download - Klangspuren Schwaz
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interview<br />
spuren 5<br />
steve reich bei der internationalen ensemble<br />
modern akademie schwaz<br />
über seine arbeit mit musikern<br />
Foto Verlag<br />
Rainer Römer<br />
Steve Reich, du hast schon in den 1960er Jahren eine eigene Band<br />
gegründet, um deine Musik mit angemessener Probenzeit und den<br />
besten verfügbaren Interpreten aufzuführen. Viele von ihnen sind weltweit<br />
bekannte Musiker, die deine Musik nicht nur spielen, sondern auch unterrichten.<br />
Wie würdest du die Entwicklung einer Aufführungspraxis mit allen<br />
Ensembles, Orchestern und Solisten, denen du in den zurück liegenden<br />
Jahrzehnten begegnet bist, beschreiben? Heute können Dich junge Musiker<br />
sogar persönlich zum Studium deiner Musik treffen. Es scheint, es war<br />
ein langer Weg dahin und nun ist deine Musik im Begriff, zum Standard-<br />
Repertoire für zeitgenössische Musik zu werden – mit einer soliden Grundlage<br />
im Hinblick auf die Kenntnisse, sie zu spielen und aufzuführen.<br />
Steve Reich<br />
In den 1960er Jahren – wie du und einige<br />
andere Musiker noch in Erinnerung haben<br />
werden – war die einzige Musik, die ernst<br />
genommen wurde, die europäische serielle<br />
Musik von Boulez, Stockhausen oder Berio<br />
und die amerikanische Musik von John<br />
Cage, Morton Feldman und jener Schule.<br />
Diese Musik teilte einige Charakteristika:<br />
Es gab keinen Takt und keine Harmonie<br />
im herkömmlichen Sinne, nicht einmal die<br />
Idee eines tonalen Zentrums – solches war<br />
tatsächlich tabu und wurde von denjenigen,<br />
die Schönberg folgten und auch nach Cages<br />
Auffassung als Fehler betrachtet.<br />
Nun bin ich Komponist geworden, weil ich<br />
Stravinsky, Bach, Jazz, Bebop und John<br />
Coltrane verehrte. Diese Art von Musik hatte<br />
vielleicht einen Platz in der Geschichte,<br />
doch nicht in der Gegenwart der 1960er Jahre.<br />
Als ich mit meiner Arbeit, die dann bekannt<br />
wurde, begann – die Stücke auf Band<br />
IT’S GONNA RAIN und COME OUT sowie vor<br />
allem die Instrumentalstücke PIANO PHASE,<br />
VIOLIN PHASE und schließlich DRUMMING<br />
– realisierte ich, dass Musiker in Amerika<br />
und insbesondere in Europa, hätte ich Ihnen<br />
meine Partituren geschickt, darüber gelacht<br />
hätten. Damals in den 1960er Jahren wusste<br />
ich, dass ich dies wirklich mit Musikern machen<br />
musste, die ich kannte, die diese Musik<br />
mochten, die sie zu spielen verstanden und<br />
die Zeit damit verbringen würden, sie zu proben,<br />
damit sie wirklich gut gespielt werden<br />
konnte und die Menschen hörten, was ich damit<br />
im Sinn hatte. So habe ich das Ensemble<br />
gegründet, von dem du eingangs sprachst,<br />
und einige dieser Musiker wie Russ Hartenberger,<br />
Bob Becker, James Preiss und andere<br />
wurden weltweit bekannt, besonders<br />
als Bob Becker in den 1980er Jahren in Holland<br />
unterrichtete. Wie alles in der Musik<br />
und in der klassischen Musik sowieso, änderte<br />
sich dies nur sehr langsam, doch etwa<br />
in der Mitte der 1970er Jahre begannen die<br />
Dinge sich zu bewegen und ich schrieb ein<br />
Stück für mein eigenes Ensemble, MUSIC<br />
FOR 18 MUSICIANS, das vom ECM-Label als<br />
Aufnahme veröffentlicht wurde und das ein<br />
großes Publikum fand – bei Menschen in der<br />
Klassik-Welt, Menschen in der Jazz-Welt<br />
und sogar bei Menschen in der Rock-Welt<br />
wie David Bowie oder Brian Eno. Für mich<br />
fühlte sich dies völlig normal an, denn ich<br />
hatte als Heranwachsender sehr intensiv<br />
Miles Davis und besonders John Coltrane<br />
gehört. So schien es mir ziemlich normal,<br />
ein Publikum bei Leuten zu finden, die Jazz<br />
oder das hörten, was damals »progressive<br />
rock« genannt wurde – die Musik von David<br />
Bowie, Brian Eno und solchen Leuten. Und<br />
sogar in Deutschland gab es diese sehr ungewöhnlichen<br />
Festivals wie das ›Metamusik‹<br />
Festival, das der Österreicher Walter<br />
Bachauer in der Nationalgalerie präsentiert<br />
hat. Er brachte Tangerine Dream, Terry Riley,<br />
mich selbst und Musik aus Bali zusammen.<br />
Dies erlangte Interesse und Akzeptanz<br />
bei einer gemischten Gemeinde von wenigen<br />
Komponisten, mehr jedoch bei Popmusikern<br />
und visuellen Künstlern, Malern<br />
und Bildhauern, sowie bei Tänzern. So begann<br />
die ganze Perspektive sich allmählich<br />
zu verschieben – nicht nur in der musikalischen<br />
Welt, sondern auch in der künstlerischen<br />
Welt insgesamt. Ich denke, das war<br />
der Moment, als sich die Dinge für mich zu<br />
ändern begannen und Musiker außerhalb<br />
meines Ensembles anfingen, mit Interesse<br />
auf meine Arbeit zu schauen. Ich spürte in<br />
jener Zeit, dass es schließlich Sinn machen<br />
würde, einige dieser Werke zu veröffentlichen.<br />
Und dann – ich denke, es war 1980<br />
oder 1981 – veröffentlichte Universal Edition<br />
in London durch Bill Colleran PIANO PHA-<br />
SE, VIOLIN PHASE, MUSIC FOR PIECES OF<br />
WOOD, CLAPPING MUSIC, sieben der frühen<br />
Stücke, die viel von den grundlegenden<br />
Techniken – etwa die Idee entstehender Pattern<br />
wie in VIOLIN PHASE – in einer Partitur<br />
zeigen. Nach und nach begann ich Aufführungen<br />
von Leuten zu sehen, die wirklich einen<br />
sehr guten Job machten, die meine Musik<br />
ernst nahmen, probten und gut spielten<br />
– sowohl in Amerika als auch in Europa.<br />
Ende der 1980er Jahre begann ich dann bei<br />
Boosey & Hawkes zu veröffentlichen. Ein<br />
großer Teil meiner Musik wurde öffentlich<br />
verfügbar und Boosey bemühte sich sehr,<br />
sie zu vertreiben. Ich würde sagen, von jener<br />
Zeit bis in die 1990er Jahre gab es einen<br />
größeren Wandel, und viele jüngere Musiker<br />
begannen meine Musik zu spielen und gut<br />
zu spielen – ohne dass ich überhaupt dabei<br />
gewesen wäre. Wie kann das sein? Nun,<br />
tatsächlich ist dies typisch für die Musikgeschichte.<br />
Zwar war ich nicht dabei, aber ich<br />
schätze, dass es um 1928/29 Musiker gab,<br />
die mit Blick auf das vierte Quartett von<br />
Béla Bartók sagten, ›Herr Bartók, Sie sind<br />
ein großer Musiker, aber erwarten Sie wirklich<br />
von uns, dies zu spielen?‹, da es ihnen<br />
unmöglich vorkam. Einige wenige Quartette,<br />
die ihm persönlich nahe standen, begannen<br />
diese Musik zu spielen, doch in den<br />
1950er und 1960er Jahren spielte sie jedes<br />
Streichquartett. Heute kann man gar kein<br />
Streichquartett sein, ohne Bartók zu spielen,<br />
es wird als genauso normal betrachtet<br />
wie Beethoven zu spielen. Was änderte sich<br />
also? Was sich änderte, ist, dass Musiker einer<br />
späteren Generation Bartóks Quartette<br />
gespielt hörten, als sie kleine Kinder waren;<br />
sie sahen die Partituren, als sie aufwuchsen;<br />
sie wurden in Aufführungen von ihren<br />
Lehrern unterrichtet, als sie ihre Instrumente<br />
lernten – und so wurde das, was in<br />
der Generation zu Lebzeiten Bartóks fremd<br />
und unerhört war, Teil des Repertoires, Teil<br />
des normalen Musiklebens für die meisten<br />
jüngeren Generationen. Dasselbe passierte<br />
mir und anderen. Nun kann ich nach Riga in<br />
Lettland oder nach Seoul in Südkorea gehen<br />
und – wenn ich dort Instrumentalisten<br />
unterrichte – feststellen, dass sie die Musik<br />
schon sehr gut spielen. Ich denke, die Erklärung<br />
ist genau wie ich beschrieben habe:<br />
sie hörten meine Musik, als sie jung waren;<br />
sie lernten darüber als Schüler und sie begannen<br />
sie zu üben, als sie Teenager waren<br />
– so waren sie in ihren Mittzwanzigern wirklich<br />
schon sehr gut. Ich muss sagen, dass<br />
ich daraus eine enorme Befriedigung ziehe.<br />
Eine der großen Erfüllungen, die du persönlich<br />
bezeugen kannst, war MUSIC FOR<br />
18 MUSICIANS, was das ungewöhnlichste<br />
Stück im Hinblick darauf war, dass es vom<br />
Zeitpunkt seiner Entstehung bis in die Mitte<br />
der 1990er Jahre keine Partitur gab. Es war<br />
skizzenhaft und in Teilen geschrieben, und<br />
diese Teile waren selbst in einer sehr kürzelhaften<br />
Form notiert, sodass man es nur<br />
verstehen konnte, wenn jemand verbal erklärte,<br />
wie es zu spielen sei. In dieser Form<br />
existierte das Stück von 1976, als es komponiert<br />
wurde, bis etwa 1994/95, als Boosey &<br />
Hawkes endlich die Partitur von MUSIC FOR<br />
18 MUSICIANS veröffentlichte. Dann trafen<br />
wir – Russ Hartenberger, Bob Becker und<br />
ich – auf Dich und das übrige Ensemble Modern<br />
und gaben Euch das Stück. Wenn ich<br />
dies 1976 versucht hätte, als das Stück geschrieben<br />
wurde, wäre es eine Katastrophe<br />
gewesen. Doch stattdessen war es fantastisch!<br />
Es war eine wunderbare Erfahrung in<br />
musikalischer wie persönlicher Hinsicht und<br />
wir haben eine Aufnahme, die das belegt.<br />
Dies ist enorm zufriedenstellend, denn wir<br />
alle hoffen, dass zumindest einige der Musik<br />
nicht mit uns sterben möge. Es scheint, dass<br />
es nun eine Gelegenheit für manche meiner<br />
Stücke gibt, selbständig weiterzuleben, und<br />
Ihr habt daran großen Anteil.<br />
Das Interview führte Rainer Römer seit 1985<br />
Mitglied des Ensemble Modern und Dozent an der<br />
Internationalen Ensemble Modern Akademie 2008.<br />
Internationale Ensemble<br />
Modern Akademie 31.8-10.9.08<br />
Composer in residence Steve Reich<br />
<strong>Klangspuren</strong> 08 <strong>Schwaz</strong><br />
Information und Anmeldung unter:<br />
www.klangspuren.at<br />
www.internationale-em-akademie.de