Literarisches Portfolio (PDF 2,73 MB) 2005-08 - Leowee Polyester
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Meine Maske bin ich<br />
Bildnis. Mein Erzeuger und Patriarch war empört. Du sollst keine anderen Götter haben<br />
neben mir!<br />
Ich aber wollte David Bowie nicht nur küssen, ich wollte David Bowie sein. Ich wollte<br />
Mann und Frau sein, wie er. You‘ve got your mother in a whirl: She‘s not sure if you‘re<br />
a boy or a girl... Seine durch Schminke und Satin zur Schau getragene Androgynität<br />
höhnte nicht nur dem Unbehagen der Geschlechter.<br />
Ich wurde kokett. Ich wollte mich selbst erschaffen, wie Bowie sich mit seinen wechselnden<br />
Images immer wieder neu erschuf, in Schönheit, Unverletzlichkeit, Perfektion.<br />
Negierte den Ursprung aus meiner Mutter, die Berührungen durch meinen Vater. Hörte<br />
auf zu schlafen. Hungerte mich in Bowies Gestalt. Mein rundes Mädchengesicht sollte<br />
seinen hohlen Wangen weichen. Mein Körper war das Material meines antizipierten<br />
Idealbildes von mir selbst. Ich formte es, indem ich es, sichtbar für alle, zum Verschwinden<br />
brachte. Je flüchtiger mein Körper, desto klarer strahlte mein Ego durch meine<br />
Haut – gereinigt von der Schuld, die meine Eltern mir injiziert hatten, über alles Fleisch<br />
erhaben. Was menschlich war, verabscheute ich. Hunger, Verdauung, Notdurft – erbärmlich.<br />
Freak out in a moonage daydream!<br />
David Bowie glich ich schließlich nie. Aber an meinem letzten Fasching erschien ich als<br />
Tod in Person. »Fleisch, lebe wohl«, heißt Karneval auf Deutsch (lat. carne vale). Meinen<br />
Aschermittwoch zelebrierte ich über Monate. Wo ich keinen Raum zur Entfaltung<br />
einer eigenen Identität fand, machte ich mich eben dünne. Hinter der Maske meiner<br />
Selbstbeherrschung hungerte ich nach Anerkennung.<br />
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