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»Ich möchte in<br />

keiner an<strong>de</strong>ren Zeit<br />

leben als heute «<br />

Rebecca Gablé am Königsthron<br />

von Otto <strong>de</strong>m Großen,<br />

<strong>de</strong>r Hauptfigur ihres neuen Romans


Rebecca Gablé<br />

Rebecca Gablé<br />

Frau Gablé, in Ihrem neuen Roman über Otto <strong>de</strong>n Großen<br />

sagen Sie über eine <strong>de</strong>r Figuren (Tugomir): »Er sah<br />

sich außerstan<strong>de</strong>, sich ein Dasein außerhalb seiner vertrauten<br />

Welt vorzustellen« – Ihnen gelingt das sehr gut.<br />

Wie die meisten Menschen im Mittelalter hat Tugomir<br />

bis zu diesem Punkt <strong>de</strong>r Erzählung in einer Welt mit<br />

einem Radius von etwa zehn Kilometern gelebt. Jenseits<br />

davon beginnt das Unbekannte, Bedrohliche und<br />

Frem<strong>de</strong>. Er hatte auch keinen Zugang zu Literatur<br />

o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Medien, um seinen Horizont zu erweitern.<br />

Bei<strong>de</strong>s ist bei mir an<strong>de</strong>rs.<br />

Rebecca Gablé bei <strong>de</strong>r Recherche in ihrem Arbeitszimmer<br />

Sie hat die Gabe, Menschen für längst vergangene Zeiten zu faszinieren.<br />

Millionen von Lesern lieben ihre historischen Romane. Für »pages« gibt Rebecca<br />

Gablé einen Einblick in ihre Arbeit und in ihre ganz persönliche Geschichte.<br />

Daher auch <strong>de</strong>r Schritt, Ihren sicheren Job als Bankkauffrau<br />

zu kündigen, um Schriftstellerin zu wer<strong>de</strong>n?<br />

Genau. Obwohl ich realistisch war und nicht geglaubt<br />

habe, dass es klappen wür<strong>de</strong>. Aber ich habe gedacht,<br />

wenn ich es nicht versuche, wer<strong>de</strong> ich das mein Leben<br />

lang bereuen.<br />

Ein mutiger Schritt! Bis dato hatten Sie noch nichts<br />

veröffentlicht?<br />

Nein, nur Absagen diverser Verlage erhalten. Bis ich<br />

ein Manuskript an Bastei Lübbe geschickt habe. Seit-<br />

her habe ich nie woan<strong>de</strong>rs veröffentlicht. Die ersten<br />

Verträge habe ich noch ohne Agent gemacht, so auch<br />

für »Das Lächeln <strong>de</strong>r Fortuna«. Doch irgendwann,<br />

bei einem Bastei Lübbe Dinner während <strong>de</strong>r Frankfurter<br />

Buchmesse, kam zu später Stun<strong>de</strong> – das war wie<br />

im Film – ein Mann auf mich zu, steckte mir konspirativ<br />

seine Visitenkarte zu und sagte: »Rufen Sie mich<br />

mal an«. Seit<strong>de</strong>m habe ich einen Literaturagenten …<br />

… und schreiben historische Romane. Wie kam es,<br />

dass Sie genau dieses Genre für sich ent<strong>de</strong>ckt haben?<br />

Durch mein Studium. Ich habe englische Literatur<br />

als Hauptfach gewählt. Die Studienordnung zwang<br />

mich, mittelalterliche Sprache und Literatur als<br />

Nebenfach zu wählen. Zuerst<br />

habe ich gedacht: »Oh<br />

Schreck, oh Graus«. Wi<strong>de</strong>r<br />

Erwarten hat es mir aber von<br />

<strong>de</strong>r ersten Sekun<strong>de</strong> an große Freu<strong>de</strong> bereitet, sodass<br />

ich mittelalterliche Sprache und Literatur zu meinem<br />

Hauptfach gemacht habe. Ich bekam einen Job am<br />

Lehrstuhl und war von da an völlig vom Mittelalter<br />

umgeben. Da lag es nahe, auch literarisch etwas in<br />

diese Richtung zu probieren, <strong>zum</strong>al sich <strong>de</strong>r historische<br />

Roman zu dieser Zeit zu einem eigenen Genre<br />

entwickelte. »Der Medicus« war bereits erschienen und<br />

»Die Säulen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>« stürmten die Bestsellerliste. Als<br />

Leserin hat mich <strong>de</strong>r historische Roman fasziniert. In<br />

diesem Genre wollte ich auch schreiben.<br />

Bei <strong>de</strong>m aka<strong>de</strong>mischen Hintergrund drängt sich die<br />

Frage auf, wie viel in Ihren Romanen Fakt, wie viel<br />

Fiktion ist?<br />

Dem historisch verbrieften Personal meiner Romane,<br />

<br />

an, die sie nicht tatsächlich vollbracht haben. Aber in<br />

-<br />

tere<br />

so zu beschreiben, wie sie nach meiner Deutung<br />

wahrscheinlich waren, aber <strong>de</strong>ssen ungeachtet wer<strong>de</strong>n<br />

sie zu Geschöpfen meiner Fantasie mit einer eigenen<br />

Ausdrucksweise und Körpersprache, mit Dialogen und<br />

Emotionen. Umgekehrt achte ich darauf, dass meine<br />

erfun<strong>de</strong>nen Figuren typisch für ihre Zeit sind. Ihre<br />

»Von da an war ich völlig vom<br />

Mittelalter umgeben«<br />

persönliche Geschichte wird immer von <strong>de</strong>n politischen<br />

und sozialen Verhältnissen bestimmt, die ihre Epoche<br />

geprägt haben. So wer<strong>de</strong>n Fakten und Fiktion auf<br />

allen Ebenen miteinan<strong>de</strong>r verwoben.<br />

Fin<strong>de</strong>n Sie die historischen Figuren, die Sie beschreiben,<br />

in Ihrer Seele vor? Mit all ihren guten und<br />

schlechten Seiten, mit ihren Vorzügen und Lastern?<br />

Um Himmels willen! Dann wäre ich wohl reif für<br />

die Anstalt. Sicher gibt es Schriftsteller, die nur ein<br />

Spiegelbild ihrer eigenen Seele als literaturtauglich<br />

erachten. Das ist aller Ehren wert, aber zu dieser Sorte<br />

Schriftsteller gehöre ich nicht. Ich nutze Fantasie, um<br />

meine Figuren zu entwickeln. Damit bin ich <strong>zum</strong> Glück<br />

reichlich gesegnet, an<strong>de</strong>rnfalls<br />

könnte ich mich wohl kaum<br />

in einen mittelalterlichen<br />

Zeitgeist o<strong>de</strong>r eine männliche<br />

Psyche versetzen, um sie glaubhaft zu beschreiben.<br />

Was genau reizt Sie daran, Personen, die seit hun<strong>de</strong>rten<br />

von Jahren tot sind, wie<strong>de</strong>r <strong>zum</strong> Leben zu erwecken?<br />

Der Reiz liegt darin, dass die Vergangenheit, speziell<br />

das Mittelalter, sich radikal von <strong>de</strong>r heutigen Zeit<br />

<br />

Mittelalter ist, wie Barbara Tuchman gesagt hat, ein<br />

einschauen,<br />

<strong>de</strong>sto besser können wir verstehen, wie wir<br />

zu <strong>de</strong>r Gesellschaft wur<strong>de</strong>n, die wir heute sind.<br />

Was sehen Sie, wenn Sie in diesen »fernen Spiegel«<br />

hineinschauen?<br />

Ich bin immer wie<strong>de</strong>r fasziniert davon, wie viele von<br />

unseren heutigen Werten aus dieser Zeit stammen. Vor<br />

allem was <strong>de</strong>n Umgang von Männern und Frauen<br />

betrifft. Da gibt es heute noch eine I<strong>de</strong>alvorstellung,<br />

die hat auch durchaus noch etwas mit Ritterlichkeit<br />

und Galanterie zu tun. Das sind Wertvorstellungen, die<br />

eigentlich aus <strong>de</strong>m 12. Jahrhun<strong>de</strong>rt stammen und sich<br />

900 Jahre lang bewahrt haben. Natürlich haben sie<br />

sich gewan<strong>de</strong>lt, aber die Ursprünge sind noch sehr klar<br />

schaft<br />

sich so stark verän<strong>de</strong>rt hat, aber so ein Werteko<strong>de</strong>x<br />

überdauert.<br />

pages 10 Herbst 2013<br />

pages 11 Herbst 2013


Rebecca Gablé<br />

Rebecca Gablé<br />

Die Recherche<br />

Otto <strong>de</strong>r Große. Der hat vor rund 1.100 Jahren in<br />

Europa für eine neue Ordnung gekämpft. Wo sind<br />

Sie ihm begegnet? Wann? Warum Otto?<br />

Ich wollte einen Roman über das <strong>de</strong>utsche Mittelalter<br />

schreiben. Da schien es mir<br />

sinnvoll, mit <strong>de</strong>m Anfang<br />

zu beginnen, <strong>de</strong>n viele Historiker<br />

bei Otto bzw. seinem<br />

Vater festmachen. Darum<br />

also Otto. Und wenn man<br />

sich fürs Mittelalter interessiert,<br />

trifft man ihn zwangs-<br />

<br />

<br />

Bekannte. Er war mir vor allem als Schwiegervater<br />

<strong>de</strong>r großartigen Kaiserin Theophanu begegnet und<br />

<br />

graubärtiger Patriarch, <strong>de</strong>r alle und alles beherrscht.<br />

Umso verblüffter war ich über <strong>de</strong>n Otto, <strong>de</strong>n ich ent<strong>de</strong>ckte,<br />

als ich ihn bei meiner Recherche näher ken-<br />

<br />

er war machtbewusst, aber nicht skrupellos, ein Prag-<br />

<br />

todtraurig, wenn seine Brü<strong>de</strong>r und Söhne gegen ihn<br />

Rebecca Gablé am<br />

Karlsschrein im Aachener Dom.<br />

Links: Abbildung Otto <strong>de</strong>s Großen<br />

auf <strong>de</strong>m Karlsschrein<br />

»Otto war ein Visionär, aber<br />

<br />

Er ist mir bei <strong>de</strong>r Recherche<br />

ziemlich ans Herz gewachsen«<br />

rebellierten, was mehr als einmal passiert ist. Obwohl<br />

ich mich manchmal fürchterlich über ihn aufgeregt<br />

habe, ist er mir doch ziemlich ans Herz gewachsen.<br />

Wür<strong>de</strong>n Sie uns <strong>zum</strong> Schluss<br />

noch verraten, in welcher<br />

Zeit Sie gerne leben wür<strong>de</strong>n?<br />

Ich möchte in keiner an<strong>de</strong>ren<br />

Zeit leben als heute, als Frau<br />

schon mal gar nicht. Je mehr<br />

ich über die Vergangenheit<br />

erfahre, <strong>de</strong>sto glücklicher bin ich, dass das Schicksal<br />

mich in diese Gegenwart geführt hat.<br />

Bran<strong>de</strong>nburg 929: Beim blutigen Sturm<br />

durch das <strong>de</strong>utsche Heer unter König<br />

Heinrich I. wird <strong>de</strong>r slawische Fürstensohn<br />

Tugomir gefangen genommen. Als<br />

Leibarzt von Heinrichs Sohn Otto wird<br />

Tugomir Freund und Feind zugleich ...<br />

EVT: 11.10.2013<br />

Wir haben eine kurze Passage aus Ihrem<br />

Buch ausgewählt, anhand <strong>de</strong>rer wir eine<br />

Ahnung davon vermitteln wollen, wie<br />

viel Rechercheleistung in Ihren Büchern<br />

steckt …<br />

TUGOMIR Wo kommt dieser Name her?<br />

Tugomir ist eine historisch verbriefte Person. Was<br />

<br />

Sätzen zusammenfassen. Darum ist er quasi eine<br />

<br />

TEMPEL Es gab also einen Tempel in <strong>de</strong>r Burg?<br />

Welcher Religion gehörten die Heveller an?<br />

Archäologen gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

davon aus, dass es auf <strong>de</strong>r Bran<strong>de</strong>nburg nicht nur<br />

die Halle <strong>de</strong>s Fürsten, son<strong>de</strong>rn innerhalb <strong>de</strong>r Burg<br />

auch einen Tempel gegeben hat. Die Heveller gehörten<br />

<strong>de</strong>r slawischen Götterreligion an. Die Slawen<br />

hatten viele Götter, welche, das ist sehr schwer zu rekonstruieren.<br />

Die Slawen haben keine schriftlichen<br />

TUGOMIR ahnte, wo er<br />

das vermutlich noch ahnungslose<br />

Opfer fin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Er verließ <strong>de</strong>n<br />

TEMPEL und überquerte <strong>de</strong>n Innenhof <strong>de</strong>r oberen<br />

Burg. Der Schnee lag fast eine ELLE hoch, aber<br />

die vielen Menschen, die hier lebten, hatten Wege<br />

hindurchgebahnt. Wohnhütten und Speicherhäuser<br />

stan<strong>de</strong>n dicht an dicht, zogen sich in einem weiten Rund<br />

<strong>de</strong>n Wall entlang, und ihre flachen Dächer bil<strong>de</strong>ten <strong>de</strong>n<br />

Wehrgang. Oben an <strong>de</strong>r Brustwehr stan<strong>de</strong>n die Krieger<br />

seines Vaters aufgereiht, PFEILE UND BÖGEN<br />

griffbereit. Schweigend blickten sie auf die<br />

Havel hinab und behielten die Belagerer im<br />

Auge, die sich heute in<strong>de</strong>s ruhig zu<br />

verhalten schienen.<br />

Quellen hinterlassen. Entsprechend gibt es immer<br />

nur Kommentare von an<strong>de</strong>ren über sie.<br />

ELLE Woher weiß man, welche Maßeinheiten damals<br />

benutzt wur<strong>de</strong>n?<br />

Woher genau ich das weiß, kann ich nicht sagen, das<br />

ist mittelalterliches Basiswissen. Ich beschäftige mich<br />

seit über 20 Jahren mit <strong>de</strong>m Mittelalter, da sammelt<br />

man einfach einen Bo<strong>de</strong>nsatz an Wissen an. Und<br />

dazu gehören eben auch Maße wie »Spann«, »Elle«<br />

und »Schritt«.<br />

PFEILE UND BÖGEN Woher wissen Sie,<br />

welche Waffen die Krieger damals hatten?<br />

Dass die Slawen Pfeil und Bogen hatten, kann<br />

man in »Die Slawen in Deutschland« nachlesen.<br />

Sie konnten damit noch nicht so weit schießen<br />

wie später mit <strong>de</strong>m Langbogen, in dieser Zeit<br />

gab es noch kleinere Bögen, vermutlich aus<br />

Eibenholz. Sie wur<strong>de</strong>n überwiegend als Jagdwaffe<br />

verwen<strong>de</strong>t.<br />

pages 12 Herbst 2013<br />

pages 13 Herbst 2013

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