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4 - Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.

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18 Mittwochmorgen. Ich sitze vor dem Fall-Manager. Er managt,<br />

wie ich falle. Aber über dieses „Wie“ s<strong>in</strong>d wir une<strong>in</strong>s. Ich werde<br />

wütend, will etwas Vernichtendes sagen, etwas Treffendes, über die<br />

ganze Gesellschaft <strong>und</strong> über ihn persönlich, etwa über die Art wie er<br />

den Kugelschreiber zwischen den F<strong>in</strong>gern kreisen lässt, wenn er zu mir<br />

spricht. Se<strong>in</strong> Kugelschreiber macht mich wütend. Aber noch bevor ich<br />

me<strong>in</strong>e Worte wählen kann, höre ich mich schon sagen: „Sie,..“. Me<strong>in</strong><br />

Gott, das war zu früh, denn nun f<strong>in</strong>de ich die restlichen Worte nicht.<br />

Me<strong>in</strong> Kopf ist leer. Und schon wieder stammle ich drohend „Sie,…<br />

Sie“. Dazu fuchtelt me<strong>in</strong>e rechte Hand bedeutsam <strong>in</strong> der Luft, was den<br />

hilflosen E<strong>in</strong>druck nur verstärkt. Ich sehe wie e<strong>in</strong> Fremder auf diese<br />

Hand <strong>und</strong> w<strong>und</strong>ere mich. Die Hand s<strong>in</strong>kt ab, f<strong>in</strong>det Ruhe auf me<strong>in</strong>em<br />

Schenkel, zittert nur noch leicht. Über allem liegt jetzt e<strong>in</strong>e pe<strong>in</strong>liche<br />

Stille, <strong>in</strong> die me<strong>in</strong> Fall-Manager endlich sagt: “Wir sehen uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Woche.. „Ja“, sage ich. Und vor der Tür fällt mir alles e<strong>in</strong>.<br />

Rast<br />

Nun merk‘ ich erst wie müd‘ ich b<strong>in</strong>,<br />

Da ich zur Ruh‘ mich lege;<br />

Das Wandern hielt mich munter h<strong>in</strong><br />

Auf unwirtbarem Wege.<br />

19 Dreißig Jahre auf der Straße s<strong>in</strong>d nicht nur schrecklich. Ganz<br />

<strong>und</strong> gar nicht. Es gibt kaum e<strong>in</strong> Land, <strong>in</strong> dem ich den Knast nicht<br />

kenne. Und das Wort „Hunger“ beherrsche ich <strong>in</strong> allen europäischen<br />

Sprachen. Damit kommt man durch.<br />

In e<strong>in</strong>es Köhlers engem Haus<br />

Hab‘ Obdach ich gef<strong>und</strong>en.<br />

Doch me<strong>in</strong>e Glieder ruh‘n nicht aus:<br />

So brennen ihre W<strong>und</strong>en.<br />

Die Füße frugen nicht nach Rast,<br />

Es war zu kalt zum Stehen;<br />

Der Rücken fühlte ke<strong>in</strong>e Last,<br />

Der Sturm half fort mich wehen.<br />

Auch du, me<strong>in</strong> Herz, <strong>in</strong> Kampf <strong>und</strong> Sturm<br />

So wild <strong>und</strong> so verwegen,<br />

Fühlst <strong>in</strong> der Still‘ erst de<strong>in</strong>en Wurm<br />

Mit heißem Stich sich regen !<br />

20♀ Anstatt das Aufgebot zu bestellen, haben wir lieber e<strong>in</strong>en<br />

besseren Rollator für sie gekauft, als ihn die Kasse bezahlt.<br />

♀ Für beides zusammen fehlte uns das Geld. Hochzeit oder Rollator?<br />

♂ Wir wohnen auf 22 Quadratmetern mit zwei Kochplatten ohne<br />

Herd. Sie hat Konditor<strong>in</strong> gelernt, auf zwei Kochplatten kann man nicht<br />

backen. Sie schläft mit ihrer schlimmen Bandscheibe auf der Couch, ich<br />

auf dem Boden.<br />

♀ Die Arge sagt, beantragt Möbel.<br />

♂ Aber dazu braucht man Stellfläche.<br />

♀ Und Vermieter wollen uns nicht, weil wir von Hartz-IV leben.<br />

♂ Dabei bieten wir mehr Sicherheit als der, der se<strong>in</strong>en Job noch nicht<br />

verloren hat.<br />

♀ Wir haben 100 Wohnungen angeschaut.<br />

♂ Nichts.<br />

♀ Um zu unseren 22 Quadratmetern zu gelangen s<strong>in</strong>d drei Etagen<br />

zu überw<strong>in</strong>den. Ohne Fahrstuhl.<br />

♂ Für sie geht das nur mit viel Zeit <strong>und</strong> unter Schmerzen.<br />

♀ Beim Treppensteigen hilft auch der beste Rollator nichts.<br />

♂ Trotzdem gut, dass wir unser Geld dafür zusammenlegten. Also<br />

muss die Heirat warten, bis das Aufgebot zusammengespart ist.<br />

♀ So kann das gehen mit der Liebe im Hartz-IV.<br />

(aus der Hamburger W<strong>in</strong>terreise)<br />

Frühl<strong>in</strong>gstraum<br />

Ich träumte von bunten Blumen,<br />

So wie sie wohl blühen im Mai;<br />

Ich träumte von grünen Wiesen,<br />

Von lustigem Vogelgeschrei.<br />

Und als die Hähne krähten,<br />

Da ward me<strong>in</strong> Auge wach;<br />

Da war es kalt <strong>und</strong> f<strong>in</strong>ster,<br />

Es schrien die Raben vom Dach.<br />

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