Aufbruch zur Weltstadt - Peter Payer
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54 <strong>Peter</strong> <strong>Payer</strong><br />
rillen‘ (des ‚Gesottenen‘ und ‚Gerösteten‘ und ‚Eingemachten‘ gar nicht zu gedenken),<br />
das geht über allen norddeutschen Verstand.“ 125<br />
– Presse: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich in Wien ein modernes Pressewesen<br />
mit zahlreichen auflagenstarken Printmedien zu entwickeln begonnen.<br />
Dazu gehörten bei den Tageszeitungen, neben der seit 1703 existierenden<br />
„Wiener Zeitung“, u. a. die „Presse“ (gegr. 1848), das „Fremden-Blatt“ (gegr.<br />
1847), das „Wiener Tagblatt“ (gegr. 1851), das „Vaterland“ (gegr. 1860),<br />
die „Wiener Tagespost“ (gegr. 1862), die „Wiener Abendpost“ (gegr. 1863), die<br />
„Neue Freie Presse“ (gegr. 1864), das „Neue Wiener Tagblatt“ (gegr. 1867), das<br />
„Volksblatt für Stadt und Land“ (gegr. 1870), das „Illustrirte Wiener Extrablatt“<br />
(gegr. 1872) oder das „Neuigkeits Welt-Blatt“ (gegr. 1874). 126<br />
Eine „massenhafte Anhäufung von Zeitungen“ konstatierte auch Rodenberg,<br />
wobei diese am liebsten im Kaffeehaus gelesen würden: „Jeder Wiener hat<br />
sein Kaffeehaus, welches er im Laufe des Tages wenigstens einmal besucht,<br />
in welchem er sich stundenlang aufhält, um zu rauchen, zu plaudern und zu<br />
spielen, und welches er nicht eher verläßt, als bis er sich durch einen ganzen<br />
Berg von Zeitungen durchgelesen hat.“ 127 Bis spät in die Nacht hinein werde<br />
im Kaffeehaus gelesen, wobei die inhaltliche Qualität der Presse durchaus ansprechend<br />
sei: „Die wiener Zeitungen sind im allgemeinen äußerst geschickt<br />
redigiert und eine oder zwei von ihnen sind in der That Weltblätter.“ 128 Man<br />
darf annehmen, dass er damit das „Neue Wiener Tagblatt“, vor allem aber die<br />
„Neue Freie Presse“ meinte, die – wie erwähnt – mit der Weltausstellung einen<br />
enormen Aufschwung genommen hatte und zum publizistischen Aushängeschild<br />
der Stadt geworden war. Auf der anderen Seite war auch eine enorme<br />
Blüte der „Skandalpresse“ festzustellen, der „Schmuz- und Winkelpresse“, die<br />
Rodenberg – außer in Paris – sonst nirgends in derartigem Umfang kennengelernt<br />
hatte. Mit Lügen, Verleumdungen und oft übertriebenen Sensationsberichten<br />
dienten sie als „Mittel <strong>zur</strong> Unterhaltung, ohne welche der Wiener ( . . . )<br />
nun einmal nicht sein kann“. 129<br />
– Attraktionen: Auf „weltstädtische“ Unterhaltung der Superlative in ihrer ganzen<br />
Fülle traf Rodenberg im Wurstelprater, der sich schon von weitem mit seiner<br />
überbordenden Geräuschkulisse bemerkbar machte: „Ein dumpfes Brausen<br />
und Branden von Menschenstimmen, von Pauken, Trommeln, Orgeln, Becken<br />
und des ‚Basses Grundgewalt‘ verkünden schon auf fünf Minuten Distanz,<br />
daß der Wurstelprater in der Blüte steht.“ 130 Lautstark würden hier Riesen und<br />
Zwerge angekündigt, dicke Menschen und schöne Frauen, wie die „Tscherkessin<br />
Jessonda“, die „Lappländerin Ingeborg Gottmann“ oder „Johanna, die<br />
Rheinländerin“. Nicht wenige davon waren hier erstmals in Europa zu sehen,<br />
verkündeten jedenfalls die von Rodenberg zitierten Reklamezettel: „Die schöne<br />
Französin! Das größte Wunder des 19. Jahrhunderts – 17 Jahre ist sie alt –<br />
125 Ebenda, 147.<br />
126 Hermann Sagl, Wiener Tageszeitungen 1890–1914, in: Sigurd Paul Scheichl, Wolfgang Duchkowitsch<br />
(Hg.), Zeitungen im Wiener Fin de Siècle, Wien-München 1997, 268-275.<br />
127 Rodenberg (Anm. 1), 295.<br />
128 Ebenda.<br />
129 Ebenda, 241, 295.<br />
130 Ebenda, 228-229.