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Von der Allgegenwart des Gegensinns (und einiger anderer ...

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1.3. Going Beyond the Information Given<br />

Anlässlich eines Symposiums hat sich <strong>der</strong> illustre Harvard-­‐Psychologe Jerome S.<br />

Bruner 1957 in bemerkenswerter Weise zu Problemen <strong>der</strong> Kognition geäußert. Sein Bei-­‐<br />

trag handelt von dem Phänomen, dass wir alle in <strong>der</strong> Lage sind, einzelne Daten in einen<br />

allgemeineren Zusammenhang einzuordnen <strong>und</strong> dadurch in Relationen zu bringen, die<br />

man mit Bruner -­‐ <strong>und</strong> gemäß <strong>der</strong> damals aktuellen Informationstheorie -­‐ 'co<strong>des</strong>', mit Pi-­‐<br />

aget (den Bruner zitiert) 'Schemata' nennen kann. Es geht also etwa darum, dass wir in<br />

<strong>der</strong> Lage sind, zwischen <strong>der</strong> gegebenen Zahlenreihe 1, 4, 9, 16, 25, ... <strong>und</strong> <strong>der</strong> nicht gege-­‐<br />

benen Zahlenreihe 1, 2, 3, 4, 5,... eine Relation herzustellen <strong>und</strong> dadurch die gegebene<br />

erste Zahlenreihe nicht nur leicht im Gedächtnis behalten bzw. aus dem Gedächtnis re-­‐<br />

konstruieren, son<strong>der</strong>n auch beliebig fortsetzen, d.h. in doppeltem Sinn über die gegebe-­‐<br />

ne Information hinausgehen können 7 .<br />

Ohne die Wichtigkeit solcher Schemata <strong>und</strong> ihrer Erkenntnis im geringsten an-­‐<br />

zweifeln zu wollen: Es gibt noch elementarere Formen <strong>des</strong> Hinausgehens über die gege-­‐<br />

bene Information. Ein einfaches <strong>und</strong> einleuchten<strong>des</strong> [p. 5] Beispiel sind bereits einige<br />

Gesetze aus dem Bereich <strong>der</strong> Gestaltpsychologie. Um diese, im vorliegenden Zusammen-­‐<br />

hang nicht unwichtigen Gesetzmäßigkeiten würdigen zu können, müssen vorab drei seit<br />

Aristoteles bekannte, insbeson<strong>der</strong>e durch die Phänomenologie <strong>und</strong> die Gestaltpsycholo-­‐<br />

gie geläufige Begriffe um einen weiteren ergänzt <strong>und</strong> als zwei „Dimensionen" mit jeweils<br />

zwei Extrempolen begriffen werden -­‐ es geht also wie<strong>der</strong>um um Gegensatzpaare. Die<br />

bekannten Begriffe sind: Similarität, Kontrast, Kontiguität. Der zu ergänzende ist <strong>der</strong>je-­‐<br />

nige <strong>der</strong> Distanz. Die beiden Dimensionen sind dementsprechend:<br />

Dimension 1: Similarität -­‐ Kontrast;<br />

Dimension 2: Kontiguität -­‐ Distanz 8.<br />

Die Dimension 'Similarität -­‐ Kontrast' scheint beson<strong>der</strong>s einleuchtend <strong>und</strong> erklärungs-­‐<br />

stark zu sein -­‐ sie spielt z.B. in den vorsokratischen Vorstellungen von <strong>der</strong> Sinneswahr-­‐<br />

nehmung die entscheidende Rolle. Theophrast konnte entsprechend dann die jeweiligen<br />

von ihm referierten Positionen in ein Zweier-­‐Raster einordnen: Man erkennt Gleiches<br />

durch Gleiches, sagten die einen, <strong>und</strong> noch Goethe stellte fest: «Wär nicht das Auge son-­‐<br />

nenhaft, die Sonne könnt es nie erblicken». Die an<strong>der</strong>en vertraten dagegen die These,<br />

man erkenne Gleiches durch Gegensätzliches 9 .<br />

Mit Hilfe dieser beiden Dimensionen <strong>und</strong> ihrer vier polaren Instanzen lassen sich<br />

nun, wie mir scheint, gr<strong>und</strong>legende Gestaltgesetze leicht beschreiben. Das sogenannte<br />

werden, obwohl es sich doch, wie etwa H. Weinrich ausgeführt hat, um den Prototyp eines Zweierparadig-­‐<br />

mas handelt (1975: 57f.). -­‐ Zur Abbildung späterer Klassifizierungen <strong>des</strong> Entgegengesetzten auf die aristo-­‐<br />

telische bedarf es einer Ergänzung. Unter 'Entgegengesetztes' mit zugelassenem tertium muss neben <strong>der</strong><br />

fünften Art <strong>des</strong> Entgegengesetzten noch eine weitere, von Aristoteles zwar de facto verwendete, hier je-­‐<br />

doch nicht eigens angegebene Variante untergeordnet werden, in <strong>der</strong> zwischen zwei Extrempolen eine<br />

gradierbare Skala besteht. Manche Autoren (Lyons, Schifko) verwenden speziell für diese Art <strong>des</strong> Entge-­‐<br />

gengesetzten den Begriff 'Antonymie'.<br />

7 Bruner 1957: 50. 1973 erschien ein Sammelband mit Aufsätzen Bruners unter dem fast identischen Ti-­‐<br />

tel Beyond the Information Given, in dem auch <strong>der</strong> in Rede stehende Aufsatz wie<strong>der</strong> abgedruckt ist (218-­‐<br />

238).<br />

8 Zur Erklärung weiterer Gesetze <strong>der</strong> Gestaltpsychologie in diesem Rahmen bedarf es u.a. noch <strong>der</strong> Di-­‐<br />

mensionen 'Kontinuität -­‐ Diskontinuität' <strong>und</strong> 'Vollständigkeit -­‐ Unvollständigkeit'. Auch hier entsteht be-­‐<br />

zeichnen<strong>der</strong>weise eine richtiggehende „Systoichie" von entgegengesetzten Begriffen.<br />

9 Goethe, Zahme Xenien III; Theophrast, De sensu, 1ff.

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