähigkeiten fördern. Wir brauchen ForschungsundFörderprogramme für eine entsprechendenWissenschaft. All das steht noch am Anfang undmuss erheblich ausgebaut werden, damit auch dieWissenschaft Motor für eine <strong>Trans</strong>formation inRichtung Nachhaltigkeit werden kann.© Can Stock Photo Inc. / HaywireMediaQuellen/Literatur:© Can Stock Photo Inc. / AlienCatProf. Dr. Uwe Schneidewind ist Ökonom und Präsidentdes Wuppertal Instituts für Klima Umwelt Energie.÷ ÷ Schneidewind, U./ Singer-Brodowski, M.: <strong>Trans</strong>formative Wissenschaft.Klimawandel im deutschen Wissenschafts- undHochschulsystem. Metropolis, Marburg 2013.÷ ÷ Schneidewind, U.: Plädoyer für eine Bürgeruniversität, in:duz MAGAZIN 08/2013, S. 30-31.÷ ÷ Wissenschaftlicher Beirat für Globale Umweltveränderungen(WBGU): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine große<strong>Trans</strong>formation. Hauptgutachten, Berlin 2011.


31 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>»Die Wissenschaft hat keinemoralische Dimension. Sie ist wieein Messer. Wenn man es einemChirurgen und einem Mörder gibt,gebraucht es jeder auf seineWeise.«Wernher Magnus Maximilian Freiherr von Braun (* 1912, † 1977), deutscher und später US-amerikanischer Raketeningenieur,Wegbereiter und Visionär der Raumfahrt.


34<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Damit gelingt der Wandel: <strong>Trans</strong>formatives Design für Nachhaltigkeitkation und Werbung daneben gehen, führt das zum Scheiternder neuen Lösung.Die Gestaltung von transformativen Lösungen, ob vonProdukten oder Dienstleistungen, und ihrer Kommunikation,hat deswegen besondere Bedeutung. Denn immer beeinflussenDesign und Vermittlung auch das Nutzerverhalten – positivoder negativ. Designer der Nachhaltigkeit können dieseWirkungen bewusst ausformen und einsetzen. Ansätze imProduktdesign sind dazu unter den Oberbegriffen der Produktspracheund Produktsemantik (oder moderner: Usability)seit langem bekannt. Oft genug sind sie Gestaltern nicht wirklichgeläufig. Dabei ist insbesondere für nachhaltige transformativeGüter eine stimmige Ästhetik und Semantik besonderswichtig, wie das Projekt „ecobiente, nachhaltige Güter erfolgreichergestalten (und vermarkten)“ gezeigt hat.Die <strong>Trans</strong>formation der täglichen LösungenDa laut der European Environment Agency die drei KonsumfelderErnährung/Landwirtschaft, Mobilität/Tourismus undWohnen/Energieverbrauch in Gebäuden für etwa 80 Prozentaller Umweltbelastungen westlicher Industrienationen verantwortlichsind, macht es großen Sinn, bei der <strong>Trans</strong>formationmit diesen Konsumfeldern zu beginnen.Wichtige Maßnahmen wären hier, fleischarme Ernährungund Nahrungsmittel zu promoten, das Wegwerfen vonLebensmitteln zu verhindern (ungefähr 40 Prozent unseresEssens wird unverzehrt weggeworfen), Stadt- und ländlichePlanung zu re-designen, damit der Pkw-Pendlerverkehr ab-F R I A , ö k o -effizienteKühlkammer fürden HaushaltAls Kombination von Speisekammer mit modernster Kühltechnikkühlt FRIA material- und energieschonend. DieseKühlkammer wird fest in eine Mauernische in der Kücheintegriert. Im Winter wird die kalte Außenluft zur Kühlunggenutzt im Sommer kann die kleine Kühlmaschine mit Solarenergiebetrieben werden. FRIA hat unterschiedliche Kühlfächer,die getrennt reguliert und auch abgeschaltet werdenkönnen. So kann das gekühlte Volumen an den persönlichenBedarf der Nutzer angepasst werden. Das, kombiniert miteffizienter umweltschonender Dämmung, lässt das Konzeptnur etwa halb soviel Energie verbrauchen, wie herkömmlicheKühlschränke gleicher Größe.Durch die Reduzierung der Materialvielfalt, die Austauschbarkeitder Kühlmaschine und von Verschleißteilen ist FRIAlanglebig und recyclingfähig. In der geschätzten Lebenszeiteiner Kühlkammer müssten 10 herkömmliche Kühlgeräte gebaut,benutzt und entsorgt werden, um die Dienstleistungeiner FRIA zu erreichen. Auch Frontblenden, Griffe und Innenteilesind austauschbar. So lässt sich FRIA ästhetischund funktionell aktualisieren und reparieren.


35<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Damit gelingt der Wandel: <strong>Trans</strong>formatives Design für Nachhaltigkeitnimmt oder mit öffentlichen Verkehrsmittelnstattfinden kann und den Energieverbrauchin Gebäuden zu senken,durch bessere technische Infrastruktur(Heizung, Klimatisierung, Warmwasserbereitung,Isolierung) und Geräte(wie durch den effizienten KühlschrankFRIA, siehe Kasten) aber auch durchÄnderungen in den Nutzungsgewohnheiten.Für das Wäschewaschen weißman aus diversen Studien, so eine vonder University of Cambridge, dass dieHäufigkeit des Waschens, also das Nutzerverhalten,den bei weitem größtenEinfluss auf die Umweltbelastungenhat – gefolgt von der Entscheidung,auf der Leine oder im Wäschetrocknerzu trocknen. Weniger stark ausschlaggebendsind die Temperatur desWaschgangs und die Effizienzklasse derWaschmaschine.Sehr deutlich wird die nötige<strong>Trans</strong>formation bei langlebigen Gütern:eine ausreichende Lebensdauer vonProdukten vorausgesetzt, ist das Weiternutzender Güter selbstverständlichdie ökologischste Verhaltensweise.Verhindern sollen das die Modewechsel(perceived obsolescence) und die eingebautenVerfallsdaten (built in obsolescence),mit denen Produzenten immernoch sehr erfolgreich neue Produkteverkaufen. Die wie auch immer geformteAbschaffung dieser beiden unternehmerischenStrategien würde einenradikalen Wandel zur Nachhaltigkeit inunseren Konsummustern hervorrufen.Think Different –Act DifferentDer Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft,zu nachhaltigem Produzierenund Konsumieren und zu nachhaltigenLebensstilen braucht neben besserenProdukten und Dienstleistungen wohlnoch dringender neue Denkmuster undVerhaltensweisen – bei Konsumentenwie Produzenten. Damit stellen sichdie Fragen, wie solche eher im Sozialenangesiedelten Innovationen entstehenoder gestaltet werden? Wie verändernsich Denk- und Verhaltensmuster undwie kann eine nachhaltigere Vorstellungvon einem guten Leben das Ziel der gesellschaftlichenEntwicklung werden?Zusätzlich drängt sich die Frageauf, warum wir trotz des hohen Umweltbewusstseinsder Bevölkerung und demWissen über all die Zusammenhängevon Klimawandel und persönlichemVerhalten so wenig grundlegendeund weit reichende Ansätze zu einemnachhaltigeren Konsumenten- undProduzentenverhalten erleben – die sogenannte Verhaltenslücke. Sind es Faulheitoder Bequemlichkeit, Zeitmangel,fehlen die finanziellen Mittel, oder sindwir gefangen in den nicht-nachhaltigenSystemen und Infrastrukturen? Laut denregelmäßigen Umfragen zu Umweltbewusstseinund Umweltverhalten (z. B.von Umweltbundesamt, Gesellschaftfür Konsumforschung, SINUS Institut)spielt eine Mischung aus alldem undspielen unterschiedliche Hemmnissefür verschiedene gesellschaftliche Gruppeneine Rolle.Als wichtiges Phänomen in diesemZusammenhang gilt, dass 80 Prozentunseres Verhaltens von Routinen bestimmtsind. Deswegen denken wirbeim Einkauf nicht mehr darüber nach,welche Marken wir bevorzugen, dieAuswahl von Produkten geschieht fastunterbewusst als erlerntes Verhaltenund ohne großen inneren Energie-


37<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Damit gelingt der Wandel: <strong>Trans</strong>formatives Design für Nachhaltigkeitein Paar Schuhe an einen bedürftigenMenschen. Selbstverständlich dienendiese ökologisch und sozial motivierten(Kommunikations-)Ansätze auch dazu,die Unternehmen in einem Markt desÜberangebots positiv hervorzuheben.Motivation zur Verhaltensänderungerzeugen durch das Zeigen voneinflussreichen Vorbildern, durch dasVisualisieren der Vorteile des neuenVerhaltens oder dadurch, dass das neueVerhalten mit Lust und Begehrlichkeitverknüpft wird. Ein großes deutschesMagazin titelte einmal „der neue Luxusist Grün“ und bezog sich dabei auf diesogenannten LOHAS, also kaufkräftige,gut gebildete Lifestyle Gruppen, die sichbeides, Genuss und ein gutes Gewissen,durch ökologisch und sozial korrektenKonsum leisten. Bono, George Clooney,Leonardo DiCaprio, Angelina Joliesind nur einige der vielen Stars, die sichfür ökologische und soziale Belangeeinsetzen. Gestalter sind geradezu prädestiniertdafür, ökologisch und sozialsinnvolle Güter mit Begehrlichkeitenzu verbinden. Eine Herausforderungbesteht darin, das nicht nur für die gutsituierte Bevölkerung zu erreichen,sondern auch mit niedrigeren Einkommensschichtenan Alternativen zumnicht-nachhaltigen Konsum zu arbeiten.Möglichkeiten zur Verhaltensänderunggestalten in <strong>Form</strong> von Produkten,Dienstleistungen, neuen Infrastrukturen,Strategien und Systemen, dieNutzer zunächst ohne Risiko in einempositiven Umfeld, spielerisch und mitGenuss ausprobieren können. Hierkommen alle oben und weiter untengenannten Ansätze zum Tragen.Positives Feedback und Bestätigungorganisieren in den verschiedenstenDimensionen, z. B. durch Belobigungenund Preise, besonders günstige finanzielleOptionen, Nutzerclubs und Kundencommunities,die sich gegenseitigunterstützen und bestätigen, oder Anerkennungdurch Gleichgesinnte ermöglichenetc. Wer kennt sie heute nicht, dieÖko-Enthusiasten, die einem ständigauf ihren Smartphones zeigen, wieviel Strom ihre Photovoltaikanlage aufdem Dach gerade produziert? InstantFeedback, also direkte Rückmeldungüber ökologische Zusammenhänge mitdem eigenen Verhalten sind sehr einflussreich,insbesondere wenn man diepositiven Ergebnisse mit anderen teilenkann. So entsteht eine Art grüner Wettbewerb.Smart-Meters dagegen, alsointelligente Verbrauchsmesser für Wasser-und Energieverbrauch im Haushaltsind noch nicht gelöste Designaufgaben.Hier fehlen nach wie vor Anzeigen,die Spaß machen und zu sparsameremVerhalten motivieren. Das geht auchdurch Produkte wie den Douche Coach,eine Art Sanduhr, die dem Duscher anzeigt,dass er bereits fünf Minuten unterder Dusche steht, oder Stromkabel, dieunangenehm leuchten, wenn das angeschlosseneGerät Strom verbraucht.Mehr dazu im factory-Beitrag zu transformationalenProdukten, die derart zurVerhaltensänderung motivieren (Dennsie wissen, was sie tun, S. 53).Vielfältige solcher Beispiele hatDan Lockton in seinen „Design with Intent“-(Design mit Absicht-) Karten versammelt.Sie zeigen Strategien, wie Designermehr oder weniger autoritär oderspielerisch die Nutzer ihrer Produkte zunachhaltigerem Verhalten anregen können.Da geht es zum Beispiel um das Erzeugenvon positiven Emotionen, wennder Recyclingbehälter aussieht wie ein


39<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Damit gelingt der Wandel: <strong>Trans</strong>formatives Design für Nachhaltigkeit wiederum die Beleuchtung antreibt(www.studioroosegaarde.net/project/sustainable-dance-floor/info/).Nun mag man denken, das sindalles nette Spielereien, die aber dochnichts oder nur wenig an <strong>Trans</strong>formationbringen. Im Gegenteil: Durchsolche spielerischen Interventionen imöffentlichen Raum änderten im Fun-Theory Praxistest 60 bis 70 Prozent derPassanten ihr Verhalten, wurde mehrals die doppelte Menge an Abfall imPark gesammelt, oder die Flaschensammelcontainerdeutlich mehr genutzt.Dass die FunTheory Webplattformund Wettbewerbe vom UnternehmenVolkswagen betrieben werden und dassUnternehmen wie BMW mittlerweileCommunity-based-Services und Applikationenvon anderen Anbietern inder eigenen Fahrzeugsoftware zulassen,sind weitere Anzeichen dafür, dass wires hier mit mächtigen und ernstzunehmendenBewegungen zu tun haben.Wohlgemerkt: Immer geht es beim<strong>Trans</strong>formationsdesign darum, nichtnur eine kaufkräftige Elite zum Wandelzu bewegen, sondern möglichst vieleMenschen für ein nachhaltigeres, zukunftsfähigesVerhalten zu interessierenbzw. den Gewinn für die Nachhaltigkeitzu maximieren.Gemeinsam transformativinvestierenInspirierende Effekte erzeugen oft auchBewegungen von unten. Mit so genanntensozialen Innovationen, die oftmalszunächst radikal und unzugänglicherscheinen, lösen Nachbarn, Aktivistenoder eine Gruppe Gleichgesinnterihre Probleme gemeinsam – und sieerhöhen ihre Lebensqualität, indem siekooperieren. Car-Sharing hat als einesolche Bewegung begonnen und heutemehr als 270.000 Nutzer in Deutschland(de.statista.com/themen/1437/carsharing/). Andere Beispiele sind Einkaufsgemeinschaftenfür Bio-Produkte,Community Supported Agriculture, also


40<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Damit gelingt der Wandel: <strong>Trans</strong>formatives Design für Nachhaltigkeitlandwirtschafltiche Produktionsgemeinschaften,in denen Konsumenten dieBauern unterstützen, bis hin zu vollständigenLocal Exchange Trading Systems(LETs), die eine Tauschökonomie parallelzur monetären Ökonomie aufbauen.In derartigen, auf Punkten oder aufeiner alternativen Währung basierendenlokalen Wirtschaftssystem tauschensozial benachteiligte Menschen genausowie Zahnärzte, Rechtsanwälte undandere Leistung gegen Leistung. SolcheSysteme sind erfolgreicher, wenn sievon Gestaltern unterstützt werden undwenn sie mit wachsendem Erfolg undwachsender Größe eine professionelleOrganisationsform annehmen. Unterdem Titel „Social Innovation“ oder „SocialDesign“ spezialisieren sich einigeGestalter mittlerweile auf solche Innovationenvon unten. Das DeSIS Netzwerk(www.desis-network.org) ist ein gutesBeispiel dafür.In einer Zeit der Wirtschafts- undFinanzkrisen liegt es zudem nahe, dassimmer mehr Konsumenten neue Lebensstileund alternative Konsummodelleaußerhalb der vorherrschendenMarktwirtschaft suchen und erproben.Auch die zahlreichen ökologischen undsozialen Unternehmensneugründungenzeigen, dass viele Menschen dem reinen,gewinnmaximierenden und wachstumsorientiertenKapitalismus misstrauen.Sie sind überzeugt, dass man nichtauf die traditionellen Institutionen, denStaat, die Banken, die Unternehmenwarten kann, um sein Leben nachhaltigerzu organisieren.So entstand eine sehr interessanteBewegung, der factory mit „Selbermachen“(Ausgabe 3-2012) ein eigenes Themen-Magazingewidmet hat: das MakerMovement, Do-It-Yourself in moderner<strong>Form</strong> mit Computerunterstützung undRapid-Prototyping-Maschinen (3D-Druckern), die in kürzester Zeit eigeneProduktentwürfe ausdrucken können.Gleichzeitig kamen die neuen Ansätzeder offenen Innovation, des Crowd-Sourcing und des Crowd-Funding auf, indenen Innovationsaufgaben aus Unternehmenoder von anderen Akteuren inonline Internet-Plattformen ausgelagertwerden, damit die interessierte Öffentlichkeit(die Crowd) an deren Lösungmitwirken kann. VorausschauendeUnternehmen wie Heineken, Starbucks,Fiat oder Dell nutzen bereits offeneInnovationssysteme.Wenn die Mittel zur Realisierungder besten Ideen fehlen, können diesewiederum im Crowd-Funding durch dieÖffentlichkeit gestiftet oder im Crowd-Investment investiert werden.Diese neuen extrem wirkungsvollenInstrumente stellt das von derEuropäischen Union geförderte ProjektSustainability Maker (www.sustainabilitymaker.org)ausschließlich in denDienst der Nachhaltigkeit. Auf der abOktober 2013 aktiven Online-Plattformwww.innonatives.com können nachhaltigkeitsrelevanteProbleme zur Lösungangeboten werden, die dann durch dieinternationale Crowd entwickelt werden.Die am meisten versprechendenAnsätze werden mittels Crowd-Votingund einer Experten-Jury ausgewählt unddurch Crowd-Funding und/ oder einenonline Marktplatz für nachhaltige Lösungenimplementiert.Die Erfolgszahlen des amerikanischenCrowd-Funding AnbietersKickstarter (www.kickstarter.com), derseit der Gründung in 2009 durch 4,6 MillionenSpender mehr als 46000 kreative


41<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Damit gelingt der Wandel: <strong>Trans</strong>formatives Design für NachhaltigkeitProjekte mit über 735 Millionen US Dollar geförderthat, zeigt das Potenzial, das in diesen neuenInstrumenten steckt. Wenn dieses für nachhaltigeInnovation genutzt wird, können viele Ideen realisiertwerden, die bisher an der Trägheit der traditionellenInstitutionen gescheitert sind. Gerade weildie Innovationstätigkeit mit einem realen Bedarfoder Problem beginnt, das viele Menschen habenund das für viele bedeutungsvoll ist, sonst würdensie sich nicht für das Projekt einsetzen, sind auchdie Marktchancen dieser Innovationen voraussichtlichsehr gut.Diese transformativen und transformationalenLösungen sind also bedürfnisbefriedigend, problemlösend,marktrelevant und oft ressourceneffizient.Unternehmen sei empfohlen, sich für dieseBewegungen zu interessieren und vorzugsweisemit Beratern und Gestaltern zu arbeiten, die sichmit solchen radikaleren Innovationen beschäftigen.Dem Wandel zur Nachhaltigkeit können wirdann sehr viel schneller sehr viel näher kommen.Ursula Tischner ist Designerin und betreibt die Agentur econcept fürnachhaltiges Design in Köln. Sie ist seit Mitte 2012 zurück in Deutschland,bis dahin war sie drei Jahre Professorin am Savannah College of Artand Design.Sustainability Maker Convention:Das von der Europäischen Union geförderte Sustainability Maker Projektstellt die offene Innovationsplattform für Nachhaltigkeit www.innonatives.comauf der weltweit ersten Open Innovation, Crowd-Sourcing, Crowd-Funding for Sustainability Convention am 15. Oktober 2013 in Köln vor.Online Anmeldung bei www.sustainabilitymaker.orgKontakt: Ursula Tischner, econcept, Alteburger Str. 32, 50678 Köln,Tel.: 0221/4202676, Email: u.tischner@econcept.orgQuellen:÷ ÷ European Environment Agency (2007): Environmental Pressures from Europeanconsumption and production, EEA publication TH-78-07-137-EN-D.÷ ÷ Kanfer, F. H. & Schmelzer, D. (2005): Wegweiser Verhaltenstherapie: Psychotherapieals Chance (2. Aufl.), (Guideline Behavioral Therapie: Psychotherapieas Chance), Berlin: Springer÷ ÷ Klemisch, H./ Simbriger, A./ Tischner, U. et al (2005): Nachhaltige Gütererfolgreicher gestalten und vermarkten. Ein Praxisbericht für Unternehmen,KNI Papers Sonderheft 2005, Klaus Novy Institut, Köln÷ ÷ University of Cambridge Institute for Manufacturing (2006): WellDressed, The present and future sustainability of clothing and textilesin the United Kingdom, UK÷ ÷ Tischner, U., Stø, E., Kjærnes, U., and Arnold Tukker (contributing Ed.)(2010): System Innovation for Sustainability 3: Case Studies in SustainableConsumption and Production — Food and Agriculture, GreenleafPublishing UK÷ ÷ Watzlawick, P., Beavin J.H., Jackson, D.D. (2000): Menschliche Kommunikation.<strong>Form</strong>en, Störungen, Paradoxien. Huber, Bern


42 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>»Gradueller Wandel funktioniertbei großem Veränderungsbedarfnicht. Wenn Änderungen nichtgroß genug sind, unterliegt mander Bürokratie.«John Francis „Jack“ Welch Jr. (* 19. November 1935), CEO von General Electric von April 1981 bis September 2001.


44<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Unter die Haut und ins Gehirn© Can Stock Photo Inc. / dimolHerr Professor Kenning, Ihr Lehrstuhlfür Marketing an der ZeppelinUniversität soll der weltweiterste betriebswirtschaftliche miteiner explizit neuroökonomischenAusrichtung sein. Was machenSie denn dort genau?Wir arbeiten an einer systematischenIntegration neurowissenschaftlicherMethoden, Theorien und Erkenntnissein die ökonomische Forschung. Dabeiversuchen wir allgemein mit Hilfe dieserMethoden Verhaltensmuster und Entscheidungsprozessezu identifizieren,die wirtschaftlich bedeutsam sind. Imspeziellen Forschungsbereich ConsumerNeuroscience widmen wir uns zumBeispiel der Frage welche Hirnareale aneiner Kaufentscheidung beteiligt sind.Dadurch wird es Kunden möglich, ihreigenes Verhalten zu verstehen und aktivzu transformieren.Unternehmen versprechen sichja sehr viel vom Neuromarketing,erhalten Sie viele Forschungsaufträgeaus der Industrie?Neuromarketing ist derzeit in Mode, derBegriff macht aber eigentlich keinenSinn. Marketing ist ein Führungskonzeptund das Gehirn kann man nunmal nicht wie einen Betrieb führen. Wirsprechen daher von Consumer Neuroscience,in dessen Zentrum die neurobiologischeErklärung des Konsumentenverhaltenssteht. Tatsächlich arbeitenwir nur in wenigen ausgewählten Fällenmit Unternehmen zusammen, unsereArbeit hat mehr den Charakter derGrundlagenforschung und wir sind primärtheoretisch interessiert. Trotzdemerhalten wir viele Anfragen. Meistenspassen diese aber eher zu einer Beratungsfirmaals zu einem wissenschaftlichenInstitut. Wir geben daher vieledieser „Wie-Fragen“ an Beratungsunternehmenweiter, die haben auch die fürden unternehmensindividuellen Wissenstransfernotwendigen Ressourcen.Warum konnte man so langeauf neuroökonomischeErkenntnisse verzichten?Das hat verschiedene Gründe. Im relativenWettbewerb war das bisher nichtrelevant, weil niemand einen Zugriffdarauf hatte. Die entsprechenden bildgebendenVerfahren gibt es ja erst seitgut zwanzig Jahren. Und erst um dieJahrtausendwende wurden damit dieersten ökonomischen Fragestellungenuntersucht. Jetzt kommt das in den Betrieben,der breiten Öffentlichkeit undder Politik an. Auch die Verfahren entwickelnsich noch weiter.Wie ist denn die aktuelleVerbreitung?Das derzeit wohl bekannteste Verfahrenist die funktionelle Magnet- Resonanztomografie(fMRT). Dieses Verfahrenfindet auch im wissenschaftlichenBereich breite Anwendung. AktuellenStudien zufolge erscheinen derzeit etwazwei bis drei fMRT-Publikationen proTag.In dieser factory geht es um <strong>Trans</strong>formationund transformativeProdukte. Sind diese bildgebendenVerfahren ein solches Produkt, dasvielleicht nicht unbedingt nachhaltigist, aber zumindest zu gesellschaftlichenVeränderungen führen kann?Das kann durchaus sein. Die bildgebendenVerfahren treiben ja die Theoretisierungmenschlichen Verhaltens


45<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Unter die Haut und ins Gehirnaus einer neurobiologischen Perspektivevoran. Verbunden damit sind auchentsprechende Sorgen, dass ein neuerReduktionismus uns auf das biochemischeZusammenspiel von Molekülenreduziert. Diese Bedenken führen zuDiskussionen über zentrale ethischeBegriffe wie „Bewusstsein“ und „Willensfreiheit“.Ob diese Begriffe jedochbiologisch bestimmbar sind, hängt davonab, wie man sie definiert. Verstehtman zum Beispiel „Bewusstsein“ eherim kollektiven Sinne einer wie auch immerstrukturierten Schwarmintelligenz,haben individual-neurobiologische Kategorienrelativ wenig Erkenntniswert.Doch eine transformative Struktur istbei bildgebenden Verfahren auf jedenFall vorhanden. Immerhin haben wirjetzt dadurch eine Renaissance derEmotionen.Sind Emotionen eine Chance fürunsere nachhaltige <strong>Trans</strong>formation?Der Emotionsbegriff hat ja eineNähe zum Hedonismus, im normativenBereich ist er also tendenziell problematisch.Denn auf den ersten Blick istNachhaltigkeit eher kognitiv rational geprägt.Emotionen sind eher unreflektiertund belohnungs- und lustorientiert, dasscheint dem zuwider zu laufen. Dabeikann es auch Spaß machen, ein nachhaltigesProdukt zu verwenden. Sieheder Personenkreis ums Elektroauto, derbewusst einen Schritt in die RichtungCO 2-Vermeidung macht. Sie haben Spaßdaran und suchen und erhalten Anerkennung.Sie erfahren also aus einerscheinbar rationalen Entscheidung aufeiner kollektiven Ebene eine Belohnung,die mit einer positiven Emotion einhergeht.Das wäre eine Emotionalisierung,die ein transformatives Momentumerzeugt.Der Hype um die so genannten„Neuro-Bindestrich-Wissenschaften“soll ja dem laut dem PsychopharmakologenFelix Hasler, der das Buch„Neuromythologie – Eine Streitschriftgegen die Deutungsmachtder Hirnforschung“ veröffentlichthat, auch schon wieder vorbei sein.Diese Einschätzung erinnert michan eine Beobachtung der betrieblichenTechnologieforschung. Im Managementwerden neue Technologien oft zunächstdeutlich überschätzt, dann folgt die Ernüchterungund damit verbunden einePhase der ebenso deutlichen Unterschätzung.Die Diskussion um die Deutungshoheitder Neurowissenschaftenverläuft ähnlich und hat zudem meinerMeinung nach oft einen Strohmanncharakter.Man baut einen Hype alsStrohmann auf, um ihn dann zu entkräften.Ich glaube, dass dies ganz normaleKorrekturprozesse sind und die Hirnforschungsich in den Wirtschafts- undSozialwissenschaft ähnlich etablierenwird, wie die Psychologie.Wenn es bei der Neuroökonomie nunum die Analyse der kopfmäßigenKonsumentscheidung geht, könnenSie erklären, wie Werbung wirkt?Generell wirken erfolgreiche Marketingmaßnahmenzunächst einmalbelohnend. Dieser Belohnungswertwird kodiert im Striatum. Die mit derKaufentscheidung verbundene Verarbeitungvon Preisinformationen wirktim Hirn hingegen aversiv. Dieser Preisschmerzwird verarbeitet und erzeugt inder Inselregion. Diese beiden Impulse– Belohnungswert und Preisschmerz


46<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Unter die Haut und ins Gehirn– laufen im präfrontalen Kortex zusammen, wo auch die Exekutions-bzw. Selbstkontrolle verortet ist. Dort wirken auchstarke Marken, die eine Kaufentscheidung dann noch einmalbeeinflussen können.Funktioniert das bei gutem Design auch?Gutes Design beeinflusst die Kaufentscheidung primärdadurch, dass es eine positive Reaktion im Striatum hervorruft.Es steigert daher den Belohnungswert eines Produktsund macht es attraktiv.Was empfehlen Sie für die Förderungtransformativer Produkte?Im Normalfall einer Kaufentscheidung sollte gelten: Belohnungswertist größer als Preisschmerz (BW > PS). Bild: P. Kenning.Nicht nur rational, sondern auch emotional kommunizieren,die Produkte möglichst belohnend gestalten und nachMöglichkeiten suchen, den Preisschmerz der Kunden möglichstgering zu halten.Wie funktioniert das bei Produkten, die aufgrund ihrerfairen, ökologischen Herstellung meist teurer sind, zumBeispiel bei Lebensmitteln aus ökologischem Anbau?Wenn der Belohnungswert der Produkte für den Kundennicht ausreicht, den Preisschmerz zu reduzieren, kannman versuchen, durch auf den Preis gerichtete Maßnahmendiesen zu relativieren. Ein Beispiel sind Referenzpreise.Hierbei zeigt man den Kunden, was die Produkte normalerweisekosten würden. Dabei kann man auch daran denken,die externen Kosten alternativer Produkte zum Vergleich zukommunizieren.Neurale Wirkung eines attraktiven Verpackungsdesigns.Bild: P. Kenning


47<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Unter die Haut und ins GehirnMeinen Sie, dass das ausreicht?Diese Art der Preiskommunikationist nicht einfach, es wird möglicherweiselange brauchen, bis der Kunde siegelernt hat. Eine Chance wäre, wenn dieVoraussetzungen für das Verständnisschon in der Schule geschaffen würden.Eine alternative Möglichkeit bestündein regulatorischen Maßnahmen umetwaige falsche Preisrelationen zu korrigieren,weil darin die externen Effektebestimmter Produkte nicht korrekt erfasstsind.Warum wählt unser Kopf günstigeProdukte aus, die eine kürzereLebens dauer haben, gegenüberdenen, die eine wesentlich bessereÖko bilanz und langfristig auch bessereökonomische Bilanz haben?Ich glaube nicht, dass dies so unbedingtgilt: Nur etwa zehn Prozent derMenschen sind fixiert auf Neues. DieseNovelty-Seeker sind ein überschaubaresMarktsegment. Wichtiger ist in diesemKontext der Aspekt der Differenzierung.Wie mache ich den Kunden klar, dassdas Produkt länger haltbar ist? Wennder Kunde diesen Zusatznutzen nichtunmittelbar erkennen kann, ist die Positionierungschwierig. Siehe Automobilwerbung:Mercedes, VW, niemandwirbt mit langer Lebensdauer. Das isteine Marktnische, die die Firmen weiterentwickeln müssen. Lebensdauer undReparaturfähigkeit als Differenzierungsmerkmalewerden aber interessanter,denn diese Kultur des Reparierens, desSelbermachens gewinnt an Bedeutung.Prof. Dr. Peter Kenning leitet den Lehrstuhlfür Marketing der Zeppelin Universitätin Friedrichshafen am Bodensee.Er war einer der ersten Wissenschaftlerweltweit, der bildgebende Verfahrenzur Erforschung ökonomisch relevanterEntscheidungen einsetzte.


48 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>»Es gibt irgendeine verborgene<strong>Trans</strong>formation, die aus einemGedanken ein Molekül macht. Die<strong>Trans</strong>formation benötigt keineZeit und geschieht nirgends – sievollzieht sich durch das bloßeEntstehen eines Impulses imNervensystem.«Deepak Chopra (* 22. Oktober 1946), Internist, Endokrinologe und populärer zeitgenössischer Autor von Büchern über Spiritualität,alternative Medizin und Ayurveda.


50<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Mit Systemsprüngen zu ressourcenleichten LebensstilenNicht die Verhinderung des Klimawandels,sondern regionale Anpassungsstrategiengewinnen aktuell an politischstrategischerBedeutung. Nicht dieReduktion des Ressourcenverbrauchs,sondern die Suche nach und die Explorationvon neuen Quellen erfahren verstärktpolitisch-strategische Aufmerksamkeit.Die globale Ressourcen- undKlimaproblematik bleibt damit auchnach 20 Jahren intensiver Debatten umeine nachhaltige Entwicklung akut undungelöst. Aufgrund der wachsendenWeltbevölkerung, dem ökonomischenWachstum der Schwellen- und Entwicklungsländerund der damit verbundenenfortschreitenden Industrialisierungsowie nachholender Konsummuster isteine schnelle und tiefgreifende Lösungauch weiterhin nicht in Sicht. Darüberhinaus mehren sich die Anzeichen, dieauf eine dauerhaft volatile Wirtschaftsentwicklungdeuten. Begleitend und getriebendurch die sozio-kulturellen undökonomisch-politischen Folgen der informationstechnischenDurchdringungder Arbeits- und Lebenswelten werdenweitere tiefgreifende Umbrüche in denglobalen, ökonomischen Austauschprozessenerwartet.Bisherige Maßnahmen und Strategien,den Klimawandel oder die Verknappungder Ressourcen zu verlangsamen,sind vor dem Hintergrund deroben genannten zentralen Treiber alsungenügend anzusehen. Insbesonderesind die Anstrengungen zur Steigerungder Ressourceneffizienz unzureichend,angesichts der sogenannten Rebound-Effekte. Die bisherigen Effizienzsteigerungenwerden durch Verbrauchssteigerungenmehr als kompensiert, sie sindzu gering, um ein gesamtgesellschaftlichesUmsteuern in Gang zu setzen.Vor diesem Hintergrund haben dieFragen, wie gesellschaftliche Systemevorausschauend auf diese Unsicherheitenreagieren und wie langfristige<strong>Trans</strong>formationsprozesse politisch gestaltetwerden können, eine hohe undnicht nur wissenschaftliche Brisanz. Derpolitische Handlungsdruck wächst unddie letztlich nicht mit Sicherheit zu beantwortendeFrage, wie viel Zeit bleibt,um wirksam die Folgen des Klimawandelsund der Ressourcenverknappungzu bewältigen, führen zu Überlegungen,ob nicht auch und unter welchen BedingungenSystemsprünge in eine ressourcenleichteGesellschaft vorstellbar sind.Zehn Tonnen sind leichtGenau dieser Fragestellung widmetsich das in diesem Sommer gestarteteForschungsprojekt „Erfolgsbedingungenfür Systemsprünge und Leitbildereiner ressourcenleichten Gesellschaft“des Umweltbundesamtes, das unter Federführungdes Wuppertal Instituts fürKlima, Umwelt, Energie und mit Beteiligungvon Z_punkt The Foresight Companyund sociodimensions umgesetztwird. Der klare Fokus der Untersuchungliegt dabei auf den Veränderungsmöglichkeitenvon Lebensstilen undAlltagsroutinen.Auf dem Weg zu einer ressourcenleichtenGesellschaft wandeln die Menschenihre Lebensstile so um, dass sieihren Ressourcenverbrauch im Mittelauf 10 Tonnen pro Kopf und Jahr TMC(= Total Material Consumption) reduzieren,so die Definition des WuppertalInstituts. Der gesamte Materialverbrauchumfasst sämtliche nachwach-


51<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Mit Systemsprüngen zu ressourcenleichten Lebensstilensenden und nicht nachwachsendenRohstoffe sowie die Bodenerosion inder Landwirtschaft, die der Konsum ineinem Land verbraucht bzw. verursacht.In Deutschland liegt der Pro-Kopf-Verbrauchderzeit bei 60 Tonnen pro Jahr,in Italien bei 30 Tonnen, in den USA bei75 Tonnen, in der EU im Durchschnittbei 45 Tonnen.Die möglichen Wege in eine ressourcenleichteGesellschaft sind vonden bekannten Konzepten einer Steigerungder Effizienz geprägt. Sie sollenerweitert und anschlussfähig werden füreine Verbreitung suffizienter Lebensweisenoder einer Ausrichtung unsererProduktions- und Konsummuster ankreislaufwirtschaftlichen Ansätzen (z.B. Cradle-to-Cradle). Neben diesen– durchaus nicht trivialen – technologischenund organisationalen Veränderungenist eine <strong>Trans</strong>formation solchenAusmaßes auf umfassende soziale Veränderungenangewiesen. Nicht seltenist ein Aufbrechen liebgewonnener Routinenund gesellschaftlicher Strukturenerforderlich, um die nötigen Weichenstellungenzu treffen.Leichtes Lebenist nicht schwerEntscheidend für die Akzeptanz transformativerEntwürfe ist unter anderemeine Grundhaltung, die die Pioniere der<strong>Trans</strong>formation dabei selber einnehmenund von der Gesellschaft auch abverlangen.Dabei ist es wichtig, den Bürgerund Konsument nicht als Objekt, sondernals Subjekt von Systemsprüngenin Richtung einer ressourcenleichtenGesellschaft zu gewinnen. Starthilfe liefernsicher auch Experimentatoren, dieschon heute das Morgen vorleben undihre Erfolge in den Netz-Communitiesbereitwillig mit anderen teilen. Ist früherRobert Jungk mit seinem „Katalog derHoffnung“ als Wegbereiter für eine mitzu gestaltende Zukunft aufgetreten, sopropagiert Harald Welzer es heute mitseiner „FuturZwei Stiftung“, Niko Paeches mit seiner Postwachstumsökonomie.Beispiele, wie ein Jahr lang mit nur100 anstatt mit den üblichen 10.000Besitzgegenständen zu leben, Wasseraus der Leitung statt aus Flaschen zutrinken oder Dienstwagen durch Dienstfahrräderzu ersetzen, zeigen bereitsim Kleinen, wie das Große individuellnachvollziehbar erreicht werden kann.Es geht um inszenierte Veränderungender Alltagsroutinen, eingebettet undgetragen von Leitbildern, die nicht aufVerzicht oder Rückschritt basieren, sonderneine neue <strong>Form</strong> der Lebensqualitätdefinieren. Keime einer ressourcenleichtenGesellschaft finden wir bereitsheute. Ob und wie solche Ansätze zuSystemsprüngen führen können, welcheBeispiele und Erfahrungen es dafürgibt, steht im Fokus der anstehendenAnalysen.Die große <strong>Trans</strong>formation zu einerressourcenleichten Gesellschaft ist einhistorisch einmaliges Experiment. Wirbrauchen dazu kreative Lernprozesseund eine flexible und von den Akteurenaus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaftmitgestaltete Anpassung vonMaßnahmen und Zielsetzungen.Klaus Burmeister und Holger Glockner sindMitglieder der Geschäftsleitung von Z_punktThe Foresight Company in Köln, Maria Schnurrist dort Foresight Consultant mit den SchwerpunktenMobilität und Nachhaltigkeitsstrategien.Holger Glockner schrieb in der factorySelbermachen „über DIY – Konturen einer neuenLebens- und Wirtschaftskultur“


52 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>»Die wenigsten Menschenverstehen sich darauf, Ursachenzu beeinflussen. Die meistenvergeuden ihre Zeit mit demaussichtslosen Versuch, Wirkungenzu verändern.«Peter Hohl (*1941), deutscher Journalist und Verleger, Redakteur, Moderator und Aphoristiker.Quelle: »Lieber ein Optimist, der sich mal irrt...«


53<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>Denn sie wissen,was sie tun<strong>Trans</strong>formationale Produkte reduzieren denRessourcenverbrauch. Sie laden ihre Nutzerzu einem ressourcenleichten Lebensstilein, erzwingen ihn aber nicht. Sie spielenmit Gewohnheiten und bieten Alternativen.Sie zeigen, wie Produktdesign Verhaltentransformieren kann.© istockphoto.comVon Matthias Laschke und Marc Hassenzahl


54<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Denn sie wissen, was sie tunOb Stromverbrauch, Wasser für dieheiße Dusche oder Sprit für das allzupraktische Auto. Allen Nutzern scheintklar: Diese Verbräuche gilt es zu reduzieren.Über das Wie kann man sichstreiten. Eine Strategie ist das Verwenden„nachhaltiger“ Technologien undProdukte. Energiesparlampen, wassersparendeDuschköpfe oder spritsparendeAutos fallen in diese Kategorie. Siesollen gewährleisten, dass Ressourcenmöglichst effizient genutzt werden. Unglücklicherweisemündet eine effizienteTechnologie nicht automatisch auchin nachhaltigen Gebrauch. Haushaltsgerätewurden beispielsweise seit den1980er Jahren immer effizienter. Trotzdemstieg der Energieverbrauch dieserProduktkategorie. Konsumenten legensich größere oder gar mehr Geräte zu –sie sind ja jetzt so sparsam. Ein wenigwirken nachhaltige Technologien wieein Ablass. Zudem verhindern sie, dassMenschen ressourcenschonendes Verhaltenerlernen, es als wertvoll erachtenund auf andere Situationen übertragen.Technologie-getriebene Nachhaltigkeitversucht „schlechte Gewohnheiten“ zukompensieren, anstatt „gute Gewohnheiten“zu etablieren oder gar Einsichtzu fördern. Es gibt zwar immensestechnologisches Potential zur Nachhaltigkeit,aber am Ende entscheidet ebendoch individuelles Verhalten.Über die Pflichtzur Einsicht ...Die zentrale Frage also ist, wie könnenMenschen zu nachhaltigerem Umgangmit Ressourcen gebracht werden? Hiergibt es verschiedene Strategien. Mankann natürlich vorschreiben und bestrafen(siehe auch Bernd Draser in dieserfactory, Seite 20). Die Folge ist meistensReaktanz. So regt sich das NachrichtenmagazinDer Spiegel aktuell über den„Nanny-Staat“ auf, der seinen Bürgernnichts mehr zutraut und jede Kleinigkeitreguliert. Und in der Wochenzeitung DieZeit macht man sich über die grünenWeltverbesserer mit ihrem Pflicht-Veggie-Tagfür deutsche Kantinen lustig.Eine andere Strategie ist das Informieren.Hier sind besonders interaktiveTechnologien interessant, da sie individuelleRückmeldung über eigenesVerhalten geben können. Sie zeichnenInformationen auf, stellen sie dar undrufen sie so ins Bewusstsein. Sie wollenim wahrsten Sinne des Wortes Einsichtgeben in eigenes Verhalten und seineKonsequenzen. Ein Beispiel ist dieschwedische Energy Aware Clock vonBroms und Kollegen (Abbildung 1). Siedokumentiert den Stromverbrauch imHaushalt und zeigt ihn an. Doch diebloße Einsicht, dass man zu viel Stromverbraucht, reicht oft nicht aus, um entsprechendesVerhalten konkret zu ändern.Wie und wann soll ich mich dennanders verhalten? Das kann mir auchdie Uhr nicht sagen.… zum transformationalenObjektHier setzen unsere transformationalenObjekte an. Diese Objekte verkörpernhilfreiche Strategien (z. B. mit demFahrrad statt mit dem Auto zu fahren),die einem bestimmten Ziel zuträglichsind (z. B. weniger CO 2-Emissionen zuverursachen). Wir „materialisieren“diese Strategien in <strong>Form</strong> von Objekten,da Objekte bestimmen, wie wir mit derWelt interagieren. Mit einem schnellen


55<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Denn sie wissen, was sie tunAuto können wir natürlich unserem„Wunsch“ nach sportlichem Fahrenfrönen. Gleichzeitig bringt es uns aberauch erst auf die Idee, dass sportlichesFahren Spaß machen könnte. <strong>Trans</strong>formationaleObjekte kennen unsere„schlechten Gewohnheiten“ und wissen,wann wir anfällig sind. In diesenMomenten kommentieren sie diesesVerhalten und konfrontieren uns mitHandlungsalternativen. Das erzeugtReibung. Und diese gilt es so zu gestalten,dass die „Einwände“ des Objektesals berechtigt, freundlich, und charmantverstanden werden. <strong>Trans</strong>formationaleObjekte schreiben nicht vor und sindkeine Besserwisser. Sie sind naive, kleine,aber machtvolle Dinge. Machtvoll,weil Sie nicht bei abstrakten Problemenund Zahlen ansetzen, sondern bei alltäglichemHandeln und seiner konkretenVeränderung. Es ist eben ein weiterSchritt vom Wissen über, sagen wir,globale Erwärmung bis zur alltäglichenEntscheidung – Auto oder Fahrrad?Wie sehen solche Objekte ausund was tun sie? Die kleine RaupeImmersatt besteht aus einem Verlängerungskabelmit einem Stoffsack amsteckbaren Ende. Um weniger Stromzu verbrauchen, wäre es hilfreich, alleGeräte im Standy-By auszuschalten. DieRaupe wird zwischen der Steckdose inder Wand und einem Verbraucher mitStand-By, beispielsweise einem Fernseher,platziert. Die Raupe hat drei Modi:Bei Stromverbrauch durch reguläre Nutzungatmet die Raupe ruhig. Wird dasGerät in Stand-By geschaltet, fängt siesich an zu winden. Sie leidet unter derEnergieverschwendung. Man kann ihrnur helfen, indem man den Fernsehervollständig ausschaltet. Die Raupe bautauf das menschliche Bedürfnis, sich umlebendige, „leidende Dinge“ zu kümmern.Sie erwischt ihren Nutzer in einerkonkreten Situation bei einer schlechtenGewohnheit und legt eine hilfreicheStrategie eindringlich, aber auch charmantnahe. Die Entscheidung über ihrSchicksal (und damit auch das Schicksaldes Stroms) überlässt die Raupe allerdingsdem Nutzer. Er hat die Freiheit,die Qual der Raupe zu beenden oderden Strom weiterhin zu verschwenden.Unsere Studien zeigen, dass die Raupeverglichen mit einer schaltbaren Mehr-Die Energy Aware Clock zeigt den Stromverbrauch überden Tag. Photo_by_Interactive_InstituteDie kleine Raupe Immersatt windet sich. Sie hasstunnötigen Stromverbrauch.Der Schlüsselmoment zeigt uns, dass wir die Wahlhaben.


56<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > Denn sie wissen, was sie tunfachsteckdose mehr emotionalisiertund ein deutlich höheres Veränderungspotentialzugeschrieben wird.Der Einwand der DingeEin anderes Beispiel ist Der Schlüsselmoment.Hat man das Ziel, etwas für dieUmwelt zu tun, sollte man sich vor jederFahrt mit dem Auto fragen, ob man diegeplante Strecke auch mit dem Fahrradzurücklegen könnte. Doch leider stelltsich diese Frage meist gar nicht. Mangreift routiniert nach dem Autoschlüsselund fährt einfach los. Hier kommt derSchlüsselmoment ins Spiel. FahrradundAutoschlüssel hängen nebeneinanderan einem Schlüsselbrett. Nimmtman den Fahrradschlüssel ist alles inOrdnung. Nimmt man allerdings denAutoschlüssel, bekommt man den Fahrradschlüsselvor die Füße geworfen.Man hebt ihn dann natürlich auf. Mitbeiden Schlüsseln in der Hand mussman sich nun erneut entscheiden – esentsteht ein Schlüsselmoment. Gibt esgute Gründe, sich für das Auto zu entscheiden?Der Einwand des Schlüsselbrettserzeugt Reibung. Aber es ist auchverständnisvoll. Einmal entschieden,kann jeder der beiden Schlüssel auchwieder an seinen Platz gesteckt werden.Ohne Rechtfertigung und Zwang. Mankönnte die Schlüssel sogar vertauschenund das System damit täuschen. DieseTricksereien sind sogar gewollt. Denn solernt man schnell: Man kann zwar dasSystem, aber nicht sich selbst überlisten.Die vorgestellten <strong>Trans</strong>formationalenObjekte folgen einer „Ästhetikder Reibung“. Es werden Gewohnheitenunterbrochen, Alternativen zur Wahlgestellt, aber auf eine möglichst charmanteArt und Weise. Denn von Menschenwie von Dingen, die man mag,nimmt man gerne einen Rat an. Die Forschungsfragen,die sich aus der Beschäftigungmit technologisch-vermittelterEinstellungs- und Verhaltensänderungergeben, sind reichhaltig. Wir untersuchenbeispielsweise in Zusammenarbeitmit BMW die Möglichkeiten, achtsamenund respektvollen Umgang im Straßenverkehrzu fördern. Und natürlichbietet die Nachhaltigkeitsforschunghier viele Möglichkeiten. Letztlich mussdas menschliche Verhalten nachhaltigerwerden, Konsumstile müssen sichverändern. Und das ist zunächst einepsychologische und erst dann eine technologischeHerausforderung.Matthias Laschke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter inder Arbeitsgruppe „Erlebnis und Interaktion“ im FachbereichGestaltung der Folkwang Universität der Künste inEssen. Prof. Dr. Marc Hassenzahl ist Psychologe und leitetdie Arbeitsgruppe „Erlebnis und Interaktion“.© istockphoto.com


57 <strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong>»Die Umgestaltung ist keinSpaziergang auf einem planiertenWeg. Es ist die Besteigung einesBerges, häufig auf Pfaden, dienoch nie jemand begangen hat.«Michail Sergejewitsch Gorbatschow (* 2. März 1931) vor dem ZK-Plenum im Januar 1987.


58<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > In der Werkstatt der guten GedankenIn der Werkstattder guten GedankenClaudius Lazzeroni ist Professor fürInterfacedesign an der Folkwang Universitätder Künste in Essen. In seiner Werkstatt lernenangehende Designer, wie sie neue Medien undMaterialien nutzen können, um transformativeund transformationale Produkte zu entwickeln.Dinge, die stören, spielen für ihn beim Wandel einewichtige Rolle, erzählt er im Interview mitRalf Bindel.© Sergey Nivens - Fotolia.com


59<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > In der Werkstatt der guten GedankenHerr Professor Lazzeroni, Sie habeneine Werkstatt an der FolkwangUni. Was machen Sie da?Es ist eine interdisziplinäre Werkstatt,die versucht, die aktuellen Technologienden unterschiedlichen Disziplinennäher zu bringen. Wir habenzum Beispiel eine alte Strickmaschineaus den Achtziger Jahren, die aberprogrammierbar ist. Damit könnenwir relativ einfach Bilder durch Algorithmenerzeugen und diese nicht nurauf dem Bildschirm anzeigen lassen,sondern in weitere Medien wie Gewebeüberführen.Was bringt es denn, auf derMaschine zu stricken?Es gibt eine aktuelle Diplomarbeitvon Nora Peters, die das nutzt. Übereine Website lassen sich Kurznachrichtenfür die Strickmaschine in Auftraggeben. Die werden mit Symbolen undOrnamenten als Schlauch oder Schalgestrickt und zieren dann Laternenmastenoder Bäume. Weil sie ungewöhnlicheMuster und einen Text haben undsehr aufwändig gestrickt sind, wirkensie ganz außergewöhnlich. Sie habeneine seltsame Perfektion innerhalb dieseshandwerklichen Materials, sind aberauch im Stadtbild irgendwie festgenähtund absurd, sie irritieren und kommunizierenzugleich.Ist die Werkstatt eine ArtTechnologie-Hacker-Labor?Die Strickmaschine ist nur einTeil, es gibt einen Lasercutter, einen3D-Drucker, man kann mit Ton, Metalloder Holz arbeiten. Wenn wir etwasbenutzen dann immer im Kontext deselektronischen, generativen Gestaltens.Ausgeführt wird es dann meist analog,in den Raum zurück, als 3D-, gebranntes,gestricktes, geschnittenes Objekt.Es ist haptisch und taktil erfahrbar, derProduktionsprozess ist aber ein digitaler.Wir machen auch viel mit Klang,Klangobjekten...Und interdisziplinär heißt, dass ...... da Kunstpädagogen, Fotografen,Kommunikationsdesigner, elektronischeMusiker, Tänzer, alle, die auf einerKunsthochschule wie der FolkwangUniversität studieren, mit anderen alsden eigentlich monodisziplinär erlerntenStudienmedien fächerübergreifendarbeiten können.Entstehen da eher künstlerisch experimentelleArbeiten oder haben dieauch etwas mit realen, nützlichen,verkaufbaren Produkten zu tun?Ich selber bin Medienkünstler, ichbringe den Studierenden künstlerischeMethoden bei, eine Art Wahrnehmungslehre,gestalterische Grundlagen, wieman überhaupt zu Ideen kommt, wieman Kreativitätsprozesse entzünden© Nora Peters


60<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > In der Werkstatt der guten Gedankenkann, Dinge zu hinterfragen, etc. Wasdie daraus machen, ist vollkommen unterschiedlich.Manche werden Künstler,weil sie das auf einer Kunsthochschuleauch werden wollten, aber es gibt aucheinige, die gute Jobs in renommiertenAgenturen erhalten oder sich als Designerselbständig machen.Woran liegt das?Die Arbeitgeber wollen heutzutageLeute, die eine besonderes Sicht auf dieDinge haben. Es gibt aber eher wenigerBerufsanfänger, die gute Ideen haben,mit Inhalten kommen, oder in außergewöhnlicherWeise, mit Medien undmit Kommunikation umgehen. Insofernhabe ich die Erfahrung gemacht, dassAbsolventen, die experimentelles Arbeitengelernt haben, immer positiv aufgenommenwurden in der Business-Welt.Führt eine künstlerisch,experimentelle Ausbildungzu besseren Produkten?Das kann man sicher nicht so allgemeinsagen. Aber ich weiß, was esbedeutet, für Kunden große Aufträge zubewältigen, und zu wissen, dass mannur drei Prozent seiner Innovationskraftdort einsetzen kann, weil die Kundensich scheuen, die Zielgruppe zu überfordern.Es ist klar, dass am Ende des Tagesnicht viel übrig bleibt, aber dass manmit einer gewissen Innovationskraftstartet, ist ganz wichtig.Nennen Sie doch mal ein Beispiel.Ein Beispiel sind die transformationalenProdukte, die im neuenMasterstudiengang „Experience andInteraction“ entstehen. Professor MarcHassenzahl ist Psychologe, ich bin Medienkünstler,und wir bilden Designeraus, die im Kontext „Experience andInteraction“ ihre Masterarbeiten entwickeln.Das sind ganz handfeste Problemstellungen,die aber dadurch, dassman anders herangeht, auch andersgelöst werden. Wie der Schlüsselmoment(siehe Seite 55) oder die Erweiterungdes Fahrassistenten von BMW zueiner fahrkontextsensitiven, sozialenKommunikationszentrale.Viele sagen, wir brauchen keineProdukte mehr, die Material undRessourcen verbrauchen, wir brauchenstattdessen Dienst leistungen,die diese vermeiden, wir müsseneigentlich versuchen, den Materialverbrauchzu reduzieren.Das steckt ja alles mit drin. Mitsmarten Textilien lassen sich alteGhetto blaster zu modernen HiFi-Anlagenumbauen und die alte Anlage wirdrecycelt. Ebenso haben wir mit neuartigenStoffen und Elektronik einen Handschuhentworfen, der Gebärdensprachehörbar macht, damit können Stummesich verständigen. Wenn ich mich mitdem Schlüsselmoment häufiger für dasFahrrad entscheide, schone ich die Umwelt.Das Beispiel für BMW wäre eineklare Dienstleistung, da würde nichtsneu produziert, sondern ein bisheriges,teuer produziertes, verändert. UnsereProdukte sind keine im klassischenKontext.


61<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > In der Werkstatt der guten GedankenWie kommen die Studierendenmit der Herausforderung zurecht,eine ressourcenleichteProduktwelt zu entwerfen?Die Studierenden von heute studierenviel zu früh. Es gibt keine Wehrpflichtmehr, kein verpflichtendes sozialesJahr, die wenigsten machen vorherPraktika. Die Verkürzung der Schulzeithat das noch verstärkt. Das heißt, diehaben keine Ahnung. Viele wissen nichtmal den Unterschied zwischen Industrie-und Kommunikationsdesign. Undjetzt kommen manche daher und wolleneinfach nur geile Autos designen ...Tatsächlich? Ich dachte, dieseZeiten sind längst vorbei.Die sitzen im Seminar und zeichnenFrontspoiler. Und denen muss mandann klar machen, dass vielleicht derIndividualverkehr auf dem falschenPfad ist. Das ist echt so absurd. MeinBeitrag ist, ihnen eine Wahrnehmungbeizubringen, dass da draußen nochetwas anderes existiert, als sie durchdie mediatisierte Welt erfahren haben.In der Hoffnung, dass es ein paar annehmen.Die restlichen wollen immernoch geile Autos bauen. Es ist ein Punkt,überhaupt erstmal diese Offenheit dafürzu bekommen.Sie sagen also, dass mitder Beschäftigung mittransformationalen Produktenauch bessere Designer bessereProdukte schaffen.Die Erfahrung zeigt, dass diejenigen,die sich damit beschäftigt haben,jetzt gute Jobs haben.Disruptive Produkte, die einenWandel durch Irritation erreichensollen. Wie die Tagsüber-Nachtigall,die Klaviertreppe. Kann ich durchIrritation ein Nachdenken überbestimmte Lebensstile erreichen?Das ist schon sehr positiv gedacht.In erster Linie erreiche ich, dass jemanddas iPhone zückt, es fotografiert oderfilmt, auf Youtube oder Facebook stelltund schreibt „geil“. Das Nachdenkendarüber passiert nur bei einer ganz kleinenMinderheit. Und dann noch nichteinmal so, dass man etwas davon mitbekommt.Im Industriekontext ist das einsehr altes Prinzip: Irritation in der Werbung,um irgendwie Aufmerksamkeit zuerregen, damit Menschen dreimal mehrauf die Marke schauen. Siehe Benetton,blutverschmierte T-Shirts. Jetzt ist esdurch technologische Mittel nur etwaspointierter, weil man auch kleine Zielgruppenpassgenau erreicht, aber in derSache ist das genau das Gleiche. Ich macheauf die Marke aufmerksam, in demich ein Aha-Erlebnis auslöse. Das istrelativ banal und ich glaube nicht, dasses dadurch zu einem Reflexionsprozesskommt.Also mehr Unterhaltung als Reflexion?Wir leben in einer absoluten Unterhaltungsgesellschaft,die auch nochdanach giert. Die Masse nimmt das alsUnterhaltung wahr. Es gibt eine kleineMinderheit, die dadurch bewusster reagiert,aber nicht die Masse.Was wäre denn der Weg zu mehr<strong>Trans</strong>formation, wenn nicht über dieMinderheiten, die transformationaleoder irritierende Produkte verstehen?Das Wichtigste wäre, wenn mandas elende Schulsystem verändernwürde. Wenn man die Fähigkeit zu


62<strong>Trans</strong>-<strong>Form</strong> > In der Werkstatt der guten GedankenWahrnehmung und Reflexion und dasAufbringen konsumkritischer Thematikenin der Schule verbessern würde.Die Eltern sind damit total überfordert,aber in der Schule wäre es absolut angebracht.Das wäre phänomenal, das würdewirklich Dinge nachhaltig verändern,würde auch die Auseinandersetzungmit der ganzen Problematik fördern,aber nicht über so kleine Spitzen, überdie ich im Alltag stolpere.Keine Ästhetisierung oderKulturalisierung der Gesellschaftdurch Irritation sondern eineErhöhung der Fantasie- oderReflexionsfähigkeit der Jüngsten.Diejenigen, die diese Fähigkeit haben,können solche Dinge auch anderswahrnehmen, weil sie wissen, was siedamit machen könnten.Aber Irritation und Störung spielendoch auch in den Produktenihrer Werkstatt eine Rolle.Diese Irritationen sind alles didaktischeMittel. Ich habe ganz vieleProjekte, in denen so etwas stattfindet.Zum Beispiel in kleinen Photovoltaikmodulendie mit einem Klangerzeugergekoppelt sind. Die haben einen Wertvon 2,50 Euro und sind winzig, mit einemMagneten gekoppelt, die kann manwie ein „Throwie“ zum Beispiel an eineBrücke werfen. Wenn Sonnenlicht darauffällt, zwitschern die wie Vögel, anderewerden aufgeladen und zwitscherndann nachts.Elektronisches Vogelgezwitscher?Man kann jetzt sagen, das verbessertdie Welt nicht, aber es ist eindidaktisches Konzept um mit Freudeso was trockenes wie programmierenzu lernen. Wenn ich das zum Beispielin der Schule machen würde, wenn sieim Physikunterricht lernen würden, wiesie kleine elektronische Schaltungen zuVögeln zusammenbauen können, weilKinder daran Spaß haben, zu beobachten,wie Leute irritiert sind, weil sienachts Vogelgezwitscher hören, ... Diewürden so viel lernen über Elektronik,Programmieren und physikalische Prinzipien– weil sie Lust dazu haben. Gekoppeltmit diesem Erlebnis würde ihreWahrnehmung geschult, was bedeutetdas eigentlich, habt ihr eigentlich schonmal gemerkt, dass es Vögel gibt, die inder Stadt nachts zwitschern, weil es sohell ist, wie am Tag.Eine Wandel-Anleihe für die Zukunft.Man kann da soviel mit reinbringen.Darauf könnte man zum Beispielspäter in der Ausbildung ganz anders reagieren.Dann wird es eben komplexer,dann kombiniert man das mit den Fragestellungenaus anderen Disziplinenoder denen eines Auftraggebers, für dieein Produkt zu schaffen ist. Es ist mehrein didaktisches Konzept als ein Plädoyerfür mehr Irritation in der Welt.Prof. Claudius Lazzeroni ist ausgebildeterFotograf, diplomierterMediendesigner und arbeitete alsCreative Director bei Pixelpark.Seine eigene Agentur „im stall“pendelte zwischen Kunst undKommerz. Seit 1999 unterrichteter an der Folkwang Universität.


63 Impressumfactor y ist das Magazin fürNachhaltiges Wirtschaftenfactory steht für industrielle Produktion und Fabrik, aberauch für den Faktor Y, um den sich der Ressourcenverbrauchändern muss, damit nachfolgende Generationengleiche Bedingungen vorfinden. Dieses Nachhaltigkeitsverständnisschließt ein, dass es um alle Aspekte NachhaltigenWirtschaftens geht, also neben Produktion undDienstleistungen auch um die Seite des Konsums.factory will dazu beitragen, die Bedeutung der Unternehmenbei der Verwirklichung einer NachhaltigenEntwicklung der Gesellschaft deutlich zu machen undWirtschaftsakteure in die gesellschaftliche Debatteeinzubinden. Es geht dabei um eine ressourceneffizienteWirtschaftsweise und die Herausbildung nachhaltigerProduktions- und Konsummuster.factory erscheint kostenlos viermal im Jahr als PDF-Magazinund im Netz unter www.factory-magazin.defactory – Magazin fürNachhaltiges WirtschaftenISSN 1860-6229,9. Jahrgang Ausgabe 2.2013Redaktion:Inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 10 Absatz 3 MDStV:Ralf BindelAm Varenholt 123Tel. 0234-9799513rb@factory-magazin.deAnzeigen:rabe - medienbüroTel. 0234-9799513www.rabebuero.deEs gilt die Anzeigenpreisliste 1.2012Englische Übersetzung:Universität Mainz, Fachbereich Angewandte Sprach- undKulturwissenschaft, Institut für Anglistik, Amerikanistikund Anglophonie, Prof. Dr. Donald Kiraly & Studierendewww.fask.uni-mainz.deHerausgeberinnen:Aachener Stiftung Kathy BeysSchmiedstraße 3,52062 AachenTel. 0241-40929-0, Fax -20info@aachener-stiftung.dewww.aachener-stiftung.deEffizienz-Agentur NRWDr.-Hammacher-Straße 4947119 DuisburgTel. 0203-37879-30efa@efanrw.dewww.efanrw.deWuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbHDöppersberg 19, 42103 WuppertalTel. 0202-2492-0, Fax -108info@wupperinst.orgwww.wupperinst.orgGestaltung:Konzept: Oktober Kommunikationsdesign GmbH, Bochumwww.oktober.deUmsetzung:ubb Kommunikation, Bochum, www.ubb-kommunikation.deDruck:Circlematt White Matt gestrichen, Bilderdruck aus 100 %Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Umweltengel unddem EU-Eco-Label.Gebrüder Hoose GmbH, Druckerei und VerlagDie Beiträge in factory geben nicht zwingend die Meinungder Herausgeber wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte,Fotos und Materialien ist die Redaktion dankbar,übernimmt aber keine Gewähr. Das Copyright liegt bei denjeweiligen Autoren beziehungsweise der Redaktion; Nachdruckoder Vervielfältigung (auch auszugsweise) erlaubtbei Nennung des Autors und Link aufwww.factory-magazin.de.Mehr lesen und mehrService im NetzAbonnieren Sie unseren Newsletter, informieren Sie sichüber aktuelle News und Termine, lesen Sie einzelne Beiträgeund nutzen Sie weitere Service-Angebote. Folgen Sieuns bei Facebook und Twitter und verbreiten Sie factoryund die Idee des Nachhaltigen Wirtschaftens weiter.▶ www.factory-magazin.de▶ Abonnieren Sie unseren Newsletter


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