Rüdiger Hachtmann - Zeithistorische Forschungen
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Potsdamer Bulletin für <strong>Zeithistorische</strong> Studien Nr. 43–44/2008<br />
Probleme in der Perspektive der Werksleitungen<br />
warfen weniger die Disziplinierung<br />
der Fremdarbeiter, als vielmehr<br />
Defizite in der technischen Ausstattung<br />
sowie eine rasch wechselnde Auftragslage<br />
auf. 9<br />
Ließ sich abgesehen von derartigen<br />
Friktionen der vor allem ab 1939/41 nach<br />
rassistischen Kriterien organisierte<br />
„Fremdarbeiter-Einsatz“ ansonsten weitgehend<br />
reibungsfrei in die vielgestaltige,<br />
mit dem Schlagwort „Fordismus“ nur grob<br />
umrissene betriebliche Rationalisierungsbewegung<br />
während des Zweiten Weltkrieges<br />
einpassen? Wie sinnvoll war es generell<br />
in der Sicht der weiterhin nach<br />
Profitkriterien arbeitenden industriellen<br />
Unternehmen, ausländische Arbeitskräfte<br />
statt deutscher Arbeiter bzw. Arbeiterinnen,<br />
die bis 1941 in den verarbeitenden<br />
Industrien den Kern des Rationalisierungsproletariats<br />
bildeten, 10 an den Bändern<br />
zu beschäftigen? Aus mehreren<br />
Gründen ist gegenüber einer Position<br />
Skepsis angebracht, die davon ausgeht,<br />
dass sich unfreie Arbeit, Rassismus und<br />
fordistische Rationalisierungsbewegung<br />
komplikationslos vereinbaren ließen und<br />
die Unternehmensleitungen nur profitiert<br />
hätten: Obwohl die Löhne der ausländischen<br />
Arbeitskräfte, nach nationaler Zugehörigkeit<br />
gestaffelt, meist weit unter<br />
den Verdiensten deutscher Arbeiter lagen,<br />
war die Beschäftigung von Fremdar-<br />
9| Vgl. Hans Mommsen/Manfred Grieger, Das<br />
Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten<br />
Reich, Düsseldorf 1996, bes. S. 394, 396<br />
ff., 406 ff, 426 f., 644, 682 ff.<br />
10| Vgl. <strong>Rüdiger</strong> <strong>Hachtmann</strong>, Frauen in der<br />
deutschen Kriegsindustrie 1936 bis 1945, in:<br />
Geschichte und Gesellschaft, 19/1993, S.332-<br />
366.<br />
26<br />
beitern in der Perspektive der Unternehmen<br />
oft dennoch ausgesprochen teuer.<br />
Den ausländischen Arbeitskräften selbst<br />
wurden etwa die Verpflegungskosten vom<br />
Lohn abgezogen und eine Reihe weiterer<br />
‚Sozialabgaben‘ auferlegt, so dass ihre<br />
nominellen Nettoverdienste meist ausgesprochen<br />
dürftig waren. Mit diesen Ausgaben<br />
waren die Aufwendungen, die die<br />
Betriebe in Rechnung stellten, noch keineswegs<br />
vollständig abgedeckt. Weitere<br />
Kosten etwa für Verwaltung, Luftschutz,<br />
„Entwesung“ und nicht zuletzt die Bewachung<br />
der meist unfreiwillig in Deutschland<br />
arbeitenden Ausländer waren oft beträchtlich.<br />
„Dass uns Ausländer sehr viel<br />
mehr Kosten machen als deutsche Arbeiter“,<br />
stand für Manager beispielsweise<br />
des Siemens-Konzerns außer Frage. Für<br />
sie stellte sich deshalb selbst 1942 noch<br />
die Frage, ob die „weiter steigende Ausländerzahl<br />
[...] wirtschaftlich überhaupt<br />
noch vertretbar“ sei. 11<br />
Indes war in der Perspektive der Unternehmensleitungen<br />
Ausländer nicht<br />
gleich Ausländer. Einerseits befolgten die<br />
Betriebe die von den Nationalsozialisten<br />
vorgegebene, nach „Rassen“ abgestufte<br />
Wertigkeit, der angeblich eine unterschiedliche<br />
Leistungsfähigkeit der Arbeitskräfte<br />
korrespondierte. Andererseits<br />
trugen bestimmte Aspekte der betrieblichen<br />
Rationalisierung dazu bei, dass der<br />
von den Nazis quasi von außen in die Arbeitswelt<br />
hineingetragene Rassismus aufgeweicht<br />
und faktisch ad absurdum geführt<br />
wurde. Besonders deutlich wird dies<br />
11| Zit. nach: Thomas v. Freyberg/Tilla Siegel,<br />
Industrielle Rationalisierung unter dem<br />
Nationalsozialismus. Frankfurt a.M./ New<br />
York 1991, S. 391 f.