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Siamesische Zwillinge - Hauner Journal

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Trennungsoperation<br />

Kommen wir zurück zu den medizinischen Problemen. Welche<br />

Operationsmöglichkeiten haben wir? Das ist in unserem<br />

Artikel über die Münchner Fälle dargelegt: Notoperation,<br />

elektive Trennung oder kein Eingriff.<br />

Notoperation:<br />

Droht ein Kind zu<br />

sterben und würde<br />

dann automatisch<br />

das zweite mit in<br />

den Tod ziehen, so<br />

wird ein Trennungsversuch<br />

erzwungen,<br />

entweder um doch<br />

noch beide Kinder<br />

zu retten oder um<br />

wenigstens ein Kind<br />

zu retten, ggf. unter<br />

Inkaufnahme des<br />

operativ bedingten<br />

Sterbens des anderen<br />

Zwillings.<br />

Elektive Trennung<br />

nach genauester Diagnostik,<br />

sorgfältiger<br />

Planung und Vorbereitung<br />

der Trennung<br />

anhand der erkannten<br />

anatomischen<br />

Möglichkeiten, ggf.<br />

vorbereitende Voroperationen,<br />

die<br />

Trennung im<br />

2. Lebenshalbjahr.<br />

Eine Trennung zur<br />

Rettung eines Kindes<br />

unter bewusster<br />

Tötung des nicht<br />

allein lebensfähigen,<br />

aber auch nicht akut<br />

gefährdeten anderen<br />

Kindes ist kürzlich<br />

in England mit großer<br />

Aufregung in<br />

der Presse diskutiert<br />

worden und ist eine<br />

sehr schwierige ethische<br />

und moralische Entscheidung, die sich niemand leicht<br />

machen kann. Man muss das aber auch abwägen mit der<br />

Lebensqualität, die alternativ ein derartiges Zwillingspaar<br />

hat.<br />

Wormser <strong>Zwillinge</strong>, 1495, Darstellung von Th. Murner mit dem<br />

Kaiserwappen des <strong>Siamesische</strong>n Doppeladlers<br />

Keine Trennung, wenn die Kinder nicht trennfähig sind,<br />

eine Trennung technisch nicht machbar wäre oder schwerste<br />

inhumane Verstümmelungen zur Folge hätte oder beide<br />

Kinder aufgrund ihres Zustandes kaum überleben könnten.<br />

Wollen siamesische <strong>Zwillinge</strong> getrennt werden?<br />

Immer ergibt sich die Frage, ob siamesische <strong>Zwillinge</strong> überhaupt<br />

getrennt werden wollen, insbesondere dann, wenn<br />

die Trennung zu nicht unerheblicher Verstümmelung führen<br />

muss (Beispiel: jedes Kind hat nach der Trennung nur<br />

ein Bein oder beide Kinder müssen lebenslang mit einem<br />

künstlichen Blasen- und Darmausgang leben). Erfolgreich<br />

getrennte <strong>Zwillinge</strong> bejahen diese Frage, weil sie ein individuelles<br />

Lebens führen können. Jene, die nicht getrennt<br />

wurden oder nicht getrennt werden konnten, haben sich<br />

glücklicherweise<br />

meist eine Philosophie<br />

zurechtgelegt,<br />

in der für sie sowieso<br />

eine Trennung<br />

negativ wäre und<br />

auf keinen Fall in<br />

Frage käme, oder<br />

anders ausgedrückt:<br />

sie haben ihr<br />

Schicksal positiv<br />

akzeptiert.<br />

Eine Entscheidung<br />

darüber kann<br />

allerdings in der<br />

Regel nicht so<br />

lange aufgeschoben<br />

werden bis eine<br />

Mitentscheidung<br />

der Kinder möglich<br />

ist. Körperliche<br />

Schäden durch verwachsungsbedingte<br />

Fehlhaltungen und<br />

vermutlich auch<br />

psychische Fehloder<br />

'Andersentwicklungen'<br />

sind<br />

nach einigen Jahren<br />

in jeder Weise irreversibel.<br />

Dürfen<br />

wir aber einen<br />

Trennungswunsch<br />

(wenn er nicht<br />

dringlich ist) unterstellen<br />

aufgrund der<br />

'Lebenserfahrung',<br />

dass kein Mensch<br />

auf Dauer als siamesischer<br />

Zwilling<br />

sondern lieber als<br />

Einzelindividuum<br />

leben wolle, selbst mit gewissen Behinderungen. Der Hamburger<br />

Strafrechtler Prof. R. Merkel hat sich sehr intensiv<br />

damit auseinander gesetzt: 'Denn auch für das Belassen des<br />

naturgegebenen, aber eben änderbaren Zustands der <strong>Zwillinge</strong>,<br />

haben die für das Kindeswohl Zuständigen die Verantwortung<br />

zu tragen'.<br />

'Gleichwohl erscheint der Trennungsversuch jedenfalls dann<br />

richtig, wenn beide Kinder eine gute Chance haben, ihn zu<br />

überleben, und wäre es mit erheblichen Verstümmelungen.<br />

Schwer behindert sind und wären sie in jedem Fall, und im<br />

ungetrennten Zustand regelmäßig schwerer'. 'Wie das weitere<br />

Leben solcher Kinder in ungetrenntem Zustand aussieht,<br />

ist allerdings eine Frage, zu der es offenbar keine eingehenden<br />

Untersuchungen gibt'.<br />

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