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Psychologische Beratung in evangelischer Trägerschaft als Praxis ...

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verdanke, für unerträglich. Es widersprach se<strong>in</strong>em Ideal des allseitig entwickelten, freien und<br />

schöpferischen Wesens, das se<strong>in</strong>e Geschicke selbst <strong>in</strong> die Hand nehmen könnte. Die<br />

Schöpfung stellt – freudianisch gesprochen – e<strong>in</strong>e narzisstische Verletzung dar.<br />

Was aber ist am Schöpfungsglauben entscheidend? Nicht die mythologische Vorstellung über<br />

e<strong>in</strong>en Schöpfungsakt, wie sie <strong>in</strong> wunderbarer und tiefs<strong>in</strong>niger Weise im Buch der Genesis<br />

(1 Mose 1 und 2) beschrieben ist. Vielmehr ist von Bedeutung die schlichte Tatsache, dass ich<br />

me<strong>in</strong> Leben <strong>als</strong> etwas „Gegebenes“ verstehe, der Glaube sagt, <strong>als</strong> von „Gott“ gegebenes: „Ich<br />

glaube, dass mich Gott geschaffen hat!“ (Luthers Erklärung zum 1. Artikel des<br />

Glaubensbekenntnisses).<br />

Auch wenn e<strong>in</strong>em der Schöpfungsglaube im biblischen S<strong>in</strong>n schwer zugänglich ersche<strong>in</strong>t, für<br />

die Anthropologie entscheidend ist das Verständnis des Lebens <strong>als</strong> „Gabe“. Das Leben ist<br />

gegeben: ich b<strong>in</strong> danach nicht gefragt worden, ich habe es mir nicht selbst gewählt. Ich<br />

„verdanke“ mich anderen – biologisch, sozial, personal – : me<strong>in</strong>en Eltern, me<strong>in</strong>en Lehrern,<br />

verschiedenen Menschen auf me<strong>in</strong>em Wege, letztlich Gott.<br />

Es gibt für den Menschen zweierlei Formen, <strong>in</strong> denen er auf die Tatsache se<strong>in</strong>er<br />

Geschöpflichkeit reagieren kann:<br />

- E<strong>in</strong>mal: im Modus der Dankbarkeit: „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht<br />

b<strong>in</strong>; wunderbar s<strong>in</strong>d de<strong>in</strong>e Werke“ (Ps 139, 14). Solche Dankbarkeit, sofern sie echt ist<br />

und nicht bloß Zitat oder fromme Artigkeit, ist Zeichen seelischer Gesundheit. Statt<br />

von Dankbarkeit könnte man auch von elementarer Dase<strong>in</strong>sfreude sprechen (<strong>in</strong> die<br />

dann auch z.B. die uns umgebende Natur ebenso e<strong>in</strong>bezogen werden könnte wie die<br />

Kultur, <strong>in</strong> die wir gleichsam e<strong>in</strong>gebettet s<strong>in</strong>d). In berührender Weise dichtet Matthias<br />

Claudius: „Ich danke Gott und freue mich wie’s K<strong>in</strong>d zur Weihnachtsgabe: dass ich<br />

b<strong>in</strong>, b<strong>in</strong> und dich schön menschlich Antlitz habe.“ Es ist e<strong>in</strong> Problem vieler Menschen<br />

<strong>in</strong> unserer Zeit und Gesellschaft, dass die Fähigkeit, dankbar zu se<strong>in</strong>, verloren<br />

gegangen zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t – dankbar für etwas, das wir nicht selber geschaffen und<br />

geleistet haben.<br />

- Zum anderen: im Modus der Klage: „Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren. Der<br />

Tag soll, ungesegnet se<strong>in</strong>, an dem mich me<strong>in</strong>e Mutter geboren hat.“ (Jer 20, 14) So<br />

schleudert es der unglückliche Prophet Gott <strong>in</strong>s Angesicht – ke<strong>in</strong>e Spur Lebensfreude,<br />

ke<strong>in</strong>e Spur Schöpfungsdank. Es gibt e<strong>in</strong>e Reihe solcher gleichsam suizidaler Texte <strong>in</strong><br />

der Bibel, <strong>in</strong> der Lebensmut und Schöpfungszuversicht verloren gegangen s<strong>in</strong>d. In der<br />

gesamten Seelsorge- und <strong>Beratung</strong>sarbeit s<strong>in</strong>d wir ja unaufhörlich mit Menschen<br />

konfrontiert, die ihr Leben – aus ganz unterschiedlichen Gründen – gerade nicht <strong>als</strong><br />

gute Gabe empf<strong>in</strong>den, sondern <strong>als</strong> Last. Und die dafür ernst zu nehmende Gründe<br />

haben! Die Annahme des Inakzeptablen – und das kann für jede E<strong>in</strong>zelne etwas ganz<br />

Unterschiedliches se<strong>in</strong> (z. B. das gerade nicht <strong>als</strong> „schön“ empfundene Gesicht oder<br />

die Last e<strong>in</strong>er schweren Krankheit) –gehört zu den großen Herausforderungen, zu<br />

deren Erfüllung wir <strong>als</strong> Außenstehende oft nur wenig beitragen können. Der<br />

katholische Theologe Hans Joachim Höhn sieht gerade dar<strong>in</strong> den besonderen Wert<br />

religiöser Lebenspraxis, dass sie e<strong>in</strong>e „Widerstandshaltung“ darstelle, „die angesichts<br />

des kategorisch Inakzeptablen im Leben nicht kapituliert, sondern widerständig nach<br />

Gründen der Annehmbarkeit des Lebens sucht.“ (Zeit und S<strong>in</strong>n, Paderborn 2010, 167)<br />

Der Schöpfungsgedanke könnte e<strong>in</strong>e Hilfe se<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem hier konkrete Vorf<strong>in</strong>dlichkeiten<br />

wie z.B. die körperliche Gestalt, vielleicht e<strong>in</strong>e Beh<strong>in</strong>derung oder Homosexualität <strong>als</strong><br />

gegeben (und damit auch <strong>als</strong> „aufgegeben“) anerkannt werden. Was ich vorf<strong>in</strong>de,<br />

dafür b<strong>in</strong> ich <strong>als</strong> Individuum nicht verantwortlich. Me<strong>in</strong>e Verantwortung besteht dar<strong>in</strong>,<br />

mit dem Gegebenen umzugehen. Das führt e<strong>in</strong>zelne oft an die Grenze. Es ist darum<br />

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