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M. A. Sieber Traum ohne Träumer. Depersonalisation als ...

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<strong>Traum</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Träumer</strong><br />

M. A. <strong>Sieber</strong><br />

Zweifel stürzen, sei dahingestellt. Als maladie du doute jedoch halten sie – ähnlich wie die<br />

schriftstellerischen Bemühungen Blanchots – an einer metaphysischen Dimension fest, <strong>ohne</strong> ihr<br />

eine Bestimmung oder einen Namen zu geben: explizit negativ steht sie <strong>als</strong> Leer-Stelle offen. Und<br />

genau das ist das Unheimliche.<br />

*<br />

Abstract<br />

Mit dem Begriff der <strong>Depersonalisation</strong>s-Derealisationsstörung werden Fremdheitsgefühle sich selbst und der<br />

Welt gegenüber bezeichnet, die in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen,<br />

beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen. Wollte man die Erlebnisqualität dieser<br />

Unwirklichkeitsgefühle in einer für jedermann nachvollziehbaren Weise beschreiben, so könnte sie in etwa wie<br />

folgt lauten: "Ich habe das natürliche Verhältnis zur Welt verloren, mir ist, <strong>als</strong> wenn ich halb im <strong>Traum</strong> bin." Die<br />

immer wiederkehrenden Vergleiche der Derealisation mit <strong>Traum</strong>zuständen dienen hier <strong>als</strong> Anlass, sich die<br />

träumende Ich-Instanz einmal genauer anzusehen. Im Rückgriff auf einen Aufsatz von Maurice Blanchot, "Der<br />

<strong>Traum</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Träumer</strong>", wird sich dabei zeigen, dass wir uns <strong>als</strong> Träumende in der Rolle eines Fremden<br />

begegnen, die einer Anwesenheit <strong>ohne</strong> Anwesenden gleicht und deren grammatische Form eher das 'Es' <strong>als</strong> das<br />

'Ich' wäre. Weder im <strong>Traum</strong> noch während der <strong>Depersonalisation</strong> hat das Ich den Sinn eines 'wahren' Ichs, da<br />

es in seinen psychischen Akten nicht völlig aufzugehen vermag und nur zum Teil in ihnen enthalten ist. In<br />

beiden Bewusstseinslagen kann das Ich den Descartes’schen Grundgedanken: "cogito, ergo sum" nicht mehr<br />

faktisch vollziehen, sodass es zu einer Art Referenz <strong>ohne</strong> Selbstreferenz kommt. Das träumende sowie das<br />

derealisierte Subjekt wird gleichsam von einem anonymen Seinsstrom überflutet, der für kurze Zeit den<br />

unheimlichen, weil namenlosen Grund unseres Daseins aufdeckt und das Ich mit einer beunruhigenden<br />

Fremdheit seiner selbst überrascht. Ruft man sich erneut die enge Verbindung von literarischer Phantastik und<br />

psychologischer Theoriebildung ins Gedächtnis, dann erinnert die <strong>Depersonalisation</strong> vor allem daran, dass auch<br />

die phantastische Literatur "Descartes den Rücken kehrt" (Georges Jacquemin).<br />

*<br />

Erstpublikation in: Quarber Merkur 113 (2012), S. 93-116. Wiederveröffentlicht mit freundlicher Genehmigung<br />

des Autors.<br />

Seite 20 e-Journal Philosophie der Psychologie

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