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eportage<br />
Am Anfang ist nur Lärm. Dann kommt die Vibration, der Druck – und<br />
schon sind wir in der Luft. Oben. Weg. Unser Reporter im schwedischen<br />
Kampfjet, der bald auch über die Schweiz donnern könnte<br />
Text Lukas Egli Fotos Karl-Heinz Hug<br />
GOOD MORNING, LAPPLAND<br />
Reporter Lukas Egli im zweisitzigen Trainingsjet<br />
hoch über dem Übungsgebiet der<br />
schwedischen Luftwaffe. Das ist gut doppelt<br />
so gross wie die Schweiz, wohin die Schweden<br />
ihren Gripen als neuen Kampfjet liefern<br />
möchten<br />
IM GRIFF DES GRIPEN GRIPEN|15 GRIPEN15<br />
14 | SonntagsBlick SonntagsBlick SonntagsBlick Magazin SonntagsBlick Magazin | |15 | 15
In den Himmel geschossen,<br />
od Himmelstrabant, Sternschnuppe.<br />
Herzklopfen.<br />
«Gooooooood morning, Laplaaaaaand!»<br />
Atmen!<br />
Nein, ich habe noch nie Flugangst gehabt.<br />
Auf die Rollbahn gefahren werden und auf das<br />
anspruchsvollste Manöver der Fliegerei warten?<br />
Kein Problem! Vom Sessel aus Tausende<br />
Meter über dem Boden auf Land und Leute<br />
niederschauen? Bitte! Über dem Ozean die<br />
Grossartigkeit von Mutter Erde bestaunen?<br />
Wunderbar!<br />
Auch vor Geschwindigkeit habe ich mich<br />
nie gefürchtet. Im Gegenteil: das leere Gefühl<br />
im Bauch beim harten Anfahren, in den Sessel<br />
gedrückt werden während der Beschleunigung,<br />
schneller, immer schneller, bis das Nackenhaar<br />
aufsteht – mehr davon!<br />
Bis ich vergangene Woche in Nordschweden<br />
in den Gripen gestiegen bin.<br />
Ich habe gedacht: Ein Testflug in einem<br />
Kampfjet – aufregend, klar, machen wir, locker.<br />
Die werden mit uns ein wenig auf der<br />
Rollbahn rumkurven, und das wars. Als ich<br />
dann aber nach einem langen Tag Vorbereitung<br />
in der engen Kabine des Gripen sitze,<br />
umgeben von etwas Karbon,<br />
Kunststoff und Stahl, über<br />
ein Dutzend Kabel, Riemen<br />
und Schläuchen mit dem<br />
Fighter verbunden und auf<br />
Gedeih und Verderb<br />
meinem Piloten mit Übernamen<br />
«Combat» ausgeliefert,<br />
weiss ich: Es gilt ernst.<br />
Ich sitze nicht in einem<br />
Kampfjet – ich bin mit<br />
einem Kampfjet bekleidet.<br />
«Combat» zieht den Jet steil hoch. Wir gehen<br />
senkrecht in die Luft. 1000 Fuss, 2000<br />
Fuss, 3000 Fuss. Drehen scharf links. Helm<br />
drückt auf Stahl. Arme wie Blei. Blickfeld eng.<br />
Gefesselt.<br />
Atmen!<br />
Ich sehe wie sich die Landschaft unter<br />
mir verformt, als wäre sie Knetmasse. Wie<br />
sie auf der einen Seite näher zu kommen<br />
scheint, auf der anderen Seite verschwindet.<br />
Als der Druck endlich nachlässt, stosse ich ein<br />
schweres «Uff» in die Atemmaske. Tobhias<br />
Wikström, wie «Combat» mit bürgerlichem<br />
Namen heisst, antwortet mit «Hahaha». Er<br />
habe beim Start, sagt er nachher, den Nachbrenner<br />
gezündet. Das sei zwar nicht üblich.<br />
Mache aber mehr Spass. «Hahaha.»<br />
Luleå ist das Meiringen von Schweden:<br />
eine kleine Stadt knapp unterhalb des Polarkreises,<br />
die grösste Stadt am Bottnischen<br />
Meerbusen und, neben einer Basis südlich<br />
von Stockholm, Schwedens wichtigster Luftwaffenstützpunkt.<br />
Russland, jahrzehntelang<br />
eine realistische Bedrohung für das neutrale<br />
Land, ist nah, militärisch in Sichtweite.<br />
Hierhin hat uns der Flugzeugbauer Saab<br />
und die schwedische Luftwaffe eingeladen, um<br />
«einmal die Erfahrung zu machen, was ein solcher<br />
Kampfjet leistet», wie es Peter<br />
Liander von Saab ausdrückte, der die Reise organisiert<br />
hatte. Sein Ziel war klar: den Gripen<br />
in die Schweiz zu verkaufen. Und wir – wir<br />
wollten einfach einmal Fighter fliegen. Und sei<br />
es auf dem Rücksitz eines Trainingsjets. Ein<br />
Abenteuer, das noch nicht vielen vergönnt worden<br />
ist: Selbst Max Ungricht, Chefredaktor der<br />
Fachzeitschrift «Cockpit», der auch eingeladen<br />
war, hatte diese Erfahrung noch nie gemacht.<br />
Was es uns abverlangen würde, wurde<br />
schnell klar: Wir hatten in Luleå kaum die Füsse<br />
auf festen Boden gesetzt, als Peter Liander<br />
das Programm für den kommenden Tag skizzierte:<br />
Abfahrt vom Hotel zum Stützpunkt um<br />
7 Uhr, medizinische Tests bis Mittag, dann<br />
AUF HERZ UND NIEREN GEPRÜFT<br />
Ordentlich liegen die massgefertigten<br />
Pilotenhelme in ihren Kästchen, blitzblank<br />
glänzt der Wartungshangar. SonntagsBlick-<br />
Autor Egli wird vor dem Start medizinisch<br />
durchgecheckt, inklusive EKG, und von<br />
seinem Piloten Tobhias «Combat» Wikström<br />
ausführlich gebrieft<br />
Lunch, am Nachmittag<br />
Sicherheits-Briefings<br />
und, wenn Zeit, ein<br />
Rundgang auf dem Gelände.<br />
Es blieb wenig<br />
Zeit.<br />
Wir mussten Blut-<br />
und Urinproben abgeben,<br />
einen Gehör- und<br />
Sehtest machen, ein<br />
EKG, eine Untersuchung<br />
durch einen Militärarzt<br />
über uns ergehen lassen. Schriftlich gab er uns<br />
die Erlaubnis, am nächsten Morgen in den<br />
Kampfjet zu steigen. Keine Selbstverständlichkeit;<br />
er habe neulich acht Briten und Iren dagehabt,<br />
erzählte der Doc. Drei hätten nicht in<br />
die Luft gedurft. Uns schwante Übles.<br />
«Da drüben, links, ist Finnland», sagt<br />
Tobhias auf 25 000 Fuss. «Rechts kannst<br />
du die Berge sehen.» Es bleibt mir nur wenig<br />
Zeit, die Aussicht zu geniessen, schon drückt<br />
«Combat» den Jet in Richtung Boden. «Lass<br />
uns zu den Wolken da unten fliegen», sagt er.<br />
Schon streifen wir den zarten weissen Dunst,<br />
fliegen hindurch, dann wieder hoch, das Flug-<br />
<strong>reportage</strong><br />
zeug wie auf Schienen, ein Gefühl von Achterbahn.<br />
«That’s what it’s all about», sagt Tobhias.<br />
«Willst du mal das Steuer übernehmen?»<br />
Der JAS-39 Gripen ist ein einmotoriger<br />
Kampfjet der fünften Generation. JAS steht<br />
für «Jakt, Attack och Spaning» – er ist Jäger,<br />
Angreifer und Aufklärer in einem. Seine kompakte<br />
Bauweise macht ihn zu dem Jet mit den<br />
niedrigsten Betriebskosten. Dennoch ist er in<br />
der Evaluation der Schweiz zur Beschaffung<br />
neuer Kampfjets eher der Aussenseiter. Allein<br />
schon deshalb, weil er so günstig ist: Die<br />
Schweizer Armee will immer das «Beste»,<br />
heisst: Teuerste, Exklusivste. Die Industriekonzerne<br />
Dassault aus Frankreich sowie das<br />
deutsch-europäische Konsortium EADS, welche<br />
die Konkurrenten Rafale und Eurofighter<br />
anbieten, verfügen wegen der überaus engen<br />
wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der<br />
Schweiz, Deutschland und Frankreich über<br />
eine stärkere Lobby.<br />
«Is you a bit afraid?», hatte mich Roland<br />
Nordgren gefragt, als ich eingekleidet war. Er<br />
hatte uns mit Overalls, Druckanzug und Schuhen<br />
ausgestattet. Die Furcht war wohl nicht zu<br />
verbergen gewesen. Kein Wunder: Sie<br />
hatten uns Kotztüten in die Hosenta- od<br />
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eportage<br />
schen gesteckt und uns eingebläut, vor<br />
od dem Erbrechen rechtzeitig die Atemmaske<br />
auszuziehen; sie hatten uns verboten,<br />
während des Starts und der Landung etwas anzufassen;<br />
sie hatten uns erklärt, was «Eject!<br />
Eject! Eject!» bedeutet: Arme zum Körper, Augen<br />
schliessen, Zähne zusammenbeissen und<br />
kräftig am gelb-schwarzen Stahlhebel zwischen<br />
den Beinen ziehen – der Schleudersitz,<br />
für den Notfall. Am Schluss mussten wir Namen<br />
und Telefonnummern unserer nächsten<br />
Angehörigen aufschreiben. «Das wird ein<br />
Flug, den man nicht buchen kann», hatte Peter<br />
Liander aufmunternd gesagt.<br />
Dann hiess es: Raus in den Kampf um Tapferkeit<br />
und Würde!<br />
«Fighter on two o’clock», flötet eine<br />
charmante Frauenstimme in meinem<br />
Helm. «Die schlechten Nachrichten überbringt<br />
jeweils ein Mann», lacht Tobhias. Die<br />
Dame macht uns darauf aufmerksam, dass<br />
links hinter uns ein anderer Jet fliegt. «Combat»<br />
dreht unvermittelt eine enge Rolle, bei der<br />
sich der Jet um seine eigene Achse dreht. Mein<br />
Körper ist augenblicklich wie gelähmt. Kopf<br />
leer. Wille weg. Sehe, wie Welt sich dreht.<br />
Füge mich.<br />
Atmen!<br />
Dass der da vorne überhaupt noch lenken<br />
kann!<br />
«Hahaha», macht Tobhias.<br />
Nein, das hier ist nicht Meiringen. Hier<br />
stört man keine Bewohner, Touristen, Murmeltiere.<br />
Wir blicken von 10 000 Meter auf<br />
Millionen von Seen und Billionen von Bäumen<br />
in allen erdenklichen Farben. Weit und<br />
breit keine Häuser. Nordschweden ist fast unbewohnt.<br />
Das Trainingsgelände der Staffel sei<br />
gut doppelt so gross wie die Schweiz, weiss<br />
Tobhias. «Ein Paradies für Fighter-Piloten.»<br />
Warum nur sind die schönsten Flecken<br />
Erde immer Militärübungsplätze?<br />
Als Tagesprogramm ist eine kleine Alltagsübung<br />
der Staffel vorgesehen: Wir sollen ein<br />
anderes Flugzeug abfangen, das in «unseren»<br />
Luftraum eingedrungen ist, und es auffordern,<br />
ihn zu verlassen. Mit Tempo Teufel fliegt<br />
«Combat» von hinten an den Jet heran und<br />
drosselt aggressiv sein Triebwerk. Das sei auch<br />
im Ernstfall eine Show, sagt der Pilot. So dass<br />
allen sofort klar ist, wer der Chef des Luftraums<br />
ist. Als wir die Übungspartner wieder<br />
verlassen, beschleunigt Tobhias von 250 auf<br />
550 Knoten – gut 1000 km/h – in 6 Sekunden.<br />
89 Kilo-Newton drücken mich in den Stahlsitz.<br />
Tränen im Gesicht.<br />
Atmen!<br />
Mir kommt der Kaffeeraum der Piloten in<br />
den Sinn, wo eine Plakette der Rocket Chair<br />
Society hängt. Niklas Sandström ist im Jahr<br />
1998 der letzte schwedische Pilot gewesen, der<br />
unsanft aus dem Jet hat aussteigen müssen.<br />
Auf der Plakette sind nur diejenigen verzeichnet,<br />
die den Schleudersitz überlebt haben.<br />
Tote werden nicht Mitglieder in einem Club.<br />
Schon gar nicht in einem so exklusiven.<br />
Jetzt nur diesen stählernen Hebel zwischen<br />
den Beinen nicht berühren!<br />
In der Cafeteria hängt auch ein gut acht<br />
Meter breites Gemälde. Das Panorama zeigt<br />
zwei Jets in romantischer nordischer Land-<br />
DIE HERREN DER LÜFTE<br />
Bei akrobatischen Figuren treten Belastungen<br />
bis zur neunfachen Erdanziehung<br />
auf – Helm und Druckanzug sollen Fluggast<br />
Egli dafür wappnen. Pilot «Combat» war<br />
gnädig und liess es bei 5g bewenden<br />
schaft. Sie fliegen nach Lapporten, zum<br />
Tor Lapplands. Vor diesem kitschigen<br />
Bild sitzen die Piloten mehrmals am<br />
Tag und trinken Kaffee, «Fika» wie es<br />
auf Schwedisch heisst, blättern in den Zeitschriften<br />
«Air Forces» oder «Combat Aircraft»,<br />
plaudern. Ab und zu bringen sie ihre<br />
Jets auf das Rollfeld, steigen in den Himmel<br />
hinauf. Vorne links in ihrem Cockpit finden<br />
sie einen Kippschalter: «Peace», «War». Er ist<br />
unbenutzt. Die schwedischen «Top Guns»<br />
sind nette Typen.<br />
«Combat» sei der Typ von Mann, dem<br />
man nicht allein im Wald begegnen<br />
wolle, hatte einer gesagt. Tobhias hatte nur<br />
verlegen gelacht. Er ist 36 Jahre alt, Major, Deputy<br />
Squadron Commander und stammt, wie<br />
die meisten Piloten, aus Stockholm. Er ist der<br />
entspannteste Karrierist, den ich je getroffen<br />
habe. Seit 1998 lebt er in der kleinen nordischen<br />
Stadt Luleå, deren Name nur aussprechen<br />
kann, wer besoffen ist – oder einem<br />
Kampfjet entsteigt: Lüüüleo.<br />
«Jetzt machen wir ein paar akrobatische Figuren,<br />
okay?», fragt «Combat». Bevor ich antworte,<br />
setzt er zum Looping an. Schnell ziehen<br />
wir hoch, die Erde verschwindet, wir fliegen<br />
geradewegs in den Himmel. Über 5g, die fünffache<br />
Erdanziehungskraft, wirken nun auf<br />
uns. Der Druckanzug wird prall und hart, damit<br />
nicht alles Blut aus unseren Köpfen<br />
weicht. Der Körper heiss. Alles drückt.<br />
Dann sehen wir die Erde auf dem Kopf<br />
stehen.<br />
Rasen kopfüber wieder auf sie zu.<br />
Alles wendet sich.<br />
Atmen!<br />
Der Flug – ein Wahn. Ein Rausch. Eine Gehirnwäsche.<br />
Am Vorabend hatte ich vor lauter Aufregung<br />
nur Pizza gegessen. Statt Rentier. Jetzt<br />
ist mir kein bisschen schlecht. Langsam beginnt<br />
mir dieser Gripen zu gefallen. Künftig wer-<br />
de ich beim Start einer Linienmaschine<br />
an die Fahrt in einem alten Volvo denken<br />
müssen, beim Airbus-Fliegen an das Busfahren<br />
im Osten.<br />
Der Greif – Gripen – ist ein mythisches<br />
Tier, halb Löwe, halb Adler. Das<br />
wohl aus dem Orient stammende Fabelwesen<br />
taucht in Märchen und Mythologie<br />
zwischen Indien und dem Aargau<br />
auf. Sogar auf der Bundesratskuppel in<br />
Bern sitzt einer. Ob das der schwedischen<br />
Offerte bei der Kampfjet-Evaluation<br />
dient, ist fraglich.<br />
«Cockpit»-Chefredaktor Max Ungricht<br />
ist für den Gripen. Der agile Jet sei wie gemacht<br />
für unser Land, Schweden stelle ähnliche<br />
Anforderungen an seine Luftwaffe wie<br />
die Schweiz. Würde man den Eurofighter als<br />
Rolls-Royce und den französischen Rafale als<br />
Bentley unter den Kampfjets bezeichnen, wäre<br />
der Gripen ein Audi-Kombi: leichter – mehr<br />
Arbeitstier denn Repräsentant. «Ganz einfach<br />
die vernünftigste Lösung», findet Ungricht.<br />
Nach 41 Minuten ist der Höllenritt vorbei.<br />
«Combat» ist in einem Radius von gut 250 Kilometern<br />
über Nordschweden geflogen, hat<br />
3000 Liter Kerosin verbrannt, literweise geschwitzt.<br />
Bei unserer Rückkehr sitzen die Piloten<br />
wieder beim Kaffee. «Hey, how was it?»,<br />
fragen sie. Und antworten selbst: «I can see it<br />
in your face!» Es steht in mein Gesicht<br />
geschrieben. l<br />
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