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Kurzgeschichte<br />
<strong>Martin</strong><br />
<strong>Felder</strong><br />
<strong>1000</strong>-<strong>Seiten</strong>-<strong>Roman</strong><br />
No. 23
<strong>Martin</strong> <strong>Felder</strong>, geboren 1974, Mitglied<br />
im Forum Hamburger Autoren<br />
und bei Index Zürich. Ausgezeichnet<br />
mit dem Jeanne-Hersch-Preis Genf<br />
und dem Luzerner Werkbeitrag für<br />
Literatur. Zuletzt erschienen: „Die<br />
Blumen meiner Nachbarin“ in der<br />
Edition Schwarzhandpresse.<br />
Impressum<br />
1. Auflage 2011<br />
Alle Rechte bei den Autoren<br />
Literatur-Quickie, Probsthayn<br />
Baumkamp 44, 22299 Hamburg, Germany<br />
Satz und Gestaltung: www.heimathafen-hamburg.de<br />
Foto: Nils Nova<br />
www.literatur-quickie.de
<strong>1000</strong>-<strong>Seiten</strong>-<strong>Roman</strong><br />
Eine Geschichte von <strong>Martin</strong> <strong>Felder</strong>
<strong>1000</strong>-<strong>Seiten</strong>-<strong>Roman</strong><br />
Eine neue Nachbarin ist eingezogen. Was ich damit meine, fragt<br />
sie, als ich sage, sie habe Schmetterlinge um den Mund.<br />
Eine Windböe wirbelt gefallene Blätter zurück in die Baumwipfel,<br />
wo sie sofort hängen bleiben.<br />
Ich habe mein Bett entsorgt. Ich schlafe auf dem Boden. Ich<br />
will am Morgen früher aufstehen.<br />
Zwei Rehe fluchen am Waldrand.<br />
4
Sie nimmt meine Hand. Sie hat geheime Landstriche und Fabrikschornsteine.<br />
Und sie lässt sich eine grössere Badewanne<br />
einbauen.<br />
Vielleicht, sagt ein Wohlhabender am Bahnhofskiosk, wird es<br />
mir nicht immer so gut gehen wie jetzt, dann werde ich froh<br />
sein, diesen Kaugummi nicht gekaut, sondern auf die Seite gelegt<br />
zu haben für schlechtere Zeiten.<br />
Lieblingswörter: Stummfilm, Lavendel, Fuge.<br />
5
Ich möchte eine Giraffe kaufen.<br />
6
Zwei Frauen im Café trinken Wasser. Die zwei Hündchen zu<br />
ihren Füssen unter dem Tischchen trinken ebenfalls Wasser.<br />
Mein Nachbar – er ist Künstler – zeigt mir einen Artikel, der<br />
über ihn in der Zeitung geschrieben wurde und weist darauf<br />
hin, dass er gleich hinter den Todesanzeigen steht.<br />
Eine Kellnerin fragt mich, ohne dass ich sie gerufen hätte, ob<br />
ich bezahlen wolle.<br />
7
Die neue Nachbarin fragt mich, wovon ich lebe. Davon, dass<br />
ich umgekippte Gartenzwerge nach Sturmwetter wieder aufstelle,<br />
antworte ich. Ich lebe von Kaugummiberatung und Sonnencrèmetests.<br />
Mein Lebensinhalt ist es, Windräder zurückzuspuhlen.<br />
Ich könne ihr auch einfach sagen, dass sie mich nicht<br />
nach meinem Beruf fragen solle, anstatt absurde Antworten zu<br />
geben, sagt sie.<br />
8
Ich habe mich heute in meiner Wohnung verirrt. Bis ich<br />
schweissgebadet die Tür fand.<br />
Ich bin eine Kaulquappe und überlege, wie ich mich richtig<br />
schreibe.<br />
Ein Wellensittich flieht aus dem Käfig und prallt gegen eine<br />
Scheibe. Als er wieder aufwacht, ist er wieder im Käfig.<br />
Der Künstlernachbar liest meine Tiergeschichten. Wenn es wenigstens<br />
Fabeln wären, sagt er.<br />
9
Heute habe ich eine alte Dame beobachtet. Sie löste ein Zugticket<br />
und brachte es wenig später an den Schalter zurück, wobei<br />
sie mit dem Schalterbeamten ein nettes Gespräch führte. Dies<br />
tat sie an drei verschiedenen Schaltern.<br />
Ich versuche ein Kinderlied rückwärts zu pfeifen und bekomme<br />
den Krampf in der linken Wange.<br />
Ein Mann tritt mir im Tram auf den Fuss. Er tut so, als würde<br />
er es nicht merken. Ich räuspere mich. Er schaut mich verachtend<br />
an. Ich spüre grosse Lust, ihn zu beschimpfen.<br />
10
Ich reise in die grosse Stadt im Norden, um einen Freund zu<br />
besuchen. Wir treffen uns in der Kälte beim vereisten Springbrunnen.<br />
Nur ich bin da.<br />
In den Schaufenstern liegen Schlafsäcke und Menschen. Zwischendurch<br />
schaut eine rote Nase aus dem Loch fürs Gesicht.<br />
Ich habe mit dem Freund eine grosse Flasche geleert. Jetzt versuchen<br />
wir, durch ein Nadelöhr zu kriechen.<br />
11
Zurück zu Hause frage ich mich, ob das wirklich mein Zuhause<br />
sei.<br />
Diesen Scheisssatz schreibe ich auf dem WC.<br />
Vielleicht sollte ich versuchen, ein paar Zeilen länger zu werden<br />
und ein paar Jahre reifer, sagt der Künstlernachbar. Ich tue<br />
ihm den Gefallen.<br />
12
Mein neues Fahrrad hat keine Gangschaltung, keine Bremsen,<br />
keinen Sattel und keinen Rahmen, sagt der Fahrradbesitzer<br />
stolz und trägt seine Kette davon.<br />
13
Ich beisse sanft in ihre Schamlippe und lutsche. Sie teilt mir<br />
mit, sie verspüre Lust nach gehackter Petersilie und Ingwer.<br />
14
Der Ast, auf dem ich sitze, wird von einem Stab bewegt, geschwenkt,<br />
geschüttelt. Ich halte mich verzweifelt fest, bis ich<br />
nicht mehr kann, falle, über den Boden rolle.<br />
Ein Hase hoppelt über die Wiese, über den danebenliegenden<br />
Acker, bis zum Waldrand. Dort beisst er in den Pneu des geparkten<br />
Mähdreschers. Dann hoppelt er wieder dem Waldrand<br />
entlang zurück, über den danebenliegenden Acker, über die<br />
Wiese.<br />
15
Balthasar hat sich als Flagge den Mast hochziehen lassen. Jetzt<br />
flattert er fröhlich und zufrieden im kühlen Abendwind.<br />
16
Die neue Nachbarin und ich beschliessen nichts zu tun, als den<br />
ganzen Sonntag nackt in ihrer Wohnung zu sitzen.<br />
Ich habe den Brief des Abfalldetektivs über meine irreguläre<br />
Müllentsorgung in einen Gebührensack geworfen und diesen<br />
am falschen Tag an der falschen Strasse falsch hingestellt.<br />
Die neue Nachbarin probiert ihre neuen Schuhe aus. Sie geht<br />
vor dem Spiegel auf und ab.<br />
Seit drei Tagen schlafe ich nicht.<br />
17
Ich bin seit drei Tagen wach, sage ich der neuen Nachbarin.<br />
Jetzt werde ich drei Tage schlafen. In deinem Bett.<br />
Es wäre doch schön, wenn wir etwas näher bei einander stehen<br />
könnten, ruft eine Strassenlaterne der benachbarten Strassenlaterne<br />
zu.<br />
Ein Mann streichelt im Traum die Sitzlehnen.<br />
Die neue Nachbarin klebt offene Streichholzschachteln als Tore<br />
auf die Tischplatte und wir blasen Wattekügelchen hinein.<br />
18
Ich schreibe einen Text unter der Wirkung von fünf Tassen in<br />
Serie eingeflössten Kaffees. Eine winzige Mücke brummt.<br />
Ich binde Feuerwerksraketen an die Rollen meines Bürostuhls<br />
und schiesse ihn auf einen Baum.<br />
Ein Baum wird gefällt und es gefällt ihm.<br />
Ich vergesse die Leimtube zu schliessen. Der Leim merkts und<br />
flüchtet.<br />
Ich zähle die vorbeifahrenden Autos, und fange jedes Mal,<br />
wenn ich mich verzähle, noch einmal beim ersten an.<br />
Ich schreibe einen Text ohne einzuatmen. Ich stelle fest, dass<br />
jedes Wort, das ich falsch schreibe, und dann korrigieren muss,<br />
einen<br />
Wir besteigen einen Berg und befallen einen See.<br />
19
Ein Mann, der nichts sieht, geht quer über die Strasse und hat<br />
Glück.<br />
Heute habe ich nichts geschrieben, schreibe ich.<br />
20
Auf dem Fundbüro nehme ich einen grauen Hut entgegen, der<br />
mir nicht gehört.<br />
Das Quadrat und die Linie treffen sich, haben sich nichts zu<br />
sagen und gehen dann weiter.<br />
Ich schreibe im Café meinen <strong>Roman</strong> und werde nach zwei Tagen<br />
und zweiundzwanzig <strong>Seiten</strong> hinausgeworfen.<br />
21
Die neue Nachbarin fragt, wo ich gewesen sei. Sie habe sich<br />
während meiner Abwesenheit verliebt.<br />
22
Ralph Dutli<br />
Fatrasien<br />
Absurde Poesie<br />
des Mittelalters<br />
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»Diese Fatrasien sind ein unmögliches, ein absurdes, ein wunderbares Fest! Ich kann nicht<br />
aufhören, mich darüber zu wundern, daß es so etwas gibt, daß man so etwas so gut übersetzen<br />
kann und daß die Texte so poetisch sind, daß ich das Gefühl habe, durch sie überhaupt erst<br />
Poesie wahrzunehmen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: In meinem ganzen langen Leben<br />
mit dem Mittelalter ist mir so etwas Überraschendes und Großes noch nicht vorgekommen.«<br />
Kurt Flasch
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<strong>Martin</strong> <strong>Felder</strong> - <strong>1000</strong>-<strong>Seiten</strong>-<strong>Roman</strong><br />
Wetten, dass <strong>Martin</strong> <strong>Felder</strong> es wieder einmal schafft mit ‚winzigen‘<br />
Worten, wohl ‚gesetzten‘ Sätzen und arrangierten Abschnitten einen<br />
<strong>1000</strong>-<strong>Seiten</strong>-<strong>Roman</strong> zu schreiben - und das mit so viel Absonderlichkeiten<br />
und Aberwitz, dass seine Welten permanent erdbeben.<br />
Bei diesem Autor wird das Lesen zum Sog, dann zur Sucht, und es<br />
soll schon Sklaven unter seinen Lesern geben, die nicht ohne ihn …<br />
Monique<br />
Schwitter<br />
Wendel wartet<br />
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