Das Journal - Die Staatstheater Stuttgart
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Katja Wünsche<br />
(Foto: Sébastian Galtier)<br />
03.<br />
Mit einem Ballett nach E.T.A. Hoffmanns<br />
berühmter Kriminalgeschichte<br />
»<strong>Das</strong> Fräulein von Scuderi« vollendet<br />
ChriStian SpuCk eine erfolgreiche Serie<br />
einzigartiger abendfüllender Ballette als<br />
Hauschoreograph des <strong>Stuttgart</strong>er Balletts.<br />
»Un amant qui craint les voleurs n’est point digne d’amour.« –<br />
»Ein Liebhaber, der <strong>Die</strong>be fürchtet, ist der Liebe nicht würdig.«<br />
<strong>Die</strong>ser Satz ist das Motto des mysteriösen Fräuleins von S.,<br />
der Titelheldin im neuesten Ballett von Christian Spuck. Bevor<br />
er mit Beginn der Saison 2012/13 die Leitung des Zürcher Balletts<br />
übernimmt, widmet er sich – sechs Jahre nach seinem<br />
Ballett Der Sandmann – in seiner letzten Arbeit als Hauschoreograph<br />
in <strong>Stuttgart</strong> erneut einer literarischen Vorlage von<br />
E.T.A. Hoffmann.<br />
Obwohl Hoffmann sich neben seiner schriftstellerischen<br />
Tätigkeit auch mit Musik und Malerei beschäftigte, waren<br />
es vor allem seine juristischen Erfahrungen als preussischer<br />
Kammergerichtsrat, die seinen Blick für skurrile und groteske<br />
Situationen schärften. Immer wieder fasziniert Christian<br />
Spuck, wie Hoffmann in seinen Erzählungen nicht nur das<br />
Aufeinanderprallen von spießbürgerlicher Existenz und dem<br />
Künstlerischen-Phantastischen verarbeitet, sondern in nicht<br />
seltenen Fällen auch als Autor äußerst diesseitiger, geradezu<br />
herausfordernd realistischer Geschichten hervortritt. Seine<br />
1819 erschienene Novelle »<strong>Das</strong> Fräulein von Scuderi« gilt als<br />
eine der frühesten deutschen Kriminalgeschichten. Im Mittelpunkt<br />
der in Paris zur Regierungszeit Ludwigs XIV. spielenden<br />
Handlung stehen die Morde des zunächst als untadelig<br />
angesehenen Goldschmieds Cardillac sowie die allmähliche<br />
Enthüllung seiner Taten. <strong>Die</strong> Titelheldin, das Fräulein von Scuderi,<br />
ist es, die mit ihrer beharrlichen Suche nach der Wahrheit<br />
– der Taten verdächtigt wird Cardillacs Gehilfe Olivier<br />
Brusson – den Fall aufzuklären vermag. Mit seiner Novelle<br />
traf E.T.A. Hoffmann bei seinen Zeitgenossen ins Schwarze:<br />
Geniale Exzentrik, gepaart mit dunklen Leidenschaften und<br />
der bedrohlichen Häufung geheimnisvoller Verbrechen bedienten<br />
den literarischen Geschmack.<br />
Auf den Spuren der „Femme poète“<br />
Auch wenn sie im deutschen Sprachraum einzig als Titelheldin<br />
von E.T.A. Hoffmanns Novelle ein Begriff ist, liest<br />
sich die Lebensgeschichte der realen Madeleine de Scudéry<br />
(1607 – 1701) nicht weniger spannend. Ihre heroisch-galanten<br />
Romane »Grand Cyrus« und »Clélie«, hinter denen sich eine<br />
verschlüsselte Chronik der Salonkultur ihrer Epoche verbirgt,<br />
waren zu Lebzeiten der Dichterin gefragte Bestseller, deren<br />
Auflage allenfalls von Gebetsbüchern übertroffen wurde. In<br />
ihrem Salon in der Rue Vieille du Temple im Pariser Marais-<br />
Viertel versammelte sich allsamstäglich eine schöngeistige<br />
Gesellschaft, die die Kunst des Gesprächs, des Stegreifdichtens<br />
und der Freundschaft pflegte. Dabei schienen ihre Voraussetzungen<br />
für ein Leben als »Femme de lettres« alles andere<br />
als günstig. Als Vollwaise wurde sie von ihrem älteren,<br />
ebenfalls dichtenden Bruder Georges streng und eifersüchtig<br />
bewacht. Mit einem ausgeprägten Geschäftssinn veröffentlichte<br />
er ihre ersten Bücher unter seinem Namen, ohne allerdings<br />
ihren Drang nach geistiger und wirtschaftlicher Unabhängigkeit<br />
unterbinden zu können. Ein deutliches Zeichen<br />
dafür setzte sie im Jahre 1652. Im zehnten und letzten Band<br />
des »Artamène«, in der »Histoire de Sappho«, schuf sie sich<br />
ein eigenes Vor-Bild in der legendären Figur der antiken Dichterin,<br />
der sie eigene, überaus moderne Ansichten in den Mund<br />
legte. So empfahl sie bessere Erziehung und Bildung für Frauen,<br />
den Verzicht auf Verführung durch Schönheit und auf die<br />
Ehe als weibliches Lebensziel. Der gealterten Autorin, die zwischen<br />
1680 und 1692 schließlich noch fünf Doppelbände mit<br />
<strong>Das</strong> Fräulein von S.<br />
Ein Ballett nach der Novelle »<strong>Das</strong> Fräulein von Scuderi«<br />
von E.T.A. Hoffmann<br />
Choreographie und Inszenierung: Christian Spuck;<br />
Musik: Robert Schumann, Philip Glass, Michael Torke,<br />
Martin Donner; Ausstattung: Emma Ryott;<br />
Dramaturgie: Michael Küster; Licht: Reinhard Traub;<br />
Musikalische Leitung: James Tuggle,<br />
Staatsorchester <strong>Stuttgart</strong><br />
03. • <strong>Das</strong> Fräulein von S.<br />
Hoffmann als Inspiration<br />
Salongesprächen veröffentlichte, ließ Ludwig XIV. eine jährliche<br />
Pension zukommen. Bei Hof und in den Stadtpalästen<br />
war sie willkommen, und ihre Berühmtheit im eigenen Land<br />
wurde durch die im übrigen Europa fast noch übertroffen. In<br />
Italien berief man sie zum Mitglied der Accademia dei Ricovrati.<br />
In Frankreich waren es zuletzt vor allem Frauen, die nach<br />
ihrem Tod (1701) dem verehrten Vorbild huldigten.<br />
Vom Buch zum Ballett<br />
<strong>Das</strong>s ein neues Ballett mit einer über siebzigjährigen Titel-<br />
heldin aufwartet, könnte sich möglicherweise als Besetzungsproblem<br />
erweisen. Nicht so jedoch in <strong>Stuttgart</strong>, wo<br />
Ballett-Legende Marcia Haydée, wenige Wochen vor ihrem<br />
75. Geburtstag, die Rolle des couragierten und zielstrebigen<br />
Fräuleins von S. übernimmt.<br />
Christian Spuck hat nicht zuletzt in seinen für das <strong>Stuttgart</strong>er<br />
Ballett entstandenen Arbeiten immer wieder versucht, die<br />
traditionsreiche Form des Handlungsballetts weiterzuent-<br />
wickeln und beleben. Dabei reizt es ihn, »bekannte und unbe-<br />
kannte Geschichten mit neuen choreographischen Mitteln zu<br />
erzählen und sie gleichzeitig in den Kontext der klassischen<br />
Ballett-Tradition zu stellen«. In seiner verrätselt-poetischen<br />
Auseinandersetzung mit E.T.A. Hoffmanns Novelle geht es<br />
ihm folglich nicht darum, den komplizierten Windungen<br />
der literarischen Vorlage in allen Einzelheiten zu folgen und<br />
lediglich eine detailgetreue choreographische Umsetzung der<br />
Erzählung auf die Bühne zu bringen. Vielmehr wirft er einen<br />
kaleidoskopischen Blick auf die spannende Kriminalgeschichte<br />
und setzt ihre Elemente spielerisch neu zusammen. Ein wichtiger<br />
Part ist dabei der französischen Schauspielerin Mireille<br />
Mossé zugedacht. In Spielfilmen wie »<strong>Die</strong> Stadt der verlorenen<br />
Kinder« von Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro oder in François<br />
Ozons »Swimming Pool« beeindruckte sie mit ihrer starken<br />
Persönlichkeit und wird nun das Bühnengeschehen in spannendem<br />
Kontrast zu den Tänzerinnen und Tänzern auf faszinierende<br />
Weise bereichern.<br />
Während die britische Ausstatterin Emma Ryott in ihrem<br />
Bühnenbild und den Kostümen auch mit barocken Formen<br />
spielt, ist die Musik des neuen Ballettabends ganz im 19.<br />
Jahrhundert und in der Gegenwart verankert. Zu den grossen<br />
Bewunderern E.T.A. Hoffmanns gehörte Robert Schumann.<br />
Mehrfach fand er bei dem Dichter literarische Inspiration für<br />
neue Werke wie die berühmten »Kreisleriana«. Verschiedenen<br />
Sätzen aus Schumanns Streichquartetten, die live auf der Bühne<br />
musiziert werden, stehen zwei spannende Kompositionen<br />
der Amerikaner Philip Glass und Michael Torke gegenüber –<br />
reizvolle Aufgaben für den Dirigenten James Tuggle, der das<br />
Staatsorchester <strong>Stuttgart</strong> dirigiert. Weitere wirkungsvolle Akzente<br />
setzt elektronische Musik des <strong>Stuttgart</strong>er Komponisten<br />
Martin Donner.<br />
Künstlerwahn contra Zivilcourage<br />
Mit dem Goldschmied Cardillac und der Dichterin Scuderi<br />
treffen zwei Künstlerpersönlichkeiten aufeinander, wie sie<br />
unterschiedlicher nicht sein könnten. Während Cardillac sein<br />
eigenes Werk mit einer an Raserei grenzenden Inbrunst liebt<br />
und mit gnadenloser Rücksichtslosigkeit alles unternimmt,<br />
die von ihm angefertigten Prunk- und Schmuckstücke in seinem<br />
Besitz zu erhalten, macht sich die Scuderi keine Illusionen<br />
über den Wert ihrer Dichtkunst. Was sei sie mehr, so<br />
lässt E.T.A. Hoffmann sie resümieren, als eine »Person von<br />
dreiundsiebzig Jahren, die niemals andere verfolgte als die<br />
Bösewichter und Friedensstörer in ihren Romanen, die sie<br />
selbst schuf, die mittelmässige Verse macht, welche niemandes<br />
Neid erregen können, die nichts hinterlassen wird als den<br />
Staat des alten Fräuleins, das bisweilen an den Hof ging, und<br />
ein paar Dutzend gut eingebundener Bücher mit vergoldetem<br />
Schnitt!«<br />
Man möchte ihr widersprechen, denn es ist ihre Zivilcourage,<br />
die sie aus dem Kreis der sie umgebenden Pariser Gesellschaft<br />
erhebt und einzigartig macht. Michael Küster<br />
Premiere: Fr 10. Februar 2012 // 19:00 Uhr // Opernhaus<br />
Weitere Vorstellungen im Februar und März:<br />
Do 16.02. // So 19.02. (nm/abd) // Fr 24.02. // Mo 12.03. //<br />
Do 29.03. // Sa 31.03.2012 // So 08.04.2012<br />
10 <strong>Das</strong> <strong>Journal</strong> Februar/März/April 2012<br />
Mit freundlicher Unterstützung von<br />
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