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aware-Ausgabe FS10 - aware – Magazin für Psychologie

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18 <strong>aware</strong> <strong>FS10</strong> tItELthEMa<br />

Wirkfaktoren nicht mit der medizinischen Forschung<br />

gleichgesetzt werden kann <strong>–</strong> und dennoch<br />

wird dies erstaunlicherweise immer wieder<br />

versucht. Auch diese Tatsache ist ökonomischen<br />

Überlegungen zuzuschreiben. In den populären<br />

RCT-Studien wird davon ausgegangen, dass unspezifische<br />

Effekte vollumfänglich kontrolliert<br />

werden können, zumal die sogenannte «Experimentalgruppe»<br />

stets dieselbe Therapie bzw.<br />

«manualisierte» Behandlung empfängt. Dabei<br />

wird aber über Patientenvariablen, deren individuellen<br />

Rahmenbedingungen und Bedürfnisse <strong>–</strong><br />

ganz zu schweigen von der freien Therapiewahl<br />

<strong>–</strong> hinweggesehen. Im Weiteren wird bei RCT-<br />

Studien vorausgesetzt, dass auch die Diagnostik<br />

ausnahmslos standardisiert vonstatten geht und<br />

die Therapie stets gleich lange dauert. Selbstverständlich<br />

wird in diesem Zusammenhang vorausgesetzt,<br />

dass Therapeutenqualifikation und<br />

-erfahrung immer einheitlich sind. Darüber hinaus<br />

werden bei RCT-Studien keine komorbiden<br />

psychischen Störungen zugelassen, d. h. es werden<br />

lückenlos konforme Störungsbilder unterstellt.<br />

Problematisch ist auch die zufällige Zuweisung<br />

der Klienten zu den jeweiligen Treatmentbedingungen.<br />

Es drängt sich der Gedanke auf, dass<br />

man es mit nur vermeintlich ethisch vertretbaren<br />

Untersuchungen zu tun haben könnte. Denn die<br />

Hälfte der an den Studien teilnehmenden Klientel<br />

wird einer «Warteliste» zugeteilt und erfährt<br />

entsprechend gar keine Therapie. Im Sinne der<br />

RCT-Logik kann die therapeutische Wirksamkeit<br />

letzten Endes mittels simpler Prä-Post-Messung<br />

bzw. einer signifikanten Reduktion der Symptomatik<br />

der Therapiegruppe vs. der Wartelistengruppe<br />

nachgewiesen werden. Folglich wird davon<br />

ausgegangen, dass einzig die vom<br />

Therapeuten eingesetzte Technik dem psychotherapeutischen<br />

Erfolg entspricht. Damit wird<br />

der hochgejubelte «Goldstandard» zu einem<br />

«Laborstandard», welcher äusserst wenig Bezug<br />

zur Realität besitzt.<br />

In diesem Zusammenhang sind spannende Diskurse<br />

im Gange, so etwa bezüglich der Frage, ob<br />

die an Diagnosen orientierten, störungsspezifischen<br />

Therapieverfahren den idiosynkratischen<br />

Problemkonstellationen überhaupt gerecht werden.<br />

Denn die allgemeinen Wirkfaktoren gelten<br />

ja, wie bereits erwähnt, sowieso als bedeutender<br />

<strong>für</strong> den psychotherapeutischen Prozess als die<br />

vom jeweiligen Therapeuten eingesetzte Technik.<br />

Dazu gesellt sich die Tatsache, dass während<br />

der «gesamten Debatte» gesellschaftliche Bezüge<br />

beiseitegelassen werden (Wampold, 2001).<br />

Es stellt sich also zwingendermassen die Frage,<br />

ob es nicht angemessener wäre, die Vereinseitigung<br />

der Psychotherapieforschung zugunsten<br />

einer an der realen Praxis orientierten, sogenannten<br />

«naturalistischen» Psychotherapieforschung<br />

aufzugeben (vgl. hierzu das Interview mit Volker<br />

Tschuschke). Systematische, kontinuierliche<br />

Untersuchungen hochkomplexer Therapiesituationen<br />

können Aufschluss über unterschiedliche<br />

Parameter geben. Sie zeigen auf, wie sich ein Patient<br />

mit einem individuellen Störungsbild, bei<br />

einem spezifisch arbeitenden Therapeuten entwickelt.<br />

Weiter kann mit derart ausgefeilten Designs<br />

festgehalten werden, ab welchem Zeitpunkt<br />

im Verlauf der Behandlung sich aufgrund<br />

welcher Beziehungsentwicklung und Intervention<br />

etwas tut oder eben nichts tut. Und vor allem<br />

kann auch untersucht werden, in welchen Bereichen<br />

sich über längere Zeit etwas bewegt<br />

(Tschuschke et al. 2010).<br />

Es scheint offensichtlich, dass der administrativ-<br />

Bildquelle: Rebekka Staehli<br />

«Psychomarkt»<br />

Offenkundig ist auch die Beteiligung der<br />

Psychologen am Prozess der Vermarktlichung<br />

der Ware «Psychotherapie». «Burnout»<br />

z. B. wäre faktisch keine anerkannte<br />

psychiatrische Erkrankung, sondern eine<br />

nicht operationalisierte moderne Zusatzdiagnose<br />

(ICD-10: z73.0). Darunter sind eine<br />

Vielzahl unspezifischer Symptome subsummiert,<br />

sodass eine Abgrenzung zu Störungsbildern<br />

nicht trennscharf möglich ist<br />

(Hillert & Marwitz, 2006); juristisch und insbesondere<br />

versicherungsrechtlich ist die<br />

Vergabe dieser Diagnose nur schwer geltend<br />

zu machen. Durch die Monopolstellung<br />

(91%) des «Maslachs Burnout Inventory»<br />

(MBI) in der Burnout-Forschung<br />

<strong>–</strong> welches im Übrigen weder reliabel noch<br />

valide ist <strong>–</strong> ist das diffuse «Burnout-Konstrukt»<br />

darüber hinaus zu einem schlichten<br />

Testwert zusammengeschrumpft (Rösing,<br />

2008). Demzufolge ist «Burnout» das, was<br />

das MBI misst und deshalb ist unklar, was<br />

das sogenannte «Burnout-Syndrom» eigentlich<br />

ist <strong>–</strong> eine Utopie? Oder ist es vielmehr<br />

ein allgemeinpsychologisches Phänomen<br />

unserer Zeit, welches in einem<br />

diagnostischen Trend resultiert? Dabei sei<br />

dahingestellt, ob man sich wirklich <strong>für</strong> den<br />

klinischen Status von «Burnout» einsetzen<br />

soll, oder ob dieses vermeintliche Konstrukt<br />

nicht viel eher entpathologisiert werden<br />

sollte, um Raum <strong>für</strong> spezifischere Diagnosen<br />

zu schaffen.<br />

In diesem Zusammenhang macht etwa<br />

auch die «Traumatherapie» Psychotherapie<br />

salonfähig: Während sich ansonsten kein<br />

Journalist mit psychischen Störungen und<br />

deren Behandlung befasst, haben Traumatisierungen<br />

offensichtlich eine Magnetwirkung<br />

<strong>–</strong> wobei einige psychotherapeutisch<br />

Tätige diese Zeichen der Zeit erkannt haben<br />

und die Welt des Traumas auch als Bühne<br />

<strong>für</strong> die Vermarktung psychotherapeutischen<br />

Handelns und ihrer selbst nutzen (Strauss,<br />

2006).

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