Evangelische Kirchengemeinde Herten - Ev. Kirchengemeinde Herten
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Andacht<br />
Landschaften<br />
Im Kalender „Der Andere Advent“ fand ich<br />
folgende Geschichte von Hinrich Westphal:<br />
Die Ehrlichkeit<br />
meines alten<br />
Vaters war mir<br />
manchmal etwas<br />
peinlich.<br />
Wenn während<br />
einer Bahnfahrt<br />
zum Beispiel<br />
kein Schaffner<br />
kam, um seine<br />
Karte zu entwerten,<br />
lief er durch<br />
den ganzen Zug,<br />
bis er den Zuständigen<br />
fand. Hatte ihm eine Kassiererin zu<br />
viel Geld herausgegeben, brachte er es zurück.<br />
Und wenn er nur den geringsten Zweifel hatte,<br />
ob ein Telefonat dienstlicher Natur war, zahlte<br />
er es selbstredend privat. Das glaubte er seinem<br />
christlichen Gewissen schuldig zu sein.<br />
Manchmal belächelte ich ihn dafür, aber<br />
inzwischen bin ich für jeden dankbar, auf<br />
dessen Ehrlichkeit ich mich verlassen kann. Zu<br />
viel muss ich lesen von anonymen Spenden,<br />
schwarzen Konten, Koffern voller Bargeld<br />
– welch unsoziale Mentalität der Selbstbedienung,<br />
was für ein Wertedefizit! Glaubt man einem<br />
gerichtsnotorischen Waffenhändler, dann<br />
dient dieses Tricksen, Bestechen und Absahnen<br />
der „Landschaftspflege“.<br />
Wie bitte? Wer möchte denn in einer seelenlosen<br />
Landschaft leben, in der die frostige<br />
Atmosphäre des Misstrauens herrscht?<br />
Ich sehne mich nach einem Land, in dem Vertrauen<br />
und Glaubwürdigkeit gedeihen.<br />
2<br />
Ich suche die Nähe von Menschen, die ihre<br />
Maßstäbe nicht am Haben, sondern am Sein<br />
ausrichten.<br />
Heute lächle ich über meinen alten Vater eher<br />
wehmütig. Und ertappe mich dabei, dass ich<br />
selbst sage “Sie haben mir zu viel rausgegeben<br />
…!“<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
Ehrlichkeit, die zur Zwanghaftigkeit auswächst,<br />
wird wohl niemanden glücklicher leben<br />
lassen. Haarspalterei wird uns wohl auch<br />
nicht zufriedener machen. Aber Klarheit in<br />
unserem Handeln tut gut. Uns und denen,<br />
die unsere Klarheit spüren.<br />
„Du sollst nicht stehlen!“, steht in der Bibel.<br />
Das tun wir doch auch nicht, oder? Aber wie<br />
ist mit mir, mit Ihnen, wenn wir zum Beispiel<br />
10 kg Kartoffeln im Einkaufswagen haben<br />
und die Kassiererin tippt die Nummer für<br />
den 2,5 kg Beutel ein?<br />
Auch wir müssen uns entscheiden. Täglich.<br />
An manchen Tagen sogar mehrmals …<br />
Ihre Pfarrerin<br />
Vera Rosin