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Ein Frauenleben in Jemen, Emotion, 9/2010 (PDF - Ursula Meissner

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Als ich Mariam zum ersten Mal treffe, schaut sie mich nicht<br />

an. Dabei s<strong>in</strong>d es nur ihre Augen, die mir etwas über sie verraten<br />

könnten. Der Rest der 41-Jährigen ist von der Abaya<br />

verhüllt, dem schwarzen Gewand, das alle Frauen im<br />

<strong>Jemen</strong> tragen. Nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Sehschlitz öffnet den Blick auf<br />

die Welt. Mariam hat noch nie e<strong>in</strong>e Ausländer<strong>in</strong> kennengelernt,<br />

geschweige denn mit e<strong>in</strong>er Fremden über ihr Leben<br />

gesprochen. Wäre ihr Bruder Abdallah, me<strong>in</strong> Übersetzer und<br />

Reisebegleiter, nicht dabei, würde Mariam mir sicher nicht<br />

die nächsten Tage <strong>E<strong>in</strong></strong>blick <strong>in</strong> ihren Alltag gewähren.<br />

Ich arbeite als Reportagefotograf<strong>in</strong> <strong>in</strong> Krisengebieten und<br />

wollte schon lange mehr über die Frauen im <strong>Jemen</strong> erfahren,<br />

die völlig abgeschottet von der Außenwelt leben und deren<br />

wichtigste Aufgabe es ist, ihrem Ehemann zu dienen. Die<br />

Vorbereitungen für diese Reise haben lang gedauert. Seit Anfang<br />

des Jahres dürfen Touristen aufgrund der Terror- und<br />

Entführungsgefahr nur mit e<strong>in</strong>er besonderen Genehmigung<br />

des jemenitischen Innenm<strong>in</strong>isteriums e<strong>in</strong>reisen. Auch ich als<br />

Fotograf<strong>in</strong>. Es dauerte e<strong>in</strong> Jahr, bis ich das Visum hatte.<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Frauenrechte steht der <strong>Jemen</strong> weltweit<br />

an letzter Stelle. Die patriarchalische Gesellschaft lässt <strong>Jemen</strong>it<strong>in</strong>nen<br />

ke<strong>in</strong>erlei Freiheiten und es gibt viele moralische<br />

Verbote. Aus me<strong>in</strong>er Sicht: e<strong>in</strong> Leben im Gefängnis, der<br />

männlichen Willkür ausgeliefert. In der Öffentlichkeit müssen<br />

Frauen immer verschleiert auftreten, obwohl das ke<strong>in</strong><br />

Gesetz verlangt. „So ist nun mal unsere Tradition“, wird Mariam<br />

am Abend ergeben zu mir sagen.<br />

Tradition, dieses Wort höre ich <strong>in</strong> diesen Tagen so oft wie<br />

ke<strong>in</strong> anderes. Und diese Tradition ist es auch, die e<strong>in</strong>e unsichtbare<br />

Wand zwischen Mariam und mir errichtet, es mir<br />

so schwer macht, e<strong>in</strong>en Zugang zu ihrer Welt zu f<strong>in</strong>den.<br />

Schweigend gehen wir über den Markt der Hauptstadt Sanaa:<br />

Abdallah, Mariam, zwei ihrer Schwäger<strong>in</strong>nen, die sich<br />

überraschenderweise angeschlossen haben, und ich. Wie aus<br />

Tausendunde<strong>in</strong>er Nacht wirken die eng ane<strong>in</strong>andergeschmiegten<br />

Lehmhäuser mit ihren reich verzierten Fassaden,<br />

die aussehen, als seien sie aus Zuckerguss. Die Luft ist staubig,<br />

trocken, 40 Grad heiß. Ich schwitze und wundere mich,<br />

wie Mariam es unter der dunklen Abaya aushält.<br />

Ob sie hier oft e<strong>in</strong>kaufen gehe, breche ich endlich die –<br />

zum<strong>in</strong>dest für mich – bedrückende Stille. Erschrocken blickt<br />

Mariam ihren Bruder an. Frauen ist es nicht erlaubt, das<br />

Wort direkt an Fremde zu richten. Abdallah antwortet für<br />

sie: Vormittags dürfen Frauen das Haus verlassen, um e<strong>in</strong>zukaufen.<br />

Ihre Männer lassen sie allerd<strong>in</strong>gs nie alle<strong>in</strong> gehen,<br />

sondern stellen ihnen m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e Aufpasser<strong>in</strong> zur Seite.<br />

Das sche<strong>in</strong>t die Rolle der beiden Schwäger<strong>in</strong>nen zu se<strong>in</strong>.<br />

Auf dem Markt werden Obst, Gemüse, Brot, aber auch<br />

Kleider, Schmuck und BHs verkauft. Es herrscht e<strong>in</strong> geschäf-<br />

<strong>E<strong>in</strong></strong> <strong>Frauenleben</strong> im <strong>Jemen</strong> reportage<br />

tiges Treiben. Wir bleiben an e<strong>in</strong>em Stand mit T-Shirts stehen.<br />

<strong>E<strong>in</strong></strong>er <strong>E<strong>in</strong></strong>gebung folgend, halte ich mir e<strong>in</strong> viel zu<br />

großes Shirt vor me<strong>in</strong>en Oberkörper. Vielleicht löst sich die<br />

Anspannung, wenn ich mich selbst nicht so ernst nehme. Na,<br />

wie sehe ich aus, fragt me<strong>in</strong> Blick ironisch. Die Frauen fangen<br />

an zu kichern. Kurz darauf hält e<strong>in</strong>e der Schwäger<strong>in</strong>nen<br />

e<strong>in</strong> Shirt hoch und zieht mich als Berater<strong>in</strong> h<strong>in</strong>zu. Wir müssen<br />

beide lachen. Wie befreiend dieser Augenblick der Vertrautheit<br />

ist! Leider ist er sofort wieder vorbei, als ich auf den<br />

Auslöser me<strong>in</strong>er Kamera drücke. Die Frauen werden ernst<br />

und wenden sich ab. Dass sich <strong>Jemen</strong>it<strong>in</strong>nen nicht fotografieren<br />

lassen, habe ich schon auf me<strong>in</strong>em Ausflug <strong>in</strong>s Bergdorf<br />

Hadramaut zu spüren bekommen. Es war das erste Mal <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>em 20-jährigen Berufs leben, dass ich mit Begleitschutz<br />

unterwegs se<strong>in</strong> musste. Alles andere, hieß es, sei zu gefährlich.<br />

Tatsächlich waren es dann ke<strong>in</strong>e Terroristen, vor denen<br />

ich beschützt werden musste, sondern Landarbeiter<strong>in</strong>nen.<br />

Als ich sie fotografieren wollte, g<strong>in</strong>gen sie mit Knüppeln<br />

auf mich los. Ich konnte gerade noch <strong>in</strong>s Auto flüchten.<br />

Warum diese heftige Reaktion? Die Angst, etwas von ihrer<br />

Persönlichkeit preiszugeben, sei sehr groß, erklärt Mariams<br />

Bruder Abdallah.<br />

Im Gewusel auf dem Markt tauchen immer wieder Farbtupfer<br />

zwischen den schwarz gekleideten Frauen auf. Es s<strong>in</strong>d<br />

die jemenitischen Trachten, die wie e<strong>in</strong> Feuerwerk zwischen<br />

den Abayas wirken. Diese Kleider dürfen nur von älteren<br />

Frauen getragen werden. Wann e<strong>in</strong>e Frau denn als „älter“ gelte,<br />

will ich wissen. Dass beschließt der männliche Familienrat,<br />

klärt mich Abdallah auf.<br />

Auch Mariam liebt es, sich bunt anzuziehen – unter ihrer<br />

Abaya. Groß <strong>in</strong> Mode s<strong>in</strong>d enge, tief ausgeschnittene Synthetikkleider<br />

aus Ch<strong>in</strong>a. Sie kosten um die drei Dollar, unerschw<strong>in</strong>glich<br />

für die meisten Frauen im <strong>Jemen</strong>, e<strong>in</strong>em Land,<br />

<strong>in</strong> dem die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze<br />

lebt. Warum sie sich diese Kleider gern kaufe, frage<br />

ich Mariam. Und diesmal antwortet sie: „Me<strong>in</strong> Mann erwartet,<br />

dass ich für ihn schön b<strong>in</strong>.“ Sie sagt diesen Satz auf Arabisch,<br />

obwohl sie Englisch sprechen kann. Abdallah übersetzt.<br />

Er ist es auch, der ihr die Fremdsprache beigebracht<br />

hat, zusammen mit Mariams Ehemann. Auch wenn die verhüllte<br />

Frau noch zu schüchtern ist, um sich mit mir direkt zu<br />

unterhalten, b<strong>in</strong> ich glücklich, dass sie sich überhaupt äußert.<br />

<strong>E<strong>in</strong></strong> erster Schritt zu mehr Vertrauen?<br />

Je näher wir Mariams Zuhause kommen, um so unruhiger<br />

wird sie. Sie beschleunigt ihre Schritte und ich spüre,<br />

dass es sie große Überw<strong>in</strong>dung kostet, mich <strong>in</strong> ihrem Heim<br />

willkommen zu heißen. Doch weil ihr Mann und ihr Bruder<br />

es erlaubt haben, muss es auch für Mariam <strong>in</strong> Ordnung se<strong>in</strong>.<br />

Sie hat sich zu fügen. Ich merke, dass Abdallah mich<br />

September <strong>2010</strong><br />

�<br />

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