27.07.2013 Aufrufe

Bei einem Besuch in einem nahegelegenen Holzhandel habe ich ...

Bei einem Besuch in einem nahegelegenen Holzhandel habe ich ...

Bei einem Besuch in einem nahegelegenen Holzhandel habe ich ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Seite 37<br />

VENETSIA – PUINEN KAUPUNKI<br />

VENEDIG – EINE STADT AUS HOLZ<br />

Auf den ersten Blick sche<strong>in</strong>t Venedig e<strong>in</strong>e Stadt aus<br />

Marmor zu se<strong>in</strong>, an dem der Zahn der Zeit schon<br />

kräftig genagt hat. Aber ungeachtet des Umstandes,<br />

dass <strong>in</strong> der Lagune e<strong>in</strong> gnadenlos feuchtwarmes Klima<br />

herrscht und die Gebäude bis zu den Knöcheln im Salzwasser<br />

stehen, ist diese zum Weltkulturerbe der UNESCO gehörende<br />

Stadt auch e<strong>in</strong>e Holzstadt.<br />

Ohne Übertreibung kann man sagen, dass es <strong>in</strong> den<br />

Gebäuden mehr Teile aus Holz als aus Ste<strong>in</strong> gibt. Aus Holz<br />

s<strong>in</strong>d die Pfähle und Roste der Fundamente, die Balken der<br />

Geschossdecken, die Erker an den Fassaden, die Türen und<br />

die le<strong>ich</strong>ten Trennwände ebenso wie die Dachkonstruktionen<br />

der Kirchen e<strong>in</strong>schließl<strong>ich</strong> der Kuppeln. Aus Holz s<strong>in</strong>d auch<br />

die über die Ziegeldächer h<strong>in</strong>aus ragenden altanas, die<br />

Dachterrassen, die man bereits auf Renaissance-Gemälden<br />

von Venedig sehen kann<br />

Woher stammt das Holz?<br />

In Venedig selbst f<strong>in</strong>det man ke<strong>in</strong>e Baumaterialien vor. Zur<br />

Republik Venedig (697–1797) <strong>habe</strong>n jedoch se<strong>in</strong>erzeit große<br />

gebirgige Gebiete gehört. Und dort hat man das Holz e<strong>in</strong>geschlagen,<br />

das e<strong>in</strong> unerlässl<strong>ich</strong>es Material für den Bau der<br />

Flotte ebenso wie für den Bau der ganzen Stadt war.<br />

Die w<strong>ich</strong>tigsten Wälder für Venedig befanden s<strong>ich</strong> <strong>in</strong> den<br />

Dolomiten <strong>in</strong> der Region Cadore. Man weiß, dass Venedig<br />

schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts Waldgebiete besaß,<br />

<strong>in</strong> denen der Waldbau und der E<strong>in</strong>schlag von Holz genau kontrolliert<br />

wurden. Wer die für den Transport des Holzes nötigen<br />

Wege beschädigte, wurde hart bestraft. Die Baumstämme<br />

wurden auf Flüssen <strong>in</strong> die Ebene und zur Lagune geflößt.<br />

Die Bäume wurden im Herbst und W<strong>in</strong>ter gefällt, und zwar<br />

zu den Phasen des Neumondes. In diesen Zeiten wachsen<br />

die Bäume n<strong>ich</strong>t und s<strong>in</strong>d n<strong>ich</strong>t anfällig für Schädl<strong>in</strong>ge, hatte<br />

Andrea Palladio <strong>in</strong> s<strong>e<strong>in</strong>em</strong> Buch I quattro libri dell’architettura<br />

(1570) geschrieben.<br />

Mit der Verarbeitung des Holzes waren schon sehr früh<br />

verschiedene vor<strong>in</strong>dustrielle Innovationen verbunden. Die<br />

venezianische Wassersäge, die segheria alla veneziana, galt<br />

<strong>in</strong> ganz Europa als das effektivste Verfahren des Sägens von<br />

Holz. Das Verfahren war vom 16. Jahrhundert bis zur Mitte<br />

des 20. Jahrhunderts <strong>in</strong> Gebrauch.<br />

Warum Holz?<br />

Unter den Bed<strong>in</strong>gungen, wie sie <strong>in</strong> Venedig herrschten, war<br />

Holz e<strong>in</strong> unabd<strong>in</strong>gbares Baumaterial. Obwohl die Wände der<br />

Häuser normalerweise aus Ziegeln gemauert waren, kam der<br />

herkömml<strong>ich</strong>e Ste<strong>in</strong>bau mit se<strong>in</strong>en schweren Mauern und<br />

Gewölben n<strong>ich</strong>t <strong>in</strong> Frage. In dem morastigen Delta musste<br />

man den Grund erst mit vielen, d<strong>ich</strong>t an d<strong>ich</strong>t <strong>in</strong> den Boden<br />

gerammten Pfählen tragfähig machen, und von daher war<br />

man bestrebt, die Bauten mögl<strong>ich</strong>st le<strong>ich</strong>t zu halten.<br />

Holz ist deswegen <strong>in</strong> der Stadt das erstrangige Baumaterial<br />

gewesen, auch wenn s<strong>ich</strong> Venedig im 12. und 13. Jahrhundert<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ste<strong>in</strong>stadt verwandelt hat. Das älteste Holzmaterial<br />

hat man <strong>in</strong> den Dachkonstruktionen der Kirche San Giacomo<br />

dall’Orio gefunden und auf das 13. Jahrhundert datiert.<br />

Die Wurzeln von Venedig<br />

Man hat n<strong>ich</strong>t ganz Venedig auf Pfählen gebaut, auch wenn<br />

man solch e<strong>in</strong>e fehlerhafte Me<strong>in</strong>ung häufig hört. Nur unter<br />

den schweren Brücken, Kirchen und Palästen an den Kanälen<br />

hat man zwei- bis drei Meter lange Reibungspfähle <strong>in</strong> den<br />

Grund getrieben. Für das Fundament der Rialtobrücke hat<br />

man hauptsächl<strong>ich</strong> Erlenholz verwendet, das der Feuchtigkeit<br />

gut standhält.<br />

Für das Fundament der Kirche Santa Maria della Salute,<br />

e<strong>in</strong>er Perle der Barockarchitektur, hat man fast 1 200 000<br />

Pfähle gebraucht. Neben Erlen wurden auch Lärchen, E<strong>ich</strong>en,<br />

Ulmen und Pappeln verwendet. Auf die Pfähle wurde e<strong>in</strong> hölzerner<br />

Rost angefertigt, und darauf wurden die Grundmauern<br />

gebaut. Die Fundamente verblieben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Tonsch<strong>ich</strong>t, die<br />

den Aufstieg der Feuchtigkeit aus dem Boden und somit das<br />

Faulen des Holzes verh<strong>in</strong>derte.<br />

Hölzerne Paläste?<br />

Die ansehnl<strong>ich</strong>sten <strong>Bei</strong>spiele für die Tradition des Holzbauens<br />

s<strong>in</strong>d die Geschossdeckenbalken, die aus zähen, gerade gewachsenen<br />

Lärchenstämmen angefertigt wurden, bisweilen<br />

auch aus F<strong>ich</strong>ten oder Kiefern. Die älteste erhaltene derartige<br />

Konstruktion f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong> der Decke des Saales des<br />

Großen Rates im Palazzo Ducale, die aus der Mitte des 13.<br />

Jahrhunderts stammt.<br />

Die Bemessung der Palazzos am Rande des Canal Grande<br />

basiert auf den Maßen des Holzes. In den Palästen gibt<br />

es <strong>in</strong> der Regel <strong>in</strong> der Mitte e<strong>in</strong>en Saal, der so hoch ist wie<br />

das ganze Gebäude, und dessen Stirnwand wird von <strong>e<strong>in</strong>em</strong><br />

Kennze<strong>ich</strong>en der venezianischen Paläste beherrscht: e<strong>in</strong>er<br />

hohen Fensterreihe.<br />

Die Ausführung e<strong>in</strong>es solchen langen und zieml<strong>ich</strong> breiten<br />

Raums hat e<strong>in</strong> d<strong>ich</strong>tes Balkenwerk <strong>in</strong> der Geschossdecke<br />

verlangt, und die Breite des Saals konnte natürl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t die<br />

Maße des damals verfügbaren Holzes überschreiten. Das<br />

Balkenwerk wurde häufig mit prächtigen Holzkassettierungen<br />

und Malereien verziert.<br />

Aus Holz wurden auch teilweise die le<strong>ich</strong>ten Trennwände<br />

angefertigt, die mit <strong>e<strong>in</strong>em</strong> Mörtel aus Kalk und Ziegelmehl<br />

abged<strong>ich</strong>tet und geglättet wurden. In die Trennwände wurden<br />

geschnitzte Oberflächenbretter aus F<strong>ich</strong>tenholz e<strong>in</strong>gesetzt,<br />

die scorzones, die bei der Bearbeitung der Balken übrig<br />

geblieben waren.<br />

Arsenal – Wiege des Holzbaus?<br />

Die Holzbautradition von Venedig ist mit dem Bau und der<br />

Unterhaltung der der Handels- und Schlachtflotte verbunden.<br />

H<strong>in</strong>ter den hohen Mauern der Werft Arsenal hat die<br />

Stadt ab dem 13. Jahrhundert Kriegsschiffe zum Schutz der<br />

Handelsflotte und zur Eroberung neuer Gebiete gebaut. Die<br />

14 4 / 2012

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!