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SCHwEIZER ILLUSTRIERTE - Kapuziner

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Gesellschaft<br />

Text Thomas Kutschera<br />

Fotos Christian Lanz<br />

Für sich Bruder<br />

Benno in seiner<br />

Zelle. Beim Eintritt<br />

nahm er keine<br />

persönlichen<br />

Gegenstände mit.<br />

Schatz In der Klosterbibliothek<br />

studieren<br />

Benno und Mitbruder<br />

Oktavian, 84, eine deutsche<br />

Bibel von 1473.<br />

Oase der Ruhe<br />

Der <strong>Kapuziner</strong>mönch<br />

im Kreuzgang<br />

seines Klosters.<br />

«Ich bin zufriedener<br />

als in meinem<br />

früheren Leben.»<br />

Ohne Scheu In der Migros-Filiale Hertensteinstrasse<br />

kauft Benno bei Cornelia Hodel eine<br />

neue Uhrenbatterie.<br />

Früher verdiente er 120 000 Franken,<br />

in der Garage stand ein BMW 535i.<br />

Heute hat er kein Salär mehr, kommt<br />

mit 250 Franken Sackgeld im Jahr aus.<br />

Früher lebte er mit seiner Freundin in<br />

einer komfortablen Fünfzimmer wohnung,<br />

heute in einer nüchternen, 15 Quadratmeter<br />

grossen Zelle, allein.<br />

Benno Zünd ist Mönch. Seit Ostern<br />

2010 lebt der Thurgauer hier oben im<br />

<strong>Kapuziner</strong>kloster Wesemlin. Das altehrwürdige<br />

Gebäude steht auf einer<br />

Anhöhe mitten in einem grünen Wohnquartier<br />

der Stadt Luzern. Im Kreuzgang<br />

hinter der dicken Eichenpforte schlurft<br />

ein betag ter Mitbruder vorbei, aus der<br />

Küche riecht es nach Kaffee. 38 <strong>Kapuziner</strong><br />

leben hier, der älteste ist 96-jährig,<br />

Benno gehört mit seinen 48 Jahren zu den<br />

drei jüngsten. Der katholische Männerorden<br />

beruft sich auf den heiligen Franz<br />

von Assisi. Dieser führte ein einfaches<br />

Leben, setzte sich für die Armen und<br />

Schwachen ein. Jeder Ordensbruder<br />

wohnt in einer kargen Zelle. Jede ist<br />

gleich gross, auch die des Guardians, des<br />

Klostervorstehers. Bruder Benno sitzt<br />

an seinem Arbeitstisch und erzählt.<br />

Nach dem Studium in Betriebswirtschaft<br />

an der Uni St. Gallen ar beite<br />

te er als Finanz-Controller in der<br />

Swissair-Informatikabteilung – von 1991<br />

bis kurz vor dem Grounding im Oktober<br />

2001. Während dieser Zeit hatte er eine<br />

Swissair-Flight-Attendant kennengelernt,<br />

die zwei verliebten sich. Als Berater der<br />

Geschäftsleitung war Benno Zünd an der<br />

Entlassung von 120 Angestellten beteiligt.<br />

«Eine starke Belastung.» Der berufliche<br />

Druck schlug auf die Gesundheit,<br />

Zünd kündigte. Auch sein Hobby, die<br />

Volksmusik, trat in den Hintergrund. Als<br />

Pianist und Bassist hatte er bei Carlo<br />

Brunner und bei den Alderbuebe gespielt<br />

– mit Auftritten in Amerika und bei<br />

«Verstehen Sie Spass?» von Kurt Felix.<br />

«Ich suchte Frieden und Gott.» Benno,<br />

der streng christlich erzogen wurde,<br />

fand beides, in Gesprächen mit einem<br />

<strong>Kapuziner</strong>, in Wallfahrten, im Gebet. Immer<br />

mehr beschäftigte ihn der Gedanke:<br />

Ist das Klosterleben mein Weg?<br />

Tagwacht ist bei Bruder Benno um<br />

5.30 Uhr, siebenmal die Woche. Einen<br />

Wecker braucht er nicht. In den Klausen<br />

gibts weder Toilette noch Waschbecken,<br />

für die Körperpflege hat es zwei Brünneli-Räume<br />

auf dem Gang. «Eine Sache<br />

der Absprache.»<br />

6 Uhr, die Wesemlinbrüder treffen<br />

sich im Chor, einem Nebenraum der kleinen<br />

Klosterkirche. Alle im braunen Gewand,<br />

dem Habit – dessen Kapuze gab dem<br />

Orden seinen Namen. Die ersten zwanzig<br />

Minuten wird meditiert, dann folgen<br />

die Laudes, das Morgenlob, danach die<br />

öffentliche heilige Messe in der Kirche.<br />

Nach dem Frühstück packt Bruder Benno<br />

seinen Rucksack, macht sich auf den<br />

Weg zur Universität unten in der Stadt.<br />

Seit acht Semestern studiert er Theologie.<br />

«Manchmal gehe ich in Zivilkleidung raus,<br />

wir haben keinen Habit-Zwang.»<br />

11.45 Uhr, Bruder Benno ist fürs<br />

Mittagsgebet zurück. Zwanzig Minuten<br />

später treffen sich die Brüder zum gemeinsamen<br />

Zmittag im grossen Speisesaal.<br />

Heute gibts Flädlisuppe, Fondue,<br />

Weisswein oder Wasser, zum Dessert<br />

frischen Fruchtsalat. Es wird diskutiert,<br />

gelacht, alle sind per Du. Dann zieht<br />

sich Benno in seine Zelle zurück. Ein<br />

Bett, ein Pult und zwei Schränke sind die<br />

einzigen Möbel, sie gehören dem Kloster.<br />

Die Bücher und der Computer fürs<br />

Studium gehen auf Kosten des Ordens.<br />

An den Wänden ein Foto von Papst<br />

Benedikt XVI. und ein Jesuskreuz, auf<br />

dem Nachttisch ein Heiligenbild und ein<br />

Nasenspray. Als Bruder Benno vor sechs<br />

Jahren in den Orden eintrat, nahm er<br />

keinen einzigen persönli chen Gegenstand<br />

mit. «Ein ganz bewusster Entscheid,<br />

die meisten Sachen verschenkte<br />

ich.» Ein Handy hat er nicht.<br />

Ein paar Schnuppertage im <strong>Kapuziner</strong>kloster<br />

Olten SO hatten ihn 2003<br />

spüren lassen: Das ist mein Weg! Im<br />

darauf folgenden Frühling meldete er sich<br />

beim <strong>Kapuziner</strong>orden an, drei Jahre später<br />

legte er die drei Gelübde ab: Armut,<br />

Gehorsam, Keuschheit. Sexualität in jegli<br />

cher Form ist seither tabu, so wollen es<br />

die Ordensregeln. Enthaltsamkeit nach<br />

einem Leben mit einer Freundin, geht<br />

das? Bruder Benno schaut zum Fenster<br />

hinaus. Dann sagt er: «Früher empfand<br />

ich Sexualität als etwas Schönes, heute<br />

kann ich gut ohne leben. Es ist ein Geschenk<br />

Gottes, davon frei zu sein.» Seine<br />

Wanderjahre als <strong>Kapuziner</strong>bruder führten<br />

ihn auch in einen indischen Slum,<br />

dort arbeitete er ein halbes Jahr als Seelsorger.<br />

2013 wird er die ewige Profess<br />

ablegen: «Das ist vergleichbar mit der<br />

Heirat, man bindet sich für immer.»<br />

13.45 Uhr, Bruder Benno macht<br />

sich auf den Weg an die Uni. Unterwegs<br />

macht er halt in einer Migros-Filiale,<br />

er braucht eine neue Batterie für<br />

seine Arm banduhr. «Die kaufte ich für<br />

30 Fran ken im Interdiscount.» Die<br />

Batterie bezahlt er aus dem Sackgeld.<br />

Auch die Studien kosten und Bahnreisen<br />

für Verwandtenbesuche werden vom<br />

Kloster berappt. Das Kloster ist seine<br />

neue Heimat geworden. «Ich bin nicht<br />

mehr derselbe Mensch wie früher, hier<br />

finde ich zu meiner Mitte, hier habe ich<br />

den inneren Frieden.»<br />

«Hier verspüre ich<br />

keinen Druck mehr,<br />

eine Rolle spielen zu<br />

müssen» Bruder Benno<br />

11500 <strong>Kapuziner</strong> gibts auf der Welt,<br />

Tendenz steigend, in Europa sinkend.<br />

In der Schweiz leben 200 <strong>Kapuziner</strong><br />

in 21 Klöstern, vor fünfzig Jahren waren<br />

es viermal mehr. Um junges Blut in die<br />

Reihen zu bringen, hat der Orden eine<br />

weltweit beachtete Werbekam pagne<br />

gestartet. In Stelleninseraten werden<br />

berufs tätige Männer für eine Lebensstellung<br />

gesucht. Rund vierzig Interessenten<br />

haben sich bisher ge meldet.<br />

17.30 Uhr, Bruder Benno ist wieder<br />

daheim. Die Kirchenglocken läuten zum<br />

Angelus Domini, dem Gebet zu Gottesmutter<br />

Maria. Nach dem Znacht treffen<br />

sich die Brüder zum Abendlob. «Die<br />

Gebete sind der Anker in unserem<br />

Tagesablauf.» In der Zelle widmet<br />

sich Benno dann dem Studium. Seine<br />

Lek türe: religiöse Bücher, historische<br />

Romane, Tageszeitung, Blogs. Um<br />

22 Uhr schaltet er das Nachttischlämpchen<br />

aus.<br />

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