Die Erzeugnisse der spätromanischen Goldschmiedekunst – ein Nachklang | 209 28b | Krone der Sigismundherme im Płocker Domschatz, front- und rückseitige Gesamtansicht 28a | Büstenreliquiar des hl. Sigismund im Płocker Domschatz
242 | DIE KRAKAUER KRONEN IN IHREM KUNSTHISTORISCHEN UMFELD Die Erzeugnisse der spätromanischen Goldschmiedekunst – ein Nachklang | 243 Die rheinländische Fibel Dieses in Mainz gefundene, 1875 aus dem Frankfurter Kunsthandel vom Mittelrheinischen Landesmuseum erworbene, goldene Schmuckstück wurde 1962 restauriert, was Ergänzungen im Filigran und Steinschmuck nach sich zog. 881 Dietrich Kötzsche datiert es in das zweite Viertel des 13. Jahrhunderts und sieht in seiner Form, der durchbrochenen Scheibe, eine Fortführung des lokal nachweisbaren ottonischen Typus der Adlerfibeln aus dem Schatz der Kaiserin Agnes. Zur Verbreitung der hier vorkommenden Filigranart im Rheinland (gelegentlich auch im Maasgebiet) räumt er relativierend ein, dass diese nur selten in Gold anzutreffen sei. 882 Das Zentrum der auf einer runden Unterlageplatte applizierten Dekoration bildet ein großer, vierkrallig umklammerter, durchbohrter Cabochon, von dem sechs spitzovale Blätter – wie auf der Motala-Brosche – sternförmig ausgehen. Sie reichen bis zur inneren Begrenzung der kreisförmigen Umrandung, die 41 | Sog. rheinländische Fibel im Mittelrheinischen Landesmuseum Mainz von einem dünnen, sich schneckenförmig einrollenden und in die Höhe wölbenden Filigran (aus gezogenem Draht) überzogen ist, mit eingestreutem, einfach gefasstem Steinschmuck. 883 Seine vom Grund gelöste Anlage sowie die Schlaufenführung kommen dem Rankenwerk der Krakauer Kronen nahe. Das Vortragekreuz aus der Zisterzienserabtei Tennenbach Das um 1260/70 entstandene, 56,3 cm hohe Kreuz aus vergoldetem Silber ist für die beidseitige Beschauung konzipiert . Es hat seit 1631 eine Reihe von Ortswechseln erfahren. Seine vorletzte Aufenthaltsstation vor der heutigen Aufbewahrung im Kloster Wettingen-Mehrerau bei Bregenz (ab 1964) war das Museo Cristiano des Vatikans. „Seinem Stilcharakter nach ist es schon ganz der Frühgotik zuzurechnen, wenn auch in der Form oder beim Filigran Zusammenhänge mit spätstaufischer Kunst deutlich werden.“ 884 Auf der Vorderseite umspielt, dem Typus des verklärten Kreuzes (crux gemmata) folgend, ein dichtes, getriebenes Wein- und Eichenlaub die entlang den Rändern der Kreuzarme in einer Reihe angeordneten Edelsteine und Gemmen. 885 In der Mittelrippe wechseln einander Adler und Löwen ab . Dieselben, allerdings größer gestalteten Tiere sind den halbrunden Feldern der Vierpässe eingefügt . Ihre Anbringung in einer ringförmigen Vorrichtung entspricht der Befestigung analoger Plastiken an dem wohl gleichzeitig entstandenen Kreuz aus Pistoia und indirekt auch der Anlage des Erec-Zyklus in den Erzählsequenzen der Giebelfelder. Die Nähe dieser reliefartig angelegten, mit Tierreihen belebten Rankenwerkdekoration zur künstlerischen Ausgestaltung der Krakauer Kronen ist schon früh erkannt worden. Die publizierten Abbildungen genügten allerdings lange nicht, um diesen Befund im <strong>Ein</strong>zelnen zu überprüfen. Deutlich zeigte sich immerhin, dass das Rankengerüst hier zwar auch über dem Grund schwebt, jedoch keine eigentliche Tiefenstaffelung erreicht. Es fehlen die die Höhenabstufung der Wölbung regulierenden Ausladungen und Stützen. Auch wirkt die Zeichnung der Tiere schematisch und vergleichsweise nachlässig. 886 Johann <strong>Michael</strong> Fritz bekräftigt die Richtigkeit dieser Wahrnehmung anhand von Detailaufnahmen aus seinem privaten Fotoarchiv, die 881 <strong>Ein</strong>e Abbildung bei Steingräber (Alter Schmuck, Abb. 22) dokumentiert seinen Zustand vor der Instandsetzung. Es ist unter der Nummer N 2633 inventarisiert. 882 Vgl. Die Zeit der Staufer, Kat. 606. Ähnliche Filigrandekoration ist an zwei Armreliquiaren aus Köln (nach 1222, vergoldetes Kupfer, Grubenschmelz, Steinbesatz), an einer ebenfalls rheinländischen Fibel aus dem Museo Nazionale del Bargello in Florenz (um 1220–1240, vergoldetes Silber, Steinbesatz), am Aachener Reliquienkreuz (um 1230/40, vergoldetes Silber, Edelsteine, Perlen, Nielli) sowie am Aachener Marienschrein (um 1220–1239, Eichenholz, vergoldetes Silber, Email, Edelsteine) vorzufinden. Siehe in dieser Reihenfolge: Ornamenta Ecclesiae, Bd. 2, S. 261ff. (Kat. E 52– 53); Die Zeit der Staufer, Bd. 1, Kat. 569 und 605; Ornamenta Ecclesiae, Bd. 3, S. 113–115 (Kat. H 31); Krönungen, Bd. 1, Kat. 5.43. 883 Das spiralig gedrehte Filigran innerhalb der sechs Blätter ist flächig montiert. 884 Vgl. Fritz, Goldschmiedekunst, Kat. 62–63. 885 Seine Nähe zum Blattfiligran der sog. Heinrichskrone aus der Schatzkammer der Residenz München ist unverkennbar. Vgl. Thoma/ Brunner, Schatzkammer, Kat. 13. 886 Vgl. Kohlhaussen, Oberrheinische Kunst, S. 60f. (Abb. 7); Heuser, Oberrheinische Goldschmiedekunst, Abb. 725–726. Erst Markus Tretter lieferte für den Ausstellungskatalog 'Gold. Schatzkunst zwischen Bodensee und Chur' (hg. von Tobias G. Natter, Ostfildern 2008, S. 123–127) Ansichten des Objekts, an die weiterführende Untersuchungen anknüpfen können. Ich bin auf diese Veröffentlichung dank dem Hinweis von Pater Kassian Lauterer aus der Abtei Wettingen-Mehrerau gestoßen, allerdings schon nach abgeschlossener Überarbeitung meines Manuskripts (während der Komplettierung der Abbildungsvorlagen), erhielt aber von Markus Tretter das Nutzungsrecht der fünf Sujets des Prunkkreuzes zur einmaligen Verwendung in der vorliegenden Publikation (vgl. S. 333). 42a | Vortragekreuz aus Tennenbach in der Zisterzienserabtei Wettingen-Mehrerau bei Bregenz, frontseitige Gesamtansicht