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Juni 2013 - a tempo

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06 | <strong>2013</strong><br />

Ruhe<br />

durch Bewegung<br />

von Wolfgang Held<br />

mensch & kosmos 23<br />

Auch wenn man sich für Planeten wenig interessiert, dieses Licht<br />

wird man kaum übersehen: Ab Ende April steigt am Abendhimmel<br />

Venus auf und bleibt dort bis Anfang kommenden Jahres. Abend<br />

für Abend, wenn keine Wolken im Weg stehen, wird man ihr<br />

helles Licht oberhalb der Horizontlinie sehen können.<br />

In der letzten Maiwoche ergibt sich dabei ein großartiges Schau -<br />

spiel am frühen abendlichen Himmel. Venus hat in ihrem Aufstieg<br />

Jupiter erreicht, und zugleich wird sie selbst von Merkur eingeholt.<br />

So stehen die drei Planeten erst in einer aufsteigenden engen<br />

Reihe und dann in Form eines kleinen Dreiecks am Himmel.<br />

Während Jupiter schon im <strong>Juni</strong> im Sonnenglanz verschwindet und<br />

auch Merkur nur bis Mitte <strong>Juni</strong> sichtbar bleibt, hält Venus stoisch<br />

an ihrer Stellung fest. Von Ende Mai bis November hält sie ihre<br />

Höhe über der Landschaft. Sie wandert langsam von Westen nach<br />

Südwesten, behält dabei aber eine Höhe, die ungefähr einer ausgestreckten<br />

Handbreite entspricht.<br />

Nur zwei Planeten sind zu einem solchen Spaziergang am<br />

Horizont in der Lage, können anders als Sterne und Sonne trotz<br />

Wechsel der Jahreszeiten eine konstante Höhe über der Landschaft<br />

halten. Es sind die Nachbarn der Erde –Venus und Mars. Während<br />

Merkur immer nur für wenige Wochen über den Horizont<br />

springt, Jupiter und Saturn sich vom Horizont lösen und beinahe<br />

aus dem Zenit leuchten, vermögen Venus und Mars sich beide für<br />

ein halbes Jahr mit dem Horizont zu verbinden, sofern Tierkreis<br />

und Planetenposition gut zusammenstimmen.<br />

Venus und Mars sind damit nicht nur kosmisch die Nachbarn der<br />

Erde, sie gewinnen außerdem anschaulich eine enge Beziehung zur<br />

Landschaft. Obwohl Venus im Tierkreis voranschreitet, obwohl der<br />

Zeitpunkt des Sonnenuntergangs durch die Jahreszeiten schwankt<br />

und obwohl die Tierkreisebene von Frühling bis Herbst eine<br />

komplexe Kippbewegung durchmacht, hält Venus «die Stellung».<br />

Ihre gleichbleibende Höhe ist deshalb nicht das Ergebnis von<br />

Stillstand, sondern eines komplexen Ausgleichs verschiedener<br />

Bewegungen.<br />

Ruhe in der Bewegung, diese Sehnsucht vieler Menschen in einer<br />

dynamischen Zeit, das zeigt Venus in den kommenden Monaten<br />

am westlichen Horizont. Es lohnt sich deshalb, immer wieder den<br />

Blick zu ihrem hellen Licht zu lenken, um sich inspirieren zu<br />

lassen, wie es möglich ist, nicht durch Verharren, sondern durch<br />

eigene ausgleichende Bewegung zu einem Gleichmaß im Fortgang<br />

zu kommen.<br />

Um ruhig zu werden, um Beständigkeit zu gewinnen, ist<br />

eigene Bewegung notwendig. Was bei Venus und Mars sich aus<br />

dem organischen Zusammenspiel der Rhythmen von Schwung<br />

und Schwerkraft ergibt, das braucht in der Sphäre menschlicher<br />

Bewegung etwas Vergleichbares – und das ist die Wahrnehmung<br />

der Bewegungen.<br />

Wenn es gelingt, das, was sich an Bewegung ereignet, was sich an<br />

neuen Konstellationen, an ständigem Wechsel in der menschlichen<br />

Umgebung vollzieht, zu beobachten, dann wird es möglich, durch<br />

eigene Bewegung nicht der oder die Getriebene zu sein, sondern<br />

einen ruhigen Stand in diesem Spiel der Kräfte zu finden.<br />

«Ihr Philosophen werdet Tänzer!» – das hat Friedrich Nietzsche den<br />

Denkerinnen und Denkern zugerufen. Venus zeigt, wie man durch<br />

eigenen Tanz Ruhe finden kann. Und Ruhe ist die Voraussetzung,<br />

um nachdenken zu können, um ein Philosoph werden zu können.<br />

Wer in den kommenden Monaten abends den Blick auf Venus<br />

lenkt, legt den Grundstein, um ein Philosoph zu werden. ■<br />

Foto: Bryan Delodder / Venus (rechts); Jupiter (links)

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