Andrés Orozco-Estrada präsentiert Neue Musik - Tonkünstler ...
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Gottgefällige<br />
EXPLOSIONEN<br />
Zu Beginn der neuen Saison halten die Ton -<br />
künstler ein Plädoyer für die Verbindung von<br />
Tradition und Gegenwart: Eine Uraufführung<br />
von Gerald Resch eröffnet die Spielzeit im Wiener<br />
<strong>Musik</strong>verein, gefolgt von Felix Mendelssohn<br />
Bartholdys «Lobgesang». Ein Gespräch mit<br />
dem zeitgenössischen Komponisten über ein<br />
beziehungsreiches Projekt.<br />
Gemütlich ist das Komponisten-Leben. Zu -<br />
mindest könnte man das glauben, wenn<br />
einem Gerald Resch bei seinen ersten Arbeitsschritten<br />
begegnet. Denn die bestehen vor<br />
allem aus der Entwicklung von Ideen. Spazierengehen,<br />
in der Hängematte liegen – ja, es<br />
kann durchaus so wirken, als hielte der Ober -<br />
österreicher ein kleines Nickerchen. Sieht ge -<br />
mütlich aus, ist es aber nicht so ganz.<br />
Reichlich grübeln musste Resch zuletzt für<br />
das <strong>Tonkünstler</strong>-Orchester Niederösterreich.<br />
Der Auftrag war in der ersten Planungsphase<br />
eine rechte Kopfnuss – auf die dann immer<br />
intensive Kompositionsarbeit folgt. <strong>Musik</strong><br />
schrei ben, die gleichermaßen Ergänzung und<br />
Gegenstück zu Felix Mendelssohn Bartholdys<br />
«Lobgesang» ist? Da muss man sich erst einmal<br />
4<br />
hineinleben in dieses große Werk, das aus dem<br />
Herzen des 19. Jahrhunderts stammt. «Ein<br />
interessantes Stück», urteilt Resch, ergänzt<br />
aber: «Es wird heute selten gespielt, weil es nicht<br />
ganz unproblematisch ist.» Nämlich von den<br />
Proportionen her: Drei Sätze lang Instrumentalmusik,<br />
am Schluss ein ausgedehnter Vokal-<br />
Block mit Chor und Solisten: «Dieses Finale ist<br />
wie eine Blase, die alles sprengt.»<br />
Die Bombastik kommt nicht von ungefähr.<br />
Als sich Mendelssohn Bartholdy ans Notenpapier<br />
setzte, stand eine Feier vor der Tür: das<br />
400-Jahr-Jubiläum der Buchdruckerkunst.<br />
Ein Anlass, den<br />
man aus heutiger Sicht wo -<br />
möglich mit einem Schulterzucken<br />
quittieren würde. Das<br />
Leipzig des Jahres 1840 hatte<br />
dagegen allen Grund zum<br />
Jubeln. Erstens war die Stadt die Hochburg des<br />
deutschen Verlagswesens. Zweitens war der<br />
Buchdruck nicht nur eine praktische Erfindung,<br />
er durfte gewissermaßen als Siegessymbol<br />
des Bürgertums gelten – und Johannes<br />
Gutenberg als dessen Prometheus. Seine<br />
«schwarze Kunst» sprengte mit ihrer Bücher-<br />
… die klangliche<br />
Dramaturgie bürgt<br />
für Effekt und<br />
Erlebniswert.<br />
flut vormalige Bildungsbarrieren, wurde so<br />
nicht zuletzt zur Grundlage für die Aufklä -<br />
rungsbestrebungen im 18. Jahrhundert. Und<br />
nun, nach 400 Jahren Buchdruck, war die<br />
große Zeit des Bürgertums allgemein spürbar<br />
angebrochen. So feierten die sozialen Aufsteiger<br />
im Juni 1840 nicht nur Gutenberg, sondern<br />
vor allem sich selbst. Und das im großen<br />
Stil. Der Termin uferte regelrecht zum Volksfest<br />
aus. Wobei da selbstverständlich auch<br />
gehobene Konzertmusik – ein weiteres Kultobjekt<br />
des Bildungsadels – nicht fehlen durfte.<br />
Der Leipziger Gewandhaus-Kapellmeister<br />
wiederum<br />
packte die Gelegenheit am<br />
Schopf, seine Leidenschaft für<br />
geistliche <strong>Musik</strong> auszuleben:<br />
Wenn schon im großen Stil<br />
danken und jubilieren –<br />
warum dann nicht im Namen Gottes? Dabei<br />
wusste der kunstsinnige Bankierssohn nicht<br />
nur mit eigenen Gattungsbeiträgen, sondern<br />
auch mit Entdeckungen für seine Zeit zu<br />
reüssieren. Elf Jahre zuvor demonstrierte er<br />
mit einer Aufführung der Matthäus-Passion in<br />
Berlin, dass Johann Sebastian Bach beileibe