Behandlungsfehler bei Hautkrebs - Ärztekammer Nordrhein
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WISSENSCHAFT<br />
UND FORTBILDUNG<br />
len – Regeln das entnommene Gewebe<br />
nicht der histologischen Untersuchung<br />
zugeführt hat. Ihr Hinweis,<br />
sie sei von einem Histiozytom<br />
als gutartigen Tumor ausgegangen,<br />
könne sie nicht entlasten. Gerade an<br />
Extremitäten seien Knotenbildungen,<br />
vor allem amelanotische, immer<br />
verdächtig. Es gelte deshalb in allen<br />
solchen Fällen der Grundsatz, dass<br />
jedes Exzidat pathologisch-anatomisch<br />
zu untersuchen sei. Der Verstoß<br />
gegen diese medizinische Regel,<br />
die zum Grundwissen einer<br />
Fachärztin für Dermatologie gehöre,<br />
stelle ein grobes Fehlverhalten dar,<br />
das aus objektiver ärztlicher Sicht<br />
nicht mehr verständlich erscheine.<br />
Der <strong>Behandlungsfehler</strong> der Ärztin<br />
ist nach der gutachtlichen Beurteilung<br />
der Ausgangspunkt des tragischen<br />
Krankheitsverlaufs. Die unterlassene<br />
Untersuchung hätte schon<br />
im Juni zur Feststellung des besonders<br />
risikoreichen nodulären malignen<br />
Melanoms führen können. Eine<br />
alsdann einsetzende fachgerechte<br />
Behandlung mit den Schritten<br />
➤ Exzision,<br />
➤ Lymphknotendissektion mit<br />
Ausräumung der Leiste und<br />
anschließende<br />
➤ Chemotherapie bzw. adjuvante<br />
Immuntherapie<br />
hätte nach Auffassung der Kommission<br />
die Chance einer längeren<br />
Überlebenszeit – in Einzelfällen<br />
möglicherweise sogar einer Heilung<br />
– gewahrt.<br />
Zur Behandlung in der Fachklinik<br />
stellte die Gutachterkommission<br />
ausdrücklich fest, dass sie in vollem<br />
Umfang den medizinischen Regeln<br />
und Leitlinien gerecht geworden sei.<br />
Dass der Tod des Patienten nicht<br />
mehr verhindert werden konnte, liege<br />
am aggressiven Grundcharakter<br />
des malignen Melanoms.<br />
Die Kommission konnte nicht<br />
die Feststellung treffen, dass <strong>bei</strong><br />
rechtzeitiger Diagnose der Tod des<br />
Patienten abwendbar gewesen wäre.<br />
Da nach ihrer Ansicht ein<br />
schwerwiegender (= grober) <strong>Behandlungsfehler</strong><br />
vorliegt, kann hier<br />
nach der Rechtsprechung die Umkehr<br />
der Beweislast in Betracht<br />
kommen. Es ist dann Sache des beschuldigten<br />
Arztes,den Nachweis zu<br />
führen, dass die Schadensfolge nicht<br />
auf ärztlichen Versäumnissen beruht,<br />
was in solchen Fällen kaum gelingen<br />
dürfte.<br />
Der zweite Fall betrifft differenzialdiagnostische<br />
Versäumnisse.<br />
Der Sachverhalt<br />
Die 77 Jahre alte Patientin suchte<br />
am 14. Mai wegen einer Wundstelle<br />
an der rechten dritten Zehe den beschuldigten<br />
niedergelassenen Chirurgen<br />
auf. Der Arzt nahm eine Röntgenuntersuchung<br />
vor und beschrieb<br />
in seinen Krankenunterlagen eine<br />
dunkle Verfärbung und Ulzeration an<br />
der dritten Zehe rechts seitlich. Die<br />
Verfärbung führte er auf eine Minderdurchblutung<br />
zurück (primäre arterielle<br />
Verschlusskrankheit). An ein<br />
Melanom dachte er nicht.<br />
Die Behandlung erfolgte mit Fibrolan-Salbe<br />
und Varihesive-Verbänden<br />
und ab dem 9. Juni mit Mercurochrom.<br />
Lokal nahm er zwischenzeitlich<br />
Nekroseabtragungen<br />
vor, die histologisch nicht untersucht<br />
wurden. Verbandwechsel erfolgten<br />
regelmäßig. Die Wunde wurde als<br />
reizlos, später als etwas feucht und<br />
ohne wesentlichen Druckschmerz<br />
beschrieben. Eine Besserung zeichnete<br />
sich auch nach zwei Monaten<br />
nicht ab. Die Behandlung durch den<br />
beschuldigten Arzt wurde vorerst<br />
am 15. Juli, zunächst wegen des Urlaubs<br />
des Arztes, danach aus in der<br />
Person der Patientin liegenden<br />
Gründen, unterbrochen. Sie suchte<br />
den Chirurgen erst am 11. November<br />
wieder auf. Der Arzt stellte eine<br />
zunehmende Nekrose fest und wies<br />
sie wegen der von ihm für notwendig<br />
gehaltenen Amputation in eine<br />
Chirurgische Klinik ein.<br />
Stationäre Behandlung<br />
Am 20. November erfolgte die<br />
Amputation der dritten Zehe rechts<br />
in Höhe des Grundgliedköpfchens.<br />
Gleichzeitig wurde die rechte Großzehe<br />
wegen eines Panaritium mit<br />
Keilexzision des lateralen Anteils<br />
des Nagels operiert.<br />
Die histologische Untersuchung<br />
ergab an der dritten Zehe ein oberflächlich<br />
ulzeriertes, streckenweise<br />
pigmentiertes malignes Melanom,<br />
welches das Subkutan-Fettgewebe<br />
circa 7 mm infiltriert hatte (Clark<br />
Level V, Invasionstiefe nach Breslow<br />
ca. 7 mm). Ferner sah man Geschwulstverbände<br />
in erweiterten<br />
Gewebs- und Lymphspalten, Perineuralscheiden<br />
und Venenlichtungen<br />
(Angiosis und Lymphangiosis<br />
blastomatosa). Im Resektionsrand<br />
war Krebsgewebe nicht enthalten.<br />
Die Wunde heilte sekundär. Am<br />
3. Dezember erfolgte die Verlegung<br />
in eine Hautklinik, in der die Weiterbehandlung<br />
erfolgte. Im April<br />
des folgenden Jahres wurde eine<br />
weitere Geschwulst am rechten Fuß<br />
entfernt. Im Mai wurden Metastasen<br />
in der Lunge festgestellt. Auch<br />
nach fachgerechter Behandlung<br />
und Betreuung konnte der Anfang<br />
August des nächsten Jahres eingetretene<br />
Tod der Patientin nicht abgewendet<br />
werden.<br />
Gutachtliche Beurteilung<br />
Bei der am 14. Mai vom beschuldigten<br />
Arzt festgestellten Gewebeveränderung<br />
handelte es sich nicht,<br />
wie der Arzt meinte, um eine Durchblutungsstörung,<br />
sondern um das<br />
später diagnostizierte akrale maligne<br />
Melanom an der dritten Zehe rechts,<br />
das bereits zum Gewebezerfall geführt<br />
hatte. Die Gutachterkommission<br />
vermisste, abgesehen von der<br />
Röntgenuntersuchung am 14. Mai, in<br />
der Folgezeit weitere abklärende differenzialdiagnostische<br />
Maßnahmen<br />
wie z. B. zum Ausschluss eines Diabetes<br />
mellitus, einer arteriellen Durchblutungsstörung,<br />
Fußpulskontrollen<br />
bzw. eine Angiographie.<br />
Diese Diagnostik wurde umso<br />
dringlicher, weil auch nach wochenlanger<br />
Behandlung keine Heilungstendenz<br />
erkennbar war. Versäumt<br />
wurde insbesondere die notwendige<br />
feingewebliche Untersuchung des abgetragenen<br />
Gewebes. Während der<br />
zweimonatigen ergebnislosen Behandlung<br />
mit Salbenverbänden hätte<br />
differenzialdiagnostisch schon frühzeitig<br />
auch an das Vorliegen eines<br />
bösartigen Tumors gedacht werden<br />
Rheinisches Ärzteblatt 5/2004 23