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15 September - Leipzigs Neue

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8 • HIER UND HEUTE LEIPZIGS NEUE <strong>15</strong> ’08<br />

Aus den Daten<br />

eines„alten“<br />

Hauses<br />

1859: Die Braustraße findet erstmals<br />

im Leipziger Adressbuch Erwähnung.<br />

1867: Am l. April zieht die Familie<br />

Wilhelm Liebknechts in die Braustraße.<br />

1868: Seit Jahresbeginn wird die Wohnung<br />

Liebknechts zur Redaktion des<br />

„Demokratischen Wochenblattes“ mit<br />

August Bebel als Mitarbeiter<br />

1871: Am 13. August wird hier Karl<br />

Liebknecht geboren.<br />

1874: Karl Marx ist mit seiner Tocher<br />

zu Besuch. Er ist der Pate von Karl L.<br />

1881: Auf Grund einer Ausweisung<br />

geht W. Liebknecht nach Borsdorf und die<br />

Familie zieht zum Südplatz. Im gleichen<br />

Jahr entsteht im Hof eine Tischlerei.<br />

1910: Das Gebäude befindet sich im<br />

Besitz von Bäckermeister Dammhahn.<br />

1944: Teilzerstörung des Hauses durch<br />

Bomben im Zweiten Weltkrieg.<br />

1946: Eine Gedenktafel wird durch<br />

Wilhelm Pieck eingeweiht: „In diesem<br />

Haus wurde Karl Liebknecht, der Sozialistenführer,<br />

der Rufer gegen Krieg, der<br />

Sprecher der Jugend, am 13. August 1871<br />

geboren.“<br />

1951: Beginn des Wiederaufbaus des<br />

teilzerstörten Gebäudes initiiert u.a. durch<br />

OBM Max Opitz und den 1. Sekreträr der<br />

SED-Stadtleitung Fritz Beyer.<br />

1953: Eröffnung als Erinnerungsstätte<br />

der deutschen Arbeiterbewegung am 13.<br />

August. <strong>Leipzigs</strong> OBM Uhlich hielt die<br />

Rede. Er bedankte sich u.a. bei „den<br />

sowjetischen Freunden, die uns Anregung<br />

für die Errichtung dieser Gedenkstätte<br />

gegeben haben“.<br />

1971: Im Vorfeld des 100. Liebknecht-<br />

Geburtstages Konziperung einer neuen<br />

Ausstellung, die aber die vorhandene dogmatische<br />

Enge aus den 1950er Jahren<br />

noch nicht überwinden konnte.<br />

1983: Das Museum bilanziert seit der<br />

Wiedereröffnung 79 560 Besucher.<br />

1991: Die Ausstellung wird geschlossen.<br />

Die Bestände gelangten in den Fundus<br />

des Stadtgeschichtliches Mueums<br />

einige Exponate verblieben am Ort.<br />

1995: Beginn intensiver Verhandlungen<br />

des PDS-Stadtvorstandes um die Freigabe<br />

des Gebäudes verbunden mit einer<br />

Veräußerung an die damalige PDS.<br />

1998: Die Geschäftsstelle des Stadtvorstandes<br />

zieht im Mai in das Liebknecht-Haus.<br />

LEIPZIGS NEUE wird Mieter.<br />

2008: Am 29. August kauft DIE LIN-<br />

KE das Gebäude über ihre Immobilienfirma<br />

„Vulkan“.<br />

Schlüssel-Zeile: „Mögen die heutigen Nutzer stets im politischen Sinne von Karl Liebknecht handeln, der in diesem Hause<br />

am 13. August 1871 das Licht der Welt erblickte.“<br />

Es brauchte einen langen Atem<br />

Bei der Hofparty in der Leipziger<br />

Braustraße kamen<br />

nicht nur in den offiziellen<br />

Reden sondern auch bei den<br />

zahlreichen Gästen viele Erinnerungen<br />

über einen schier endlos<br />

scheinenden Weg und langen<br />

Atem bei der Suche nach einer<br />

Heimstatt für die Leipziger<br />

LINKE auf.<br />

So zeigte sich seinerzeit die PDS<br />

als Verwalter des SED-Vermögens<br />

in der Wendezeit zunächst<br />

erst einmal andernorts äu-ßerst<br />

spendabel. Allein die Leipziger<br />

Ge-nossen spendeten mehrere<br />

Hunderttausend Mark. Mit den<br />

Beträgen konnten sich die Besucher<br />

der Thomaskirche in den<br />

Folgejahren „die Füße wärmen“<br />

oder wurden Ausstattungsgegenstände<br />

für das Klinikum St.<br />

Georg und das Krankenhaus in<br />

Markkleeberg gekauft. Letzteres<br />

wurde allerdings später gechlossen.<br />

Zur Erinnerung: Obwohl Parteien<br />

zuerst in der Sowjetischen Besatzungszone<br />

zugelassen wurden, begehrten<br />

die in den westlichen Besatzungszonen oft<br />

später gegründeten Parteien nach 1989 das<br />

Vermögen und die Mitgliedschaften der<br />

Parteien (CDU, LDPD, NDPD und DBD)<br />

und Massenorganisationen der DDR. Die<br />

SPD interessierte vor allem die Immobilien<br />

der Vorkriegs-SPD auch im Leipziger<br />

Raum. Ende 1994 bekam sie die alte LVZ-<br />

Redaktion und Lenin-Gedenkstätte in der<br />

Rosa-Luxemburg-Straße zugesprochen.<br />

Vorher war der PDS in einem „Vergleich“<br />

jeglicher Verzicht auf Vermögenswerte<br />

und Immobilien abgenötigt worden. Ausnahmen<br />

bildeten vier Gebäude, darunter<br />

das Karl-Liebknecht-Haus in Berlin sowie<br />

Ausstattung und Kunstgegenstände in den-<br />

Geschäftstellen. Auch ein Ergebnis des<br />

Wirkens der ostdeutschen Ausverkäufer<br />

im Rahmen der Verhandlungen zum<br />

deutsch-deutschen Einigungsvertrag 1990.<br />

So wurde der PDS-Stadtverband zum 30.<br />

Juni 1995 vor die Tür seines eigenen Hauses<br />

gesetzt, obwohl er vorher auf diese<br />

rechtmäßig erworbene Immobilien verzichtet<br />

hatte. Als Interim wurden Räume<br />

in der Brandvorwerkstraße 52/54 angemietet.<br />

Der damalige Stadtvorsitzende,<br />

Dietmar Pellmann, ging mit Unterstützung<br />

der Stadtratsfraktion auf Suche zum Kauf<br />

oder zur langfristigen Anmietung von<br />

Eine historische Aufnahme fotografiert im Jahre 1960<br />

Räumlichkeiten. Zwischenzeitlich gab es<br />

bereits Sammlungen für ein eigenes Haus.<br />

Neben Gebäuden, die in den Nachkriegsjahren<br />

von der SED genutzt wurden,<br />

kamen auch neu errichtete Bürogebäude<br />

kurzzeitig ins Visier. Für die Standortwahl<br />

war eine möglichst zentrale Lage wichtig.<br />

Im Dezember 1995 wurde schließlich das<br />

Geburtshaus von Karl Liebknecht ins<br />

Gespräch gebracht.<br />

Anfang 1996 wurden Kaufanträge an den<br />

Kulturbeigeordneten und den Oberbürgermeister,<br />

mit der Zusage in dem ehemaligen<br />

Museumshaus eine Gedenkstätte einzurichten,<br />

gestellt. Nach mehreren Gesprächen,<br />

an denen auch der Fraktionsvorsitzende<br />

Lothar Tippach beteiligt war, signalisierte<br />

die Stadtspitze schließlich Verkaufsbereitschaft.<br />

Gleichzeitig gab es auch Bestrebungen<br />

der gewerkschaftseigenen Immobiliengesellschaft<br />

das ganze Areal unter Einschluss<br />

des Liebknecht-Hauses im Rahmen<br />

eines Bebauungsplanverfahrens als<br />

Wohnungs- und Bürostandort zu entwikkeln.<br />

(Nicht auszudenken, wenn der Coup<br />

geklappt hätte und der DGB im Rahmen<br />

des Kaufes des Gesamtareals auch das<br />

Liebknecht-Haus mit erworben hätte.<br />

Dann wäre es ebenso wie das gleichermaßen<br />

historisch bedeutsame ehemalige<br />

„Thälmann-Haus“ an einen Fonds versilbert<br />

worden.) Vor diesem Hintergrund<br />

gab es aber vor allem Widerstände in der<br />

SPD-Fraktion. Es folgte ein monatelanges<br />

zä-hes Hin und Her im Grundstücksverkehrsausschuss<br />

der Stadt obwohl die<br />

Verwaltung selbst hätte entscheiden können.<br />

Deshalb war es bei den Verhandlungen<br />

mit der LWB nicht nur Absicherung<br />

seitens der Geschäftsführung, dass später<br />

der Aufsichtsrat der Leipziger Wohnungs-<br />

und Baugesellschaft in die Entscheidungsfindungen<br />

immer mit einbezogen<br />

und beteiligt war. Um nun einen<br />

endgültigen Verkauf nicht zu gefährden,<br />

wurde zunächst ein langjähriger Pachtvertrag<br />

mit Vorkaufsrecht für die PDS<br />

geschlossen. Durch den Verkauf der<br />

Dresdner Wohnungsbaugesellschaft entstanden<br />

auch in Leipzig Bestrebungen<br />

zum Verkauf der LWB. Deshalb wurden<br />

seit Anfang 2007 erneut Verhandlungen<br />

zum Kauf des Liebknecht-Hauses<br />

geführt, was letztlich zum Erfolg führte.<br />

Der Erwerb durch DIE LINKE wurde<br />

möglich, weil von Anbeginn sehr viele<br />

Engagierte in Ost und West dieses Projekt<br />

zur Schaffung eines Begegnungszentrums<br />

der LINKEN mit Sympathie unterstützten.<br />

Deshalb ist es auch nicht uninteressant,<br />

dass sowohl über den langjährigen<br />

Pachtvertrag mit Verkaufsoption sowie der<br />

Verkaufsbeschluss (wegen Betroffenheit)<br />

völlig ohne Stimmen der PDS/Die Linke<br />

durch den Aufsichtsrat der LWB gefasst<br />

werden musste. Neben der Tatsache, nicht<br />

politisch gegen die Kaufabsicht der PDS<br />

vorzugehen, dürfte für die Entscheidungsträger<br />

von Bedeutung gewesen sein, auch<br />

durch den Verkauf von gründerzeitlichen<br />

Einzelobjekten eine ökonomische Stabilisierung<br />

der LWB zu erreichen.<br />

In der Presse war in den letzten Tagen<br />

etwas über den Kaufpreis des Liebknecht-<br />

Hauses zu lesen. Wichtig ist aber nicht<br />

allein die Höhe, sondern ebenso, dass die<br />

Linkspartei beim Kauf nicht privilegiert<br />

wurde, sondern den Verkehrswert bezahlt<br />

hat. Das Liebknecht-Haus hat zunächst<br />

keinen Denkmalstatus. Dieser erwächst<br />

vielmehr aus der Tatsache, ein Standort<br />

von überragender Bedeutung der nationalen<br />

und internationalen Geschichte der<br />

Arbeiterbewegung sowie als ein Beispiel<br />

für den Wiederaufbau nach 1945 zu sein.<br />

Deshalb müssen in Verhandlungen mit der<br />

Stadtverwaltung für die Sanierung des<br />

Hauses Kompromisse für die denkmalgerechte<br />

Rekonstruktion erreicht werden.<br />

• SIEGFRIED SCHLEGEL

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