D - Ortszeit Mediale
D - Ortszeit Mediale
D - Ortszeit Mediale
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Blutproben<br />
»Please don`t touch« wehleidet es in gipsernen Lettern<br />
an der Gibelwand der ehemaligen Poliklinik des<br />
VEB Transformatorenwerkes Karl Liebknecht, wahrlich,<br />
nur dieses furchtbar klagende »Please don`t touch«.<br />
Sonst nichts.<br />
Von der Halle gegenüber tönt eisige Stille, blitzende<br />
Glasscherben auf allen Wegen und riesige Löcher in<br />
Wänden und Dächern der angrenzenden Gebäude<br />
künden vom endgültigen Tod der einst gewaltigen<br />
Industrieanlage. Sie blutet noch grindig, grau und<br />
modrig, dennoch: hierher verirrt sich kein Mensch<br />
mehr, es sei denn zum Pissen gegen irgendeinen<br />
halbvergammelten Strauch auf irgendeinem Heimweg<br />
in irgendeine der bleiernen Straßen ringsum.<br />
32 000 Menschen standen vor dem Mauerfall in Lohn<br />
und Brot, ein ununterbrochener Windewurm aus<br />
Füßen, Beinen, Körpern und Köpfen, eine Kleinstadt<br />
auf ständiger Wanderschaft. Vorbei.<br />
Vorbei. Vorbei. Vorbei.<br />
Im Jahre 2002 gelang es dem Niederländer<br />
Michiel A. Brand mit Hilfe des Kunstfestivals »Helden<br />
der Arbeit« einen Bypass zwischen all die verlassenen<br />
Arbeitsplätze, durch Hallen und Büros zu legen.<br />
Und plötzlich war Leben. Seltsam, trotzig, lächerlich,<br />
torkelig, schweißlos zwar, aber Leben.<br />
D i e K ü n s t l e r i n n e n u n d<br />
K u n s t t h e r a p e u t i n n e n<br />
T r u d e P u s c h e l u n d H e i k e<br />
F r i e d r i c h s c h u f e n m i t<br />
e b e n s o s i m p l e r w i e ü b e r -<br />
z e u g e n d e r T y p o g r a f i e e i n<br />
s e i t v i e r J a h r e n t r o t z i g<br />
a u s h a r r e n d e s K u n s t w e r k<br />
i n O b e r s c h ö n e w e i d e .<br />
Der Patient Oberschöneweide begann erneut zu<br />
atmen. Atmen bedeutete Puls. Und das fernab<br />
kontinuierlicher Geschäftigkeit, seilschaftsergebener<br />
Geldströme, städtischer Verkaufskultur und sich selbst<br />
übertreffender Kulturmaschinerien.<br />
Freilich, nach Oberschöneweide zog nur, wer<br />
unbedingt mußte. Alles andere war unnötige Härte.<br />
Der Blick von außen allerdings war, wie so oft,<br />
unscharf und von jener Arroganz geprägt, mit der<br />
alles am Boden liegende mit Nachtreten bestraft<br />
wurde. Lange Zeit wollte man nicht sehen, nicht<br />
begreifen: Dies ist der Gegenpol zur neuen Mitte,<br />
hier gleichen sich die verschobenen Gewichte zwischen<br />
Superstar und Arschgesicht schmerzvoll aus.<br />
Zuerst kamen die Künstler und weiß Gott, was sollten<br />
die noch am Potsdamer Platz?<br />
Später dann hampelten Träume über die löchrigen<br />
Straßen wie angeschlitzte Sauen durchs Dorf.<br />
Ein DDR-Park wollte eröffnen, mit nachgebautem<br />
Grenzstreifen und ABM-Stellen für Wachposten.<br />
Gewaltige Kulturevents sollten nach Laune<br />
lustschwangerer Investorendarsteller über die Bühne,<br />
Museen und Kinos eingerichtet, Ausstellungen an den<br />
Start gehen.<br />
Um manch gescheiterte Idee war es schade, gewiß.<br />
7