ForestFinest 1/2012
Das Magazin für weltweite Waldwirtschaft.
Das Magazin für weltweite Waldwirtschaft.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Waldwirtschaft<br />
Machtverhältnisse im deutschen Wald<br />
Dr. Lutz Fähser<br />
Dr. Lutz Fähser war bis<br />
2009 Leitender Forst -<br />
direktor des in Deutschland und international bekannten<br />
„Stadtwald Lübeck”. Seit mehr als 15 Jahren<br />
wird hier Wald auf rund 5000 Hektar naturnah genutzt.<br />
Das Lübecker Waldkonzept wurde mehrfach<br />
ausgezeichnet und ist von Naturland und FSC zertifiziert.<br />
Das hier entwickelte und angewandte „Prozess-<br />
Schutz-Konzept“ gilt als Pionier im Hinblick auf eine<br />
zugleich ökologische und ökonomische Wirtschaftsweise.<br />
Es gründet auf den Beschlüssen der internationalen<br />
Umweltkonferenz von Rio, speziell auf der<br />
Biodiversitätskonvention (CBD), der Walderklärung<br />
und der Agenda 21.<br />
Wie würden Sie den Zustand des deutschen<br />
Waldes beschreiben? Ist er „gesund” und sein<br />
Wachsen um eine Million Hektar in den letzten<br />
vier Jahrzehnten ein gutes Zeichen für mehr<br />
Naturschutz und Artenvielfalt?<br />
Der deutsche Wald ist im Wesentlichen ein menschengeformter<br />
Forst. „Urwälder“ mit ihrer kompletten na-<br />
türlichen Artenfülle gibt es nicht mehr. Die größere<br />
Fläche ist kein Indiz für bessere Qualität. Aber das<br />
gesellschaftlich gewachsene Bewusstsein hat bewirkt,<br />
dass in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr naturnähere<br />
Laubmischwälder angelegt wurden. Mehr<br />
Natur- und Artenschutz wurde flächenrelevant erst in<br />
den letzten Jahren mit dem Programm „Natura<br />
2000“ von der EU erzwungen. Der deutsche Wald ist<br />
durch künstliche Baumarten-Zusammensetzung, Immissionen,<br />
Zerschneidungen, Grundwasserveränderungen<br />
und Klimawandel nicht gesund, sondern<br />
permanent unter Anpassungsstress.<br />
Würden Sie die deutsche Forstwirtschaft als<br />
nachhaltig bezeichnen?<br />
Nachhaltige Bewirtschaftung bedeutet, dass die Wälder<br />
so behandelt werden, dass sie sich den jeweiligen<br />
Lebensbedingungen anpassen und sich immer wieder<br />
regenerieren können. Das ist zur Zeit nur auf etwa 20<br />
Prozent der Waldfläche der Fall. 80 Prozent der Wälder<br />
sind künstlich strukturierte Forste mit einem sehr<br />
geringen Vorrat an Bäumen/Holz (circa 50 Prozent der<br />
Menge des „Urwaldes“), die mit viel Aufwand gegen<br />
die natürlichen Prozesse durchgebracht werden.<br />
Deutschland zählt zu den wald -<br />
reichen Ländern innerhalb der EU.<br />
Knapp ein Drittel der Gesamtfläche<br />
ist mit Wald bedeckt. Und die Fläche<br />
wird jährlich größer. In den letzten<br />
40 Jahren nahm sie um rund eine<br />
Million Hektar zu. Wie gut ist dieser<br />
Wald – für Tiere, Pflanzen, Arten -<br />
vielfalt?<br />
<strong>ForestFinest</strong>-Redakteurin Christine<br />
Sommer-Guist fragt Dr. Lutz Fähser,<br />
einen Experten für Wald und Nachhaltigkeit.<br />
Außerdem wird zur Zeit der jährliche Holzzuwachs<br />
fast völlig genutzt, so dass die Forste weit weg sind<br />
von einer nachhaltigen, naturnahen Waldentwicklung.<br />
Kann Forstwirtschaft der Natur und der Wirtschaft<br />
gleichzeitig gerecht werden?<br />
Forstwirtschaft bedeutet unvermeidbar Störung und<br />
Schwächung der (Wald-)Natur. Es kommt darauf an,<br />
die gesellschaftlichen Forderungen an den Wald und<br />
die technischen Eingriffe so zu gestalten, dass die<br />
Strukturen und Lebensvorgänge der natürlichen Wald-<br />
Ökosysteme nicht wesentlich gestört werden. Die Gesellschaft<br />
muss ihre Anforderungen also qualitativ<br />
und quantitativ auf das von Wäldern natürlich Leistbare<br />
anpassen (Suffizienz). Die Forstwirtschaft muss<br />
die Wirtschaftswälder nahe an die ursprünglichen<br />
naturnahen Waldgesellschaften heran entwickeln und<br />
die technischen Maßnahmen so gestalten, dass sie<br />
ein Minimum an (Zer-)Störungen bewirken (Vorsorge-<br />
Prinzip). Dann kann Ur-Produktion funktionieren,<br />
wenn die Natur beinahe ungestört den Produktionsprozess<br />
selbst gestaltet, was übrigens auch ökonomisch<br />
durch Kostenminimierung vorteilhaft ist. In<br />
Deutschland wurde so ein Konzept der „Naturnahen<br />
24 FF www.forestfinance.de<br />
Foto: Jennifer Scheffler/pixelio