Recht auf Zuhause - akj-berlin
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<strong>Recht</strong> und Politik<br />
2 Obdachlos beschreibt<br />
die Situation von<br />
Menschen, die keine<br />
feste Unterkunft haben,<br />
damit über keine<br />
privaten Rückzugsräume<br />
verfügen und<br />
an die Existenz öffentlichen<br />
Raums gebunden<br />
sind. Wohnungslos<br />
umfasst darüber<br />
hinaus alle Menschen,<br />
die nicht in einem eigenen<br />
mietvertraglich<br />
abgesichertem Wohnraum<br />
leben, also auch<br />
Menschen in Frauenhäusern,Gefängnissen,<br />
Notunterkünften<br />
und Heimen; vgl. Paul<br />
Neupert, Geographie<br />
der Obdachlosigkeit,<br />
2010<br />
3 BVerfG, 1 BvR 699/06<br />
vom 22. 2. 2011, Rn. 69<br />
4 Die männliche Form<br />
ist zwar nicht ausgeschrieben,<br />
soll aber<br />
natürlich mitgedacht<br />
sein.<br />
5 Akteurinnen:Programm<br />
Soziale Stadt<br />
finanziert seit 2003<br />
auch Sicherheit (Ver-<br />
28<br />
sellschaftliche Diskurse auch in anderen Zusammenhängen<br />
strukturieren und mitprägen und darüber<br />
hinaus Ansätze für Interventionen in repressive<br />
Diskurse einfordern.<br />
Zur groben Orientierung vorweg: Momentan leben<br />
bundesweit ungefähr 22.000 Menschen obdachlos,<br />
knapp die Hälfte davon in Berlin; geschätzte<br />
280.000 Menschen sind wohnungslos.2<br />
Umkämpfte Orte<br />
Schauplatz von Verdrängungen sind öffentliche,<br />
also der Allgemeinheit zugängliche Orte.3 Dort finden<br />
politische Auseinandersetzungen statt: so sind<br />
öffentliche Räume Experimentierflächen, <strong>auf</strong> denen<br />
zum Beispiel Küssen <strong>auf</strong> der Straße oder die Präsenz<br />
von Frauen erst <strong>auf</strong>grund wiederholter Konventionsbrüche<br />
gesellschaftliche Akzeptanz errungen<br />
haben. Dabei ist öffentlicher Raum keineswegs<br />
<strong>auf</strong> staatlichen Besitz beschränkt, sondern umfasst<br />
vielmehr auch soziale Orte, die privatrechtlich verwaltet<br />
werden – zum Beispiel Bahnhöfe, Eink<strong>auf</strong>szentren,<br />
Parks und den Potsdamer Platz.<br />
waltungsvereinbarungStädteb<strong>auf</strong>örderung<br />
2012 , Art. 5 V)<br />
➝ Ordnungsdienstleistungen<br />
– Berliner Polizei:<br />
Städtebauliche Kriminalprävention<br />
(Ingrid Hermannsdörfer),<br />
Strategische<br />
Prävention (LKA,<br />
Tanja Knapp)<br />
– Ordnungsamt (300<br />
Personen in 3 Einzeldiensten<br />
mit<br />
Schlagstöcken, Pfeffer,Datenerfassungsgeräten,Kameras<br />
und Uniformen)<br />
– Sicherheitsdienste<br />
(169.000 Beschäftigte,<br />
davon 7–13%<br />
im öffentlichen<br />
Raum., vgl. Briken,<br />
Produktion von »Sicherheit«?),<br />
– Non-Profit Sicherheitsdienste:<br />
130<br />
Berliner MAE– Beschäftigte<br />
6 Die Grün GmbH verwaltet<br />
z. B. die Tempelhofer<br />
Freiheit, den<br />
Britzer Garten, die<br />
Gärten der Welt Marzahn<br />
und den Naturpark<br />
Schöneberger<br />
Südgelände.<br />
7 Interessensgruppe<br />
der Unternehmen<br />
am Alex, die sich für<br />
Platzverweise gegen<br />
Straßenmusikerinnen,<br />
Bauchladenverkäuferinnen<br />
und Bettlerinnen<br />
einsetzt; eine ähnliche<br />
Gemeinschaft<br />
hat sich erfolgreich am<br />
Kotti für verstärkte<br />
Überwachungsmaßnahmen<br />
eingesetzt.<br />
8 Die Wall AG verwaltet<br />
gebührenpflichtige<br />
Klos.<br />
9 Daimler besitzt den<br />
Potsdamer Platz; weitere<br />
privat verwaltete<br />
Räume sind z. B. der<br />
Los Angeles Platz und<br />
die O2-Arena mit den<br />
angrenzenden Straßen<br />
und Freiflächen.<br />
10 André Holm, »Behutsame<br />
Verdrängung«<br />
am Helmholtzplatz:<br />
Ausgrenzung im Aufwertungsgebiet,<br />
S. 8.<br />
Öffentlicher Raum als Lebensraum<br />
Wenn private Rückzugsräume nicht bestehen, ein<br />
Mensch also obdachlos ist, sind Orte für die Erledigung<br />
des alltäglichen Überlebens verstreut: Duschen,<br />
waschen, schlafen, lagern, ein kostenloser<br />
Haarschnitt oder Internetanschluss sind womöglich<br />
jeweils woanders und oft nur zu festgelegten<br />
Zeiten zugänglich. Öffentlicher Raum ist zugleich<br />
Treffpunkt, Arbeitsplatz, Transportweg und<br />
Übernachtungsort sowie Ort von Alltagsorganisation.<br />
Besonders der Zugang zu Sozialleistungen<br />
kann das Überwinden weiter Strecken erfordern,<br />
da sich Jobcenter und Sozialämter ihre sogenannte<br />
Klientel ohne Meldeadresse nach Nachnamen zuteilen.<br />
Im Kontext räumlicher Unsicherheit ist der<br />
erwünschte Gebrauch öffentlicher Plätze nicht angelegt,<br />
stattdessen müssen sich Orte immer wieder<br />
<strong>auf</strong>s Neue angeeignet werden.<br />
Stadtpolitische Aufwertungen<br />
Um öffentliche Orte spielen sich regelmäßig Nutzungskonflikte<br />
ab, mit denen Veränderungen von<br />
Besitzstrukturen und Zuschreibung von Nutzungszwecken<br />
einhergehen. In Berlin definieren neben<br />
Nutzerinnen4 verschiedenste Akteurinnen öffentlich<br />
zugängliche Räume. Dazu gehören städtische<br />
Akteurinnen aus Ordnungsämtern, Polizei und<br />
Quartiersmanagements5 ebenso wie privatrechtlich<br />
Organisierte wie die Grün GmbH6, die Arbeitsgruppe<br />
City West7, die Wall AG8, Daimler9 oder<br />
die BVG. Sie treten entweder als Eigentümerin <strong>auf</strong><br />
oder schließen sich zu privaten Interessengruppen<br />
zusammen, die gemeinsam in Infrastruktur- und<br />
Sicherheitsmaßnahmen investieren. Besonders aggressiv<br />
setzt sich immer wieder die eigentumsfähige<br />
Stadtbürgerin als angestrebte Zielgruppe und damit<br />
als Maßstab für gestalterische Ansprüche solcher<br />
Plätze durch. So stellte das Quartiersmanagement<br />
bei Umgestaltungsprozessen am Helmholtzplatz<br />
den damaligen, teilweise obdachlosen<br />
Platznutzerinnen »spielende Kinder, kaffeetrinkende<br />
Senioren und ausgelassene Familientreffs«10<br />
gegenüber.<br />
Sony_center, Britzer Gärten und der Kotti<br />
Besonders problematisch ist eine Privatisierung<br />
von Raum, weil sie Hoheiten über Ordnungspolitiken<br />
verschiebt. Zugangs- und Nutzungsbeschränkungen<br />
schreiben sich in Center-, Park-, und Hausordnungen<br />
fest, deren Durchsetzungsmöglichkeiten<br />
privaten Sicherheitsunternehmen übertragen<br />
Ausgabe 19 | 2012/13