in feierlicher atmosphäre - rhein-verlag
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h. arend, e. keil, r. schmidt, a. trumpf<br />
<strong>in</strong> <strong>feierlicher</strong><br />
<strong>atmosphäre</strong><br />
°<br />
das vermächtnis<br />
des manfred brocke
»...e<strong>in</strong> ganzes meer brüchiger<br />
eleganz...« so liegt uns<br />
nun das endwerk des nach<br />
lebenslangem seelenterror<br />
aus der welt getretenen visionärs<br />
manfred brocke vor.<br />
was ist zeit, wenn k<strong>in</strong>dheit<br />
im trüben teich e<strong>in</strong>es niederträchtigen<br />
schuldirektors<br />
verläuft? ist das pflegen e<strong>in</strong>es<br />
toten esels e<strong>in</strong>e aufgabe?<br />
wer darf sich mit diesen<br />
fragen beschäftigen? derjenige,<br />
der durch den geist<br />
die wellen des tümpels <strong>in</strong><br />
die strahlen der hubschrauber<br />
verwandeln kann, f<strong>in</strong>det<br />
noch viele solche rätsel <strong>in</strong><br />
dieser hermetischen schrift,<br />
und wer es versteht mit dem<br />
körper zu lesen, dem bleiben<br />
auch die weisungen für<br />
die von brocke besungene<br />
neue zeit nicht verborgen.<br />
lange nur als lose sammlung<br />
von notizen auf e<strong>in</strong>kaufsbons<br />
und servietten vorhanden,<br />
dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ersten<br />
editionsversuch auf <strong>in</strong>zwischen<br />
dem vergessen preisgegebenen<br />
<strong>in</strong>ternetseiten<br />
veröffentlicht, wird nunmehr<br />
erstmals das anhand der orig<strong>in</strong>almanuskripte<br />
neu edierte<br />
vermächtnis des manfred<br />
brocke <strong>in</strong> buchform präsentiert.<br />
die fassung des ersten<br />
teils »leichenterror« darf aufgrund<br />
der guten quellenlage<br />
als gesichert angesehen<br />
werden. die den editoren<br />
vorliegenden aufzeichnungen,<br />
die dem bislang noch<br />
unveröffentlichten zweiten<br />
teil »verrat« zugeordnet werden<br />
müssen, deuten dagegen<br />
darauf h<strong>in</strong>, dass es sich<br />
hierbei nur um fragmente e<strong>in</strong>er<br />
wesentlich komplexeren<br />
konstruktion handelt. ohne<br />
anspruch auf vollständigkeit<br />
erheben zu können, folgt die<br />
jetzt erstellte fassung des<br />
»verrats« streng und ohne<br />
ergänzungen den <strong>in</strong> diesem<br />
jahr wiederentdeckten<br />
handschriften; weite passagen<br />
gelten weiterh<strong>in</strong> als<br />
verschollen, wobei immerh<strong>in</strong><br />
die hoffnung besteht, mit<br />
e<strong>in</strong>em derzeit noch unbezahlbaren<br />
forensischen verfahren<br />
die lesbarkeit sorgsam<br />
archivierter moderteile
vorwort des autors .................................................5<br />
teil 1: leichenterror..............................................11<br />
teil 2: verrat ..................................................... 123<br />
beim kaplan ........................................................ 127<br />
der mord an kurbelkurt ...................................... 135<br />
übergabe ............................................................ 141<br />
weißer dampfer .................................................. 147<br />
die geburt des schattenzwill<strong>in</strong>gs ...................... 162
vorwort des autors<br />
Freut Euch, wir s<strong>in</strong>d überschüttet mit Sternenglück!<br />
Während ich diese Zeilen niederschreibe, sitze ich <strong>in</strong><br />
der Dachkammer des Hauses me<strong>in</strong>er alten Mutter und<br />
beobachte den etwa zwanzigjährigen Nachbarsjungen<br />
beim Spielen mit e<strong>in</strong>em Game Boy; se<strong>in</strong>e Miene gleicht<br />
der e<strong>in</strong>es grimmigen Eichhorns. Auch für ihn sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong><br />
Samstagabend nicht mehr zu bieten zu haben als etwas<br />
traurige Beschäftigung mit dem Notwendigen. Aha! E<strong>in</strong><br />
neues Erdzeitalter bricht jetzt an, wir s<strong>in</strong>d überschüttet<br />
mit Sternenglück, Medien aus verschiedenen Regionen<br />
bestätigen das <strong>in</strong> ihren Weissagungen.<br />
Ich schrieb dieses Buch <strong>in</strong> all den schönen Luftkurorten<br />
Deutschlands, <strong>in</strong> den Heilsanatorien, <strong>in</strong> denen ich<br />
wegen me<strong>in</strong>er armen kranken Lunge behandelt wurde.<br />
Nun, da das Familienvermögen be<strong>in</strong>ahe ganz zerronnen<br />
ist, verschwendet von me<strong>in</strong>en habgierigen Verwandten,<br />
kann ich sicher nicht mehr geheilt werden und muss bis<br />
an me<strong>in</strong> vielleicht nahes Lebensende krank im Haus<br />
me<strong>in</strong>er alten Mutter leben.<br />
Da Sie, nachdem Sie dieses Vorwort gelesen haben,<br />
vielleicht auch fortfahren und weitere Seiten des Buches<br />
lesen werden, möchte ich sie schon jetzt um Verständnis<br />
bitten. E<strong>in</strong> Großteil me<strong>in</strong>er Ahnen wurde im 1. Weltkrieg<br />
ausgelöscht, so wurde ich traumatisiert. H<strong>in</strong>zu kommt<br />
me<strong>in</strong>e schwere Krankheit, die mich seit me<strong>in</strong>er frühesten<br />
K<strong>in</strong>dheit plagt. Ich habe e<strong>in</strong>e verkümmerte Lunge,<br />
5
die sich nicht über das Embryonalstadium h<strong>in</strong>ausentwickelt<br />
hat. Ständig muss ich mit fl üssigem Sauerstoff<br />
beatmet werden. Auch kann ich kaum essen, da mir der<br />
Magen im Zuge me<strong>in</strong>er Behandlung entfernt wurde, und<br />
ich daher nur noch mit dem Darm verdaue. Diese D<strong>in</strong>ge<br />
tat man mir <strong>in</strong> den Heilsanatorien an, aber darüber darf<br />
nicht zu viel gesagt werden, ich schulde denen noch Geld<br />
und habe große Angst vor dem Druck der Schlägertrupps.<br />
Lassen Sie sich von diesen Tatsachen bitte nicht abschrecken,<br />
ich b<strong>in</strong> trotz allem e<strong>in</strong> anständiger Bürger,<br />
man kann mir nichts vorwerfen. Die Handlung des<br />
Buches beruht größtenteils auf wahren Begebenheiten,<br />
deren Verlauf mir von ehrenwerten Informanten zugetragen<br />
wurde. Die Namen aller Protagonisten wurden<br />
geändert, um die Unschuldigen zu schützen, aber ich<br />
muss ihnen doch sagen, dass e<strong>in</strong>er von ihnen Konrad<br />
Adenauer war.<br />
Ich hoff e, angesichts me<strong>in</strong>es tragischen Schicksals<br />
werden Sie mit genügender Nachsicht me<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Werk<br />
betrachten, das ich nur zur Verzückung des Gemüts und<br />
als Quell nie versiegender Freude geschaff en habe. Wir<br />
s<strong>in</strong>d überschüttet mit Sternenglück, die gesegnete Zeit<br />
kommt zurück!<br />
Dies ist e<strong>in</strong>e neue heilige Schrift, sie enthält alle Verhaltensmaßregeln<br />
und Vorschriften, die fortan b<strong>in</strong>dend<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
Me<strong>in</strong> Geist ist teilweise zerbohrt von den Medikamenten,<br />
e<strong>in</strong> feuchter Vorhang hängt vor den grauen Lappen<br />
6
des Denkfl eisches; das haben die Herren Doktoren zu<br />
verantworten! Schamlos rieten sie mir zum unmäßigen<br />
Gebrauch der freundlichen Gifte, so machten sie mich<br />
viele Jahre vor der Zeit zum Greis. Das Denken fällt mir<br />
schwer, und me<strong>in</strong>e Glieder widersetzen sich jeder sportlichen<br />
Übung. Bei me<strong>in</strong>en Spaziergängen auf der Oberfl äche<br />
— jeder e<strong>in</strong>zelne bedeutet für mich höchste Lebensgefahr<br />
— sehe ich die von me<strong>in</strong>em schweren Schicksal<br />
nicht betroff enen Menschen. Sie ähneln mehr den Tieren,<br />
den kle<strong>in</strong>en Fellmasch<strong>in</strong>en, die angetrieben vom animalischen<br />
Magnetismus fröhlich umhertollen, als mir.<br />
In e<strong>in</strong>em der Heilsanatorien, dessen Namen ich aus<br />
Furcht nicht nennen werde — ich befand mich da am<br />
Anfang me<strong>in</strong>er vergeblichen Irrfahrt, die mich später,<br />
was ich noch nicht ahnte, an Dutzende ähnlicher Orte<br />
führen sollte — ließen die Knochensäger mich so oft zur<br />
Ader, dass ich ganz geschwächt war, worauf mir erstmals<br />
bewusst wurde, wie anders ich beschaff en war als die<br />
Personen, mit denen ich vorher so sorglos verkehrt hatte.<br />
Denn denken sie! E<strong>in</strong>st kannte ich e<strong>in</strong> normales Leben<br />
mit Familie und K<strong>in</strong>dern und e<strong>in</strong>em achtbaren E<strong>in</strong>kommen.<br />
Me<strong>in</strong>e Familie aber zerbrach, als me<strong>in</strong>e Erbkrankhait<br />
mich zunehmend an der Ausübung me<strong>in</strong>es Berufs<br />
h<strong>in</strong>derte und begann me<strong>in</strong>e Ersparnisse aufzuzehren.<br />
Bald darauf starb me<strong>in</strong> Vater und h<strong>in</strong>terließ me<strong>in</strong>en Brüdern,<br />
me<strong>in</strong>er Schwester und mir se<strong>in</strong> immenses Vermögen.<br />
Wie es jetzt um uns steht, habe ich ihnen ja bereits<br />
berichtet. Wir s<strong>in</strong>d überschüttet mit Sternenglück!<br />
7
Sicher werden Sie jetzt e<strong>in</strong>sehen, dass es ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n<br />
hat, mich weiter anzugreifen und zu verfolgen, stattdessen<br />
schulden Sie mir mich wenigstens anzuhören. Ich<br />
habe e<strong>in</strong>e Geschichte zu erzählen, die das menschliche<br />
Herz erfreuen und den Geist belehren kann. Leider b<strong>in</strong><br />
ich aufgrund me<strong>in</strong>er Krankheit manchmal wochenlang<br />
bes<strong>in</strong>nungslos, deshalb musste ich beim Schreiben des<br />
Buches e<strong>in</strong>e spezielle automatische Methode verwenden.<br />
Die Erde ist verfl ucht <strong>in</strong> dieser Gegend. Neben dem<br />
Haus steht e<strong>in</strong>e halbtote Kiefer, deren Äste s<strong>in</strong>d wie die<br />
Fangarme e<strong>in</strong>es mächtigen Insekts. E<strong>in</strong> großer Specht<br />
hackt <strong>in</strong> der Abendsonne nach Ungeziefer. Die Last der<br />
Geschichte wird unerträglich heutzutage, so viele tausend<br />
Jahre lasten auf uns. Wir s<strong>in</strong>d überschüttet mit<br />
Sternenglück!<br />
Sie lesen gerade diese geweihten Sätze, ich aber liege<br />
womöglich schon im kühlen Grab. Also denken Sie von<br />
mir bitte nur Gutes.<br />
8
teil 1: leichenterror
Der Leser wird das Folgende als kurze, jedoch äußerst<br />
<strong>in</strong>tensive Anomalie empfi nden. Er wird danach nichtmehr<br />
derselbe se<strong>in</strong> wie zuvor. S<strong>in</strong>ke er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zustand<br />
tiefer Entspannung, damit se<strong>in</strong>e Seele aus dem Morast<br />
emporfl attern möge. Fragmente zerhackter Gedanken,<br />
Fetzen zersägter Träume und an die Oberfl äche gespülte<br />
Überreste zerteilter Er<strong>in</strong>nerungen werden e<strong>in</strong>em reißenden<br />
Strom gleich durch die tiefsten Schluchten se<strong>in</strong>es Bewusstse<strong>in</strong>s<br />
stürzen. Steige se<strong>in</strong>e Essenz nur hoch genug,<br />
dass sie nicht dem Leichenpapst <strong>in</strong> die Hände falle. In<br />
e<strong>in</strong>em Akt übernatürlicher Verzweifl ung werden die ruhelosen<br />
Seelen der aus dem H<strong>in</strong>terhalt Gemordeten versuchen,<br />
e<strong>in</strong>en Ansatzpunkt <strong>in</strong> der Oberfl ächenstruktur<br />
der Leserpersönlichkeit zu fi nden. Derweil sie unter dem<br />
sternklaren Nachthimmel ihre Stimmen zu heimtückischen<br />
Chorälen bündeln, tr<strong>in</strong>ke <strong>in</strong>mitten e<strong>in</strong>es Kreises<br />
aus brennenden Fackeln der Leser benommen und mit<br />
zitternder Hand aus e<strong>in</strong>em schmutzigen, e<strong>in</strong>em entweihten<br />
Kelch den garstigen Leichensaft.<br />
Die braune Mundhöhle des Mannes h<strong>in</strong>ter dem Verkaufstresen<br />
<strong>in</strong> der aus Plastik und Topfpfl anzen gezimmerten<br />
Apotheke st<strong>in</strong>kt übel nach Fäule. Paco Panso<br />
denkt an die palmenbedeckten und sandverschmierten<br />
Strände se<strong>in</strong>er Heimat und wirft da irgendwo Geldsche<strong>in</strong>e<br />
h<strong>in</strong>, er braucht dr<strong>in</strong>gend etwas Iod für se<strong>in</strong>en Fuß,<br />
auf dem sich gleich unter den Kunstlederslippern e<strong>in</strong>e<br />
schwärende Wunde ausbreitet. E<strong>in</strong> brauner Hund hat<br />
12
ihn gebissen an diesem Morgen, von Schmerzen geblendet<br />
ist er dann auch noch gegen e<strong>in</strong>e Laterne gelaufen,<br />
und nun erstrahlt e<strong>in</strong>e Gesichtshälfte <strong>in</strong> fl immerndem<br />
Dunkelblau.<br />
Eigentlich muss er mit dem Fluss treiben, e<strong>in</strong>fach<br />
fühlen, was als nächstes kommt, die Nerven geben den<br />
Fasern Befehle, die Fasern zucken umher und zerschlagen<br />
D<strong>in</strong>ge und zerreißen und zerbrechen, Fortbewegung<br />
wie auf Rädern, durch die Gnade der modernen Automotorik<br />
erreicht er se<strong>in</strong>e Ziele. Aber jetzt hat sich das Getriebe<br />
verkantet, die Räder fahren knirschend fest, Panso<br />
r<strong>in</strong>gt nach Luft, e<strong>in</strong> gezielter Stoß, der e<strong>in</strong>fach alles wieder<br />
gerade rückt, e<strong>in</strong>fach zack, er braucht, ja, er kauft jetzt<br />
etwas mediz<strong>in</strong>ischen Alkohol, um die Schleimhäute zu<br />
säubern, und drei Flaschen Hustensaft. Gleich nachdem<br />
er alles getrunken hat, verfällt er <strong>in</strong> haltloses Röcheln<br />
und vollführt e<strong>in</strong>en spastischen Tanz. Alles OK. Das e<strong>in</strong>e<br />
Auge quillt durch die schwarzgeschwollenen Lieder wie<br />
e<strong>in</strong>e rote Christbaumkugel, so geht er auf die Glastür zu,<br />
hält das andere Auge fest geschlossen, um räumliches<br />
Sehen zu verh<strong>in</strong>dern, verfehlt die Glastür knapp und<br />
zerstört e<strong>in</strong>en Pfl anzentopf, kle<strong>in</strong>e braune Kugeln rollen<br />
über den Boden.<br />
Draußen rempelt er ständig Passanten an, stößt sie<br />
wütend zur Seite, reibt e<strong>in</strong>er jungen Frau se<strong>in</strong>e pissigen<br />
Haare <strong>in</strong>s Gesicht und stolpert über ihren K<strong>in</strong>derwagen.<br />
Dar<strong>in</strong> liegt e<strong>in</strong> Dackel mit gebrochenem Hals, der, als der<br />
Wagen umkippt, herausfl iegt, auf Pacos Gesicht landet.<br />
13
Schließlich kommt Paco zu e<strong>in</strong>er Telefonzelle, reißt die<br />
Tür auf, reißt den mit e<strong>in</strong>er braunen Lederjacke und<br />
Sonstigem bekleideten Telefonierer raus, schlägt ihm mit<br />
beiden Fäusten <strong>in</strong> den Bauch. Als der Lederjackenmann<br />
sich zusammenkrümmt, führt Paco se<strong>in</strong> Knie gegen dessen<br />
Gesicht und tritt zu und lässt die Fäuste trommeln.<br />
Er stellt sich auf den Rücken des Lederjackenmanns und<br />
wählt e<strong>in</strong>e Nummer. Höher hängt e<strong>in</strong> Hubschrauber auf<br />
gequirlter Luft und sendet Signale, die von den Platten<br />
und Stiften <strong>in</strong> Paco Pansos Körper empfangen werden.<br />
Paco knirscht etwas mit den Zähnen und bekommt so<br />
e<strong>in</strong>ige zwar vom mediz<strong>in</strong>ischen Alkohol halb verätzte<br />
aber immer noch wohlschmeckende Essensreste zu fassen.<br />
Dann wird die Verb<strong>in</strong>dung hergestellt.<br />
»Zuvor wuschen sie den Körper sehr gründlich, und<br />
damit dieser die Wohlgerüche aufnähme, trockneten<br />
sie ihn aus mit Kleewasser und anderen wohlduftenden<br />
D<strong>in</strong>gen.«<br />
wer hatte gesprochen, war es der mann am anderen<br />
ende der leitung gewesen, oder doch er selbst? k<strong>in</strong>g kabeljau<br />
starrte gegen die pochende, atmende wand se<strong>in</strong>es<br />
zimmers, angstschweiß lief ihm über die stirn.<br />
Begeistert hängt Paco Panso den Hörer auf und steigt<br />
von dem Lederjackenmann herunter, hastet davon. Vielleicht<br />
wird er jetzt die ausstehende Rate für den Pelzmantel<br />
bezahlen und unter Umständen sogar Frau und<br />
K<strong>in</strong>der aus der Sklaverei freikaufen können.<br />
14
Fred war schon seit e<strong>in</strong>er Weile <strong>in</strong> der WG e<strong>in</strong>es Kumpels<br />
untergekommen, der selbst nur selten zu Hause war.<br />
Gerade saß er <strong>in</strong> der Küche, trank Kaff ee und versuchte<br />
e<strong>in</strong>igermaßen entspannt zu bleiben, während e<strong>in</strong> sehnenartiger<br />
Strang verzerrter Gedanken <strong>in</strong> unregelmäßigen<br />
Rhythmen zuckend und pochend durch se<strong>in</strong> weggetretenes<br />
Gehirn raste. Dieser Trip war das Allerletzte,<br />
was man gebrauchen konnte. Fred war sich sicher, dass<br />
er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ganzen miserablen Leben noch nie etwas<br />
so Beschissenes hatte ertragen müssen. Angetrieben von<br />
den Klängen e<strong>in</strong>es auf e<strong>in</strong>em grünen Gerüst postierten<br />
Blasorchesters bahnten sich Scharen von mikroskopisch<br />
kle<strong>in</strong>en P<strong>in</strong>gu<strong>in</strong>en hektisch mit ihren verkümmerten<br />
Schw<strong>in</strong>gen rudernd ihren Weg. Hier kamen ff hfürchterlliche<br />
Gemälde zum Vorsche<strong>in</strong>, die jeweils e<strong>in</strong>e Momentaufnahme<br />
aus e<strong>in</strong>em bestimmten Stadium dieser nervenzerreißenden<br />
Hochgeschw<strong>in</strong>digkeitstragödie zeigten.<br />
Es war kaum zu glauben, wie er sich hatte verarschen<br />
lassen. Und dann auch noch von diesen aufgeblasenen<br />
Krepeln <strong>in</strong> ihren Markenklamotten. Sie mussten irgendwie<br />
mitbekommen haben, wie Fred Yasm<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong>er<br />
Party kennengelernt und sich anschließend häufi g mit<br />
ihr verabredet hatte. Von da an begannen sie, alle möglichen<br />
Gerüchte haarsträubendster Art über ihn <strong>in</strong> Umlauf<br />
zu br<strong>in</strong>gen und jede nur erdenkliche Intrige gegen<br />
ihn e<strong>in</strong>zufädeln. E<strong>in</strong>es Tages hatten sie ihm, während er<br />
<strong>in</strong> der Pause vom Schuldirektor e<strong>in</strong>en äußerst wichtigen<br />
und Ultimatum-mäßigen Vortrag gehalten bekam, da<br />
15
hatten sie se<strong>in</strong>e leckeren Pausenbrote aus der hellblauen<br />
Plastikbox genommen und stattdessen zerstückelte<br />
Schildkröten h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gelegt.<br />
Für e<strong>in</strong>en Moment stand dieses Bild Fred gestochen<br />
scharf vor Augen, dann wurde es auch schon abgelöst<br />
vom nächsten. H<strong>in</strong>ter der materiellen Kulisse betätigte<br />
jemand e<strong>in</strong> Daumenk<strong>in</strong>o <strong>in</strong> aff enartigem Tempo und<br />
führte dabei mit verzerrter Stimme Selbstgespräche.<br />
Eigentlich konnte man gar nicht so sehr von Selbstgesprächen<br />
reden, ne<strong>in</strong>, viel eher von e<strong>in</strong>em schizophrenen<br />
Schub, der e<strong>in</strong>en älteren Herrn im mar<strong>in</strong>eblauen Frack<br />
und mit Be<strong>in</strong>prothese erfasste, während er damit beschäftigt<br />
war, se<strong>in</strong>em verstörten Enkel mit geisteskrank<br />
ersche<strong>in</strong>enden Stoff puppen e<strong>in</strong> bizarres Schauspiel zu<br />
bieten. Nicht nur wurden die Bewegungsabläufe immer<br />
unkontrollierter, auch machte die Stimme dieses Menschen<br />
e<strong>in</strong>e erschütternde Metamorphose durch. Fragen<br />
wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stimmlage gestellt, die zwangsläufi g<br />
mit e<strong>in</strong>er schweren Beh<strong>in</strong>derung assoziiert werden musste,<br />
die Antworten dann mit gänzlich anderer Stimme geliefert.<br />
Speichel tropfte auf die adretten Stoff püppchen,<br />
während sich die ausgemergelten, krallenartigen Hände<br />
des Rentners zunehmend verkrampften.<br />
Bevor er sich auf dieses Bild konzentrieren konnte,<br />
führte der Strang aus Gedanken Fred wieder zurück <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>e Schulzeit. Da traf man <strong>in</strong> der Pausenhalle die verschiedensten<br />
Exemplare von Schülern an. Solche, deren<br />
Heranwachsen sich gerade zu e<strong>in</strong>er ernsthaften Krise<br />
16
entwickelte, und andere, die ansche<strong>in</strong>end ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten<br />
hatten, sich anzupassen und die an sie gestellten<br />
Erwartungen zu erfüllen. Cliquen, <strong>in</strong> denen sich die<br />
schärfsten Mädchen der Oberstufe organisiert hatten, eilten,<br />
<strong>in</strong> hektische Gespräche verstrickt, auf und ab. Mit e<strong>in</strong>igen<br />
von ihnen h<strong>in</strong>g Fred von Zeit zu Zeit rum, schrieb<br />
ihre Hausaufgaben ab oder versuchte sie abzuchecken.<br />
Ansonsten kam er am besten klar mit den abgefuckten<br />
Skatern, Punks und Hardcore-Kids. Seit kurzem war<br />
se<strong>in</strong>e Crew allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> zwei Fraktionen gespalten: Die<br />
e<strong>in</strong>en vertickten für K<strong>in</strong>g Kabeljau Pillen und Amphetam<strong>in</strong>e<br />
an der Schule, die anderen, zu ihnen zählte auch<br />
Fred, beteiligten sich aus Pr<strong>in</strong>zip nicht an dieser Dimension<br />
des Drogenhandels. Die bereits erwähnten Krepel<br />
waren ebenfalls <strong>in</strong> der Pausenhalle vertreten. Nach Freds<br />
Ansicht zeichneten sich deren Vertreter durch die besondere<br />
Fähigkeit aus, e<strong>in</strong> extrem unvorteilhaftes Äußeres<br />
mit e<strong>in</strong>em Höchstmaß an geistiger Beschränktheit zu<br />
verb<strong>in</strong>den. Typisch für das Verhalten dieser lurchartigen<br />
Gestalten war es, <strong>in</strong> jedem Gespräch das beträchtliche<br />
E<strong>in</strong>kommen ihrer Eltern zu erwähnen, oder e<strong>in</strong>en Tag<br />
nach Bestehen der Führersche<strong>in</strong>prüfung großspurig mit<br />
dem Wagen der Eltern zur Schule zu fahren. Fred fand<br />
dieses Benehmen e<strong>in</strong>fach unmöglich.<br />
E<strong>in</strong> ganz besonders übler Fall war Hans-Gert Hübner.<br />
Er konnte sich beim Geprotze der Ärztek<strong>in</strong>der besonders<br />
hervortun, denn seit der Pockenerkrankung se<strong>in</strong>er Mutter<br />
versorgte ihn se<strong>in</strong> Vater, um dem geliebten Sohn über den<br />
17
Schmerz h<strong>in</strong>wegzuhelfen, immer mit ausreichend Cash.<br />
Gleichzeitig gelang es Hans-Gert prächtig, der gesamten<br />
Lehrerschaft — e<strong>in</strong>schließlich Direktor Tägerts —<br />
<strong>in</strong> den Arsch zu kriechen. Dieses klebrige Handwerk<br />
hatte er von der Pike auf gelernt, und er hatte es dar<strong>in</strong><br />
zu wahrhafter Meisterschaft gebracht. Auch mit Gleitcreme<br />
kannte er sich bestens aus. Zur vollen Entfaltung<br />
kamen se<strong>in</strong>e speziellen Talente allerd<strong>in</strong>gs auf anderem<br />
Gebiet. Se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle Masche bestand dar<strong>in</strong>, mittelmäßig<br />
aussehende Mädchen anzubaggern und mit ihnen<br />
zusammenzukommen. War ihm das gelungen, so setzte<br />
e<strong>in</strong> mieses Programm e<strong>in</strong>, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schier endlos ersche<strong>in</strong>enden<br />
Kette von Arschnummern für das jeweilige<br />
Fräule<strong>in</strong> gipfelte. Kam es zu Widerspruch, so arbeitete<br />
Hans-Gert mit Ohrfeigen.<br />
Zum wer-weiß-wievielten Mal spielte Fred das Szenario<br />
des Ausbruchs e<strong>in</strong>er neuartigen Epidemie an der<br />
Schule durch. Es würde nur die widerwärtigsten Poser<br />
und die penetrantesten Schleimer dah<strong>in</strong>raff en, während<br />
alle anderen nichts außer e<strong>in</strong>em gesunden Schock<br />
zu befürchten hätten. Erstere würden, während sie auf<br />
dem Pausenhof krampfhaft versuchten mit übertrieben<br />
coolem Gesichtsausdruck e<strong>in</strong>e ihrer Philip Morris-Zigaretten<br />
zu rauchen, da würden sie schlichtweg <strong>in</strong>nerlich<br />
verschimmeln.<br />
Da ist wieder die Apotheke, fauliger Mundgeruch, Lebewesen,<br />
Menschen, Bewegungen und viele SStrahrlen<br />
18
und Wellen. Pfl anzen wachsen <strong>in</strong> Töpfen voll mit kle<strong>in</strong>en<br />
braunen Kugeln. Schon wieder war da e<strong>in</strong> Hund,<br />
der obendre<strong>in</strong> aggressiv wirkte, off ensichtlich war alles<br />
nur erfunden. Wahrsche<strong>in</strong>lich hatten sie ihn nur auf die<br />
Universität geschickt, um ihn endlich loszuwerden. Die<br />
Missgeburt mit Hasenzähnen und Segelohren, mit e<strong>in</strong>em<br />
fetten Arsch und Klumpfüßen. Wer hätte ihm schon<br />
Aufgaben gegeben, ihn für Tätigkeiten ausgewählt. Alles<br />
war erfunden, der Hubschrauber und die fl eißigen kle<strong>in</strong>en<br />
Telefonzwerge, die durch die blitzenden Leitungen<br />
gefl itzt waren. Den Pelzmantel hatte er schon lange nicht<br />
mehr, und wer wußte, ob se<strong>in</strong>e Familie überhaupt noch<br />
lebte.<br />
Nachdem Paco Panso e<strong>in</strong>ige Zeit Melonen verkauft<br />
und gleichzeitig Anthropologie studiert hatte, adoptierte<br />
ihn e<strong>in</strong> reicher Kannibale. In dessen Familie wurde<br />
er wie e<strong>in</strong> Sohn aufgenommen, man mästete ihn mit<br />
Schwe<strong>in</strong>efl eisch und setzte ihn als Schläger und Leichenräuber<br />
e<strong>in</strong>. Das waren die schönsten Monate se<strong>in</strong>es<br />
Lebens. Endlich lernte er Menschen kennen, die ihn<br />
verstanden. Zwar nutzten sie ihn schamlos aus, aber das<br />
war egal, irgendwann würde er ihnen ja alles heimzahlen.<br />
Leider zerbrach die Familie des Kannibalen bald an<br />
dessen Hero<strong>in</strong>sucht, e<strong>in</strong> Laster, dem auch Panso damals<br />
verfi el. Frau und K<strong>in</strong>der zogen aus, der Kannibale verlor<br />
se<strong>in</strong> Leichen- und Drogengeschäft, also brachte Paco<br />
ihn um und verkaufte den Kadaver. Hubschrauber hatten<br />
ihm alles erklärt, Gehirne s<strong>in</strong>d die Fe<strong>in</strong>de der Menschen;<br />
19
er musste e<strong>in</strong>fach rollen. Er machte alles, was noch im<br />
Haus war, zu Geld, um sich Hero<strong>in</strong> fi xen zu können.<br />
Dann fi ng er wieder an zu studieren, aber nur, weil er <strong>in</strong><br />
dunklen Gängen lauern wollte. Wenn er entdeckt wurde,<br />
zog er das Messer und bahnte sich se<strong>in</strong>en Weg nach draußen.<br />
Nachts war er immer <strong>in</strong> der Stadt unterwegs und<br />
machte Ärger.<br />
Die Apotheke durch die Glastür verlassend spürt Paco<br />
Panso ke<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zu se<strong>in</strong>em Körper, was sehr, sehr<br />
schlimm ist, er muss <strong>in</strong> den Fasern se<strong>in</strong>. Alles war erfunden.<br />
Die Hubschrauber s<strong>in</strong>d verschwunden, da s<strong>in</strong>d die<br />
braunen Berge se<strong>in</strong>er Heimat, Tierkadaver und Leichen<br />
vergiften das Wasser, se<strong>in</strong>e Eltern w<strong>in</strong>ken vor der Tür der<br />
Hütte, es gibt Dreck zum Abendessen, dann sieht er se<strong>in</strong>e<br />
Frau und se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der, aber alles verschwimmt, und nur<br />
Steppe bleibt zurück.<br />
Paco Pansos Körper bewegt sich fort wie immer, aber<br />
er ist nicht dar<strong>in</strong>, der Körper zuckt umher, überschlägt<br />
sich, kauft e<strong>in</strong>e Flasche billigen Schnaps, belästigt spielende<br />
K<strong>in</strong>der durch brechen rostiger Brocken.<br />
k<strong>in</strong>g kabeljau kaute e<strong>in</strong>ige schillerlocken und hörte<br />
sich walgesänge an, um se<strong>in</strong>e nerven zu beruhigen. heute<br />
morgen hatte e<strong>in</strong> mann verdächtig lange auf der anderen<br />
straßenseite gestanden und manchmal herübergesehen,<br />
kabeljau hatte ihn durch se<strong>in</strong>e jalousien beobachtet.<br />
immer noch hatte er probleme damit, se<strong>in</strong>e atmung unter<br />
kontrolle zu halten.<br />
20
Direktor Tägert hatte die kle<strong>in</strong>e Natalie <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Zimmer<br />
bestellt. Sie wusste nicht, was los war. Hatte sie etwas<br />
Böses getan? Waren ihre Eltern bei e<strong>in</strong>em Autounfall<br />
entstellt oder gar getötet worden?<br />
»Na, me<strong>in</strong>e Kle<strong>in</strong>e, wie geht es dir? Wie gefällt es dir<br />
auf unserer Schule?«<br />
Natalie war immer noch sehr verunsichert. Hatte<br />
der Herr Direktor sie vielleicht nur gerufen, weil sie neu<br />
auf der Schule war, wollte er sie persönlich begrüßen?<br />
H<strong>in</strong>ter dem Schreibtisch hervortretend präsentierte Direktor<br />
Tägert Natalie se<strong>in</strong> schlaff es Gemächt. Am Oberkörper<br />
trug er Cordjackett und weißen Rollkragenpullover,<br />
aber unterhalb der Gürtell<strong>in</strong>ie war er ganz entblößt.<br />
Se<strong>in</strong>e Hose lag säuberlich zusammengefaltet auf dem<br />
Schreibtischstuhl.<br />
»Na, me<strong>in</strong>e Kle<strong>in</strong>e, willst du den Onkel Strulli mal<br />
anfassen? Dann freut er sich! Natürlich will ich dich zu<br />
nichts zw<strong>in</strong>gen, verstehst du, aber es könnte ja e<strong>in</strong>fach<br />
se<strong>in</strong>, dass du mal Lust hast, den Onkel Strulli zu streicheln.<br />
Dann freut er sich! Natürlich könntest du dann<br />
vielleicht auch bessere Noten bekommen oder vielleicht<br />
Schokolade oder Geld, nicht, dass ich dich bezahlen will,<br />
verstehst du, das wäre dann nur so e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Geschenk<br />
unter Freunden. Me<strong>in</strong>st du nicht, dass dir das gefallen<br />
könnte?«<br />
Nun stand Direktor Tägert direkt vor der kle<strong>in</strong>en<br />
Natalie. Sie konnte Onkel Strulli riechen, und wie <strong>in</strong><br />
Trance griff sie nach ihm. Erst vor e<strong>in</strong>em Monat war ihre<br />
21
Familie <strong>in</strong> die neue Stadt gezogen, denn die Heimat hatte<br />
dem Braunkohletagebau weichen müssen. Das Elternhaus<br />
und der Spielplatz und sogar ihre Katze M<strong>in</strong>ka, die<br />
sie vergessen hatten, waren zum Raub der Bagger geworden.<br />
In der großen Stadt war alles so anders, sie musste<br />
neue Freunde fi nden, hatten die Eltern gesagt, und hier<br />
war Onkel Strulli, der ihr Freund se<strong>in</strong> wollte, das war<br />
doch sehr schön. Trotzdem musste die kle<strong>in</strong>e Natalie we<strong>in</strong>en.<br />
Direktor Tägert tröstete sie, wischte ihr die Tränen<br />
aus dem Gesicht, gab ihr noch e<strong>in</strong>en Klaps auf den Po<br />
und schickte sie zurück <strong>in</strong> die 6. Klasse, wo Frau Dör<strong>in</strong>g<br />
gerade Erdkundeunterricht erteilte.<br />
Paco erwachte. Licht schien <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Erdhöhle,<br />
die Sonne. Er streckte sich und gähnte, kroch aus der<br />
Höhle zwischen den Wurzeln. Alles stank nach fi schigem<br />
Gekropp und Läusen, der ganze Waldboden war bedeckt<br />
mit Vogelscheiße, den Kadavern kle<strong>in</strong>er Tiere und Blut.<br />
Paco lief umher und ruderte mit den Armen. Da er<br />
nicht sprechen konnte, versuchte er, mit se<strong>in</strong>er Umwelt<br />
durch Tanz zu kommunizieren. Die Leute im Dorf hatten<br />
sich große Sorgen gemacht, denn die Behörden und<br />
ihre Späher, die waren überall. So e<strong>in</strong>er konnte schon<br />
Aufmerksamkeit erregen, da war man lieber vorsichtig,<br />
man wollte ja nicht den Napalmtod herbeiführen.<br />
»Wir müssen wegen des Jungen etwas unternehmen«,<br />
sagte der Bürgermeister, Paco Pansos Adoptivvater, zu<br />
se<strong>in</strong>er Frau. »Wir hätten ihn gleich mit se<strong>in</strong>en Eltern<br />
22
verbrennen sollen. Diese Leute s<strong>in</strong>d ja nicht wie wir. Der<br />
Junge kann lesen und schreiben, aber niemand hat ihn<br />
je e<strong>in</strong>e Silbe reden hören. Und er gräbt im Boden wie e<strong>in</strong><br />
Dachs.«<br />
»Ja, du hast wohl recht«, antwortete die Frau Bürgermeister,<br />
»aber jetzt können wir ihn nicht e<strong>in</strong>fach<br />
totschlagen, sonst könnte auff allen, dass mir noch e<strong>in</strong>en<br />
versteckt hatten.«<br />
»Dann sollten wir ihn am besten mit Medikamenten<br />
ruhigstellen. Wenn wir langsam die Dosis erhöhen,<br />
stirbt er irgendwann e<strong>in</strong>es ganz natürlichen Todes, und<br />
allen ist geholfen.«<br />
»Aber das ist doch viel zu teuer. Unser kle<strong>in</strong>er Hof<br />
kann uns kaum ernähren, und jedes Jahr werden die<br />
Ernten schlechter. Du musst logisch denken, me<strong>in</strong> Lieber.<br />
Wir sollten ihm irgendwo im Wald e<strong>in</strong> nettes Plätzchen<br />
suchen, an dem er wohnen und sich von der Jagd ernähren<br />
kann. Damit wäre WIRKLICH allen geholfen.«<br />
Das stimmte. Wenn der Geheimdienst Paco Panso<br />
dann fand, würden sie e<strong>in</strong>fach alles abstreiten.<br />
k<strong>in</strong>g kabeljau waren diese vorgänge wohlbekannt,<br />
er war auf sie gestoßen, als er vor jahren versucht hatte,<br />
durch fi schhandel an <strong>in</strong>formationen über neanderthaler<br />
zu kommen. allerd<strong>in</strong>gs war kabeljau nicht der me<strong>in</strong>ung,<br />
dass es sich bei dem damals verschwundenen jungen um<br />
e<strong>in</strong>en neanderthalersprößl<strong>in</strong>g handelte. vielmehr war<br />
dieser ansche<strong>in</strong>end e<strong>in</strong> d<strong>in</strong>osaurier. diese theorie mochte<br />
23
gewagt ersche<strong>in</strong>en, aber kabeljau hatte e<strong>in</strong> ganz schlechtes<br />
gefühl bei der sache. manchmal glaubte er, der d<strong>in</strong>osaurier<br />
habe es auf ihn abgesehen.<br />
Kommen wir aber zum eigentlichen Kern der tieftraurigen<br />
Geschichte, die den Leib und die Seele unseres<br />
tragischen Helden seit Jahren wie e<strong>in</strong>e off ene Wunde<br />
marterte.<br />
Fred hatte bis mittags geschlafen und wurde von der<br />
kraftvollen Frühl<strong>in</strong>gssonne geweckt, die ihre Strahlen<br />
durch das Fenster se<strong>in</strong>es Zimmers schickte. Er erhob sich<br />
aus dem Bett und begab sich zu se<strong>in</strong>er Anlage, wo er sich<br />
die Frage stellte, mit welcher Scheibe er den Tag e<strong>in</strong>leiten<br />
sollte. Unentschlossen durchstöberte er se<strong>in</strong>e unzähligen<br />
Punk- und Hardcoreplatten, bis er sich schließlich<br />
für e<strong>in</strong>e alte Misfi ts-S<strong>in</strong>gle entschied. Kurz darauf erfüllten<br />
die rauen Klänge se<strong>in</strong> Zimmer und den Flur, während<br />
er sich im Bad rasierte.<br />
»...die, die, die my darl<strong>in</strong>g…«<br />
Knapp zehn M<strong>in</strong>uten später traf er die letzten Vorbereitungen<br />
für e<strong>in</strong> relaxtes Fernsehfrühstück im Wohnzimmer<br />
se<strong>in</strong>er Eltern, bestehend aus Frühstückscerealien,<br />
Pudd<strong>in</strong>g, Konfi türe und hartgekochten Eiern. Nachdem<br />
Ober<strong>in</strong>spektor Derrick von der Mordkommission se<strong>in</strong>en<br />
Fall gelöst hatte und Fred von e<strong>in</strong>em an Übelkeit grenzenden<br />
Sättigungsgefühl erfüllt war, blickte er auf die<br />
Uhr und begriff schlagartig, es war höchste Zeit für e<strong>in</strong>en<br />
Ortswechsel. Jeden Moment würde se<strong>in</strong>e Mutter von<br />
24
der Arbeit zurückkommen, und es würde e<strong>in</strong>en fürchterlichen<br />
Anschiss geben, wenn sie feststellte, dass er schon<br />
wieder nicht <strong>in</strong> die Schule gegangen war. E<strong>in</strong> kurzer hektischer<br />
Schub und schon hatte er alles beisammen, was er<br />
zum Überstehen der zweiten Hälfte des Tages benötigte.<br />
So ausgerüstet schwang er sich aufs Rad. Während er<br />
im Sche<strong>in</strong> der Frühl<strong>in</strong>gssonne die von kräftigen, langsam<br />
ergrünenden Eichen gesäumte Allee entlangradelte,<br />
tauchten fragmentarisch Er<strong>in</strong>nerungen an die Ereignisse<br />
des letzten Abends <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gedächtnis auf, um sich<br />
dort mit euphorischen Traumbildern zu vermischen. Die<br />
Trennl<strong>in</strong>ie zwischen diesen beiden Sphären war nicht<br />
mehr genau zu ziehen. In unregelmäßigen Abständen<br />
tauchte für den Bruchteil e<strong>in</strong>er Sekunde e<strong>in</strong> undefi nierbarer<br />
Schatten auf, der sich Fred wie e<strong>in</strong> eiskaltes Bajonett<br />
<strong>in</strong>s Hirn bohrte. Hatte er denn nicht den hämischen<br />
Blick bemerkt, mit dem die aufgedunsene, quallenhafte<br />
Fratze, die sich verschwommen am Himmel abzeichnete,<br />
ihn beobachtete?<br />
Die laut dröhnende Punkrockmusik war ungefähr<br />
vier Häuser weit zu hören. Fred musste m<strong>in</strong>utenlang<br />
sturmkl<strong>in</strong>geln, bevor jemand Notiz von ihm nahm. Als<br />
er das Wohnzimmer betrat, wurde ihm sofort bewusst,<br />
dass er als e<strong>in</strong>ziger <strong>in</strong> diesem Raum nicht auf LSD war.<br />
Alle waren vor e<strong>in</strong>em äußerst aggressiven und hektischen<br />
Videospiel versammelt und <strong>in</strong> ihrer Wahrnehmung offenbar<br />
schon stark bee<strong>in</strong>trächtigt. Das Wohnzimmer<br />
von Toms Eltern befand sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em alarmierenden<br />
25
Zustand. Überall standen oder lagen Bierdosen herum,<br />
aus manchen war Bier ausgekippt und <strong>in</strong> den teuren Kamelhaarteppich<br />
e<strong>in</strong>gezogen. Essensreste klebten am Sofa<br />
oder lagen auf dem Fußboden. Der kle<strong>in</strong>e Glastisch vor<br />
dem Sofa war mit Müll überhäuft, und benutztes Geschirr<br />
stapelte sich neben dem Fernseher. Rauchschwaden<br />
nebelten alles e<strong>in</strong>. Fred schaute sich um, begrüßte<br />
die anderen und setzte sich schließlich <strong>in</strong> den großen Sessel,<br />
der sonst für Toms Vater reserviert war.<br />
»Hast du Bock, ´ne Runde mitzuballern?« fragte ihn<br />
Tom. Fred griff sich e<strong>in</strong> Gamepad und durchfl og mit se<strong>in</strong>em<br />
Raumgleiter geschickt das verzweigte Labyr<strong>in</strong>th.<br />
Wenn man diesen zappeligen Film überleben wollte,<br />
dann musste man schon ballern, was das Zeug hielt.<br />
»Was läuft`n so am Wochenende, Fred ?« wandte sich<br />
Mark an ihn.<br />
»Ke<strong>in</strong> Plan«, erwiderte Fred.<br />
»Lass uns mal Samstag ´n paar Pillen e<strong>in</strong>werfen und<br />
dann später Wiebkes Party anchecken«, schlug Mark vor.<br />
Paco Panso parkte den Kombiwagen <strong>in</strong> der Garagene<strong>in</strong>fahrt.<br />
Er stellte ihn nicht <strong>in</strong> die Garage, denn se<strong>in</strong>e<br />
Ehefrau hatte Paco vorh<strong>in</strong> im Büro angerufen und ihm<br />
gesagt, dass sie nach dem Abendessen noch zu e<strong>in</strong>er ihrer<br />
Freund<strong>in</strong>nen fahren würde. Dort würden die Frauen<br />
schlecht über ihre Ehemänner reden und dabei G<strong>in</strong><br />
und Sprite tr<strong>in</strong>ken. Das vermutete Paco jedenfalls, auch<br />
26
wenn der Gutenachtkuss se<strong>in</strong>er Frau immer nur nach<br />
Zahnpasta schmeckte.<br />
Als er den Weg zur Haustür h<strong>in</strong>aufg<strong>in</strong>g, fl og diese<br />
bereits auf, und se<strong>in</strong>e Jüngste kam herausgelaufen. Sie<br />
umarmte und küsste ihn und erzählte von ihrem Hamster<br />
Benni. Paco nahm sie auf den Arm und trug sie <strong>in</strong>s<br />
Haus. Auch bei Tisch schnatterte die Kle<strong>in</strong>e unentwegt<br />
weiter, und Paco war nicht unglücklich darüber, er war<br />
müde und fühlte sich nicht <strong>in</strong> der Lage, selbst noch viel<br />
zu sprechen. Eigentlich freute er sich nur noch auf e<strong>in</strong>en<br />
friedlichen Abend vor dem Fernseher. Nachdem alle aufgegessen<br />
hatten, brachte Pacos Frau die kle<strong>in</strong>e Tochter<br />
<strong>in</strong>s Bett, die beiden älteren K<strong>in</strong>der räumten den Tisch ab<br />
und verstauten das Geschirr <strong>in</strong> der Spülmasch<strong>in</strong>e. Kurz<br />
tat Paco so, als würde er Ihnen dabei helfen, griff sich <strong>in</strong><br />
der Küche aber gleich e<strong>in</strong> Bier aus dem Kühlschrank und<br />
verschwand dann im Wohnzimmer. Mit e<strong>in</strong>em Seufzen<br />
ließ er sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Fernsehsessel s<strong>in</strong>ken, und als sich<br />
zuerst se<strong>in</strong>e Frau und wenig später auch die K<strong>in</strong>der für<br />
den Abend verabschiedeten, gab er nur noch e<strong>in</strong> unartikuliertes<br />
Brummen von sich.<br />
Paco erwachte von kurzem Schlummer. Die Sendung,<br />
die er gesehen hatte, war bereits vorbei, jetzt lief e<strong>in</strong> Gesundheitsmagaz<strong>in</strong>,<br />
Ratschläge für alte Männer mit Prostatabeschwerden.<br />
Paco schaltete um, doch auf allen anderen<br />
Kanälen tobte der elektromagnetische Schneesturm.<br />
Also schaltete er zurück auf die Gesundheitssendung.<br />
Auch hier trieb mittlerweile Schnee <strong>in</strong> dichten Wolken<br />
27
über die Steppe. Hubschrauber über dem Haus störten<br />
den Satellitenempfang.<br />
Die kurze Unterbrechung se<strong>in</strong>es Fernsehabends nutzte<br />
Paco, um <strong>in</strong>s Bad zu gehen und zu ur<strong>in</strong>ieren. Anschließend<br />
g<strong>in</strong>g er <strong>in</strong> die Küche, holte sich e<strong>in</strong> neues Bier. Zweimal<br />
musste er durch den Flur gehen, zweimal vorbei an<br />
den am vergangenen Weihnachtsfest aufgenommenen<br />
Fotos se<strong>in</strong>er Familie. Aber statt Freude und Stolz regten<br />
sich andere, weniger angebrachte Gefühle <strong>in</strong> ihm. Voller<br />
Neid dachte er an se<strong>in</strong>e jungen K<strong>in</strong>der, ihre rosige Haut<br />
und ihre straff en, gelenkigen Körper. Er selbst war bereits<br />
dabei zu zerfallen, bald würde auch er Probleme mit<br />
der Prostata bekommen. Vielleicht war es auch schon so<br />
weit, und er wollte es sich bloß nicht e<strong>in</strong>gestehen? Musste<br />
er nicht nachts manchmal raus, weil die Blase drückte?<br />
Tatsächlich wusste er ja auch gar nicht so genau, wie<br />
alt er überhaupt war. Se<strong>in</strong>e Jugend verschwamm <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Gedächtnis zu e<strong>in</strong>em trüben Brei aus braunen Bergen,<br />
am Feuer geröstetem Aas, st<strong>in</strong>kenden Großstadtstraßen<br />
und dunklen Gängen. Immer wenn er sich an<br />
E<strong>in</strong>zelheiten er<strong>in</strong>nern wollte, versagte er und förderte<br />
höchstens bizarre Brocken zutage, von denen er glaubte<br />
oder wenigstens hoff te, diese seien ke<strong>in</strong>e echten Er<strong>in</strong>nerungen.<br />
Erzählte er anderen von diesen Problemen mit<br />
se<strong>in</strong>em Gedächtnis, so sagten sie ihm nur, er solle sich<br />
nicht aufregen, es sei schon alles <strong>in</strong> Ordnung, er habe viele<br />
Freunde, alles sei gut. Daran dachte Paco nun, redete<br />
sich selbst gut zu:<br />
28
»Du musst ganz ruhig bleiben, sonst jagen sie dich aus<br />
der Stadt, du bist nur Gast hier, bloß nicht auff allen, du<br />
darfst nicht so schwitzen, siehst du, da hast du das Bier<br />
auf den Boden geschüttet, so geht das nicht, ganz ruhig,<br />
ganz ruhig, setz dich wieder h<strong>in</strong> und schalte den Fernseher<br />
e<strong>in</strong>.«<br />
Der Empfang war nicht mehr gestört, dutzende<br />
bunte Programme fl immerten über den Bildschirm. Er<br />
wusste nicht, woher diese Anfälle kamen, was ihn <strong>in</strong><br />
diese Zustände gefährlicher Verwirrung versetzte, aber<br />
wenigstens für diesen Moment war es vorbei, für diesen<br />
Moment war alles gut, alles leichter Bierdusel und<br />
Fernsehfl immern.<br />
Als se<strong>in</strong>e Frau nach Hause kam, schlief Paco Panso<br />
im Sessel. Sie weckte ihn und schob ihn <strong>in</strong>s Schlafzimmer.<br />
Paco hatte Mühe sich wach zu halten, er murmelte<br />
Verworrenes auf Spanisch, während er sich se<strong>in</strong>er Kleider<br />
entledigte und se<strong>in</strong>en Pyjama überzog. War er bei etwas<br />
unterbrochen worden? War der Traum aus dem Sessel<br />
schon vorüber? Oder musste er zu ihm zurückkehren?<br />
E<strong>in</strong>e Weile verbrachte Fred mit dem Videospiel, Drogenkonsum<br />
und höchst oberfl ächlichen Beiträgen zu Trivialgesprächen.<br />
Irgendwann fi el se<strong>in</strong> Blick zufällig auf<br />
se<strong>in</strong>e Uhr. War es tatsächlich schon zehn nach vier? Das<br />
war das Gefährliche an diesen Sessions, ab e<strong>in</strong>em bestimmten<br />
Punkt verlor man völlig das Zeitgefühl. Jetzt<br />
musste alles verfl ixt schnell gehen. Fred verabschiedete<br />
29
sich unverzüglich, schwang sich hastig auf se<strong>in</strong> Fahrrad<br />
und heizte im Eiltempo nach Hause. Dort ließ er das Rad<br />
<strong>in</strong> den Vorgarten fallen, g<strong>in</strong>g schnurstracks <strong>in</strong>s Haus,<br />
durch den Flur <strong>in</strong> die Küche, zum Gefrierschrank, öff nete<br />
ihn, holte e<strong>in</strong>e Tiefkühlpizza heraus, schloss ihn wieder,<br />
stellte den Backofen an, warf die Pizza h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> und eilte<br />
die Treppe hoch. Nachdem er geduscht und sich umgezogen<br />
hatte, g<strong>in</strong>g er zurück <strong>in</strong> die Küche, um schnell se<strong>in</strong>e<br />
Thunfi schpizza und e<strong>in</strong>en Joghurt zu verzehren und zu<br />
guter Letzt noch e<strong>in</strong>en halben Liter Milch <strong>in</strong> sich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuschütten.<br />
Kurz darauf saß er schon wieder auf se<strong>in</strong>em<br />
Fahrrad und war unterwegs <strong>in</strong> Richtung Stadtzentrum.<br />
Neben dem E<strong>in</strong>gangstor des Parks schloss er se<strong>in</strong><br />
Fahrrad an und g<strong>in</strong>g anschließend h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, ständig Ausschau<br />
haltend nach Yasm<strong>in</strong>, mit der er hier verabredet<br />
war. Er konnte nun bereits e<strong>in</strong>en Großteil der Fläche<br />
überblicken, sah Yasm<strong>in</strong> jedoch nirgendwo. Vielleicht<br />
hatte sie es sich ja auch anders überlegt, schoss es ihm<br />
durch den Kopf. Während er so dastand und diesem Gedanken<br />
weiter nachg<strong>in</strong>g, spürte er plötzlich, wie jemand<br />
ihm von h<strong>in</strong>ten die Augen zuhielt. Er drehte sich um,<br />
und Yasm<strong>in</strong> stand vor ihm und umarmte ihn, und während<br />
er, die Umarmung erwidernd, den herrlichen Duft<br />
ihres Parfüms e<strong>in</strong>sog, dachte er, dass es so e<strong>in</strong> großartiges<br />
Gefühl war, dieses bildschöne Mädchen zu umarmen,<br />
und er versuchte, die Umarmung so lange wie möglich<br />
auszudehnen.<br />
30
Geme<strong>in</strong>sam liefen sie dann e<strong>in</strong> Stückchen durch den<br />
Park, um sich schließlich auf dem Rasen niederzulassen.<br />
Da es schon recht warm war, zog Yasm<strong>in</strong> ihren Pullover<br />
aus und trug nun nur noch e<strong>in</strong> eng anliegendes weißes<br />
Baumwollshirt, unter dem sich die Konturen ihres großen<br />
Busens deutlich abzeichneten. Das Weiß des Shirts<br />
stand <strong>in</strong> <strong>in</strong>tensivem Kontrast zur braunen Färbung ihrer<br />
Haut. Die nun schon etwas tiefer stehende Nachmittagssonne<br />
ließ ihr Haar golden glänzen. Ihr Gesicht näherte<br />
sich ganz langsam dem von Fred, und sie küsste ihn,<br />
während er zärtlich mit se<strong>in</strong>er Hand über die Haut ihres<br />
Oberarms strich. Außer dem Gesang der Vögel war kaum<br />
e<strong>in</strong> Geräusch zu vernehmen, es schien, als seien sie die<br />
e<strong>in</strong>zigen Personen, die sich im Park aufhielten.<br />
Helle Strahlen strömten von oben auf das Meer und<br />
das Land, Griechenland, alles war verbrannt und voll<br />
mit Griechen und Eseln und dieser Scheiße, eigentlich<br />
konnte man es nur im Hotel aushalten. Olga, die alte<br />
Hure, auf deren Kosten er hier rumh<strong>in</strong>g, machte immer<br />
irgendwelche Ausfl üge zu Ru<strong>in</strong>en und so mit, aber mit<br />
dem Rotz sollte sie ihn mal schön <strong>in</strong> Ruhe lassen.<br />
Gerade hatte er sich schon e<strong>in</strong>ige Dr<strong>in</strong>ks genehmigt,<br />
er lag auf e<strong>in</strong>em Liegestuhl am Pool. ‚Berufl iche Zukunft:<br />
Strassenpenner’ hatte im Abibuch gestanden. Diese Idioten,<br />
die das geschrieben hatten, hassten ihn wirklich sehr.<br />
Aber was wussten die schon. Gleich nach dem Abitur hatte<br />
Hans-Gert Hübner se<strong>in</strong>en Traum wahrgemacht und<br />
31
war ernsthaft <strong>in</strong>s Heiratsschw<strong>in</strong>dlergeschäft e<strong>in</strong>gestiegen.<br />
Schon bei früheren Urlauben hatte er Erfahrungen<br />
im Ausnehmen alle<strong>in</strong>stehender alter Frauen gesammelt,<br />
diesmal g<strong>in</strong>g es um die Erbschaft.<br />
Eigentlich wollte er gern <strong>in</strong> die Bar gehen, denn es<br />
war wirklich zu heiß <strong>in</strong> der Sonne, nur konnte er dort<br />
wieder auf den wahns<strong>in</strong>nigen Zigeuner treff en, e<strong>in</strong>en<br />
übellaunigen Burschen, der sich überall <strong>in</strong> den Bars und<br />
Discos rumtrieb, immer e<strong>in</strong>en Pelzmantel trug und von<br />
e<strong>in</strong>er Wolke aus Aftershave, Parfum, Deo, Mundwasser<br />
und Raumspray, mit der er wohl se<strong>in</strong>en üblen Gestank<br />
verbergen wollte, umgeben war. Er machte alle Frauen<br />
auf dreisteste Weise an, begrabschte sie oder folgte ihnen<br />
auf die Toilette, was Hans-Gert persönlich nicht weiter<br />
störte, aber mit allen Männern suchte der Verrückte<br />
Streit. Er hauchte e<strong>in</strong>em verseuchte Milbenwolken <strong>in</strong>s<br />
Gesicht, und wenn man nicht vorsichtig war, zog er se<strong>in</strong><br />
Messer raus, und dann fi ng der Ärger richtig an.<br />
Das Hotelzimmer roch nach verschimmelter Lungencreme<br />
und Leichengift, draußen aber war das Meer,<br />
von dem der Gammelatem der Wale aufstieg, darum<br />
hielt Paco Panso das Fenster und die Tür zum Balkon<br />
immer samt der Läden geschlossen. Gerade erwachte er,<br />
mit der rechten Hand fand er auf dem Boden e<strong>in</strong> halb<br />
verfaultes Schnitzel, damit befriedigte er sich, weil ihn<br />
das an Sex mit Toten er<strong>in</strong>nerte. Um se<strong>in</strong>en Darm auszuleeren,<br />
g<strong>in</strong>g er <strong>in</strong>s Badezimmer. Da er sich ohneh<strong>in</strong><br />
nie wusch, benutzte er e<strong>in</strong>fach die Wanne, wischte sich<br />
32
dann den H<strong>in</strong>tern mit se<strong>in</strong>em Pelzmantel ab, griff e<strong>in</strong>e<br />
Whiskeyfl asche, schon seit Wochen litt er an der Gürtelrose,<br />
so konnte er sich doch <strong>in</strong> der Öff entlichkeit nicht<br />
zeigen. Wenigstens konnte er nicht an die Pools und<br />
Strände, musste se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satzgebiet auf Bars und Diskotheken<br />
beschränken, schnell noch e<strong>in</strong> paar Schlucke und<br />
die Waff en nicht vergessen, dann g<strong>in</strong>g es wieder auf die<br />
Piste. Die Nerven funkten, die Fasern zuckten, Wellen<br />
übermittelten e<strong>in</strong>deutige Befehle, Paco riss die Tür auf,<br />
verschloss sie mühsam von außen wieder, prallte gegen<br />
Ste<strong>in</strong>e, stürzte, die Treppen runter, er wollte mal wieder<br />
e<strong>in</strong> bisschen Spaß haben.<br />
Sag mir mal wo die Blumen s<strong>in</strong>d<br />
wer hat sie gefressen<br />
und <strong>in</strong> Gruben geschissen, damit wir sie vergessen<br />
Verdammt schlau, dieser kle<strong>in</strong>e Dreizeiler, oder? Dieses<br />
D<strong>in</strong>g wird zum Klassiker werden, ich kann das spüren.<br />
In e<strong>in</strong> paar Jahren müssen das die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der Schule<br />
auswendig lernen. E<strong>in</strong>e völlig neue literarische Gattung<br />
erhebt sich strahlend aus der Asche der Zeit. Damit habe<br />
ich me<strong>in</strong>e Arbeit für den Vormittag erledigt, erst mal e<strong>in</strong>en<br />
Dr<strong>in</strong>k, wenn mir heute noch so e<strong>in</strong> Killer e<strong>in</strong>fällt, ist<br />
der neue Gedichtband ungefähr <strong>in</strong> drei Wochen fertig.<br />
Der Dr<strong>in</strong>k zeckt ordentlich re<strong>in</strong>, gleich noch e<strong>in</strong>en,<br />
dann etwas Free Jazz, um me<strong>in</strong>en Verstand zu beschäftigen,<br />
wenn ich nicht ununterbrochen hochkomplexe<br />
33
Vorgänge verfolge, explodiert me<strong>in</strong>e Kreativität <strong>in</strong> nicht<br />
mehr kontrollierbarer Form, aber das muss ich vermeiden.<br />
Es genügt völlig, wenn sie sich <strong>in</strong> kurzen, genialen<br />
Meisterwerken wie dem von eben entlädt. Das Teil ist<br />
mit se<strong>in</strong>em coolen ironischen Understatement auch echt<br />
unschlafbar, wenn die Leute mich erst richtig verstehen,<br />
werde ich e<strong>in</strong> Gott se<strong>in</strong>.<br />
Ich stehe mit me<strong>in</strong>em dritten Dr<strong>in</strong>k am Fenster und<br />
beobachte das Treiben auf der Kle<strong>in</strong>stadtstraße. Me<strong>in</strong>e<br />
verdammte Frau ist dafür verantwortlich, dass ich me<strong>in</strong>e<br />
Existenz hier <strong>in</strong> der Prov<strong>in</strong>z fristen muss. Sie war der<br />
Me<strong>in</strong>ung, <strong>in</strong> der Großstadt könne sie mit e<strong>in</strong>er Arztpraxis<br />
nicht genug verdienen, und da ich leider bisher gar nichts<br />
verdiene, hatte ich <strong>in</strong> der Sache nicht viel zu sagen. Aber<br />
was ist das? Auf der Straße taumelt e<strong>in</strong> Mann völlig außer<br />
Kontrolle geraten h<strong>in</strong> und her. Er sieht aus wie e<strong>in</strong><br />
Penner, lange, strähnige schwarze Haare, e<strong>in</strong> dreckiger<br />
Mantel, ansche<strong>in</strong>end ist er außerdem Ausländer. Jetzt<br />
kommt er herüber, er wankt tatsächlich auf die Tür unseres<br />
Hauses zu. Im Erdgeschoß ist die Praxis me<strong>in</strong>er Frau,<br />
vielleicht braucht er ärztliche Hilfe. Es kl<strong>in</strong>gelt. Wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
hat er die E<strong>in</strong>gänge verwechselt, ich werde<br />
h<strong>in</strong>untergehen und ihn <strong>in</strong> die Praxis br<strong>in</strong>gen. Ich öff ne<br />
die Tür. Er versetzt mir sofort e<strong>in</strong>en Tritt gegen den Kopf.<br />
Ich will ihm das Glas, das ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Hand halte, <strong>in</strong>s<br />
Gesicht werfen, aber er fängt es und schleudert es gegen<br />
me<strong>in</strong>e Stirn. Benommen taumle ich nach h<strong>in</strong>ten. Dann<br />
ergreift er mich, drischt se<strong>in</strong>en Kopf gegen me<strong>in</strong>en, ich<br />
34
sehe Sterne. Als ich wieder erwache, liege ich vor der geschlossenen<br />
Haustür.<br />
Der Himmel war bis auf vere<strong>in</strong>zelte Wölkchen stahlblau,<br />
und das refl ektierte Sonnenlicht erzeugte e<strong>in</strong> lebhaftes<br />
Glitzern im leicht bewegten Wasser des Teichs, auf<br />
dem e<strong>in</strong>ige Enten schwammen.<br />
Fred lag auf dem Rücken im Gras, Yasm<strong>in</strong> lag auf<br />
ihm, küsste se<strong>in</strong> Gesicht und presste sich eng an ihn, so<br />
dass er ihre Brüste spüren konnte. Unter ihrem Oberteil<br />
glitten se<strong>in</strong>e Hände langsam über die samtweiche Haut<br />
ihres Rückens und ihrer schmalen Taille. Nach e<strong>in</strong>er<br />
Weile begannen beide damit sich zu entkleiden. Sanft<br />
nahm sie mit beiden Händen se<strong>in</strong>en Kopf und hielt ihn<br />
zwischen ihre großen Brüste. Fred spürte, wie se<strong>in</strong> Herz<br />
anfi ng schneller zu schlagen. Dieser Moment, von dem<br />
er hoff te, er möge niemals enden, war <strong>in</strong>tensiver als alles,<br />
wonach er je geglaubt hatte streben zu müssen. Alle<br />
Probleme se<strong>in</strong>er zermürbenden Existenz traten <strong>in</strong> den<br />
H<strong>in</strong>tergrund. Diese Frau war das Beste, was e<strong>in</strong>em passieren<br />
konnte. Es hätte möglich se<strong>in</strong> müssen die Zeit anzuhalten,<br />
um für immer <strong>in</strong> diesem schwebenden Zustand<br />
zu verbleiben. Tatsächlich jedoch fl og die Zeit an diesem<br />
heiteren Nachmittag nur so dah<strong>in</strong>. Während er neben<br />
Yasm<strong>in</strong> lag, sank die Sonne immer tiefer und hüllte die<br />
Szenerie <strong>in</strong> rotgoldenen Glanz.<br />
Etwas später fuhren Yasm<strong>in</strong> und Fred mit ihren Fahrrädern<br />
langsam nebene<strong>in</strong>ander her auf der von Eichen<br />
35
gesäumte Allee, die Fred früher am Tag bereits <strong>in</strong> entgegengesetzter<br />
Richtung befahren hatte. Durch die Lücken<br />
zwischen den Eichen schien die Sonne <strong>in</strong> Freds Gesicht<br />
und blendete ihn auf sehr dezente Weise. Schließlich gelangten<br />
sie bei dem gartenumsäumten Haus an, <strong>in</strong> dem<br />
Yasm<strong>in</strong> mit ihrer Mutter wohnte. Noch fast kahle Äste<br />
warfen auf die E<strong>in</strong>fahrt schlangengleiche Schatten, die<br />
sich über den Asphalt zogen wie s<strong>in</strong>istere, bedrohlich auf<br />
Yasm<strong>in</strong> und Fred zu kriechende Nattern. Er wollte etwas<br />
sagen, doch da umarmte sie ihn schon und gab ihm e<strong>in</strong>en<br />
unvergesslichen Abschiedskuss.<br />
Fred sah ihr nach, bis sie ihr Fahrrad abgestellt hatte<br />
und <strong>in</strong>s Haus gegangen war. Ohne Eile radelte er nach<br />
Hause. Euphorie und Irritation geleiteten ihn zum Ende<br />
des heutigen Tags. Welche Art von Befi ndlichkeit würde<br />
der morgige Tag br<strong>in</strong>gen?<br />
Während sich beruhigendes Dunkel über die Landschaft<br />
legte und die meisten Menschen mit Schlaf beseelte,<br />
erwachten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er versteckten Dimension Kräfte,<br />
die das Zerrbild e<strong>in</strong>es absurden Traumes der realen Welt<br />
verkörperten. Denn unter den Menschen gab es auch<br />
diejenigen, die bis <strong>in</strong> späte Stunden alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> ihrer Stube<br />
saßen und <strong>in</strong> das Feuer des Kam<strong>in</strong>s starrten. Erfüllt waren<br />
sie von e<strong>in</strong>er bedächtig dah<strong>in</strong>gleitenden Melancholie,<br />
e<strong>in</strong>genommen von der Ästhetik der lodernden Flammen.<br />
H<strong>in</strong> und wieder kam es vor <strong>in</strong> der Zeitspanne zwischen<br />
Abenddämmerung und Morgengrauen, dass sich aus der<br />
Bahn geratene Gemüter aufmachten, getarnt durch die<br />
36
Schwärze der Nacht e<strong>in</strong>e Grube auszuheben. E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige<br />
Dornenkrone war das Dase<strong>in</strong> für diese Gebrandmarkten,<br />
die ihre Tage <strong>in</strong> paranoiden Schüben verbrachten.<br />
Yasm<strong>in</strong> lag <strong>in</strong> tiefsten Schlaf versunken <strong>in</strong> ihrem Bett.<br />
Wenn man über ihr stand, konnte man ihr Gesicht im<br />
Profi l sehen und musste e<strong>in</strong>genommen werden von ihrer<br />
wundersamen, über alles Zeitliche erhabenen Anmut.<br />
Ihr Mund war e<strong>in</strong> wenig geöff net, die Lippen berührten<br />
leicht das Kopfkissen. Mögen ihre Träume süß und lieblich<br />
gewesen se<strong>in</strong>.<br />
Schuldirektor Tägert war nicht annähernd e<strong>in</strong> solch<br />
gesunder Schlaf vergönnt. Er wälzte sich von <strong>in</strong>nerer<br />
Unruhe ergriff en wild h<strong>in</strong> und her. Er wünschte so sehr,<br />
dieses e<strong>in</strong>e, immer wiederkehrende Schreckgespenst aus<br />
se<strong>in</strong>em Bewusstse<strong>in</strong> tilgen zu können. Er hoff te so sehr,<br />
sicher zu se<strong>in</strong> vor der schieren und unermesslichen Seelenprostitution<br />
des Fischmenschen.<br />
Paco Pansos Körper steht <strong>in</strong> der Wohnung. Paco Panso<br />
ist auch da, aber er hat ke<strong>in</strong>en Kontakt. Hatten Hubschrauber<br />
ihm das angetan? War das immer der Plan<br />
gewesen? Es ist nicht gut zu denken, er muss damit aufhören.<br />
Paco Pansos Körper zerschlägt alles <strong>in</strong> der Wohnung<br />
und baut aus den Überresten der E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>e<br />
Höhle im Keller. Er schaff t Hundefutterdosen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>,<br />
Eier, Milch, Käse, Wurst, Brot, Sch<strong>in</strong>ken und Kartoff elchips.<br />
Dann geht er nach oben und verbarrikadiert die<br />
Tür. Der Körper läuft zu e<strong>in</strong>em Fenster <strong>in</strong> der Rückseite<br />
37
des Hauses und spr<strong>in</strong>gt h<strong>in</strong>aus. Mit rudernden Armen<br />
bricht er durch die Hecke <strong>in</strong> den Nachbargarten, schl<strong>in</strong>gert<br />
über den Rasen, bricht durch die nächste Hecke, wiederholt<br />
diese Handlungen, bis er zu e<strong>in</strong>em hohen Zaun<br />
kommt. Da klettert er drüber, fällt auf der anderen Seite<br />
auf die Straße, zack wird er überfahren, dann steht er<br />
wieder auf, holt tief Luft. E<strong>in</strong>ige Rippen s<strong>in</strong>d gebrochen,<br />
und e<strong>in</strong> Ohr ist beschädigt. Er fl üchtet sich auf die andere<br />
Straßenseite, fl üchtet weiter.<br />
k<strong>in</strong>g kabeljau hatte noch e<strong>in</strong>en schönen thunfi schaufl<br />
auf im backofen, und jetzt saß er gerade <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
arbeitszimmer, schrieb die letzten sätze, alles war klar.<br />
die ganze geschichte lag als e<strong>in</strong>fache gleichung da, jedes<br />
ereignis ergab s<strong>in</strong>n. die philosophen, die historiker, die<br />
st<strong>in</strong>kfi lzigen suhlschwe<strong>in</strong>e, sie hatten sich an m<strong>in</strong>derwertigen<br />
nebensächlichkeiten aufgehängt wie verurteilte<br />
diebe, sodass ihnen der blick für das wesentliche durch<br />
die peststümpfe ihrer dumpfheit verstellt geblieben war.<br />
zum glück war es ihm gelungen das rätsel zu lösen: der<br />
krieg der arten.<br />
der dumme darw<strong>in</strong> hatte unrecht gehabt mit se<strong>in</strong>er<br />
jämmerlichen evolutionstheorie; zwischen den arten<br />
herrschte krieg. da überlebte nicht e<strong>in</strong>fach der gut angepasste,<br />
während der schlecht angepasste verschwand,<br />
ne<strong>in</strong>, mit allen waff en wurde e<strong>in</strong> kampf zur vernichtung<br />
des fe<strong>in</strong>des geführt.<br />
38
nach diesem e<strong>in</strong>fachen pr<strong>in</strong>zip ließ sich die geschichte<br />
der menschheit entschlüsseln. der homo sapiens versuchte<br />
unentwegt den neanderthaler auszurotten. endlos<br />
sandte man expeditionen aus und führte kriege, um die<br />
letzten dieser bösen art zu fi nden und zu töten. der ganze<br />
bunte fi rlefanz — tagelange siegesparaden und die ausstellung<br />
von reifen lungen — war nur beiwerk, vor allem<br />
musste der fe<strong>in</strong>d gefunden werden, man musste ihn<br />
überall suchen, scheuchen, jagen, verbrennen. natürlich<br />
wurde dieser kampf nie offi ziell geführt, man wollte die<br />
neanderthaler <strong>in</strong> sicherheit wiegen.<br />
k<strong>in</strong>g kabeljau hatte sehr, sehr große angst vor den<br />
neanderthalern. sie waren e<strong>in</strong>er der gründe für se<strong>in</strong>en<br />
zurückgezogenen lebensstil, denn verbrachte man zu<br />
viel zeit außerhalb der sicheren wohnung, kam vielleicht<br />
der neanderthaler um die ecke, packte e<strong>in</strong>en am hals<br />
und würgte und drosselte. der neanderthaler war wie<br />
e<strong>in</strong> wildes tier. zwar sah er dem homo sapiens verblüffend<br />
ähnlich und war auch von nur wenig ger<strong>in</strong>gerer<br />
durchschnittlicher <strong>in</strong>telligenz, dennoch ähnelte se<strong>in</strong> gemüt<br />
weniger dem e<strong>in</strong>es zivilisierten menschen als dem<br />
e<strong>in</strong>es beißzyklopen mit angespitzten zähnen. am liebsten<br />
stürzte der neanderthaler sich auf die ganz schwachen<br />
und wohnte dann <strong>in</strong> ihren häusern, um sich zu verbergen.<br />
klar durfte k<strong>in</strong>g kabeljau nicht draußen gesehen werden,<br />
der neanderthaler würden ihn gleich auswählen.<br />
, und am meisten fürchtete er, selbst e<strong>in</strong>er zu se<strong>in</strong>. warum<br />
lauerten ihm sonst überall agenten auf? er hatte nie<br />
39
etwas unrechtes getan, wahrsche<strong>in</strong>lich hielt man ihn für<br />
e<strong>in</strong>en fe<strong>in</strong>d, er musste bloß unauff ällig bleiben, aber das<br />
war gar nicht so leicht, wenn man sich doch um die zeitbeschäftigung<br />
kümmern musste.<br />
der küchenwecker kl<strong>in</strong>gelte, thunfi schaufl auf war<br />
fertig. dazu e<strong>in</strong> schönes glas birnensaft, den mochte k<strong>in</strong>g<br />
kabeljau besonders. aber während er noch am küchentisch<br />
saß und speiste und trank, wurde <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em mund<br />
alles zu katzenfutter, sogar zunge und zähne. e<strong>in</strong> zäher<br />
ball fi schiger reste rollte zwischen se<strong>in</strong>en kahlen kiefern.<br />
er konnte ihn weder schlucken noch ausspucken, denn er<br />
war zu groß. k<strong>in</strong>g kabeljau würgte und röchelte, tränen<br />
liefen aus se<strong>in</strong>en augen, verdammt noch mal, der gute<br />
aufl auf, der gute birnensaft. mit den händen schaufelte er<br />
den st<strong>in</strong>kenden dreck aus se<strong>in</strong>em rachen. jetzt würde er<br />
den rest des tages nichts mehr essen können, da hatten sie<br />
ihm mal wieder e<strong>in</strong>en schönen streich gespielt. kabeljau<br />
konnte gar nicht aufhören zu we<strong>in</strong>en. so e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>heit,<br />
ihm die letzte freude im leben zu verderben, e<strong>in</strong>fach den<br />
guten fi sch <strong>in</strong> scheiße zu verwandeln. dah<strong>in</strong>ter konnte<br />
doch nur der geheimdienst stecken, der hatte es auf ihn<br />
abgesehen. da gab es ke<strong>in</strong>en zweifel, man hielt ihn für<br />
e<strong>in</strong>en neanderthaler. dabei hasste und fürchtete er die<br />
neanderthaler doch selbst, die spitzzahnigen ungetüme,<br />
er konnte da unmöglich dazu gehören, das war doch der<br />
pure wahns<strong>in</strong>n. jeder wusste, dass der neanderthaler sich<br />
durch se<strong>in</strong> unstillbares verlangen nach rohem fl eisch auszeichnete,<br />
und kabeljau aß nur geräucherten, gebratenen,<br />
40
gekochten, gebackenen fi sch, half der menschheit beim<br />
ausrotten, aber<br />
Da auch nach wiederholtem Rufen und Kl<strong>in</strong>geln ke<strong>in</strong>e<br />
Reaktion aus der Wohnung kam, brach die Polizei<br />
schließlich mit e<strong>in</strong>em Rammbock durch die verbarrikadierte<br />
Tür. Dr<strong>in</strong>nen war alles verwüstet, jemand hatte<br />
die gesamte E<strong>in</strong>richtung <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>e Stücke zerschlagen.<br />
Frau Ste<strong>in</strong> befürchtete zuerst, ihr Mann stecke h<strong>in</strong>ter<br />
dieser Sache. Vielleicht war das irgende<strong>in</strong> Performanceprojekt,<br />
oder vielleicht war er e<strong>in</strong>fach im Alkohol- und<br />
Drogenrausch ausgefl ippt. Das durfte sie der Polizei natürlich<br />
nicht sagen, sie tat daher so, als mache sie sich<br />
große Sorgen, glaube, ihr Mann sei entführt worden.<br />
Ihre <strong>in</strong> Wahrheit größte Sorge, er könne noch im Haus<br />
se<strong>in</strong>, sollte sich als unbegründet herausstellen, ihr Mann<br />
war nicht mehr da.<br />
E<strong>in</strong> Polizist teilte Frau Ste<strong>in</strong> mit, sie dürfe vorerst<br />
nicht <strong>in</strong> ihre Wohnräume zurückkehren, es müssten<br />
noch tagelange Untersuchungen durchgeführt werden.<br />
Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie wohnte erst kurz <strong>in</strong><br />
dieser Stadt und hatte deshalb ke<strong>in</strong>e Freunde, bei denen<br />
sie übernachten konnte. Sie würde wohl <strong>in</strong> der Praxis<br />
schlafen müssen.<br />
In den nächsten Tagen waren ständig so viele Polizisten<br />
auf dem Grundstück, dass Frau Ste<strong>in</strong> sich <strong>in</strong> ihrem<br />
eigenen Haus wie e<strong>in</strong>e Gefangene fühlte. Außerdem<br />
blieben aus den off ensichtlichen Gründen die Patienten<br />
41
aus, <strong>in</strong> der ganzen Stadt sprach man von der Horrorärzt<strong>in</strong>,<br />
die ihren Mann <strong>in</strong> der Heizung verbrannt hatte und<br />
nun unter Hausarrest stand. Diese Rufmordkampagne<br />
war off enbar von der Polizei <strong>in</strong> Gang gesetzt worden, <strong>in</strong><br />
den Zeitungen waren Berichte dieses Inhalts erschienen,<br />
die sich unwidersprochen auf offi zielle Polizeistellen<br />
beriefen. Wenn Frau Ste<strong>in</strong> die Polizisten aber nach den<br />
Vorwürfen fragte, sagten sie, das sei alles dummes Zeug.<br />
E<strong>in</strong>e halbe Woche später wurde ihr Mann tot aus dem<br />
Wasser gefi scht. Die Polizisten versicherten ihr immer<br />
noch, es liege nichts gegen sie vor, aber das Volk wurde<br />
unruhig. Man wollte sie hängen sehen.<br />
Die Klimaanlage saugte schleimigen Strom aus den<br />
Leitungen, damit fütterte sie die Bakterienlarven, die<br />
<strong>in</strong> ihrem Inneren gediehen, summ, summ fl ogen sie<br />
dann h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> die neonblauen Büros und verbreiteten<br />
die S<strong>in</strong>istrose. Mühsam versuchten die Angestellten sich<br />
wachzuhalten, sie tranken Kaff ee, aber <strong>in</strong> den Kaff eemasch<strong>in</strong>en<br />
lebten mikroskopisch kle<strong>in</strong>e fl eischfressende<br />
Fische, die ihnen bei lebendigem Leib die E<strong>in</strong>geweide<br />
raussaugten. In der Mittagspause mussten die Angestellten<br />
Turnübungen machen, denn die Firma gehörte jetzt<br />
Ausländern.<br />
Paco Panso blickte auf das Foto se<strong>in</strong>er Familie auf<br />
dem Schreibtisch. Alle Atome des Tischs rückten mehrere<br />
Zentimeter ause<strong>in</strong>ander, man konnte mit der Hand<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>greifen, man konnte <strong>in</strong> die Zwischenräume sehen.<br />
42
Intensive Strahlung hatte Paco Panso fest im Griff . Hubschrauber,<br />
die über dem Gebäude schwebten, sendeten sie.<br />
Zack versank Pacos l<strong>in</strong>ker Fuß im Boden, er wollte aufstehen,<br />
ziehen, versank aber ganz, bald ragten nur noch<br />
se<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>gerspitzen aus dem PVC-Belag, der Rest se<strong>in</strong>es<br />
Körpers h<strong>in</strong>g bereits e<strong>in</strong>e Etage tiefer aus der Decke. Er<br />
fi el immer weiter durch Möbel, Beton, Menschen, zuletzt<br />
durch das Fundament und blieb dann <strong>in</strong> der Erde liegen.<br />
Nach e<strong>in</strong>er kurzen Phase der Orientierungslosigkeit<br />
fi ng er an zu graben wie damals. Knirsch raspelten die<br />
Nägel durch den Felsen. Waren die F<strong>in</strong>gerkuppen schon<br />
bis zum Knochen entblößt? Ha, das Erdreich wurde weich,<br />
dann Gras, Sonnenlicht, er hatte sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en eigenen<br />
Garten gegraben.<br />
Se<strong>in</strong>e Nägel waren nicht mehr so stark wie e<strong>in</strong>st, er<br />
hatte sich die Hände blutig geschabt und musste sie<br />
schnell verb<strong>in</strong>den. H<strong>in</strong> zum Haus, weil er se<strong>in</strong>e Hose<br />
nicht beim Hervorholen des Schlüssels mit Blut besudeln<br />
wollte, schlug er die gläserne Verandatür e<strong>in</strong>, dabei zerschnitt<br />
er se<strong>in</strong> Hemd und se<strong>in</strong>en Arm, Blut, überall Blut,<br />
er sprang auf und ab, se<strong>in</strong>e Frau war nicht zu Hause, also<br />
<strong>in</strong>s Badezimmer und Verbandszeug holen.<br />
Direktor Tägert kam auf se<strong>in</strong>em Fahrrad nach Hause,<br />
stellte es <strong>in</strong> den Schuppen, der schon so oft Schauplatz<br />
menschenverachtender Rituale gewesen war. Er fühlte<br />
sich sehr gut, denn er hatte heute e<strong>in</strong>e sehr schöne<br />
43
Erfahrung mit e<strong>in</strong>er elfjährigen Schüler<strong>in</strong> gemacht. Das<br />
musste er gleich se<strong>in</strong>er Frau erzählen.<br />
Frau Tägert stand <strong>in</strong> der Küche und kochte Kartoff eln.<br />
Das machte sie schon den ganzen Tag, denn alles andere<br />
erschien ihr <strong>in</strong> letzter Zeit so fad und beschwerlich. Als ihr<br />
Mann nach Hause kam, bemerkte sie ihn kaum, sie testete<br />
die Festigkeit der Kartoff eln mit e<strong>in</strong>er Gabel, Dampf<br />
stieg aus dem Topf auf und nahm ihr die Sicht, ihr Mann<br />
erzählte irgendwas von e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Schlampe, die es<br />
ihm heute gut besorgt habe, aber irgendwie <strong>in</strong>teressierte<br />
sie dieses ganze K<strong>in</strong>dermissbrauchsd<strong>in</strong>g gar nicht mehr<br />
so wie früher. Manchmal tat ihr auch ihr Sohn leid, der<br />
draußen im Fischteich lebte. K<strong>in</strong>g Kabeljau lag dort im<br />
Schlick, Mund und Nase knapp über der Oberfl äche. Fische<br />
hatten ihn während se<strong>in</strong>er frühen K<strong>in</strong>dheit gefüttert,<br />
später hatte er sie dann e<strong>in</strong>fach verschluckt, wenn<br />
sie heranschwammen. Nur zu Familienfesten holten ihn<br />
die Eltern aus dem Teich, dann wurde er <strong>in</strong> weiße Tücher<br />
e<strong>in</strong>geschlagen und auf e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Wagen umhergerollt.<br />
Die Eltern sagten den Verwandten, ihr Sohn sei an<br />
der Lepra erkrankt und daher so unansehnlich, dass sie<br />
sich schämten, ihn <strong>in</strong> der Öff entlichkeit zu zeigen.<br />
Wieder saß Fred <strong>in</strong> der Küche und trank Kaff ee. Diesmal<br />
unterhielt er sich mit e<strong>in</strong>er der beiden Mitbewohner<strong>in</strong>nen<br />
se<strong>in</strong>es Kumpels. Sie hieß Bianca und sah recht<br />
scharf aus. Sie erzählte ihm, mit welchen Leuten sie so<br />
abh<strong>in</strong>g, wo man cool Party machen konnte und welche<br />
44
Typen sie richtig scheiße fand. Er sah sie an und war e<strong>in</strong>erseits<br />
schwer angetan von ihrem Aussehen und ihrer<br />
Art zu reden, konnte ihr jedoch andererseits allenfalls<br />
mit e<strong>in</strong>em Ohr zuhören, weil er <strong>in</strong> Gedanken bei dem<br />
Plastiksprengstoff war, den er noch auftreiben musste.<br />
Hatte sie ihm nicht erzählt, dass ihre Vorlesung um zehn<br />
Uhr anfi ng? Wieso saß sie dann immer noch hier, obwohl<br />
es doch schon kurz vor halb elf war? Dann passierte<br />
genau das, was er befürchtet hatte, sie begann damit,<br />
ihm Fragen über se<strong>in</strong> Leben und diesen ganzen Dreck<br />
zu stellen. Nun galt es, möglichst schnell e<strong>in</strong>e halbwegs<br />
normale Maske hervorzuholen, um zu kaschieren, wor<strong>in</strong><br />
er tatsächlich verstrickt war. Belangloses Gefasel war<br />
gefragt. Um sich nicht zu weit von der Wahrheit zu entfernen<br />
und dadurch unrealistisch zu werden, gab er zu,<br />
dass er <strong>in</strong> den letzten drei Jahren ke<strong>in</strong>er erwähnenswerten<br />
Beschäftigung nachgegangen war, was Bianca allerd<strong>in</strong>gs<br />
ansche<strong>in</strong>end eher amüsierte als irritierte. Um den<br />
Fokus des Gesprächs von se<strong>in</strong>er Biographie wegzulenken,<br />
fragte er sie schließlich, ob sie e<strong>in</strong>en Freund habe, was<br />
sie verne<strong>in</strong>te. An dieser Stelle verstummte die Unterhaltung.<br />
Sie saßen noch e<strong>in</strong>e Weile herum, ohne wieder<br />
e<strong>in</strong> richtiges Gespräch zustande zu br<strong>in</strong>gen, dann verabschiedete<br />
Bianca sich, <strong>in</strong>dem sie erklärte, dass sie jetzt<br />
doch los müsse. Höfl ich bot sie Fred noch an, ihn mit<br />
dem Auto mitzunehmen und irgendwo abzusetzen, doch<br />
dieser lehnte dankend ab. Was er im Laufe des heutigen<br />
Tages zu erledigen hatte, musste möglichst ohne Zeugen<br />
45
über die Bühne gehen. Schade, dachte Fred, denn diese<br />
Schnitte, die war e<strong>in</strong> wahrer Knaller.<br />
um sich erstmal wieder zu beruhigen, setzte sich<br />
k<strong>in</strong>g kabeljau auf den boden, atmete tief und zählte dabei<br />
ganz langsam. vielleicht sollte er etwas fernsehen,<br />
um sich abzulenken, aber <strong>in</strong> diesem zustand würde ihm<br />
jede sendung nur noch mehr angst e<strong>in</strong>jagen, diese falsche<br />
fernsehwelt, konstruiert mit dem e<strong>in</strong>deutigen ziel<br />
der verdeckung der tatsächlichen zusammenhänge. am<br />
besten war es wohl, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ecke schutz zu suchen, die<br />
von ke<strong>in</strong>em fenster aus e<strong>in</strong>gesehen werden konnte, andererseits<br />
konnte er auch nicht ausschließen, dass man<br />
ihn mit <strong>in</strong>frarotkameras beobachtete. japsend fi el k<strong>in</strong>g<br />
kabeljau auf den rücken. wie sollte er <strong>in</strong> diesem zustand<br />
rechtzeitig bei se<strong>in</strong>er zeitbeschäftigung se<strong>in</strong>?<br />
Endlich war er bei der Adresse angekommen, die er<br />
auf dem kle<strong>in</strong>en gelben Zettel notiert hatte. Als jemand<br />
das Haus verließ, hielt Fred die Tür, gerade bevor sie<br />
<strong>in</strong>s Schloss fi el, noch auf, schlüpfte <strong>in</strong> den Hausfl ur. Im<br />
vierten Stock angekommen vergewisserte er sich, dass<br />
niemand <strong>in</strong> der Nähe war, dann schob er zwischen Türrahmen<br />
und Tür e<strong>in</strong>e alte Kreditkarte se<strong>in</strong>es Vaters und<br />
rüttelte diese h<strong>in</strong> und her, bis der Riegel so weit nach<br />
<strong>in</strong>nen rutschte, dass er die Tür aufdrücken konnte. Kabeljau<br />
hatte also nicht abgeschlossen. Das Heim dieses<br />
Menschen bot bereits im E<strong>in</strong>gangsbereich e<strong>in</strong>en derartig<br />
46
unappetitlichen E<strong>in</strong>druck, dass Fred nur sehr zögerlich<br />
e<strong>in</strong>trat. Die Räume waren alle komplett verdunkelt<br />
und das Betätigen des Lichtschalters führte nur dazu,<br />
dass Freds F<strong>in</strong>ger anschließend mit e<strong>in</strong>er ekelhaften,<br />
klebrigen Substanz beschmiert waren. Unerträglicher<br />
Fischgestank lag <strong>in</strong> der Luft. Nachdem er sich die F<strong>in</strong>ger<br />
gezwungenermaßen an der Hose abgewischt hatte,<br />
durchwühlte der E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>g hektisch se<strong>in</strong>en Rucksack,<br />
fand die Taschenlampe und schaltete sie voll ängstlicher<br />
Vorahnung e<strong>in</strong>. Der Flur war, obgleich nun beleuchtet,<br />
nicht problemlos zu durchschreiten, da e<strong>in</strong> riesiger Müllhaufen<br />
aus vergammelten Essensresten, Plastikverpackungen<br />
und toten Kle<strong>in</strong>tieren derartig viel Platz <strong>in</strong> Anspruch<br />
nahm, dass nur e<strong>in</strong> sehr enger Umgehungspfad<br />
verblieb. Es war so gut wie unmöglich, den Abfallhaufen<br />
zu passieren, ohne mit der Kleidung an ihm entlang zu<br />
streifen.<br />
Ungeziefer hatte sich <strong>in</strong> der Wohnung e<strong>in</strong>genistet<br />
und ernährte sich vom organischen Müll. Es hätte voll<br />
und ganz Freds Erwartung entsprochen, wenn er <strong>in</strong> dieser<br />
Wohnung konservierte Leichenteile vorgefunden hätte,<br />
doch abgesehen von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Wurstwasser e<strong>in</strong>gelegten<br />
Gesichtshälfte, die off enbar von e<strong>in</strong>er männlichen Person<br />
mittleren Alters stammte, war nichts dergleichen zu entdecken.<br />
Es sah vielmehr so aus, als sei der Bewohner ständig<br />
darauf gefasst, dass Schnüffl er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Privatsphäre<br />
e<strong>in</strong>drangen und ausgiebige Nachforschungen betrieben.<br />
Beim Anblick der Gesichtshälfte, auf die er während der<br />
47
Durchsuchung des Kühlschranks stieß, wich Fred aufs<br />
Schwerste angewidert zurück. Nur mühsam konnte er<br />
sich dazu zw<strong>in</strong>gen, den restlichen Kühlschrank zu durchsuchen.<br />
In kle<strong>in</strong>en Plastikboxen zur Aufbewahrung von<br />
Essensvorräten fand Fred Prothesen, die <strong>in</strong>mitten von<br />
Fischresten lagen. Obwohl er ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutigen Beweise<br />
ausfi ndig machen konnte, war er sich sicher, dass hier<br />
jemand e<strong>in</strong>ige äußerst grausame Machenschaften vertuschen<br />
wollte.<br />
K<strong>in</strong>g Kabeljau verfügte über e<strong>in</strong> regelrechtes Waff enarsenal,<br />
<strong>in</strong> dem vollkommen antiquierte Waff en und<br />
zu Waff en umfunktionierte Gebrauchs- und Haushaltsgegenstände<br />
überrepräsentiert waren. Dazwischen lag<br />
verstreut e<strong>in</strong>e Vielzahl verschiedenartiger Er<strong>in</strong>nerungsstücke.<br />
Unter anderem fand Fred hier e<strong>in</strong>e vollkommen<br />
vergilbte Postkarte, die der Fischmensch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Jugend<br />
geschrieben haben musste. Obwohl adressiert und frankiert,<br />
war sie ansche<strong>in</strong>end niemals abgeschickt worden.<br />
Der Wortlaut des rätselhaften Schreibens:<br />
Liiber Oheim, liebhaftes Tantchhen,<br />
DeR Fhfater macht zumm OstErff hfest sze<strong>in</strong>e<br />
Ddddamhmpferfaat und icH musß auf die Ffi sche aufpassn.<br />
Die Mamma we<strong>in</strong>nd häeuffi ch.<br />
eIn liiber Grusz vom Näff n.<br />
Aus diesem Schriftstück konnte man genauso wenig<br />
schlau werden wie aus all den anderen abstrusen<br />
48
Reliquien, die der Bewohner dieser Wohnung angesammelt<br />
hatte. Kurzum, dieser ganz augensche<strong>in</strong>lich geistesgestörte<br />
Mann hatte sich, so folgerte Fred, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Behausung e<strong>in</strong> eigenes kle<strong>in</strong>es Reich aufgebaut, <strong>in</strong> dem<br />
er unbeobachtet und abgeschottet dah<strong>in</strong>dämmerte, während<br />
er immer tiefer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em entrückten Weltbild<br />
versank.<br />
Die Recherchen <strong>in</strong> K<strong>in</strong>g Kabeljaus Appartement berührten<br />
Freds Gemüt <strong>in</strong> unangenehmer Weise, außerdem<br />
verspürte er e<strong>in</strong>en kaum zu unterdrückenden Brechreiz.<br />
Er musste sich beeilen, lange hielt er das nicht mehr<br />
durch. Im Arbeitszimmer fand er e<strong>in</strong>en Sekretär, auf<br />
dem stapelweise DIN A-4-Blätter lagen, vollgekritzelt<br />
mit e<strong>in</strong>em Wirrwarr aus mathematischen Formeln, geometrischen<br />
Figuren und Satzfetzen. Hier würde er später<br />
den Sprengsatz deponieren. Die Möglichkeiten, die das<br />
hölzerne Möbelstück für dieses Vorhaben bot, waren vielfältig<br />
und durchweg günstig. Nebenbei entdeckte Fred<br />
e<strong>in</strong>en Stapel mit Fotos, die vielleicht im Zusammenhang<br />
mit dem Verschw<strong>in</strong>den von Yasm<strong>in</strong> standen. Er würde<br />
sie entwenden, nachdem er den Sprengsatz angebracht<br />
hatte, zunächst musste er sie jedoch zurücklassen, um<br />
ke<strong>in</strong>en unnötigen Verdacht zu erregen. Se<strong>in</strong>em Ziel nun<br />
e<strong>in</strong> gutes Stück näher gekommen entschied Fred, dass es<br />
an der Zeit war, aus diesem verkommenen Quartier zu<br />
verschw<strong>in</strong>den.<br />
49
Zwei Sanitäter trugen Paco Panso auf e<strong>in</strong>er Bahre aus<br />
dem Haus, se<strong>in</strong>e Frau hatte ihn bewusstlos auf der Treppe<br />
gefunden, er war sehr schmutzig gewesen und hatte viel<br />
Blut verloren. Das Bürohaus, <strong>in</strong> dem Paco Pansos Büro<br />
lag, war an diesem Morgen Schauplatz e<strong>in</strong>es Unglücks<br />
gewesen, e<strong>in</strong>e bisher nicht genau festgestellte Anzahl<br />
von Personen war ihm zum Opfer gefallen, man hatte<br />
die Unglückstelle weiträumig abgesperrt und die Überlebenden<br />
deportiert. Ansche<strong>in</strong>end war es diesem Mann<br />
gelungen, von der Unfallstelle zu entkommen, er hatte<br />
sich nach Hause gerettet, aber das war doch dumm gewesen,<br />
was wollte er denn da, was er brauchte, waren e<strong>in</strong>e<br />
unverzügliche ärztliche Diagnose und therapeutische<br />
Hilfe. Sie brachten ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Kl<strong>in</strong>ik außerhalb<br />
der Stadt, am E<strong>in</strong>gangstor standen mit Spießen schwer<br />
bewaff nete Wachen, wie dem mittlerweile wiederbelebten<br />
Pansmann auffi el.<br />
Zwei Wochen später entließ man Paco als gebrochenen<br />
Mann. Die Ärzte hatten ihm erklärt, dass er Opfer<br />
e<strong>in</strong>es Atomversuchs gewesen sei, nun musste er täglich<br />
bestrahlt werden, um dem Krebs vorzubeugen, außerdem<br />
musste er Pillen zur Beruhigung se<strong>in</strong>es nervösen Herzens<br />
nehmen, die ihn schläfrig und depressiv machten.<br />
Von Morgens bis abends saß er e<strong>in</strong>gewickelt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Decke<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Sessel und sah sich Urlaubsvideos an, denn<br />
er befürchtete, bald sterben zu müssen und vorher das<br />
Haus nicht mehr verlassen zu können.<br />
50
Nach dem Mittagessen zog se<strong>in</strong>e Frau die Bleischürze<br />
an und holte den Bestrahler. Die K<strong>in</strong>der mussten während<br />
des Bestrahlens das Haus verlassen, wo sie dem Spott<br />
der Nachbarn ausgesetzt waren. In letzter Zeit reagierten<br />
die Menschen <strong>in</strong> dieser Gegend empfi ndlicher als früher<br />
auf die Anwesenheit von Ausländern.<br />
Fred hätte die Straßenbahn nehmen können und<br />
wäre auf diese Weise bequem und schnell <strong>in</strong>s Stadtzentrum<br />
gelangt, doch da er sich seltsam beklemmt fühlte<br />
und mit starken Angstschüben zu kämpfen hatte, musste<br />
er sich am Straßenrand ungefähr 100 Meter von K<strong>in</strong>g<br />
Kabeljaus Wohnung entfernt auf den Bürgersteig setzen.<br />
Da war sie wieder, die schizoide Zwischenschicht se<strong>in</strong>es<br />
Bewusstse<strong>in</strong>s, sie hatte es wieder e<strong>in</strong>mal geschaff t,<br />
Besitz von ihm zu ergreifen und se<strong>in</strong>e Visionen <strong>in</strong> manische<br />
Bereiche zu lenken. Da saßen e<strong>in</strong>ige traumatische<br />
Erlebnisse <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Gehirnw<strong>in</strong>dungen, die ihn e<strong>in</strong>fach<br />
nicht losließen, die Er<strong>in</strong>nerungen daran, wie der Großvater<br />
ihn immer wieder gezwungen hatte den Be<strong>in</strong>stumpf<br />
zu putzen, wie er Fred mit dem Holzbe<strong>in</strong> misshandelt<br />
hatte, schließlich an das spurlose Verschw<strong>in</strong>den von Yasm<strong>in</strong>,<br />
das ihm zweifelsohne am heftigsten zusetzte.<br />
Nachdem e<strong>in</strong>ige M<strong>in</strong>uten verstrichen waren und immer<br />
noch ke<strong>in</strong>e erwähnenswerte Verbesserung se<strong>in</strong>es Zustands<br />
e<strong>in</strong>getreten war, raff te er sich schließlich zitternd<br />
auf und lief wankend die Straße h<strong>in</strong>ab <strong>in</strong> Richtung des<br />
Supermarkts, dessen Schild er <strong>in</strong> der Ferne sah. Völlig<br />
51
entkräftet erreichte er ihn, g<strong>in</strong>g gleich zu den Getränken,<br />
griff sich den billigsten Sechserträger Bier, den er dann<br />
an der Kasse mit se<strong>in</strong>em letzten Geld bezahlte. Das erste<br />
Bier öff nete er gleich am Metallgeländer neben den E<strong>in</strong>kaufswagen.<br />
Im Nu war der Flaschen<strong>in</strong>halt ausgetrunken,<br />
und ohne zu zögern öff nete Fred die nächste Flasche.<br />
Benommen, aber nun weniger von Angst gezeichnet taumelte<br />
er voran Richtung Innenstadt.<br />
Als er bei ACME ankam, hatte er bereits vier der<br />
sechs Flaschen geleert. Beide Seiten zeigten sich erfreut<br />
darüber, dass man sich nach all den Jahren wiedersah,<br />
und es wurden erst e<strong>in</strong>mal gute zwei Stunden damit verbracht,<br />
über alte Zeiten zu plaudern, Bier zu tr<strong>in</strong>ken und<br />
berauschende Destillate e<strong>in</strong>zufahren. Dann erst konnte<br />
Fred se<strong>in</strong> eigentliches Anliegen vorbr<strong>in</strong>gen. Er brauchte<br />
für die nächsten 24 Stunden ACMEs Auto, se<strong>in</strong>e Pistole,<br />
ausreichend Plastiksprengstoff und den entsprechenden<br />
Zünder. Nach e<strong>in</strong>igen kurzen Erklärungen g<strong>in</strong>g alles<br />
glatt, und Fred machte sich mit dem aufgemotzten japanischen<br />
Kle<strong>in</strong>wagen auf den Weg. Den Plastiksprengstoff<br />
, die Pistole und den Zünder hatte er <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Stoff tuch<br />
e<strong>in</strong>gewickelt und im Koff erraum deponiert.<br />
zur selben zeit vollzog sich andernorts e<strong>in</strong> schauspiel<br />
tiefster <strong>in</strong>nerer zerrissenheit. k<strong>in</strong>g kabeljau saß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
miefi gen kle<strong>in</strong>en zimmer, das wie immer verdunkelt war,<br />
er saß da und er schwitzte. se<strong>in</strong> schweiß roch nach altem<br />
fi sch, wie be<strong>in</strong>ahe alles <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ekelhaften behausung.<br />
52
er wagte es weder sich zu bewegen noch laut zu atmen.<br />
ihm war nicht klar, was hier ablief, fest stand nur, dass er<br />
verfolgt wurde. die quälenden überlegungen ließen ihn<br />
e<strong>in</strong>fach nicht los.<br />
irgendwasz läuft doch hier ab h<strong>in</strong>ter me<strong>in</strong>em rücken<br />
... gegenstände befi nden sich an anderen orten als vorh<strong>in</strong><br />
noch ... spuren e<strong>in</strong>es eigenartigen geruchsz s<strong>in</strong>d festzustellen<br />
... irgendjemand muss hier gewesen se<strong>in</strong>, während<br />
ich unterwegs war ... der geheimdienst? ... die neanderthaler?<br />
...<br />
nach e<strong>in</strong>er gewissen zeit brachte er es endlich fertig,<br />
aufzustehen und im zimmer auf und ab zu gehen. wenn<br />
doch bloß dieses lästige schwitzen aufhören würde und<br />
dieses fürchterliche pochen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em kopf. <strong>in</strong> diesem<br />
zustand konnte er unmöglich se<strong>in</strong>er zeitbeschäftigung<br />
nachgehen. da musste sich schleunigst etwas ändern, er<br />
brauchte dr<strong>in</strong>gend etwas, um die angst, die daraus resultierte,<br />
dass man ihm ständig nach dem leben trachtete,<br />
zu vergessen.<br />
taumelnd machte er sich auf den weg <strong>in</strong> die küche<br />
und wühlte mit zitternden händen e<strong>in</strong>e plastiktüte hervor.<br />
dann öff nete er e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en schrank und nahm<br />
e<strong>in</strong>e fl asche, die e<strong>in</strong> autolacklösungsmittel enthielt, öff -<br />
nete sie und goss hastig etwas davon <strong>in</strong> die plastiktüte.<br />
nun brauchte er nur noch <strong>in</strong> ruhe die beschw<strong>in</strong>genden<br />
dämpfe zu <strong>in</strong>halieren. zunächst erfasste schlagartig e<strong>in</strong><br />
stechender schmerz se<strong>in</strong>e lunge, dann verbesserte se<strong>in</strong><br />
gemütszustand sich verblüff end schnell, er fühlte sich<br />
53
nun schon viel gelassener und ruhiger als zuvor. dann<br />
setzte e<strong>in</strong>e knapp zwanzigm<strong>in</strong>ütige extase e<strong>in</strong>, die es <strong>in</strong><br />
sich hatte.<br />
er saß auf e<strong>in</strong>em gigantischen, mit fi schhaut überzogenen<br />
ross und galoppierte durch die straßen der stadt.<br />
die verzerrten häuserfassaden glitten langsam an ihm<br />
vorbei, während e<strong>in</strong> unnatürlich kl<strong>in</strong>isches licht die umgebung<br />
erhellte. die verzerrten gesichter längst verstorbener<br />
bezugspersonen schwebten nebelschwaden gleich<br />
an ihm vorbei, ihre stimmen sprachen mit erheblicher<br />
zeitlicher verzögerung zu ihm. sie klangen, als kämen<br />
sie von weit her und würden durch e<strong>in</strong> kilometerlanges,<br />
verzweigtes system aus metallrohren dr<strong>in</strong>gen. er hatte<br />
so gut wie ke<strong>in</strong> gefühl mehr für se<strong>in</strong>en körper. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
rechten hand hielt er se<strong>in</strong>e harpune, mit der er alle agenten<br />
des geheimdiensts und alle neanderthaler e<strong>in</strong>fach<br />
niederschoss.<br />
nervöse gesichtszuckungen rissen ihn aus der euphorischen<br />
vision. auf der suche nach se<strong>in</strong>er rostigen harpune<br />
irrte er hastig durch die dunkle wohnung. wenigstens<br />
e<strong>in</strong>e solide blutvergiftung würde er diesen miesen<br />
agenten noch zufügen. so gesehen konnte die harpune<br />
gar nicht rostig und schmutzig genug se<strong>in</strong>. er würde die<br />
spitze schnell noch mit sud aus alten fi schkonserven e<strong>in</strong>reiben,<br />
damit es e<strong>in</strong>e besonders ernsthafte entzündung<br />
geben würde.<br />
zu se<strong>in</strong>er erleichterung fi el ihm e<strong>in</strong>, dass er auch<br />
noch se<strong>in</strong>e armbrust im küchenschrank hatte. er würde<br />
54
die holzgeschosse mit e<strong>in</strong>em hohlraum versehen, <strong>in</strong> den<br />
er dann rattengift füllen würde. wenn nur alles leise<br />
zug<strong>in</strong>g. jedes unachtsame geräusch konnte verstreute<br />
neanderthaler anlocken. nach vollendeter arbeit stellte<br />
er erschüttert fest, dass es schon kurz nach mitternacht<br />
war. er musste umgehend der zeitbeschäftigung nachgehen,<br />
sonst würde das unfassbare e<strong>in</strong>treten. er holte se<strong>in</strong>e<br />
walther 9 mm aus der nachttischschublade hervor, lud<br />
sie durch, steckte sie vorne <strong>in</strong> den gürtel se<strong>in</strong>er cordhose,<br />
zog se<strong>in</strong>e otterfelljacke über und machte sich auf den<br />
weg. die tür ließ er e<strong>in</strong>fach zufallen, ohne noch e<strong>in</strong>mal<br />
abzuschließen, denn das tat er nie, wenn er die wohnung<br />
aufgrund der zeitbeschäftigung verließ.<br />
55
Ich will nicht mehr leben. Wenn e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der Kle<strong>in</strong>stadtidylle<br />
st<strong>in</strong>kende Penner überfallen, überwältigen,<br />
um sich <strong>in</strong> der Wohnung e<strong>in</strong>zunieten, dann will ich<br />
nicht mehr leben. Me<strong>in</strong> Pyjama und Morgenmantel<br />
s<strong>in</strong>d übel zugerichtet, dreckig und zerrissen, so kann das<br />
nicht weitergehen, me<strong>in</strong> Schädel brummt von Schlägen<br />
und Dr<strong>in</strong>ks, ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich machen<br />
soll. Wahrsche<strong>in</strong>lich werde ich mich e<strong>in</strong>fach vor<br />
den Zug werfen. Wenn ich schon sterben muss, zieh ich<br />
wenigstens noch e<strong>in</strong> paar von euch Wichsern mit runter,<br />
ihr könnt euch dann über scheiß Verspätungen aufregen.<br />
Das wird auch me<strong>in</strong>er Frau gefallen, der blöden Hure,<br />
kaum angekommen und ihr verrückter Ehemann br<strong>in</strong>gt<br />
sich um, da haben die Leute was zu reden.<br />
Mühsam schleppe ich mich durch die Straßen, komme<br />
<strong>in</strong> die wunderschöne Fußgängerzone, die Leute gucken,<br />
ke<strong>in</strong>er fragt mich, was los ist. Auf e<strong>in</strong>e Bank setze ich<br />
mich zu e<strong>in</strong>er anderen gescheiterten Existenz, schnorre<br />
mir e<strong>in</strong>en Schluck We<strong>in</strong>brand, überdenke alles noch mal.<br />
»Hör mir mal zu, Jungchen, br<strong>in</strong>g dich lieber um,<br />
solange du noch kannst«, sagt der Alkoholiker, »später<br />
liebst du den Schnaps so sehr, dass du dich nicht mehr<br />
trennen kannst, aber sieh dir das unwürdige Leben an,<br />
dass ich führe, die Menschen betrachten mich mit Abscheu<br />
und Verachtung.«<br />
Gut, ich werde mich umbr<strong>in</strong>gen. Vorh<strong>in</strong> habe ich<br />
das gar nicht so ernst geme<strong>in</strong>t, aber jetzt weiß ich, das<br />
ist das Richtige für mich. Ich war schon immer so leicht<br />
57
ee<strong>in</strong>fl ussbar. Am besten werde ich auch noch fragen,<br />
wie ich es machen soll. Aber da will der Alkoholiker nicht<br />
re<strong>in</strong>gezogen werden. Also beleidige ich ihn schwer und<br />
mache mich wieder auf den Weg.<br />
Fred saß <strong>in</strong>dessen mal wieder <strong>in</strong> der Küche der WG<br />
und trank e<strong>in</strong>en starken Kaff ee nach dem anderen. Seit<br />
zwei Tagen hatte er nicht mehr geschlafen und würde<br />
auch die nächsten zwölf Stunden, wenn er die bereits<br />
begonnene Prozedur erfolgreich beenden wollte, nicht<br />
schlafen können. Er überlegte, wie er se<strong>in</strong>em Kumpel<br />
se<strong>in</strong> überstürztes Aufbrechen erklären, und ob er überhaupt<br />
etwas davon erwähnen sollte. Während se<strong>in</strong>e<br />
Gedanken noch so von e<strong>in</strong>er Möglichkeit zur anderen<br />
schweiften, hörte er, wie e<strong>in</strong>e Tür geöff net wurde und<br />
jemand durch den Flur lief. Es war Bianca, die gerade<br />
aus dem Bad kam, wo sie geduscht hatte, und nun leicht<br />
bekleidet zu ihrem Zimmer eilte. Unhöfl ich, weil mittelstark<br />
angetrunken, rief Fred ihren Namen. Als sie sich<br />
umwandte und ihn leicht genervt grüßte, sagte er ihr, er<br />
müsse jetzt sehr plötzlich abreisen und könne nicht mehr<br />
warten, bis Tim zurückkäme, und er bitte sie, ihm e<strong>in</strong>en<br />
schönen Gruß zu übermitteln und zu bestellen, dass<br />
Fred sich bei ihm bedanke. Er zog sich die Jacke über,<br />
umarmte sie kurz, wobei er mit der l<strong>in</strong>ken Hand über<br />
ihren entblößten Oberschenkel strich, und schritt dann<br />
zur Wohnungstür.<br />
58
Nervös rauchend g<strong>in</strong>g er <strong>in</strong> ACMEs Auto den geplanten<br />
Ablauf noch e<strong>in</strong>mal Schritt für Schritt im Kopf<br />
durch. Es musste e<strong>in</strong>fach klappen. Das musste das Ende<br />
des Fischmenschen se<strong>in</strong>. Damit, so hoff te Fred, würde er<br />
sich endlich befreien von dem grauenvollen Spuk, durch<br />
den se<strong>in</strong> Leben zu e<strong>in</strong>em Rummelplatz der düstersten Attraktionen<br />
geworden war. Dann begab er sich erneut zu<br />
K<strong>in</strong>g Kabeljaus Wohnung. Weitaus rout<strong>in</strong>ierter als noch<br />
am Nachmittag öff nete er die Tür mit der Kreditkarte<br />
und bahnte er sich anschließend se<strong>in</strong>en Weg zum Sekretär.<br />
Dort platzierte er den Sprengsatz <strong>in</strong> der Schublade<br />
und brachte den Zündungsmechanismus an.<br />
Zum Frühstück gab es Würste, Speck, Kottelets, Nierchen<br />
im eigenen Saft und bergeweise Sülze. So lebten<br />
die Reichsten: Fleisch <strong>in</strong> Hülle und Fülle. Seit Paco Panso<br />
bei dem Kannibalen <strong>in</strong> Lohn und Brot stand, waren<br />
schon zwei Dutzend komplette Schwe<strong>in</strong>e samt aller Innereien<br />
durch se<strong>in</strong>en Schlund gewandert. Dennoch war er<br />
nicht fett geworden, da er immer noch nicht reden konnte<br />
und daher durch Tanz sehr viele Kalorien verbrannte.<br />
Sicher würden sie trotzdem irgendwann versuchen, se<strong>in</strong>es<br />
Torsos habhaft zu werden, aber diese Narren wussten<br />
ja nicht, mit wem sie es zu tun hatten.<br />
Ja, gut nähren, schwere Arbeit, Pakete mussten gepackt<br />
werden, der Kannibale hatte Kunden <strong>in</strong> aller Welt.<br />
Anweisungen auf e<strong>in</strong>em Blatt, da Verständnis gesprochener<br />
Sprache noch nicht vorhanden. Paco versuchte<br />
59
gelegentlich, se<strong>in</strong>en Kollegen verschiedene D<strong>in</strong>ge durch<br />
Tanz mitzuteilen, sie fürchteten sich, selbst <strong>in</strong> diesen<br />
Kreisen kannte man die Bedeutung guter Manieren. E<strong>in</strong><br />
paar K<strong>in</strong>dersandalen aus Menschenhaar für das Ehepaar<br />
Tägert drüben <strong>in</strong> der alten Welt, e<strong>in</strong>e Tube Lungencreme<br />
für den Gouverneur von Arkansas, e<strong>in</strong> Kondom aus Nasenschleimhaut<br />
für e<strong>in</strong>en berühmten Rockstar, Krücken<br />
aus Schienbe<strong>in</strong>en und Beckenknochen für e<strong>in</strong>e alte<br />
Dame <strong>in</strong> Südafrika; so verg<strong>in</strong>g der Vormittag.<br />
Zum Mittagessen gab es Grillpfanne mit Därmen,<br />
glasierten Schwe<strong>in</strong>ebraten und die üblichen Würste und<br />
Leberknödel. Mitten beim Essen, der Saft troff ihnen aus<br />
den Mäulern, ertönte e<strong>in</strong> hysterischer Begeisterungsschrei<br />
von irgendwo, Paco Panso verstand nichts, die anderen<br />
brachen <strong>in</strong> heitere Stimmung aus, prosteten sich zu,<br />
lachten fröhlich:<br />
»Gott sei´s gedankt, e<strong>in</strong> Rumpf!«<br />
Was Fred nicht wusste, war, dass K<strong>in</strong>g Kabeljaus Kollegen<br />
von der Zeitbeschäftigung bereits frühzeitig W<strong>in</strong>d<br />
von se<strong>in</strong>en Aktivitäten bekommen, sie aufmerksam beobachtet<br />
und Maßnahmen <strong>in</strong> die Wege geleitet hatten,<br />
um den Fischmenschen davor zu bewahren, <strong>in</strong>s off ene<br />
Messer zu laufen. Der Fuchslurch, der e<strong>in</strong> hervorragender<br />
Schachspieler war, übernahm persönlich die Ausarbeitung<br />
e<strong>in</strong>er wohldurchdachten Strategie. Das richtige<br />
Vorgehen bestand se<strong>in</strong>er Ansicht nach dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />
Bauern zu opfern, um zu verh<strong>in</strong>dern, dass man se<strong>in</strong>en<br />
Turm verlor. Geeignete Bauern standen reichlich zur<br />
60
Verfügung. In se<strong>in</strong>er bescheidenen Kommandozentrale,<br />
e<strong>in</strong>er Portiersloge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em heruntergekommenen Mietshaus,<br />
kramte er e<strong>in</strong>en Stapel loser Zettel hervor. Unter<br />
den Zetteln war e<strong>in</strong>e Liste mit Namen, die der Fuchslurch<br />
nun mit se<strong>in</strong>em vom Rauchen bräunlich gefärbten<br />
Zeigefi nger entlangfuhr. Schließlich blieb er bei e<strong>in</strong>em<br />
Namen stehen. Langsam wählte der Fuchslurch, der sich<br />
ziemlich schwächlich fühlte, weil er den ganzen Tag<br />
nichts außer e<strong>in</strong>em Zwieback mit Dackelhack zu sich genommen<br />
hatte, die Telefonnummer. Nachdem das Kl<strong>in</strong>gelzeichen<br />
etwa viermal zu hören gewesen war, meldete<br />
sich e<strong>in</strong>e männliche Stimme.<br />
»Tach Hans-Gert, ich b<strong>in</strong> ´n Kumpel von Kurt und hab<br />
´nen scharfen Tipp für dich. Wennde dich demnächst auf<br />
die Socken zur Eichenstraße 23 machst, kannste locker<br />
die Tür der rechten Wohnung im vierten Stock mit ´ner<br />
Karte aus Plaste aufl iften. Der Typ, ´n mittelguter Kumpel<br />
vom Rest, is nich da, aber <strong>in</strong> der l<strong>in</strong>ken Schreibtischschublade<br />
fi ndste spitzenmäßiges Pornomaterial, volles<br />
Rohr die B-Seitennummer mit ´ner strammen Empfehlung<br />
von Kurbel-Kurt. Also, Glückauf!«<br />
Der Fuxlurch hängte schadenfroh gr<strong>in</strong>send den Hörer<br />
<strong>in</strong> die Gabel und ließ sich entspannt <strong>in</strong> den Sessel s<strong>in</strong>ken.<br />
In wenigen M<strong>in</strong>uten würde se<strong>in</strong> Chauff eur mit dem<br />
Wagen vor dem Haus stehen und dies durch dreimaliges<br />
Hupen signalisieren. K<strong>in</strong>g Kabeljau würde schon auf<br />
dem Beifahrersitz sitzen und sie könnten auf direktem<br />
Weg <strong>in</strong> die Eichenstraße fahren, wo sie die Show aus sicherer<br />
Entfernung mitverfolgen würden.<br />
61
»Salbt die Debütant<strong>in</strong><br />
mit Lungenpastete<br />
pfl ückt im Mai schon den Ampfer<br />
den im April er erst säte<br />
weil er den Bischof schmähte<br />
beschlossen die Räte<br />
ihn dranzugeben<br />
— wenn´s nur jeder so täte.«<br />
diese verse waren be<strong>in</strong>ahe das e<strong>in</strong>zige, was direktor<br />
tägert se<strong>in</strong>en sohn gelehrt hatte. nachts setzte er sich neben<br />
den fi schteich und murmelte sie unaufhörlich vor<br />
sich h<strong>in</strong>, sie sollten sich dem kle<strong>in</strong>en fi schjungen als e<strong>in</strong>e<br />
warnung e<strong>in</strong>prägen.<br />
In Paco Pansos Heimat verwendeten K<strong>in</strong>der dieselben<br />
Verse, um zu bestimmen, wer den toten Esel pfl egen<br />
musste. Auch Paco musste ihn pfl egen, er verstand nicht,<br />
Gewichte, er tanzte umher und zertrat alles, K<strong>in</strong>der liefen<br />
we<strong>in</strong>end davon und versteckten sich.<br />
»Zwei Gehirne <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kopf führen unwillkürlich<br />
zu Wahns<strong>in</strong>n und Selbstmord.«<br />
Also führte e<strong>in</strong> Gehirn im Kopf immerh<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>er<br />
Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit von 50 Prozent zu Wahns<strong>in</strong>n und<br />
Selbstmord. Dass die Kannibalen beim Gehirnschmuggel<br />
mitmischten, erschien Paco daher immer suspekt. Er<br />
befürchtete sogar, der Kannibale selbst habe e<strong>in</strong> zweites<br />
Gehirn im Schädel.<br />
63
E<strong>in</strong>es Tages erlernte Paco Panso das Sprechen, se<strong>in</strong><br />
tänzerisches Talent büßte er dadurch e<strong>in</strong>, auch veränderte<br />
sich die ganze Welt, überall Sprache, die verstanden<br />
werden musste, die Strrahhrln und Welln waren nur<br />
noch Licht und Schatten. Er musste viel denken, und das<br />
behagte ihm zuerst nicht, aber irgendwann vergaß er jenen<br />
S<strong>in</strong>nspruch über die Gefährlichkeit der Gehirne und<br />
konversierte fortan eifrig mit jedem, wobei er immerh<strong>in</strong><br />
lieber zuhörte als sprach, er sammelte Informationen,<br />
um se<strong>in</strong> Überleben zu sichern. Hubschrauber erschienen<br />
und brachten die Strrahrrln und Weln zurück, jdds<br />
is zertreten und zerschlagen und obndre<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d da Ziele,<br />
die die Nerven spüren, das Leben ist <strong>in</strong> den Fasern. Paco<br />
wrd hcch aufsteigen, Aufgbn müssn erledigtzverden, Cerne<br />
zerzpr<strong>in</strong>gn, zack etwas geschiet oder doch nicht, Dng<br />
brng, Scch nem, später wird es vorüber se<strong>in</strong>, und er wird<br />
mit dem Messer Ärger machen, die Hubschrauber werden<br />
nach allem sehen.<br />
fe<strong>in</strong>es mondlicht schoss wie seidenfäden aus der silbernen<br />
sichel, durchdrang das laub der über den fi schteich<br />
geneigten trauerweide, sank auf die dunkle wasserdecke<br />
hernieder. das war die fi schstunde.<br />
k<strong>in</strong>g kabeljaus h<strong>in</strong>terkopf lag <strong>in</strong> den weichen uferschlamm<br />
gebettet, bis auf nase und mund war se<strong>in</strong> ganzer<br />
körper von wasser bedeckt, nur undeutlich konnte<br />
er erahnen, was über der wasseroberfl äche geschah.<br />
tags hielt er die augen geschlossen, denn der grausame<br />
64
tagstern blendete ihn, nachts sah er dann und wann die<br />
silhouette des hff ahaters, wenn er die worte sprach. r<strong>in</strong>gs<br />
um den teich schwang schilf <strong>in</strong> der nächtlichen brise,<br />
manchmal nahm k<strong>in</strong>g kabeljau e<strong>in</strong>s der neben ihm stehenden<br />
rohre, und durch dieses atmend verschwand er<br />
tiefer im wasser, blubblub. se<strong>in</strong> körper war mit schnecken<br />
und blutegeln bedeckt, die von ihm zehrten. e<strong>in</strong>e schlange<br />
schlich durchs ungemähte gras nahe dem wasser, sie<br />
musste mäuse für den fi schmenschen fangen, sonst würde<br />
er ihre eier fressen. l<strong>in</strong>der duft drang von frisch aufgeworfener<br />
erde und pferdemist aus den nahen rosenbeeten.<br />
e<strong>in</strong> unreifer apfel fi el von e<strong>in</strong>em der im h<strong>in</strong>teren teil des<br />
gartens treibenden obstriesen, pardauz, das war e<strong>in</strong> spaß,<br />
igel roch daran mit klebriger nase. gedämpft schwangen<br />
durch das wasser die schreie aus dem schuppen, wo direktor<br />
tägert und se<strong>in</strong>e frau gerade e<strong>in</strong>ige kle<strong>in</strong>e gäste<br />
bewirteten, darüber wölbte sich e<strong>in</strong>e alte kastanie wie<br />
e<strong>in</strong>es heiligen schützende pfote. halb überwucherte und<br />
geplatzte platten führten dah<strong>in</strong> und hier und dort, brachten<br />
den schlendernden besucher bald zum w<strong>in</strong>tergarten,<br />
bald zur pforte, die <strong>in</strong> den vorgarten führte, bald nach<br />
h<strong>in</strong>ten und schließlich immer wieder zum teich. <strong>in</strong> dem<br />
sich k<strong>in</strong>g kabeljau so se<strong>in</strong>e gedanken machte. war es<br />
wohl der ff haather selbst, der se<strong>in</strong>em fi schigen erben dieses<br />
schicksal zugedacht, oder hatten fe<strong>in</strong>de die hände im<br />
spiel? die eltern juxten herum mit anderer leute k<strong>in</strong>dern,<br />
den fi sch wollte ke<strong>in</strong>er haben, sollte er im schlick nach<br />
würmern graben. wenn <strong>in</strong> weiße tücher gehüllt und auf<br />
65
e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en wagen gezogen kabeljau die luftige welt<br />
durchreiste, fl üsterte die mutter ihm <strong>in</strong>s ohr von masch<strong>in</strong>en<br />
und kristallen, mustern und fl ecken, zähnen und nägeln,<br />
muscheln und ampfer, sie wusste, wie es zu anfang<br />
gewesen war und später, sie berichtete von spitzzahnigen<br />
wesen, die als fe<strong>in</strong>de der menschen die welt durchstreiften,<br />
sie erzählte von den großen eroberern, die <strong>in</strong><br />
die neue welt gefahren waren, um dem papst lungen von<br />
zehntausend ungläubigen zu holen. unter wasser würden<br />
ihn die fe<strong>in</strong>de nicht kriegen, dennoch wollte er aus dem<br />
teich entkommen, d<strong>in</strong>ge mussten erledigt werden. schon<br />
war er dabei, aus den glitzernden häuten se<strong>in</strong>er fl ossenfreunde<br />
e<strong>in</strong> kleid sich zu fertigen, doch waren da nicht<br />
genug, er durfte den bestand nicht gefährden. vielleicht<br />
würde er stark genug zum laufen werden, käme er jede<br />
nacht heimlich ans ufer, um sich zu üben, aber der ff hahather<br />
würde doch die spuren bemerken. e<strong>in</strong> verzwicktes<br />
rätselspiel.<br />
In Hübners Körper breitete sich e<strong>in</strong> starkes Hitzegefühl<br />
aus, er fand sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zustand maßloser <strong>in</strong>nerer<br />
Erregung versetzt. Das musste der Schreibtisch se<strong>in</strong>, von<br />
dem dieser Typ gesprochen hatte. Mit zitternder Hand<br />
riss er ungeduldig an der Schublade. Doch was war das,<br />
warum bloß klemmte das bepisste D<strong>in</strong>g? Schon zerrte er<br />
mit beiden Händen kraftvoll und ungehalten.<br />
Er spürte noch, wie sich die Schublade plötzlich e<strong>in</strong><br />
Stückchen herausziehen ließ, als der dar<strong>in</strong> befi ndliche<br />
66
Sprengsatz detonierte und ihm se<strong>in</strong>e dreckigen Flossen<br />
gleich beide absprengte und die Fratze vollständig verkohlte.<br />
Bevor er auch nur annäherungsweise begriff en<br />
hatte, was gerade geschehen war, wurde der Schmerz,<br />
der daraus erwuchs, dass se<strong>in</strong> Kopf lichterloh brannte, so<br />
stark, dass er <strong>in</strong> panisches Rasen verfi el. Krampfanfälle<br />
des Gehirns warfen schon ihre Schatten voraus, als Hans-<br />
Gert Hübner sich durch die Ausweglosigkeit se<strong>in</strong>er Lage<br />
genötigt sah, sich für die e<strong>in</strong>zige ihm vernünftig ersche<strong>in</strong>ende<br />
Option zu entscheiden: den freien Fall ohne Netz.<br />
Er rannte auf das Wohnzimmerfenster zu und stürzte<br />
sich mit aller Kraft durch die geschlossene Scheibe.<br />
Die Passanten, die das Opfer entdeckt und umgehend<br />
die Polizei verständigt hatten, wendeten sich verstört<br />
und angewidert von diesem blasphemischen Anblick ab.<br />
Der Leichnam, obwohl zerschmettert und aufs Äußerste<br />
entstellt, schien sie auf hämische Weise anzugr<strong>in</strong>sen, als<br />
habe er e<strong>in</strong>en grausamen Triumph über die Menschheit<br />
davongetragen.<br />
Der Fuchslurch hatte nun Gewissheit, dass der erste<br />
Schritt se<strong>in</strong>es Maßnahmenpakets zur Rettung und zum<br />
Schutz K<strong>in</strong>g Kabeljaus erfolgreich umgesetzt war. K<strong>in</strong>g<br />
Kabeljau selbst befand sich abermals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zustand<br />
enormer <strong>in</strong>nerer Zerrüttung. E<strong>in</strong>erseits war er durch<br />
die Morphiumderivate, die er zwecks Beruhigung se<strong>in</strong>er<br />
strapazierten Nerven e<strong>in</strong>genommen hatte, weitgehend<br />
<strong>in</strong> Lethargie versunken, sann aber andererseits über die<br />
zahlreichen Bedrohungen nach, die für ihn nach wie vor<br />
68
estanden. In diesem Gemütszustand fi el es ihm schwer,<br />
dem Fuchslurch <strong>in</strong> angemessener Weise se<strong>in</strong>e Dankbarkeit<br />
auszudrücken. Der Fuchslyrch hatte weder für diese<br />
Art von Sentimentalität noch für die zeitraubende geistige<br />
Absenz des Fischmenschen Verständnis.<br />
»Schleim hier nich rumm und hör mit dem Geglotze<br />
auf, wir gehn uns jäzt richtich e<strong>in</strong>n re<strong>in</strong>ballern!« brachte<br />
er <strong>in</strong> außerordentlich barschem Ton hervor.<br />
E<strong>in</strong>e gute Viertelstunde später saßen sie geme<strong>in</strong>sam<br />
an e<strong>in</strong>em großen runden Tisch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er der zwielichtigsten<br />
Spelunken der Stadt und ließen die Korken knallen.<br />
Der teuerste Champagner erschien ihnen gerade gut genug,<br />
um das vorangegangene Ereignis zu begießen. Mit<br />
hochrotem Kopf brach der Fuchslurch <strong>in</strong> schallendes<br />
Gelächter aus, als der Chauff eur se<strong>in</strong>e Beobachtungen<br />
der Explosion und des anschließenden Fenstersturzes<br />
schilderte. Ebenfalls von grenzenloser Schadenfreude<br />
ergriff en lehnte K<strong>in</strong>g Kabeljau ununterbrochen kichernd<br />
im Sessel. Nur der Herzog von Preußen war noch nicht<br />
e<strong>in</strong>getroff en, und dieser Sachverhalt bot den Anwesenden<br />
Anlass zu wilden Spekulationen über die Motive se<strong>in</strong>es<br />
Zuspätkommens. Es dauerte gar nicht lange, da war man<br />
schon bei verunglimpfenden Unterstellungen bezüglich<br />
se<strong>in</strong>es Fernbleibens angelangt.<br />
Just <strong>in</strong> diesem Moment stieg der Herzog von Preußen<br />
aus e<strong>in</strong>em Taxi, das vor dem E<strong>in</strong>gang der gastronomischen<br />
E<strong>in</strong>richtung hielt. Der Grund für se<strong>in</strong> Zuspätkommen<br />
war lediglich, dass er, während er am späten<br />
69
Nachmittag für e<strong>in</strong> Stündchen an der Biegung des Flusses<br />
gesessen hatte, <strong>in</strong> nostalgische Träumereien verfallen<br />
war und dabei gänzlich die Zeit vergessen hatte. Aber<br />
das würde er se<strong>in</strong>en Bossen von der Zeitbeschäftigung<br />
besser nicht erzählen, stattdessen würde er e<strong>in</strong>fach sagen,<br />
er habe aufgrund e<strong>in</strong>er Vorladung nicht früher e<strong>in</strong>treff<br />
en können. Als er sich an den Tisch setzte, an dem<br />
se<strong>in</strong>e Kollegen ansche<strong>in</strong>end schon länger weilten, hörte<br />
er, dass K<strong>in</strong>g Kabeljau gerade <strong>in</strong> e<strong>in</strong> hitziges Telefongespräch<br />
verwickelt war, <strong>in</strong> dem es um irgende<strong>in</strong> Mädchen<br />
namens Yasm<strong>in</strong> g<strong>in</strong>g. Kabeljau wollte, dass man diese<br />
Yasm<strong>in</strong> umgehend zu ihm schicke, der Gesprächspartner<br />
weigerte sich aber, wie es schien, mit Händen und Füßen<br />
gegen diese Forderung. Der Fukslurch, der den Herzog<br />
zunächst mit e<strong>in</strong>em skeptisch-berechnenden Gesichtsausdruck<br />
betrachtet hatte, drängte den H<strong>in</strong>zugekommenen<br />
jetzt <strong>in</strong> jovialer, aber bestimmter Weise, zu se<strong>in</strong>er<br />
Rechten Platz zu nehmen. Energisch goss er edelsten<br />
Champagner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Pokal, der dem Herzog daraufh<strong>in</strong><br />
zugereicht wurde.<br />
Unsagbare Mengen an Kaviar, Lachs und Shrimps<br />
waren hier aufgetischt worden. Ungehalten schnippte der<br />
Fuchslurch mit den F<strong>in</strong>gern und rief auf diese Weise den<br />
Ober zu sich, dem er auftrug, schleunigst Schnaps und<br />
Dessert herbeizubr<strong>in</strong>gen. Als dieser forteilen wollte, um<br />
dem exaltierten Gast se<strong>in</strong>e Wünsche schnellstmöglich zu<br />
erfüllen, ertönte e<strong>in</strong> lautstarker Ausruf, der gegen alle<br />
Regeln der Höfl ichkeit verstieß:<br />
70
»Halt!!!«, hieß es im Kreischton. »Der Herr hier hat<br />
noch nicht bestellt!«<br />
Während er diese Worte brüllte, zeigte der Fux-Lurch<br />
auf den Herzog. Mehr e<strong>in</strong>geschüchtert als empört nahm<br />
der Ober nun auch noch die Bestellung dieses Gefreiten<br />
a. D. zu Protokoll. Der Herzog von Preußen verlangte,<br />
man solle die brünette Kellner<strong>in</strong> herbeischicken, damit<br />
sie ihm die Orden, die er an se<strong>in</strong>en Mantel geheftet hatte,<br />
putze und poliere. Der Anspruch auf solche Formen von<br />
Dienstleistungen erschien dem Ober weder angemessen<br />
noch nachvollziehbar. Dennoch war er noch so aufmerksam,<br />
dass ihm nicht entg<strong>in</strong>g, wie sich se<strong>in</strong> Zögern auf<br />
diese Gäste auswirkte. Etwas leiser und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ausgesprochen<br />
besonnenen Ton begann der Herzog dem Bediensteten<br />
zugewandt nun e<strong>in</strong>e Erklärung die besagten<br />
militärischen Auszeichnungen betreff end zu formulieren:<br />
»Diese Orden s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> gesegnetes Vermächtnis aus<br />
dem Nachlass me<strong>in</strong>es verschiedenen Großvaters, der sie<br />
aufgrund se<strong>in</strong>es selbstlosen Dienstes für den lieben Kaiser<br />
erlangt hat. Mir ist es e<strong>in</strong> teures Anliegen, dass diese<br />
Broschen und Embleme stets und immerfort <strong>in</strong> Ehren<br />
gehalten und gepfl egt werden. E<strong>in</strong>e Missachtung gegenüber<br />
me<strong>in</strong>em treuen Andenken werde ich mit rücksichtsloser<br />
Waff engewalt ahnden!!«<br />
K<strong>in</strong>g Kabeljau, der se<strong>in</strong> Telefongespräch mittlerweile<br />
beendet hatte, war nun aufgestanden und von der Seite<br />
unbemerkt an den Ober herangetreten. Dieser zuckte<br />
71
erschrocken zusammen, als er plötzlich e<strong>in</strong>e Hand auf<br />
se<strong>in</strong>er Schulter spürte.<br />
»Wasz den Sörvisz betriff ft, da verlaszn wir unzs ganzs<br />
auff Zsii«, fl üsterte der düstere Schutzpatron dieser entrückten<br />
Sekte, während er dem Ober gönnerhaft e<strong>in</strong>ige<br />
Hundertmarksche<strong>in</strong>e zusteckte.<br />
Immer mehr ergriff <strong>in</strong>tensive Nervosität Besitz von<br />
K<strong>in</strong>g Kabeljau. Der Umstand, dass man sich strikt geweigert<br />
hatte, ihm das Fräule<strong>in</strong> Yasm<strong>in</strong> zuzuführen, strapazierte<br />
se<strong>in</strong>e Geduld. Hatte er noch nicht ausreichend<br />
nachgehakt? Das Treff en würde zu e<strong>in</strong>em baldigen Zeitpunkt<br />
stattfi nden, dafür würde er schon zu sorgen wissen.<br />
Die Bedienung wurde jetzt im Eiltempo ausgeführt.<br />
E<strong>in</strong>e junge Kellner<strong>in</strong> war damit beschäftigt, die schäbigen<br />
und schmierigen Orden des Herzogs von Preußen<br />
zu säubern. Die Verrichtung dieser erniedrigenden Tätigkeit<br />
erboste sie enorm, aber sie musste aufpassen, dass<br />
man ihr das nicht anmerkte, da man sonst schnell bösen<br />
Zoff kriegen konnte. Und sie wurde <strong>in</strong> der Tat e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich<br />
von mehreren Seiten beobachtet. Ferner beunruhigte<br />
sie, dass sie beiläufi g gehört hatte, wie der Mann mit dem<br />
lauernden Blick zur Em<strong>in</strong>enz sagte, der Kellner deklariere<br />
sich durch se<strong>in</strong> re<strong>in</strong>es Auftreten schon zur Zielscheibe<br />
für Gewehrschüsse. Der Herzog von Preußen benahm<br />
sich derweil zunehmend entfesselt. Er schüttete Unmengen<br />
an Likören und Schnäpsen <strong>in</strong> sich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, während<br />
er die junge Kellner<strong>in</strong> mit gehässigem Blick betrachtete.<br />
72
»Das ist aber jetzt gut, das reicht, Schluss, F<strong>in</strong>ger<br />
weg!!« krakelte er plötzlich ungehalten <strong>in</strong> den Raum.<br />
Dann drückte er der Kellner<strong>in</strong> zwei Hundertmarksche<strong>in</strong>e<br />
<strong>in</strong> die Hand und erklärte ihr, dass sie nun Feierabend<br />
habe und nach Hause gehen könne. Mit Mühe gelang<br />
es ihr e<strong>in</strong> künstliches Lächeln aufzusetzen, während sie<br />
sich eilig entfernte.<br />
Anschließend an den Mordanschlag, der ihn weit zerrütteter<br />
h<strong>in</strong>terließ, als er aufgrund all der bedrückenden<br />
Ereignisse, die sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Biographie bereits ane<strong>in</strong>anderreihten,<br />
vermutet hatte, fehlte Fred die Kraft, die<br />
Stadt noch <strong>in</strong> derselben Nacht zu verlassen. So fuhr er<br />
<strong>in</strong> ACMES Auto ziellos durch die Straßen. In die WG<br />
von Tim konnte er nicht zurückkehren, dort war er nicht<br />
mehr sicher. Schließlich landete er zufällig vor e<strong>in</strong>em<br />
Haus, <strong>in</strong> dem, wie er sich er<strong>in</strong>nerte, e<strong>in</strong>ige andere alte<br />
Freunde von ihm wohnten. Freundliche und hilfsbereite<br />
Menschen waren das, Fred hatte sie zuvor nicht kontaktiert,<br />
da er immer e<strong>in</strong> schlechtes Gewissen bekam, sich<br />
schmutzig und schlecht fühlte, wenn er <strong>in</strong> ihrer Nähe<br />
war. Als sie sahen, wie es um ihn stand, luden sie ihn<br />
gleich e<strong>in</strong> bei ihnen zu übernachten.<br />
Am nächsten Morgen, nachdem alle bis auf ihn das<br />
Haus verlassen hatten, saß Fred <strong>in</strong> der Küche und rauchte.<br />
Kaum war die Zigarette verbrannt, riss Fred das Küchenfenster<br />
auf, diese Leute waren strikte Nichtraucher<br />
und durften den Rauch nicht riechen. Eiskalte Luft fl oss<br />
73
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e ölverschmierten Lungenfl ügel, er erbrach die<br />
<strong>in</strong> Filterkaff ee aufgelösten Fischreste se<strong>in</strong>es Katerfrühstücks.<br />
Was wollte dieser versiff te Typ auf der anderen<br />
Straßenseite denn da, pisste er wirklich am helllichten<br />
Tag an e<strong>in</strong>e Laterne, während er sich Klaren <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />
randvoll mit Kartoff elchips gefüllten Mund goss? Oder<br />
bildete Fred sich das nur e<strong>in</strong>? Hatte er kürzlich irgende<strong>in</strong>e<br />
halluz<strong>in</strong>ogene Droge genommen oder war er möglicherweise<br />
ganz e<strong>in</strong>fach verrückt geworden? Jedenfalls<br />
kam der Kerl jetzt rüber, er stolperte durch Freds Auswurf<br />
und kl<strong>in</strong>gelte, kl<strong>in</strong>gelte bei Fred. Der aber hatte<br />
nicht die ger<strong>in</strong>gste Lust zu öff nen. Schließlich konnte<br />
dieser pennerhafte Geselle e<strong>in</strong>er von K<strong>in</strong>g Kabeljaus<br />
Männern se<strong>in</strong>, oder er gehörte zu e<strong>in</strong>er Drückerkolonne.<br />
Dieser Gedanke weckte üble Er<strong>in</strong>nerungen, Fred hatte<br />
zwei gute Freunde durch e<strong>in</strong>e Drückerkolonne verloren.<br />
Im Wald hatten sie ihre eigenen Gräber ausheben<br />
müssen, danach waren sie lebendig verscharrt worden.<br />
Hunde fanden sie bei e<strong>in</strong>er Treibjagd und fraßen sie fast<br />
völlig auf, nur anhand ihrer Gebisse konnten sie identifi<br />
ziert werden.<br />
Weitere unangenehme Er<strong>in</strong>nerungen folgten, Fred<br />
musste an die Zeit denken, als ihn se<strong>in</strong>e Eltern morgens <strong>in</strong><br />
Erbrochenem schlafend fanden. Yasm<strong>in</strong> war vor e<strong>in</strong>igen<br />
Tagen aufgrund undurchsichtiger Machenschaften K<strong>in</strong>g<br />
Kabeljaus im Hamburger Rotlichtmilieu verschwunden,<br />
seitdem hatte er ununterbrochen Rotwe<strong>in</strong> getrunken<br />
und Beruhigungsmittel genommen. Trotzdem konnte er<br />
74
nicht schlafen, er h<strong>in</strong>g nächtelang auf der Straße rum,<br />
wusch sich nicht und ernährte sich nur von Bockwürsten<br />
aus der Dose. Schließlich kollabierte er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Zimmer.<br />
Am nächsten Morgen konnte er nicht aufstehen, dabei<br />
hätte er unbed<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> die Schule gehen müssen. Se<strong>in</strong>e<br />
Mutter hämmerte e<strong>in</strong>e Weile gegen die Tür, kam dann<br />
here<strong>in</strong> und sagte mit missbilligendem Kopfschütteln:<br />
»Was ist denn los, Freddy? Du st<strong>in</strong>kst ja wie e<strong>in</strong> Straßenpenner.<br />
Fixt du dir jetzt endlich Hero<strong>in</strong>, ja? Soweit ist<br />
es also gekommen.«<br />
»Wo ist Frederik?« fragte Freds Vater, der gerade dazukam.<br />
»Das ist ja ´ne schöne Bescherung. Wir können<br />
unsern Erstgeborenen eigentlich nur noch <strong>in</strong> die Gosse<br />
werfen, <strong>in</strong> die er off ensichtlich gehört. Du hast dir hier<br />
endgültig alles verspielt, me<strong>in</strong> Lieber, das kann ich dir<br />
fl üstern. Wenn du nicht schon völlig zerstört wärst, würde<br />
ich dich zusammenschlagen. Pass jetzt gut auf: Wenn<br />
ich heute von der Arbeit nach Hause komme, will ich<br />
nichts mehr von dir sehen. Verstanden?«<br />
Fred konnte nicht antworten.<br />
»Ach, Schatz! Das me<strong>in</strong>st du doch nicht so. Das me<strong>in</strong>t<br />
er nicht so, Freddy.«<br />
»Selbstverständlich me<strong>in</strong>e ich das so.«<br />
Beide liefen wieder aus dem Zimmer, das sich gefährlich<br />
bewegte. Fred musste Bockwurst und Rotwe<strong>in</strong> erbrechen,<br />
dann wurde er wieder bewusstlos.<br />
75
Weiter zurück schwang der kranke Geist, zurück <strong>in</strong> die<br />
Zeiten beschränkten Bewusstse<strong>in</strong>s, die Zeiten der K<strong>in</strong>dheit,<br />
nur unvollkommen aufgezeichnet und verstümmelt<br />
durch Prellungen des Hirnstamms. Immer wenn sich<br />
die Eltern schlimm stritten, mussten der kle<strong>in</strong>e Fred und<br />
se<strong>in</strong> Bruder bei den Großeltern übernachten. Die Großeltern<br />
wohnten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em hässlichen, efeubewachsenen<br />
Haus, dr<strong>in</strong> stank es nach altem Essen und Katzen, außerdem<br />
war der Direktor Tägert nicht weit. Damals besuchte<br />
Fred noch die Grundschule, trotzdem waren ihm<br />
alle Geschichten über die Tägerts wohlbekannt, e<strong>in</strong>er<br />
se<strong>in</strong>er Freunde behauptete sogar, e<strong>in</strong>mal den Fischmann<br />
im Teich gesehen zu haben, als er e<strong>in</strong>en verlorenen Ball<br />
suchte. Der schlimmste Teil der Besuche kam nach dem<br />
Essen. Fred und se<strong>in</strong> Bruder zogen Lose aus dem Hut des<br />
Großvaters, das rote Los musste den Stumpf waschen, das<br />
grüne Los wurde mit dem Holzbe<strong>in</strong> geschlagen, während<br />
die Großmutter festhielt.<br />
Fred zog am Fenster noch e<strong>in</strong>ige Bongs mit Pfeifentabak<br />
und Aspir<strong>in</strong> durch. Ah, das befreite Lunge und<br />
Stirn. Nun war es Zeit zu packen, Fred war klar, dass<br />
er das Land für e<strong>in</strong>ige Zeit verlassen musste, ziemlich<br />
bald. Aber zuerst würde er se<strong>in</strong>e Chloroform-Connection<br />
<strong>in</strong> Aachen anchecken, das Zeug konnte sich <strong>in</strong> Zukunft<br />
als nützlich erweisen. Eigentlich hätte er ACME das<br />
Auto zurückbr<strong>in</strong>gen müssen, aber das passte im Moment<br />
ganz schlecht. Nach kurzem Überlegen kam Fred zu dem<br />
Schluss, dass es sicher auch <strong>in</strong> Ordnung war, das Auto<br />
76
<strong>in</strong> e<strong>in</strong> paar Tagen mit der Pistole im Handschufach irgendwo<br />
<strong>in</strong> der Nähe der Grenze abzustellen und dann<br />
Bescheid zu geben. Wenige M<strong>in</strong>uten später war er <strong>in</strong><br />
dem getunten Honda Civic unterwegs Richtung Süden.<br />
Am ersten McDrive musste er unbed<strong>in</strong>gt anhalten und<br />
sich e<strong>in</strong> paar Burger re<strong>in</strong>ziehen. Da er vorh<strong>in</strong> se<strong>in</strong> ganzes<br />
Frühstück rausgekotzt hatte, war der Hunger stark.<br />
Auf dem Weg durch die Stadt fand sich ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger<br />
Drive-In, Fred hielt daher stattdessen an der ersten Autobahnraststätte.<br />
Das Teil sah zwar voll <strong>in</strong>fi ziert aus, aber<br />
der Hunger besiegte alle Bedenken, und so fuhr er auf<br />
den fast leeren Parkplatz. Als er zum Restaurant h<strong>in</strong>überg<strong>in</strong>g,<br />
beobachtete er <strong>in</strong> den Büschen Handel mit K<strong>in</strong>derpornos,<br />
das gab ihm e<strong>in</strong> ganz mieses Gefühl.<br />
Die Speisekarte listete be<strong>in</strong>ahe nur Fischgerichte<br />
auf, was Fred gar nicht recht war. Er aß nur morgens<br />
Fisch, wenn der Kater ihn quälte, eigentlich waren ihm<br />
die schuppigen Kreaturen des Fischmanns nicht geheuer.<br />
Sie suhlten sich im cremigen Schlick der Meere, fraßen<br />
Leichen und übertrugen Krankheiten wie die gelehrige<br />
Ratte. Also bestellte er e<strong>in</strong> Champignonomelette, das<br />
auch hervorragend schmeckte, als se<strong>in</strong> Blick jedoch auf<br />
das Blut fi el, das aus se<strong>in</strong>em Mund auf den Teller tropfte,<br />
und ihm klar wurde, dass er Kaulquappen gegessen hatte,<br />
schossen ihm Tränen <strong>in</strong> die Augen. Sah so se<strong>in</strong>e Zukunft<br />
aus? Er musste dr<strong>in</strong>gend aus dem Laden entkommen.<br />
Ohne zu zahlen fl oh er.<br />
77
Jetzt wieder mit 180 Sachen auf der Autobahn nach<br />
Süden reisend, geriet Fred immer tiefer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ängstliche<br />
Stimmung, durch die <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Innern die Membran<br />
zwischen Alltagswahrnehmung und Schattenebene<br />
durchlässig wurde. Se<strong>in</strong>e Augen waren weiterh<strong>in</strong> auf die<br />
Straße vor ihm gerichtet, doch über dieser schwebend<br />
sah er e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> dichtem Nebel verschwimmende Gestalt,<br />
die ihre Fangarme überall <strong>in</strong> die Landschaft ausstreckte.<br />
Angesichts dieser grausigen Vision wurde Fred klar, dass<br />
er den Fischmann durch se<strong>in</strong>en Anschlag nicht getötet<br />
hatte, dass er ihn nie würde töten können, weil der verkommene<br />
Herr Kabeljau von Kräften aus dem unterirdischen<br />
Reich behütet und so für immer Freds Zugriff entzogen<br />
war. Ebenso erkannte er, dass Flucht nutzlos war,<br />
da die Organisation des K<strong>in</strong>gs Freds Lebenswelt bereits<br />
vollständig durchdrang. Die e<strong>in</strong>zige vernünftige Art<br />
zum Umgang mit dieser ausweglosen Situation war nach<br />
Freds Auff assung e<strong>in</strong>e gut ausgewogene Komb<strong>in</strong>ation aus<br />
Betäubung und Aggression.<br />
In Aachen angekommen hängte er sich gleich an e<strong>in</strong><br />
öff entliches Telefon und kl<strong>in</strong>gelte bei Kantaten-George<br />
an.<br />
»Wasis los?« meldete sich dieser unwirsch.<br />
»Hier is Fred, Mann. Wollte nur ma anfragen, ob du<br />
noch ´n bisschen was für die Lunge auf Lager hast.«<br />
»Haste Sche<strong>in</strong>e auf Tasche?«<br />
»Klar«, behauptete Fred.<br />
78
»Gut, dann komm <strong>in</strong> ´ner Stunde vorbei, weißt ja, wo<br />
ich wohne. Aber ich warne dich, ke<strong>in</strong>e Verarsche!«<br />
Korrekt, alles geregelt, schnell zum Geldautomaten.<br />
Unmöglich, noch e<strong>in</strong>e Stunde zu warten, also sofort zu<br />
Kantaten-George. Dieser hatte off ensichtlich gerade gefi<br />
ckt, er öff nete Fred die Tür im Bademantel und mit rotglänzendem<br />
Polenkürbis.<br />
»Wasis bloß mit dir verfl uchtem Hurensohn los? Habich<br />
dir nich gesagt...«<br />
»Ja, sorry, Mann, ich weiß schon, nur hab ich´s leider<br />
verdammt eilig, da s<strong>in</strong>d so Leute h<strong>in</strong>ter mir her,<br />
verstehste?«<br />
»Okay, Scheiße, komm re<strong>in</strong>, bevor dich da jemand stehen<br />
sieht, du blöder Wichser.«<br />
Kantaten-George verschwand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Nebenzimmer,<br />
um die Ware holen, kehrte mit e<strong>in</strong>er großen Flasche<br />
Chloroform zurück. Fred gab ihm die Sche<strong>in</strong>e und war<br />
schon wieder weg, nach München, noch vor dem Abend<br />
wollte er dort se<strong>in</strong>.<br />
so e<strong>in</strong> gewirr. die gute stube e<strong>in</strong> wüster ort, hier war<br />
dieser jämmerliche hans-gert hübner verreckt, k<strong>in</strong>g<br />
kabeljau fühlte sich bedroht. die gestrige triumphfeier<br />
steckte ihm noch <strong>in</strong> den knochen, halbseitig betäubt<br />
wühlte er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en papieren, wichtige dokumente über<br />
d<strong>in</strong>osaurier waren verschwunden, und auch e<strong>in</strong>e zurückgesendete<br />
ansichtskarte, die ihm viel bedeutete, war<br />
79
nicht aufzufi nden. was bedeutete das für se<strong>in</strong> werk, für<br />
das ihm der nobelpreis sicher war?<br />
dieser fred war off enbar e<strong>in</strong> gefährlicher bursche,<br />
er wusste bescheid über d<strong>in</strong>osaurier, und er kannte den<br />
fi schmann, vielleicht hatte der geheimdienst ihn angeheuert.<br />
man musste schleunigst etwas unternehmen.<br />
profi killer sollten besser sofort beauftragt werden, man<br />
durfte ke<strong>in</strong> risiko e<strong>in</strong>gehen, nachts im schlaf mit dem<br />
kissen ersticken oder auf e<strong>in</strong>em autobahnraststättenklo<br />
mit e<strong>in</strong>em drat erwürgen schienen dem k<strong>in</strong>g die passenden<br />
methoden zu se<strong>in</strong>.<br />
die behörden waren dagewesen, um den tod hans-gert<br />
hübners zu untersuchen, hatten aber kaum etwas angerührt.<br />
k<strong>in</strong>g kabeljau war <strong>in</strong>nerlich bereit zur fl ucht gewesen,<br />
halb war ihm das triumphfest als abschiedsfeier<br />
erschienen, er hatte damit gerechnet, bei se<strong>in</strong>er rückkehr<br />
schon von weitem blaulichter zu sehen und scharen von<br />
polizisten, die all se<strong>in</strong>e wertvollen besitztümer aus dem<br />
haus trugen, um sie zu katalogisieren und auszuwerten.<br />
da er se<strong>in</strong>e wohnung jedoch verlassen und unberührt<br />
vorfand und als e<strong>in</strong>ziges zeichen des polizeie<strong>in</strong>satzes e<strong>in</strong>e<br />
rechnung für diesen, war ihm alles klar. die behörden<br />
wussten bescheid. bald sollte der d<strong>in</strong>osaurier kommen<br />
und den fi schmenschen holen, das war sicher.<br />
er musste sich erst mal h<strong>in</strong>setzen, die stube schwankte.<br />
hatte er sich auf se<strong>in</strong>em nasskalten heimweg <strong>in</strong>fi -<br />
ziert, weil der alkohol se<strong>in</strong>e poren geöff net und die bakterien<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gelassen hatte? se<strong>in</strong> herz begann zu rasen,<br />
80
übelriechendes sekret fl oss aus den drüsen, der atem g<strong>in</strong>g<br />
schnell und fl ach, dr<strong>in</strong>gend war berujgung vonnöten.<br />
am besten wäre e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>jektion gewesen, aber die hände<br />
zitterten zu sehr, und k<strong>in</strong>g kabeljau wollte aus angst vor<br />
neuerlichen anschlägen auf se<strong>in</strong> leben ke<strong>in</strong>e hilfe rufen.<br />
so entschied er sich für den guten alten backofen. er<br />
drehte das gas auf, ohne es zu entzünden, legte se<strong>in</strong>en<br />
kopf <strong>in</strong> die röhre und <strong>in</strong>halierte tief. kurz bevor er bewusstlos<br />
wurde, zog er den kopf japsend aus dem ofen. ah,<br />
das war so angenehm, alles drehte sich, aber ke<strong>in</strong>e übelkeit<br />
war mehr zu spüren, um ihn nur warme watte. als er<br />
wieder e<strong>in</strong> wenig zu sich kam, fi el ihm auf, er hatte vergessen<br />
das fenster zu öff nen. der ganze raum füllte sich<br />
mit gas, bald würde atmen unmöglich se<strong>in</strong>, mit letzter<br />
kraft kroch er aus der küche, schlug die tür h<strong>in</strong>ter sich zu.<br />
glücklicherweise waren alle türen <strong>in</strong> der wohnung,<br />
um das planmäßige funktionieren der meßgräte zu garantieren,<br />
luftdicht schließend, so dass sich das weiterh<strong>in</strong><br />
ausströmende gas nicht <strong>in</strong> den restlichen räumen verteilen<br />
konnte, aber von nun an konnte k<strong>in</strong>g kabeljau die küche<br />
nicht mehr betreten. e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>akzeptable situation, der<br />
fuchslurch musste ihm helfen, das gas musste entfernt<br />
werden.<br />
Voll auf Speed und mit e<strong>in</strong>em Auto voller Hehlerware<br />
war Fred unterwegs nach München. Die Ware hatte er<br />
unterwegs noch mitgenommen, um e<strong>in</strong>em Kumpel e<strong>in</strong>en<br />
Gefallen zu tun. Es handelte sich um e<strong>in</strong>e Ladung<br />
81
Radiowecker und Gebisse, Ergebnis e<strong>in</strong>er Altenheimtour.<br />
Den Scheiß sollte er <strong>in</strong> München e<strong>in</strong>em Buchmacher als<br />
Bezahlung geben. Der stehe auf solches Zeug, hatte Michael<br />
ihm gesagt. Fred war momentan nicht <strong>in</strong> der Lage,<br />
den Irrs<strong>in</strong>n dieses Auftrags zu erfassen. Kaum am Stadtrand<br />
von München angekommen, rief er von e<strong>in</strong>er Telefonzelle<br />
aus den Buchmacher auf dessen Handy an, um<br />
e<strong>in</strong>en Treff punkt zu vere<strong>in</strong>baren:<br />
»Ich hab die Ware hier«, sagte Fred.<br />
»Welche Ware?«<br />
»Sie wissen schon, Michi will se<strong>in</strong>e Schulden begleichen,<br />
und ich hab das alles arrangiert.«<br />
»Verstehe. Sag mir, wo du bist, dann komme ich gleich<br />
vorbei.«<br />
In se<strong>in</strong>em Speedrausch, den er mittlerweile mit e<strong>in</strong>er<br />
halben Flasche Jägermeister ausgebaut hatte, fühlte<br />
Fred sich echt cool bei der Vorstellung, hier e<strong>in</strong> heißes<br />
Geschäft verdammt professionell abzuwickeln. E<strong>in</strong><br />
schwarzer tiefergelegter BMW mit getönten Scheiben<br />
hielt neben ihm.<br />
»Los, gib die Kröten her«, brüllte e<strong>in</strong> langhaariger,<br />
solariumsgebräunter Typ, der h<strong>in</strong>ten aus dem Wagen<br />
sprang. Gleichzeitig stiegen vorne zwei andere Typen aus,<br />
off ensichtlich Bodybuilder, e<strong>in</strong>er von ihnen streifte sich<br />
e<strong>in</strong>en Schlagr<strong>in</strong>g über. Fred öff nete den Koff erraum von<br />
ACMEs Wagen und wies mit e<strong>in</strong>em fe<strong>in</strong>en Lächeln auf<br />
das dort gestapelte Diebesgut. Der Langhaarige glotzte<br />
82
zuerst verblüff t, dann verzerrte sich se<strong>in</strong> Gesicht, er packte<br />
Fred am Hals und schrie:<br />
»Du Penner willst also old Rüdi verarschen? Ich reiß<br />
dir de<strong>in</strong>en scheiß Bauch auf.«<br />
»Ich dachte, das sei der Deal? Michi hat mir den Kram<br />
gegeben, er me<strong>in</strong>te, das sei okay.«<br />
»Quatsch ke<strong>in</strong> Scheiß. Du hast mir doch eben gesagt,<br />
du hast das Ganze arrangiert. Schätze, du hast die Kohle<br />
versoff en und dachtest, du könntest mich übers Ohr hauen.<br />
Schätze, wir werden dirn Loch bohren müssen. E<strong>in</strong>er<br />
me<strong>in</strong>er Jungs wird das erledigen, er bohrt dir mit e<strong>in</strong>er<br />
Bohrmasch<strong>in</strong>e mitten <strong>in</strong>s Herz. Mit so e<strong>in</strong>em groben<br />
Fleischbohrer, der tüchtig was wegfetzt.«<br />
»Ne<strong>in</strong>, bitte nicht, ich werde alles machen, was Sie<br />
wollen«, jammerte Fred, dessen Stimmung ganz schnell<br />
von Euphorie <strong>in</strong> Verzweifl ung umgeschlagen war.<br />
»Hahaha, du weißt nich was du da redest, du Arsch,<br />
weißt du das? Was glaubst du denn, was old Rüdi von dir<br />
verlangt? Willste für mich aufn Strich gehen?«<br />
Was war geschehen? Was war mit dem Deal passiert?<br />
Langsam wurde Fred klar, dass Michi ihn übel verarscht<br />
hatte. Dabei hatte er den echt für e<strong>in</strong>en guten Kumpel<br />
gehalten. Mit zitternder Stimme fl üsterte er:<br />
»Geht klar, ich mache alles, was sie wollen, völlig<br />
egal.«<br />
»Habt ihr das gehört? Hahaha, der Kle<strong>in</strong>e hat son<br />
Schiß, dass er lieber ´ne Nutte se<strong>in</strong> will, als ´n Loch gebohrt<br />
zu kriegen. Aber«, dabei wandte der Langhaarige<br />
83
sich wieder direkt an Fred, »vielleicht hab ich mit dir<br />
was ganz Anderes vor. Hier s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Waff e, ´ne Adresse<br />
und ´n Foto. Alles klar?« Dabei überreichte der Langhaarige<br />
Fred e<strong>in</strong>e Pistole und e<strong>in</strong>en Umschlag. Anschließend<br />
stiegen er und die Bodybuilder wieder <strong>in</strong> den BMW und<br />
fuhren weg.<br />
Noch von der Angst geblendet öff nete Fred den Umschlag,<br />
der leer war bis auf e<strong>in</strong> Haarbüschel, an dem e<strong>in</strong><br />
Kopfhautfetzen und etwas getrocknetes Blut klebten.<br />
Fred hatte Schwierigkeiten das gerade Erlebte e<strong>in</strong>zuordnen.<br />
War das e<strong>in</strong>e Halluz<strong>in</strong>ation gewesen, verursacht<br />
durch den Zustand ständiger Bedrohung, <strong>in</strong> dem er sich<br />
seit Längerem befand? Dagegen sprach, dass er tatsächlich<br />
e<strong>in</strong>e geladene Waff e und e<strong>in</strong> Haarbüschel <strong>in</strong> den<br />
Händen hielt.<br />
Am besten war es wohl sich zu verpissen. Er würde<br />
e<strong>in</strong>e Schulfreund<strong>in</strong> anrufen und versuchen, sich bei ihr<br />
e<strong>in</strong>zuquartieren. Sie lebte mit ihrem Mann hier <strong>in</strong> München,<br />
die beiden hatten was mit Film oder Fernsehen zu<br />
tun und verkehrten <strong>in</strong> den besten Kreisen. Immerh<strong>in</strong><br />
hatte er selbst viele Verb<strong>in</strong>dungen, die denen nützlich<br />
se<strong>in</strong> konnten.<br />
Me<strong>in</strong>e Existenz ist am Scheideweg. — Eigentlich<br />
habe ich mich schon entschieden, ich werde <strong>in</strong>s Wasser<br />
gehen. Aufgrund me<strong>in</strong>er Schwäche war ich als K<strong>in</strong>d<br />
nicht <strong>in</strong> der Lage Schwimmen zu lernen. Früher habe<br />
ich mich dafür geschämt, aber heute b<strong>in</strong> ich froh darüber.<br />
84
Denn was ist lächerlicher als das atemlose Zappeln rosiger<br />
Landbewohner, die sich hochmütig <strong>in</strong> das fremde<br />
Element wagen? An diesem Wahns<strong>in</strong>n beteilige ich mich<br />
nicht; wie es dem Menschen bestimmt ist, werde ich untergehen,<br />
wenn ich <strong>in</strong>s Wasser falle.<br />
Vielleicht sollte ich e<strong>in</strong>en Abschiedsbrief h<strong>in</strong>terlassen,<br />
der Welt me<strong>in</strong>e Abscheu mitteilen. Dass man mir me<strong>in</strong>en<br />
Luxus streitig macht, ist e<strong>in</strong>e Unverschämtheit. Ich<br />
kann nicht leugnen, dass ich die Annehmlichkeiten e<strong>in</strong>es<br />
Lebens im Wohlstand brauche, um me<strong>in</strong>e Kreativität<br />
entfalten zu können.<br />
Me<strong>in</strong> gestriges Horoskop kommt mir <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n:<br />
»Pfl egen Sie <strong>in</strong>tensive Kontakte! Morgen könnte<br />
e<strong>in</strong> Mensch an Ihre Tür klopfen. Sie schauen durch<br />
den Spion und erkennen ihn nicht. Vielleicht haben Sie<br />
Misstrauen?«<br />
Warum habe ich mir darüber ke<strong>in</strong>e Gedanken gemacht?<br />
Ich schätze, jetzt wird es hier wieder wie zu Zeiten<br />
des kle<strong>in</strong>en französischen Urmenschen Napoleon. Darauf<br />
hab ich ke<strong>in</strong>en Bock. Scheiße.<br />
Es kommt der Moment für den letzten Schritt, ich<br />
werde ke<strong>in</strong>en Abschiedsbrief h<strong>in</strong>terlassen, was soll´s,<br />
wenn ich erst mal kalt b<strong>in</strong>, <strong>in</strong>teressiert mich der Dreck<br />
eh nicht mehr. Ich stehe auf und gehe über e<strong>in</strong>e leicht abschüssige,<br />
w<strong>in</strong>terlich graue Rasenfl äche auf den Tümpel<br />
<strong>in</strong> der Mitte des Parks zu. Am Rand ist der Boden mit vermodernden<br />
Blättern bedeckt, das Wasser ist so kalt, dann<br />
wird der Boden schleimig, das Wasser geht mir jetzt bis<br />
85
zu den Hüften, ich gehe weiter, langsam verliere ich den<br />
Halt, das kalte Wasser fängt schon an mich zu betäuben,<br />
oh, ich will doch noch nicht sterben, die Welt könnte<br />
noch so viel von mir erhalten, aber ich kann nicht mehr<br />
zurück, me<strong>in</strong>e Glieder erstarren bereits, mit letzter Kraft<br />
komme ich noch e<strong>in</strong>mal an die Oberfl äche, rufe um Hilfe,<br />
dann s<strong>in</strong>ke ich zum Grund, noch etwa zwei M<strong>in</strong>uten<br />
b<strong>in</strong> ich wasserschluckend bei Bewusstse<strong>in</strong>.<br />
Fred räkelte sich auf dem schwarzen Ledersofa und<br />
blickte h<strong>in</strong> und wieder teilnahmslos auf die Bilder, die<br />
über den stumm geschalteten Großbildfernseher blitzten.<br />
Das Wohnzimmer war riesig und sonnendurchfl utet,<br />
und obwohl es ke<strong>in</strong>esfalls vollgestellt war, fand <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
verschwenderischen Weite dennoch e<strong>in</strong>e bee<strong>in</strong>druckende<br />
Menge diverser Möbel und anderer Artefakte Platz.<br />
Gleich als Fred <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en schäbigen Klamotten und<br />
mit e<strong>in</strong>em mehrere Tage alten Körpergeruch vor Anke<br />
gestanden hatte, war ihm klar gewesen, dass er h<strong>in</strong>ter<br />
dem Rücken ihres Mannes Sex mit ihr haben würde.<br />
Sie hatte ihn here<strong>in</strong>gebeten und ihm Kaff ee gemacht,<br />
er hatte ihr e<strong>in</strong>e frei erfundene Geschichte über e<strong>in</strong>en<br />
Job bei e<strong>in</strong>er Zeitung erzählt, er sei auf dem Weg nach<br />
Italien, um Fotos von Straßenk<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> Neapel zu machen,<br />
würde vorher aber noch e<strong>in</strong> bisschen Zeit im schönen<br />
München verbr<strong>in</strong>gen, vielleicht könnten sie <strong>in</strong> den<br />
nächsten Tagen etwas zusammen unternehmen, wie <strong>in</strong><br />
alten Zeiten. Natürlich hatte Anke ihn e<strong>in</strong>geladen, bei<br />
86
ihr zu wohnen, das mache gar ke<strong>in</strong>e Umstände, wozu seien<br />
schließlich Hausangestellte da.<br />
Ja, Hausangestellte waren klasse. Vom Hausmädchen<br />
ließ Fred sich e<strong>in</strong>en Dr<strong>in</strong>k br<strong>in</strong>gen, er musste nachdenken.<br />
Schon zwei Tage wohnte er jetzt hier, und das Leben<br />
<strong>in</strong> München gefi el ihm sehr. Sicher war dies die himmlische<br />
Entschädigung für das ganze Leiden und We<strong>in</strong>en<br />
der letzten Zeit, für die Todesfälle und die ungewollten<br />
Amputationen. Irgendwann wendete sich das Blatt für<br />
jeden zum Guten, Fred spürte den Geist von 1848, Freiheit<br />
und e<strong>in</strong> gee<strong>in</strong>tes deutsches Vaterland, dazu jede<br />
Nacht Koks und Chloroform und schon zum Frühstück<br />
Schwe<strong>in</strong>shaxe.<br />
In Freds Gepäck lagen immer noch zwei geladene<br />
Waff en — e<strong>in</strong>e von ACME, e<strong>in</strong>e von Rüdi. Auch den<br />
Umschlag mit dem Haarbüschel hatte er noch. Auf der<br />
gestrigen Party war es Fred kurz so vorgekommen, als<br />
beobachteten ihn schräge Gestalten. Waren die etwa<br />
Leute des Langhaarigen gewesen? Eigentlich hätte er<br />
wissen müssen, es war höchste Zeit aus München zu verschw<strong>in</strong>den,<br />
aber er war gelähmt vom süßen Leben. Was<br />
sollte ihm schon passieren unter diesen freundlichen,<br />
reichen Leuten? Hier war er sicher, alle waren total nett<br />
und gut drauf. So verdrängte er alle Bedenken. Be<strong>in</strong>ahe<br />
war es ihm schon gelungen, die entsetzliche Vision vom<br />
Fischmann, die er während der Fahrt nach München gesehen<br />
hatte, zu vergessen. Er ahnte nicht, dass die Spitzen<br />
87
der grausamen Organisation des K<strong>in</strong>gs sich ihm bereits<br />
gleich bl<strong>in</strong>d vorantastenden Tentakeln näherten.<br />
Auf der Party am Vorabend war Fred e<strong>in</strong> junger Adliger<br />
mit se<strong>in</strong>er Verlobten aufgefallen, der — panisch auf<br />
der Suche nach Drogen — alle Gäste nervös vollquatschte.<br />
Natürlich hätte Fred ihm helfen können, denn gute<br />
Beziehungen zu Drogendealern hatten ihn immer ausgezeichnet,<br />
aber dieser eklige Schnösel sollte mal selbst<br />
sehen, wie er klarkam.<br />
»Scheiße, ich dreh gleich durch, komm, wir verpissen<br />
uns hier, wenn ich nicht bald was für die Nase kriege,<br />
dreh ich echt durch«, fl üsterte Hartmut von Hemmerstedt<br />
se<strong>in</strong>er Verlobten <strong>in</strong>s Ohr, während er sie schon<br />
am Ärmel zur Tür zog.<br />
»Aber Hartmut, was soll das? Wo willst du denn jetzt<br />
h<strong>in</strong>?«<br />
»Die Party ist doch voll lahm. Irgendwo läuft schon<br />
noch was, wir gehen jetzt mal <strong>in</strong> den Park hier um die<br />
Ecke, hab gehört, da wird Puder vertickt.«<br />
Doch auch <strong>in</strong> dem Park wurde Hartmut zunächst<br />
nicht fündig, nur e<strong>in</strong> paar gefährlich wirkende Ausländer<br />
trieben sich dort herum und verkauften Zahngeb<strong>in</strong>de.<br />
Dann jedoch drang aus e<strong>in</strong>em nahen Gebüsch e<strong>in</strong>e aufdr<strong>in</strong>gliche<br />
Kastratenstimme:<br />
»Hey, kle<strong>in</strong>er St<strong>in</strong>ker, brauchste ´nen Liter Blut oder<br />
so? Hm? Weichl<strong>in</strong>g? Haste Angst vor ´nem richtigen<br />
Kick?«<br />
88
Se<strong>in</strong>e Verlobte wollte ihn noch zurückhalten, aber<br />
Hartmut steuerte schon auf das Gebüsch zu und sagte:<br />
»Na ja, ´nen guten Kick könnt ich schon gebrauchen.«<br />
»Komm, Hartmut, lass das doch, mir gefällt das hier<br />
nicht.«<br />
»Hör auf, du dumme Schlampe, vielleicht kann dieser<br />
Mann mir helfen.«<br />
»O ja, ich denke, ich kann dir helfen, Kle<strong>in</strong>er. Du musst<br />
zum Fuchslurch gehen, der hat alles, was du brauchst.«<br />
Manchmal aber ist es e<strong>in</strong>e schlechte und gefährliche<br />
Entscheidung, zu sehr auf die eigenen Wünsche<br />
und Hoff nungen zu vertrauen, nicht immer führen sie<br />
e<strong>in</strong>en zu den erwarteten Freuden. Schon mancher junge<br />
Mann verfolgte gewissenlos und dabei überzeugt von<br />
se<strong>in</strong>er Redlichkeit hochanständige Ziele, nur um damit<br />
aufgrund ungesunden Eifers und zu großer Anspannung<br />
sich und die Se<strong>in</strong>en <strong>in</strong> e<strong>in</strong> fremdes Land unüberschaubarer<br />
Verzweigungen und Ansichten zu führen.<br />
»Du kennst diesen Typen doch gar nicht, Hardi!!«,<br />
sagte Jessica, als ihr Freund nervös dreimal <strong>in</strong> schneller<br />
Folge auf den Kl<strong>in</strong>gelknopf drückte, nachdem auf se<strong>in</strong><br />
erstes Kl<strong>in</strong>geln vor etwa 20 Sekunden nichts geschehen<br />
war.<br />
»Ist mir jetzt auch voll egal, Hauptsache ich krieg nur<br />
schnell den Stoff «, entgegnete Hartmut unwirsch. Gerade<br />
als er wieder kl<strong>in</strong>geln wollte, ertönte das verzweifelt<br />
ersehnte Geräusch des Türöff ners. Sofort drückte Jessicas<br />
koka<strong>in</strong>abhängiger Freund die Haustür auf und trat<br />
89
hastig <strong>in</strong> den Hausfl ur. In der Parterrewohnung war die<br />
Tür bereits geöff net, e<strong>in</strong> dubioser, aufgedunsener Sonderl<strong>in</strong>g<br />
lehnte am Türrahmen und beobachtete das junge<br />
Pärchen mit zusammengekniff enen Augen.<br />
»Wat willste von mir, Epileptiker? HÄ??« begehrte der<br />
Fuchslurch zu wissen. Ängstlich antwortete Hartmut:<br />
»Ich hab nur den Tipp bekommen, dass Sie ´ne Spitzenkonnekte<br />
für Nasenpuder und so was s<strong>in</strong>d, und da<br />
dacht ich, ich könnte ...«<br />
»Wat haste an Zaster dabei? Komm, sach schon!«<br />
presste der Fuchslurch im Flüsterton heraus, während er<br />
se<strong>in</strong>en Kopf lauernd nach vorn schob.<br />
»So um die sechshundert«, hieß es nun kle<strong>in</strong>laut.<br />
»Na los, re<strong>in</strong> mit dir, du Krüppel und die Schnalle<br />
auch, im Hausfl ur mach ich ke<strong>in</strong>e Geschäfte!«<br />
Die Gäste nahmen im Wohnzimmer Platz und versuchten<br />
dabei möglichst entspannt zu wirken, was ihnen<br />
jedoch nicht recht gelang. Hartmut wurde unmissverständlich<br />
aufgefordert, mit dem Hausherrn e<strong>in</strong>e Schachpartie<br />
zu spielen und diese nun schleunigst zu eröff nen.<br />
zeitgleich durchlebte k<strong>in</strong>g kabejau, wie immer alle<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er wohnung, e<strong>in</strong>en eklatanten seelischen krisenzustand.<br />
bereits am nachmittag war er angesichts e<strong>in</strong>er<br />
undefi nierbaren psychischen spannung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er wohnstube<br />
zusammengebrochen. als er sich von se<strong>in</strong>em kollaps<br />
erholt hatte, beschloss er, zu e<strong>in</strong>er eigens entwickelten<br />
therapeutischen maßnahme zu greifen, <strong>in</strong> der hoff nung<br />
90
sich dadurch e<strong>in</strong>em zustand <strong>in</strong>nerer re<strong>in</strong>igung anzunähern.<br />
<strong>in</strong> der alten holztruhe im fl ur, die er se<strong>in</strong>erzeit von<br />
se<strong>in</strong>er verstorbenen tante geerbt hatte, pfl egte er tote<br />
kle<strong>in</strong>tiere aufzubewahren, die er bei spaziergängen <strong>in</strong><br />
den wäldern gefunden hatte.<br />
diese holte er nun eilig hervor und legte sie behutsam<br />
auf den esstisch. nach und nach begann er mit zwei toten<br />
vögeln wie e<strong>in</strong> k<strong>in</strong>d mit puppen zu spielen, wobei er ihnen<br />
jeweils eigene stimmen verlieh, mit denen er dann<br />
dialoge nachsprach, die er während se<strong>in</strong>er zeitbeschäftigung<br />
gehört hatte. im verlauf dieser prozedur bewegte<br />
er die vogelkadaver als handele es sich dabei um fi guren<br />
e<strong>in</strong>es kasperletheaters.<br />
E<strong>in</strong>es Nachts würde man den verschleppten Heiland<br />
unter Zuhilfenahme scharfer Eisenzangen zu e<strong>in</strong>em<br />
Schrumpfkopf umfunktionieren.<br />
von zitteranfällen geschüttelt saß der gute mann nun<br />
auf den eiskalten fl iesen des schmierigen fußbodens, den<br />
telephonhörer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er l<strong>in</strong>ken, und sprach:<br />
»esz izst beshtimmt, eyner von euch beiden wird mir<br />
e<strong>in</strong>esz tags der judasz se<strong>in</strong>.«<br />
»Hey, du steigerst dich da <strong>in</strong> was re<strong>in</strong>!« entgegnete der<br />
Fuchslurch.<br />
» ... undt ddesz nachtz zseh ichh mich im totenhemdt<br />
wandeln«, ächzte k<strong>in</strong>g kabeljau halb zu sich selbst.<br />
In des Fuchslurchs Stube spitzte sich die Atmosphäre<br />
<strong>in</strong> unangenehmer Weise zu. Der Herr Lurch musterte<br />
91
se<strong>in</strong>en Besuch mit zusammengekniff enen Augen aufs<br />
Genauste, wobei ihm weder die ger<strong>in</strong>gste Bewegung<br />
noch die leiseste Veränderung der Gesichtszüge se<strong>in</strong>er<br />
Besucher entg<strong>in</strong>g. Letztere sahen sich schließlich veranlasst,<br />
ihre Blicke betreten zu senken. Hartmut konnte es<br />
dennoch nicht vermeiden, den Fucgslurch gelegentlich<br />
direkt anzusehen. Da dieser bereits dadurch, dass er im<br />
Schachspiel se<strong>in</strong>en Spr<strong>in</strong>ger verloren hatte, <strong>in</strong> manische<br />
Unruhe versetzt war, fühlte er sich nun durch die bloße<br />
Präsenz se<strong>in</strong>es Gegenspielers gedemütigt. Alles deutete<br />
darauf h<strong>in</strong>, dass dieser Mensch <strong>in</strong>sgeheim se<strong>in</strong>e Hundezucht<br />
<strong>in</strong> den Dreck ziehen wollte. Alle<strong>in</strong> durch se<strong>in</strong> hochnäsiges<br />
Auftreten brachte er all das <strong>in</strong> Misskredit, was<br />
dem Fuchslurch lieb und teuer war. Man konnte me<strong>in</strong>en,<br />
dieser selbstgefällige Schädl<strong>in</strong>g wolle den geweihten<br />
Bund zwischen Fuchs und Lurch entzweien. Nichts war<br />
diesem jungen Ges<strong>in</strong>del heute noch heilig, so manche<br />
harsche Lektion tat hier bitter Not. Fuchs und Lurch waren<br />
verwandt, sie waren Abkömml<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong> und derselben<br />
Schar. Die Missachtung war so grenzenlos, dass man sich<br />
das Gesicht zerfurchen wollte. Sich e<strong>in</strong>fach so zu erschießen,<br />
das war zu sehr e<strong>in</strong> Produkt des momentanen Verdrusses.<br />
Hier war vielmehr e<strong>in</strong>e Vergeltungsmaßnahme<br />
notwendig, dachte sich der Fuchslurch, während er se<strong>in</strong>e<br />
Kordweste überstreifte und <strong>in</strong> die weißen Ledergamaschen<br />
schlüpfte. Doch zunächst versank der erniedrigte<br />
Hausherr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zustand tiefster Lethargie. Das Blut<br />
quoll ihm pochend <strong>in</strong>s Gehirn und schweißnass wurde<br />
92
ihm die überhitzte Stirn. Wenn er die Augen schloss, sah<br />
er vor sich e<strong>in</strong> verschwommenes Labyr<strong>in</strong>th im jähen<br />
Zwielicht des herannahenden Herztodes. Zertreten und<br />
besudelt lagen die teuersten Er<strong>in</strong>nerungsstücke se<strong>in</strong>er<br />
Jugendzeit. In dieser Welt schien die ehrwürdige Herrschaft<br />
des heiligen Bündnisses von Fuchs und Lurch<br />
ihre Wirksamkeit verloren zu haben. Das war nicht zu<br />
ertragen.<br />
»Seid nicht ihr des Lebensgeistes Spieß und Rechen?<br />
Nimmer könnt ich’s ertragen, würd e<strong>in</strong> Frevler euch<br />
zerbrechen.«<br />
Diese Worte sprach der zitternd und we<strong>in</strong>end vor dem<br />
Schachbrett zusammengekrümmte Mann gebetsartig,<br />
bevor se<strong>in</strong>e Gesichtsmuskulatur sich zu e<strong>in</strong>er skurrilen<br />
Grimasse verkrampfte. Der erste Zugriff war e<strong>in</strong> glatter<br />
Schnitt, schwunghaft geführt, der die Gelenkkapsel<br />
nur knapp verfehlte. Dann erfolgte e<strong>in</strong> unkoord<strong>in</strong>ierter<br />
Schlag mit dem geschnitzten Elfenbe<strong>in</strong>knauf des Spazierstocks.<br />
Plump fi el der schlaksige Laff e vom Sessel auf<br />
den L<strong>in</strong>oleumfußboden, wo er sich mit schmerzverzerrtem<br />
Gesicht h<strong>in</strong> und her wand. Blutfl ecken refl ektierten<br />
das Licht der großen Kerze auf dem Esstisch.<br />
Der Fuchslyrch war <strong>in</strong> Gedanken ganz woanders. Er<br />
sah sich <strong>in</strong> die Zeit zurückversetzt, <strong>in</strong> der er als kultivierter<br />
Sohn aus bürgerlichem Hause das Schachspiel erlernte.<br />
Damals war noch alles im Lot. Der Umschwung<br />
trat erst e<strong>in</strong>, als er aus e<strong>in</strong>er Partie gegen e<strong>in</strong>en Gegner,<br />
den er für seelisch labil hielt, als Verlierer hervorg<strong>in</strong>g. In<br />
93
dieser Zeit waren der Fuchs und der Lurch <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Leben<br />
getreten und hatten ihm e<strong>in</strong>e jähe Wendung verliehen.<br />
Entschlossen fuhr der Arm mit der Kl<strong>in</strong>ge herab, so<br />
dass diese tief <strong>in</strong> den Oberschenkel des gebeugten Aristokraten<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>schnitt. Ohne zu zögern g<strong>in</strong>g der Täter<br />
dann zu Jessica, die durch e<strong>in</strong>en Schock gelähmt war,<br />
griff grob ihren Arm und jagte die große R<strong>in</strong>derspritze<br />
mit dem perfi den Hundehormon h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.<br />
Die versunkene Idylle se<strong>in</strong>er friedvollen K<strong>in</strong>dheit trat<br />
mit e<strong>in</strong>er Plötzlichkeit vor se<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Auge, die ihn zusammenzucken<br />
ließ. Die <strong>in</strong>takte Familie, das große Haus,<br />
<strong>in</strong> dem er mit se<strong>in</strong>en Eltern gewohnt hatte, der riesige,<br />
von hohen Hecken umrandete Garten und nicht zuletzt<br />
auch die Eltern selbst, die sich durch e<strong>in</strong> immenses Maß<br />
an Fürsorglichkeit und Strebsamkeit auszeichneten, all<br />
das schien nun <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gedächtnis zu neuem Leben<br />
erweckt. Die Bücherschränke der Eltern umfassten be<strong>in</strong>ahe<br />
alle klassischen Werke der deutschen, englischen<br />
und französischen Literatur, e<strong>in</strong>e Anhäufung hochästhetischen<br />
Bildungsguts. In dieser Sammlung befand sich<br />
ke<strong>in</strong>e Spur des geistigen Giftes, das die moderne Gesellschaft<br />
korrumpierte. Er hatte sich an diesem Ort wohl<br />
und geborgen gefühlt und hätte sich unmöglich ausmalen<br />
können, dass dieser Zustand völliger Sorglosigkeit jemals<br />
enden würde.<br />
Die Gedanken sprachen zu ihm mit eigenen Stimmen<br />
und personifi zierten sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Schädel bis zur<br />
völligen Verselbstständigung. E<strong>in</strong>e schrille Fistelstimme<br />
94
efahl ihm ohne Unterlass, den Krockethammer von der<br />
Wand zu nehmen und damit auf Hartmut e<strong>in</strong>zuschlagen.<br />
Als er diese Instruktion ausführte, hörte er den ganzen<br />
Chor der Stimmen ihn loben. Regelrechte Jubelhymnen<br />
wurden angestimmt und steigerten sich bis zum Exzess.<br />
In e<strong>in</strong>em Zustand der Besessenheit schlug der Fuchslurch<br />
wie e<strong>in</strong> Berserker immer wieder zu. Zwar führte diese<br />
fanatische Attacke nicht direkt zum Exitus des Hartmut<br />
von Hemmerstedt, dennoch hatte sie e<strong>in</strong>ige schwerwiegende<br />
Knochenbrüche sowie e<strong>in</strong>e außerordentliche Schädigung<br />
des zentralen Nervensystems zur Folge.<br />
Die Er<strong>in</strong>nerungen konzentrierten sich <strong>in</strong>dessen auf<br />
die unverkennbare Zäsur <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Laufbahn. E<strong>in</strong>e Niederlage<br />
im Schachspiel hatte e<strong>in</strong>en beispiellosen schizoiden<br />
Anfall hervorgerufen. Fortan waren der Fuchs und<br />
der Lurch fester Bestandteil se<strong>in</strong>er Visionen geworden.<br />
Sie verschmolzen Schritt für Schritt mite<strong>in</strong>ander zu e<strong>in</strong>em<br />
göttlichen Wesen. Sie kamen wie durch heiliges Geschick<br />
zu ihm. Federleicht und unbeschwert lebte er dank<br />
dieser neuen Persönlichkeit, er hatte das Gefühl, zu e<strong>in</strong>er<br />
gesegneten, zu e<strong>in</strong>er erwählten Spezies zu gehören. Seitdem<br />
schlief er bis weit <strong>in</strong> den Nachmittag und hatte <strong>in</strong><br />
der Regel erst bei Sonnenuntergang das Frühstück h<strong>in</strong>ter<br />
sich gebracht. Überaus viel Zeit wendete er für e<strong>in</strong>e sehr<br />
spezielle Form der Hundezucht auf. Zunächst kreuzte er<br />
e<strong>in</strong>e fl orent<strong>in</strong>ische Dackelart mit e<strong>in</strong>er äußerst seltenen<br />
Art des Münsterländers, die sich durch e<strong>in</strong>e be<strong>in</strong>ahe vollständig<br />
schwarze Färbung auszeichnete. Diese Hunde<br />
95
zog er dann <strong>in</strong> Kellergewölben auf, wodurch er ihnen von<br />
kle<strong>in</strong> auf jegliches Tageslicht vorenthielt. Strikt achtete er<br />
darauf, dass sie nichts außer Motten, Faltern und Larven<br />
aßen. In der Wachstumsphase <strong>in</strong>jizierte er ihnen e<strong>in</strong> Präparat,<br />
das sich aus Rattenhormonen, Nährstoff konzentrat<br />
und Adrenal<strong>in</strong> zusammensetzte. An se<strong>in</strong>em Namenstag<br />
servierte er den Hunden e<strong>in</strong>en gebratenen Raben.<br />
Während er noch se<strong>in</strong> Frühstück zu sich nahm, erlebte<br />
der Fuchslurch meist schon, wie <strong>in</strong> ihm unkontrollierbare<br />
Rastlosigkeit aufstieg, die ihn zu exzessiven<br />
nächtlichen Unternehmungen trieb. Der neuartige Lebenswandel<br />
des Juniors zog die Aufmerksamkeit der Eltern<br />
auf sich und versetzte sie bald <strong>in</strong> maßlose Empörung.<br />
Wie konnte es se<strong>in</strong>, dass ausgerechnet ihr Sohn sich von<br />
Wahnvorstellungen heimgesucht e<strong>in</strong>er solch morbiden<br />
Form des Müßiggangs h<strong>in</strong>gab?<br />
»Würdet Ihr mir nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em fort Fragen stellen,<br />
so müsste ich auch nicht ständig lügen«, entgegnete er<br />
ihnen e<strong>in</strong>es Abends, als sie wieder e<strong>in</strong>mal den Versuch<br />
e<strong>in</strong>er klärenden Unterredung unternahmen. Dafür hatte<br />
er ke<strong>in</strong>e Zeit, er musste sich dr<strong>in</strong>gend um se<strong>in</strong>e Hunde<br />
kümmern und hatte anschließend auch noch e<strong>in</strong>en Ausfl<br />
u g v o r.<br />
E<strong>in</strong> Schnitt folgte auf den anderen, Gliedmaßen wurden<br />
auf rücksichtsloseste Weise abgetrennt.<br />
»Das hat alles se<strong>in</strong> Für und Wider«, dachte sich der<br />
Fuchslurch. »So muss ich den Leichnam später nicht<br />
mühselig zerteilen.«<br />
96
Endlich war der Sprühkopf freigelegt und die Apparatur<br />
konnte betätigt werden. Wenn man schon e<strong>in</strong>mal<br />
angefangen hatte, dann musste man auch sehen, dass<br />
man schleunigst fertig wurde. Den Rest würde er e<strong>in</strong>fach<br />
mit der Brotschneidemasch<strong>in</strong>e erledigen. Die nun<br />
e<strong>in</strong>getretene Stille wurde jäh vom Kl<strong>in</strong>geln e<strong>in</strong>es Mobiltelefons<br />
durchbrochen.<br />
»Jepp«, grüßte er höchst reserviert. »Ach du schon<br />
wieder! Hab ich nich gesacht, dass du erst wieder ankl<strong>in</strong>geln<br />
sollst, wenn die Sache gelaufen is? ... Was? Klar wird<br />
das noch so durchgezogen. ... Was heißt hier wichtige Term<strong>in</strong>e?<br />
Wann du wichtige Term<strong>in</strong>e hast, das entscheiden<br />
der Scholli und ich, glaub nich, dass du da was mitzureden<br />
hättest. ... Sicher, je schneller desto besser. Der Scholli<br />
fährt mal wieder ´nen ganz miesen Film, verbarrikadiert<br />
sich, völlige Schizo-Optik, kennste ja. Wird mal wieder<br />
höchste Zeit für ´ne Krisensitzung, aber nicht bevor der<br />
Auftrag ausgeführt ist und schon gar nich vorm Wochenende,<br />
ich muss dr<strong>in</strong>gend noch mal weg und b<strong>in</strong> die nächsten<br />
Tage nicht zu erreichen. ... Ke<strong>in</strong>e Zeit für ausgedehnte<br />
Erklärungen, ich sage nur soviel, dass ich mittelstark <strong>in</strong><br />
Exkrementen stecke. Brauch übrigens heute noch de<strong>in</strong>e<br />
Hilfe. ... Ach, irgend so ´ne Scheißnummer mit viel Blut. ...<br />
Ja, deshalb muss ich auch so schnell wie möglich los und<br />
versuchen den Rumpf zu verscheuern. ... Ke<strong>in</strong>e Ahnung,<br />
entweder an irgend ´ner Raststätte oder über die Tr<strong>in</strong>khallen-Connection.<br />
... Spielt jetzt ke<strong>in</strong>e Rolle. Pass auf, ich<br />
leg dir den Schlüssel <strong>in</strong>s übliche Versteck, dann kommst<br />
97
du gleich rum und beseitigst die Extremitäten und so!<br />
Möglichst alles ´n bisschen fi x, kapiert? Also, bis dann!«<br />
Damit war dieses niederträchtige Telefongespräch<br />
beendet. Jessica hatte es im durch das Hundehormon hervorgerufenen<br />
Rausch nur mühsam verfolgt. Trotz ihres<br />
benebelten Zustands wurde ihr klar, <strong>in</strong> den letzten zweie<strong>in</strong>halb<br />
Stunden hatten sich die Verhältnisse so rapide<br />
und fundamental geändert, dass ihre bisherige Lebensplanung<br />
nun h<strong>in</strong>fällig war.<br />
Der Fuchslurch ließ das Gehirn eilig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e durchsichtige<br />
Plastiktüte gleiten, die er anschließend zuknotete.<br />
Er würde es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em entlegenen Versteck deponieren,<br />
und alle Beteiligten würden Frieden fi nden. Unter dem<br />
hölzernen Fußbodenbelag der Wohnung lagerten schon<br />
mehr als genug Gehirne <strong>in</strong> Glasgefäßen. Das war der<br />
Preis, den er für se<strong>in</strong>en Lebensstil entrichten musste, der<br />
sogenannte Götzenzoll. Das g<strong>in</strong>g dem Fuchslurch durch<br />
den Kopf, während er geme<strong>in</strong>sam mit Jazz, die er kräftig<br />
sediert hatte, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Chevrolet auf der Bundesstraße<br />
aus der Stadt fuhr. Das Ziel dieser Tour war Jazz ebenso<br />
wenig klar wie deren Zweck. Als sie nach e<strong>in</strong>er Phase<br />
tiefen Schlafs auf dem Beifahrersitz erwachte und auf<br />
die Uhr blickte, wusste sie nicht, ob es 6 Uhr morgens<br />
oder abends war. Stunden verg<strong>in</strong>gen, während sie mit<br />
Höchstgeschw<strong>in</strong>digkeit über die Autobahn bretterten.<br />
Nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Wort wurde gewechselt. Der Fuchslurch<br />
war mit der Frage beschäftigt, wie er den Rumpf<br />
am besten verscheuern und den Grips des Ermordeten<br />
98
verschw<strong>in</strong>den lassen konnte. Der Mord an sich war ihm<br />
nicht persönlich zur Last zu legen, der war Götterwille<br />
gewesen.<br />
So sah das also aus. Da konnte man ja gleich auf den<br />
Tisch pissen. Oben <strong>in</strong> der Aula hatten sie sich alle versammelt,<br />
um sich gegenseitig zu beglückwünschen zu ihrer<br />
Scharfs<strong>in</strong>nigkeit, die Kotfresser. Früher hatte er auch<br />
dazugehört, hätte se<strong>in</strong> Schicksal e<strong>in</strong> paar andere Wege<br />
gewählt, wäre es nur dann und wann <strong>in</strong> die andere Richtung<br />
abgebogen, er würde ebenfalls dort stehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
teuren dunklen Anzug und mit se<strong>in</strong>en Freunden auf die<br />
Verleihung der Zeugnisse warten. Aber Hans-Gert Hübner<br />
gehörte nicht mehr dazu. Er musste daran denken,<br />
wie er damals auf der Treppe se<strong>in</strong>e Eltern belauscht hatte.<br />
»Schatz«, hatte se<strong>in</strong>e Mutter zu se<strong>in</strong>em Vater gesagt,<br />
»ich war heute beim Arzt. Ich weiß nicht, wie ich es dir<br />
sagen soll, o je.«<br />
»Was ist denn? Etwas Schlimmes? Nun sag schon!«<br />
»Er hat gesagt, ich, ich habe vielleicht die Pocken.«<br />
Damals hatte es angefangen. Die Mutter starb e<strong>in</strong>en<br />
langsamen und schrecklichen Tod, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Quarantänezelt<br />
im Wohnzimmer lag sie wie h<strong>in</strong>geschissen. Aus dieser<br />
Zeit stammte Hans-Gerts übertriebene Anspruchshaltung,<br />
denn der trotz der horrenden Behandlungskosten<br />
und der Seuchenabgabe noch wohlhabende Vater versorgte<br />
ihn immer mit Barem, um ihn auf Distanz zu<br />
halten. Dennoch litt Hans-Gert, ständig kamen Beamte<br />
99
und stellten dem Vater und ihm Fragen, die Nachbarn<br />
redeten schon. Nach dem Tod der Mama geriet die Situation<br />
vollends außer Kontrolle, schon bei der Beerdigung<br />
war der Papa so betrunken, dass er <strong>in</strong> das off ene Grab<br />
kotzte. Danach saß er meistens im abgedunkelten Wohnzimmer<br />
und spielte sich am Sack. Hans-Gert, der gerade<br />
<strong>in</strong> die Pubertät kam, kompensierte se<strong>in</strong>en Schmerz durch<br />
großspuriges Auftreten. Ewig konnte das nicht gutgehen.<br />
Unrühmliche Episoden machten ihn zum Außenseiter, es<br />
lief auf e<strong>in</strong>e Karriere als Heiratsschw<strong>in</strong>dler h<strong>in</strong>aus. Das<br />
Abiturzeugnis würde er sich nicht abholen, er wusste,<br />
dass er es auf dem Weg, der vor ihm lag, nicht benötigen<br />
würde. Nur um Tommi, se<strong>in</strong>en letzten verbliebenen<br />
Freund, zu treff en, war er zur Schule gekommen. Morgen<br />
würde er mit Olga, e<strong>in</strong>er echten Schrumpelhure, nach<br />
Griechenland fl iegen, deshalb brauchte er dr<strong>in</strong>gend noch<br />
´n paar Pillen und ´n bisschen Pulver.<br />
Tommi ließ auf sich warten, er hatte Hans-Gert doch<br />
versprochen, während der Rede des Direktors runterzukommen,<br />
und die war, wie man durch die geöff neten<br />
Fenster deutlich hören konnte, schon <strong>in</strong> vollem Gange.<br />
Da trat e<strong>in</strong> hagerer Mann, gehüllt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en dicken, dem<br />
warmen Wetter nicht angemessenen Mantel, das schüttere<br />
blonde Haar kreuz und quer über den Kopf verklebt<br />
und e<strong>in</strong>en Spazierstock schw<strong>in</strong>gend, <strong>in</strong> dessen elfenbe<strong>in</strong>ernem<br />
Griff sich Geschöpfe des Wassers und des Landes<br />
<strong>in</strong> unheiliger Allianz verbanden, h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em Vorsprung<br />
100
der Schulmauer hervor, griff Hans-Gerts Schulter und<br />
raunte:<br />
»Hey, de<strong>in</strong> Kumpel Tommi hat mir gesagt, du hast<br />
Interesse an Stoff , mh? Ich dachte, werd´ mich mal gleich<br />
selbst um die Sache kümmern, weißte, de<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er<br />
Freund vertickt den Scheiß eh für mich, brauchst dir also<br />
wegen der Quali ke<strong>in</strong>e Sorgen machen, und bei mir gibt´s<br />
alles zu Vorzugspreisen.«<br />
Diese groteske Figur stimmte zwar nicht mit Hans-<br />
Gerts Vorstellung von e<strong>in</strong>em coolen Großticker übere<strong>in</strong>,<br />
da er den Kerl aber schon manchmal mit Tommi und anderen<br />
Dealern gesehen hatte, entschloss er sich, das Geschäft<br />
mit ihm zu machen.<br />
»Okay, ich brauch Pillen für zwei Hunnis und Pulver<br />
für ´nen Riesen, hoff e, dass das klargeht.«<br />
»Oh, viel Geld, der junge Mann wird mehr bekommen,<br />
als er hoff t.« Mit diesen Worten gab der Mann Hans-Gert<br />
e<strong>in</strong>ige Tütchen, die sicher nicht mehr als die üblichen<br />
Mengen enthielten. Dann aber griff er noch e<strong>in</strong>mal unter<br />
se<strong>in</strong>en Mantel, drückte ihm e<strong>in</strong> großes weiches Päckchen<br />
<strong>in</strong> die Hand, sagte: »Das wird dir Glück br<strong>in</strong>gen, Junge«,<br />
und entfernte sich eilig.<br />
Verdutzt bemerkte Hans-Gerd, dass das Päckchen <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>er Hand sich bewegte. Er öff nete es und fand dar<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>en Falken mit gebrochenen Flügeln und zugebundenem<br />
Schnabel. Das Tier schien stark geschwächt, mühsam<br />
bewegte es se<strong>in</strong>en Kopf h<strong>in</strong> und her, bewegte auch<br />
se<strong>in</strong>e Krallen.<br />
101
Die nun direkt <strong>in</strong> die Gasse sche<strong>in</strong>ende Sonne weckte<br />
den <strong>in</strong> Erbrochenem vor e<strong>in</strong>er Bar liegenden Paco Panso.<br />
Mühsam erhob er sich, wischte mit dem Pelzmantel übers<br />
Gesicht, Flocken von Gyros und Nudeln aus der Nase,<br />
Aufstoßen förderte e<strong>in</strong>en Schwall brackiger Säure ans<br />
Licht, Stützen nötig, die Sonnenbrille auf die Schmerzkugeln.<br />
Unkoord<strong>in</strong>iert mit dem Messer umherstoßend<br />
bat er Passanten um Hilfe, Wodka, er brauchte dr<strong>in</strong>gend<br />
Wodka und Hustensaft, wo war das Gewehr, der kapitale<br />
Hirsch würde nicht bis morgen warten. Genau vor<br />
der blauen Feuerkugel schwebten Hubschrauber, Sicht<br />
versperrt durch die Strrarln, musste zum Hotel, tr<strong>in</strong>ken,<br />
slafn. Schwarze Schnauzbärte trieben mit Spießen den<br />
fremden Pelzbewohner. Dann rastete das Zahnwerk e<strong>in</strong>,<br />
peng drehte es sich schneller als das Auge folgen konnte,<br />
brechen, zrslgn, Paco rollte jetzt rund wie Räder, Nervenbahnen<br />
wickelten sich wie Raupen tausendfüßig um die<br />
Knochen, schlugen Welnn im Fleisch, Aufgaben brannten<br />
gleich Wäldern. Er musste nicht trennen, es war alles<br />
e<strong>in</strong>s.<br />
Am Flughafen schmuggelte Hans-Gert Hübner den<br />
Falken unter se<strong>in</strong>em Hemd durch die Sicherheitskontrolle.<br />
Hätte er das Tier im Handgepäck gelassen, wäre<br />
beim Durchleuchten das Skelett auf dem Bildschirm erschienen<br />
und vielleicht hätte er den Vogel dann abgeben<br />
müssen, e<strong>in</strong> Risiko, das er unter ke<strong>in</strong>en Umständen e<strong>in</strong>gehen<br />
wollte. Zu Hause hatte er se<strong>in</strong>en neuen Kameraden<br />
102
mit Speck gefüttert, der Falke hatte wild geschlungen,<br />
e<strong>in</strong> köstliches Schauspiel. Nachdem er die Kontrollen passiert<br />
hatte, verstaute Hans-Gert den Falken wieder neben<br />
Bierdosen und Pornoheften im Rucksack.<br />
Um ordentlich zu wichsen, suchte Hans-Gerd kurz<br />
nach dem Start die Bordtoilette auf. Beim Griff nach dem<br />
notwendigen Material geriet ihm wieder das weiche Federknäul<br />
<strong>in</strong> die Hände. Sollte er versuchen, se<strong>in</strong>en Penis<br />
<strong>in</strong> den Vogel zu zwängen? Aber vielleicht würde dieser<br />
davon kaputtgehen, und wer würde dann für den Schaden<br />
aufkommen? Ne<strong>in</strong>, es musste bessere Möglichkeiten<br />
geben.<br />
Morgens nach dem Aufstehen, eigentlich war die Mittagsstunde<br />
bereits verstrichen, aber Hans-Gert war erst<br />
spät <strong>in</strong>s Bett gekommen, stand er im Bad und rieb se<strong>in</strong><br />
Glied mit Koka e<strong>in</strong>, um es für Olga die Schrumpellotte<br />
herzurichten. Bevor sie zu e<strong>in</strong>er weiteren Tour zu den<br />
st<strong>in</strong>kenden Griechensäcken aufbrach, musste er es ihr<br />
noch besorgen. Wenigstens hatte er dann für den Rest<br />
des Tages Ruhe vor ihr.<br />
»Bist du bereit fürn heißen Ritt, Baby?« rief er h<strong>in</strong>über.<br />
»O Schatzi, du bist so wild und unbesorgt«, kam es<br />
zurück.<br />
Die alte Hexe, wenn sie nur etwas Anstand besäße,<br />
würde sie wenigstens ihr Nachthemd anlassen, damit<br />
man nicht soviel von ihrem schlaff en Körper sehen<br />
musste. Die hängende Haut, die Flecken und Beulen...<br />
Na ja, Hans-Gert war das gewohnt, und so legte er ohne<br />
103
Zögern los, »Ich werde erben! Ich werde erben!« wiederholte<br />
er <strong>in</strong> Gedanken, während er se<strong>in</strong>e Augenlider fest<br />
zusammenpresste.<br />
In e<strong>in</strong>er seit Jahren verlassenen Eisenwarenhandlung,<br />
an deren Wänden noch die aufgrund der Korrosion schon<br />
weitgehend unkenntlichen Waren h<strong>in</strong>gen, die der unter<br />
ungeklärten Umständen verschwundene Laden<strong>in</strong>haber<br />
hier angeboten hatte, saß der Fuchslurch an e<strong>in</strong>em eigens<br />
für ihn aufgestellten Camp<strong>in</strong>gtisch und blätterte <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em vergilbten Notizbuch, g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>ige Zahlenkolonnen<br />
und andere Aufzeichnungen durch. E<strong>in</strong> Klopfen an<br />
der Tür riss ihn aus se<strong>in</strong>en Gedanken. Unwirsch forderte<br />
er den Störer zum E<strong>in</strong>treten auf, und sogleich führte se<strong>in</strong><br />
Chauff eur den Herzog von Preußen here<strong>in</strong>, der gerade<br />
von e<strong>in</strong>er Ostfahrt heimgekehrt war.<br />
»Ach, du. Wie geht’s?«, erkundigte sich der Fuchslurch.<br />
»Prächtig wie e<strong>in</strong> Misthaufen«, erwiderte der Herzog.<br />
E<strong>in</strong>ige Zeit ließ der Fuchslurch sich von den Erlebnissen<br />
des Herzogs berichten, als dieser aber immer weiter<br />
abschweifte und sich bald <strong>in</strong> ausführlichen Beschreibungen<br />
der bäuerlichen Trachten <strong>in</strong> den von ihm besuchten<br />
Gebieten, bald <strong>in</strong> ebenso umfassenden Erläuterungen<br />
se<strong>in</strong>er Verdauungsbeschwerden aufgrund der dort genossenen,<br />
ungewohnten Kost erg<strong>in</strong>g, unterbrach der Fuchslurch<br />
ihn ungehalten:<br />
»Jetzt aber mal die Fresse halten, sonst zieh ich dir<br />
den Scheitel nach, und zwar mit dem Klappspaten!<br />
104
Überhaupt ist jetzt Schluss mit dem Getratsche, ich hab<br />
da was, da musste dich drum kümmern. Ist ´ne ganz üble<br />
Sache, jede Menge...«<br />
In diesem Moment kam der Chauff eur des Fuchslurchs<br />
here<strong>in</strong>, weil er h<strong>in</strong>ter dem Verkaufstresen nach<br />
e<strong>in</strong>er Flasche Kartoff elschnaps suchen wollte, die er da<br />
vor e<strong>in</strong>igen Wochen zurückgelassen hatte. Mit sich überschlagender<br />
Stimme brüllte der Fuchslurch ihn an und<br />
drohte damit, ihm später alle Zehen mit e<strong>in</strong>em Seitenschneider<br />
abzuknipsen. Erst nachdem der Chauff eur sich<br />
daraufh<strong>in</strong> missmutig und ohne den Kartoff elschnaps<br />
wieder entfernt hatte, fuhr der Fuchslurch fort:<br />
»So, jetzt aber mal zur Sache. Noch heute bewegst<br />
du de<strong>in</strong>en fetten Kadaver nach Athen, dann geht´s weiter<br />
<strong>in</strong> irgende<strong>in</strong> Touristenkaff , die genauen Koord<strong>in</strong>aten<br />
kriegste später. Jedenfalls ist da richtig der Eiter am Fließen,<br />
totale Mondfi nsternis.«<br />
»Ist geritzt«, dröhnte der Herzog großspurig. »Ich werde<br />
mich nur eben noch schröpfen lassen, denn ich fühle<br />
mich heute e<strong>in</strong> wenig matt.«<br />
Die Griechensonne stank aus dem Himmel wie e<strong>in</strong><br />
riesen Haufen gekochter Scheiße, die Sonnenschirme<br />
auf der Terrasse des Hotels boten ke<strong>in</strong>en Schutz, Strahlen<br />
schossen durch die Lücken zwischen den Fasern und<br />
sprangen von den weiß gleißenden Ste<strong>in</strong>platten des Fußbodens.<br />
Hans-Gert grunzte missgelaunt als Antwort<br />
auf irgende<strong>in</strong>e alberne Frage Olgas. Heute hatte sie ihn<br />
105
gezwungen mit ihr zu frühstücken, lange würde er diesen<br />
Zirkus nicht mehr mitmachen, das war ja lächerlich,<br />
ke<strong>in</strong>e Erbschaft entschädigte dafür, dass man schon<br />
frühmorgens das schmerzende Gehirn am Feuer braten<br />
musste.<br />
»Die Esel <strong>in</strong> diesem Dorf waren so entzückend, du<br />
musst das nächste Mal unbed<strong>in</strong>gt mitkommen, diese<br />
ganze griechische Kultur ist so e<strong>in</strong>malig und so herausragend,<br />
hörst du mir zu, Schatzi?«<br />
»Grmlgh.«<br />
Hans-Gerts Gedanken waren bei se<strong>in</strong>em Falken, der<br />
im Schrank des Hotelzimmers auf ihn wartete. Se<strong>in</strong> weiches<br />
Federkleid und se<strong>in</strong>e treuen Augen, se<strong>in</strong> herzzerreißend<br />
armseliges Gekrächze, wenn man die Fessel von se<strong>in</strong>em<br />
Schnabel löste, um ihn zu füttern. In der knappen<br />
Woche, die er bislang hier verbracht hatte, war ihm das<br />
Tier ans Herz gewachsen wie ke<strong>in</strong>e andere Kreatur je zuvor.<br />
Wieso hatte dieser zwielichtige Dealer ihm das Geschöpf<br />
wohl übergeben? Sicher lag e<strong>in</strong> Irrtum vor, wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
war der Kerl über den Verlust des Falken höchst<br />
erbost und wollte se<strong>in</strong> Eigentum dr<strong>in</strong>gend zurückhaben.<br />
Dazu würde es jedoch niemals kommen, Hans-Gert und<br />
der Falke waren jetzt e<strong>in</strong> Team. Mit Olgas Erbe würde er<br />
sich irgendwo e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Häuschen kaufen und dort mit<br />
dem Falken leben. Wenn der Krebs die alte Ekelsau endlich<br />
weggeraff t hatte, stand se<strong>in</strong>en Träumen nichts mehr<br />
im Weg. Zuerst musste er sie natürlich heiraten.<br />
106
»Hast du über das nachgedacht, was ich dir gestern<br />
Abend gesagt habe, Liebste?«<br />
»Ach, Schatzi, wozu willst du mich denn heiraten,<br />
der Krebs hat mich doch schon fest <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Klauen, ich<br />
kann doch nicht mehr lange.«<br />
»Du weißt doch, Liebe kann alles heilen, du wirst sehen,<br />
sobald wir vor den Traualtar treten, s<strong>in</strong>d die Tumore<br />
wie weggeblasen.«<br />
»Ach, ich weiß nicht, ich werde mir das nochmal überlegen.<br />
Gib mir doch bitte mal die Schmerztabletten aus<br />
me<strong>in</strong>er Handtasche, ja?«<br />
Ȇberleg soviel du willst, aber wenn e<strong>in</strong>es Morgens<br />
de<strong>in</strong> morscher Brustkasten von e<strong>in</strong>em Lufthauch e<strong>in</strong>gedrückt<br />
wird, und das ganze verkrebste Gewebe herausschwimmt<br />
wie e<strong>in</strong> Schwarm Neunaugen, dann können<br />
dich ke<strong>in</strong>e Pillen mehr retten.«<br />
»Jaja.«<br />
Zu unbesorgt war Olga, die süßen Medikamente<br />
vernebelten ihre S<strong>in</strong>ne, und sie tauchte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Meer<br />
aus Farben und angenehmen Geräuschen, wor<strong>in</strong> scharfe<br />
Felsen nur darauf warteten, ihren weichen Wanst aufzuschlitzen.<br />
Im H<strong>in</strong>tergrund ertrank e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d im Swimm<strong>in</strong>g<br />
Pool des Hotels. Das war ke<strong>in</strong> gutes Zeichen.<br />
Der Herzog von Preußen hatte diese Konversation vom<br />
Nebentisch aus durch e<strong>in</strong> Hörrohr belauscht. Er war e<strong>in</strong><br />
stattlicher Veteran mit den besten Manieren und nützlichen<br />
Kenntnissen <strong>in</strong> nahezu jedem Fach, viele Männer<br />
hatten auf se<strong>in</strong>en Befehl h<strong>in</strong> gern ihr Leben gelassen, so<br />
107
kannte man ihn. Hier war er allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong>kognito, weshalb<br />
er sich nach der aktuellen Mode deutscher Urlauber<br />
gekleidet hatte und auch sonst sehr unauff ällig agierte.<br />
Verdruss, das war alles, was Fred noch empfi nden<br />
konnte. Verdruss hatte ihn dazu gebracht, sich dem dämonischen<br />
Exzess h<strong>in</strong>zugeben. Verdruss hatte ihn zum<br />
Mord geleitet. In se<strong>in</strong>er letzten Stunde kam er nicht um<br />
diese bittere Erkenntnis herum.<br />
»Da ich jetzt tot b<strong>in</strong>, ersche<strong>in</strong>t mir alles ganz klar. Es<br />
gab nichts, an das ich geglaubt, nichts, das mir irgend<br />
etwas bedeutet hätte, außer der E<strong>in</strong>en, der Ersehnten,<br />
deren Liebe e<strong>in</strong>e böse Täuschung war, sie leitete mich<br />
<strong>in</strong> die Irre und lieferte mich denen aus, die mich h<strong>in</strong>terrücks<br />
erdolchten. Me<strong>in</strong>e ganze Hoff nung habe ich <strong>in</strong> dich<br />
gesetzt, schönste Blüte der menschlichen Spezies, doch du<br />
hast mich aus himmlischen Höhen <strong>in</strong> die tiefste Hölle<br />
gestürzt.«<br />
Verschwommen erglänzte noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> weiter Ferne<br />
das erhabene Bild der wunderschönen Yasm<strong>in</strong>, noch<br />
e<strong>in</strong>mal versuchte Fred darauf zuzueilen, doch wieder verschwand<br />
es vor se<strong>in</strong>em verzückten Blick. Er fühlte, wie<br />
er fi el, immer schneller, immer kälter wurde ihm. Der<br />
Suchmechanismus wurde <strong>in</strong> exakt diesem Moment aktiviert,<br />
da gab es trotz allen Gezeters ke<strong>in</strong> Zurück mehr.<br />
Noch vor Sieben wird der Aderlass mit der Heckenschere<br />
im Unterholz betrieben.<br />
108
»Ich war und b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Nichts, habe ke<strong>in</strong>erlei Wert. E<strong>in</strong>e<br />
Entwicklung kann es von diesem Punkt aus nicht geben,<br />
weil jede Basis fehlt, was bliebt, ist Stagnation. Über<br />
me<strong>in</strong> Ableben b<strong>in</strong> ich daher mehr als froh, ich fühle mich<br />
nun vollends befreit. Doch ich gehe nicht im Frieden aus<br />
dieser Rattenwelt. Me<strong>in</strong> Schicksal ist das e<strong>in</strong>es ewigen<br />
Wiedergängers, der zurückkehren wird, um nach dem<br />
Pr<strong>in</strong>zip Auge um Auge, Zahn um Zahn zu marodieren.«<br />
Der frühe Abend fand Paco Panso schlafend <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Hotelzimmer. Fenster und Balkontür waren mit<br />
Brettern zugenagelt. Dieses Rollen am Nachmittag, woher<br />
war es gekommen? Noch nie hatten so fe<strong>in</strong>e Räder<br />
sich unter se<strong>in</strong>er Haut gedreht, immer noch spürte er die<br />
von ihnen im Fleisch h<strong>in</strong>terlassenen Furchen. Die Hubschrauber<br />
kreisten tiefer und tiefer; damals, als ihn die<br />
Kannibalen das Sprechen lehrten, waren sie noch Käfer<br />
zwischen den Wolken gewesen, mittlerweile kratzten<br />
ihre Rotorblätter draußen an den Fenstern, bald würden<br />
sie sich <strong>in</strong> den Boden bohren und auf die unterirdischen<br />
Lavaströme treff en. Zerschlagen und zerschmettern, treten,<br />
genau, den Pelzmantel überwerfen und das Messer<br />
nicht vergessen, <strong>in</strong> den Bars warteten traurige Menschen<br />
auf ihren Erlöser. Schnell Wodka und Hustensaft, ah gut,<br />
dann das Schnitzel essen, immer noch neben dem Bett,<br />
herzhaft und sehnig. Paco Panso trat, sich den Mund mit<br />
der e<strong>in</strong>en Hand abwischend und mit der anderen fl üssige<br />
Seife auf dem unter dem Pelzmantel nackten Oberkörper<br />
109
verteilend, auf den Flur. Es zog ihn heute <strong>in</strong> die Bar, deren<br />
Attraktion e<strong>in</strong> Becken voller lebender Rochen war,<br />
die edlen Meeressäuger waren wie Brüder für ihn. Sie<br />
sendeten Wellen des Verständnisses, sie kannten den<br />
Pelzmantel, o ja, und sie würden se<strong>in</strong>er Frau und se<strong>in</strong>en<br />
K<strong>in</strong>dern nichts tun, sie wussten Bescheid <strong>in</strong> der Steppe.<br />
Spielerisch fächerte der Herzog von Preußen durch<br />
das lauwarme Wasser des Beckens, strich über die Rücken<br />
der Rochen. Den größten würde er sich später auf<br />
e<strong>in</strong>em Bett aus Speck und e<strong>in</strong>gelegten Fangarmen servieren<br />
lassen. Schon seit e<strong>in</strong>er halben Stunde wartete<br />
er, würde etwa nichts geschehen? Doch, e<strong>in</strong> grausam<br />
blickender Ausländer mit der gedrungenen Statur e<strong>in</strong>es<br />
R<strong>in</strong>gers stürzte here<strong>in</strong>, se<strong>in</strong> Pelzmantel bedeckt mit<br />
Flecken und Stücken, griff e<strong>in</strong>en Kellner, schrie unartikuliert<br />
auf ihn e<strong>in</strong>, während Speichel <strong>in</strong> reichen Fäden<br />
aus se<strong>in</strong>em Mund fl og, schlug ihn mit dem Handrücken<br />
nieder. Das musste se<strong>in</strong> Mann se<strong>in</strong>. Gemächlich steuerte<br />
der Herzog von Preußen auf Paco Panso zu, griff ihn am<br />
Kragen des Pelzmantels und lotste ihn an die Bar.<br />
»Gib diesem Mann Wodka und schenk freimütig<br />
nach«, sagte er zu e<strong>in</strong>em der Barkeeper, der um die vortreffl<br />
iche Liquidität des Herzogs wusste und dessen Aufforderung<br />
daher ohne Zögern nachkam.<br />
»Es geht um Aufgaben von höchster Wichtigkeit, Entscheidungen<br />
wurden getroff en, Taten müssen folgen, Daten<br />
müssen mit der Hilfe gigantischer Elektronengehirne<br />
110
auf Magnetspulen gespeichert werden. Dann werden<br />
Schiff e <strong>in</strong> See stechen und Monate später beladen mit<br />
Gewürzen und edlen Metallen zurückkehren und mit<br />
Sklaven, fremden Rassen entstammend, die Zähne wie<br />
Tiere haben und mit gebeugtem Rücken gehen.«<br />
Sklaven, dieser Mann sprach von Sklaven und Aufgaben?<br />
Trotz des Wodkas, der die grünbewachsenen Gestade<br />
se<strong>in</strong>er Därme umspülte, wusste Paco gleich um die<br />
Wichtigkeit der Angelegenheit, se<strong>in</strong>e eigene Familie war<br />
<strong>in</strong> die Sklaverei verkauft worden, köstlich, er lachte und<br />
erbrach dabei braune Flüssigkeit auf die Knie des Mannes,<br />
der ihm mit steifem Lächeln e<strong>in</strong> Taschentuch reichte,<br />
sich selbst mit e<strong>in</strong>em zweiten re<strong>in</strong>igte. Paco Panso,<br />
des auf dem Taschentuch e<strong>in</strong>gestickten Wappens gewahr<br />
werdend, rann augenblicklich Blut aus der Nase, wie e<strong>in</strong><br />
toter Hund fi el er vom Barhocker und zuckte dann leise<br />
vor sich h<strong>in</strong>.<br />
Als die anderen Menschen se<strong>in</strong>en hilfl osen Zustand<br />
bemerkten, kamen sie herbei und traten und beschimpften<br />
ihn:<br />
»Da hast du´s, du st<strong>in</strong>kender Zigeuner, du blöder Aff e.«<br />
»Geh doch zurück nach Swasiland.«<br />
Ȇberleg es dir lieber zweimal, bevor du dich wieder<br />
mit uns anlegst.«<br />
So g<strong>in</strong>g es noch e<strong>in</strong>e Weile weiter, der Zorn des Volkes<br />
war groß, es suchte Rache für die Gräueltaten des nunmehr<br />
gestürzten Despoten. Irgendwann griff der Herzog<br />
von Preußen e<strong>in</strong>, der bisher e<strong>in</strong>en guten We<strong>in</strong> genossen<br />
111
und dem Schauspiel erfreut zugesehen hatte, mit erhobener<br />
Stimme sprach er:<br />
»Me<strong>in</strong>e Freunde, geht lieber Heim und seht nach euren<br />
K<strong>in</strong>dern, just <strong>in</strong> dieser M<strong>in</strong>ute werden sie von maskierten<br />
Landstreichern aus ihren Wiegen entführt, die<br />
Feynde s<strong>in</strong>d unter uns, die Rassen aus den asiatischen<br />
Steppen, bald ist ke<strong>in</strong> Weib mehr sicher vor ihrem übermächtigen<br />
tierischen Trieb, ke<strong>in</strong> Mann vor des Bajonettes<br />
kaltem Stahl.«<br />
Da g<strong>in</strong>gen die Menschen betrübt ause<strong>in</strong>ander, zu<br />
mutlos waren sie, um tatsächlich heimzugehen, stattdessen<br />
setzten sie sich wieder an ihre Tische. Der Herzog<br />
von Preußen aber nahm die Hand des <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Saft daliegenden<br />
Paco, streichelte sie sanft und fl üsterte wie zu<br />
e<strong>in</strong>em sterbenden K<strong>in</strong>d.<br />
Mit Olga im maritim dekorierten Restaurant des Hotels<br />
speisend schnappte Hans-Gert Hübner von e<strong>in</strong>em<br />
Nebentisch die Nachricht vom Missgeschick des verrückten<br />
Zigeuners auf. Wunderbar, endlich konnte er wieder<br />
frei von Angst die Nacht zum Tag machen. Er würde<br />
Olga bei der nächsten Gelegenheit Schlaftabletten <strong>in</strong> den<br />
Fisch reiben und es dem Hotelpersonal überlassen sie<br />
aufs Zimmer zu befördern, während er schon high auf<br />
Pillen die Bars unsicher machte.<br />
Das Fleisch des Rochens glich altem Leder, porös<br />
und dennoch zäh, e<strong>in</strong> unerwarteter Gaumenschmeichler<br />
112
selbst für e<strong>in</strong>en erfahrenen Kenner der Arten. Dazu e<strong>in</strong>en<br />
von Negern gekelterten Landwe<strong>in</strong>, der Herzog von<br />
Preußen fühlte sich <strong>in</strong> jene besseren Tage zurückversetzt,<br />
als er täglich mit se<strong>in</strong>em Gutsverwalter bei ausgewählten<br />
Speisen die Geschäfte des Tages zu besprechen pfl egte.<br />
Er saß mit dem immer noch bes<strong>in</strong>nungslosen Paco<br />
Panso <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dunklen Nische der Bar und plante se<strong>in</strong>e<br />
weiteren Schritte mit Bedacht. Obwohl bisher alles<br />
vortreffl ich gelungen war, durfte man nicht übermütig<br />
werden, Fallstricke und Fußangeln lauerten überall. Das<br />
Grab des Bruders lag seit Jahren unbesucht, der Herzog<br />
ächzte vor Scham bei diesem Gedanken, gleich darauf<br />
aber erboste ihn diese Anwandlung, und zur Strafe stach<br />
er die Gabel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e l<strong>in</strong>ke Hand. Was er tat, geschah ja<br />
nur um des Bruders Willen, wozu also plagte ihn se<strong>in</strong><br />
Gewissen.<br />
Das Blut von der Hand saugend schwor er sich, <strong>in</strong> Zukunft<br />
vernünftiger zu se<strong>in</strong>. Nun galt es zu handeln. Er<br />
warf die Reste se<strong>in</strong>es Mahls Paco Panso <strong>in</strong>s Gesicht, verrieb<br />
sie mit hastigen, brutalen Bewegungen und g<strong>in</strong>g zum<br />
am anderen Ende des Raums gelegen Münzfernsprecher.<br />
»Ja... wenn ich es doch sage... e<strong>in</strong> ganzes Meer brüchiger<br />
Eleganz, ja... me<strong>in</strong> Wort gilt... du wirst es selbst<br />
erleben.«<br />
Nachdem er den Hörer e<strong>in</strong>gehängt hatte, g<strong>in</strong>g der<br />
Herzog forsch ausschreitend auf den Ausgang zu.<br />
113
»Me<strong>in</strong> lieber Herr«, sprach ihn e<strong>in</strong>er der Kellner von<br />
der Seite an, »sie müssen noch zahlen, hohe Kosten s<strong>in</strong>d<br />
entstanden, für die sie aufkommen müssen.«<br />
Solche Impert<strong>in</strong>enz war dem Herzog von Preußen zuwider.<br />
Hatte dieser übelriechende Lakai nichts Besseres<br />
zu tun? Zweifelte er tatsächlich an des Herzogs Absicht,<br />
jegliche Schulden wie e<strong>in</strong> Ehrenmann zu begleichen?<br />
Mit lässigem Schwung warf er genügend Sche<strong>in</strong>e auf den<br />
Boden, um se<strong>in</strong>e Rechnung zwei- oder dreifach zu zahlen.<br />
Geld bedeutete dem Herzog von Preußen nichts mehr,<br />
114
se<strong>in</strong>e Leidenschaft galt nur noch kle<strong>in</strong>en Drahtstücken<br />
und Zweigen.<br />
»Baby, ich hab ´ne Yacht draußen liegen, damit könnten<br />
wir gleich jetzt ´ne schicke Tour machen, verstehste,<br />
wenn du mit mir unterwegs bist, haste alles, da geht<br />
alles klar«, vertraute Hans-Gert Hübner gerade e<strong>in</strong>er<br />
un<strong>in</strong>teressierten scharfen Schnalle an. Er schwebte auf<br />
e<strong>in</strong>em Teppich aus Pillen und Tequila, der ihn für jede<br />
Art von Ablehnung unempfi ndlich machte. Se<strong>in</strong> Weg<br />
hatte ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Disco namens »Blue Sunsh<strong>in</strong>e« geführt,<br />
die trotz der noch frühen Stunde schon gut gefüllt war.<br />
Laute Musik dröhnte aus den Boxen und braungebrannte<br />
Leiber zuckten auf der Tanzfl äche umher. Die Braut,<br />
auf die er e<strong>in</strong>geredet hatte, entdeckte e<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er anderen Ecke des Raums und ließ Hans-Gert e<strong>in</strong>fach<br />
stehen, der im selben Augenblick merkte, dass ihn<br />
die blöde Ziege nur genervt hatte, und dass er jetzt lieber<br />
an die Bar gehen wollte. Dort angekommen kramte er<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Taschen, fand e<strong>in</strong>e noch erfreulich große Menge<br />
Bargeld und schmiss gleich e<strong>in</strong>e Runde für se<strong>in</strong>e hier<br />
versammelten Freunde. Das gab e<strong>in</strong> großes Hallo, alle<br />
strahlten ihn an und beglückwünschten ihn zu se<strong>in</strong>em<br />
weltmännischen Stil. Zwar schien ke<strong>in</strong>er e<strong>in</strong> Wort mit<br />
ihm zu sprechen, aber wahrsche<strong>in</strong>lich konnte er sie nur<br />
wegen der lauten Musik nicht hören.<br />
115
Paco Panso wird man am nächsten Morgen vor der<br />
Bar fi nden, wenn die Sonne ihre Strahlen <strong>in</strong> die weiße<br />
Gasse wirft. Se<strong>in</strong> Schädel wird widerhallen vom vorwurfsvollen<br />
Knattern der Hubschrauber. Was macht dieses<br />
Gehirn hier? Se<strong>in</strong>e Leber wird brummen vom Wodka,<br />
se<strong>in</strong>e Nieren werden zertreten se<strong>in</strong> und se<strong>in</strong>e Rippen<br />
gebrochen. Wie soll er vor den Bauern fl iehen, wenn sie<br />
kommen, um ihn mit Spießen und Sensen zu jagen? Se<strong>in</strong><br />
Pelzmantel wird gestohlen se<strong>in</strong>, und der ist noch nicht<br />
bezahlt. Er wird tief <strong>in</strong> Schuld stehen, wird dienen müssen,<br />
immerh<strong>in</strong> Aufgaben, e<strong>in</strong> Rückschlag zwar, die braunen<br />
Berge, dieser schöne braune Hund wird gegen se<strong>in</strong>en<br />
Brustkorb pissen, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Nase beißen. Davon wird er<br />
erwachen, aufspr<strong>in</strong>gen, wieder stürzen, das Felltier unter<br />
sich begraben und zerdrücken, o weh, die Räder s<strong>in</strong>d<br />
zerbrochen, wer wird sie richten? Er wird sich e<strong>in</strong>ige<br />
Schrauben, Nieten und Platten e<strong>in</strong>setzen lassen müssen.<br />
Olga wird man am nächsten Morgen <strong>in</strong> ihrem Hotelzimmer<br />
kopfüber an die Wand genagelt fi nden. Gebannt<br />
werden die Hotelangestellten vor ihrem nackten, mit<br />
Ruten gepeitschten und mit spitzen Stöcken gestochenen<br />
Leib stehen. dann werden sie sich fragen, wozu man der<br />
alten Frau denn e<strong>in</strong>en Falken <strong>in</strong> den Rachen gestopft hat.<br />
»Seht sie euch an«, wird das Zimmermädchen sagen,<br />
»konnte nicht genug kriegen, das verfaulte Luder.«<br />
Die Sonne wird here<strong>in</strong>strahlen durch die Fenster<br />
und sich brechen <strong>in</strong> den Schorfkristallen auf Olgas Haut.<br />
Man wird ihren Leichnam verbrennen, ihre Asche wird<br />
116
an ihren Alle<strong>in</strong>erben Hans-Gert Hübner übergehen, zu<br />
dessen Gunsten sie am vorangegangenen Abend noch ihr<br />
Testament geändert hatte. Er wird die Asche bis zu se<strong>in</strong>em<br />
gewaltsamen Tod <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lederbeutel unter dem<br />
Bett aufbewahren, denn auch se<strong>in</strong> bester Freund, der<br />
Falke, den aus Olgas Rachen zu entfernen sich als unmöglich<br />
herausstellen wird, wird mit ihr verbrannt und<br />
se<strong>in</strong>e Asche mit der ihren vermischt werden. Beamte<br />
werden den Tatort besichtigen, bald jedoch herausfi nden,<br />
dass nichts von Interesse vorgefallen ist, es wird nicht nötig<br />
se<strong>in</strong> ausgedehnte Befragungen durchzuführen. Sicher<br />
wird man Hans-Gert Hübner verdächtigen, dies se<strong>in</strong>er<br />
Geliebten aus Eifersucht angetan zu haben, aber es kann<br />
zu nichts Gutem führen, zu tief <strong>in</strong> die Privatangelegenheiten<br />
der Menschen e<strong>in</strong>zudr<strong>in</strong>gen, wahrsche<strong>in</strong>lich hat<br />
sie sich dieses Ende gewünscht, das ist nur verständlich.<br />
Hat niemand die Schreie gehört, als man die Nägel durch<br />
Haut, Gewebe, Adern, Knochen trieb? Steckte der Vogel<br />
schon <strong>in</strong> ihr und erstickte die Laute? Ne<strong>in</strong>, die Schreie<br />
waren wohl zu hören, nur konnte niemand etwas dabei<br />
fi nden, die grässliche Vettel schrie ja jede Nacht. Hans-<br />
Gert wird bald nach Deutschland abreisen, um dort von<br />
nun an mit Olgas Erbe e<strong>in</strong> zurückgezogenes Leben zu<br />
führen, das er nur unterbrechen wird, wenn sich besonders<br />
gute Gelegenheiten bieten.<br />
K<strong>in</strong>g Kabeljau trug se<strong>in</strong>en Seehundmantel, Gummistiefel<br />
und e<strong>in</strong>en Südwester. In der Tasche hatte er e<strong>in</strong>en<br />
117
Totschläger für den Fall, dass ihm e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Fe<strong>in</strong>de<br />
begegnete. Se<strong>in</strong>e S<strong>in</strong>ne waren verwirrt durch die Injektion,<br />
die er sich eben gesetzt hatte. Der Treff punkt war<br />
wie üblich im H<strong>in</strong>terzimmer der Spielothek beim Hauptbahnhof,<br />
dort warteten der Fuchslurch und se<strong>in</strong> Vertrauter,<br />
der Herzog von Preußen, sie mussten sich dr<strong>in</strong>gend<br />
um e<strong>in</strong>ige Geschäfte kümmern.<br />
Die Spielothek war voll, Berufsspieler bedienten mit<br />
fasz<strong>in</strong>ierender Geschicklichkeit mehrere Automaten<br />
gleichzeitig und kämpften den ewigen Kampf gegen das<br />
Schicksal, angefeuert von der begeisterten Menge. Kabeljau<br />
trat <strong>in</strong> den Raum, die Menschen drehten sich um,<br />
man fürchtete den Fischmenschen, aber das durfte man<br />
nicht zeigen, denn er war schnell mit dem Totschläger<br />
bei der Hand. Zufrieden schritt Kabeljau zwischen den<br />
Automaten h<strong>in</strong>durch, alle machten ihm höfl ich Platz,<br />
durch das Büro des Managers gelangte er schließlich <strong>in</strong><br />
das H<strong>in</strong>terzimmer, wo er auf se<strong>in</strong>e Geschäftspartner traf.<br />
»Kabeljau, du alter Aal, was läuft? Du siehst super aus<br />
heute«, begrüßte ihn der Fuchslurch <strong>in</strong> der kriecherischen<br />
Art, mit der er dem gefährlichen Fischmenschen<br />
zu begegnen pfl egte. »Du kennst ja schon me<strong>in</strong>en Kumpel,<br />
den Herzog von Preußen, nicht wahr, Scholli, der hat<br />
brandneue Connections für Moderteile klargemacht, wir<br />
sollten da e<strong>in</strong>steigen, sagt mir me<strong>in</strong> Sackgefühl, wir werden<br />
noch e<strong>in</strong>en begraben, bevor es Morgen wird.«<br />
»Dddarhhf cch vvffi lhhejchdtt hhauhucch mhaa<br />
vfasshhhsagghhenh?« meldete sich K<strong>in</strong>g Kabeljau zu<br />
118
Wort, woraufh<strong>in</strong> der Fuchslurch sofort verstummte.<br />
»Whirhh hhmmühüssennm aaihnhenn Rhhighhell<br />
ff horrszhibhn, zsluss mihith dmmh Rhruhumgherheddhhe,<br />
dhuhhu mmhuuhsssdd dddihh Hhhunnhde<br />
llosslssn, dddihh llheibherrh hmühhssnh zzhussmmnnghtraghhn<br />
vfherdnnh.«<br />
»Ja, wir werden die Nummer 1:1 durchziehen«, schaltete<br />
sich der Herzog von Preußen e<strong>in</strong>, »me<strong>in</strong>e Jungs werden<br />
das schaukeln, glaubt mir, wir teilen den Profi t auf,<br />
wenn ihr mir bei dem Deal mit der Schorfbande helft.«<br />
»So hatten wir aber nich gewettet, alter Kumpel, soll<br />
ich dir die Eier abb<strong>in</strong>den?« fragte der Fuchslurch aufgebracht,<br />
»Typen wie dich schmier ich mir aufs Butterbrot,<br />
du Scheißmissgeburt! Kapiert? Und so was passiert mir<br />
mit ´nem alten Kumpel, nee, kannich se<strong>in</strong>, wenn du noch<br />
´n Wort sagst, mach ich dich fertig, du Pissetr<strong>in</strong>ker.«<br />
»Jetze mal halblang«, beschwerte sich der Herzog von<br />
Preußen, »so kanste mich nich anmachen, zu Kaisers<br />
Zeiten hätten wir dich e<strong>in</strong>fach an die Wand gestellt.«<br />
»Aber der Alte ist tot und ich pisse auf se<strong>in</strong>e Knochen.<br />
Es wird Zeit für dich, bald stehste auf der Speisekarte der<br />
Oberen 10.000.«<br />
Der Fuchslurch wollte den Herzog von Preußen schon<br />
mit e<strong>in</strong>er Drahtschl<strong>in</strong>ge erledigen, doch der Fischmensch<br />
erhob abermals se<strong>in</strong> ächzendes Organ:<br />
»Nhnajhnn, rrh vfhirhht nnhss nhocch vvo onnhh<br />
ghehero oßßemmh Nhutsnhh ssajnhh.«<br />
119
Gleich ließ der Fuchslurch von se<strong>in</strong>em Vorhaben ab<br />
und verhandelte stattdessen die Details mit dem Herzog<br />
von Preußen, der nunmehr gerne bereit war, auf jede<br />
Gegenleistung außer dem Schutz des Fischmenschen zu<br />
verzichten.
teil 2: verrat
Welt der Dornen, erscha en durch heimtückischen Verrat,<br />
Endlich nun ist's vollbracht, Ich b<strong>in</strong> zu gUter Letzt verscharrt.<br />
Zahllose Träume hatt Ich, doch ke<strong>in</strong>en, den du mir nicht stahlst<br />
Jeder e<strong>in</strong>e Existenz für sich, ke<strong>in</strong>en für den du nicht noch zahlst<br />
Aus dem geweihten Versteck agiert ohne Unterlaß der Wahn<br />
Trägt h<strong>in</strong>fort die Schlafenden leis <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em verzierten Kahn.
eim kaplan<br />
Die Personenkreise mit denen er zwecks Verkaufs des<br />
Torsos <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung getreten war riefen e<strong>in</strong>e Kette begraben<br />
geglaubter Er<strong>in</strong>nerungen <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gedächtnis zurück,<br />
die ihn jetzt kaum noch losließen. Es gab e<strong>in</strong>e Etappe<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er bisherigen Biographie, die allgeme<strong>in</strong> als<br />
Phase hochgradiger Labilität gedeutet wurde. In diesen<br />
Tagen hatte der Fuchslurch das elterliche Haus verlaßen,<br />
um im pseudoreligiösen Untergrund se<strong>in</strong> Heil zu suchen.<br />
Diesem EntscHlusz war e<strong>in</strong>e langjährige Morphiumsucht,<br />
e<strong>in</strong>e Serie von Exzessen jeglicher Art und die Teilnahme<br />
an e<strong>in</strong>em perfi den Duell vorausgegangen. Kurzum,<br />
e<strong>in</strong>fl ußreiche Mitglieder e<strong>in</strong>es okkulten Geheimordens,<br />
mit denen er während se<strong>in</strong>er Odissee <strong>in</strong> Kontakt<br />
gekommen war, hatten ihn dazu aufgefordert, quasi als<br />
Aufnahmeprüfung <strong>in</strong> ihren Zirkel, den Kaplan des Ortes<br />
im Schutze der Nacht zu erdolchen. Der Ablauf dieser<br />
Mordtat wurde von der Gruppe genau vorgegeben und<br />
war bis <strong>in</strong>s kle<strong>in</strong>ste Detail geplant. Besonders e<strong>in</strong>geschüchtert<br />
war er damals durch den UmstanntH, daß es<br />
nicht damit getan se<strong>in</strong> sollte, den Kaplan zu erstechen,<br />
ne<strong>in</strong> er sollte nach dessen Tode auch noch von se<strong>in</strong>em<br />
Fleisch essen. Man händigte ihm für diese Tat e<strong>in</strong>en speziell<br />
angefertigten Dolch aus, der ihm <strong>in</strong> e<strong>in</strong> schwarzes<br />
Seidentuch gewickelt übergeben wurde. Planmäßig war<br />
der FuchsluRch <strong>in</strong> das Haus des Kaplans e<strong>in</strong>gedrungen<br />
und auf leisen Sohlen zum Schlafzimmer desselben<br />
127
geschlichen. Als er, nachdem er die Schlafzimmertür unbemerkt<br />
geöff net hatte, mit gezücktem Dolch vor dem<br />
schlummernden Kaplan stand wurde ihm klar, daß das<br />
nicht der richtige Job für ihn war, noch nicht. Mit äußerster<br />
Vorsicht verließ er das Schlafzimmer wieder und<br />
schloß behutsam die Tür h<strong>in</strong>ter sich. «Es wird sich schon<br />
jemand fi nden, der dem Kaplan den Garaus macht. Warum<br />
soll ausgerechnet ich das tun?«, dachte er sich, als<br />
ihm auch schon die Idee kam, doch wenigstens im Hause<br />
nach Wertsachen Ausschau zu halten. So manche Schublade<br />
wurde zwecks dieses Vorhabens durchstöbert bis der<br />
Fuchslurch dann kurzerhand entschloß, se<strong>in</strong>en Kollegen,<br />
den Herzog von Preußen herbeizuordern, damit dieser<br />
ihm helfe, die zusammengeraff ten Wertsachen fortzuschaff<br />
en. Hierzu benutzte er das Telefon im Wohnzimmer,<br />
wobei er sich bemühte möglichst leise zu sprechen.<br />
Doch unerfreulicher Weise ließ die Ankunft des Herzogs<br />
auf sich warten. Der Fuchslurch war bei se<strong>in</strong>er Suche<br />
nun unbeabsichtigter Weise <strong>in</strong> das Schlafgemach der<br />
jungen Tochter des Kaplans gelangt. Hier entschied er<br />
abermals Schubladen zu <strong>in</strong>spizieren, während das Mädchen<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bett schlief. Sie war vielleicht achtzehn<br />
Jahre alt, schlank, dunkelhaarig und auf unschuldige<br />
Weise sehr hübsch. Der E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>g sah h<strong>in</strong> wieder aus<br />
den Augenw<strong>in</strong>keln für e<strong>in</strong>en kurzen Moment zu ihr herüber,<br />
fuhr dann aber wieder fort, ergatterte Wertgegenstände<br />
<strong>in</strong>sbesondere Schmuck <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Rucksack zu stopfen.<br />
Das Mädchen aber schlief so tief, daß sie nichts von<br />
128
alledem bemerkte. Ihr l<strong>in</strong>kes Be<strong>in</strong> ragte leicht unter der<br />
Bettdecke hervor, während sie auf der rechten Seite lag.<br />
Das Licht des Mondes schien <strong>in</strong> das Zimmer. Über allem<br />
lag e<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>er silbriger Sche<strong>in</strong>. Der FuChkslurch konnte<br />
se<strong>in</strong>en Blick mittlerweile nur noch schwer von ihr abwenden.<br />
Er wurde immer stärker von e<strong>in</strong>er unbändigen<br />
Geilheit ergriff en, die sich unaufhaltsam se<strong>in</strong>er bemächtigte.<br />
Mehrere M<strong>in</strong>uten stand er wie gebannt vor dem<br />
Bette und starrte wie gefangen auf sie herab. E<strong>in</strong>er ihrer<br />
Arme war unbedeckt und lag angew<strong>in</strong>kelt auf dem Kopfkissen.<br />
Die zarte Hand befvandh sich dicht vor dem Gesicht.<br />
Schritte auf der Veranda durchbrachen die Stille<br />
schlagartig, so daß der Fukslurchh im Nu wieder aufmerksam<br />
die Situation analysierte. Auf leisen Sohlen eilte<br />
er <strong>in</strong>s Wohnzimmer und g<strong>in</strong>g zur gläsernen Verandatür,<br />
h<strong>in</strong>ter der er auch e<strong>in</strong>e sehr vertraute Gestalt<br />
erblickte, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Hand e<strong>in</strong>e Taschenlampe hielt.<br />
Nachdem die Tür behutsam geöff net worden war, trat der<br />
Herzog eiligen Schrittes <strong>in</strong> die gute Stube. Erst jetzt bemerkte<br />
der FuchsLhurchh, daß der Herzog e<strong>in</strong>e mit Orden<br />
besteckte Schärpe <strong>in</strong> den farben des alten Kaiserreiches<br />
trug und e<strong>in</strong>en langen Spieß mit sich führte. «Wo<br />
haste den Wagen geparkt?«, fragte er den Herzog hastig.<br />
«Direkt vor dem Haus.«, war die Antwort. «Bestens! Na<br />
dann mal schnell an die Arbeit, im Flur stehen Plastiktüten<br />
mit Wertsachen, die wir fi x <strong>in</strong>s Auto schaff en müßen.«<br />
«Nichts lieber als das!«, erwiderte der Mann mit<br />
dem Spieß, während er schwungvoll die Verandatür<br />
129
h<strong>in</strong>ter sich zuwarf, so daß sie sich laut knallend schloß.<br />
«Du bist ja wohl der widerlichste Kotzhaufen, den die<br />
Welt gesehen hat!? Was hast Du da für e<strong>in</strong>en Scheißlärm<br />
gemacht, der Pfaff e schläft zwei Zimmer weiter, Du Penner!«,<br />
schrie der Lurchmensch. Kurz darauf g<strong>in</strong>g auch<br />
schon im Flur das Licht an. «Was geschieht hier?!«, rief<br />
e<strong>in</strong>e Stimme, die sowohl Empörung als auch Angst erkennen<br />
ließ. Im Schlafgewandt, e<strong>in</strong> Tränengasspray <strong>in</strong><br />
der Hand haltend kam der Kaplan den Flur entlang geschlichen.<br />
Der Herzog von Preußen reagierte sofort und<br />
lauerte dem Kaplan mit dem Spieß im Anschlag auf.<br />
«Jetzt mal halblang Pope, sonst gibts hier gleich das große<br />
Stechen.«, nahm der Herzog dem Kirchenmanne dann<br />
prompt den W<strong>in</strong>d aus den Segeln. Fassungslos stand der<br />
Kaplan wie angewurzelt, während ihm die eiskalte<br />
Speerspitze von h<strong>in</strong>ten <strong>in</strong> den Nacken gehalten wurde.<br />
Der Herzog von Preußen forderte ihn sodann auch schon<br />
auf, sich <strong>in</strong> die Küche zu bewegen. «So, jetzt aber Marsch<br />
und zwar im 'Stechschritt'.«, hieß es nun. Der LurChgeselle<br />
hatte sich bereits aus dem Wohnzimmer entfernt,<br />
um die Plastiktüten aus dem Flur zu holen und <strong>in</strong> den<br />
Wagen zu br<strong>in</strong>gen. Das war alles <strong>in</strong> allem schnell erledigt.<br />
Da war noch irgendetwas, das hier auf ihn wartete,<br />
das shhpührte der Fuxlorch ¬∞* <strong>in</strong>n tehnGliedern. E<strong>in</strong>zig<br />
und alle<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren E<strong>in</strong>gebung folgend trat er<br />
abermals <strong>in</strong> das Schlafzimmer der grazilen Tochter. Diese<br />
war <strong>in</strong>zwischen erwacht und kauerte sich angsterfüllt<br />
<strong>in</strong> ihrem Bett zusammen. Noch immer lag das gleißende<br />
130
Mondlicht wie e<strong>in</strong> dichter Schleier über allem. Es zeigte<br />
die im Zimmer vorhandenen Gegenständen und das zitternde<br />
Mädchen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em hellblauen Licht. Was hier vor<br />
sich g<strong>in</strong>g, da war der FugzLurch sich voll und ganz sicher<br />
war gar nicht se<strong>in</strong> eigen Selbst. Ehe er sich versah, war er<br />
auch schon über das junge Fräule<strong>in</strong> gebeugt und strich<br />
mit se<strong>in</strong>er Handfl äche über ihren Oberschenkel. So g<strong>in</strong>g<br />
es e<strong>in</strong>e ganze Weile und mit der Zeit wurde ihm klar,<br />
daß er sich selbst überhaupt nicht mehr im Griff hatte.<br />
Energisch hatte er ihr die Bettdecke weggerissen und<br />
war nun zu ihr aufs Bett gekommen. Unterbrochen wurde<br />
der Mißbrauch erst durch ungeduldige Nachfragen<br />
von Seiten des HERZzogs, der der Me<strong>in</strong>ung war, daß<br />
man die Tüten <strong>in</strong> der verstrichenen Zeit bereits dreimal<br />
hätte <strong>in</strong> den Wagen br<strong>in</strong>gen können. «Achh fahr doch<br />
schon mal los, nimm den Gottesmann mit und setze ihn<br />
irgendwo <strong>in</strong> den Wäldern aus. Ich komme dann später<br />
nach.«, erwiderte der Schandlurch. Doch der Herzog hatte<br />
von Natur aus e<strong>in</strong> forsches Wesen und ließ sich nicht so<br />
e<strong>in</strong>fach abwimmeln. «Was hast Du denn da noch großartig<br />
zu schaff en <strong>in</strong> den Zimmern?«, hakte er argwöhnisch<br />
nach. «Hmmh ja, Ich suche immer noch nach dem Wandsafe.«,<br />
wich der Missetäter der Frage aus. «Fahr Du nur<br />
los, nimm die Beute mit und setze den Pfaff en irgendwo<br />
tief <strong>in</strong> den Wäldern aus, so hat alles se<strong>in</strong>e RichtigkkHeid!«,<br />
fuhr eR forth. Der Herzog tat, wie ihm von<br />
se<strong>in</strong>em derzeitigen Vorgesetzten befohlen ohne gr0ßartig<br />
Zeit dabei zu verlieren. Gewiß, e<strong>in</strong> etwas mulmiges<br />
132
Gefühl hatte er bei der ganzen Sache und das lag vor allem<br />
daran, daß der Fuchslurch gänzlich alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> des<br />
Pfaff en Behausung zurückzubleiben gewünscht hatte.<br />
Der Herzog befand die Sonderbarkeit dieses Sachverhaltes<br />
für nichts weiter als die ja nun mittlerweile übliche<br />
Heimlichtuerrei se<strong>in</strong>er beiden Kollegen. Er für se<strong>in</strong>en<br />
Teil konnte und wollte daraus nicht schlau werden. Ja, so<br />
hatte es sich damals verhalten dachte sich der Fuchslorch<br />
und war noch vollkommen vertieft <strong>in</strong> den von ihm wachgerufenen<br />
Strang verdrängter Er<strong>in</strong>nerungen. Exakt<br />
zwölf Tage, nachdem er den Kaplan tief <strong>in</strong> den Wäldern<br />
hatte aussetzen lassen hatte er e<strong>in</strong> Schreiben erhalten,<br />
das zunächst schon e<strong>in</strong>mal deshalb se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit<br />
auf sich zog, weil es ihm <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em für Trauerbriefe<br />
typischen Umschlag zugestellt worden war. Der Wortlaut<br />
der Botschaft: «Vergiss niemals, daß die Wälder niemandem<br />
außer den T0ten gehören und, daß es <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er<br />
der geweihten Sphären Frieden für Leichen und Gebe<strong>in</strong><br />
gibt.« So rätselhaft sich diese Aussage auch für den Leser<br />
darstellen mag, der Fuchslurch begann <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es<br />
recht kurzen Zeitraums die dar<strong>in</strong> enthaltene Intention zu<br />
erahnen. E<strong>in</strong> geheimer Reigen totbr<strong>in</strong>gender Weissagungen<br />
sprach aus dem gottlosen Versteck.<br />
133
der mord an kurbelkurt<br />
Andernorts war ebenfalls e<strong>in</strong>e ungeheuerliche Unternehmung<br />
<strong>in</strong> Planung. Fred war sich dessen bewußt, daß<br />
er sich bei se<strong>in</strong>em neuerlichen Vorhaben nicht den leisesten<br />
Anfl ug von Angst oder Skrupeln erlauben konnte,<br />
wenn er dabei auf gutes Gel<strong>in</strong>gen hoff en wollte. Es bot<br />
sich sozusagen förmlich an, sich am Abend zuvor maßlos<br />
zu betäuben und sich im vorh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> schon auf die Durchführung<br />
re<strong>in</strong> mechanischer Abläufe e<strong>in</strong>zustellen. Klarheit<br />
bestand zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> dem Punkt, daß er nur sehr<br />
wenige Möglichkeiten hatte, Personen aus den Reihen<br />
se<strong>in</strong>er Gegner zu schädigen. Das Beste wäre es wahrsche<strong>in</strong>lich,<br />
e<strong>in</strong> Manöver gegen KurbelKurt e<strong>in</strong>zuleiten,<br />
der nun schon seit e<strong>in</strong>igen Tagen h<strong>in</strong>ter ihm herspionierte,<br />
um ihn zu ermorden und dadurch <strong>in</strong> den Genuß e<strong>in</strong>er<br />
saftigen Prämie von Seiten K<strong>in</strong>gKabeljaus zu gelangen.<br />
Es stand außer Frage, daß Kabeljau die Mehrzahl se<strong>in</strong>er<br />
Schergen ebenfalls mit diesem Auftrag betraut hatte und<br />
nun <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er Verstecke auf die Erfholkznachhicht<br />
wartete. Zunächst hielt sich Fred für e<strong>in</strong>e Weile <strong>in</strong> der<br />
heruntergekommenen Kellerbehausung e<strong>in</strong>es Kumpels<br />
auf und nahm abwechselnd Psychopharmaka und Morphium<br />
zu sich. Als der von ihm ausgewählte Zeitpunkt<br />
zum Aufbruch auf schleichende Weise ernüchternd nah<br />
herangerückt war, holte er die Waff e, die er sich zwei<br />
Tage zuvor besorgt hatte hervor, legte sie vor sich auf<br />
den Tisch und betrachtete sie e<strong>in</strong>e Zeitlang. E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e<br />
135
silberne Baretta 8mm, geeignet für Schüsse aus kurzer<br />
Distanz, handlich und leicht zu verbergen. So weit war es<br />
jetzt also gekommen ; e<strong>in</strong> verzweifelter und gescheiterter<br />
Mensch, e<strong>in</strong>e Pistole und e<strong>in</strong> Mordplan. «Ich könnte es alles<br />
viel leichter haben. «, dachte sich Fred. «Bräuchte nur<br />
durchzuladen, mir den Lauf an den Kopf zu halten und<br />
abzudrücken. Und aller Schmerz, alle Schreckgesp<strong>in</strong>ste<br />
wären dah<strong>in</strong>. «Doch so sollte das hier nicht ablaufen, hier<br />
war e<strong>in</strong> andersgeartetes F<strong>in</strong>ale zu <strong>in</strong>szenieren,wenn man<br />
nicht e<strong>in</strong>en durchweg von Selbstmitleid und Resignation<br />
triefenden Abgang zur Schau stellen wollte. Somit war<br />
e<strong>in</strong> richtungsweisender Entschluß gefaßt, woraufh<strong>in</strong><br />
Fred die mittlerweile geladene und entsicherte Waff e<br />
mit demonstrativer Teilnahmslosigkeit e<strong>in</strong>steckte und<br />
sich auf den Weg machte. Den Jaguar, den er für e<strong>in</strong>en<br />
exaltierten Künstler, der auf großem Fuß lebte, nachmittags<br />
hätte <strong>in</strong> die Waschanlage fahren sollen, jedoch<br />
nicht zurückgebracht hatte, ließ er nun mit e<strong>in</strong>em gewißen<br />
Anfl ug von Nervenkitzel an und lenkte ihn aus der<br />
Parklücke. Im Süden der Stadt gab es e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Cafe',<br />
<strong>in</strong> welchem KurbelKurt h<strong>in</strong> und wider verkehrte. Wie <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er durchschnittlichen Detektivgeschichte parkte Fred<br />
den Wagen auf dem Parkplatz, von welchem aus er den<br />
Ort problemlos beobachten konnte. Die Tat an sich vollbrachte<br />
er vollkommen mechanisch, be<strong>in</strong>ahe absolut automatisiert.<br />
Seit Wochen hatte er sich das Ablaufschema<br />
<strong>in</strong> allen se<strong>in</strong>en Facetten vor Augen gehalten, im Geiste<br />
durchgespielt und e<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>er Ansicht nach lückenlosen<br />
136
Plan dazu entworfen. Kurbelkurt war mit e<strong>in</strong>em anderen<br />
Typen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Nebenzimmer des Cafes gegangen, um dort<br />
über e<strong>in</strong>en Drogendeal zu verhandeln. Beide von ihnen<br />
führten e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Aktenkoff er mit sich. E<strong>in</strong>e Weile<br />
wartete Fred noch ab, da er hoff te der andere Mann<br />
würde den Raum wohlmöglich wieder verlassen. Mit der<br />
Zeit wurde ihm jedoch immer klarer, daß er, wenn er<br />
diese Chance nicht verschenken wollte auf beide schießen<br />
mußte. Er blieb jedoch immer noch auf se<strong>in</strong>em Stuhl<br />
sitzen und betastete die geladene Pistole, die sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Manteltasche befand. In allen E<strong>in</strong>zelheiten stellte er<br />
sich noch e<strong>in</strong>mal vor, wie es se<strong>in</strong> würde, wenn er jetzt<br />
langsam aufstehen und unauff ällig durch die Tür <strong>in</strong>s Nebenzimmer<br />
gehen würde, beide erschießen, die Koff er an<br />
sich nehmen und durch den H<strong>in</strong>terausgang verschw<strong>in</strong>den<br />
würde. Er würde sich noch e<strong>in</strong>en Moment sammeln<br />
und konzentrieren, um dann die Aktion möglichst reibungslos<br />
h<strong>in</strong>ter sich zu br<strong>in</strong>gen. Plötzlich spürte er, wie<br />
se<strong>in</strong> Körper sich quasi ganz von selbst aus dem Stuhl erhob<br />
und sich auf die Tür zubewegte. Er durchschritt sie<br />
und begann sofort, ebenfalls völlig automatisch, damit<br />
auf Kurt zu schießen. Zwei Schüsse feuerte er kurz h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>ander<br />
auf ihn ab und wandte sich dann ohne auch<br />
nur e<strong>in</strong>e Sekunde zu zögern der anderen Person zu, der er<br />
ohne große Umschweife <strong>in</strong> die Leistengegend schoß. Der<br />
e<strong>in</strong>e Koff er war bereits geöff net, so daß Fred das vermutete<br />
Bargeld zu Gesicht bekam. Kaum hatte er den Koff er<br />
geschloßen, war er auch schon mit beiden Koff ern zum<br />
137
H<strong>in</strong>terausgang h<strong>in</strong>ausgeeilt. Er huschte über den Parkplatz<br />
schnurstracks auf das Auto zu, riss die Wagentür<br />
auf und schleuderte beide Koff er auf den Rücksitz. Danach<br />
hielt er für e<strong>in</strong>en kurzen Moment <strong>in</strong>ne, wagte nicht<br />
sich zu regen, denn er war der Ansicht, daß er von irgendwoher<br />
beobachtet wurde. In vielen Krim<strong>in</strong>alfi lmen<br />
war es so, daß wenn der Mörder sich vollends selbstsicher<br />
fühlte und kurz vor dem Entr<strong>in</strong>nen stand, dann wurde<br />
er gestellt und se<strong>in</strong> Plan fi el <strong>in</strong> sich zusammen, wie e<strong>in</strong><br />
Kartenhaus.<br />
Doch das hier war die schäbige Realität, da mußte<br />
man sich um jeden Preis zusammenreißen, so dachte<br />
FrEd als er den Zündschlüssel umdrehte, den Wagen<br />
startete, kurz darauf schwungvoll aus der Parklücke<br />
h<strong>in</strong>aussetzte und wild davonfuhr. Nach e<strong>in</strong>er knappen<br />
Stunde Autofahrt war er an e<strong>in</strong>em Waldstück angelangt,<br />
wo er aufgrund e<strong>in</strong>er ihn plötzlich überw<strong>in</strong>denden Erschöpfung<br />
anhielt. E<strong>in</strong>e unüberw<strong>in</strong>dbare Müdigkeit<br />
stieg nun <strong>in</strong> ihm auf und er beschloß, sich für e<strong>in</strong>e Weile<br />
auf die Rückbank des Wagens zu legen und e<strong>in</strong> wenig zu<br />
schlafen. Sofort versank er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en tiefen und schweren<br />
Schlaf. Er hatte e<strong>in</strong>en Traum,<br />
138
übergabe<br />
Es war tief <strong>in</strong> der Nacht und draußen tobte e<strong>in</strong> stürmisches<br />
Gewitter, als der Herrzog entschloß, noch e<strong>in</strong>mal<br />
aufzubrechen. Namentlich g<strong>in</strong>g es um e<strong>in</strong>e geheime<br />
Siegesfeier des kabljauKlans. Vom Fenster aus sah er, wie<br />
es draußen blitzte und donnerte und wie der Regen <strong>in</strong><br />
Strömen h<strong>in</strong>abgoß. Ihm war von Seiten des FuchslUrchs<br />
angeboten worden, daß Jessica ihn mit dem Wagen zu<br />
Hause abholte, da dies bedeutend bequemer sei. Der<br />
preußische Herzog hatte jedoch dankend abgelehnt. Der<br />
Grund dafür war, daß er sich <strong>in</strong> den letzten Tagen nicht<br />
mehr völlig sicher war, ob er noch voll und ganz mit<br />
der strategischen L<strong>in</strong>ie des k<strong>in</strong>gs übere<strong>in</strong>stimmte. Jetzt<br />
g<strong>in</strong>g es darum, sich klar und deutlich zu positionieren,<br />
ohne sich dabei zu sehr vom Fuksllyrch bee<strong>in</strong>fl uszn zu<br />
laßn. E<strong>in</strong> hsolchher Bee<strong>in</strong>fl ussungsfaktor war auch Jess<br />
und genau deshalb wollte er nicht von ihr abgeholt werden.<br />
Er wollte vermeiden, daß der Fuchslurch die Möglichkeit<br />
erlangte, ihn für se<strong>in</strong>e Zwecke zu <strong>in</strong>strumentalisieren.<br />
Langsam zog er se<strong>in</strong>en langen schwarzen Mantel<br />
an, suchte den Autoschlüßel aus der Manteltasche hervor<br />
und setzte sich <strong>in</strong> Bewegung. Er war schon an der Haustüre<br />
angelangt, daviel ihm e<strong>in</strong>, daß er noch etwas vergessen<br />
hatte. Noch e<strong>in</strong>mal schritt er auf dierektem Wege<br />
zum Schreibtisch, wo er aus e<strong>in</strong>er Schublade e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e<br />
verzierte Schattulle herausnahm, diese behutsam öff nete<br />
und die garstige kle<strong>in</strong>e Bronzefi gur hervorholte, die e<strong>in</strong>st<br />
141
Fred besessen hatte. Irgendwie konnte er nicht umh<strong>in</strong>,<br />
dieses verme<strong>in</strong>tliche Kle<strong>in</strong>od noch e<strong>in</strong>mal zu betrachten.<br />
An der Figur war irgendetwas, das ihn zutiefst beunruhigte.<br />
Hastig steckte er sie <strong>in</strong> die Manteltasche und<br />
beschloß nicht weiter über diesen merkwürdigen Gegenstand<br />
nachzudenken. Schnellen Schritts eilte er nun<br />
wieder zur tür und verließ das Haus. Kurze Zeit später<br />
hörte man, wie se<strong>in</strong> Wagen angelaßen wurde und schon<br />
sah man den Herzog davonbrausen. Dicke Regentropfen<br />
klatschten ihm auf die W<strong>in</strong>dschutzscheibe, während die<br />
Scheibenwischer im Eiltempo arbeiteten. Das Sche<strong>in</strong>werferlicht<br />
spiegelte sich auf bizarre Weise auf der überfl<br />
uteten Straße. Und wieder begannen diese unsäglichen<br />
Gedanken, vom Geiste des hErzogs Besitz zu ergreifen.<br />
Auf e<strong>in</strong>mal waren ihm die SchrheKnsvysionen K<strong>in</strong>g kabljaus<br />
den Zwill<strong>in</strong>g betreff end seltsam vertraut, es hatte<br />
den Ansche<strong>in</strong>, als sei dieses Phantom e<strong>in</strong> Wesen, welches<br />
<strong>in</strong> den letzten Tagen heufhich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Hause e<strong>in</strong> unndh<br />
ausz gegangen sey. Fest stand jedenfalls, daß er nicht<br />
mehr derselbige war wie dEr welcher eR gewesen war<br />
bevor er die unglückselige Figur bey sich aufbewahrte.<br />
In der Nacht hatte er von schaurigen Zwergen geträumt,<br />
die des Nachts aus dem Unterirdischen Reich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />
Behausung kamen, um ihm Botschaften aus der Schattenebene<br />
zu überbr<strong>in</strong>gen. Sie hattn leEre ausdruckslose<br />
Augen, welchen die Pupillen fehlten und sprachen mit<br />
den Stimmen seyner liebn verstorbenen Verwandten zu<br />
ihm. Auch der Körper war <strong>in</strong> veränderter Gestalt unter<br />
142
den Unheilszwergen, die ihn hheymsuchten. Ke<strong>in</strong>e ruhige<br />
M<strong>in</strong>ute hatte er mehr gehabt, seit er diese verhexte<br />
Figur bei sich aufbewahrte. In regelmäßigen Abständen<br />
wachte er mitten <strong>in</strong> der Nacht schweißgebadet auf. Sobald<br />
er auch nur e<strong>in</strong> Auge geöff net hatte, blickte er <strong>in</strong> die<br />
leeren Augen der Geisterzwerge, die gescharrt um se<strong>in</strong><br />
Bett standen und ihn anstarrten. Die eisige Hand e<strong>in</strong>es<br />
teufl ischen Fluchs lag über ihm und den verwahrlosten<br />
Grabstätten se<strong>in</strong>er verstorbenen Verwandten. Ihre Stimmen<br />
aber, die waren ihm jetzt durch den grauenhaften<br />
Zauber allgegenwärtig. Sie formten verletzende Worte,<br />
die durch die Münder der s<strong>in</strong>istren Zwerge wie spitze<br />
Dolche <strong>in</strong> die Stille des Schlafgemachs stachen. Jeder<br />
noch so beherzte Mensch mußte da e<strong>in</strong>fach überwältigt<br />
von Furcht und Ekel die Nerven verlieren. Doch jetzt saß<br />
er am Steuer se<strong>in</strong>es Wagens und war auf dem Weg zum<br />
fi schmann, wo er <strong>in</strong> Kürze ankommen würde. Er würde<br />
ihm die Figur übergeben und hätte es gerade noch e<strong>in</strong>mal<br />
geschaff t, die Situation wieder <strong>in</strong> den Griff zu bekommen.<br />
Dicke Tropfen prasselten nur so herab. Die re<strong>in</strong>ste<br />
Waschküche war das. Der Herzog mußte die Geschw<strong>in</strong>digkeit<br />
deutlich verr<strong>in</strong>gern. Was war denn bloß zu tun<br />
mit dieser bösartigen M<strong>in</strong>iaturstatue? Behalten wollte er<br />
sie nimmermehr, um ke<strong>in</strong> Geld <strong>in</strong> der Welt. Gegen den<br />
verheerenden Grabeszauber war den Se<strong>in</strong>igen ke<strong>in</strong> Kraut<br />
gewachsen. Es wäre e<strong>in</strong> Leichtes die Figur dem Fukslurche<br />
zuzuspielen, doch wäre dieses e<strong>in</strong> frappierender<br />
Aff ront gegen den Fischmenschn. Aber was sollten diese<br />
143
närrischen Überlegungen, es waren allerhöchstens noch<br />
zehn M<strong>in</strong>uten Autofahrt, dann war er am Ziel, würde<br />
dem FisChmann das Objekt übergeben und alles würde<br />
gut werden. Zusammengekauert saß er am Steuer, den<br />
Blick starr auf die vor sich liegende Straße gerichtet, als<br />
er plötzlich e<strong>in</strong> Geräusch h<strong>in</strong>ter sich wahrnahm. Es war<br />
ihm nicht klar, wo genau das besagte Geräusch erzeugt<br />
worden war, doch glaubte er sich an e<strong>in</strong> leises Rascheln<br />
aufv tehmhRükksitz zu er<strong>in</strong>nern. Da er es nicht wagte,<br />
sich direkt umzuwenden, warf er e<strong>in</strong>en blick <strong>in</strong> den<br />
Rückspiegel. Doch wie vom Schlage getroff en fuhr er sofort<br />
zusammen, zu schlimm das Bild, das sich, wenn auch<br />
nur für Sekundenbruchteile, se<strong>in</strong>en Augen geboten hatte.<br />
Das durfte e<strong>in</strong>fach nicht se<strong>in</strong>, das konnte nicht angehen,<br />
daß die Gestalt, die dort nun auf dem Rücksitz se<strong>in</strong>es Wagens<br />
saß se<strong>in</strong> schon seit Jahren verstorbener Bruder war.<br />
Nur unter Anstrengung all se<strong>in</strong>er Nerven, unter Sammlung<br />
all se<strong>in</strong>en Mutes brachte es der HERZzok fertig, sich<br />
umzudrehen und die Ersche<strong>in</strong>ung direkt anzusehen. Und<br />
Allmächtiger, tatsächlich, es war der, von dem anzunehmen,<br />
daß er es sey der Herzog nicht gewagt hatte. Er war<br />
hierher gelangt, wie der Körper <strong>in</strong>s Unterirdische Reich.<br />
Vermutlich war es nur e<strong>in</strong>e S<strong>in</strong>nestäuschung, die sich auf<br />
nervliche Überlastung zurückführen ließ. Der Fahrer<br />
hatte nun e<strong>in</strong>e Weile unter enormer seelischer Anspannung<br />
ausgeharrt und gehoff t, alles möge sich wieder zum<br />
Guten wenden, die gespennsterhafte Gestalt würde verschw<strong>in</strong>den,<br />
er würde se<strong>in</strong>e Beherrschung zurückerlangen<br />
144
und würde später vielleicht e<strong>in</strong>e ganz logische Erklärung<br />
für den Vorfall fi nden. Dem war aber nicht so. Be<strong>in</strong>ahe<br />
e<strong>in</strong>en Schock erlitt der Ehrenmann, als er die Ersche<strong>in</strong>ung<br />
mit der Stimme se<strong>in</strong>es toten Bruders sprechen hörte.<br />
«Mit der Figur machst du für mich alles nur noch viel<br />
schlimmer.«, erklang es <strong>in</strong> ernstem Tone. «Bedenke wohl,<br />
daß wenn wir ke<strong>in</strong>en Frieden fi nden, dann wirst auch<br />
du ke<strong>in</strong>e Ruhe fi nden!« Im nächsten Moment war die<br />
Gestalt des verblichenen Bruders ebenso schnell wieder<br />
verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Es dauerte jedoch<br />
noch sehr lange, genaugenommen mehrere Monate,<br />
bis der HeRzog diesen Vorfall halbwegs verarbeitet hatte.<br />
Zunächst fuhr er am ganzen Körper zitternd und mit<br />
starrem Blick weiter se<strong>in</strong>em Ziel entgegen. Die Siegesfeier<br />
als solche war ihm so gleichgültig wie die Quizsendungen<br />
im alltäglichen Nachmittagsprogramm. Ihm g<strong>in</strong>g es<br />
e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> darum, diese vermaledeite Bronzefi gur<br />
endlich und hoff entlich e<strong>in</strong> für alle Mal los zu werden. Zu<br />
guter Letzt war dann das entlegene Landhaus schließlich<br />
erreicht. man erwartete den Herzog bereits seit e<strong>in</strong>iger<br />
Zeit. Von e<strong>in</strong>em Bediensteten wurde er <strong>in</strong> das Landhaus<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gelassen. Der Mantel wurde ihm abgenommen,<br />
bevor <strong>in</strong> den Salon geführt wurde. dort wurde der Hertz-<br />
Sog schon von kabljau erwartet, der ihn eilig begrüßte<br />
und sogleich nach der Figur fragte, die ihm auch ohne<br />
große Umschweife überreicht wurde.<br />
145
weisser dampfer<br />
e<strong>in</strong>es, und das verlieh se<strong>in</strong>em wesen e<strong>in</strong>e gespenstische<br />
verbissenheit, das wusste k<strong>in</strong>g kabljau ganz genau,<br />
dass nämlich das schicksal vom kosmos, ja, von den gestirnen<br />
und ihren positionen zue<strong>in</strong>ander bestimmt wurde.<br />
im großen und ganzen waren die lebenden da ziemlich<br />
machtlos, mit e<strong>in</strong>er klitzekle<strong>in</strong>en ausnahme war das<br />
so. mit ausnahme der vier dunklen kulte, die aus dem<br />
zentrum des unterirdischen reichs heraus operierten. die<br />
taten der k<strong>in</strong>g kabeljau-schergen waren heilige arzneien<br />
aus diesem düsteren kab<strong>in</strong>ett.<br />
Für Fred boten sich Handlungsoptionen nun nur<br />
noch <strong>in</strong> sehr beschränktem Umfang, zumal se<strong>in</strong>e momentane<br />
Situation alles <strong>in</strong> allem doch recht ausweglos<br />
erschien. Die Tragik se<strong>in</strong>es bevorstehenden Niedergangs<br />
hatte schon zu Lebzeiten begonnen, ihn schwer zu bedrücken.<br />
Seit dem rätselhaften Verschw<strong>in</strong>den von Yasm<strong>in</strong><br />
war es Schritt für Schritt immer weiter bergab mit ihm<br />
gegangen.<br />
§1<br />
§2<br />
147
Der Körper war <strong>in</strong> der Nacht an Bord befördert worden.<br />
Die H<strong>in</strong>termänner des Komplotts hatten den Kapitän<br />
entführt und ihn durch den Körper ersetzt. Auf diese<br />
Weise sollte das Unterirdische Reich se<strong>in</strong>en schaurigen<br />
Tribut erlangen. Die Steuerkontrolle über das pompöse<br />
Schiff lag nun <strong>in</strong> den Händen e<strong>in</strong>er Kreatur, die <strong>in</strong>nerlich<br />
ausgehöhlt war. Doch h<strong>in</strong>ter der Fassade entseelter<br />
Willenlosigkeit verbarg sich die eisige Klaue e<strong>in</strong>es dämonischen<br />
Pr<strong>in</strong>zips. Noch ungeachtet dieses teufl ischen<br />
Schattens rückte der Zeitpunkt der Festlichkeiten auf<br />
dem weißen Dampfer näher und näher.<br />
Auf dem Podest lag e<strong>in</strong> purpurnes Polster, darauf<br />
war der fürchterliche Rumpf gebettet. Wie e<strong>in</strong> makaberes<br />
Heiligtum hatte man den Torso <strong>in</strong> dieser bösartigen<br />
Kammer aufgebahrt. Die tote Haut strahlte e<strong>in</strong>en<br />
scheußlichen Glanz ab, wahrsche<strong>in</strong>lich war der Rumpf<br />
gesalbt oder mit e<strong>in</strong>er Art Öl bestrichen worden. Rückschlüsse<br />
darüber, wer der Tote denn se<strong>in</strong> könne, ließen<br />
sich aufgrund des e<strong>in</strong>zig als Fragment vorliegenden Kadavers<br />
nicht ziehen.<br />
148<br />
§3<br />
§4
Es waren nun zwei ganze Tage verstrichen, seitdem<br />
der Fuchslurch se<strong>in</strong>e Mission erfolgreich beendet hatte.<br />
Er hielt sich jetzt <strong>in</strong> dem Hotelzimmer auf, das er zwei<br />
Tage zuvor gemietet hatte. Jazz hatte er ebenfalls <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Hotelzimmer unterbr<strong>in</strong>gen lassen und ihr aufgetragen,<br />
sich möglichst unauff ällig zu verhalten. Er selbst<br />
beabsichtigte für e<strong>in</strong>e Weile ungestört zu bleiben, nicht<br />
nach draußen zu gehen und sich ausschließlich se<strong>in</strong>er<br />
Intuition und se<strong>in</strong>en Tagträumen h<strong>in</strong>zugeben. Se<strong>in</strong> neuer<br />
Auftrag bestand ja nun dar<strong>in</strong>, Fred und den Zwill<strong>in</strong>g<br />
zu elim<strong>in</strong>ieren, wobei er selbst sich momentan nicht <strong>in</strong><br />
der Lage fühlte, diese Instruktion auszuführen. Deshalb<br />
hoff te er auf Erfolgsmeldungen von Seiten se<strong>in</strong>er Untergebenen,<br />
die er mittlerweile alle auf Fred und den Zwill<strong>in</strong>g<br />
angesetzt hatte. Doch das Mobiltelephon hatte <strong>in</strong><br />
den letzten zwei Tagen nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal gekl<strong>in</strong>gelt.<br />
zuhause angekommen war das erste, was k<strong>in</strong>g kabeljau<br />
tat, die fi gur <strong>in</strong> der schweren eichentruhe zu deponieren.<br />
auch wenn sich der fi schmann zunächst außerordentlich<br />
erfreut über die geheimnisvolle fi gur gezeigt hatte,<br />
wurde das geme<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e objekt zunehmend mit bedenken<br />
betrachtet. e<strong>in</strong>e reihe fürchterlicher vorfälle hatte<br />
§5<br />
§6<br />
149
hierfür den anlass gegeben. angefangen hatte alles damit,<br />
dass er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er wohnung e<strong>in</strong>e seltsame kraft spürte.<br />
Am zweiten tage wurde er erstmalig der leichenzwerge<br />
gewahr, die se<strong>in</strong> quartier von diesem zeitpunkt an heimsuchten.<br />
schieres entsetzen, maßlose furcht ergriff en k<strong>in</strong>g<br />
kabeljau von da an. wie im fi eberwahn lag er <strong>in</strong> jenen<br />
nächten im eignen schweiße gebadet. wenn alles ganz<br />
still war und man die augen fest verschlossen hielt, dann<br />
hörte man durch die wände schweres atmen, widerwärtiges<br />
gefl üster der zwerge.<br />
Es war bestimmt e<strong>in</strong>e Feierlichkeit zu werden, die den<br />
Wiener Opernball blass und farblos aussehen lassen sollte.<br />
Prom<strong>in</strong>ente Gäste aus aller Welt waren angereist und<br />
hatten sich <strong>in</strong> den umliegenden Luxushotels e<strong>in</strong>quartiert.<br />
Jetzt war der große Tag gekommen, an welchem sie den<br />
glamourösen weißen Dampfer betreten würden. Zur Begrüßung<br />
war zunächst e<strong>in</strong> aufwendiges Sektfrühstück<br />
angesetzt. Der Dampfer war über alle Maße h<strong>in</strong>aus geschmückt<br />
und verziert. Das Personal war auff ällig sonnengebräunt<br />
und trug weiße Uniformen mit goldenen<br />
Knöpfen. Die ersten Gäste hatten das Schiff schon betreten,<br />
zahllose sollten ihnen noch folgen.<br />
150<br />
§7
Die lethargische Stille wurde unsanft durch den<br />
Kl<strong>in</strong>geltons des Mobiltelefons zerschnitten. Am anderen<br />
Ende der Leitung war wieder e<strong>in</strong>mal K<strong>in</strong>g Kabeljau, der<br />
den Fuchslurch <strong>in</strong> sehr direkter Weise dazu auff orderte,<br />
sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Geschäft für Bergsteigerausrüstung zu begeben<br />
und dort e<strong>in</strong>ige D<strong>in</strong>ge zu kaufen. Als der FuchslUrch<br />
nach dem Grund hierfür fragte, erfuhr er, dass es e<strong>in</strong><br />
nicht ganz harmloser Auftrag war, den er auszuführen<br />
haben würde. Es war die Rede davon, dass er sich während<br />
e<strong>in</strong>es allgeme<strong>in</strong>en Tumultes auf e<strong>in</strong>em Dampferschiff<br />
auf das selbige aus e<strong>in</strong>em Hubschrauber abzuseilen<br />
hatte. Die Besorgungen standen im Zusammenhang mit<br />
der Abseilaktion. Ohne lang zu zögern machte er sich auf<br />
die Socken, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen,<br />
wobei die Frage, was Jazz <strong>in</strong> dieser Zeit tun würde,<br />
noch völlig off en war.<br />
Alles, was sich <strong>in</strong> diesem Raum befand, schien e<strong>in</strong>e<br />
verborgene Bedeutung zu haben, die mit se<strong>in</strong>em Leben<br />
zusammenh<strong>in</strong>g, gleichzeitig erschien jedoch e<strong>in</strong>e Kette<br />
von Welten zwischen ihm und der Aufschlüsselung dieser<br />
Semantik zu liegen.<br />
§8<br />
§9<br />
151
E<strong>in</strong>e auf erschütternde Weise feierliche Atmosphäre<br />
lag wie e<strong>in</strong> pechschwarzer Schleier über dieser Kammer.<br />
Irgendetwas trug Freds Geist h<strong>in</strong>fort aus dem unterirdischen<br />
Reich, während se<strong>in</strong> Körper immer mehr Ähnlichkeit<br />
mit e<strong>in</strong>er ste<strong>in</strong>ernen Statue bekam.<br />
152<br />
§10<br />
In zweierlei H<strong>in</strong>sicht auff ällig war auch e<strong>in</strong>e Person,<br />
die etwas abseits von den übrigen Gästen an der Tafel<br />
saß. Zum e<strong>in</strong>en machte es Fred stutzig, dass er von dem<br />
alarmierenden Gefühl befallen wurde, diese Person irgendwoher<br />
zu kennen, sie zum<strong>in</strong>dest schon mehrfach zu<br />
Gesicht bekommen zu haben. Er konnte den Zusammenhang<br />
nicht rekonstruieren, doch es schwang etwas bei<br />
dem Anblick dieser Person mit, dass e<strong>in</strong>e unbestimmte<br />
Angst <strong>in</strong> ihm hervorrief. Zum anderen fi el der Mann<br />
durch se<strong>in</strong> ansatzweise skurriles Äußeres auf, er trug<br />
e<strong>in</strong>e alte Offi ziersuniform aus der Kaiserzeit, deren Brust<br />
über und über mit fl eckigen, teilweise beschädigten Orden<br />
und Abzeichen bedeckt war. Se<strong>in</strong> Auftreten war von<br />
e<strong>in</strong>er Überheblichkeit gekennzeichnet, wie man sie sogar<br />
<strong>in</strong> diesen Kreisen nur höchst selten vorfi ndet.
«Ne<strong>in</strong>, das ist ganz und gar ausgeschlossen, Du hast<br />
mit hundertprozentiger Sicherheit ke<strong>in</strong>en Zwill<strong>in</strong>gsbruder.<br />
Komm endlich mal von diesem irren Film runter!«<br />
Dieser Satz, der fast schon <strong>in</strong> das Mobiltelefon h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />
geschrien wurde, ließ sie abermals aufschrecken. »ÄòAch<br />
so, jetzt weiß ich, was Du me<strong>in</strong>st. Ne<strong>in</strong>, ke<strong>in</strong>e Sorge, der<br />
Fred wird so schnell wie möglich erledigt. Na und, selbst<br />
wenn es noch e<strong>in</strong>en Zwill<strong>in</strong>g gibt, was hat das denn mit<br />
uns zu tun?«<br />
«dherh swhillh<strong>in</strong>g ihhst mha<strong>in</strong> nhiehhdaghhanhg!«,<br />
antwortete k<strong>in</strong>g kabeljau ganz und gar außer sich. dann<br />
legte er ganz langsam den telefonhörer auf und stand<br />
e<strong>in</strong>e weile <strong>in</strong>s leere starrend wie verste<strong>in</strong>ert vor dem<br />
schreibtisch. er wagte es nicht die augen auf die stelle zu<br />
richten, an welcher er die grausige gestalt erblickt hatte.<br />
§11<br />
§12<br />
Mit den Nerven fast am Ende eilte er ihr nach und<br />
hatte sie be<strong>in</strong>ahe e<strong>in</strong>geholt, als sie unvermittelt <strong>in</strong>nehielt<br />
und sich ihm zuwandte. Sie griff nach se<strong>in</strong>er Hand und<br />
legte ihm etwas h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, bevor sie sich blitzschnell wieder<br />
umdrehte und <strong>in</strong> demselben Tempo wie zuvor fortg<strong>in</strong>g.<br />
Fred war fest entschlossen gewesen ihr zu folgen, doch<br />
153
fühlten sich se<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>e jetzt unnatürlich schwer an, sodass<br />
er sich ke<strong>in</strong>en Zentimeter von der Stelle bewegen<br />
konnte. Se<strong>in</strong> Blick wurde nun jedoch von dem gefangen,<br />
was er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er rechten Hand hielt; zum e<strong>in</strong>en der kle<strong>in</strong>en<br />
Bronzefi gur und zum anderen e<strong>in</strong>em Polaroid. Auf<br />
dieser Photographie war e<strong>in</strong> pompöser weißer Dampfer<br />
zu sehen, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Meer aus Blut schwamm. Wie verste<strong>in</strong>ert<br />
stand er da und verlor sich <strong>in</strong> dem abgebildeten<br />
Motiv. Dabei kam jegliche Relation zu Raum und Zeit<br />
absolut abhanden, für e<strong>in</strong>e nicht klar e<strong>in</strong>grenzbare Weile<br />
war er bei den schlafenden Seelen, der Leblosigkeit ganz<br />
nahe.<br />
154<br />
§13<br />
und es war <strong>in</strong> jener nacht, dass dem gevatter kabeljau<br />
zum ersten mal im traume der zwill<strong>in</strong>g erschien.<br />
wahrhaftig, das war e<strong>in</strong> allzu garstiges schauspiel, e<strong>in</strong><br />
schreckensbild, e<strong>in</strong> portrait tiefster niedertracht. als sei<br />
der leichenpapst persönlich <strong>in</strong> ihn gefahren, schnellte der<br />
gezeichnete abkömml<strong>in</strong>g aus dem hause tägert aus se<strong>in</strong>em<br />
bett, das ihm nun eiskalt erschien, und schmetterte<br />
jäh zu boden. diese begegnung war ihm derartig <strong>in</strong> die<br />
zitternden glieder gefahren, dass er e<strong>in</strong>e volle stunde regungslos<br />
auf den eiskalten fl iesen des fußbodens zubrachte.<br />
als er sich wieder halbwegs gefasst hatte, eilte er ohne<br />
umschweife zum telefon und wählte hastig die nummer
se<strong>in</strong>es kollegen und vertrauten, der dem kultivierten<br />
schachspiel sehr zugetan war. Jener befand sich schon<br />
wieder auf Reisen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Automobil mit der jungen<br />
Dame auf dem Beifahrersitz. Er hatte die Sonnenblende<br />
h<strong>in</strong>unter klappen müssen, da ihn der Lichtpegel der visá-vis<br />
stehenden Sonne geblendet hatte. Er streifte se<strong>in</strong>e<br />
Begleiter<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em beiläufi gen Blick, während er das<br />
Telefongespräch entgegennahm.<br />
§14<br />
Jahre waren dah<strong>in</strong> gestrichen, seit Fred an diesem<br />
Orte lebendig umhergestrichen war, noch mehr Jahre<br />
war es her seit den jüngeren, glücklicheren Tagen. Doch<br />
waren die mit ihm <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehenden Schw<strong>in</strong>gungen<br />
auch <strong>in</strong> dieser Nacht noch nicht geschwunden,<br />
im Gegenteil, sie verliehen der abendlichen Atmosphäre<br />
Abgründe tiefsten Schmerzes. Freds jetzige Wesensform<br />
als Schattenzwill<strong>in</strong>g war jenseits der irdischen Materie<br />
zu e<strong>in</strong>em mächtigen Energiefeld angewachsen, e<strong>in</strong>er<br />
posthumen Kraft, die über die Spiegelebene ihre dämonischen<br />
Splitteridentitäten <strong>in</strong> die so schnell zerfallende<br />
reale Welt schickte. Rache, Vergeltung, Totensühne waren<br />
die e<strong>in</strong>zigen Triebkräfte dieser geisterhaften Macht.<br />
E<strong>in</strong> letztes Mal wurden <strong>in</strong> den Wäldern tiefe Gruben<br />
ausgehoben, gegraben von jenen, die gestrauchelt und<br />
155
dieser Welt entglitten waren und nun, wie vom Wahn<br />
getrieben, nach Zugängen zum Verborgenen, zum Unterirdischen<br />
Reich suchten. E<strong>in</strong> allerletztes Mal noch würde<br />
sich der Unheilsschlund auftun, um dem Erdenreich die<br />
Insignien des letzten Tages preiszugeben.<br />
In den Straßen, auf den Wegen, auf den Plätzen, <strong>in</strong><br />
den Gassen, überall herrschte völlige Stille.<br />
156<br />
§15<br />
Das Geschrei der <strong>in</strong> Panik verfallenen Besatzung<br />
wurde noch immer <strong>in</strong> unregelmäßigen Abständen von<br />
Schüssen übertönt.<br />
Der Helikopter stand jetzt ganz dicht über der auf<br />
dem Hauptdeck stattfi ndenden Massenhysterie <strong>in</strong> der<br />
Luft. Abrupt wurden mit e<strong>in</strong>er Masch<strong>in</strong>enpistole immer<br />
wieder Salven auf die tobende Menge abgefeuert.<br />
Überall auf dem Dampfer lagen Tote und Verletzte<br />
übere<strong>in</strong>ander auf dem Boden und auf den Treppen.<br />
§16<br />
An der Stelle, an der der Gang e<strong>in</strong>e Biegung machte,<br />
waren fade Schatten an der Wand zu sehen. Sie schienen<br />
sich blitzartig zu bewegen und es war nicht auszumachen,
wodurch sie erzeugt wurden. Gebeugt näherte er sich<br />
jetzt schleichend der Ecke, die e<strong>in</strong>e außergewöhnliche<br />
Rolle zu spielen schien. Die Gesprächssequenzen wurden<br />
sogleich lauter und waren besser zu verstehen. E<strong>in</strong>e der<br />
Stimmen stach aus dem Gewirr heraus, diese Stimme<br />
hatte er schon e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben gehört. Sie äußerte<br />
Sätze wie:<br />
«Zur rRuhe kommn kann icHh szo nichft. … Dher<br />
Tzwill<strong>in</strong>k mussz nocHh häUte Nacht ühber die Klijnnghe<br />
sprr<strong>in</strong>ghn!«<br />
§17<br />
Fred war es durch e<strong>in</strong>e Reihe von Tricks gelungen,<br />
e<strong>in</strong>e Anstellung als Kellner auf dem Dampfer zu bekommen.<br />
Irgendetwas hatte ihn auf magische Weise zu diesem<br />
prunkvollen Schiff h<strong>in</strong>gezogen. Das Bild des weißen<br />
Dampfers war ihm seit se<strong>in</strong>em schauderhaften Traum<br />
unauslöschlich im Gedächtnis geblieben. Er glaubte felsenfest<br />
zu wissen, dass dieser Dampfer e<strong>in</strong>e Schlüsselfunktion<br />
<strong>in</strong>nerhalb der schicksalhaften Geschichte, <strong>in</strong><br />
die er verstrickt war, erfüllte.<br />
Se<strong>in</strong>e Tätigkeit nahm ihn jedoch so sehr <strong>in</strong> Anspruch,<br />
dass er gar ke<strong>in</strong>e Zeit hatte, über die rätselhafte Verknüpfung<br />
se<strong>in</strong>es Traumes mit diesem Dampfer nachzus<strong>in</strong>nen.<br />
Wie so oft erschien ihm auch die hier vorherrschende<br />
Szenerie durchweg irreal und absurd, überhaupt hatte er<br />
157
<strong>in</strong> den letzten fünf Tagen kaum Zeit gefunden, die unglaubliche<br />
Masse verschiedener und vor allem belastender<br />
E<strong>in</strong>drücke <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Weise zu verarbeiten. Die<br />
erforderlichen Arbeiten verrichtete er wie e<strong>in</strong>e mechanische<br />
Apparatur.<br />
In dieser H<strong>in</strong>sicht hatte er jetzt e<strong>in</strong>e erschreckende<br />
Ähnlichkeit mit dem Körper.<br />
158<br />
§18<br />
Der Herzog hielt sich gerade <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kab<strong>in</strong>e auf, als<br />
das Signal ertönte, welches den Auftakt zum Angriff auf<br />
die Besatzung des Dampfers gab. Das zerlegbare Präzisionsgewehr<br />
hatte er bereits zusammengesetzt und begann<br />
nun damit es zu laden. In beiden Manteltaschen deponierte<br />
er jeweils e<strong>in</strong>e Nebelgranate, die Innentasche wurde<br />
mit Ersatzmagaz<strong>in</strong>en gefüllt. Der lange dunkelblaue<br />
Mantel blieb geöff net, sodass die weiße Uniformweste<br />
mit den Orden zu sehen war. Langsam öff nete er jetzt<br />
die Tür der Kab<strong>in</strong>e und riskierte e<strong>in</strong>en vorsichtigen Blick<br />
h<strong>in</strong>aus. E<strong>in</strong>en Moment verharrend lauschte er angestrengt<br />
den gedämpften Geräuschen, die vom Oberdeck<br />
here<strong>in</strong>drangen. Zu hören waren Schüsse und panisches<br />
Geschrei.<br />
Im H<strong>in</strong>tergrund vernahm man leiser Geräusche, die<br />
von dem Propeller e<strong>in</strong>es Hubschraubers erzeugt wurden.
Mit gezückter Handfeuerwaff e eilte nun der Herzog auf<br />
leisen Sohlen zum Ort des Geschehens. Das Präzisionsgewehr<br />
trug er über die Schulter gehängt. Zunächst begab<br />
er sich mit dem Aufzug zum Oberdeck, öff nete abrupt die<br />
schwere Metalltür und schleuderte sogleich e<strong>in</strong>e Nebelgranate<br />
h<strong>in</strong>aus. Im Schutze des Rauchs nahm er dann<br />
se<strong>in</strong>e Position auf dem Deck e<strong>in</strong>. Behutsam griff er das<br />
Gewehr und zielte.<br />
Er hatte schon e<strong>in</strong>e ganze Reihe von gezielten Schüssen<br />
auf e<strong>in</strong>zelne Gäste abgefeuert, als er Fred <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
unübersichtlichen Getümmel zu erblicken glaubte. Da<br />
kam es dann auf e<strong>in</strong>en besonders exakten Schuss an. Das<br />
erste Mal seit Beg<strong>in</strong>n der gesamten Aktion verspürte der<br />
Herzog e<strong>in</strong>en Anfl ug von Nervosität. E<strong>in</strong> dichter Schleier<br />
legte sich über se<strong>in</strong> Sichtfeld, sodass es immer schwieriger<br />
wurde, auf die nur noch undeutlich erkennbare Gestalt<br />
zu zielen. Ohne sich weiterh<strong>in</strong> beirren und blenden<br />
zu lassen, feuerte der Herzog dann <strong>in</strong> kurzer Folge zwei<br />
Schüsse ab. Den dritten Schuss gab er auf e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der<br />
Schussl<strong>in</strong>ie befi ndliche Person ab, die sogleich wankend<br />
zu Boden g<strong>in</strong>g. Dort, da vorn, da war wieder die Gestalt,<br />
bei der es sich höchstwahrsche<strong>in</strong>lich um Fred handelte.<br />
Abermals wurde der Abzug betätigt, doch was war das?<br />
Anstelle e<strong>in</strong>es Schusses war nur e<strong>in</strong> metallisches Klicken<br />
zu hören. Hastig kramte er e<strong>in</strong> neues Magaz<strong>in</strong> hervor, zog<br />
das leere heraus und legte das neue e<strong>in</strong>.<br />
Die Gestalt aber war nirgendwo mehr auszumachen.<br />
159
162<br />
die geburt des schattenzwill<strong>in</strong>gs<br />
Der Herrzog von Preußen machte sich just <strong>in</strong> dieser<br />
unglückseligen Nacht <strong>in</strong> altbekannter Heimlichkeit auf<br />
die leisen Sohlen, verließ schleichend se<strong>in</strong> Anwesen, g<strong>in</strong>g<br />
<strong>in</strong> die Garage, öff nete bedächtig den Koff erraum se<strong>in</strong>es<br />
Automobils und legte e<strong>in</strong>ige für die bevorstehende Unternehmung<br />
wichtige Utensilien, als da wären, e<strong>in</strong> Seil,<br />
e<strong>in</strong>en Kletterhaken, e<strong>in</strong>e Taschenlampe, sowie e<strong>in</strong>en zusammenklappbaren<br />
Camp<strong>in</strong>gstuhl und e<strong>in</strong>e Opiumpfeife.<br />
Daraufh<strong>in</strong> schloß er den Koff erraum und setzte sich<br />
ans Steuer. Beim Friedhof angelangt parkte er den Wagen<br />
vorsichtig unweit der Stelle, an welcher er gedachte<br />
die ste<strong>in</strong>erne Mauer zu erklimmen und zu überschreiten.<br />
Nachdem dies geschehen war, machte er sich prompt daran,<br />
mit Hilfe des Lichtkegels se<strong>in</strong>er Taschenlampe nach<br />
dem Familiengrab zu suchen. Knisternd und raschelnd<br />
wateten se<strong>in</strong>e Schritte durch das Herbstlaub und die<br />
herabgefallenen Äste und Zweige. Wie e<strong>in</strong>e verbotene<br />
Stätte erschien der Friedhof nun im fahden Lichte der<br />
Taschenlampe. H<strong>in</strong> und wieder wirbelte e<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>zelte<br />
W<strong>in</strong>dbrise e<strong>in</strong>ige Laubblätter auf und trug sie e<strong>in</strong> Stückchen<br />
durch die Luft, ehe sie sie wieder seicht zu Boden<br />
gleiten ließ. Stets fühlte man sich an diesem Orte beobachtet,<br />
ertappt. Schließlich hatte er das Familiengrab<br />
gefunden und blickte für e<strong>in</strong>e Weile andächtig auf den<br />
mit Flechten bewachsenen Grabste<strong>in</strong>, bevor er se<strong>in</strong>en<br />
großen RucKsack langsam abnahm und den Klappstuhl
163
herausholte, welchen er dann auch sofort aufklappte und<br />
sich daraufsetzde. Gleich darauf nahm er se<strong>in</strong>e antiquierte<br />
Opiumpfeife zur Hand, kramte e<strong>in</strong>iGe Rauchutensilien<br />
aus der Tasche se<strong>in</strong>es Frackes hervor und begann<br />
damith die Pfeyfe zu stopfhn. Schwerfällig fi ng er dannnach<br />
an das im Pfeifenkopf befi ndliche Opium zu rauchen.<br />
E<strong>in</strong> süßlicher Dunst breitete sich um ihn herum<br />
aus und die Rauchschwaden umhüllten die Grabstätte,<br />
wie e<strong>in</strong> Nebelschleier. Mit gelangweiltem Gesichtsausdruck<br />
erzeugte er Rauchkr<strong>in</strong>gel und blies diese <strong>in</strong> die<br />
Luft, die ihn umgab. Kraftlos stellte er die Pfeife zu guter<br />
Letzt l<strong>in</strong>ks neben sich auf den Boden, faltete die Hände<br />
wie zum Gebet, schloß die Augen und vertiefte sich<br />
mehr und mehr. Das Rauschempfi nden griff allmählich<br />
auf se<strong>in</strong>en ganzen Körper über und half ihm, sich von<br />
der re<strong>in</strong> physischen Wahrnehmung zu lösen, um sich<br />
mental für die Schw<strong>in</strong>gungen jenseitiger Energien und<br />
Genien zu sensibilisieren. Er fühlte sich jetzt, als säße er<br />
auf e<strong>in</strong>er gigantischen Schaukel, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gänzlich<br />
monotonem Rythmus h<strong>in</strong> und her pendelte. Er wurde<br />
schleichend Schritt für Schritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en absonderlichen<br />
Halbschlafzustand getragen, aus dem er <strong>in</strong> bestimmten<br />
Abständen wieder und wieder erwachte und sich abermals<br />
auf der Schaukel wiederfand. Sah er dann h<strong>in</strong>ab, so<br />
war nirgendwo Grund zu sehen, nur endlos verschachtelte<br />
Nebelgebilde. Vor dem <strong>in</strong>neren Auge des Herzogs<br />
verschwamm alles zu e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen nebelartigen Oberfl<br />
äche, <strong>in</strong>nerhalb welcher sich verschiedenfarbige Gase<br />
164
Dem Fuchslyrch wars mulmig, wie er so verstohlenen<br />
Schrittes durch die Gassen schritt, ohne eigntljch<br />
zu wissen, wie es nun weitergehen sollte. Seyne heilige<br />
Schuldigkeit, die hadte er bei Leibe erbracht, die schlimme<br />
Pfl icht. Der luRchmann mussjedz schnell fl iehn, aber<br />
woh<strong>in</strong>, wenn der Verfolger jeden Zufl uchtsort kennt, jede<br />
Strategie aufdeckt, keyn Schlupfl och off en lässt? Stundenlang<br />
wandelte eR umHerr, ohne die D<strong>in</strong>ge um ihn<br />
herum wahrzunehmen. Für e<strong>in</strong>e knappe M<strong>in</strong>ute war er<br />
dann noch <strong>in</strong> seyner Wohnung, <strong>in</strong> aller Vorsicht versteht<br />
sich und auch nur um auf die Schnelle e<strong>in</strong>ige Ampullen<br />
des Hundehormonz e<strong>in</strong>zustecken, welches er täglich<br />
zu sich nahm. Jetzt hadte eR e<strong>in</strong>e besonders hohe Dosis<br />
davon nötig, um nicht zu resignieren. E<strong>in</strong> bitterer beißender<br />
Geschmack ist das, der bei der E<strong>in</strong>nahme des<br />
Präparats den Körper durchdr<strong>in</strong>gt. Ihm war, als sey eR<br />
an jenem Orte, e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Waldlichtung, angelangt,<br />
an welcher e<strong>in</strong>st das Duell stattgefunden hatte. Ganz<br />
deutlich sah der FuksLurch sich selbst noch e<strong>in</strong>mal den<br />
tödlychen Schuß abfeuern. Die Farbe des Himmels ist<br />
schon im Begriff sich von mittlerem dunkelblau <strong>in</strong> hellblau<br />
zu verwandeln. Dort, wo der Himmel den Horizont<br />
berührt ist er schon hellblau, durchsetzt von e<strong>in</strong>em leichten<br />
rötlichen Sche<strong>in</strong>. Eynsam steht der morsche Hochsitz.<br />
Und tatsächlich fand sich der vom Hundegott getriebene<br />
Mann wieder an eben dieser Stätte. Das Ewige Leben,<br />
das zu besitzen er geglaubt hatte seit jenem Tage an<br />
dem se<strong>in</strong> Leben die heilige Wendung genommen hatte,<br />
165
zu mischen schienen. Bis zu e<strong>in</strong>em gewißen Grad konnte<br />
man jedoch durch diese Oberfl äche h<strong>in</strong>durchblicken und<br />
sehen, das zwischen dem zerborstenen Schutt e<strong>in</strong>er trostlosen<br />
Gerölllandschaft auf allen Vieren menschenähnliche<br />
Wesen umherkrochen. Konzentrierte man sich ganz<br />
stark darauf, dann bemerkte man, daß es Engel waren,<br />
deren Flügel so verbrannt waren, daß nur noch jämmerliche<br />
Stümmel zu erkennen waren. Ihre Gesichter waren<br />
ebenfalls versengt. Durch alle Sphären h<strong>in</strong>durch, durch<br />
die Mauern des Vergessens hörte man die grausigsten<br />
Klagegesänge. Ohne irgendwelche Vorzeichen erschien<br />
das Abbild des Schattenzwill<strong>in</strong>ghs <strong>in</strong>mitten der dichten<br />
Rauchschwaden vor den Augen des HeRtsoghs. Niemals<br />
zuvor hatte er Ihn erblickt, nur aus Erzählungen wußte<br />
er von Seyner Existenz, an die er bis vor e<strong>in</strong>igen Wochen<br />
nicht e<strong>in</strong>mal geglaubt hatte, er hatte sie für e<strong>in</strong>e Wahnprojektion<br />
des Fischmenschen gehalten. Doch nun waren<br />
alle Zweifl h<strong>in</strong>weggewischt. Es war trotz des Lichtpegels<br />
der Taschenlampe und des vorher noch hellen Mondlichts<br />
stockdunkel geworden auf dem e<strong>in</strong>samen Kirchhofe.<br />
Der Anblick des SchaTtenzwill<strong>in</strong>gs war beileibe zu<br />
viel für den Herzog, wie vom Schock erfaßt, ja als sei der<br />
Leichenpapst selbst <strong>in</strong> ihn h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gefahren saß er kerzengrade,<br />
starr vor Angst. Licht g<strong>in</strong>g jetzt e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong><br />
von der unheilvollen ersche<strong>in</strong>ung aus. Erst jetzt bemerkte<br />
der Herzog, das der Zwill<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>en metallernen Gegenstand<br />
mit sich führte, der ihm wohl bekannt war. An<br />
e<strong>in</strong>er Halskette h<strong>in</strong>g die niederträchtige Bronzefi gur, die<br />
166
erschien ihm jedzt nicht mehr sicher. Für die jenseits des<br />
Irdischen liegenden Mächte hatte der FuchslurCh se<strong>in</strong>e<br />
Schuldigkeit getan. Auf unbewußte Weise zog es ihn zu<br />
eben jener Stelle, an welcher damals das Duell stattgefunden<br />
hatte. Im Geiste g<strong>in</strong>g er Stück für StyKk noch<br />
eynmal jede eiNzelne Etappe dieses so lang zurückliegenden<br />
Ereignisses durch. Der Kopf ist jedzt schwer wie Blei,<br />
die GeDANKen gleiten <strong>in</strong> Form verschwommener Bilder<br />
und fi lmartigEn Sequenzen dah<strong>in</strong>. In weiter Ferne erkl<strong>in</strong>gt<br />
eyn Pistolenschuß, se<strong>in</strong> Echo hallt <strong>in</strong> den Wäldern<br />
wider. Sekunden später fällt erneut e<strong>in</strong> Schuß. Scharen<br />
von Vögeln fl iegen aufgeschreckt empor bevor eyne Person<br />
be<strong>in</strong>ahe lautlos zu Boden fällt. Stille. Es hat schwer<br />
gehalten mit der Lässigkeyt jener Tage. Wenige Stunden<br />
hatte es nur dauern sollen, dann war jeder Bauste<strong>in</strong><br />
seynes vorherigen Existenzgefüges rücksichtslos aus den<br />
Fugen gerissen worden. Die folgende Zeit stand unter<br />
dem Zeichen des neuerschafFenen Wesens, der Symbiose<br />
von FuChs und Lyrch. Zerfl ückte Identitäten zeichneten<br />
seyn Antliz, erschütternde Missionen und Aufträge hatte<br />
er ausgeführt und Rauschzustände tiefster Religiösität<br />
erfahren. Schreiend formte eyne wohlbekannte Stimme<br />
irgendwo <strong>in</strong> der Nähe jetzt plötzlich se<strong>in</strong>em Namen<br />
und rüttelte ihn auf aus se<strong>in</strong>er retrospektivischen Selbstanalyse.<br />
ER hatte ihn aufgespührt, K<strong>in</strong>g Kabljau hatte<br />
wahrlich nicht lange gebraucht, um dieses Versteck zu<br />
fi nden. Doch wie anders erschien ihm dieser K<strong>in</strong>g Kabeljau<br />
von jenem, welchen eR zu kennen geglaubt hatte als<br />
167
der Herzog über alles haßte und von der er immer gehoff<br />
t hatte, er müsse sie nimmermehr wiedersehen. Doch<br />
was geschah hier? Er verspürte e<strong>in</strong>en unüberw<strong>in</strong>baren<br />
Sog, der ihn mit immer größer werdender Kraft erfaßte.<br />
Der Zwill<strong>in</strong>g streckte Seyne Arme zu beiden Seiten aus,<br />
als wolle Er den HERZog zur Begrüßung umarmen und<br />
schon tauchten nache<strong>in</strong>ander lichte durchsche<strong>in</strong>ende<br />
Personen aus dem Dunkel auf, die er sofort als se<strong>in</strong>e toten<br />
Verwandten identifi zierte. Sie bewegten sich auf ihn zu<br />
streckten ihre Arme aus und ließen fl ehende Gesichtsausdrücke<br />
erkennen. Doch wie durch e<strong>in</strong>e massive Glaswand<br />
schien er von ihnen abgeschirmt zu se<strong>in</strong>. Mit e<strong>in</strong>em Male<br />
wurden die Gestalten se<strong>in</strong>er ihm so teuren Verwandten<br />
h<strong>in</strong>fortgewischt. Vor sich erblickte der morbide Herzog<br />
nun e<strong>in</strong>e gähnende Leere, die ihn, wie ihm schien, <strong>in</strong> die<br />
Unendlichkeit blicken ließ. Es war jetzt jeddochh nicht<br />
mehr die eigene Perspektive aus der er alles betrachtete,<br />
sondern die eyner ihm fremden Existenz. «Fahre herab!<br />
Fahre herab ¬∞und tue der geheimen Weissagung Genüge,<br />
verwische alle Spuren, verbrenne den Handtlanger<br />
bis <strong>in</strong> die siebente Generation und br<strong>in</strong>ge Schande über<br />
die Grabstätten seyner Vorfahren! Ausgehobenh werden<br />
mögen ihre Gräber im Sche<strong>in</strong> des vollen Mondes, hervorgeholt<br />
IhR jämmerliches Gebe<strong>in</strong>, auf daß niemand<br />
Frieden fi nde zu Lebeszeiten und gar weniger noch nach<br />
der Todesstundt. Heyliger Tzwill<strong>in</strong>gh, lege den Bann<br />
der Schatten über die erdolchte Hundebrut!« Auswurfartig<br />
erklangen diese Worte des Zwill<strong>in</strong>gsfl uches aus<br />
168
den altvertrauten Kollegen von der Zeitbeschäftigung:<br />
Dieser k<strong>in</strong>gkabljau glich vielmehr e<strong>in</strong>er von Götzenhand<br />
geführten Marionette. Geschw<strong>in</strong>dt eilte der fukslurch<br />
auf den morschen alten Hochsitz zu, wobei se<strong>in</strong> Widersacher<br />
ihm eilig folgte. Fest umklammert hielt der Fuchs-<br />
Lurch den Knauf se<strong>in</strong>es edlen Spazierstockes, be<strong>in</strong>ahe<br />
so, als wyrde dijser ihm Kraft spenden. Dicht gefolgt<br />
von se<strong>in</strong>em Widersacher kletterte der Gejagte die brüchigen<br />
Holzsprossen des Hochsitzes empor, wobei er h<strong>in</strong><br />
und wieder hiebartige Schläge mit zseynem Spazierst0ck<br />
ausführte. Und diese Attacken verfehlten ihr Ziel <strong>in</strong> der<br />
TaT nNur knapp, beirrten den Verfolger dennoch kaum.<br />
Die Spr0ssen knackten, als wuerden Sie jedn M0ment<br />
entzwei brechen. Als dann der FuxLurch oben angelangt<br />
war, drehte er sich blitzschnell um und ließ den<br />
Spazierstock abermals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schlagenden Bewegung<br />
nijderRfhff ahren. Mit nicht zu unterschätzender Wucht<br />
traf der Knauf den Fischmann am Schädel so, daß dieser<br />
noch bevor eR überhaupt die Sprossen gänzlich emporgeklettert<br />
war <strong>in</strong>s Straucheln geriet. Derweil hadte der<br />
Lyrch schon den Knauf des Stockes ergriff en und zog nun<br />
die lange dünne Kl<strong>in</strong>ge heraus. Kaum war dies geschehen,<br />
war seyn Gegner auch schon oben angelangt und<br />
versuchte krampfhaft die Hand, welche die verhängnisvolle<br />
Waff e führte zu ergreifen. Die andere Hand holte<br />
<strong>in</strong>dessen aus der Tasche se<strong>in</strong>esz Frackes die abgebrochene<br />
rostige Spitze e<strong>in</strong>er Harpune hervor, doch bevor Kabeljau<br />
überhaupt die Gelegenheit hatte, damit zuzustechen,<br />
169
dem verzerrten Munde se<strong>in</strong>es toten Gr0ßfhathers. Die<br />
Zuckungen se<strong>in</strong>es leblosen Leibes waren e<strong>in</strong> Zeugnis<br />
der posthumen Qualen, denen er auszgesetzd war. Unter<br />
schauerhaften Verrenkungen verfi el der liebe Großfhater<br />
dann endlich zu Staub. Trügerische Ruhe setzte von<br />
diesem Moment an e<strong>in</strong>. Dem Herzog reichte es fürs Erste.<br />
Schleunigst würde er diesem verwunschenen Ort den<br />
Rücken kehren. Der Schattenzwill<strong>in</strong>g aber hatte das Tor<br />
durch welches eR endgültig <strong>in</strong> die irdische Ebene gelangen<br />
konnte gefunden. Ke<strong>in</strong> Ritual des K<strong>in</strong>g Kabeljau<br />
Zirkels würde ihn jemals wieder zurück <strong>in</strong> die Sphäre<br />
jenseits der Spiegel schicken können. Der Herzog selbst<br />
hatte dem Schattenwesen unwissentlich dazu verholfen,<br />
sich auf jenem entlegenen Gottesacker als mächtiger Genius<br />
zu manifestieren. Die Seele des toTen Gr0ßfhathers<br />
bildete letztlich das Vehikel zum E<strong>in</strong>treten <strong>in</strong> das reale<br />
Geschehen. Noch lange nachdem der Herzog fl uchtartig<br />
das Friedhofsgelände verlassen hatte fl ackerte e<strong>in</strong> grelles<br />
bläuliches Licht <strong>in</strong>mitten der trostlosen Stätte.<br />
170
hatte der FuChslurch se<strong>in</strong>erseits blitzschnell zugestochen.<br />
E<strong>in</strong> Schwall warmen Blutes sch0ss fonta<strong>in</strong>enartig<br />
aus der Wunde. E<strong>in</strong> stechender Schmerz durchfuhr die<br />
Schulter von Kabljau, der se<strong>in</strong>erseits unter Bündellung<br />
all seyner Energien zustach. Be<strong>in</strong>ahe Gleichzeitig führte<br />
auch seyn Gegner n0ch e<strong>in</strong>e letzte Attacke aus: E<strong>in</strong> Stich,<br />
der den Hals kabljaus durchbohrte. Die rostige Spitze von<br />
K<strong>in</strong>g KabEljaus Harpune aber drang exakt <strong>in</strong> das Herz<br />
des Fukslurchs. Auf diese Weise hatte die Laufbahn des<br />
Fuchslurches ihr jähes und grausames Ende gefunden,<br />
doch auch um den Gevatter kabeLjau war es mitnichten<br />
viel besser bestellt. K<strong>in</strong>g Kabeljaus Geist war <strong>in</strong>s Koma<br />
gefallen aus dem er mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit niemals<br />
wieder erwachen wyrde.<br />
171
<strong>in</strong> <strong>feierlicher</strong> <strong>atmosphäre</strong><br />
das vermächtnis des manfred brocke<br />
1. auflage: 250 exemplare<br />
hrsg.: h. arend, e. keil, r. schmidt, a. trumpf<br />
papier: munken pr<strong>in</strong>t cream 125g/m 2<br />
schrift: walbaum mt std, meta+<br />
satz und druck<br />
rhe<strong>in</strong>-<strong>verlag</strong>, 2013<br />
birkenstraße 99<br />
h<strong>in</strong>terhof<br />
40233 düsseldorf<br />
telefon: +49 (0)211 16369605<br />
e-mail: <strong>in</strong>fo@rhe<strong>in</strong>-<strong>verlag</strong>.com<br />
http://www.rhe<strong>in</strong>-<strong>verlag</strong>.com
wieder herzustellen und so<br />
weitere bruchstücke freizulegen.<br />
es bleibt festzuhalten,<br />
dass der »verrat« <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
momentanen zustand als<br />
spekulativ bezeichnet werden<br />
muss, gleichwohl soll<br />
er dem »leichenterror« zur<br />
seite gestellt werden, auf<br />
dass beide teile vom leser<br />
<strong>in</strong> ihrer unvollkommenen<br />
gänze wahrgenommen werden<br />
können. die zahlreichen<br />
liebevollen illustrationen<br />
basieren auf überlieferten<br />
visionen e<strong>in</strong>es vertrauten<br />
brockes, der <strong>in</strong>zwischen<br />
ebenfalls verschiedenen ist.<br />
manfred brocke, e<strong>in</strong>er der<br />
letzten autoren überhaupt,<br />
lehrt, die sche<strong>in</strong>bar unerträgliche<br />
last der geschichte<br />
mit e<strong>in</strong>er an der oberfläche<br />
verborgenen leichtigkeit auf<br />
sich zu nehmen. umfassendes<br />
empf<strong>in</strong>den <strong>feierlicher</strong><br />
<strong>atmosphäre</strong> hat mit dem<br />
autor die welt verlassen, <strong>in</strong>dessen<br />
die abschließende<br />
auflösung jener kommenden<br />
generationen vorbehalten<br />
bleibt. dennoch lässt<br />
sich schon jetzt erahnen,<br />
wie anders die konzeption<br />
von glück <strong>in</strong> diesem denken<br />
aus der zwischenschicht<br />
ist. dies muss umso mehr<br />
bee<strong>in</strong>drucken, als brocke<br />
sie durch ausschließlich abwärtslaufendehandlungsstränge<br />
zu exponieren versteht.<br />
obwohl er se<strong>in</strong> leben<br />
<strong>in</strong> den langen jahren des<br />
leidens mehr und mehr unter<br />
die oberfläche verlegen<br />
musste, gelang es brocke<br />
hochaktuell zu bleiben.<br />
ausgehend von sche<strong>in</strong>bar<br />
harmlosen schulhofbanalitäten<br />
entsp<strong>in</strong>nt sich<br />
e<strong>in</strong> übergreifendes netz,<br />
das von der unterwelt bis<br />
<strong>in</strong> höchste gesellschaftsschichten<br />
und gar durch die<br />
zeit h<strong>in</strong>durch reicht. die dargestellten<br />
zusammenhänge<br />
s<strong>in</strong>d von e<strong>in</strong>deutig transponierter<br />
plausibilität, so dass<br />
dieses werk zu recht als<br />
neues seelengift bezeichnet<br />
wird.<br />
im w<strong>in</strong>ter 2012
K<strong>in</strong>g Kabeljau, der se<strong>in</strong> Telefongespräch mittlerweile beendet<br />
hatte, war nun aufgestanden und von der Seite unbemerkt an<br />
den Ober herangetreten. Dieser zuckte erschrocken zusammen,<br />
als er plötzlich e<strong>in</strong>e Hand auf se<strong>in</strong>er Schulter spürte. »Wasz den<br />
Sörvisz betriffft, da verlaszn wir unzs ganzs auff Zsii«, flüsterte<br />
der düstere Schutzpatron dieser entrückten Sekte, während er<br />
dem Ober gönnerhaft e<strong>in</strong>ige Hundertmarksche<strong>in</strong>e zusteckte.