Der spirituelle Orgasmus | KONTAKT Zürich 05/06-2005
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Gold<br />
No. 210 l Mai/Juni <strong>05</strong> l CHF 9<br />
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-GUID NTAKTANZEIGEN
kultur<br />
Tantra<br />
auf eine<br />
reduziert,<br />
am<br />
Eigentlichen<br />
vorbei.»<br />
20<br />
ORGASMUS<br />
Armin-Christoph Heining führt schwule Männer seit 13 Jahren in Tantra-Kursen zu<br />
einer Sexualität ohne Stoppuhr.<br />
Text: Michel Benedetti, Fotos: Marc Benedetti<br />
Neulich in Jay Leno's «Tonight Show»: Die graume-<br />
lierte Talkshowikone kichert mit Oprah Winfrey über<br />
20-stündige Orgasmen. Tantra made in USA: In ihren<br />
eigenen, weltweit bestbezahlten Sendeminuten dür-<br />
fen bei Oprah füllige Damen da schon mal in einem<br />
erotischen Hula-Hoop-Tanz übers Parkett wackeln. Al-<br />
les auch im Handel erhältlich: Oprah Boutique, Op-<br />
rah Magazine, klicken Sie weiter! Fernöstliche Weisheit<br />
schwappt über den Atlantik. Wer sich allerdings auf ei-<br />
ner edukativen Buddhismus-Website über Tantra infor-<br />
miert, rutscht gleich mal in die meditative Gegenwelt.<br />
Dort staunt das esoterische Herz über die «vier edlen<br />
Wahrheiten» und die Unterweisungen des «kleinen<br />
und grossen Fahrzeugs». Kommerz oder glöckchen-<br />
klingelnde Seligkeit?<br />
Tantra in der Ostschweiz<br />
Spurensuche im Appenzellerland. Ein einsames Land-<br />
haus inmitten wintergrauer Hügel. In der warmen Stube<br />
(«Nicht den Kopf anschlagen!») serviert Armin-Chris-<br />
toph Heining Tee für die vom Fussmarsch erschöpften<br />
Gäste. Gerade hat er die drei Kurstage seines Gay-Tan-<br />
tra-Seminars hinter sich. «Wer Tantra auf eine Sexlehre<br />
reduziert, geht am Eigentlichen vorbei», erklärt er und<br />
bedauert, dass die Medien immer nur den sexuellen<br />
Aspekt des Tantra herausgreifen. «Tantra ist eine ur-<br />
alte Meditationspraxis, bei der die genitale Sexualität<br />
eine untergeordnete Rolle spielt.» Doch zuerst: woher<br />
kommt überhaupt Tantra?<br />
Ursprünge des Tantra<br />
<strong>Der</strong> Weg führt uns nach Indien und verlangt eine mehr<br />
als tausendjährige Zeitreise. Noch lange vor dem Bud-<br />
dhismus und anderen Weltreligionen wurde dort Tan-<br />
tra als Geheimlehre praktiziert. <strong>Der</strong> Begriff «Tantra»<br />
kommt aus der indischen Gelehrtensprache Sanskrit.<br />
«Weben» und «Ausdehnung» bedeutet es eigentlich<br />
und will zu einer Harmonie mit sich selber und der Na-<br />
tur führen. Anders als die meisten <strong>spirituelle</strong>n Wege<br />
ehrt Tantra die Sexualität als Tor zur Ekstase und Er-<br />
leuchtung. Dies klingt fremd, doch bezogen auf den<br />
schwulen Alltag kommt das Ganze schon näher. Wer<br />
sich noch sein «erstes Mal» mit einem Mann ins Ge-<br />
dächtnis rufen kann, mag sich noch an die Erregung im<br />
Körper erinnern. Tage später war noch ein wohliges Pri-<br />
ckeln zu spüren. Doch unweigerlich nimmt die Routine
die Überhand im sexuellen Lebenslauf. Jeder kennt das<br />
Spiel: Die Lust ist gross, der Sex ist meistens online oder<br />
live verfügbar, doch irgendwie hätte sich Mann doch<br />
etwas mehr vorgestellt als nur die schnelle Nummer.<br />
In den Seminaren von Armin-Christoph Heining wird<br />
die Stoppuhr ausgeschaltet. Die Teilnehmer werden an-<br />
geleitet, ihr «normales» sexuelles Muster zu verlassen,<br />
bei dem die «Entladung gleich auf den Höhepunkt der<br />
Erregung folgt». In den Seminartagen wird angestrebt,<br />
dass sich über gemeinsame Gespräche, Atemübungen<br />
und Massagen die sexuelle ganzkörperliche Erregung<br />
aufbaut. Klingt ganz nach Orgamus ä la Jay Leno. Laut<br />
Heining ganz und gar möglich - Gelächter - «doch ein<br />
<strong>Orgasmus</strong> kann auch spirituell sein und diese Glückse-<br />
ligkeit kann man auch woanders erleben als im Bett!»<br />
Wenn Heining mal heiter mal ernst Spiritualität und<br />
Sexualität im gleichen Atemzug verknüpft, denkt der<br />
Zuhörer, es sei nie anders gewesen in seinem Leben.<br />
Weit gefehlt!<br />
<strong>Der</strong> liebeskranke Mönch<br />
Rückblende: <strong>Der</strong> 16-jährige Armin lebt tief in der deut-<br />
schen Provinz und formuliert Optionen für sein Leben:<br />
«Entweder werd' ich ein Heiliger, oder ich lande in der<br />
Gosse!» <strong>Der</strong> Weg in die Höhe scheint attraktiver, und<br />
so beginnt für ihn ein paar Jahre später sein Leben als<br />
Benediktinermönch in einem süddeutschen Kloster. Vor-<br />
erst stillt er dort seinen Hunger nach Spiritualität, doch<br />
es erwachen noch andere Kräfte im jungen Mönch. Er<br />
beginnt zu begreifen, dass die Gemeinschaft mit Män-<br />
nern noch mehr bietet als gemeinsames Beten und<br />
Fasten. Ein Mitbruder erwidert seine Gefühle, und ein<br />
kleines Drama nimmt seinen Lauf. Geplagt von Schuld-<br />
gefühlen, wendet er sich von der Affäre ab, leidet, zieht<br />
in eine andere Klosterzelle, kurzum: Liebeskummer wie<br />
es im Buche steht. Gleichzeitig stellt er aber etwas In-<br />
teressantes fest: Mit Sexualität lässt sich auch anders<br />
umgehen: «Ich habe gelernt, wie sich dieses Feuer im<br />
ganzen Körper verteilen lässt und schliesslich zu tie-<br />
fer Glückseligkeit wird.» Das klingt schon ziemlich ver-<br />
dächtig nach tantrischen Lehren und kam nicht von<br />
ganz plötzlich. Während seines Theologiestudiums be-<br />
suchte der weltoffene «Frater» zahlreiche Meditations-<br />
kurse. <strong>Der</strong> voraussehbare Eklat mit der Klosterleitung<br />
führte schlussendlich zum Ablegen des Mönchsge-<br />
wands, und so kam Tantra in sein neues Leben.<br />
Jenseits von Schwulsein<br />
Doch nicht etwa ein Mann weihte ihn in die Kunst<br />
<strong>spirituelle</strong>r Sexualität ein, sondern eine Tantrikerin<br />
(sprich: Tantra-Lehrerin), die «gerne mal einen Mönch<br />
verführen wollte.» Vielleicht erklärt sich so auch Armin-<br />
Christoph Heinings Offenheit im Umgang mit Sexua-<br />
lität. Obwohl er mit schwulen Tantra-Kursen in<br />
der Schweiz, Deutschland und Österreich seit<br />
elf Jahren Erfolg verbucht, könnte sich der quir-<br />
lige Deutsche durchaus Tantra-Kurse mit Schwu-<br />
len und Heteros vorstellen. «In der Tantralehre<br />
gehe es nicht um sexuelle Präferenzen, sondern<br />
Armin-Christoph Heining: Seit elf<br />
Jahren mit Tantra-Kursen für Schwule<br />
auf Erfolgskurs.<br />
um eine «achtsame meditative Sexualität». Umgewan-<br />
delt und verfeinert wird sie zu einer aufbauenden und<br />
heilsamen Quelle, die jenseits von ßeziehungsdramen<br />
sprudelt.» •<br />
Buchtipps:<br />
Armin-Christoph Heining: «(Homo-)Sexualität & Spiritualität»,<br />
Eigenverlag, 28 Seiten, Euro 7.- (erhältlich über www.gay-trantra.ch)<br />
> Kommentar: Ausgewählte Veröffentlichungen von 7993 bis 20<strong>05</strong><br />
Margot Anand, «Tantra oder die Kunst der sexuellen Ekstase», Goldmann<br />
Verlag, 382 Seiten, Euro 9.-<br />
> Kommentar: Nicht spezifisch auf Schwule ausgerichtet, aber gilt als<br />
Basiswerk und Bestseller zum Thema. Auf den Theorien von Margot<br />
Anand bauen ebenfalls die Gay-Tantra-Kurse von Armin-Christoph<br />
Heining auf.<br />
Bruce Anderson, «Tantra für Schwule»,<br />
Querverlag, 140 Seiten, Euro 14.90<br />
> Kommentar: Wer nichts mit Esoterik am Hut hat, soll gleich zu Kapitel<br />
fünf blättern. Hier gibts praktische Übungen mit netten Bildern.<br />
Kurse:<br />
Wer sich ausführlicher über die Kurse von Armin-Christoph Heining<br />
informieren möchte:<br />
www.gay-tantra.ch oder E-Mail an: info@gay-tantra.ch<br />
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