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Wernsmann, Prof. Dr. Rainer, Universität Passau - Deutscher ...

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PROF. DR. RAINER WERNSMANN<br />

Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht,<br />

insbesondere Finanz- und Steuerrecht<br />

Telefon<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. R. <strong>Wernsmann</strong><br />

0851 509-2350<br />

0851 509-2351<br />

Telefax 0851 509-2352<br />

wernsmann@uni-passau.de<br />

e-mail<br />

Datum 29.05.2013<br />

Schriftliche Stellungnahme<br />

zum Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU<br />

Entwurf eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung<br />

besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die<br />

Europäische Zentralbank<br />

(<strong>Dr</strong>ucksache 17/13470)<br />

und<br />

zum Antrag der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen<br />

Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte – für eine starke europäische Bankenunion<br />

zur Beendigung der Staatshaftung bei Bankenkrisen<br />

(<strong>Dr</strong>ucksache 17/11878)<br />

Öffentliche Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 3.6.2013<br />

1


A. Aufgeworfene Rechtsfragen<br />

B. Zusammenfassung der Ergebnisse<br />

C. Prämissen<br />

D. Begründung im Einzelnen<br />

Gliederung<br />

I. Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung des deutschen Vertreters<br />

im Rat zur Zustimmung?<br />

II. Rechtsfolgen eines ggf. „überflüssigerweise“ erlassenen Gesetzes<br />

III. Kompetenzgrundlage im AEUV für die Übertragung der Bankenaufsicht auf<br />

die EZB<br />

A. Aufgeworfene Rechtsfragen<br />

Der Gesetzesentwurf ermächtigt in Art. 1 den deutschen Vertreter im Rat zur Zustimmung zur<br />

sogenannten SSM (Single Supervisory Mechanism)-Verordnung (Ratsdokument Nr. 7776/1/13<br />

REV 1).<br />

Folgende rechtliche Probleme werden im Folgenden einer näheren Untersuchung unterzogen:<br />

I. Darf der deutsche Vertreter im Rat seine Zustimmung nur erteilen, soweit eine<br />

gesetzliche Ermächtigung des deutschen Gesetzgebers vorliegt?<br />

II.<br />

III.<br />

Falls dies nicht der Fall sein sollte: Ist es unschädlich, wenn ein solches Gesetz erlassen<br />

wurde, aber nicht hätte erlassen werden müssen oder dürfen?<br />

Unionsrechtliche Vorfrage: Enthält der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen<br />

Union (AEUV) eine Ermächtigungsgrundlage, die im konkreten Fall geeignet ist, die<br />

vorliegende Verordnung zu tragen?<br />

B. Zusammenfassung der Ergebnisse<br />

I. Ein Gesetz, das den deutschen Vertreter im Rat ermächtigt, dem Erlass eines<br />

Sekundärrechtsaktes (hier: der SSM-Verordnung) zuzustimmen, ist im Regelfall weder<br />

erforderlich noch rechtmäßig. In der Regel hat die Bundesregierung Stellungnahmen des<br />

Bundestags lediglich bei den Verhandlungen zu „berücksichtigen“ (Art. 23 Abs. 3 Satz 2<br />

GG).<br />

Es spricht jedoch vieles dafür, dass nach der Lissabon-Rechtsprechung des BVerfG für die<br />

Übertragung der Zuständigkeit für die Bankenaufsicht eine ausdrückliche gesetzliche<br />

Ermächtigung nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG erforderlich sein könnte.<br />

2


Dies ist dann der Fall, wenn man (1) die einschlägige Kompetenzgrundlage des Art. 127<br />

Abs. 6 AEUV so verstehen kann, dass sie die Zuständigkeit der EU mit dem Inhalt des<br />

Verordnungsentwurfs vollumfänglich trägt (unionsrechtliche Vorfrage; dazu unten D III)<br />

und es sich (2) bei dieser Zuständigkeitsübertragung auf die EZB um eine „bereits<br />

angelegte, aber der Konkretisierung durch weitere Rechtsakte bedürftige<br />

Zuständigkeitsveränderung“ handelt. Eine so weitreichende Kompetenzverschiebung<br />

war bei Zustimmung der nationalen Gesetzgebungsorgane zum AEUV noch nicht<br />

vorhersehbar, und es handelt sich um aus mehreren Gründen wesentliche<br />

Kompetenzfragen (dazu D I).<br />

II.<br />

III.<br />

Sollte ein Gesetz, das den deutschen Vertreter im Rat zur Zustimmung ermächtigt, zwar<br />

erlassen, aber gleichwohl nicht erforderlich sein, so wäre das unschädlich. Ist die<br />

Ermächtigung nicht erforderlich, wird sie aber gleichwohl erteilt, so läuft sie nur „ins<br />

Leere“ (dazu unten D II). Würde hingegen der Bundestag eine gesetzliche Ermächtigung<br />

für erforderlich halten, ein solches jedoch nicht erlassen, und würde der deutsche<br />

Vertreter im Rat der Verordnung gleichwohl zustimmen (wollen), könnte die Rechtsfrage<br />

ggf. im verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahren geklärt werden.<br />

Es werden im Schrifttum vielfach Bedenken vorgebracht, ob der AEUV tatsächlich eine<br />

taugliche Rechtsgrundlage für den Erlass der SSM-Verordnung enthält (dazu unten D III).<br />

In einem solchen Fall würde die Verordnung einen ausbrechenden Rechtsakt darstellen.<br />

Hieran würde auch die explizite Zustimmung des Bundestags nichts ändern.<br />

3


C. Prämissen<br />

Die Beurteilung der (im Einzelnen sehr komplexen) rechtlichen Fragen richtet sich nach<br />

folgenden (ihrerseits sehr einfachen) Grundannahmen:<br />

(1) Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union nach Art. 23 Abs. 1<br />

Satz 2 GG könnte schon erfolgt sein, indem Bundestag und Bundesrat der<br />

Möglichkeit der Übertragung der Bankenaufsicht auf die Europäische Zentralbank<br />

(EZB) bereits zugestimmt hätten. Dies wäre der Fall, wenn Art. 127 Abs. 6 AEUV<br />

(oder eine andere Norm des AEUV) eine solche Übertragung der Bankenaufsicht auf<br />

die EZB im von SSM-Verordnungsentwurf geplanten Umfang explizit vorsieht. Im<br />

Regelfall erstreckt sich die Notwendigkeit eines Zustimmungsgesetzes allein auf die<br />

Änderung des primären Unionsrechts, also der Verträge (EUV, AEUV). Dann wäre nur<br />

zu prüfen, ob hier ausnahmsweise nach der Lissabon-Entscheidung des BVerfG<br />

(BVerfG v. 30.6.2009, 2 BvE 2/08 u.a., BVerfGE 123, 267, 355 f.) auch ein<br />

Zustimmungsgesetz zu einem Sekundärrechtsakt erforderlich wäre.<br />

(2) Stellt das geltende primäre Unionsrecht keine Kompetenzgrundlage für die<br />

Übertragung der Bankenaufsicht auf die EZB bereit, so ginge ein Zustimmungsgesetz<br />

des Bundestags ins Leere. Die Union würde ultra vires handeln, eine entsprechende<br />

Verordnung wäre nichtig. Dies hätte der EuGH festzustellen und ggf. nähme auch das<br />

BVerfG – sofern der EuGH evident fehlerhaft entschieden hätte – für sich in<br />

Anspruch, feststellen zu können, dass der Rechtsakt ultra vires ergangen wäre und<br />

deshalb in Deutschland keine Gefolgschaft beanspruchen könnte.<br />

4


D. Begründung im Einzelnen<br />

I. Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung des deutschen Vertreters im Rat zur<br />

Zustimmung?<br />

Die SSM-Verordnung soll auf Grundlage von Art. 127 Abs. 6 AEUV ergehen. Die<br />

Verordnung sieht vor, dass bestimmte Befugnisse im Zusammenhang mit der<br />

Bankenaufsicht, die in Deutschland bislang der Bundesanstalt für<br />

Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zustehen, auf die Unionsebene übertragen werden.<br />

Gesetzt den Fall, dass eine europäische Bankenaufsicht ausgeübt durch die Europäische<br />

Zentralbank tatsächlich auf Art. 127 AEUV gestützt werden kann (dazu sogleich unter D<br />

III), erscheint fraglich, ob die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat nur unter der<br />

Voraussetzung einer gesetzlichen Ermächtigung erfolgen darf. Insoweit ist zu<br />

untersuchen, ob der Gesetzesvorbehalt des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG im Lichte der<br />

Rechtsprechung des BVerfG dahingehend auszulegen ist, dass, obwohl die grundsätzliche<br />

Eröffnung der Kompetenzübertragung im Rahmen der Ratifikation des Lissabon-<br />

Vertrages bereits erfolgt ist, die Gesetzgebungsorgane des Bundes auch an solchen<br />

Rechtsetzungsakten der Union zu beteiligen sind, die durch Verwendung der im<br />

Primärrecht angelegten Kompetenznormen Zuständigkeiten übertragen.<br />

Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG kann der Bund mit Zustimmung des Bundesrates<br />

Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen. Das BVerfG interpretiert den in<br />

Art. 23 GG enthaltenen „besonderen Gesetzesvorbehalt“ in Fragen der europäischen<br />

Integration in seinem Lissabon-Urteil im Maßstabs-Teil wie folgt:<br />

„Dieser Gesetzesvorbehalt ist zur Wahrung der Integrationsverantwortung und<br />

zum Schutz des Verfassungsgefüges so auszulegen, dass jede Veränderung der<br />

textlichen Grundlage des europäischen Primärrechts erfasst wird. Die<br />

Gesetzgebungsorgane des Bundes betätigen somit auch bei vereinfachten<br />

Änderungsverfahren oder Vertragsabrundungen, bei bereits angelegten, aber der<br />

Konkretisierung durch weitere Rechtsakte bedürftigen<br />

Zuständigkeitsveränderungen und bei Änderung der Vorschriften, die<br />

Entscheidungsverfahren betreffen, ihre dem Ratifikationsverfahren vergleichbare<br />

politische Verantwortung. Dabei bleibt ein der Ratifikationslage entsprechender<br />

Rechtsschutz gewahrt.“ 1<br />

Das BVerfG präzisiert dann im Subsumtions-Teil, welche Fälle davon im Besonderen<br />

erfasst sein sollen. 2 Die Fälle des Art. 127 Abs. 6 AEUV oder andere im Zusammenhang<br />

mit der Übertragung der Bankenaufsicht auf die EZB möglicherweise in Betracht<br />

kommende Rechtsgrundlagen (mit Ausnahme der sog. Flexibilitätsklausel nach Art. 352<br />

AEUV) werden dort nicht explizit genannt.<br />

1 BVerfGE 123, 267, 355 f. = BVerfG v. 30.06.2009, 2 BvE 2/08 u.a., www.bverfg.de, Rn. 243 (Hervorhebung nur<br />

hier.) Kritisch im Hinblick auf die weite Auslegung des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG Uerpmann-Wittzack in v.<br />

Münch/Kunig, GG I, 6. Aufl., Art. 23 Rn. 46; Classen in v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl., GG II, Art. 23 Rn. 12.<br />

2 Insbesondere die Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV sei hier genannt, vgl. BVerfGE 123, 267, 434 ff.<br />

5


Die Vorgaben des BVerfG hat der Gesetzgeber mittlerweile im<br />

Integrationsverantwortungsgesetz umgesetzt. 3 Unter anderem wird ein solches Gesetz<br />

im Fall der Berufung auf die Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV benötigt. 4<br />

1. Grundsatz: Gesetzliche Ermächtigung nur erforderlich bei Erlass<br />

Änderung primären Unionsrechts<br />

Ein Gesetz im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG ist hingegen nicht erforderlich, soweit<br />

die in Frage stehende Materie bereits hinreichend bestimmt und vorhersehbar im<br />

Vertrag geregelt ist. 5 Auch die Regelung des Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG bestätigt, dass dem<br />

Bundestag bei Rechtsetzungsakten der Europäischen Union – wie hier beim Erlass einer<br />

Verordnung im Sinne des Art. 288 Abs. 2 AEUV – im Regelfall lediglich das Recht zur<br />

Stellungnahme zuzubilligen ist. Das bestätigt nochmals auch aus Sicht des nationalen<br />

Verfassungsrechts, dass im Umkehrschluss Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG bei<br />

Sekundärrechtsakten grundsätzlich nicht anzuwenden ist. Ein Zustimmungsgesetz ist<br />

mithin im Regelfall vor Erlass von sekundärem Unionsrecht nicht erforderlich.<br />

Dies gilt nach der Rechtsprechung des BVerfG aber nur, soweit die<br />

Zuständigkeitsveränderung nicht mehr der Konkretisierung bedarf. 6 Nur wenn den<br />

Mitgliedstaaten (und in Deutschland insbesondere dem Bundestag und Bundesrat als<br />

den handelnden Akteuren) schon hinreichend bestimmt und klar vor Augen stand, zu<br />

welchen Zuständigkeitsverschiebungen das primäre Unionsrecht führen kann, ist eine<br />

erneute Befassung der gesetzgebenden Körperschaften in Deutschland entbehrlich. Zwar<br />

liegt keiner der vom BVerfG in seiner Lissabon-Entscheidung und der im<br />

Integrationsverantwortungsgesetz explizit genannten Fälle vor, in denen der<br />

Gesetzesvorbehalt nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG zur Wahrung der<br />

Integrationsverantwortung ausgelöst würde. Es bleibt aber zu prüfen, ob die<br />

allgemeinen Ausführungen des BVerfG zur Notwendigkeit einer gesetzlichen<br />

Ermächtigung einschlägig sind.<br />

Mit der Ratifikation des Vertrages von Lissabon hat die Bundesrepublik Deutschland<br />

bereits ihre Hoheitsrechte übertragen. Folglich hat der Bundestag schon im<br />

Zustimmungsgesetz zum Lissabon-Vertrag seine Integrationsverantwortung<br />

wahrgenommen und den Art. 127 Abs. 6 AEUV in seiner jetzigen Fassung mitgetragen. 7<br />

Dieser formuliert:<br />

„Der Rat kann einstimmig durch Verordnungen gemäß einem besonderen<br />

Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und<br />

der Europäischen Zentralbank besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der<br />

Aufsicht über Kreditinstitute und sonstige Finanzinstitute mit Ausnahme von<br />

Versicherungsunternehmen der Europäischen Zentralbank übertragen.“<br />

3 Vgl. dazu etwa Scholz in Maunz/Dürig, GG IV, 67. EL., Art. 23 Rn. 150.<br />

4 Waldhoff/Dieterich, EWS 2013, 72, 76.<br />

5 BVerfGE 123, 267, 391 f. So auch Streinz in Sachs, GG, 6. Aufl., Art. 23 Rn. 62, 66.<br />

6 BVerfGE 123, 267, 355 f.<br />

7 Zuvor hatte der Bundestag auch schon der Vorläuferregelung des Art. 105 Abs. 6 EGV zugestimmt.<br />

6


Die Möglichkeit des Erlasses einer Verordnung war zwar im Grundsatz bereits bei<br />

Ratifikation absehbar – allerdings nur hinsichtlich der Übertragung „besonderer“ (d.h.<br />

nicht nahezu aller oder aller zentralen) Aufgaben. Eine doppelte Beteiligung des<br />

Bundestags (zunächst durch Zustimmung zum AEUV und dann erneut durch Zustimmung<br />

zum Erlass der auf den AEUV gestützten Verordnung) erschiene nicht geboten, falls sich<br />

nur vollziehen würde, womit jeder verständige Interpret der Vertragstexte nach dem<br />

Wortlaut rechnen konnte.<br />

2. Ausnahme: Gesetzliche Ermächtigung auch erforderlich bei Erlass oder<br />

Änderung von Sekundärrecht auf Grundlage schon vorhandenen<br />

primären Unionsrechts „bei bereits angelegten, aber der Konkretisierung<br />

durch weitere Rechtsakte bedürftigen Zuständigkeitsveränderungen“<br />

Indes macht die Interpretation des Art. 127 Abs. 6 AEUV durch die ganz h.M. jedenfalls<br />

im deutschen europarechtlichen Schrifttum (siehe dazu D III) deutlich, dass mit einem<br />

solch weitreichenden Verständnis des Art. 127 Abs. 6 AEUV, wie es jetzt dem Entwurf der<br />

SSM-Verordnung zugrunde liegt, jedenfalls nicht zu rechnen war (unabhängig von der<br />

Frage, ob es rechtlich belastbar ist; dazu unten D III). Die Kompetenzgrundlage wurde<br />

und wird überwiegend so verstanden, dass der EZB nur einzelne punktuelle<br />

Kompetenzen übertragen werden könnten, nicht aber eine weitreichende Aufsicht über<br />

nahezu alle wichtigen Banken mit der weiteren Möglichkeit, die Aufsicht quantitativ<br />

noch auszuweiten und weitere allgemeine Weisungen gegenüber den nationalen<br />

Behörden erteilen zu können (vgl. Art. 5 Nr. 3, 4 Entwurf der SSM-Verordnung).<br />

Die Möglichkeit einer so weitreichenden Kompetenzverschiebung auf die EZB mag in Art.<br />

127 Abs. 6 AEUV angelegt gewesen sein, war aber jedenfalls noch<br />

konkretisierungsbedürftig im Sinne der Lissabon-Rechtsprechung des BVerfG 8 . Weder<br />

war sie schon durch den AEUV selbst umgesetzt noch war im Zeitpunkt der Ratifikation<br />

das weitreichende Verständnis dieser Kompetenzgrundlage vorhersehbar. Bezieht man<br />

des Weiteren noch die äußerst weitreichenden und wohl irreversiblen Folgen einer<br />

Kompetenzzuweisung an die EZB ein, so wird man von einer „wesentlichen“<br />

Kompetenzverschiebung ausgehen müssen, für die verbreitet die<br />

Integrationsverantwortung des Gesetzgebers angenommen wird. 9<br />

Die Wesentlichkeit der Entscheidung über die Bankenaufsicht und deren Zuordnung aus<br />

der EZB folgt ohnehin schon aus den vielfältigen Besonderheiten in der<br />

Aufgabenbeschreibung der EZB. Besondere Schwierigkeiten folgen aus der<br />

Doppelaufgabe und der Auflösung möglicher Zielkonflikte (Sicherung von Preisstabilität<br />

einerseits, Bankenaufsicht andererseits), die auch fundamentale Verbürgungen wie das<br />

Demokratieprinzip berühren. Denn die Unabhängigkeit der EZB (vgl. Art. 88 Satz 2 GG,<br />

Art. 130 AEUV) und damit die Freistellung von parlamentarischer Kontrolle sind nur im<br />

Hinblick auf das Ziel der Geldwertstabilität zu rechtfertigen. 10<br />

8 BVerfGE 123, 267, 355 f.<br />

9 Vgl. allgemein zu diesem Kriterium auch Huber in Möllers/Zeitler, Europa als Rechtsgemeinschaft –<br />

Währungsunion und Schuldenkrise, S. 229, 237.<br />

10 Vor diesem Hintergrund sieht die Verordnung hinsichtlich der Bankenaufsicht Rechenschafts- und<br />

Berichtspflichten vor, vgl. Art. 17 des Entwurfs der SSM-VO.<br />

7


Unabhängig davon stellt sich aber natürlich die Frage, wieweit die Kompetenzgrundlage<br />

des Art. 127 Abs. 6 AEUV inhaltlich tatsächlich reicht. Die hätte zunächst der EuGH zu<br />

beurteilen und ggf. in einem zweiten Schritt das BVerfG, das freilich nur prüft, ob eine<br />

evidente Kompetenzüberschreitung der Unionsorgane vorliegt.<br />

8


II.<br />

Rechtsfolgen eines ggf. „überflüssigerweise“ erlassenen Gesetzes<br />

Sollte Art. 127 Abs. 6 AEUV als Rechtsgrundlage in Betracht kommen und wäre dieses<br />

weitreichende Verständnis schon bei Ratifikation der Norm durch die Mitgliedstaaten<br />

erkennbar gewesen, bedarf es keiner gesetzlichen Ermächtigung des deutschen<br />

Vertreters im Rat. Erlassen Bundestag und Bundesrat gleichwohl das Gesetz, nach dem<br />

der deutsche Vertreter ermächtigt wird, der SSM-Verordnung zuzustimmen, so wäre<br />

dies unschädlich. Bedürfte es der Ermächtigung nicht, so ginge diese ins Leere. „Zum<br />

Schwur“ käme es nur, wenn Bundestag und/oder Bundesrat die Ermächtigung nicht<br />

erteilen, aber meinen, dass eine solche erforderlich sei, während der deutsche Vertreter<br />

im Rat für die Verordnung stimmt, weil er meint, eine gesetzliche Regelung sei nicht<br />

erforderlich gewesen. Dann kommt ggf. ein Organstreitverfahren vor dem BVerfG über<br />

die Rechte und Pflichten der handelnden Organe in Betracht.<br />

9


III.<br />

Kompetenzgrundlage im AEUV für die Übertragung der Bankenaufsicht auf die EZB<br />

durch die SSM-VO?<br />

Darüber hinaus erscheint fraglich, ob eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Erlass<br />

der Verordnung im AEUV vorhanden ist.<br />

Die Bundesregierung, die unmittelbar an der Setzung von sekundärem Unionsrecht<br />

mitwirkt, wie auch der Bundestag sind nach der Rechtsprechung des BVerfG verpflichtet,<br />

auf die Einhaltung der Kompetenzgrenzen der Union zu achten. 11<br />

1) Die Verordnung soll auf Art. 127 Abs. 6 AEUV gestützt werden. Auf den ersten<br />

Blick suggeriert der Wortlaut der Vorschrift, dass ein solches Vorhaben durchaus<br />

primärrechtlich umsetzbar sei. So heißt es dort, dass „der Europäischen<br />

Zentralbank besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über<br />

Kreditinstitute und sonstige Finanzinstitute“ übertragen werden können.<br />

Indes können eine Reihe von Argumenten angeführt werden, welche die<br />

Annahme unterstreichen, dass Art. 127 Abs. 6 AEUV nicht als hinreichende<br />

Kompetenzgrundlage für eine umfangreiche Bankenaufsicht in Frage kommt. 12<br />

Zunächst soll es ausweislich des Wortlauts nur möglich sein, besondere Aufgaben<br />

zu übertragen. Die Verordnung sieht jedoch vor, dass weite Teile der<br />

Bankenaufsicht - d. h. diese fast vollständig - auf die EZB übertragen werden. Die<br />

sehr weitreichende Verlagerung der Zuständigkeiten von nationaler auf<br />

europäische Ebene geht über den eng gefassten Wortlaut („besondere Aufgaben<br />

im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute“) hinaus. Zudem weist<br />

die Verordnung der EZB eine Reihe von Befugnissen zu. 13 Art. 127 Abs. 6 AEUV<br />

bereitet hingegen nur die Grundlage für eine Zuweisung von Aufgaben. 14<br />

Des Weiteren laufen systematische Erwägungen der Ansicht des Rates zuwider.<br />

In Art. 127 Abs. 2 AEUV werden die grundlegenden Aufgaben der EZB – ohne<br />

Nennung der Bankenaufsicht – normiert. Vor diesem Hintergrund werden die<br />

Mitgliedstaaten als die Herren der Verträge kaum in Abs. 6 eine derart<br />

weitreichende Kompetenzvorschrift vorgesehen haben. 15<br />

Schließlich legen Art. 127 Abs. 5 AEUV und Art. 25.1 ESZB-Satzung, wo nur von<br />

„Beitragen“ und „Beraten“ die Rede ist, die Schlussfolgerung nahe, dass der EZB<br />

im Rahmen der Bankenaufsicht nur eine Nebenfunktion zukommen soll. 16<br />

2) Fraglich erscheint indes, die geplante Verordnung auf die<br />

Generalrechtsangleichungskompetenz 17 des Art. 114 Abs. 1 AEUV zu stützen.<br />

11 BVerfGE 89, 155, 211 f.; 92, 203, 236; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl., Art. 23 Rn. 45.<br />

12 Wohl h.M. im Schrifttum: Vgl. nur Häde in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl., Art. 127 AEUV Rn. 56; Kempen in<br />

Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 127 AEUV Rn. 25; Waldhoff/Dieterich, EWS 2013, 72, 75; Griller in<br />

Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 49. EL., Art. 127 AEUV Rn. 60; Herdegen, WM 2012, 1889, 1991;<br />

Brandi/Gieseler, BB 2012, 2646, 2650.<br />

13 Vgl. etwa Artikel 9 ff., 13 oder 15 der Verordnung.<br />

14 Ebenso Herdegen, WM 2012, 1889, 1891 f.<br />

15 Waldhoff/Dieterich, EWS 2013, 72, 75.<br />

16 Näher Herdegen, WM 2012, 1889, 1892.<br />

17 So Kahl in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl., Art. 114 AEUV Rn. 9.<br />

10


Diese Vorschrift hat zum Ziel, Hemmnisse für den Binnenmarkt zu beseitigen.<br />

Bereits zweifelhaft erscheint, ob die Einrichtung einer europäischen Behörde mit<br />

weitreichenden Befugnissen auf Art. 114 AEUV gestützt werden kann. 18 Dies kann<br />

jedoch dahinstehen, da Art. 114 AEUV eine Subsidiaritätsklausel enthält („soweit<br />

in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist“). 19 Die Herren der Verträge haben<br />

jedoch gerade die Frage der Bankenaufsicht durch die EZB in Art. 127 Abs. 6<br />

AEUV abschließend geregelt. Auf diese Vorschrift kann folglich nicht<br />

zurückgegriffen werden.<br />

3) Aus den gleichen Gründen ist ein Rekurrieren auf die Abrundungskompetenz in<br />

Art. 352 AEUV ausgeschlossen. 20 (Würde auf diese zurückgegriffen, wäre ohnehin<br />

nach § 8 Integrationsverantwortungsgesetz, das die Rechtsprechung des BVerfG<br />

aufnimmt, eine gesetzliche Ermächtigung erforderlich.)<br />

4) Folgt man der herrschenden Auffassung im europarechtlichen Schrifttum, führt<br />

die Einführung einer Bankenaufsicht in der hier vorgesehenen Form zumindest an<br />

die Grenzen des nach den bestehenden Verträgen Möglichen. Es erscheint nicht<br />

unzweifelhaft, ob die Übertragung der Bankenaufsicht auf die EZB daher auf die<br />

geltenden Verträge gestützt werden kann.<br />

18 Vgl. dazu Herdegen WM 2012, 1889, 1891. Ablehnend bereits Häde, EuZW 2011, 662, 663.<br />

19 Leible/Schröder in Streinz, EUV/AEUV, 2.Aufl., Art. 114 AEUV Rn. 9.<br />

20 Näher Waldhoff/Dieterich, EWS 2013, 72, 76; Streinz in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl., Art. 352 AEUV Rn. 8 f.<br />

11

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