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Celle und der 60. Jahrestag des Kriegsendes Republikaner in Celle ...

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E<strong>in</strong> “Tatort” aus Meißendorf<br />

Der Judaslohn<br />

Wer den Auftrag<br />

bekommen würde, e<strong>in</strong><br />

“Tatort”-Drehbuch für<br />

e<strong>in</strong>en <strong>Celle</strong>r Kommissar<br />

zu schreiben, würde<br />

dieses mit all den<br />

Ingredienzien würzen,<br />

die Andree Hesse <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Krimi “Der<br />

Judaslohn” mixt: alte<br />

<strong>und</strong> neue Nazis, alte<br />

<strong>und</strong> neue Schuld,<br />

Distanz <strong>und</strong> Nähe zu<br />

dem, was “Heimat”<br />

heißt. Und <strong>der</strong> bei <strong>Celle</strong><br />

aufgewachsene, heute<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> lebende Autor<br />

kennt die Stadt, die<br />

Region <strong>und</strong> ihre<br />

Menschen - <strong>und</strong> es gel<strong>in</strong>gt ihm, sie kenntlich zu machen.<br />

Herausgekommen ist e<strong>in</strong> flüssig geschriebener Krimi, bei<br />

dem es Leser<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lesern aus eben dem <strong>Celle</strong>r Land<br />

nicht schwer fällt, den Stoff gewissermaßen als “Film” zu<br />

lesen.<br />

Arno Henn<strong>in</strong>gs heißt <strong>der</strong> “Sheriff”, dem kurz nachdem er<br />

aus Berl<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e alte “Heimat” zurückgekehrt ist, die<br />

Untersuchung e<strong>in</strong>es To<strong>des</strong>falls auf dem Truppenübungsplatz<br />

Bergen-Hohne übertragen wird. E<strong>in</strong> junger britischer Soldat<br />

ist während e<strong>in</strong>es vorbereitenden Manövers für den Irak-<br />

E<strong>in</strong>satz erschlagen worden. Der Täter kam von außen, weshalb<br />

die deutsche Polizei e<strong>in</strong>geschaltet wird. Henn<strong>in</strong>gs macht<br />

sich zunächst geme<strong>in</strong>sam mit <strong>der</strong> britischen Sergeant<strong>in</strong> Emma<br />

Fuller an den Fall. Schnell haben sie als Tatwaffe e<strong>in</strong>en<br />

Maulbeerbaumast ausgemacht, auf dem sich auch e<strong>in</strong><br />

F<strong>in</strong>gerabdruck f<strong>in</strong>det. Doch e<strong>in</strong> Motiv lässt sich nicht ausmachen.<br />

Für e<strong>in</strong> politisches Motiv, das die toughe Brit<strong>in</strong> vermutet,<br />

sche<strong>in</strong>t Henn<strong>in</strong>gs <strong>der</strong> wahrsche<strong>in</strong>liche Tathergang zu<br />

zufällig. Und nachdem sie zunächst e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Teich versenkten<br />

Merce<strong>des</strong> <strong>und</strong> wenig später auf dem<br />

Truppenübungsplatz e<strong>in</strong>e zweite Leiche f<strong>in</strong>den, konzentrieren<br />

sich die Recherchen auf “Eichendorf” (= Meißendorf). In diesem<br />

kle<strong>in</strong>en Dorf am Rande <strong>des</strong> Truppenübungsplatzes hat<br />

das Opfer, e<strong>in</strong> großspuriger Bauernsohn <strong>und</strong> gescheiterter<br />

Autohändler gelebt; <strong>und</strong> - so will es <strong>der</strong> Zufall - <strong>der</strong> ermittelnde<br />

Hauptkommissar hat se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit hier verbracht, bevor<br />

er mit 12 Jahren mit se<strong>in</strong>en Eltern nach <strong>Celle</strong> gezogen war.<br />

Henn<strong>in</strong>gs kennt das Opfer <strong>und</strong> viele Menschen aus se<strong>in</strong>em<br />

Umfeld; doch es s<strong>in</strong>d 30 Jahre vergangen, seit man geme<strong>in</strong>sam<br />

die Schulbank gedrückt <strong>und</strong> auf dem Fußballfeld dem<br />

Ball h<strong>in</strong>terher gejagt ist.<br />

20<br />

Das Opfer, Knut Harms, ist regelrecht h<strong>in</strong>gerichtet wor-<br />

LITERATUR<br />

revista<br />

den. Mysteriös ist vor allem <strong>der</strong> Tatort: Warum schleppte man<br />

ihn <strong>in</strong> den Keller e<strong>in</strong>es jener großen Bauerhöfe, die für den<br />

Bau <strong>des</strong> Truppenübungsplatzes <strong>in</strong> den 1930er Jahren von den<br />

Nazis geräumt wurden? Weist das Motiv <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kaum noch<br />

bekannte Vorgeschichte?<br />

Doch zunächst konzentrieren sich die Ermittlungen auf<br />

das “braune” Umfeld <strong>des</strong> Ermordeten. In “Eichendorf”<br />

betreibt e<strong>in</strong> ehemaliger NVA-Offizier e<strong>in</strong>e Kneipe, die zum<br />

Treffpunkt für Neonazis geworden ist. Unter dem<br />

Deckmäntelchen <strong>des</strong> Naturschutzes hat <strong>der</strong> Kneipier mit dem<br />

sicher nicht zufällig gewählten Namen Köhler zusammen mit<br />

dem Mordopfer über <strong>des</strong>sen polnische Kontakte e<strong>in</strong>en militärisch<br />

geeigneten Fuhrpark zusammengekauft. Henn<strong>in</strong>gs trifft<br />

im Dorf zwar nur auf ablehnende Stimmen, aber <strong>der</strong> umtriebige<br />

Wirt ist nicht nur Sportvere<strong>in</strong>svorsitzen<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n auch<br />

<strong>in</strong> den Kreistag gewählt worden. Henn<strong>in</strong>gs <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Partner<br />

Müller setzen die Neonazis ordentlich unter Druck, Motive<br />

sche<strong>in</strong>t es auch zu geben. Irritierend bleibt aber <strong>der</strong> Tatort, <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Symbolik <strong>in</strong> den Nationalsozialismus verweist. Das<br />

Ermittlerteam stößt auf Geschichten von Wi<strong>der</strong>stand <strong>und</strong><br />

Verrat - nur was hat die “Vertreibung” <strong>der</strong> Bauern von den auf<br />

dem Gelände <strong>des</strong> Truppenübungsplatzes gelegenen Dörfern<br />

mit dem Tod e<strong>in</strong>es britischen Soldaten <strong>und</strong> <strong>des</strong> Toten aus<br />

“Eichendorf” zu tun?<br />

Hesse schafft es, alle Fäden spannungsreich zu entwickeln<br />

- <strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em tragischen F<strong>in</strong>ale das verwickelte<br />

Motivgewirr aufzulösen. Er lässt se<strong>in</strong>en Kommissar e<strong>in</strong>tauchen<br />

<strong>in</strong> die Geschichte e<strong>in</strong>er Region, die zu Teilen auch se<strong>in</strong>e<br />

eigene ist. Dass dieser Arno Henn<strong>in</strong>gs, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en schrottreifen<br />

Volvo fährt <strong>und</strong> Musik <strong>der</strong> 70er Jahre hört (Roy Buchanan!),<br />

sich im “gemütlichen” <strong>Celle</strong> wohler fühlt als <strong>in</strong> <strong>der</strong> “Hektik”<br />

<strong>der</strong> Hauptstadt, mag für die Hier-Gebliebenen <strong>und</strong> Hierher-<br />

Verschlagenen tröstlich se<strong>in</strong>. Und selbstverständlich ist es e<strong>in</strong><br />

beson<strong>der</strong>es Lesevergnügen, die Orte <strong>und</strong> Landschaften zu<br />

kennen, die Hesse atmosphärisch genau schil<strong>der</strong>t.<br />

Man könnte sich fast wünschen, Henn<strong>in</strong>gs bei <strong>der</strong> Arbeit<br />

an e<strong>in</strong>em weiteren Fall zu begleiten. Aber es dürfte schwer<br />

werden. Denn <strong>der</strong> Krimi hat e<strong>in</strong>e Schwäche: Hesse hat kaum<br />

etwas ausgelassen, was es an gängigen Mustern gibt, um die<br />

Handlung zu verwickeln - <strong>und</strong> das manchmal hart an <strong>der</strong><br />

Grenze <strong>des</strong> Klischees. Vielleicht jedoch kann uns <strong>der</strong> Autor<br />

überraschen. Bei se<strong>in</strong>em Kommissar ließe sich vielleicht noch<br />

e<strong>in</strong>e Seite aufschlagen, die man unsympathisch f<strong>in</strong>det - <strong>und</strong><br />

letztlich gibt's auch <strong>in</strong> <strong>Celle</strong> mehr als “Heimat” <strong>und</strong> alte <strong>und</strong><br />

neue Nazis.<br />

Hesse, Andree (2005): Der Judaslohn. Roman. Re<strong>in</strong>bek<br />

(Rowohlt). 416 S., 19,90 Euro.

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