Chinas Agrarreform - in Zeiten der globalen Finanzkrise

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Gegenwärtig hat die Volksrepublik jedoch bereits mit dem Problem zu kämpfen, dass sich die landwirtschaftlich nutzbare Ackerfläche im Jahr 2007 um 610.000 Mu auf 1,826 Milliarden (123,7 Millionen ha) reduzierte. 25 Der Bestand liegt damit nur noch knapp über der nun festgelegten Untergrenze. Darüber hinaus kündigte der Vize-Minister für Land und Ressourcen Lu Xinshe am 3.12.08 an, dass man angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftsflaute zugunsten dieser Untergrenze kurzfristig nicht auf die im Rahmen des Konjunkturprogramms beschlossenen Investitions-projekte verzichten möchte. „We have such a small amount of time, a huge amount of investment and many projects that have to get off the ground. [...] These factors will definitely put some enormous pressure on farmland preservation, threatening our bottom line. Our overall policy is ... that if conflicts of interest emerge over the taking of a large piece of land ... it will be taken if necessary. But we will protects the farmers interest“, so der Vize- Minister weiter. In einer Mitteilung des Ministeriums an seine Mitarbeiter wurde mitgeteilt, dass es vorübergehend sogar erlaubt werde, ohne offizielles Landnutzungs-Zertifikat Investitionsprojekte zu beginnen. Im Zweifelsfall könne sogar geschütztes Ackerland übernommen werden. 26 Die in dem Kommuniqué angekündigten „strengen Auflagen“ für das Ackerland- Sicherheitssystem scheinen somit bis auf weiteres auf Eis gelegt worden zu sein. Der Zeithorizont für alle im Zusammenhang mit der Agrarreform gesteckten Ziele ist jedoch ohnehin schon sehr knapp angesetzt, wenn man sich die Dimension dieser massiven sozialen Umwälzung der Klassenstrukturen vor Augen hält. Die internationale Finanzkrise und deren Auswirkungen auf die chinesische Realwirtschaft werden die Verwirklichung weiter erschweren. Dennoch muss sich die chinesische Führung der schwierigen Aufgabe stellen, die enormen Disparitäten innerhalb der Gesellschaft genauso wie zwischen den verschiedenen Interessengruppen in der Partei auszubalancieren und sich gleichzeitig durch ihr persönliches Eintreten für das Erreichen dieser Zielsetzungen an der termingerechten Realisierung ihrer Versprechungen von der chinesischen Bevölkerung messen zu lassen. Agrarreform als adäquate Antwort auf die Finanzkrise? Indem die Kaufkraft und die soziale Absicherung von 726 Millionen Menschen auf dem Land 25 China Daily, “`Üáå~=äáÄÉê~äáòÉ=êìê~ä=ä~åÇ=ìëÉ=íç= Äççëí=ÇÉîÉäçéãÉåíÒ, 19.10.08. 26 Chen, Stephen, łmêÉëÉêî~íáçå=çÑ=Ñ~êãä~åÇ=éìí= çå=Ä~Åâ=ÄìêåÉê“, 3.12.08. erhöht wird, soll jedoch nicht nur der Trend der Ungleichheit abgeschwächt werden, sondern auch der inländische Konsum als zukünftige Triebkraft des chinesischen Wirtschaftswachstums angekurbelt werden. So strebt die chinesische Regierung insgesamt nach einer stärker binnenmarktorientierten, auf privater Nachfrage basierenden Entwicklung. 27 Bislang erfolgen allerdings 67,6% der Einzelhandelskäufe in den Städten, während der Anteil auf dem Land trotz des wesentlich höheren Bevölkerungsanteils nur bei 32,3% liegt. Während der Markt für Konsumgüter in den Städten somit vergleichsweise gesättigt scheint, gibt es ein großes Potenzial den Konsum auf dem Land zu erhöhen. 28 „Uneven distribution of wealth between the cities and the countryside also means that China has been unable to develop its rural economy and stimulate domestic demand for its goods“, sagt bspw. Lu Xueyi, emeretierter Professor für Agrarfragen an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften. 29 Indem nun eine entsprechende Reform beschlossen wurde, konnte der krisengeplagten Weltwirtschaft und der chinesischen Bevölkerung in Zeiten der Finanzkrise somit die freudige Nachricht verkündet werden, dass ein Heer neuer chinesischer Konsumenten und potenzieller Unternehmer zur Belebung des chinesischen Wirtschaftswachstums entfesselt werden würde. So erfährt China im Zuge der weltweiten Finanzkrise momentan in aller Härte, welche negativen Auswirkungen ein zu großer Außenhandelsanteil am Wirtschaftswachstum mit sich bringen kann. Insgesamt sind 40% der chinesischen Ausfuhren für den Export in die EU und die USA bestimmt. Diese haben aufgrund der unsicheren Wirtschaftsaussichten in ihren eigenen Wirtschaftsräumen bereits damit begonnen, ihre Nachfrage nach chinesischen Produkten deutlich zu reduzieren. Gleichzeitig hat sich auch das Wachstum der Immobilienpreise in 70 chinesischen Städten in den vergangenen 8 Monaten verlangsamt, was einen Rückgang der Anlage- Investitionen impliziert. 30 Die Weltbank prognostiziert daher, dass die chinesische Wirtschaft im kommenden Jahr trotz des offiziellen Konjunkturpakets von 4 Billionen RMB der Zentralregierung (581 Milliarden $) und 27 Schüller, Margot, “táêíëÅÜ~ÑíäáÅÜÉ=aáãÉåëáçJ åÉå=ÇÉê=çäóãéáëÅÜÉå=péáÉäÉ=áå=_ÉáàáåÖW=tÉê=ïÉêJ ÇÉå=ÇáÉ=dÉïáååÉê=ëÉáå\“, in: China aktuell 2/2008, S.129. 28 Ewing, Kent, łc~êã=êÉÑçêã=ïáää=ÑçêÅÉ=`Üáå~=íç= Öêçï“,in; Atimes.com, 16.10.08. 29 Yu,Verna, ł`Üáå~…ë=Ñ~êãÉêë=Å~å=Ä~åâ=çå=ä~åÇ“, in: atimes.com, 10.10.08. 30 China Daily, łc~ää=çÑ=ÜçìëÉ=éêáÅÉë“, 17.10.08. 6
18 Billionen RMB der lokalen Regierungen (2,6 Billionen $) nur um 7,5% wachsen wird. Dies wäre der niedrigste Wert seit 19 Jahren. Die Agrarreform, für die ein Drittel des Pakets veranschlagt wurde, wird daran kurzfristig jedoch auch nichts ändern. Es bleibt vielmehr festzuhalten, dass es sich beim zweiten Kapitel der chinesischen Agrarreform, genauso wie bei der Reform des Bildungssystem und des Sozialversicherungssystem um mittel- bis langfristige Politikmaßnahmen handelt, die keine schnelle Antwort auf die durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise verursachten Probleme bieten können. Dennoch sind diese langfristigen Reformen auf dem Weg zur Umstrukturierung des investitions- und exportlastigen Wachstums für die chinesische Volkswirtschaft zwingend notwendig um einer krisenhaften Entwicklung vorzubeugen. So hat sich die Volksrepublik ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht zuletzt durch Lohnzurückhaltung auf Kosten der inländischen Nachfrage erkauft (ähnlich wie Deutschland). Denn auch wenn sich der Anteil des Außenhandels am BIP (Außenhandelsquote liegt bei 60%) trendmäßig verringert, lag der Anteil der privaten Nachfrage im Jahr 2007 demgegenüber bei lediglich 36% (im Vergleich dazu liegt der Wert in den USA bei 70% des BIP und bei 60% in Indien). Manche Beobachter, wie Tang Min, stellvertretender Direktor der China Development Research Foundation, sehen die gegenwärtige Finanzmarktkrise daher sogar als segensreichen Katalysator oder als „window of opportunity“, um die drängenden Reformen der chinesischen Wirtschaft schneller umzusetzen: „However, the crisis is a timely warning that Chinas growth is unsustainable in the traditional pattern, relying to much on external demand“, says Tang. „It can force us to change for the better“. PN „There is little chance for a successful modernization if China continues along the old path”, pflichtet ihm der Pekinger Ökonom Wang Xiaoguang bei: „We must change our development strategy“, so Wang weiter. PO Offensichtlich gibt es jedoch Differenzen über die Geschwindigkeit der Umstrukturierung des chinesischen Wachstumsmodells. So wies Wang Yang, Parteisekretär der am stärksten von der industriellen Umstrukturierung betroffenen Provinz Guangdong, kürzlich die Aufforderung von Premier Wen Jiabao zurück, kleinere und mittle- 31 Comtex business, „`Üáå~=~í=Åêçëëêç~Çë=~ë= ïçêäÇ=ÉÅçåçãó=ïçÄÄäÉë“, 12.10.08. 32 Comtex business, „`Üáå~=~í=Åêçëëêç~Çë=~ë= ïçêäÇ=ÉÅçåçãó=ïçÄÄäÉë“, 12.10.08. re Unternehmen (KMU) finanziell bei der Bewältigung der Finanzkrise zu unterstützen. Am 12. November verkündete Wang auf einer Inspektionsreise stattdessen, dass „die Autoritäten Guangdongs keine Anstrengungen unternehmen werden, um rückständige Unternehmen zu retten“. Der chinesische Premier seinerseits konterte auf den Affront aus Guangdong mit dem Argument, dass KMU`s eine entscheidende Rolle für die Beschäftigung und somit auch für den sozialen Frieden spielen würden. So finden nach chinesischen Schätzungen 20 Millionen Wanderarbeiter allein in Guangdong Jahr für Jahr eine Beschäftigung in solchen Betrieben. Wenn sich jedoch der Parteisekretär aus Guangdong durchsetzen sollte und die „rückständigen Unternehmen“ aussterben, würden im kommenden Jahr folglich viele Arbeitsplätze verloren gehen. 33 Allein in der an Hongkong angrenzenden südchinesischen Metropole und Sonderwirtschaftszone Shenzhen sind im laufenden Jahr bereits 50.000 Arbeitsplätze verloren gegangen, erklärte der Bürgermeister der Stadt Xu Zhongzheng. Vor allem die Exportfirmen, die auch viele Wanderarbeiter beschäftigen, seien besonders stark betroffen. Viele Unternehmen haben bereits massiv Arbeitsplätze abgebaut oder blieben ihren Mitarbeitern die Löhne schuldig. Infolgedessen kam es vor allem in Südchina zu „wilden Streiks“ und Ausschreitungen. Umbau des Wirtschaftssystems als Bewährungsprobe für das politische System Somit wird die Umstrukturierung des chinesischen Wirtschaftsmodells in vielerlei Hinsicht zur Bewährungsprobe für die politische Führung. Präsident Hu Jintao warnte dementsprechend eindringlich vor den Folgen der Finanzkrise für die Beschäftigungslage und den sozialen Frieden in China. „Ob wir diesen Druck in Schwungkraft verwandeln können, Herausforderungen als Chancen nutzen und eine gleichmäßige und relativ rasche Wirtschaftsentwicklung beibehalten, ist ein Test für die Führungsqualität unserer Partei", zitierten Staatsmedien Hu nach einer Sitzung des Politbüros. Eine schnellere Reform der Wirtschaftsstrukturen und ein gesundes Zusammenwachsen der Gesellschaft, also auch von Stadt- und Landbewohnern, bezeichnete Hu Jintao daher als dringend notwendig. 34 Sollte nämlich ein Heer von Bauern aufgrund des gegenwärtig stattfindenden massiven Abbaus von Arbeitsplätzen keine Jobs mehr in den Städten finden und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit 33 Zhong Wu, łoÉÖáçåë=ïçå…í=Ç~åÅÉ=íç=_ÉáàáåÖ…ë= íìåÉ“, in: atimes.com, 26.11.08. 34 German.China.org.cn, ł`ÜáåÉëáëÅÜÉê=mê®ëáÇÉåí= ï~êåí=ÉáåÇêáåÖäáÅÜ=îçê=cçäÖÉå=ÇÉê=ëÅÜï®ÅÜÉäåJ ÇÉå=táêíëÅÜ~Ñí“I 1.12.08. 7
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