DER ROTE MONARCH VOM

REPORTAGE
GÄSTE-
BETREUUNG
Serschoja mag
Menschen und
Trubel an seinem
Bahnhof, ist oft
nur Zuschauer
(rechts) und sucht
sich aus, von
wem er sich anfassen
lässt.
Zuhause
ist auch die
kaiserliche
Empfangshalle
für Kater
Serjoscha.
Die Gleise vor
der Haustür
betritt er nur,
wenn kein
Zug in der
Nähe ist
Die Schorfheide, knapp 70 Kilometer
nördlich von Berlin,
war lange exklusiv den Herrschenden
vorbehalten. Das
größte zusammenhängende
Waldgebiet Deutschlands war das bevorzugte
Jagdgebiet der brandenburgischen
Kurfürsten, der preußischen
FOTOS/ILLUSTRATIONEN: NILS LEISER, ISTOCKPHOTO.DE/K. MLADENOVIC
Mitten im
Winter saß
der Rote vor
der Tür
hofstür. Hier und nirgendwo sonst wollte
er leben, machte er allen klar!
Kontaktfreudig und souverän zugleich
ist der Kater längst der Liebling aller
Besucher und Gäste, ja, er ist so eine
Art Maskottchen des Bahnhofes geworden.
„Wir haben von Ostern bis
Mitte Oktober freitags bis
dienstags für Besucher geöffnet.
Wenn die Türen offen
sind, nimmt Serjoscha
wie selbstverständlich die
Hausherrenfunktion wahr,
legt sich gerne auf einen
Stuhl im Kaisersaal oder im Erkerzimmer
und verbringt Stunden der Muse.“
Dass der Kater sich auch liebend gerne
mitten auf den Tresen der Touristinformation
legte, untersagte ihm allerdings
deren Chefin, doch die vor-Ort-Mitarbei-
WARNHINWEISE
mit Serjoschas Steckbrief sind
auf dem Parkplatz verteilt
Könige, von NS-Bonzen
und zuletzt Erich Honecker.
Heute ist die Schorfheide
Teil eines UNESCO-Biosphärenreservats,
und an
dem 1898 extra für Kaiser
Wilhelm II. erbauten Pavillon am Bahnhof
Joachimsthal sitzen Menschen mit
Wanderkarte, Fahrrad und Fernglas.
Das in jahrelanger Arbeit restaurierte
Gebäude mit seinen prächtigen ausgestalteten
Gasträumen beeindruckt die
Besucher, aber nicht Serjoscha, den aktuellen
Herrscher am Kaiserbahnhof.
Ende letzten Jahres, mitten im kältesten
Winter, tauchte der rote Tiger am
Bahnhof auf. Volkmar Wagner, der den
Bahnhof managt, erinnert sich: „Er
war total abgemagert, mit struppigem
Fell, von dem er sich beim Putzen immer
noch ganze Büschel rausriss – mit
einem Wort, eine jämmerliche Gestalt.“
Mit in die Wohnung kommen wollte der
Kater aber nicht. „Er fraß nur und verschwand
wieder.“ Als der Kater immer
öfter auftauchte und schließlich die Einladung
in die Wohnung im Obergeschoss
annahm, informierte Volkmar Wagner
das Tierheim und das Ordnungsamt
von Joachimsthal. Mitte Januar hatte er
Gewissheit: Sein Serjoscha hieß Cherry
und hatte ein Zuhause, in dem allerdings
ein anderer Kater dominierte. Als seine
Familie ihn abholte, saß Serjoscha innerhalb
einer Stunde wieder vor der Bahnterin
fand eine akzeptable Alternative
für beide: „Serjoscha liegt nun sehr oft in
einem Pappkarton auf einem Bürocontainer
neben dem Tresen. Und sollte die
Tür zum Büro geschlossen sein, begehrt
er mit lautem Miauen Einlass.“
Sein Kater weiß seine Wünsche durchzusetzen,
gibt Volkmar Wagner zu. „Ich
verstehe seine verschiedenen Mauz- und
Miau-Töne recht gut; manchmal allerdings
geht es ihm nicht schnell genug,
oder er ist der Meinung, dass ich nicht
richtig verstehe. Dann passiert es schon
mal, dass er mich mit der Pfote antatzt ...“
In einigen Punkten lässt er jedoch nicht
mit sich reden: Nachts muss Serjoscha
ins Haus (was mit Leckerchen versüßt
wird), und Ausflüge auf das Dach sind
verboten, weil die Dachziegel so glatt
sind, dass der Kater keinen Halt findet.
„Vor den Triebwagen der
Ostdeutschen Eisenbahn
Gesellschaft, die stündlich
direkt vor ‚seiner‘ Haustür
halten, hat er glücklicherweise
großen Respekt.“
Autos dagegen sind seine große Leidenschaft.
Sobald Türen oder Fenster
bei Fahrzeugen auf dem Parkplatz offen
stehen, steigt Serjoscha ein und will
mitfahren. Einmal war ein Autofahrer
Autos sind
seine
gefährliche
Leidenschaft
bereits acht Kilometer entfernt,
als er seinen blinden
Passagier entdeckte. „Er
hat ihn glücklicherweise
gleich wieder zurückgebracht!“
Unübersehbare
Warntafeln auf dem Parkplatz sollen
weitere Ausflüge verhindern, aber „zweimal
habe ich ihn schon im Innern von
Fahrzeugen erwischt. Einmal sogar in
einem Reisebus.“ Die Vorstellung, dass
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Mit Geld-zurück-Garantie
sein Kater unbemerkt in einem Bus mitfahren
und dann irgendwo ausgesetzt
werden könnte, macht Volkmar Wagner
Angst und lässt ihn immer wieder Autos
kontrollieren. Jetzt im Winter muss er
das kaum. Dafür steht er vor einem ganz
anderen Problem: Bei einem denkmalgeschützten
Bauwerk darf nur mit behördlicher
Genehmigung eine Katzenklappe
eingebaut werden. Doch dieses Problem
scheint lösbar.
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10 GELIEBTE KATZE • JANUAR 2011