Juni 2013 - Stadt Hohenstein-Ernstthal
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Amtsblatt <strong>Hohenstein</strong>-<strong>Ernstthal</strong> 06/<strong>2013</strong><br />
Historische Rückblicke aus dem <strong>Stadt</strong>archiv<br />
Vor 100 Jahren... (<strong>Juni</strong> 1913) Auszüge aus dem <strong>Hohenstein</strong>-<strong>Ernstthal</strong>er Tageblatt 63. Jahrgang (1913)<br />
4. <strong>Juni</strong> 1913<br />
Ein schweres Unglück trug sich gestern Nachmittag gegen ¾ 4<br />
Uhr in der westlichen König-Albert-Straße *1 zu. An der Ecke<br />
der Schiller- und Bismarckstraße *2 scheuten vor dem Lastauto<br />
des Appreteurs Wurst aus Schönau, da die Plane des Gefährts im<br />
Winde flatterte, die noch jungen Pferde des Mehlhändlers Bruno<br />
Eisenschmidt aus Altstadt Waldenburg und rasten mit dem leeren<br />
Wagen die Schillerstraße hinab. Der Geschirrführer Oswin Winter<br />
aus Waldenburg, der als ein sehr zuverlässiger Mann geschildert<br />
wird, saß in der Schloßzelle, er vermochte jedoch trotz aller<br />
Anstrengungen nicht, die Pferde zu halten. Es gelang ihm aber,<br />
das Gefährt in die König-Albert-Straße zu lenken. Dabei schlug<br />
der Wagen an den Gaslaternenpfahl, kam auf den gegenüber<br />
dem Amtsgericht hinzuführenden Fußweg, drückte das niedrige<br />
Eisengeländer auf eine kurze Strecke ab und entwurzelte einen<br />
Akazienbaum. Hierbei stürzte das Sattelpferd und der Kutscher<br />
wurde durch den Anprall vom Wagen geworfen. Das Pferd erhob<br />
sich im nächsten Augenblick wieder und beide Tiere rasten nun<br />
weiter, den Kutscher, der die Zügel krampfhaft festhielt, mit sich<br />
schleifend. Dabei kam Winter unter den Wagen und zunächst<br />
ging ihm das linke Vorderrad über das Gesäß; nun vermochte<br />
er die Zügel aber nicht mehr zu halten und er wurde vom linken<br />
Hinterrad in gleicher Weise überfahren. Trotz seiner Schmerzen<br />
lief der Verletzte seinem Geschirr nach, das endlich an der Einmündung<br />
der Bismarckstraße *2 gegenüber dem Selbmannschen<br />
Hause zum stehen kam. Hier stieß die Deichsel des Mehlwagens<br />
gegen einen starken Straßenbaum, durch den kräftigen Anprall<br />
erhielt der Wagen eine plötzliche Wendung, die Deichsel brach<br />
mitten durch und deren Stumpf traf das Sattelpferd in den Leib.<br />
Die Verletzungen des Pferdes waren schrecklich anzusehen.<br />
Am oberen rechten Vorderbein, nahe beim Brustbein, war der<br />
Oberschenkelmuskel zerrissen, der in einer Länge von 30 Zentimetern<br />
herabhing; ebenso ward dem Pferde die rechte Seite des<br />
Brustbeins zersplittert, so daß nach Auslage des Herrn Tierarzt<br />
Lauschke, der sofort herbeigeholt worden, eine Wiederherstellung<br />
des Tieres ausgeschlossen war. Im Einverständnis mit dem sofort<br />
telephonisch benachrichtigten Besitzer, wurde das Tier, das sich<br />
nicht legen konnte, an Ort und Stelle durch Herrn Roßschlächter<br />
Herold aus Oberlungwitz getötet. Dem Kutscher ward sofort<br />
ärztliche Behandlung zuteil und er fand Aufnahme im hiesigen<br />
städtischen Krankenhause; seine Verletzungen sind glücklicherweise<br />
nicht lebensgefährlich. Dem Besitzer des Geschirrs erwächst<br />
erheblicher Schaden, da das Pferd nicht versichert war. Dem<br />
Lastauto ist nachgewiesenermaßen keine Schuld beizumessen,<br />
da es vorschriftsmäßig langsam auf der rechten Straßenseite fuhr.<br />
5. <strong>Juni</strong> 1913<br />
Am 1. <strong>Juni</strong> feierte die Photographische Kunstanstalt von Fr.<br />
Lasch, Inhaber Hugo Lasch, ihr 50jähriges Geschäftsjubiläum.<br />
Viele Glückwünsche und herrliche Blumenspenden wurden dem<br />
Geschäftsinhaber zuteil. Am Montagnachmittag stellten sich<br />
viele Kollegen aus nah und fern, von der Sektion Chemnitz des<br />
Sächsischen Photographen-Bundes ein, um ein prachtvolles Geschenk<br />
zu überreichen. Ein recht gemütliches Gartenfest, sowie<br />
ein sich daran anschließendes Festessen im Hotel „Gewerbehaus“<br />
beschloss die schöne Feier.<br />
20<br />
(Rechtschreibung im Original)<br />
8. <strong>Juni</strong> 1913<br />
Eine sehr praktische Erfindung, einen Wicklungsapparat für mechanische<br />
Webstühle, hat ein in der Neustadt wohnender Fabrikweber,<br />
Herr Richard Sonnekalb jun., gemacht. Die Erfindung, die bereits<br />
zum Patent angemeldet ist, hat den Vorteil, dass bei verschiedenen<br />
Breiten der Webwaren kein Garn- resp. Kettenverlust eintritt. Es<br />
wickeln sich die übrig gebliebenen Fäden bei schmalen Waren<br />
selbstständig wieder ab. Die Einrichtung ist leicht an jedem Webstuhl<br />
anzubringen und nicht hoch im Preise. In Bewegung gesetzt wird,<br />
der Wicklungsapparat durch die Jacquardmaschine.<br />
13. <strong>Juni</strong> 1913<br />
Wenn man an festlichen Tagen wie Königs und Kaiser Geburtstag die<br />
Straßen durchwandert, so freut sich jeder Patriot an dem zahlreichen<br />
Flaggenschmuck. Aber beim genauen Hinsehen findet man darunter<br />
Flaggen in der Anordnung „Grün-weiß“. Dies soll nun wohl die<br />
Flagge des Königreiches Sachsen darstellen, ist es aber nicht. Die<br />
Landesfarben des Königreiches Sachsen sind weiß-grün, während<br />
grün-weiß die Farben der sächsischen Herzogtümer sind. Auch „Rotweiß-schwarz“,<br />
anstatt des richtigen deutschen „Schwarz-weiß-rot“<br />
findet man öfter. Dies alles ist ein Zeichen, wie wenig Verständnis<br />
viele für die Bedeutung der Flaggen und des Flaggenschmuckes<br />
haben. Da doch sicher zum Kaiserjubiläum auch die Häuser unsrer<br />
<strong>Stadt</strong> wieder Flaggenschmuck tragen, erscheint es notwendig, auf<br />
den Gebrauch richtiger Flaggen hinzuweisen. Hierzu sei bemerkt,<br />
daß die Farben der Flaggen von oben nach unten zu lesen sind, am<br />
Flaggenstock muß also das Weiß in den sächsischen Landesfarben<br />
und das Schwarz in den Reichsfarben oben sein.<br />
20. <strong>Juni</strong> 1913<br />
Dumme werden gesucht von einer Handelsfrau, die Parfüms und<br />
Seifen feilhält und gleichzeitig ihre Kundinnen veranlaßt, sich von<br />
ihr aus der Hand wahrsagen zu lassen. Für ihre betrügerischen<br />
Handlungen sucht sie sich namentlich Lokale mit Damenbedienung<br />
auf. Die Zukunft will sie dadurch voraussagen, daß sie sich einige<br />
größere Geldstücke in die Hand legen läßt, dann ein Tuch darüber<br />
breitet und die „Messe liest“. Nach solchem Hokuspokus bringt sie<br />
irgendeinen Schwindel über die Zukunft vor und verlangt, damit der<br />
Zauber besser wirke, das in der Hand befindliche Geld; kann sie nicht<br />
alles erhalten, ist sie auch mit dem einen oder anderen Geldstück<br />
zufrieden. In einigen Fällen ist der Frau dieser Schwindel auch schon<br />
geglückt; die „weise Frau“, die natürlich nur auf Betrug ausgeht, ist<br />
45 bis 50 Jahre alt, 1,50 Meter groß, hat blatternarbiges Gesicht, trägt<br />
dunkles Kleid und schwarzen Koffer mit sich. Es sei dringend vor ihr<br />
gewarnt. Wird sie irgendwo bei ihrem betrügerischen Tun betroffen,<br />
so benachrichtige man sofort die Polizei.<br />
25. <strong>Juni</strong> 1913<br />
Das Berggasthaus „Zur Bismarckhöhe“ wird demnächst einen neuen<br />
Bewirtschafter erhalten. Herr Fickler hat das Pachtverhältnis gelöst<br />
und so wird, wie wir hören, am 1. Juli Herr Kabisch aus Leipzig als<br />
neuer Pächter seinen Einzug halten in der so gern besuchten Gaststätte<br />
auf luftiger Höhe.<br />
Lanick, Archiv<br />
* 1 König-Albert-Straße = heutige Conrad-Clauß-Straße<br />
* 2 Bismarckstraße = heutige Friedrich-Engels-Straße<br />
* 3 Moltkestraße = Immanuel-Kant-Straße<br />
* 4 Limbacherstraße = heutiger Lungwitzerstraße (oberer Teil)