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Gibt es eine Krise der Demokratie? Mythen ... - Bibliothek - WZB

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und Segmentierung in unseren G<strong>es</strong>ellschaften bei – ein Problem, das bisher<br />

we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Wissenschaft noch in <strong>der</strong> Politik diskutiert wird.<br />

Ein weiterer beunruhigen<strong>der</strong> Befund ist die immer geringere Zustimmung <strong>der</strong><br />

Bevölkerung zu den Parlamenten. Polizei, Militär, Kirche, Expertengremien, Verfassungsgerichte<br />

und Zentralbanken erzielen deutlich höhere Unterstützungswerte.<br />

Je weiter öffentliche Institutionen vom Kerng<strong>es</strong>chäft <strong>der</strong> Politik entfernt<br />

sind, umso b<strong>es</strong>sere Umfragewerte erhalten sie. Es droht <strong>eine</strong> Verschiebung <strong>der</strong><br />

Legitimitätsachse von „majoritären“ demokratischen Verfahren zu „nichtmajoritärer“<br />

Fachexpertise.<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung Regieren<br />

Die Th<strong>es</strong>e <strong>der</strong> Postdemokratie suggeriert, dass zwar die formalen Partizipations-,<br />

Repräsentations- und Entscheidungsverfahren <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> b<strong>es</strong>tehen bleiben,<br />

g<strong>es</strong>ellschaftlich wirksame Entscheidungen aber zunehmend außerhalb demokratischer<br />

Institutionen getroffen werden. Die Entscheidungsarenen verlagerten<br />

sich vermehrt auf <strong>der</strong>egulierte Märkte, globale Firmen, weltumspannende<br />

Banken, finanzstarke Lobbi<strong>es</strong> sowie supranationale Organisationen und Regime.<br />

Zentrale Politikfel<strong>der</strong> wie die Finanz- und Fiskalpolitik, aber auch Bereiche wie<br />

die Sozial- und Bildungspolitik würden maßgeblich von außen b<strong>es</strong>timmt. Ganz<br />

im postdemokratischen Sinne deklarieren Regierende bisweilen zentrale Entscheidungen<br />

wie die Bankenrettung, Hilfspakete zur Rettung d<strong>es</strong> Euro o<strong>der</strong> den<br />

Export deutscher Sparpolitik kurzerhand als Sachzwänge, zu denen <strong>es</strong> k<strong>eine</strong> Alternativen<br />

gebe. Wäre di<strong>es</strong> <strong>der</strong> Fall, würde die <strong>Demokratie</strong> tatsächlich <strong>eine</strong> ihrer<br />

zentralen Legitimationsquellen verlieren, nämlich die demokratische Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

darüber, welch<strong>es</strong> die b<strong>es</strong>ten Lösungen sind, die dem Gemeinwohl,<br />

das heißt den Bürgern dienen. Wie weit <strong>eine</strong> solche Delegitimierung schon stattgefunden<br />

hat, kann erst <strong>eine</strong> empirische, international vergleichende Analyse<br />

zutage för<strong>der</strong>n.<br />

Alarmistische <strong>Krise</strong>nszenarien für die Zukunft <strong>der</strong> entwickelten <strong>Demokratie</strong>n<br />

sind theoretisch wenig überzeugend und empirisch meist nicht begründet.<br />

Auch die postdemokratische Annahme, dass <strong>es</strong> früher – in <strong>eine</strong>m imaginierten<br />

Goldenen Zeitalter <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> – b<strong>es</strong>ser gew<strong>es</strong>en sei, ist kaum haltbar. Man<br />

frage nur, ob ein Afroamerikaner in den USA <strong>der</strong> 1950er Jahre, <strong>eine</strong> Schweizer<br />

Frau in den 1960er Jahren o<strong>der</strong> Homosexuelle in Europa und an<strong>der</strong>swo in den<br />

1970er Jahren nicht lieber heute leben würden als damals, und die Annahme<br />

glorreicher demokratischer Vergangenheit entpuppt sich als <strong>eine</strong> Chimäre.<br />

Auch wäre zu fragen, warum nach 50 Jahren permanenter <strong>Krise</strong> k<strong>eine</strong> <strong>der</strong> entwickelten<br />

<strong>Demokratie</strong>n je zusammengebrochen ist. Dennoch ist die <strong>Krise</strong>nfrage<br />

ernster zu nehmen, als sie <strong>der</strong> empiriefernen postdemokratischen Empörungsliteratur<br />

zu überlassen. Es verschieben sich die Legitimitätsachsen demokratischen<br />

Regierens; die Hochzeit <strong>der</strong> politischen Parteien gehört dem 20. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

an; die unteren Schichten werden politisch marginalisiert; die Macht <strong>der</strong><br />

Banken und globaler Unternehmen ist immens ang<strong>es</strong>tiegen; die Globalisierung<br />

<strong>der</strong> Märkte, <strong>der</strong> Probleme und <strong>der</strong> politischen Entscheidungen for<strong>der</strong>t die nationalstaatlichen<br />

<strong>Demokratie</strong>n zu Beginn d<strong>es</strong> 21. Jahrhun<strong>der</strong>ts heraus. Di<strong>es</strong>e Probleme<br />

ernst zu nehmen, ihre unterschiedlichen Wirkungen auf die <strong>Demokratie</strong>n<br />

sowie <strong>der</strong>en Reaktionsweisen zu verstehen, bedarf theoretisch fundierter und<br />

empirisch soli<strong>der</strong> Analysen. Gerade daran mangelt <strong>es</strong>. Unser Forschungsprojekt<br />

zur <strong>Krise</strong> <strong>der</strong> <strong>Demokratie</strong> soll di<strong>es</strong>en Mangel beheben helfen.<br />

Literatur<br />

Crozier, Michel/Huntington, Samuel P./Watanuki,<br />

Joji: The Crisis of Democracy. Report on the<br />

Governability of Democraci<strong>es</strong> to the Trilateral<br />

Commission. New York: New York University<br />

Pr<strong>es</strong>s 1975.<br />

Crouch, Colin: Post-Democracy. Cambridge: Polity<br />

Pr<strong>es</strong>s 2004.<br />

Merkel, Wolfgang (2004): „Embedded and Defective<br />

Democraci<strong>es</strong>“. In: Aurel Croissant/Wolfgang<br />

Merkel (Eds.): Consolidated or Defective Democracy?<br />

Problems of Regime Change. Special Issue<br />

of Democratization, Vol. 11, No. 5, 2004, S. 33-58.<br />

Schmidt, Manfred G.: <strong>Demokratie</strong>theorien. Eine<br />

Einführung. Wi<strong>es</strong>baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften<br />

2010.<br />

Schumpeter, Joseph A.: Capitalism, Socialism, and<br />

Democracy. New York: Harper & Brothers 1942.<br />

<strong>WZB</strong> Mitteilungen Heft 139 März 2013 9

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