Das Atom als Planetensystem - Deutsches Museum
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Kultur & Technik 3/2013<br />
nachweisbar. Der Schritt zum <strong>Atom</strong> des Chemikers, der die<br />
Kügelchen mit Stäbchen zu Molekülen zusammenbaut, ist<br />
dann gar nicht mehr so weit.<br />
Freilich ist es ein Unterschied, ob man eine Abbildung<br />
oder Zeichnung findet, die dazu verwendet wird, den einen<br />
oder anderen Aspekt der Materie zu illustrieren, oder ob<br />
man das Bild von der Natur entdeckt zu haben glaubt. Aus<br />
Brunos Spekulation musste erst naturphilosophische Gewissheit<br />
werden, wie sie dann etwa bei René Descartes in<br />
seinen Prinzipien der Philosophie erscheint.Wir verstehen<br />
nun, warum Bohr oder Rutherford nicht die Erfinder des<br />
Bildes vom <strong>Atom</strong> <strong>als</strong> kleines <strong>Planetensystem</strong> waren, sondern<br />
dass sie dieses schon vorhandene, aber bisher mehr<br />
oder weniger spekulative Bild wissenschaftlich durch Experiment<br />
und Theorie etabliert haben. Trotzdem bleibt die<br />
Frage, wie es zu diesen Spekulationen kam. Wissenschaftstheoretisch<br />
gefragt: Wie durch Kombination von spekulativen<br />
Bildern, Modellen, Theorien und der Deutung von<br />
experimentellen Messwerten neues Wissen wie jenes über<br />
das <strong>Atom</strong> langfristig entsteht und sich verfestigt. Hierbei<br />
spielen Bilder zweifellos eine große Rolle.<br />
Kosmische Leere und Planetenträume<br />
Auch Jean Perrin hatte die Analogie zu den Körpern im Himmelskosmos<br />
wohl nicht gänzlich neu erfunden, ebenso wenig<br />
war er der Einzige, der am Anfang des 20. Jahrhunderts darüber<br />
sprach. Verbreiteter war die Idee der kleinen <strong>Planetensystem</strong>e<br />
im fast leeren Mikrokosmos bei – wen sollte das<br />
In der populärwissenschaftlichen<br />
Zeitschrift Revue<br />
scientifique veröffentlichte<br />
der Chemiker Jean Perrin<br />
1901 »Les hypothèses<br />
moleculaires«. Darin entwarf<br />
er – noch vor Rutherford und<br />
Bohr – eine Theorie planetar<br />
aufgebauter <strong>Atom</strong>e.<br />
wundern – den Astronomen. Durch das große Interesse an<br />
den Volkssternwarten waren sie am ehesten mit breiteren Publikumsschichten<br />
in Kontakt gekommen. In einem der ersten<br />
Beiträge für die seit 1904 erscheinende populäre Zeitschrift<br />
Kosmos thematisierte Max Wilhelm Meyer »<strong>Das</strong> Radium und<br />
die neueren Ansichten über die Welt der <strong>Atom</strong>e« und berichtete,<br />
dass »auch die chemischen <strong>Atom</strong>e noch ganze Weltsysteme<br />
bilden, aus vielen noch kleineren Teilen zusammengesetzt,<br />
die das Schwerezentrum des <strong>Atom</strong>s umkreisen,<br />
wie die Planeten unsere Sonne«. Zugleich teilte er seinen Lesern<br />
auch die neueren physikalischen Ergebnisse mit, nach<br />
denen kleinste Materieteilchen wie die Elektronen, die von<br />
radioaktivem Radium ausgesendet werden, das »molekulare<br />
Gefüge aller anderen Materie mehr oder weniger ungehindert«<br />
durchdringen.<br />
<strong>Das</strong> war das Ergebnis des Physikers Philipp Lenard, der<br />
dam<strong>als</strong> einer der bedeutendsten Experimentalphysiker war<br />
und 1905 den Nobelpreis erhielt. (Seine spätere unrühmliche<br />
Rolle <strong>als</strong> Nazi-Wissenschaftler wurde unlängst im Deutschen<br />
<strong>Museum</strong> kritisch beleuchtet.) Auch Lenard hatte die Möglichkeit<br />
kleiner <strong>Planetensystem</strong>e schon in Erwägung gezogen<br />
und bemerkt, dass – anders <strong>als</strong> bei der Gravitation bei elektrischen<br />
Kräften – auch Abstoßung auftritt, was die Sache<br />
komplizierter machen könnte. Er entschied sich aber letztlich<br />
für eine andere These: <strong>Das</strong>s jeweils Paare aus positiven und<br />
negativen Ladungen sich schnell wie ein Tanzpaar drehten<br />
und nur ihre Anziehung sie zusammenhielten oder auch<br />
nicht. In letzterem Fall entstünden Strahlungen.<br />
Während Lenard das planetare <strong>Atom</strong> nur durch einen<br />
scientifique<br />
Schüler kurz in einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift<br />
erwähnen ließ, wurde es für Wilhelm Meyer zum stetenRevue<br />
immer weiter ausgeschmückten Thema. 1909 schilderte er<br />
(S.30);<br />
in der Zeitschrift Natur seinen Lesern, wie er im Angesicht<br />
eines Sonnenuntergangs auf Capri, wo Meyer wirklich einige<br />
Zeit wohnte, über die »aufflimmernden Lichtpünktchen auf<br />
dem Zinkblendenschirm« nachsann, die das Radium her-<br />
University/UCLA<br />
vorruft. Diese seien wie »neue Sterne«, »die, unter dem An- Clatech<br />
prall der hinausgeschleuderten Weltkörper von <strong>Atom</strong>größe<br />
erglühend, in schöpferischem Akte zu neuer lebendiger Be-<br />
NASA/JPL<br />
wegung aufgerüttelt wurden«. Nichts würde dagegen sprechen,<br />
so Meyer, »dass die ganze Milchstraße mit ihren<br />
Millionen Sonnen auch nur ein <strong>Atom</strong> ist in einer Welt, die Abbildungen: