Strahlendes Unwissen - DemoSCOPE
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das schwerste Atomunglück in einem west-<br />
lichen Land (Fukushima) bis jetzt null Tote<br />
gefordert.<br />
Welche Wirkung haben die andauernden<br />
Schreckensnachrichten über Radioaktivität?<br />
Was weiss die Schweizer Bevölkerung über die<br />
Gefahren radioaktiver Strahlung? Dies wollte<br />
die Weltwoche mit einer Umfrage in Erfahrung<br />
bringen. In ihrem Auftrag befragte das Meinungsforschungsinstitut<br />
Demoscope zwischen<br />
dem 20. und 25. August 2012 insgesamt 1005<br />
Personen in der Deutsch- und Westschweiz.<br />
Ihnen allen wurden fünf Fragen gestellt, die<br />
anhand anschaulicher Vergleiche den Wissensstand<br />
bezüglich der Risiken von Radioaktivität<br />
testen sollten. Die Befragten konnten jeweils<br />
aus mehreren vorgegebenen Antworten auswählen<br />
oder sich einer Wahl enthalten. Bei den<br />
zugrunde liegenden Risikoabschätzungen<br />
stützte sich die Weltwoche ausnahmslos auf<br />
wissenschaftliche Fakten.<br />
Die Resultate der repräsentativen Telefonumfrage<br />
sind eindeutig: Die grosse Mehrheit<br />
der Schweizer Bevölkerung überschätzt die Gefahren<br />
von Radioaktivität bei weitem – bei einigen<br />
Fragestellungen sogar um das Hunderttausend-<br />
bis Milliardenfache. Bei allen Fragen<br />
entschied sich jeweils nur ein Bruchteil der Befragten<br />
für die zutreffende Antwort, während<br />
die meisten die Risiken um Grössenordnungen<br />
zu hoch einschätzten. Im Gegenzug wurden die<br />
Gefahren nur selten unterschätzt.<br />
Nur 7 Prozent unterschätzten das Risiko<br />
Die erste Frage zielte auf das Reaktorunglück<br />
in Tschernobyl ab. Damals war der Stoff Cäsium-137<br />
für den weitaus grössten Teil der Strahlenbelastung<br />
der betroffenen Bevölkerung<br />
verantwortlich. Die Befragten sollten sich Folgendes<br />
vorstellen: Die gesamte Menge an Cäsium,<br />
die in Tschernobyl freigesetzt wurde, befinde<br />
sich in einem Abstand von zehn Metern vor<br />
ihnen. Es ging darum abzuschätzen, wie lange<br />
es dauert, bis man in dieser Situation eine tödliche<br />
Radioaktivitätsdosis abbekommen hat.<br />
Wer meinte, dies sei praktisch augenblicklich<br />
der Fall, lag falsch. Richtig war die Antwort<br />
«1000 Sekunden» (etwa 17 Minuten), die aber<br />
nur 16 Prozent der Befragten wählten. 29 Prozent<br />
entschieden sich für «1 Sekunde», 18 Prozent<br />
für «1 Tausendstelsekunde» und 17 Prozent<br />
gar für «1 Milliardstelsekunde». Insgesamt<br />
überschätzten somit fast zwei Drittel der Umfrageteilnehmer<br />
die Gefahr. Umgekehrt entschieden<br />
sich nur 7 Prozent für «10 000 Sekunden»<br />
und schätzten das Risiko zu klein ein.<br />
Auch die zweite Frage drehte sich um radioaktives<br />
Cäsium. Die Schweizer Behörden haben<br />
einen sogenannten Toleranzwert für Cäsium in<br />
Lebensmitteln und Trinkwasser erlassen (10<br />
Becquerel pro Kilogramm). Wird dieser überschritten,<br />
gilt das Lebensmittel als verunreinigt<br />
oder in seinem Wert vermindert. In Japan gibt<br />
es sogar ein Verbot für das Trinken von Wasser,<br />
Weltwoche Nr. 37.12<br />
Infografiken: tnt-graphics AG<br />
das über diesem Wert mit Cäsium kontaminiert<br />
ist. Die Befragten sollten sich vorstellen, täglich<br />
einen Liter Wasser zu trinken, der zehnmal<br />
mehr Cäsium enthält, als es dieser Toleranzwert<br />
zulässt. «Wie viele Zigaretten führen dann zum<br />
gleichen Todesrisiko?», hiess die Frage. 42 Prozent<br />
der Teilnehmer tippten auf «50 Zigaretten<br />
pro Tag», 28 Prozent auf «5 Zigaretten täglich».<br />
Damit überschätzten 70 Prozent die Gefahr.<br />
Richtig war die Antwort «1 Zigarette alle 20<br />
Tage» (von 8 Prozent gewählt). Auch hier unterschätzte<br />
kaum jemand das Risiko durch die<br />
Wahl von «1 Zigarette alle 200 Tage» oder<br />
«1 Zigarette alle 2000 Tage».<br />
Die Behörden müssen sich<br />
fragen, ob sie die Bevölkerung<br />
nicht unnötig verängstigen.<br />
Ein ähnliches Resultat ergab sich bei der dritten<br />
Frage. Hier wurde gefragt, um wie viel die<br />
statistische Lebenserwartung sinkt, wenn man<br />
wie bei Frage 2 täglich einen Liter Wasser<br />
trinkt, der zehnmal stärker mit radioaktivem<br />
Cäsium verseucht ist, als es der Toleranzwert<br />
erlaubt. Nur sechs Prozent wählten korrekt<br />
«1000 Sekunden (ca. 17 Minuten)», während<br />
drei Viertel der Befragten auf «3 Monate» (37<br />
Prozent) oder sogar «25 Jahre» (29 Prozent)<br />
tippten und das Risiko weit überschätzten.<br />
Auch bei den Fragen 4 und 5 ging es um eine<br />
Strahlendosis, die nicht überschritten werden<br />
sollte – um den Schweizer Grenzwert für Radioaktivität<br />
aus künstlichen Strahlungsquellen<br />
(wobei medizinische Behandlungen ausgenommen<br />
sind). Dieser beträgt 1 Millisievert<br />
(mSv) pro Jahr, wobei Sievert die Einheit für die<br />
biologische Wirkung auf den menschlichen<br />
FRAGE 1: Der Stoff Cäsium-137 ist beim Reaktorunglück<br />
von Tschernobyl für den weitaus grössten Teil der<br />
Strahlenbelastung der betroffenen Bevölkerung verantwortlich<br />
gewesen. Angenommen, die gesamte Menge<br />
an Cäsium-137, die in Tschernobyl freigesetzt worden<br />
ist (etwa 400-mal mehr als beim Atombombenabwurf in<br />
Hiroshima), befindet sich in zehn Meter Abstand von<br />
Ihnen, ohne Abschirmung: Wie viele Sekunden dauert<br />
es, bis Sie eine tödliche Radioaktivitätsdosis<br />
abbekommen haben?<br />
7<br />
16<br />
13<br />
%<br />
1 Milliardstelsekunde<br />
1 Tausendstelsekunde<br />
1 Sekunde<br />
1000 Sekunden, also rund 17 Minuten<br />
10000 Sekunden, also etwas mehr als 1 Tag<br />
Weiss nicht / keine Angabe<br />
Dramatisiert: Strahlung von Tschernobyl.<br />
29<br />
17<br />
18<br />
QUELLE: DEMOSCOPE/WELTWOCHE<br />
Körper ist. Die Internationale Strahlenschutzkommission<br />
empfiehlt, bei einem Reaktorunglück<br />
die Evakuation der Bevölkerung in Betracht<br />
zu ziehen, falls die dabei verursachte<br />
zusätzliche Strahlendosis 1 mSv pro Jahr übersteigt.<br />
In der Umfrage wurde diesem Grenzwert die<br />
krebshemmende Wirkung gegenübergestellt,<br />
die allgemein mit dem Konsum von Früchten<br />
und Gemüse verbunden ist. Die Befragten<br />
mussten schätzen, wie viele Äpfel man ungefähr<br />
konsumieren muss, um das Krebs risiko<br />
von 1 mSv pro Jahr statistisch gesehen zu kompensieren.<br />
Richtig war «1 Apfel pro Monat».<br />
Aber für diese Antwort entschieden sich nur<br />
11 Prozent der Teilnehmer. Dagegen setzen<br />
70 Prozent auf «3 Äpfel pro Tag» und nutzten<br />
damit die einzige Antwort-Möglichkeit, die<br />
Gefahr zu überschätzen. Nur vier Prozent der<br />
Befragten unterschätzten das Risiko.<br />
Wenig Kenntnis von Strahlung<br />
Neben Radioaktivität aus künstlichen Quellen<br />
gibt es auch solche aus natürlichen Quellen – in<br />
erster Linie uranhaltiges Gestein und kosmische<br />
Strahlung. In der Schweiz, insbesondere<br />
im Alpengebiet, ist die Belastung durch Radioaktivität<br />
aus natürlichen Quellen wegen der<br />
Bodenbeschaffenheit vergleichsweise hoch.<br />
Physikalisch gesehen besteht zwischen Strahlung<br />
aus natürlichen und künstlichen Quellen<br />
kein Unterschied. In Frage 5 sollten die Teilnehmer<br />
angeben, wie hoch der in Frage 4 erwähnte<br />
Grenzwert für künstlich erzeugte<br />
(zusätzliche) Strahlung im Vergleich zur<br />
durchschnittlich natürlich vorhandenen<br />
Strahlung in der Schweiz liegt. Richtig war<br />
«1 Viertel». Für diese Antwort entschieden sich<br />
nur 15 Prozent. 53 Prozent der Befragten über-<br />
FRAGE 2: Angenommen, man trinkt jeden Tag einen<br />
Liter Wasser, das zehnmal stärker mit radioaktivem<br />
Cäsium verseucht ist, als es der schweizerische<br />
Toleranzwert zulässt: Wie viele Zigaretten pro Tag<br />
führen dann zum gleichen Todesrisiko?<br />
2<br />
2<br />
8<br />
18<br />
28<br />
%<br />
42<br />
50 Zigaretten<br />
5 Zigaretten<br />
1 Zigarette alle 20 Tage<br />
1 Zigarette alle 200 Tage<br />
1 Zigarette alle 2000 Tage, also rund alle 5½ Jahre<br />
Weiss nicht / keine Angabe<br />
Überschätzt: Todes-Risiko von Cäsium.<br />
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