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So wie es mal war, wird es nie wieder werden

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<strong>So</strong> <strong>wie</strong> <strong>es</strong><br />

<strong>mal</strong> <strong>war</strong>,<br />

<strong>wird</strong> <strong>es</strong><br />

<strong>nie</strong> <strong>wie</strong>der<br />

<strong>werden</strong><br />

Sexualität nach Brustkrebs<br />

von Katrin Keita<br />

57.000 Frauen erkranken<br />

jed<strong>es</strong> Jahr an Brustkrebs.<br />

Was die Krankheit für<br />

ihre Sexualität bedeutet,<br />

ist selten Thema – weder bei der<br />

Diagnose noch im öffentlichen Diskurs. Dabei<br />

hat beid<strong>es</strong> unweigerlich miteinander zu tun.<br />

Wenn eine Frau Brustkrebs hat, verändert sich<br />

ihre Sexualität. Oft<strong>mal</strong>s mit tiefgreifenden<br />

Folgen für sie selbst und für ihre Partnerschaft.


Thema<br />

16 FrauenRat 1/09<br />

Schönheit, Liebe, Weiblichkeit –<br />

darüber fing ich an, nachzudenken,<br />

als ich vor elf Jahren an Brustkrebs<br />

erkrankt bin.« <strong>So</strong> beginnt<br />

Annette Rexrodt von Fircks ihren Vortrag<br />

beim Begrüßungsabend in der<br />

Reha klinik. Dreißig junge Frauen, viele<br />

mit Chemoflaum, sitzen im Speis<strong>es</strong>aal.<br />

Nur hier in Grömitz an der<br />

Ostsee können sich Mütter, die an<br />

Brustkrebs erkrankt sind, mit ihren<br />

Kindern erholen. Das Modellprojekt<br />

hat Annette Rexrodt von Fircks initiiert.<br />

Als sie selbst im Alter von 35<br />

Jahren durch den Krebs beide Brüste<br />

und beinahe ihr Leben verliert, sind<br />

ihre drei Kinder noch klein. Sie weiß,<br />

was für eine Belastung Brustkrebs für<br />

die ganze Familie bedeutet. Und sie<br />

weiß um die seelischen und körperlichen<br />

Folgen der Krankheit für die<br />

Frauen.<br />

»Inzwischen habe ich gelernt, dass<br />

meine Weiblichkeit nicht allein an den<br />

Brüsten hängt«, sagt sie. Ein langer<br />

Weg. »Immer <strong>wie</strong>der habe ich mich<br />

vor unseren großen Spiegel g<strong>es</strong>tellt<br />

und meinen Körper Stück für Stück<br />

betrachtet. Dabei musste ich oft<br />

weinen. Ich <strong>war</strong> traurig, dass ich mich<br />

früher nicht lieb hatte.« Erst, als sie<br />

sich selbst annehmen kann, will sie<br />

auch <strong>wie</strong>der mit ihrem Mann schlafen.<br />

Zunächst ist das jedoch schmerzhaft.<br />

Sie muss Medikamente nehmen,<br />

die ihre weiblichen G<strong>es</strong>chlechtshormone<br />

stilllegen. Dadurch <strong>wird</strong> ihre<br />

Scheide so trocken, dass sie blutet.<br />

Nach langem Suchen findet sie ein<br />

Gleitgel, das hilft. »Es ist wichtig, dass<br />

Frauen nach Brustkrebs zu einer<br />

erfüllten Sexualität zurückfinden«,<br />

betont die mehrfache Buchautorin.<br />

»Das hat nicht nur mit Lebensqualität<br />

zu tun. <strong>So</strong>ndern auch damit, dass<br />

möglichst wenig Frauen die Anti-Hormon-Therapie<br />

abbrechen.«<br />

Dass ihr Busen schön ist und dass sie<br />

das <strong>nie</strong> wahrgenommen hat, entdeckt<br />

Anja Petzold* einen Tag vor<br />

ihrer Operation. Am nächsten Tag<br />

<strong>wird</strong> der heute 45-jährigen <strong>So</strong>zialpädagogin<br />

die linke Brust amputiert, der<br />

Tumor <strong>war</strong> fünf Zentimeter groß. Sie<br />

ist mit ihrem <strong>So</strong>hn ebenfalls zur Kur in<br />

Grömitz. Anja Petzold leidet unter<br />

dem Verlust der Brust. »Anfangs habe<br />

ich mich g<strong>es</strong>chämt. Wenn ich ins<br />

Schwimmbad gegangen bin, habe ich<br />

meine Hände vor der Brust überkreuzt.<br />

Ich wollte den Makel der<br />

Krankheit verstecken.« D<strong>es</strong>halb<br />

stimmt sie einem Brustaufbau zu.<br />

Sechs Jahre später bricht die Krankheit<br />

in der anderen Brust aus, auch sie<br />

muss abgenommen <strong>werden</strong>. Die zier-


liche Frau entscheidet sich, den<br />

Aufbau der linken Brust <strong>wie</strong>der rückgängig<br />

zu machen. »Immer, wenn ich<br />

die Narbe angefasst habe, habe ich<br />

das Silikon g<strong>es</strong>pürt. Das <strong>war</strong> immer<br />

ein Fremdkörper für mich.« Ihr Partner<br />

hat mit den Narben keine Probleme.<br />

Doch sie zieht sich zurück, kann<br />

über ein Jahr lang keine Berührung<br />

zulassen. Auch weil sie durch die<br />

Chemotherapie ihre Haare verloren<br />

und stark abgenommen hat, fühlt sie<br />

sich weniger weiblich als vorher. »Er<br />

hat dann über das Internet andere<br />

Kontakte g<strong>es</strong>ucht, das hat mich sehr<br />

getroffen«, sagt die 45-Jährige. »Ich<br />

<strong>war</strong> drauf und dran, mich von ihm zu<br />

trennen.« Erst als sie ihm sagt, <strong>wie</strong><br />

schlecht <strong>es</strong> ihr geht, kommen sie sich<br />

Schritt für Schritt <strong>wie</strong>der näher. Sie<br />

fängt an, ihre Narben einzucremen<br />

und so ihren veränderten Körper neu<br />

kennenzulernen. »Heute denke ich:<br />

Sexualität tut mir gut, sie ist einfach<br />

g<strong>es</strong>und.«<br />

Sich einfach <strong>wie</strong>der fallen lassen<br />

können<br />

Den BH behält Bettina Weidmann*<br />

meist an, wenn sie mit ihrem<br />

Mann schläft. Auch der 30-jährigen<br />

Fremdsprachenkorr<strong>es</strong>pondentin aus<br />

dem Sch<strong>war</strong>zwald ist eine Brust entfernt<br />

worden. »Irgend<strong>wie</strong> ist das jetzt<br />

ein toter Bereich«, sagt sie in der Etagenküche<br />

der Rehaklinik und trinkt<br />

Tee. »Wenn mein Mann die g<strong>es</strong>unde<br />

Brust berührt, zieht er den einen<br />

Träger einfach herunter.« Sie fühlt<br />

sich nicht unansehnlich mit nur einer<br />

Brust. »Lieb haben kann ich meine<br />

Narbe aber noch nicht«, schränkt sie<br />

ein. »Ich fühle mich einfach wohler<br />

mit der Proth<strong>es</strong>e.« Bettina Weidmann<br />

hat <strong>es</strong> ihrem Mann überlassen, wann<br />

er sich die operierte Seite anschauen<br />

will. Nach zwei oder drei Wochen <strong>war</strong><br />

er so weit. »Ich habe gedacht, er<br />

wäre schockierter, aber er hat <strong>es</strong> einfach<br />

hingenommen. Den Männern<br />

macht das oft viel weniger aus, als<br />

wir Frauen denken.« Ihre Lust auf Sex<br />

hat nachgelassen, obwohl ihr Mann<br />

eher noch einfühlsamer geworden ist.<br />

Die Mutter einer zweijährigen Tochter<br />

weiß selbst nicht genau, <strong>war</strong>um das<br />

so ist. »Vielleicht liegt <strong>es</strong> daran, dass<br />

ich mir noch ein Kind wünsche. Doch<br />

die Ärzte haben mir geraten, nach<br />

der B<strong>es</strong>trahlung erst ein<strong>mal</strong> ein Jahr<br />

abzu<strong>war</strong>ten, bevor ich erneut<br />

schwanger werde.« Für die Zukunft<br />

wünscht sie sich, dass sie sich einfach<br />

<strong>mal</strong> <strong>wie</strong>der fallen lassen kann.<br />

Warum b<strong>es</strong>chwerst du dich?<br />

Almut Köster* dagegen erlebt den<br />

Sex ihr<strong>es</strong> Lebens während ihrer<br />

Chemotherapie. Ein halb<strong>es</strong> Jahr bleibt<br />

der Physiotherapeutin zwischen der<br />

Diagnose und der Operation. Sie ist<br />

frisch verliebt und hat das erste Mal<br />

einen Freund, der ihre mächtigen<br />

Brüste in Körbchengröße G mag. »Ich<br />

wusste von Anfang an, dass ich<br />

meine linke Brust verlieren würde. Die<br />

rechte <strong>war</strong> auch befallen und musste<br />

stark verkleinert <strong>werden</strong>. D<strong>es</strong>halb<br />

wollte ich die Zeit, die mir noch blieb,<br />

ausnutzen«, lacht die 37-jährige<br />

Hamburgerin, ebenfalls Patientin in<br />

Grömitz. Sie entwickelt einen sexuellen<br />

Hunger, der für ihren Partner fast<br />

zu viel ist. »Als ich von meiner Krankheit<br />

erfuhr, bin ich immer anspruchsvoller<br />

geworden. Ich wollte wirklich<br />

bedeutungsvollen Sex«, sagt die Frau<br />

mit den kurzen Locken, deren ganzer<br />

Typ sich durch die Erkrankung verändert<br />

hat. Ihre langen, glatten Haare<br />

hat sie zu Beginn der Chemotherapie<br />

verkauft. Mit ihrem großen Busen ist<br />

sie früher oft unglücklich gew<strong>es</strong>en.<br />

Zum Zeitpunkt der Diagnose hatte sie<br />

sich gerade mit ihm angefreundet.<br />

Seit der Operation pfeifen ihr die<br />

Männer nicht mehr hinterher. »Ich<br />

bin für viele ein Lustobjekt gew<strong>es</strong>en.<br />

Jetzt muss ich neu ausprobieren, <strong>wie</strong><br />

ich auf Männer wirke.« Sie trauert<br />

darum, dass ihr mit den Brüsten auch<br />

deren sexuelle Empfindungen verloren<br />

gegangen sind. »Meine verbliebene<br />

rechte Brust gefällt mir optisch<br />

gut, doch in der Brust<strong>war</strong>ze habe ich<br />

kein Gefühl mehr«. Zusätzlich leidet<br />

sie unter den Nebenwirkungen der<br />

Anti-Hormon-Therapie. »Ich habe<br />

starke Stimmungsschwankungen, trockene<br />

Schleimhäute und Orgasmussch<strong>wie</strong>rigkeiten«,<br />

zählt sie auf. »Noch<br />

nicht ein<strong>mal</strong> mein Vibrator kann mich<br />

stimulieren.« Als sie ein<strong>mal</strong> in ihrem<br />

Bekanntenkreis darüber spricht, muss<br />

sie sich anhören: »Du hast Krebs, und<br />

du hast einen Mann. Warum<br />

Thema<br />

b<strong>es</strong>chwerst du dich? Anderen läuft<br />

der Mann sofort weg.«<br />

Medikamente als Lustkiller<br />

Wiebke Asmussen* und ihr Mann<br />

Sven* haben <strong>es</strong> mit schlüpfrigen<br />

Filmen versucht. »Doch irgend<strong>wie</strong><br />

fand ich die blöd«, sagt die<br />

humorvolle 34-Jährige. Die Diagnose<br />

Brustkrebs trifft sie, als sie mit ihrem<br />

zweiten Kind hochschwanger ist. Die<br />

Geburt <strong>wird</strong> eingeleitet, ihr <strong>So</strong>hn ist<br />

g<strong>es</strong>und. Nach einer Chemotherapie<br />

und einer Brustamputation unterzieht<br />

auch sie sich jetzt fünf Jahre lang<br />

einer Anti-Hormon-Therapie. Seitdem<br />

empfindet sie überhaupt keine sexuelle<br />

Lust mehr. »Da ist nur noch eine<br />

einzige Leere in mir. Wenn mein<br />

Mann mich anfasst, bekomme ich<br />

schon eine Gänsehaut.« Durch die<br />

Therapie hat sie zwanzig Kilo zugenommen,<br />

fühlt sich nicht mehr wohl<br />

in ihrem Körper. Von ihrem Arzt<br />

bekommt sie keine Hilfe. »Der sagt<br />

nur, das ist nor<strong>mal</strong>, da muss ich<br />

durch.« Sven Asmussen hat viel Verständnis<br />

für seine Frau. Der 43-jährige<br />

Stahlbauer erzählt, dass sie vor Wiebk<strong>es</strong><br />

Erkrankung ein erfüllt<strong>es</strong> Sexualleben<br />

hatten. »Jetzt hat sie keinen<br />

Spaß mehr daran. Sie springt einfach<br />

nicht an.« Positiv findet er, dass beide<br />

offen darüber reden können. Dennoch<br />

belastet die Flaute im Bett ihre<br />

Ehe. »Sie hat mir sogar vorg<strong>es</strong>chlagen,<br />

mir den Sex woanders zu holen.<br />

Doch das mache ich nicht. Das ist für<br />

sie doch ein Stich ins Herz. Dafür<br />

habe ich nicht geheiratet«, entrüstet<br />

er sich. Dass seine Frau fülliger ist als<br />

früher, stört ihn nicht sehr. »Äußerlichkeiten<br />

sind mir nicht so wichtig.<br />

Wenn <strong>es</strong> ihrer Seele gut tut, Süß<strong>es</strong> zu<br />

<strong>es</strong>sen, soll sie sich das ruhig gönnen.«<br />

Sven Asmussen hofft, dass Wiebke<br />

irgendwann <strong>wie</strong>der mit ihm schlafen<br />

möchte. »Ich wünsche mir, dass unser<br />

Sexleben <strong>wie</strong>der nor<strong>mal</strong> <strong>wird</strong>.« Dann<br />

korrigiert er sich: »<strong>So</strong>, <strong>wie</strong> <strong>es</strong> <strong>mal</strong> <strong>war</strong>,<br />

<strong>wird</strong> <strong>es</strong> <strong>nie</strong> <strong>wie</strong>der <strong>werden</strong>. Wir<br />

müssen uns mit der neuen Situation<br />

abfinden.«<br />

* Namen von der Redaktion geändert<br />

Katrin Keita arbeitet als freie Journalistin<br />

und Theologin in Dinslaken.<br />

FrauenRat 1/09 17

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