Islam - Die Frage nach dem Heiligen - Wilhelm Sabri Hoffmann
Islam - Die Frage nach dem Heiligen - Wilhelm Sabri Hoffmann
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<strong>Die</strong> <strong>Frage</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>Heiligen</strong>: Der <strong>Islam</strong><br />
1. Definitionsversuche: Was versteht „man“ unter <strong>Islam</strong>?<br />
Das Bild des <strong>Islam</strong>s in Deutschland wird mehr von der Außensicht als von der Innensicht<br />
oder der eigenen Interpretation der Muslime geprägt. Der „<strong>Islam</strong>experte" ist glaubwürdiger<br />
als der hier lebende Muslim.<br />
In den Nachrichten ist von der „islamischen Welt" die Rede, zumeist im Zusammenhang mit<br />
kriegerischen oder gewalttätigen Ereignissen. – Aber: Ist die islamische Welt eine kulturelle<br />
oder politische Einheit?<br />
Der <strong>Islam</strong> in Deutschland ist in den Medien präsent als „Sicherheitsrisiko“ und<br />
„Integrationsproblem“. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der <strong>Islam</strong> „Religion der<br />
Fremden“ und fremde Religion. – Aber: Ist das wirklich die Realität, in der wir mit unseren<br />
muslimischen Nachbarn leben?<br />
<strong>Die</strong> <strong>dem</strong>ographische Entwicklung, das Anwachsen eines Bevölkerungsanteils mit anderer<br />
Religion und anderen kulturellen Orientierungen, löst vermehrt Ängste und Besorgnis aus.<br />
<strong>Die</strong> Konflikte um den Moscheebau zeigen: die Ängste und Bedrohungsszenarien wachsen<br />
im <strong>dem</strong> Ausmaß, in <strong>dem</strong> sich der <strong>Islam</strong> einbürgert, aus <strong>dem</strong> Hinterhöfen in die<br />
Öffentlichkeit kommt.<br />
Für die christlichen Kirchen ist der <strong>Islam</strong> ein Dialogpartner, gegenüber <strong>dem</strong> verstärkt<br />
„Klarheit" und „offene Worte" gefordert werden. Hier sind Protestanten kritischer oder<br />
zurückhaltender als Katholiken, Evangelikale deutlich distanzierter als Vertreter der<br />
Landeskirchen. – Aber: Ist die hier behauptete Gefährdung durch den <strong>Islam</strong> eine Bedrohung<br />
des christlichen Abendlandes, oder nicht vielmehr eine angebliche Bedrohung der<br />
Errungenschaften der europäischen Aufklärung?<br />
In Internetforen und Publikationen stellen „<strong>Islam</strong>kritiker" den <strong>Islam</strong> nicht als Religion,<br />
sondern als „totalitäre Ideologie" dar, die den Kommunismus als Feindbild abgelöst hat.<br />
Das Feuilleton kennt einen vormodernen, romantisch verklärten und weltoffenen <strong>Islam</strong> als<br />
Gegenbild zum finsteren christlichen Mittelalter.<br />
2. <strong>Islam</strong>, Iman, Ihsan - drei Dimensionen einer Religion<br />
Nach einer Überlieferung, die sich auf Umar beruft, aus der Sammlung des Abu Muslim:<br />
Eines Tages, während wir bei Allahs Gesandtem, salla Allahu alihi wa sallam (Gottes Segen für ihn<br />
und der Friedensgruß), saßen, erschien ein Mann vor uns, mit sehr weißen Gewändern und sehr<br />
schwarzem Haar. An ihm war keine Spur der Reise zu sehen, und von uns kannte ihn keiner.<br />
Schließlich setzte er sich zum Propheten, lehnte seine Knie gegen dessen Knie, legte seine Handflächen<br />
auf dessen Oberschenkel und sagte: „O Muhammad, unterrichte mich über <strong>Islam</strong>."<br />
Da sagte Allahs Gesandter: „<strong>Islam</strong> ist, dass du bezeugst, dass es keinen Gott gibt außer Allah, und<br />
dass Muhammad der Gesandte Allahs ist, dass du das Gebet verrichtest, die Zakat gibst, im Ramadan<br />
fastest und zum Hause pilgerst, wenn es dir möglich ist."<br />
Er sagte: „Du hast recht gesprochen," und wir waren erstaunt, das der Mann ihn fragte und sagte er<br />
spräche recht. Er sagte: „Erzähle mir von Iman."<br />
Er sagte: „Du sollst an Allah glauben, Seine Engel, Seine Bücher, Seine Propheten, und den Letzten<br />
Tag und an die Göttliche Vorsehung, das Gute und das Böse davon."<br />
Er sagte: „Du hast recht gesprochen. Erzähl mir von Ihsan."<br />
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<strong>Die</strong> <strong>Frage</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>Heiligen</strong>: Der <strong>Islam</strong><br />
Er sagte: „Es ist Verehrung Allahs wie du Ihn siehst, und während du Ihn noch nicht wirklich siehst,<br />
Er sieht dich."<br />
Dann sagte er: „O Umar, weißt du, wer der <strong>Frage</strong>nde war?"<br />
Ich sagte: „Allah und Sein Gesandter wissen es am besten."<br />
Er sagte: „Er war Gabriel, er kam zu dir, um dir deine Religion zu lehren."<br />
<strong>Islam</strong> - aus der arabischen Wortwurzel s·l·m (heil, ganz sein) gebildet, wird mit „Hingabe",<br />
„Unterwerfung", „Befriedung" oder „Gottergebenheit" übersetzt.<br />
Iman - aus der arabischen Wortwurzel a·m·n (zuverlässig, sicher sein) gebildet, wird mit<br />
"Glaube" übersetzt.<br />
Ihsan - aus der arabischen Wortwurzel h·s·n (schön, gut sein) gebildet, wird mit „Tugend"<br />
oder „Wohltun" übersetzt.<br />
3. Entwicklung: Wie und woraus entstand der <strong>Islam</strong>?<br />
Muhammad gilt als „Siegel der Propheten“, als derjenige, <strong>dem</strong> die letzte Offenbarung zuteil<br />
wurde, die alle vorhergehenden bestätigte und deren Auslegungen durch Juden und<br />
Christen korrigiert. Er lebte von 570 bis 632 n. Chr. auf der arabischen Halbinsel. Seine<br />
Heimatstadt Mekka beherbergte die Kaaba, ein Heiligtum, in <strong>dem</strong> alle Araber der Halbinsel<br />
ihre Götterbilder aufstellten.<br />
Im Alter von vierzig Jahren, <strong>nach</strong> lange quälen<strong>dem</strong> Suchen und Gebet, das ohne Antwort<br />
blieb, erlangte er eine erste Offenbarung: „Lies im Namen deines Herrn, der erschaffen hat, den<br />
Menschen erschaffen hat aus einem Embryo. Lies. Dein Herr ist der Langmütigste, der durch das<br />
Schreibrohr gelehrt hat, den Menschen gelehrt hat, was er nicht wusste."(Koran 96:1ff)<br />
Im Mittelpunkt der sich nun bald fortsetzenden Offenbarungen stand die Gerechtigkeit und<br />
Barmherzigkeit Gottes, die vom Menschen eine Antwort in Gehorsam und Dankbarkeit<br />
erheischt: „Dein Herr hat dir nicht den Abschied gegeben und hasst dich nicht. Wahrlich, das<br />
Jenseits ist besser für dich als das <strong>Die</strong>sseits. Und wahrlich, dein Herr wird dir geben, und du wirst<br />
zufrieden sein. Hat er dich nicht als Waise gefunden und dir Unterkunft besorgt, und dich abgeirrt<br />
gefunden und rechtgeleitet, und bedürftig gefunden und reich gemacht? So unterdrücke die Waise<br />
nicht und fahre den Bettler nicht an, und erzähle von der Gnade deines Herrn." (Koran 93: 3-11)<br />
<strong>Die</strong> Predigt des 40jährigen Kaufmanns, der seine Landsleute vor <strong>dem</strong> göttlichen Gericht<br />
warnte, stieß in der reichen Handelsstadt Mekka auf taube Ohren, da er mit scharfen Worten<br />
die soziale Verantwortung der Menschen forderte und die Vielgötterei verurteilte. Er war<br />
gezwungen, mit einigen Anhängern im Jahre 622 <strong>nach</strong> der Oasenstadt Medina zu<br />
emigrieren, wo er ein Gemeinwesen <strong>nach</strong> Maßgabe der koranischen Weisungen zu schaffen<br />
begann. Mit diesem Jahr der „Hidschra“ (Auswanderung) beginnt die islamische<br />
Zeitrechnung. Nach erbitterten kriegerischen Auseinandersetzungen ergab sich im Jahre 630<br />
Mekka kampflos. <strong>Die</strong> Kaaba wurde von den Götzenbildern gereinigt und beim Tode des<br />
Propheten war die ganze Halbinsel unter der Oberhoheit der Muslime geeint.<br />
Unter den ersten vier „rechtgeleiteten" Kalifen (Stellvertreter) des Propheten begann das<br />
Gemeinwesen über die Grenzen Arabiens hinauszugreifen. Innerhalb von zwei<br />
Jahrhunderten war die Hälfte des Mittelmeerraumes und der gesamte alte Orient erobert.<br />
Zentralasien, das nördliche Afrika, der indische Subkontinent, ja selbst Europa mit Spanien<br />
und <strong>dem</strong> Balkan geriet unter die Kontrolle islamischer Herrschaft. Innerhalb seiner Grenzen<br />
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<strong>Die</strong> <strong>Frage</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>Heiligen</strong>: Der <strong>Islam</strong><br />
duldete der <strong>Islam</strong> christliche und jüdische Minderheiten. Er arrangierte sich pragmatisch mit<br />
Buddhisten, Hindus und Animisten und inspirierte Wissenschaft und Künste.<br />
„Für jeden von euch haben Wir Richtlinien und einen Weg bestimmt. Und wenn Allah gewollt hätte,<br />
hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Er wollte euch aber in alle<strong>dem</strong>, was Er euch<br />
gegeben hat, auf die Probe stellen. Darum sollt ihr um die guten Dinge wetteifern. Zu Allah werdet<br />
ihr allesamt zurückkehren; und dann wird Er euch das kundtun, worüber ihr uneins wart." (Koran<br />
5:48)<br />
Weltweit darf man wohl von rund einer Milliarde Muslime ausgehen. Damit bekennen sich<br />
rund ein Fünftel der Weltbevölkerung zum <strong>Islam</strong>. <strong>Die</strong> größten muslimischen Populationen<br />
findet man jedoch nicht im arabischen Sprachraum, sondern in Indien und Indonesien. Im<br />
vergangenen Jahrhundert hat er sich auch außerhalb seiner seit Jahrhunderten bevölkerten<br />
Gebiete ausgebreitet. Durch Konversion und Einwanderung ist er z. B. in den USA die am<br />
schnellsten wachsende Religionsgemeinschaft.<br />
Konfliktfelder und Entwicklungsfelder für den <strong>Islam</strong> der Gegenwart sind folgende <strong>Frage</strong>n:<br />
Wie verbindet man die Anforderungen und Herausforderungen der Moderne mit <strong>dem</strong><br />
Bezug auf die historisch einmalige aber beispielhafte Situation der Urgemeinde um den<br />
Propheten ohne in Fundamentalismus zu verfallen?<br />
Wie verbindet man den universellen Anspruch des <strong>Islam</strong>s mit seinen Prägungen durch die<br />
Kulturen, die ihn historisch beheimatet haben, ohne in Traditionalismus zu verfallen?<br />
Wie verbindet der <strong>Islam</strong> seinen Wahrheitsanspruch mit den Gemeinsamkeiten mit Judentum<br />
und Christentum, ohne in einen nur noch sich selbst bestätigenden Monolog zu verfallen.<br />
4. Orthodoxie: Was glauben Muslime?<br />
Allah (arabisch: „Gott“), ist einzig, barmherzig und gerecht. Er ist Schöpfer und Richter. Er<br />
gibt den Menschen, die nicht der Erlösung, aber der Rechtleitung bedürfen, Anleitung zum<br />
rechten Gottesdienst und Handeln durch die Propheten. Allah ist der Gott der Muslime,<br />
Christen und Juden. „Und sprecht: Wir glauben an das, was zu uns herab gesandt wurde und zu<br />
euch herab gesandt wurde; und unser Gott und euer Gott ist Einer; und ihm sind wir ergeben“<br />
(Koran 29:46)<br />
Muhammad (arabisch: „der Gepriesene") ist kein Erlöser, nur Mensch, aber der Gesandte<br />
Gottes, „Siegel der Propheten“, Übermittler und maßgeblicher Interpret des Koran und<br />
maßgebliches Vorbild durch die „Sunna", den tradierten „Brauch" des Propheten.<br />
Der Koran (arabisch „das Vorzutragende“) ist Rede und Wort Gottes, <strong>dem</strong> Propheten<br />
Muhammad in arabischer Sprache, in Mekka und Medina, über einen Zeitraum von 23<br />
Jahren offenbart.<br />
Zu beachten ist das unterschiedliche Offenbarungsverständnis in Christentum und <strong>Islam</strong>.<br />
Bibel und Evangelium vermitteln Jesus Christus, sie sind inspirierte Offenbarung, kennen<br />
Interpretation und historische Textkritik. Der Botschafter Muhammad hingegen vermittelt<br />
nur den Koran, eine direkte Offenbarung, die unter den Muslimen zwar Interpretation aber<br />
noch keine historische Textkritik erfährt.<br />
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<strong>Die</strong> <strong>Frage</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>Heiligen</strong>: Der <strong>Islam</strong><br />
5. Orthopraxie: Wie leben Muslime - und <strong>nach</strong> welchen Regeln und Werten?<br />
<strong>Die</strong> gesamte Praxis des <strong>Islam</strong>s beruht auf „Fünf Pfeilern“ oder Pflichten, die von je<strong>dem</strong><br />
Muslim verlangt werden, so er dazu in der Lage ist:<br />
Das Zeugnis des Glaubens<br />
Als Muslim gilt jeder Mann und jede Frau, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und ohne<br />
äußeren Zwang folgendes Glaubensbekenntnis aufsagen kann: „Eschhedu en lâ ilâhe illallâh ve<br />
eschhedu enne Muhammeden abduhû ve rasûluh". (Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott<br />
gibt. Und ich bezeuge, dass Muhammad sein <strong>Die</strong>ner und Gesandter ist.)<br />
Das fünfmalige tägliche Pflichtgebet<br />
Alle Muslime, die geistig dazu in der Lage sind, sind verpflichtet, an fünf festgelegten<br />
Tageszeiten ein Gebet zu verrichten. <strong>Die</strong> Form des Gebetes ist durch die Sunna festgelegt.<br />
„Und lobpreise deinen Herrn vor <strong>dem</strong> Aufgang der Sonne und vor ihrem Untergang. Und preise ihn<br />
zu gewissen Zeiten der Nacht und an den Enden des Tages, auf das du zufrieden bist.“ (Koran<br />
20:130f)<br />
Das Fasten im Monat Ramadan<br />
Alle Muslime, die körperlich dazu in der Lage sind, sind verpflichtet, im Monat Ramadan, in<br />
<strong>dem</strong> die Offenbarung des Koran begann, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu<br />
fasten. „O ihr, die ihr glaubt, vorgeschrieben ist euch zu fasten, so wie es denen<br />
vorgeschrieben worden ist, die vor euch lebten, auf das ihr gottesfürchtig werdet, und dies für<br />
eine Anzahl von Tagen. ... Der Monat Ramadan ist es, in <strong>dem</strong> der Koran herab gesandt wurde<br />
als Rechtleitung für die Menschen und als deutliche Zeichen der Rechtleitung und der<br />
Unterscheidungsnorm. Wer nun von euch in <strong>dem</strong> Monat anwesend ist, der soll in ihm fasten.<br />
Und wer krank ist oder sich auf einer Reise befindet, für den gilt eine Anzahl anderer Tage.<br />
Gott will für euch Erleichterung. Er will für euch nicht Erschwernis, und dass ihr die Zahl der<br />
Tage vollendet und Gott dafür hoch preiset, dass Er euch rechtgeleitet hat, und dass ihr<br />
dankbar werdet. Wenn dich meine <strong>Die</strong>ner <strong>nach</strong> Mir fragen, so bin ich nahe, und Ich erhöre<br />
den Ruf des Rufenden, wenn er mich anruft. Sie sollen nun auf Mich hören, und sie sollen an<br />
Mich glauben, auf dass sie einen rechten Wandel zeigen." (Koran 2:183-186)<br />
<strong>Die</strong> Pflichtabgabe eines Teils des Einkommens an Bedürftige<br />
Alle Muslime, die wirtschaftlich dazu in der Lage sind, sind verpflichtet, einen Teil ihres<br />
Einkommens der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. „<strong>Die</strong> Abgaben sind nur für die<br />
Armen, die Bedürftigen, diejenigen, die mit deren Pflege beschäftigt sind, diejenigen, deren Herz mit<br />
<strong>dem</strong> <strong>Islam</strong> vertraut gemacht werden soll, für den Loskauf von Sklaven, die Verschuldeten, für Allahs<br />
Weg und für den Reisenden.“ (Koran 9:60)<br />
<strong>Die</strong> Pilgerreise zur Kaaba <strong>nach</strong> Mekka<br />
Alle Muslime, deren wirtschaftliche und familiäre Situation es zulässt, sind verpflichtet,<br />
einmal im ihrem Leben zu einer bestimmten Zeit die Pilgerfahrt <strong>nach</strong> Mekka mit einem<br />
vorgeschriebenen Ablauf zu vollziehen. „Es ist die Stätte Abrahams und wer sie betritt, ist in<br />
Sicherheit. Und Gott hat den Menschen die Pflicht zur Wallfahrt <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> Haus auferlegt, allen, die<br />
dazu die Möglichkeit finden.“ (Koran 3:96f)<br />
Über die fünf Grundpflichten sind sich alle Anhänger des <strong>Islam</strong>s einig, egal ob sie als<br />
Sunniten <strong>dem</strong> Vorbild der ersten vier rechtgeleiteten Kalifen des Propheten folgen, oder als<br />
Schiiten sich an die Nachkommen Alis, des vierten Kalifen und Schwiegersohns<br />
Muhammads, halten. Der <strong>Islam</strong> kennt, abgesehen von der Abspaltung von<br />
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<strong>Die</strong> <strong>Frage</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>Heiligen</strong>: Der <strong>Islam</strong><br />
Sondergemeinschaften wie Drusen, Alawiten oder Aleviten keine konfessionellen<br />
Differenzierungen. Auch die Trennung in Schiiten und Sunniten oder die Aufteilung in die<br />
vier Rechtsschulen begründen keine grundlegenden unterschiedlichen Glaubensaussagen<br />
oder eine andere „Liturgie“ des Gottesdienstes, wie dies z. B. im Christentum der Fall ist.<br />
Mit <strong>dem</strong> arabischen Wort „Umma" wird die Gemeinschaft der Gläubigen bezeichnet. Sie<br />
beruht auf den Prinzipien Solidarität, Gerechtigkeit und Egalität. Ausgleich zwischen reich<br />
und arm und die Vermeidung hierarchischer Strukturen wird angestrebt. Sie ist eine<br />
Laiengemeinde ohne ordinierten Klerus, ohne Mitgliederstatistik und Uniformität - aber mit<br />
einer starken Betonung der Einheit der Glaubenspraxis in der Vielfalt der Völker, Sprachen<br />
und individuellen Überzeugungen.<br />
Muslimische Praxis ist gekennzeichnet von der Einheit von innerlicher Haltung und<br />
äußerem Tun, es gibt keine Trennung von Gottesdienst und Alltag.<br />
Muslime orientieren sich dabei am Koran als göttliche Offenbarung, an der Sunna, der<br />
vorbildhaften Praxis des Propheten, und an der „Scharia" (arabisch „Strasse zur<br />
Wasserstelle") als verrechtlichte Beschreibung gebotener, empfohlener, zu meidender und<br />
verbotener Handlungen in gottesdienstlichen Handlungen, Familienleben, Alltag und<br />
Geschäftsleben.<br />
Aber welche Schariah? „Es ist für Muslime <strong>nach</strong> der auf den Koran gestützten Überzeugung<br />
selbstverständlich, das jeweilige Gesetz des Landes, in <strong>dem</strong> sie leben, zu befolgen. ... So gibt es hier<br />
zum Beispiel eine intensive Diskussion über die Menschenrechte, die im Sinne des <strong>Islam</strong> und mit ihm<br />
vereinbar sind. Daher lehnen sie Praktiken ab, die in manchen Herkunftsländern Geltung haben und<br />
gegen Menschenrechte wie die Religionsfreiheit, die körperliche Unversehrtheit oder die<br />
Gleichberechtigung von Mann und Frau verstoßen.“(Deutsches <strong>Islam</strong>forum 2006: Scharia als<br />
Glaubensweg von Muslimen)<br />
6. Quellen und Autoritäten: Wer spricht im Namen des <strong>Islam</strong>?<br />
Der Koran ist das Wort Gottes, das <strong>dem</strong> Propheten Mohammed in klarer arabischer Sprache<br />
über den Zeitraum von 23 Jahren offenbart wurde. Das ist die unumstrittene Definition, die<br />
von allen Muslimen jenseits ihrer theologischen und kulturellen Unterschiede während der<br />
gesamten Geschichte des islamischen Denkens akzeptiert wurde. In dieser Definition können<br />
wir drei Aspekte unterscheiden, das - unverfügbare - Wort Gottes („kalam Allah“), den<br />
konkreten Koran und die Offenbarung oder Inspiration. Offenbar werden sie im verflachten<br />
modernen islamischen Diskurs synonym gebraucht, während es in der klassischen Theologie<br />
ein Bewusstsein gab, dass jeder der Begriffe etwas anderes meint, und deshalb ist der Koran,<br />
den wir lesen und interpretieren, keinesfalls mit <strong>dem</strong> ewigen Wort Gottes identisch.<br />
„Der Koran ist eine Schrift zwischen zwei Buchdeckeln, die nicht spricht. Es sind die Menschen, die<br />
zu ihm sprechen.“ (Imam Ali Ibn AbuTalib, 4. Kalif)<br />
Ein Koran, aber viele Interpretationen. <strong>Die</strong> Interpretation sollte aber nicht willkürlich,<br />
sondern regelgeleitet sein, und war deshalb Aufgabe der gebildeten Experten. <strong>Die</strong>se einst<br />
unabhängige Klasse ist aber durch den Verfall der islamischen Bildungsinstitutionen fast<br />
verschwunden – und hat Konkurrenz bekommen durch staatlich bevormundete<br />
Religionsgelehrte, halbgebildete Laien mit großer Medienpräsenz und selbsternannte<br />
Autoritäten an den radikalen Flügeln der islamischen Welt.<br />
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<strong>Die</strong> <strong>Frage</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>Heiligen</strong>: Der <strong>Islam</strong><br />
7. Alltag: Wo und wie leben die Muslime?<br />
Mehr als 3,4 Millionen Muslime leben in Deutschland. Sie kamen als Migranten aus<br />
verschiedenen Staaten oder sind Deutsche, die zum <strong>Islam</strong> konvertierten (ca. 12.500). Eine<br />
große Bandbreite religiöser Richtungen ist vertreten: Sunniten (80%), Schiiten (20 %),<br />
Aleviten (400.000) und Ahmadis (50.000). <strong>Die</strong> ethnisch größte Gruppe sind die Türken mit<br />
ca. 1,9 Millionen, die ihrerseits zu 90 Prozent Sunniten sind. Das bunte und für den<br />
Beobachter von außen mitunter verwirrend-irritierende Erscheinungsbild des <strong>Islam</strong> in<br />
Deutschland wird von ungefähr 2200 muslimischen Vereinen bestimmt. <strong>Die</strong> Mehrzahl von<br />
ihnen ist im „Zentralrat der Muslime", <strong>dem</strong> „<strong>Islam</strong>rat", der „Türkisch-<strong>Islam</strong>ischen Union, der<br />
Anstalt für Religion (DITIB)" und <strong>dem</strong> „Verband <strong>Islam</strong>ischer Kulturzentren" organisiert.<br />
Muslimisches Leben ist vielfältig, Muslime in Deutschland sind: traditionell, konservativ,<br />
„fundamentalistisch“, missionarisch, liberal, tolerant, mystisch, desinteressiert, areligiös ...<br />
„Man muss nur <strong>nach</strong> Kairo oder Marrakesch reisen, um zu begreifen, wie sehr sich die muslimischen<br />
Gesellschaften von <strong>dem</strong> Bild unterscheiden, das sie der Schrift <strong>nach</strong> abgeben müssten. Was <strong>Islam</strong> ist,<br />
das wird dort ungleich integrativer, durchlässiger verstanden als auf deutschen Podien. Eine<br />
repräsentative Umfrage brachte kürzlich zutage, dass trotz der zunehmenden Religiosität der<br />
Bevölkerung 85 Prozent der Türken jemanden, der das Ritualgebet nicht einhält oder Alkohol trinkt,<br />
als guten Muslim betrachten. Überrascht kann darüber nur sein, wer nicht mit <strong>dem</strong> <strong>Islam</strong><br />
aufgewachsen ist. Zum Glück für die Menschen scheren sich Geschichte und Gegenwart des <strong>Islam</strong>s<br />
nicht durchweg um Dogmen vermeintlicher Experten aus <strong>dem</strong> Westen: der <strong>Islam</strong> lebt wie jede<br />
Religion gerade in der Dialektik zwischen den Texten und ihren Lesern. Sonst müsste man die<br />
Mehrheit der Leser - das heißt: jene Muslime, die aus den Quellen andere Schlüsse ziehen - zu<br />
Ungläubigen erklären. Von solchen Experten haben die Muslime genug.“ (Navid Kermani: Eine<br />
Schrift zwischen zwei Buchdeckeln. Plädoyer für ein Ende des Surenpingpong: Der Koran ist<br />
– wie die Bibel – nur in der Gesamtheit seiner Aussagen zu begreifen. Süddeutsche Zeitung<br />
4.2.2003)<br />
„Ve Allahu a'lam" (Und das Wissen ist bei Gott). Mit diesen Worten schlossen viele<br />
muslimische Autoren der Vergangenheit ihre Ausführungen, im Bewusstsein ihrer eigenen<br />
Beschränkung und Subjektivität.<br />
<strong>Wilhelm</strong> <strong>Sabri</strong> <strong>Hoffmann</strong>, Rheine<br />
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<strong>Die</strong> <strong>Frage</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>Heiligen</strong>: Der <strong>Islam</strong><br />
Anhang:<br />
Eigen- und Fremdwahrnehmung<br />
Wie sehen sich Muslime und Christen?<br />
Christentum und <strong>Islam</strong> - eine verkürzende christliche Sichtweise<br />
Christentum ... <strong>Islam</strong> ...<br />
verständliche Bibel<br />
vertraute und zusammenhängende<br />
Erzählungen<br />
Gott: liebender Vater<br />
Mensch: Kind Gottes<br />
„Reich Gottes“<br />
Freiheit vom Gesetz<br />
gesellschaftlich neutral<br />
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“<br />
Religion des Friedens<br />
Gleichberechtigung aller Menschen<br />
unbekannter Koran<br />
unbekannte und zusammenhanglose<br />
Darstellungen<br />
Gott: strafender Richter<br />
Mensch: Sklave Gottes<br />
„sinnliche“ Paradiesesfreuden und Furcht<br />
vor Höllenstrafen<br />
Werkgerechtigkeit<br />
gesellschaftlich überholt<br />
patriarchalische Gemeinde von Medina als<br />
Modell<br />
Religion der Gewalt<br />
Dschihad – „Heiliger Krieg“<br />
Unterdrückung von Frauen, Sklaven und<br />
„Ungläubigen“<br />
<strong>Islam</strong> und Christentum - eine verkürzende islamische Sichtweise<br />
<strong>Islam</strong> ... Christentum ...<br />
verlässlicher Koran<br />
gesicherte Überlieferung<br />
Offenbarung: Gotteswort<br />
Einheit Gottes<br />
Religion der Mitte<br />
Genuß der „guten Dinge“<br />
gesellschaftlich verantwortlich<br />
vorbildliche Gemeinschaft<br />
Religion der Toleranz<br />
Gleichberechtigung aller Gläubigen<br />
„verfälschte“ Bibel<br />
unsichere Überlieferung<br />
Offenbarung: Menschenwort<br />
Aufweichung: Gottessohnschaft,<br />
Dreieinigkeit und <strong>Heiligen</strong>verehrung<br />
Religion der Übertreibung<br />
Askese und Freizügigkeit<br />
gesellschaftlich freizügig<br />
vereinsamtes Individuum<br />
Religion der Mission<br />
Unterdrückung durch Kirchenhierachie<br />
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Literaturempfehlungen<br />
<strong>Die</strong> <strong>Frage</strong> <strong>nach</strong> <strong>dem</strong> <strong>Heiligen</strong>: Der <strong>Islam</strong><br />
Katajun Amirpur und Ludwig Ammann (Hrsg.) Der <strong>Islam</strong> am Wendepunkt. Liberale und<br />
konservative Reformer einer Weltreligion. Herder Verlag Freiburg im Breigau 2006. ISBN 3-451-05665-<br />
8<br />
Eine breite Auswahl an unterschiedlichen Positionen, die den <strong>Islam</strong> als eine lebendige Religion in der<br />
Auseinandersetzung mit der Moderne zeigt.<br />
Aloys Butzkamm: Im Namen Allahs, des Allbarmherzigen. Eine kleine Einführung in den <strong>Islam</strong>.<br />
Bonifatiusverlag Paderbon 2002. ISBN 3-89710-234-X<br />
Eine ausgezeichnete und prägnante Einführung des katholischen <strong>Islam</strong>-Beauftragten des Bistums Paderborn,<br />
gut und reichlich illustriert, für christliche Leser geschrieben.<br />
Ralf Elger: <strong>Islam</strong>. Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt a. M. 2002. ISBN 3-596-15368-9<br />
Das schmale Bändchen informiert kurz und prägnant über fast alle Aspekte der Praxis und des Glaubens sowie<br />
der Problemfelder, wobei aber sehr differenziert versucht wird, das ganze Spektrum des <strong>Islam</strong>s zu Wort kommen<br />
zu lassen.<br />
Peter Heine: Terror in Allahs Namen. Extremistische Kräfte im <strong>Islam</strong>. Herder Freiburg 2001. ISBN 3-<br />
451-05240-7<br />
Klärt anschaulich über Motive und Hintergründe gewaltsamer islamistischer Bewegungen auf.<br />
Der Koran. Arabisch - Deutsch. Übersetzt und kommentiert von Adel Theodor Khoury. Gütersloher<br />
Verlagshaus Gütersloh 2004, ISBN 3-579-05408-12<br />
Eine der lesbarsten deutschen Koranübersetzungen, die sich an die traditionellen muslimischen Kommentare<br />
hält. Mit thematischem Register.<br />
Malise Ruthven: Der <strong>Islam</strong>. Eine kurze Einführung. Aus <strong>dem</strong> Englischen übersetzt von Matthias<br />
Jendis. Reclam Stuttgart 2000. ISBN 3-15-018057-0<br />
Eine ausgezeichnete Darstellung vor allem der politischen und sozialen Dimensionen des <strong>Islam</strong>.<br />
Webressourcen<br />
<strong>Islam</strong> in Deutschland - Der Bürger im Staat 4/2001 (LpB Baden Württemberg)<br />
http://www.buergerimstaat.de/4_01/islam.htm<br />
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Muslimisches Leben in Deutschland. Im Auftrag der<br />
Deutschen <strong>Islam</strong>konferenz.<br />
http://www.deutsche-islam-konferenz.de<br />
Heiner Bielefeldt: Muslime im säkularen Rechtststaat<br />
http://www.migration-boell.de/downloads/integration/bielefeldt.pdf<br />
Thomas Lemmen und Melanie Miehl: <strong>Islam</strong>isches Alltagsleben in Deutschland. Bonn 2001.<br />
http://library.fes.de/fulltext/asfo/01003toc.htm<br />
Scharia als Glaubensweg von Muslimen - Eine Information herausgegeben vom Deutschen<br />
<strong>Islam</strong>forum<br />
http://www.interkultureller-rat.de/Themen/<strong>Islam</strong>forum/Scharia-Endfassung.pdf<br />
Qantara.de Dialog mit der islamischen Welt<br />
http://www.qantara.de<br />
ufuq.de Jugendkultur, Medien & politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft<br />
http://ufuq.de<br />
DITIB - Türkisch <strong>Islam</strong>ische Union der Anstalt für Religion e.V.<br />
http://www.diyanet.org/de<br />
islam.de Zentralrat der Muslime<br />
http://www.islam.de<br />
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