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Tageslichtlenkung mit hochreflektierenden Lichtschachtwänden ...

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ight & building 2006<br />

Frankfurt<br />

Fördergemeinschaft<br />

innovative Tageslichtnutzung<br />

Referent:<br />

Dr.-Ing. Eberhard Renner<br />

<strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong><br />

<strong>hochreflektierenden</strong><br />

<strong>Lichtschachtwänden</strong><br />

www.FiTLicht.de


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 1<br />

Wissenschaftliche Berichte Hochschule Zittau/Görlitz Nr. 2076 (2004), Heft 82<br />

<strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong><br />

<strong>Lichtschachtwänden</strong> im Forschungsobjekt Bautzner Straße 11<br />

in Zittau 2,3)<br />

Dr.-Ing. E. Renner 1)<br />

Zusammenfassung<br />

Lichtschächte sind senkrechte, hohe und schmale Einschnitte in Gebäude großer<br />

Grundfläche und dienen der Belüftung und auch der Tageslichtbeleuchtung innenliegender<br />

Räume. Die Grenzen zum Lichthof sind fließend.<br />

Lichtschächte sind seit der Antike bekannt, erfuhren eine Wiederbelebung in Mitteleuropa<br />

zur Zeit der Städtegründung und wurden seit dem bis zum Ende des 19. Jahrhunderts<br />

gebaut, danach meist nur noch in Form von Treppenhäusern <strong>mit</strong> einer Verglasung als<br />

Wetterschutz.<br />

Von der Antike bis zur Gegenwart bestanden bzw. bestehen die Oberflächen der<br />

Lichtschächte – abgesehen von den Fenstern der innenliegenden Räume - aus vorrangig<br />

diffus reflektierenden Materialien, nämlich aus Naturstein, hellen Fliesen oder Putz <strong>mit</strong><br />

weißem oder zumindest hellem Farbanstrich. Bei diffuser Reflexion wird das einfallende<br />

Licht bekanntlich gleichmäßig nach allen Richtungen reflektiert, also etwa zu 50 % wieder<br />

nach oben. Die Folge davon ist, dass in herkömmlichen Lichtschächten die horizontale<br />

Beleuchtungsstärke <strong>mit</strong> zunehmendem Abstand von der Schachtmündung stark abnimmt,<br />

eine hinreichende Versorgung <strong>mit</strong> Tageslicht nur im obersten Geschoß gegeben ist und in<br />

den darunter liegenden Räumen eine nahezu ganztägige Kunstlichtbeleuchtung notwendig<br />

ist.<br />

Eine hinreichende Beleuchtung <strong>mit</strong> Tageslicht auch der unteren, an den Lichtschacht<br />

grenzenden, innenliegenden Räume und da<strong>mit</strong> Verzicht auf Kunstlichtbeleuchtung am<br />

Tage ist nur möglich, wenn die Wände eines Lichtschachtes <strong>mit</strong> einem spiegelnd und dazu<br />

hoch reflektierenden Material belegt werden: Dann wird die auf die Wände des<br />

Lichtschachtes auftreffende natürliche Lichtstrahlung nur nach unten reflektiert, und es<br />

sind dann Beleuchtungsstärken im Lichtschacht zu erwarten, die zu einer fast „normalen“<br />

Tageslichtbeleuchtung und Besonnung der unteren, innenliegenden Räume führen. Es<br />

wurden dazu theoretische Untersuchungen und Messungen an einem Modell im Maßstab<br />

1:20 geführt, die der Vorbereitung der Verwirklichung im Forschungsobjekt Bautzner<br />

Straße 11 in Zittau dienten.<br />

1.) Dr.-Ing. Eberhard Renner ist Beratender Ingenieur und Bautechnischer Gutachter für Bauklimatik und<br />

Lehrbeauftragter an der TU Dresden, Fakultät Architektur, Institut für Bauklimatik.<br />

2.) Forschungsvorhaben gefördert durch BMWA; Förderkennzeichen 0329750O<br />

3.) Herrn Prof. Dr.-Ing. Henning Löber anlässlich seines 65. Geburtstages zugeeignet.


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 2<br />

1 Leuchtdichte und Tageslichtquotient im spiegelnden Lichtschacht<br />

1.1 Leuchtdichte der spiegelnden Schachtwände ohne Fenster<br />

Bei einem Lichtschacht <strong>mit</strong> senkrechten, spiegelnden Wänden ist der Horizontabstand ε<br />

(die Neigung gegen die Horizontale) des Lichtstrahles nach einer beliebigen Zahl von<br />

Reflexionen n konstant und gleich dem des durch die Schachtmündung einfallenden<br />

Lichtstrahles. Die Zahl der Reflexionen eines Lichtstrahles bis zum Abstand H unter der<br />

Schachtmündung lässt sich daher bequem in der Grundrissprojektion verfolgen. Das<br />

Verhältnis der Leuchtdichte der spiegelnden Wände L´(ε) zu der des Himmels L (ε) ist<br />

zunächst<br />

L´(<br />

ε)<br />

= F<br />

L(<br />

ε)<br />

G<br />

⋅ Πτ<br />

65<br />

⋅ρ<br />

n<br />

D65<br />

Darin bedeuten:<br />

L´(ε) die Leuchtdichte der Schachtwände gegen den Horizontabstand ε<br />

L (ε) die Leuchtdichte des Himmels über der Schachtmündung gegen ε<br />

FG den Glasflächenanteil der Schachtmündung,<br />

ΠτD65 das Produkt der Transmissionsgrade für Tageslicht aller hintereinander<br />

liegenden Schichten (Glas, Verschmutzung, eventuell Sonnenschutz u.a.m.),<br />

ρD65 den Reflexionsgrad der Schachtwände für Tageslicht,<br />

n die Zahl der Reflexionen eines Lichtstrahles von der Schachtmündung bis zur<br />

Höhe H unter der Schachtmündung.<br />

Die Anzahl der Reflexionen n hängt von der Höhe der betrachteten Ebene unter der<br />

Schachtmündung H, vom Horizontabstand des einfallenden Strahles ε und von der Lage<br />

des einfallenden Strahles in der Schachtmündung ab.<br />

1.1.1 Runder Lichtschacht<br />

In einem runden Lichtschacht bildet der Strahlengang in der Grundrissprojektion eine<br />

Folge von Sehnen. Die Anzahl der Reflexionen ist daher stark von der Außer<strong>mit</strong>tigkeit des<br />

Einfallsortes abhängig. Ein <strong>mit</strong>tig (in einen Durchmesser) einfallender Strahl hat die Anzahl<br />

von Reflexionen<br />

H<br />

=<br />

D ⋅ tanε<br />

n z (2)<br />

<strong>mit</strong> D = Durchmesser des Schachtes<br />

H = Höhe der betrachteten Ebene unter der Schachtmündung<br />

Die Anzahl der Reflexionen bei tangentialem Lichteinfall geht → ∞, da die Sehnenlänge<br />

dann → 0 geht. Die Integration über die Fläche eines runden Schachtes liefert für die<br />

<strong>mit</strong>tlere Anzahl von Reflexionen aller aus einem bestimmten Horizontabstand und aus<br />

(1)


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 3<br />

einer bestimmten Himmelsrichtung einfallenden Lichtstrahlen die <strong>mit</strong>tlere Anzahl von<br />

Reflexionen zu<br />

4 ⋅H<br />

=<br />

π ⋅D<br />

⋅ tanε<br />

n m (3)<br />

1.1.2 Rechteckiger Lichtschacht<br />

Im Gegensatz zum runden Lichtschacht konnte für den im Grundriss rechteckigen<br />

Lichtschacht keine geschlossene Lösung für die Anzahl der Reflexionen gefunden werden.<br />

Jedoch ergibt sich, dass die geringste Zahl von Reflexionen bei Lichteinfall parallel zur<br />

langen Seite, die größte Zahl von Reflexionen bei Lichteinfall in der oder parallel zur<br />

Diagonale entsteht. Es liegt da<strong>mit</strong> die Zahl der Reflexionen im Bereich<br />

H<br />

2H<br />

≤ n ≤<br />

B ⋅ tanε<br />

2 2<br />

B + T ⋅ tanε<br />

wenn<br />

B die Breite (längere Seite) des Lichtschachtes,<br />

T die Tiefe (kürzere Seite) des Lichtschachtes sind.<br />

Es lässt sich da<strong>mit</strong> zeigen, dass Gl.(3) <strong>mit</strong> sehr guter Näherung für rechteckige Lichtschächte<br />

übernommen werden kann, wenn man<br />

B + T<br />

D ≡ (5)<br />

2<br />

setzt.<br />

Unter der Voraussetzung einer Leuchtdichteverteilung des gleichmäßig bedeckten<br />

Himmels (Norm-Himmel entsprechend [1]) und einer nicht verbauten Schachtmündung<br />

ergibt sich dann die Leuchtdichteverteilung der Schachtwände zu<br />

L<br />

4H<br />

Z<br />

L ′ ( ε;<br />

ρ;<br />

H/<br />

D)<br />

= ⋅(<br />

1+<br />

2sinε)<br />

⋅FG<br />

⋅ ΠτD65<br />

⋅ρD<br />

65 π⋅D⋅tanε<br />

(6)<br />

3<br />

<strong>mit</strong> LZ = Zenitleuchtdichte des vollständig bedeckten Himmels.<br />

Gl.(6) gilt nur für Standpunkte und Blickrichtungen (Horizontabstand), bei denen eine<br />

Spiegelung des Himmels durch die Schachtwände auftritt. Bei Standpunkten und<br />

Blickrichtungen (in der Mitte des Schachtes), bei denen tanε>2 H / D ist, tritt keine<br />

Spiegelung auf, und es wäre in Gl.(6) der Exponent des letzten Faktors = 0 bzw. ρ=1 zu<br />

setzen. Diese Einschränkung hat praktisch keine Bedeutung für die Aussagefähigkeit von<br />

(4)


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 4<br />

Gl.(6), da ja die Leuchtdichteverhältnisse bei großem Abstand von der Schachtmündung<br />

interessant sind und dort das nicht an den Schachtwänden reflektierte, also sehr steil<br />

einfallende Licht wenig Bedeutung hat.<br />

Aus Gl.(6) geht u. a. hervor, dass das flach, also unter geringem Horizontabstand ε<br />

einfallende Licht wesentlich stärker geschwächt wird als das steil einfallende, ganz<br />

abgesehen von dem nicht reflektierten Anteil des einfallenden Lichtes (s. w. o.). Ein<br />

„schwarzer Horizont“ wird aber verhindert durch den immer vorhandenen Anteil diffuser<br />

Reflexion (s. Abschn. 2.0).<br />

Es ergibt sich aus Gl.(6) aber auch, dass <strong>mit</strong> zunehmendem relativen Abstand von der<br />

Schachtmündung H/D nicht nur eine allgemeine Verringerung der Leuchtdichte, sondern<br />

auch eine Veränderung der Leuchtdichteindikatrix von einer anfänglich noch nahezu diffus<br />

strahlenden hin zu einer <strong>mit</strong> H/D zunehmend tiefstrahlenden.<br />

Die praktische Folge davon ist, dass bei hohen Lichtschächten zwar deren Böden noch<br />

relativ gut beleuchtet sind, die seitlichen Fenster aber <strong>mit</strong> zunehmenden Abstand von der<br />

Schachtmündung H / D immer weniger Licht erhalten, falls dem nicht <strong>mit</strong> der Anordnung<br />

von zusätzlichen lichtlenkenden (z.B. lichtstreuenden) Elementen entgegengewirkt wird.<br />

1.2 Leuchtdichte der Wände im befensterten Schacht.<br />

In einem Lichtschacht, der nicht nur der Beleuchtung eines darunterliegenden Raumes,<br />

sondern auch oder vorrangig der Beleuchtung der seitlich an den Lichtschacht<br />

grenzenden Räume dient, in dessen Wände daher Fenster eingefügt sind, ist <strong>mit</strong><br />

erheblichen örtlichen Unterschieden des Reflexionsgrades zu rechnen. Da<strong>mit</strong> ergeben<br />

sich nahezu unüberschaubare Verhältnisse für die Leuchtdichteverteilung nach<br />

Standpunkt und Blickrichtung, und es kann <strong>mit</strong> einfachen Mitteln nur die räumlich <strong>mit</strong>tlere<br />

Leuchtdichte der Schachtwände Lm´ ausgewiesen werden.<br />

Unter der Voraussetzung hinreichend gleichmäßig über die Schachthöhe H und die<br />

Wände des Lichtschachtes verteilter Fensterflächen ist es zulässig, den Reflexionsgrad<br />

der Schachtwände ρD65 in den Gln.(1) und (6) durch einen räumlich <strong>mit</strong>tleren<br />

Reflexionsgrad ρm, D65 für Tageslicht zu ersetzen <strong>mit</strong><br />

ρD65,<br />

W ⋅ A W + ρD65,<br />

F ⋅ AF<br />

ρ m,<br />

D65<br />

=<br />

(7)<br />

A + A<br />

W<br />

F<br />

<strong>mit</strong> ρD65,W = Reflexionsgrad der spiegelnden Schachtwände<br />

AW = Fläche der spiegelnden Schachtwände<br />

ρD65,F = Reflexionsgrad der Fenster<br />

AF = Fensterfläche<br />

Unter Berücksichtigung von Gl.(6) ergibt sich der auf den Glasflächenanteil und das<br />

Produkt der Transmissionsgrade aller hintereinanderliegenden Schichten der Verglasung<br />

bezogene (relative)Tageslichtquotient im Lichtschacht zu


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 5<br />

F<br />

G<br />

DSch<br />

⋅ Πτ<br />

D65<br />

=<br />

6<br />

7<br />

⋅<br />

90°<br />

∫<br />

ε=<br />

0<br />

(sinε<br />

⋅cosε<br />

+ sin<br />

2<br />

ε ⋅cosε)<br />

⋅ρ<br />

m,<br />

D65<br />

4H<br />

π⋅D⋅tanε dε<br />

Bild 1: Verlauf des relativen, auf den Glasflächenanteil und das Produkt aller Trans-<br />

missionsgrade bezogenen Tageslichtquotienten über der relativen Schachthöhe<br />

H/D. Gemessene und nach Gl. (8) berechnete Werte für spiegelnde Schacht<br />

wände. Zum Vergleich ist der Verlauf des Schwächungsfaktors ke für Schacht-<br />

wirkung bei diffuser Reflexion nach DIN 5034 / 3 [2] hinzugefügt.<br />

Die Ergebnisse der numerischen Integration von Gl.(8) bis zu einer relativen Schachthöhe<br />

H/D = 5 (etwa entsprechend der relativen Höhe des Lichtschachtes im Forschungsprojekt<br />

Bautzner Straße 11 in Zittau) zeigt Bild 1. Es wurde ein hochreflektierendes Material <strong>mit</strong><br />

einem Reflexionsgrad ρ = 0,95 [3] angenommen. Die rechte Kurve zeigt die Ergebnisse für<br />

einen fensterlosen Schacht, die <strong>mit</strong>tlere die für einen Schacht <strong>mit</strong> 20 %<br />

Fensterflächenanteil <strong>mit</strong> ρmD65 = 0,8. Die linke Kurve beschreibt den Verlauf des<br />

Tageslichtquotienten in einem fensterlosen Schacht <strong>mit</strong> hoch, aber diffus reflektierenden<br />

Wänden (ρm,D65 = 0,8, weiße Farbe), berechnet nach [2]. Man sieht aus dem Vergleich<br />

deutlich, dass die tageslichttechnischen Vorteile spiegelnder Wände gegenüber weiß<br />

gestrichenen um so größer sind, je schlanker der Schacht ist bzw. je tiefer die betrachtete<br />

Ebene unter der Schachtmündung liegt.<br />

(8)


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 6<br />

2.0 Untersuchungen am Modell<br />

Zur Evaluierung der theoretischen Ergebnisse nach Abschn.1 und zur Beurteilung visueller<br />

Effekte wurde ein Modell des historischen Lichtschachtes und der angrenzenden Räume<br />

im Forschungsobjekt Bautzener Straße 11 im Maßstab 1: 20 gebaut. Der Lichtschacht hat<br />

einen nahezu rechteckigen Grundriss <strong>mit</strong> den ungefähren lichten Maßen 2,5 m x 3,6 m, ist<br />

senkrecht und reicht von der Decke des Erdgeschosses bis über das Dach. Er durchstößt<br />

das 1., 2. und 3. Obergeschoß sowie das Dachgeschoß. Seine Höhe beträgt 14,2 m;<br />

da<strong>mit</strong> erreicht die maximale relative Höhe H / D = 14,2 / 3,05 = 4,66. (vgl. Gl.(5). An seiner<br />

südlichen Seite liegt das Haupttreppenhaus, an den übrigen Seiten liegen Küchen, Bäder<br />

und Gemeinschaftsräume (für Studentische Wohngemeinschaften). Der Anteil der<br />

Fensterflächen an den Schachtwänden beträgt ca. 20 %. Bild 2 verdeutlicht <strong>mit</strong> einer<br />

Zentralperspektive des Schachtraumes von oben die räumlichen Verhältnisse.<br />

Bild 2: Vogelperspektive des Modells des Zittauer Lichtschachtes<br />

Für das geometrisch und beleuchtungstechnisch ähnliche Modell wurden als spiegelnde<br />

Oberfläche das Material MIRO 27 der Firma Alanod [3] verwendet. Es hat einen<br />

Gesamtreflexionsgrad von 95 % <strong>mit</strong> einem diffus reflektierten Anteil von < 6 %.<br />

Als Fenster wurden einfache Kunststoffscheiben in die Schachtwände eingesetzt; für<br />

Wände, Böden und Decken der angrenzenden Räume wurden für Wohnungen übliche<br />

Reflexionsgrade (0,2.....0.7) gewählt. Die Schachtmündung wurde aus messtechnischen<br />

Gründen nicht verglast. Als Lichtquelle diente eine hinreichend große, von oben<br />

beleuchtete Trübglasscheibe, deren Leuchtdichteverteilung der des gleichmäßig<br />

bedeckten Himmels nach [1] nahe kam. Modellbau und Messungen wurden im Rahmen<br />

zweier Seminararbeiten [4], [5] im Lehrfach „Tageslichtbeleuchtung“ am Institut für<br />

Bauklimatik der TU Dresden ausgeführt und vom Autor betreut.


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 7<br />

Auf eine Messung unter einem lichttechnisch autorisierten „Künstlichen Himmel“, wie er<br />

nur an wenigen Forschungseinrichtungen in Deutschland verfügbar ist, musste im<br />

finanziellen Rahmen des Forschungsprojektes verzichtet werden. Darüber hinaus wären<br />

dadurch zwar genauere Messwerte zu gewinnen gewesen, nicht aber höhere<br />

Erkenntnisse über die abzuleitenden baulichen und energieökonomischen Schlussfolgerungen.<br />

2.1 Messergebnisse<br />

Gemessen wurden horizontale Beleuchtungsstärken über der Schachtmündung und in<br />

verschiedenen Ebenen des Modellschachtes. Die sich daraus ergebenden relativen<br />

Tageslichtquotienten sind in Bild 1 eingetragen.<br />

Die Messergebnisse zeigen insgesamt eine gute Übereinstimmung <strong>mit</strong> den berechneten<br />

Werten: die größte relative Abweichung liegt bei -26 %. Bis auf einen Fall sind alle<br />

Messwerte kleiner als die berechneten Werte. Die Ursachen dafür liegen wohl in:<br />

- der notwendigen Vernachlässigung des (nur als Höchstwert bekannten) Anteiles<br />

diffuser Reflexion bei der Berechnung,<br />

- dem Einfluss der Halterung des Messkopfes auf die Reflexion im Schacht,<br />

- dem gegenüber realen Zweifachverglasungen geringeren Reflexionsgrad der im<br />

Modell eingesetzten Kunststoffscheiben.<br />

Da am Modell aus praktischen Gründen ohne Verglasung der Schachtmündung gemessen<br />

wurde, aber auch, um die Reflexionsverhältnisse im Schacht unabhängig von der<br />

Verglasung beurteilen zu können, ist der Tageslichtquotient bezogen auf die<br />

Lichtdurchlässigkeit der Verglasung. Unter Berücksichtigung des Glasflächenanteils, des<br />

Transmissionsgrades der Verglasung und deren Verschmutzung ergeben sich dann reale<br />

Werte des Tageslichtquotienten, die etwa um den Faktor 0,55 niedriger sind als die des<br />

eingetragenen relativen Tageslichtquotienten. Das bedeutet beispielsweise, dass am<br />

Boden des untersuchten Lichtschachtes immerhin noch ein Tageslichtquotient von ca. 14<br />

% vorliegt, ein Wert, der im innerstädtischen Bereich am Fußweg vor Wohnhäusern<br />

durchaus nur selten erreicht wird.<br />

2.2 Visuelle Auswertung<br />

Die visuelle Auswertung erfolgte <strong>mit</strong> einer sehr kleinen Fernsehkamera<br />

(Objektivdurchmesser ca. 25 mm). Da die Leuchtdichteübertragungsfunktion des Systems<br />

Videokamera – Bildschirm bzw. Drucker ohnehin keine Gerade ist, wurde bei den<br />

Aufnahmen von strengen Anforderungen an die lichttechnische Ähnlichkeit [6] abgesehen,<br />

um auch Situationen an Strahlungstagen <strong>mit</strong> einfachen Mitteln plausibel darzustellen. Bild<br />

3 zeigt den Modellschacht in der ersten, „leeren“ Version.<br />

Da dieses Bild vielfacher Spiegelung von Fenstern, Türen und Fugen der Bekleidungselemente<br />

dem Bauherren als visuell verwirrend erschien, wurde in einer 2.<br />

Version in die Mitte des Lichtschachtes eine (künstliche) grüne Girlande gehängt, deren in<br />

den Grundriss projizierte Fläche nur etwa 0,23 % der Grundfläche des Lichtschachtes<br />

einnimmt. Die verblüffende visuelle Wirkung zeigt Bild 4: Der spiegelnde Lichtschacht


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 8<br />

erscheint als Gewächshaus <strong>mit</strong> üppigem Pflanzenbewuchs. Diese visuell positive Wirkung<br />

lässt sich verstärken durch „dickere“ Girlanden, realiter auch durch ein sich an einer Kette<br />

schmal nach oben windendes Klettergehölz. Wie weit die Girlande den Tageslichtquotient<br />

im Schacht vermindert, konnte aus praktischen messtechnischen Gründen nicht er<strong>mit</strong>telt<br />

werden.<br />

Bild 3: Blick in den Modellschacht vom 2. Obergeschoss nach oben


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 9<br />

Bild 4: Blick in den Modellschacht <strong>mit</strong> <strong>mit</strong>tig hängender Girlande<br />

2.3 Untersuchung der Besonnungszeiten am Modell<br />

Obwohl an den Lichtschacht des Pilotprojektes nur Räume grenzen, für die die Forderung<br />

nach einer Mindestbesonnungszeit von 1 Stunde am 17. Januar nach [7] nicht gilt<br />

(Treppenhaus, Küchen, Bäder, Gemeinschaftsräume für Studenten), wurden im Interesse<br />

der Übertragbarkeit der Ergebnisse experimentelle Untersuchungen zur Besonnungszeit<br />

der Fenster geführt.<br />

Dazu wurde ein zweites, kleineres Modell des Lichtschachtes im Maßstab 1:100 gebaut<br />

und unter einem Sonnenschein-Simulator untersucht (vgl. Bild 5). Die Schachtwände<br />

wurden ebenfalls <strong>mit</strong> dem Material MIRO 27 [3] belegt und die Transmission und<br />

Absorption der Fenster durch aufgeklebte Rechtecke aus schwarzem Material simuliert.<br />

Der Boden des Lichtschachtes wurde geschwärzt. In der Mitte der Fensterbrüstungen,<br />

dem nach [7] zu untersuchenden Ort, wurde in eine Bohrung ein kurzer, 1 mm dicker,<br />

lichtstreuender Kunststoffstab gesteckt, dessen äußere Fläche deutlich aufleuchtet, sobald<br />

die Brüstung besonnt wird.


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 10<br />

Bild 5: Kleines Modell im Maßstab 1:100 unter dem Sonnenschein-Simulator<br />

Die Einschränkung der anrechenbaren Besonnung auf Sonnenhöhen ≥ 6 ° nach [7], die<br />

sich aus der Definition der Besonnung durch eine Normalstrahlung ≥ 120 W / m 2 nach [8]<br />

ergibt, musste für den Lichtschacht wegen der durch Reflexion verminderten<br />

Normalstrahlung analog zu Gl.(1) modifiziert werden. Das bedeutet, dass in einem<br />

Lichtschacht die Mindestsonnenhöhe, ab der von „Besonnung“ nach [8] gesprochen<br />

werden kann, keine Konstante ist, sondern vom Reflexionsgrad der Wände, von der<br />

Sonnenhöhe selbst und vom relativen Abstand zur Schachtmündung H / D abhängt.<br />

Dieser Zusammenhang war bei den Modell-Untersuchungen zur Besonnung <strong>mit</strong> Hilfe der<br />

bekannten Beziehungen zwischen Sonnenhöhe und Normalstrahlung zu berücksichtigen.<br />

Ein Fehler entsteht dabei durch Verwendung von Gl. (1) bezüglich des Reflexionsgrades<br />

des Materials für Tageslicht ρD65 statt des (in [3] nicht angegebenen) Reflexionsgrades für<br />

Sonnenstrahlung. Der Fehler dürfte für die praktische Beurteilung der Besonnungszeiten<br />

jedoch unerheblich sein.<br />

Die Ergebnisse der geführten Untersuchungen zeigen Tabelle 1 für den 17. Januar<br />

(Kriterium für ausreichende Besonnung nach [7]) und Tabelle 2 für den 22. Juni. Es lassen<br />

sich daraus vorerst keine allgemeinen Regeln, für die nicht auch Ausnahmen gelten,<br />

ableiten, <strong>mit</strong> Vorsicht nur die folgenden:<br />

- Da die Fenster der oberen Geschosse die der unteren quasi verschatten, ist die<br />

astronomisch mögliche Besonnungszeit in den unteren Geschossen geringer als in<br />

den oberen (Ausnahme im Pilotprojekt: Fenster S 4.0 im Sommer).<br />

- Selbst bei sehr geringem Fensterflächenanteil der spiegelnden Wände des<br />

Lichtschachtes sind stets nur etwa 25 % der Wandflächen besonnt.


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 11<br />

- Die relative tägliche Besonnungszeit der Fenster ist von der Jahreszeit nahezu<br />

unabhängig und liegt im Bereich von 14 %....20% der astronomisch möglichen<br />

Besonnungszeit.<br />

- Verglichen <strong>mit</strong> herkömmlichen, außenliegenden, unverbauten Fenstern sind die<br />

Besonnungszeiten der Fenster eines spiegelnden Lichtschachtes geringer. Sie sind<br />

aber größer im Vergleich <strong>mit</strong> außenliegenden, stark verbauten Fenstern.<br />

- Die hinreichende Besonnung eines Raumes nach [7] durch einen Lichtschacht<br />

qualifiziert ihn nicht zu einem Wohnraum, da die visuelle Verbindung <strong>mit</strong> dem<br />

Außenraum nach [7] nicht gegeben ist.<br />

3 Realisierung des Pilotprojektes und offene Fragen<br />

Inzwischen (Februar 2004) liegt der spiegelnde Lichtschacht nicht nur im Modell, sondern<br />

in der Hauptausführung im Pilotprojekt Bautzner Straße 11 vor. Reale Messergebnisse an<br />

der Hauptausführung zur Evaluierung der in den Abschn. 1, 2 und 3 angeführten<br />

theoretischen und experimentellen Ergebnisse werden erst erwartet. Vorweggenommen<br />

werden kann indessen die Akzeptanz des verwirrend reflektierenden Lichtschachtes durch<br />

die Bewohner der angrenzenden Räume: Alle an den Lichtschacht grenzenden Räume<br />

sind vermietet, und es gibt keine Klagen bezüglich eventueller Blendungs- oder<br />

Spiegelungserscheinungen. Das bedeutet, dass das Konzept eines spiegelnden<br />

Lichtschachtes zukunftsfähig ist. Bild 6 zeigt einen Blick in den Schacht, Bild 7 den an den<br />

Lichtschacht grenzenden Gemeinschaftsraum im 1. Obergeschoß.<br />

Bild 6: Blick in den realisierten Zittauer Lichtschacht


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 12<br />

Bild 7: Blick in den am Lichtschacht angrenzenden Gemeinschaftsraum im 2. OG<br />

Bezüglich der elementaren Anforderungen an einen Wohnraum kann durch einen<br />

Lichtschacht die notwendige visuelle Verbindung <strong>mit</strong> dem Außenraum nach [7] nicht erfüllt<br />

werden. Das bedeutet, dass alle nur an den Lichtschacht grenzenden Räume keine<br />

Wohnräume sind. Andere Bedingungen ergeben sich bei Räumen, für die die visuelle<br />

Verbindung <strong>mit</strong> dem Außenraum durch Außenfenster [7] gewährleistet ist, der notwendige<br />

Tageslichtquotient an den kritischen Orten aber nicht. Gerade für diese Räume ergibt sich<br />

durch die zusätzliche Beleuchtung durch einen Lichtschacht die Möglichkeit, in die<br />

Kategorie eines Wohnraumes aufzurücken.


R e n n e r: <strong>Tageslichtlenkung</strong> <strong>mit</strong> <strong>hochreflektierenden</strong> <strong>Lichtschachtwänden</strong> 13<br />

Literatur<br />

[1] CIE-Com<strong>mit</strong>tee E-3.2: Natural Daylight. Official Recommendations, Compte Rendu.<br />

13. Sitzung Bd. 2 Paris 1955<br />

[2] DIN 5034, Teil 3 – Tageslicht in Innenräumen, Berechnung<br />

[3] Prospekt „Oberflächen für die Beleuchtungs-Industrie“ der Fa. ALANOD Aluminium-<br />

Veredelung GmbH & Co. KG<br />

[4] Maschke, Manja; Lichthof Zittau, Seminararbeit am Institut für Bauklimatik der<br />

Technischen Universität Dresden, SS 2003<br />

[5] Freudenberg, Roald; Liebscher, Stephan Lichtlenkende Elemente für spiegelnde<br />

Schächte. Seminararbeit am Institut für Bauklimatik der TU Dresden. SS 2004<br />

[6] Renner, Eberhard; Zur Anwendung beleuchtungstechnisch realer Modelle im<br />

architektonischen Entwurfsprozeß. Vortrag auf dem 3. Bauklimatischen Symposium<br />

der Sektion Architektur. TU Dresden, 13. bis 15. Mai 1980. Veröff. In: AID<br />

Schriftenreihe der Sektion Architektur, 1980, H.16<br />

[7] DIN 5034 Tageslicht in Innenräumen, Teil 1: Allgemeine Anforderungen. Ausg.<br />

1999-10<br />

[8] DIN 5034 Teil 2, Tageslicht in Innenräumen, Grundlagen. Ausg. Feb 1985

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