Kirmes Spezial 1 Karussells 1950er & 1960er Jahre (Vorschau)
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SONDERBAND ZUR 100. KIRMES REVUE<br />
€ 8,00<br />
KARUSSELLS 1950 ER & 1960 ER JAHRE
IMPRESSUM<br />
<strong>Kirmes</strong> Special<br />
erscheint bei<br />
■ Gemi Verlags GmbH<br />
Pfaffenhofener Straße 3<br />
85293 Reichertshausen<br />
Tel.: 0 84 41/40 22-0<br />
Fax: 0 84 41/718 46<br />
Internet: www.kirmesparkrevue.de<br />
eMail: gemi.verlag@t-online.de<br />
■ Verlagsleiter<br />
Gerd Reddersen, Rudolf Neumeier<br />
■ Redaktion, Layout & Gesamtkonzept<br />
Karl Ruisinger<br />
■ Titelentwurf & Collage<br />
Maria Bander<br />
■ Lithos, Satz & Herstellung<br />
Markus Westner<br />
Grafischer Betrieb<br />
■ Druck<br />
Bernardinum, Stettin<br />
■ Vertrieb<br />
Gerd Reddersen<br />
■ Titelfotos<br />
Archive: Sippel, Zimmer, Gunz, Kärger,<br />
Judenhofer, Hohl, Loeb, Klaus, Rilke, Wirtele,<br />
Geier, Voß, Schultze und Spangenberger<br />
■ Foto Rückseite und unten<br />
Collection Viollet, Erich Moschkau<br />
■ Textbeiträge<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue, Ausgaben 1 - 100.<br />
Die Originalbeiträge mit Autorenbenennung sind<br />
in den einzelnen Kapiteln jeweils unter „Quelle”<br />
genannt.<br />
■ ISBN-Nummer<br />
3-980 8913-3-X
EDITORIAL<br />
Der vorliegende Band fasst – zur 100. Ausgabe<br />
der <strong>Kirmes</strong> Revue – noch einmal alle bisherigen<br />
Berichte und Infos über die deutsche <strong>Karussells</strong>zene<br />
der 50er- und 60er-<strong>Jahre</strong> zusammen,<br />
strafft, aktualisiert und ergänzt sie mit bislang bei<br />
uns noch nicht veröffentlichten Fotos, wo nötig und<br />
wo möglich.<br />
Die Beschränkung auf diesem Zeitraum – bei dessen<br />
Auswahl auch persönliche Interessen (die damals<br />
maßgeblich zur Gründung der Zeitschrift<br />
beigetragen haben) ausschlaggebend waren –<br />
brachte bei der Konzeption dieses Sonderbandes<br />
natürlich gewisse Probleme mit sich. Das<br />
Stimmungskarussell der Volksfeste jener Epoche<br />
erfordert es auch, die damals verbliebenen Vorkriegsklassiker<br />
sowie deren spätere Nachbauten<br />
zu berücksichtigen. So ist den zentralen 50er- und<br />
60er-<strong>Jahre</strong>-Themen der Einleitungsteil „Vor- &<br />
Nachkrieg” vorangestellt, gefolgt von einem kurzen<br />
Blick auf die ersten Pionierleistungen der<br />
40er-<strong>Jahre</strong>. Im Kapitel „Anhang” finden Sie eine<br />
Reihe von Originaldokumenten zum (technischen)<br />
Hintergrund einzelner <strong>Karussells</strong>, die bislang<br />
großenteils noch nirgends abgedruckt waren.<br />
In allen Kapiteln wurde in erster Linie auf Originalfotos<br />
zurückgegriffen, um diesen Trip in die<br />
Vergangenheit möglichst authentisch rüberzubringen.<br />
An dieser Stelle herzlichen Dank an alle, die der<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue im Lauf der letzten zehn <strong>Jahre</strong> ihr<br />
Archiv geöffnet haben, sowie an meine redaktionellen<br />
Mitarbeiter, in diesem speziellen Fall besonders<br />
an Michael Bonhoff, Ton Koppei und Rolf<br />
Orschel, die mit toll recherchierten Beiträgen viel<br />
Licht in die Karussellgeschichte der Nachkriegsjahrzehnte<br />
gebracht haben.<br />
Dieser Special-Band erhebt keinen Anspruch auf<br />
Vollständigkeit: <strong>Karussells</strong> wie „Weltraumbummler”<br />
oder „Weltraumsegler”, „Antilope” oder „Zepp-<br />
Bahn”, „Super Nova” oder „Schunkelbahn”, zu denen<br />
keine näheren Infos, geschweige dem Fotos<br />
beschafft werden konnten, bleiben außen vor.<br />
Auch die Geschäfte der ehemaligen DDR wurden<br />
weitgehend ausgespart – keine Diskriminierung,<br />
sondern weise Voraussicht: Ihnen wird das <strong>Kirmes</strong><br />
Special 2006 gewidmet sein.<br />
Bis dahin erst einmal viel Spaß auf der nostalgischen<br />
Reise durch die Karusselllandschaft der<br />
westdeutschen Wirtschaftswunder-Epoche.<br />
Karl Ruisinger
INHALT<br />
VOR- UND NACHKRIEG<br />
KETTENFLIEGER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />
BERG- UND TALBAHN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />
RAUPE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
SEESTURMBAHN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
SCHLICKERBAHN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />
WALZERFAHRT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
RAKETENBAHN. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
THE WHIP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />
SPINNE. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />
STURZBOMBER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />
DIVERSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />
VIERZIGER JAHRE<br />
SEEMUSCHEL. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />
WELLENFLIEGER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />
LUFTSCOOTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />
DIVERSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />
FÜNFZIGER JAHRE<br />
HURRICANE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
HELIKOPTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />
VAMPIR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />
TORNADO / ZYKLON . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />
FLIEGENDE UNTERTASSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
ROUND UP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />
SPUTNIK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />
CALYPSO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />
TITAN. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
DÜSENCLIPPER. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />
HULA HOOP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54<br />
DIVERSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
4
SECHZIGER JAHRE<br />
INHALT<br />
TOLLE JOLLE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
WELTRAUMFLUG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />
LUFTWIPPER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />
FALLSCHIRMFLUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65<br />
FLIEGENDER TEPPICH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66<br />
TWIST . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68<br />
TWISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />
CARAVELLE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />
ALLROUND. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74<br />
SPRUNGSCHANZE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76<br />
TRABANT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80<br />
PASSAT. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82<br />
BOSSA NOVA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85<br />
BAYERNKURVE. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86<br />
RUND UM DEN TEGERNSEE. . . . . . . . . . . . . . . . . 88<br />
TORNADO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />
MIRAGE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90<br />
POLYP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />
HULLY GULLY. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />
THUNDERBIRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100<br />
DIVERSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101<br />
ANHANG<br />
KONSTRUKTION TRABANT / PASSAT . . . . . . . . . . . 105<br />
AUFBAU TITAN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106<br />
BAU UND TESTPHASE SPUTNIK . . . . . . . . . . . . . . 108<br />
ORIGINAL-POSTKARTEN CALYPSO . . . . . . . . . . . . 109<br />
PRODUKTIONSLISTE KLAUS. . . . . . . . . . . . . . . . 110<br />
BESCHICKERLISTE 1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114<br />
LITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115<br />
5
VOR- & NACHKRIEG<br />
KETTENFLIEGER<br />
Kettenflieger mit abstrakter<br />
Malerei von Inge<br />
Kollmann, 1956. Daneben<br />
Riesenkettenflieger von<br />
Friedrich Eberhardt, 1947<br />
Kettenflieger von<br />
Ludwig Horn, 60er-<strong>Jahre</strong><br />
Kettenflieger oder Kettenkarussells – wie sie im<br />
Volksmund heißen – sind die Urahnen aller späteren<br />
Hochrundfahrgeschäfte. Sie kamen um die Jahrhundertwende<br />
auf und entwickelten sich im Lauf der<br />
ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts mit zu den<br />
beliebtesten Fahrgeschäften. Auch in den 50er- und<br />
60er-<strong>Jahre</strong>n dominierten sie noch viele Festplätze; auf<br />
großen Veranstaltungen wie dem Münchner Oktoberfest<br />
standen zu Beginn der 50er noch sechs Anlagen<br />
dieses Typs, und jede kleinere <strong>Kirmes</strong>, die etwas auf<br />
sich hielt, präsentierte in ihrem Zentrum den hohen<br />
Kettenflieger als stolzen Platzwächter. Am Ende des in<br />
diesem Band beschriebenen Zeitraums waren, laut<br />
Dipl.-Ing. Karl Meier in Sicherheit fliegender Bauten,<br />
FOTOS<br />
Archiv Kollmann, Archiv<br />
Eberhardt, Archiv Horn,<br />
Archiv Diebold, Archiv<br />
Thalkofer, Archiv Fuhrmann<br />
Kettenflieger von Anna<br />
Kreis und Donat Diebold,<br />
Gundelwein, Vorkriegszeit<br />
Kettenflieger von Robert<br />
Thalkofer und August Isken,<br />
Eigenbau, Nachkriegszeit<br />
6
VOR- & NACHKRIEG<br />
Ludwig Horns<br />
Turmflieger, der um 1960 zum<br />
Globusflieger wurde<br />
Globus-Flieger, Adolf Endres, 60er-<strong>Jahre</strong><br />
noch rund 70 Kettenkarussells in Deutschland auf der<br />
Reise. Viele dieser Anlagen gingen auf die Vorkriegszeit<br />
und damit oft auf im Ostteil Deutschlands verbliebene<br />
Hersteller wie Gundelwein oder Bothmann<br />
zurück. Dennoch wurden im Westen noch in Eigenbau<br />
weitere Kettenflieger traditioneller Machart hergestellt.<br />
Obwohl im Fahreffekt meist unverändert, durchlief der<br />
Typ des einfachen Kettenfliegers in der Nachkriegszeit<br />
einige neue Trends. Die Dekoration betraf dies weniger;<br />
die meisten Flieger präsentierten sich weiterhin<br />
mit klassisch-traditionellen Bemalungen: Landschafte,<br />
Frauen in Schnörkelmedaillons, Papageien, Blumenarrangements.<br />
Es gab jedoch vereinzelt auch Geschäfte<br />
mit moderner gegenstandsloser Malerei, etwa<br />
den „Turmkettenflieger” von Inge Kollmann. Diese Bezeichnung<br />
weist klar auf die damaligen Bemühungen<br />
der Besitzer hin: Turmartig, groß sollte der Flieger wirken,<br />
um von der moderneren Karussellkonkurrenz<br />
nicht optisch erschlagen zu werden. Wer Überblicksfotos<br />
von Volksfesten jener Zeit anschaut, entdeckt viele<br />
hoch aufragende, massiv wirkende Kettenflieger,<br />
zwar in der Regel in der sich immer mehr durchsetzenden<br />
taillierten Trichterform, aber die Trichterteile<br />
waren oft sehr weit nach unten gezogen. Einige Besitzer<br />
wie der Augsburger Schausteller Eberhardt stockten<br />
ihren Flieger gleich um einen doppelten Trichter auf<br />
und nannten das Geschäft „Riesenkettenflieger”.<br />
Aus der Mode kam hingegen nach dem Krieg der ursprüngliche<br />
Typ des „Turmfliegers”, bei dem die Mastverkleidung<br />
bis an den Drehkranz beziehungsweise<br />
Plafond hochreichte. Kettenkarussells mit derartigen<br />
Proportionen wurden in jenen <strong>Jahre</strong>n gerne als Globusflieger<br />
gestaltet. Zwar gab es diese Form auch<br />
schon vor dem Krieg, aber in der Ära der Raumfahrtbegeisterung<br />
wirkte die rotierende Erdkugel eines Kettenfliegers<br />
erfrischend zeitgemäß. Eine Metamorphose<br />
vom Turm- zum Globusflieger erlebte beispielsweise<br />
das Karussell von Ludwig Horn aus Regensburg,<br />
vom Trichter- zum „Elektro-Globus-Hochflieger” das<br />
Geschäft von Adolf Endres aus Landshut.<br />
Der Fahreffekt der Kettenkarussells war bei aller optischer<br />
Verschiedenenheit überall der gleiche. Die noch<br />
in der Vorkriegszeit gängigen schweren Besatzungsteile<br />
wichen – bis auf wenige Relikte – nun gänzlich<br />
den beliebten, freischwingenden Kettenstühlen. Manche<br />
rotierten schneller, manche langsamer, und es war<br />
ein Trugschluss zu glauben, dass besonders hohe<br />
Fliegerbauten mit langen Ketten eine besondere Rasanz<br />
an den Tag gelegt hätten. Vereinzelte Exoten gab<br />
es freilich auch: Der Katapultflieger des Oldenburger<br />
Schaustellers Wilhelm Ottens bot um 1950 einen besonderen<br />
Effekt: Die Kettenbügel wurden an bogenförmig<br />
nach oben weiterführenden Schienen hochkatapultiert.<br />
In zwei Dingen unterschieden<br />
sich die damaligen Flieger<br />
noch stark von ihrem späteren<br />
Auftreten: Die Podien waren<br />
meist niedriger und schmäler,<br />
der TÜV verschärfte aus Sicherheitsgründen<br />
um 1970<br />
seine Auflagen; die Folge waren<br />
hässlich-wuchtige Alu-<br />
Treppenburgen an vielen <strong>Karussells</strong>.<br />
Und: Es gab noch<br />
keine Polyester-Panneaus: Die<br />
kamen erst ab 1972/73 mit<br />
dem Zierer-Wellenflug in<br />
Mode.<br />
■<br />
Globusflieger, Ahrend, 1946<br />
FOTOS<br />
Archiv Petz, Archiv Horn,<br />
Archiv Armbrecht, Günter<br />
Müller: Der schöne alte Oldenburger<br />
Kramermarkt,<br />
Seite 163<br />
Ottens’ Katapultflieger<br />
7
VOR- & NACHKRIEG<br />
BERG- & TALBAHN<br />
Jaguar von Mack,<br />
Roos, um 1960<br />
Frühe Formen: Seeungeheuer<br />
von Loch Ness und<br />
Fahrt ins Blaue<br />
Libelle mit fünf kreisförmigen<br />
Wagen<br />
Die Berg- und Talbahn gehört zu den ganz frühen<br />
Karussellformen, deren Ursprung im ausgehenden<br />
19. Jahrhundert in England liegt. Deutsche<br />
Ersthersteller derartiger <strong>Karussells</strong> waren die Firmen<br />
Bothmann und Stuhr. Die konstruktive Entwicklung<br />
führte über ein einfaches Gleis zum Schienenkranz,<br />
auf dem pro Ausleger ein Rad lief. Zwischen den Auslegern<br />
wurden räderlose Chaisen beweglich eingehängt.<br />
Die Fahrzeuge wurde in den ersten Jahrzehnten<br />
des 20. Jahrhunders kontinuierlich kleiner und<br />
handlicher und waren der jeweils aufgesetzten Thematik<br />
optisch angepasst. Formen der Berg- und Talbahn,<br />
die noch bis in die Nachkriegszeit gebräuchlich<br />
waren, liefen als „Fahrt ins Blaue”, bei der kutschenähnliche<br />
Chaisen auf- und abtanzten, und<br />
„Schlange”, die thematisch gerne mit dem „Seeungeheuer<br />
von Loch Ness” gleichgesetzt wurde; sie bot einen<br />
Fahrgastträger, auf dem man rittlings seine Runden<br />
drehte. In der Regel waren die damaligen Bergund<br />
Talbahnen überdachte Pfostengeschäfte mit unterschiedlich<br />
großem Durchmesser. Wichtige Hersteller<br />
waren bei diesen Geschäften die damals führenden<br />
Karussellbauer Heyn, Schumann und Gundelwein,<br />
aber auch viele Eigenbauten nahmen am <strong>Kirmes</strong>geschehen<br />
teil.<br />
Moderne Nachkriegsversionen der Berg- und Talbahn<br />
kamen zunächst in erster Linie aus den Fabrikhallen<br />
der französischen Firma Chereau, dem Vorfahren von<br />
Reverchon, die Seitenwangen der Gondeln erhielten<br />
bei diesem Hersteller die später so charakteristische<br />
Schneewolken-Form. Auch die Firma Zierer war relativ<br />
früh in die Fertigung derartiger Geschäfte involviert.<br />
Thematisch waren in den 50er-<strong>Jahre</strong>n zwei Trends zu<br />
erkennen: die Winter-Dekoration unter Geschäfts-<br />
Cortina-Bahn, Zimmer, 1963, und<br />
Squaw Valley, Schaa, um 1966<br />
8
VOR- & NACHKRIEG<br />
Cortina-Bob, Mack,<br />
links Menzel, 1959, unten Distel,<br />
1956<br />
namen wie „Himalaya”, „Bobsleigh-Eisgrottenbahn”,<br />
„Squaw Valley”, „Tourbillon des Neige” oder „Tourbillon<br />
Blanc”, „Polar-Express” oder „Weißer Traum” einerseits,<br />
auf der anderen Seite kam damals auch<br />
schon das heute noch gängige Urwald-Motiv a la „Jaguar”<br />
in Mode.<br />
Einen gravierenden Einschnitt in die Entwicklung der<br />
Berg- und Talbahnen konnte 1956 die Firma Mack mit<br />
dem „Cortina Bob” vollziehen, eine sehr schnelle<br />
Bahn, bei der Passagiere hintereinander in windschnittigen<br />
Bob-Chaisen saßen und deren Prototyp –<br />
mit einer Opitz-Fassade, die in der Planung den Namen<br />
„Mont Everest” trug – an die Münchner Firma<br />
Bausch & Distel ging. Gänzlich revolutionär war knappe<br />
zehn <strong>Jahre</strong> später die Einführung des „Musikexpress”<br />
mit nebeneinanderliegenden Sitzen, ebenfalls<br />
von Mack. Dieses Karussell sollte das erfolgreichstes<br />
Karussell des 20. Jahrhunderts werden; mit seinen unterschiedlichen<br />
Säulenversionen und nach ständigen<br />
Verbesserungen ist es heute der Klassiker schlechthin.<br />
Der offenen Variante, die als „Diskothek” das Musikthema<br />
weiter ausbaute und sich mit einer üppigen<br />
Kulisse an offenen Rundfahr-Rennern wie Calypso<br />
oder Hully Gully orientierte, blieb ein Erfolg auf breiter<br />
Ebene erstaunlicherweise versagt.<br />
Es gab natürlich auch eine Menge<br />
hübscher Exoten im Lager der<br />
Berg- und Talbahnen: Etwa den mit<br />
schnittigen Straßenkreuzer-Gondeln<br />
bestückten „Monaco Job”,<br />
den Hans Rosenzweig aus München<br />
aus der Substanz seiner<br />
Raupenbahn baute und der später<br />
als „Weißer Blitz” in Umlauf kam,<br />
oder die „Monza-Bahn” von Franz<br />
Bode aus Syke, die im Kontrast<br />
dazu mit dem Messerschmitt-<br />
Kabinenroller nachempfundenen<br />
Fahrzeugen versehen war. Eine Sonderform war<br />
schließlich die Libelle, ein riesiger Schienenkranz, auf<br />
dem ein Zug von fünf kreisrunden Gondeln seine Runde<br />
drehte.<br />
■<br />
Orkan, Spangenberger,<br />
um 1957<br />
Musik-Express, Kinzler<br />
Monza-Bahn, Bode<br />
FOTOS<br />
Archiv Roos, Archiv Distel,<br />
Archiv Malfertheiner, Archiv<br />
Zimmer, Archiv Moser,<br />
Archiv Menzel, Archiv Bode,<br />
Archiv Kinzler, Archiv<br />
Spangenberger, Archiv<br />
Bonhoff<br />
Diskothek von Mack<br />
9
VOR- & NACHKRIEG<br />
RAUPENBAHN<br />
Cronenberg, Fabrikat<br />
Achtendonk<br />
Honecker, 1950 – Markmann,<br />
Achtendonk – Steiger,<br />
Bothmann, 1926<br />
FOTOS<br />
Archiv Fellerhoff, Archiv<br />
Honecker, Archiv Markmann,<br />
Archiv Steiger, Archiv<br />
Lang, Archiv Feldl<br />
Rudi Langs „Amor Express”,<br />
Spaggiari & Barbieri<br />
Die Raupenbahn tauchte Mitte der 20er-<strong>Jahre</strong> erstmals<br />
in Europa auf. Sie war eine Weiterentwicklung<br />
der einfachen Berg- und Talbahn, allerdings mit<br />
einem recht wirkungsvollen Zusatzeffekt. Während der<br />
Fahrt stülpte sich ein Verdeck über die Gondeln. Für<br />
den Betrachter sah dieser über Berg und Tal rasende<br />
Schlauch wie eine kriechende Raupe aus – daher der<br />
Name. Für die Fahrgäste – die durch die Fliehkraft ohnedies<br />
nach außen und dadurch an- beziehungsweise<br />
aufeinander gedrückt wurden – bot sich hingegen<br />
durch dieses Verschwinden aus dem Blickfeld der<br />
Umstehenden die Chance auf Tuchfühlung. Nicht umsonst<br />
wurde die Raupenbahn gerade in den prüden<br />
50er-<strong>Jahre</strong>n ein echter Kultrenner bei der Jugend, da<br />
sie die ideale Spielwiese für den verborgenen Austausch<br />
von Zärtlichkeiten darstellte. Der Status als Karussell<br />
für die Jugend wurde von den Betreibern dergestalt<br />
untermauert, dass sie in den 50er- und 60er-<br />
<strong>Jahre</strong>n viele Raupen zu Diskotheken umfunktionierten,<br />
bei denen es die neuesten Schlager und Rock’n’Roll-<br />
Hits zu hören gab – der Begriff „Musikraupe” entstand<br />
in dieser Epoche ebenso wie der vielsagende Schriftzug<br />
„Amor-Bahn”.<br />
Die Ursprünge der Raupenbahn liegen in Amerika, wo<br />
um 1922 erstmals eine „Caterpillar”-Bahn entwickelt<br />
wurde. In Deutschland folgten wenige <strong>Jahre</strong> später<br />
insbesondere die Firmen Gundelwein und Bothmann<br />
mit eigenen Konstruktionen. Auch die Kölner Firma<br />
Achtendonk nimmt in der Geschichte der Raupenbahn<br />
eine besondere Stellung ein, indem sie bestehende<br />
Berg- und Talbahnen mit dem zusätzlichen Verdeck<br />
nachrüstete oder auch einige wenige komplette Raupen<br />
selbst baute. Neuere Raupenbahnen im Stil der<br />
60er-<strong>Jahre</strong> lieferte dann unter anderem die italienische<br />
Firma Spaggiari & Barbieri. Mack aus Waldkirch hingegen<br />
ließ sich mit der neuentwickelten Raupe bis<br />
1980 Zeit.<br />
Wie bei den „normalen” Berg- und Talbahnen ist es<br />
auch bei der Raupe unmöglich, eine auch nur annähernd<br />
komplette Auflistung aller Geschäfte zu erstellen.<br />
Erwähnenswert íst auf alle Fälle die Schlager-<br />
Raupenbahn der Familie Bretting aus Oldenburg, in<br />
den 30ern gebaut und später noch lange von Familie<br />
Ludewigt betrieben, ferner die Geschäfte von Kuckartz,<br />
Cronenberg (später Fellerhoff), Markmann,<br />
Stracke, Wendler oder die Münchner Raupenbahnen<br />
von Wild und Rosenzweig. Noch heute spielbereit sind<br />
die <strong>Karussells</strong> von Steiger, gebaut bei Bothmann 1926,<br />
Feldmann (Hersteller Orenstein & Koppel) oder<br />
Honecker (ehemals „Schneebahn”).<br />
■<br />
10
SEESTURMBAHN<br />
Eine besondere Variante der Berg- und<br />
Tal-Fahrt bot die 1936 erstmals von der<br />
Firma Heyn gebaute Seesturmbahn. Hier<br />
fungierte der in vier engen Tälern und Bergen<br />
angelegte Schienenkreis als Basis für<br />
einen wilden Ritt über die Wellen. Die als<br />
Segelboote gestalteten Gondeln konnten<br />
vom Fahrstand aus zusätzlich gedreht werden,<br />
ruckartige Wechsel in Vorwärts- und<br />
Rückwärtsbewegung waren die Folge. Die<br />
Schaustellerfamilie Bergert-Distel machte<br />
mit ihrer Ausführung dieses <strong>Karussells</strong><br />
wegen der opulenten Gestaltung Furore,<br />
und auch die Firmen Hanstein, Weber oder<br />
Sartorio waren Ende der 30er-<strong>Jahre</strong> mit<br />
solch einem Karussell unterwegs. Ob all<br />
diese „Seesturmbahn” getauften<br />
<strong>Karussells</strong> allerdings<br />
auch wirklich den<br />
Drehmechanismus besaßen<br />
oder lediglich maritim<br />
aufgemachte Berg- und Talbahnen<br />
waren, sei dahingestellt.<br />
Auch nach dem Krieg<br />
waren noch Exemplare mit<br />
entsprechender Thematik<br />
im Umlauf, etwa unter Firma<br />
Kleiner in Berlin. Und auch<br />
unter anderen Bezeichnungen<br />
– zum Beispiel als „Re-<br />
VOR- & NACHKRIEG<br />
Seesturmbahn von Bergert-Distel,<br />
1936<br />
Karussell von Sartorio<br />
gatta” – drehten sich derartige <strong>Karussells</strong><br />
in der Nachkriegszeit. In<br />
Norddeutschland berühmt war der<br />
„Wellenreiter”, der zunächst unter<br />
Familie Loeb, später unter Karl-<br />
Heinz Hempen lief.<br />
Als offiziell von Karussellbaufirmen<br />
angebotene Neuanfertigung war<br />
die Seesturmbahn nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg im Westen Deutschlands<br />
zunächst nicht zu bekommen.<br />
Der Familie Distel, die ihre<br />
Tradition mit diesen Bahnen gerne<br />
wieder aufleben lassen wollte, bot<br />
sich vorerst nur der Umweg über<br />
die „Tolle Jolle” von Klaus, eine<br />
ganz andere, von den Pressluftfliegern<br />
abgeleitete Konstruktion. Erst<br />
viel später, im Jahr 1978, schlug<br />
die Firma Mack in der Geschichte<br />
der Seesturmbahn wieder ein<br />
brandneues Kapitel auf, bei dem<br />
dann auch die Distels sofort wieder<br />
mitmischten.<br />
■<br />
Als Seesturmbahn aufgemachte<br />
Berg- und Talbahn<br />
FOTOS<br />
Archiv Distel, Archiv Sartorio,<br />
Archiv Kiel, Archiv<br />
Hempen<br />
Wellenreiter von Hempen<br />
11
VOR- & NACHKRIEG<br />
SCHLICKERBAHN<br />
Distels Zugspitzbahn<br />
Seiferths Schlickerbahn<br />
wurde 1938/39 zu Menzels<br />
Zugspitzbahn<br />
In den 30er-<strong>Jahre</strong>n baute die Firma<br />
Heyn in Orla die ersten Exemplare der<br />
sogenannten Schlickerbahn, eine Weiterentwicklung<br />
der Berg- und Talbahn,<br />
bei der die Gondeln während der Fahrt<br />
zusätzlich nach außen pendelten. Die<br />
Berge und Täler des Schienenkranzes<br />
waren hier steiler als gewohnt, so dass<br />
die Gondeln bei vollem Tempo über die<br />
Horizontale hinaus<br />
schwangen. Es war klar, dass diese<br />
prickelnde Angelegenheit bald<br />
ihre Bewunderer und Käufer fand.<br />
Einer der ersten war die damals<br />
schon für Innovationen bekannte<br />
Münchner Familie Distel, die<br />
gleichzeitig in punkto Namensgebung<br />
zukunftsweisend war und ihr<br />
Karussell, mit winterlichen Motiven<br />
dekoriert, „Zugspitzbahn” nannte.<br />
Die Distelsche Zugspitzbahn wurde<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg an<br />
den Schausteller Paul Grafe verkauft<br />
und blieb anschließend in der<br />
DDR. Den umgekehrten Weg von<br />
Ost nach West ging bereits 1938<br />
die Schlickerbahn von Arthur und<br />
Erich Seiferth, als sie an die Münchner<br />
Familie Menzel<br />
verkauft wurde.<br />
Ein Jahr später hieß<br />
auch diese Bahn<br />
„Zugspitzbahn”. Sie<br />
wurde im Laufe der<br />
Zeit optisch und<br />
technisch modernisiert;<br />
bereits 1947<br />
wurden zwei der 20<br />
Stützbalken im Frontbereich<br />
entfernt, um mit einem breiteren Eingang den<br />
Zustrom der Fahrwilligen besser zu bewältigen; zum<br />
gleichen Zeitpunkt entstand auch der große Schriftzug<br />
mit dem Edelweiß. 1970 wurden die alten Gondeln gegen<br />
neue von Mack ausgetauscht. Seitdem ist die<br />
Zugspitzbahn von Menzel ein Münchner Wiesn-Kleinod,<br />
das sich bis heute dort behaupten kann. Um<br />
1946/47 erwarb Menzel überdies eine zweite Zugspitzbahn,<br />
die jedoch nach dem Kauf eines „Cortina-<br />
12
Schilling, Löffelhardt, Hasenkamp, Ahrend, Hille oder<br />
Wendelin Nolli. Die Italien-Sehnsucht muss punktuell<br />
auch die Bürger der DDR ergriffen haben: Dort ließ<br />
sich nämlich Walter Stoll 1954/55 bei Gundelwein in<br />
Wutha eine Schlickerbahn dieses Namens bauen.<br />
Während die DDR-Schausteller durch Traditionsfirmen<br />
wie Heyn und Gundelwein (oder durch Eigenbauten)<br />
noch eine Weile mit Schlickerbahnen versorgt werden<br />
VOR- & NACHKRIEG<br />
Großglocknerbahn von<br />
Hasenkamp<br />
FOTOS<br />
Archiv Distel, Archiv Seiferth,<br />
Archiv Menzel, Archiv<br />
Eckl, Erich Stoll, Archiv<br />
Spangenberger, Münster-Send,<br />
Synode – Markt<br />
–Volksfest, 1986, Seite 152<br />
Großglocknerbahn von<br />
Stoll<br />
Alpenland-Thematik<br />
war der Renner<br />
Bob” wieder abgegeben wurde. In den 60er- und 70er-<br />
<strong>Jahre</strong>n reisten dann die Schausteller Hartmann sowie<br />
Eckl mit ihrer Zugspitzbahn durch Bayern.<br />
Die Bezeichnung „Schlickerbahn” hielt sich bei einem<br />
Original-Heyn-Geschäft aus den 30ern, das nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg an die Firma Resch aus Halle und<br />
später an Horst Ludwig aus Karl-Marx-Stadt ging. Im<br />
Westen Deutschlands hatte jedoch Alpenländisches<br />
Hochkonjunktur: Neben „Zillertalbahn” war es vor allem<br />
die Bezeichnung „Großglocknerbahn”, die den<br />
Schaustellern gefiel. Sie erinnerte an die Großglockner-Hochalpenstraße,<br />
auf der damals die italienhungrigen<br />
Deutschen in Massen ihrem Urlaubsziel entgegenfieberten.<br />
„Großglocknerbahnen” tauchen ab<br />
1950 in verschiedenen Exemplaren und Ausführungen<br />
auf; Besitzer waren unter anderem die Schausteller<br />
konnten, bestand in Westdeutschland bald akuter<br />
Handlungsbedarf, den die Firma Mack ab etwa 1960<br />
mit dem „Matterhorn” abdeckte. Mack verfeinerte diesen<br />
Karusselltyp im Lauf der <strong>Jahre</strong> immer mehr, Ende<br />
der 60er-<strong>Jahre</strong> entstanden die<br />
charakteristischen Gondeln, die<br />
man von Geschäften wie „Tropicana”,<br />
„Apollo 11” oder der generalüberholten<br />
Münchner Zugspitzbahn<br />
kennt. Mit der „Petersburger<br />
Schlittenfahrt” oder Kreationen<br />
wie „Disco Star” oder<br />
„Südseewellen” schlug die Firma<br />
später, in den 80er-<strong>Jahre</strong>n, noch<br />
weitaus zeitgemäßere und fortschrittlichere<br />
Töne an. ■<br />
Mack-Karussell<br />
„Apollo 11”; der Name steht<br />
im aktuellen Bezug zur<br />
Mondlandung 1969<br />
13
VOR- & NACHKRIEG<br />
WALZERFAHRT<br />
Barthels Berliner<br />
Walterfahrt<br />
Walzerbahn von<br />
Schönemann, umgebaute<br />
Schlangenbahn<br />
Tarantella von Möbius<br />
Hohmanns Walzerfahrt<br />
Eine Sonderform der Berg- und Talbahn war die Walzerfahrt,<br />
die Ende der 30er-<strong>Jahre</strong> erstmals gebaut<br />
wurde. Zwischen den Achsen waren hier einzelne Podiensegmente<br />
angebracht, auf denen sich Gondeln<br />
befanden, die exzentrisch befestigt waren, sei<br />
es durch ringförmige Laufschienen, sei es durch<br />
asymmetrisch an den Gondelböden gelagerte<br />
Drehverbindungen. Durch die Fahrt über Bergund<br />
Tal sowie die entstehende Fliehkraft wurden<br />
die Gondeln hin und her gerissen und<br />
vollführten dabei unvorhersehbare,<br />
auch vom Gewicht der Gondelinsassen<br />
abhängige Rotationen. Die Walzerfahrt<br />
ist eine englische Erfindung, und F. W.<br />
Siebold brachte sie als erster nach<br />
Deutschland. Nach dem Krieg waren es<br />
im Norden Deutschlands vor allem<br />
Schippers & v.d. Ville, im Süden die<br />
Schausteller Menzel (eine Bahn, die<br />
1949 während eines Gastspiels auf dem Berliner Weihnachtsmarkt<br />
beschlagnahmt wurde) und vor allem<br />
Hohmann, die Walzerfahrten auf die großen Volksfeste<br />
brachten und dafür sorgten, dass während der gesamten<br />
50er-<strong>Jahre</strong> derartige Kasrussells allerorten zur<br />
Verfügung standen. Auch Berlin war ein Walzerbahn-<br />
Pflaster; dort drehte sich bereits in den 40ern das noch<br />
heute erhaltene Karussell von Otto Barthel. 1948 baute<br />
sich darüber hinaus die Firma Möbius eine Sonderform<br />
der Walzerfahrt, die überdachte Tarantella mit<br />
kleinen, fast tütenförmigen Gondeln; die 1958 an Helmut<br />
Zehle aus München verkauft wurde, nach der Saison<br />
1962 jedoch wieder nach Berlin zurückkehrte,<br />
diesmal an Schausteller Nitsche.<br />
Insgesamt gesehen war jedoch die Walzerfahrt-Szene<br />
im westlichen Deutschlands überschaubar,<br />
während in der DDR dieser<br />
Karussell boomte wie kein anderes.<br />
Das lag zum einen daran,<br />
dass die klassischen Hersteller<br />
Gundelwein und Heyn für die westdeutschen<br />
Schausteller nicht mehr<br />
greifbar waren, andererseits an<br />
der Tatsache, dass hier das Bedürfnis<br />
nach Neuheiten mit ganz<br />
anderen moderneren Hydraulikkarussells<br />
besser bedient werden<br />
konnte. Die Hersteller im Westen<br />
kamen deshalb auch nur zögernd<br />
mit modernen Nachbauten von<br />
Walzerfahrten auf den Markt, die –<br />
14
VOR- & NACHKRIEG<br />
Neubau der Tarantella,<br />
Zierer 1964<br />
FOTOS<br />
Archiv Zehle, Archiv Welte,<br />
Archiv Schwarzkopf, Archiv<br />
Hohmann, Archiv<br />
Splitt, Archiv Barthel<br />
zumindest hierzulande – dann auch eher Exotenstatus<br />
erlangten. Eine neue Tarantella baute die Firma Zierer<br />
1964 für die Münchner Familie Zehle. Zwar konnte sich<br />
dieses Karussell ein Jahrzehnt auf dem Oktoberfest<br />
halten, aber es blieb ein Einzelstück, das unter seinem<br />
späteren Besitzer Pistorius in einen Musikexpress umgebaut<br />
wurde.<br />
Die Firma Schwarzkopf brachte nach 1967 eine neue<br />
Walzerfahrt mit neun großen Viersitzergondeln, die sie<br />
jedoch nur zweimal baute: Ein Exemplar ging als „Virvelvinden”<br />
in den schwedischen Liseberg Park, das<br />
andere erhielt der Hamburger Schausteller Otto v.d.<br />
Ville: Sein „Rendezvous” gehörte in den ausklingenden<br />
60ern zu den Neuheiten der norddeutschen Volksfeste<br />
und steht noch heute unverrückbar auf dem<br />
Hamburger Dom. Dieser hat sich in der Folgezeit, insbesondere<br />
durch die Firma Nülken, zu einer Walzer-<br />
Hochburg entwickelt; die ab den 70er-<strong>Jahre</strong>n aufkommenden<br />
Neubauten von Mack wanderten alle in die<br />
Hansestadt.<br />
In der damaligen DDR reisten um 1960 18 Walzerbahnen,<br />
teils von Heyn und Gundelwein gebaut, teils<br />
in Eigenarbeit realisiert. Hier nur einige Namen: Seifert<br />
(„Walzerfahrt zum Mond”), Meyer („Walzertraum”),<br />
Hadlock, Welte, Thieme, Stoll, Engelbrecht, Wetzel,<br />
Hadlok, Schönemann, Splitt, Walz und Eckstein. ■<br />
Walzerfahrt von Welte,<br />
Gundelwein, 1955<br />
QUELLE<br />
Rolf Orschel: Walzerfahrten<br />
in der DDR, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
11/2000, Seiten 36-42<br />
Rendezvous, Schwarzkopf<br />
15
VOR- & NACHKRIEG<br />
RAKETENFAHRT<br />
Raketenfahrt, Pötzsch<br />
Drei Gestaltungsmöglichkeiten<br />
der Schrägbahn<br />
Bis in die 60er-<strong>Jahre</strong> war sie auf den Volksfesten<br />
unverzichtbar: die „Raketenfahrt zum Mond”, eine<br />
einfache, aber schnelle Kreisfahrt auf schräger Ebene.<br />
Um 1937 tauchten die ersten solchen Anlagen auf,<br />
zunächst – als diese Art von Karussell noch zukunftsweisend<br />
schien – mit raketenförmigem Gondelring, in<br />
den 50ern dann – zeittypisch – auch oft mit Wintersport-<br />
und Gebirgsmotivik, und auch Schiffe kreisten<br />
– der Realität gänzlich fremd – auf schiefem Wasserspiegel.<br />
In ihrer Technik waren diese Anlagen einfach:<br />
Kleine Chaisen drehten auf einem schräggestellten<br />
Schienenkreis ihre Runden, wobei der besondere Reiz<br />
in der Geschwindigkeit lag. Aber auch das Höhengefälle<br />
der Kreisbahn hatte es in sich: Schienenhöhen bis<br />
zu sechs Metern im oberen Bereich waren keine Seltenheit.<br />
Das Gefühl von Tempo wurde oft durch eine<br />
gegenläufig zur Fahrtrichtung drehende Mittelverkleidung<br />
in Form eines Tellers („Globus”) verstärkt. Dieser<br />
war in der Regel der Thematik des <strong>Karussells</strong> angepasst<br />
und mit Raketen (auf denen beispielsweise die<br />
berühmten „Vater- und Sohn-Figuren” saßen), Leuchttürmen<br />
oder Skifahrern versehen. Als der Mack-Calypso<br />
die Plätze eroberte, gab es auch eine Calypso-<br />
Schrägbahn – mit der typischen Lichterfontäne in der<br />
Mitte. In den 60er-<strong>Jahre</strong>n verabschiedeten sich die Raketenfahrten<br />
allmählich, rasante Berg- und Tal-Neukonstruktionen<br />
wie der Musik-Express oder die Bayernkurve<br />
machten ihnen den Garaus. Trotzdem wurden<br />
vereinzelte Schrägbahnen damals noch neu gebaut,<br />
darunter 1965 „Blue Haway” von Mack für<br />
Schausteller Parpalioni.<br />
In den 50er-<strong>Jahre</strong>n waren die Schrägbahnen bei der<br />
Jugend gefragt wie heutzutage der Breakdance. Im<br />
Prinzip gehören sie zu den ganz typischen Fifties-<br />
<strong>Karussells</strong>, auch wenn ihr Ursprung in der Vorkriegszeit,<br />
in den Werkshallen der Firma Heyn in Orla, liegt.<br />
Liest man alte Beschickerlisten der Großveranstaltungen<br />
aus jenen Jahrzehnten durch, ist die Fülle der Na-<br />
Raketenfahrt, Weber,<br />
und Bobrennbahn, Walz<br />
Raketenfahrt, Dölle<br />
men, die einst mit einer Raketenfahrt<br />
in Verbindung standen,<br />
endlos. Die Familie Biermann<br />
etwa war sowohl vor<br />
dem Krieg als auch in den<br />
50ern mit ihrer Raketenfahrt<br />
präsent, ebenso die Firma<br />
Dölle. Schneider, Isken, Kleuser,<br />
Vorlop, Diebold, Pötzsch,<br />
Weber, Überacker, Erdmann,<br />
Fabrizius, Spangenberger –<br />
Raketenfahrten und -bahnen,<br />
Marsraketen, Marsbahnen allerorten.<br />
Die berühmten St.<br />
Moritzbahnen sind den<br />
Schaustellern Vespermann,<br />
Wendler und Parpalioni zuzu-<br />
16
VOR- & NACHKRIEG<br />
St. Gotthard-Bahn, Janßen<br />
FOTOS<br />
Archiv Pötzsch, Archiv<br />
Scholz, Archiv Walz, Archiv<br />
Weber, Archiv Dölle,<br />
Archiv Malfertheiner, Archiv<br />
Zierer, Archiv Janßen,<br />
Archiv Ahlendorf<br />
Die lustige Seefahrt, Knorr<br />
ordnen. Der alpine Gegenentwurf, die St. Gotthard-<br />
Bahn, ist durch die Schausteller Meyer, Janßen und<br />
Wohld in Erinnerung geblieben und war noch über die<br />
Mitte der 60er-<strong>Jahre</strong> hinaus auf Topplätzen wie dem<br />
Oldenburger Kramermarkt dabei. Dort stand bereits<br />
Ende der 40er-<strong>Jahre</strong> die Bahn von Schausteller Glöss,<br />
die um 1950 unter dem abenteuerlichen Namen „Thriller<br />
Contrefahrt” gemeldet war. Bei den Bahnen mit<br />
Schiffsthemaik war wohl die „U-Boot-Flotille” von Anton<br />
Benner die erste, die bereits in den 30ern nachzuweisen<br />
ist. Die gleichen, ein wenig bedrohlich-kriegerisch<br />
wirkenden U-Boot-Attrappen kreisten in den<br />
50er-<strong>Jahre</strong>n auf Hans Knorrs „Lustiger Seefahrt”, eine<br />
Schrägbahn, die bis 1962 in München ihre Spezies repräsentierte.<br />
Viel hübscher und mit zusätzlichem Effekt<br />
versehen war die „Venezianische<br />
Gondelbahn”<br />
von Guggemos,<br />
die in den 50er- und 60er-<br />
<strong>Jahre</strong>n durch Bayern<br />
tourte. Kleine Schiffschaukel-Gondeln<br />
für<br />
zwei Personen, die sich<br />
vis-a-vis saßen, waren so<br />
aufgehängt, dass sie bei<br />
der Beschleunigung seitlich<br />
ausschwangen. Je<br />
nachdem, wie man Platz nahm, konnte man vorwärts<br />
oder rückwärts an der Rückwand vorbeisausen, die<br />
als Rialto-Brücke gestaltet war.<br />
Es gab nicht nur offene, sondern auch überdachte<br />
Schrägbahnen, etwa den „Tiger Rag”, der 1957 von<br />
der Firma Hennecke für Gustav Burgdorf gebaut wurde<br />
und den der Schausteller<br />
Ahlendorf in die<br />
Gegenwart gerettet hat.<br />
Eine bereits 1936 gebaute<br />
„Bobrennbahn”<br />
der Firma Gundelwein<br />
war bis 1953 noch im<br />
östlichen Teil Deutschlands<br />
zu sehen, wurde<br />
dann aber von der Familie<br />
Walz zu einer Walzerfahrt<br />
umgebaut. ■<br />
Tiger Rag, Burgdorf<br />
QUELLE<br />
Ton Koppei: Raketenbahn,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 09/98, Seiten<br />
42-44, Rolf Orschel:<br />
Blue Haway, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
12/02, Seite 30-31,<br />
Hans-Peter Merklinghaus:<br />
Tiger Rag: <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
1+2/98, Seite 7<br />
Blue Haway, Parpalioni<br />
17
VOR- & NACHKRIEG<br />
THE WHIP<br />
Siebold & Herhaus<br />
FOTOS<br />
Archiv Froitzheim, Archiv<br />
Zierer, Heiko Schimanzik<br />
Jacobi, Plänterwald<br />
Die Peitsche war ein Oval-Karussell, dessen Ursprünge<br />
ins Jahr 1914 zurückgehen; der Amerikaner<br />
Mangels hatte dafür das Patent erhalten. Zehn<br />
<strong>Jahre</strong> später kam das erste derartige Geschäft nach<br />
Deutschland. Es bestand aus zwei großen Scheiben –<br />
davon eine mit Elektromotor – am jeweiligen Ende einer<br />
ovalen Fahrbahn, über die ein Stahlseil lief. Am Seil<br />
befanden sich 12 kleine Stahlausleger, an deren Ende<br />
jeweils eine Gondel für zwei Personen gelenkig angebracht<br />
war. An den Enden der Strecke schnellten die<br />
auf Rollen fahrenden Wägelchen durch die Fliehkraft<br />
ruckartig nach außen und beschrieben plötzlich einen<br />
größeren Radius, wodurch sich das Tempo an dieser<br />
Stelle der Fahrbahn stets erhöhte. Bei voller<br />
Fahrt rutschten die Gondeln über den Boden und<br />
wurden im 180°-Richtungswechsel nach außen<br />
geschleudert.<br />
Deutscher Erstbesitzer war ab 1924 die Firma Siebold<br />
& Herhaus, die in den 30er-<strong>Jahre</strong>n den<br />
Schausteller Herrmann Froitzheim als Geschäftsführer<br />
einsetzten und durch ganz Deutschland<br />
tourten. Weitere deutsche Besitzer bereits in den<br />
20er-<strong>Jahre</strong>n waren Anton Emde oder „Karussellkönig”<br />
Hugo Haase gewesen. In den Kriegs- und<br />
Nachkriegsjahren verbindet man die „Peitsche”<br />
mit Namen wie Familie Weber, Franz Köll oder auch<br />
Max Zierer, der 1958 mit einer Peitsche auf dem Münchner<br />
Oktoberfest gastierte, eher er sie dem Kanadier<br />
Conklin übergab. Die Firma Spangenberger brachte<br />
in den späten 40er- und 50er-<strong>Jahre</strong>n mit der „Schleuderbahn”<br />
ein vergleichbares Geschäft auf die Plätze.<br />
Als „Schwingreisel” existierte der Karusselltyp in abgewandelter<br />
Kreisform, so wie sie sich in Holland bis<br />
in die Gegenwart als „Swing Mill” erhalten hat und wie<br />
sie die Firma Huss später noch mit Zusatzeffekten als<br />
„Ben Hur” gebaut hat. Im Berliner Plänterwald hingegen<br />
betrieb die Familie Jacobi noch jahrzehntelang<br />
eine moderne „Whip”-Anlage in klassischer Ovalform.<br />
Ein „Whip”-Nachbau, ausgestattet mit originalen Gondeln<br />
und Dekorationsteilen eines Calypsos, ist in einem<br />
amerikanischen Pier als „Laligo” in Betrieb.<br />
Eine Sonderform von „The Whip” war der Taifun-Boomerang,<br />
dessen Fahrbahn eine tangentiale Abzweigung<br />
besaß, eine Auslaufstrecke, die erst mit steigender<br />
Rotation der Gondeln befahren wurde: Die Wagen<br />
schleuderten nacheinander aus dem Rundlauf heraus<br />
und glitten in hohem Bogen über die geschwungene<br />
Kurve. Diese Anlage gehörte der Firma Schippers &<br />
v.d. Ville – und zwischen 1950 und 1956 zu den großen<br />
Attraktionen, auch in München.<br />
■<br />
Max Zierer<br />
18
SPINNE<br />
VOR- & NACHKRIEG<br />
„Octopus” und „Die<br />
Spinne” von Schippers<br />
Bei diesem Geschäft waren 12 Ausleger, an denen<br />
sich frei drehende Zweisitzergondeln befanden,<br />
beweglich mit Zugstangen an einem Exzenter verbunden.<br />
Letzterer drehte sich entgegen die Fahrtrichtung<br />
und bewirkte, dass die Ausleger während der<br />
Fahrt auf und ab schwangen Der Amerikaner Lee Ulrich<br />
Eyerly ließ sich diese Erfindung 1936 patentieren.<br />
Dass dieses Patent nicht immer respektiert wurde,<br />
liegt auf der Hand. Fakt ist, dass die ersten Spinnen<br />
bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und<br />
England auftauchten. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
verbreitete sich die Spinne sehr schnell in ganz Europa.<br />
Die Hamburger Schaustellerfirma Schippers &<br />
v.d.Ville reiste mit einer Spinne zunächst unter der<br />
amerikanischen Originalbezeichnung „Octopus”, benannte<br />
dieses Karussell aber später in „Die Spinne”<br />
um. Dem Problem, dass die Ausleger zum Fahrgastwechsel<br />
nicht abgesenkt werden konnten und somit<br />
sich jeweils immer nur zwei Gondeln am Boden befanden,<br />
begegnete man bei Schippers mit der Idee,<br />
über seitliche Treppenaufgänge weitere Gondeln zu<br />
erreichen. Dennoch blieb die Stundenkapazität bei<br />
diesem Karusselltyp ein Minuspunkt, der jedoch seine<br />
Beliebtheit und Verbreitung in den 50er- und 60er-<strong>Jahre</strong>n<br />
kaum beeinträchtigen konnte.<br />
In den Nachkriegsjahren tauchten so berühmte Namen<br />
wie Siebold oder Haase auch mit diesem Karussell<br />
in den Vergnügungsarealen der großen und<br />
kleinen Volksfeste auf. Eine von den Hentschel-Werken<br />
in Kassel gebaute Spinne betrieb zwischen 1948<br />
und 1953 die Firma Petter, verkaufte sie dann an Ludwig<br />
Hochleitner nach München, der ihr kurioserweise<br />
den Namen „Polyp” gab – die Bezeichnung der erst<br />
Ende der 60er-<strong>Jahre</strong> aufkommenden Nachfolgekonstruktion.<br />
Die gesamten 50er-<strong>Jahre</strong> hindurch waren<br />
auch die Schausteller Winter<br />
oder Bergert mit Spinnen unterwegs.<br />
Letzteres Karussell erlebte<br />
unter Lotte Clauß 1961 und<br />
1962 seine letzten Münchner-<br />
Wiesn-<strong>Jahre</strong>.<br />
In Deutschland ist die Spinne<br />
heute fast ausgestorben. Nach<br />
der Wiedervereinigung reisten<br />
noch regelmäßig drei in den<br />
50ern bei Gundelwein in Thüringen<br />
gebaute Exemplare in der<br />
damaligen DDR, eine davon wurde mit Auto-Skooter-<br />
Chaisen bestückt. Apropos Chaisen: Im Zuge so mancher<br />
Spinnen-Restaurierung kamen in den 60er-<strong>Jahre</strong>n<br />
auch die bekannten Calypso-Gondeln zum Einsatz,<br />
etwa beim Geschäft der Firma<br />
Gebauer oder der Saarländer<br />
Familie Roos. Im Saarland existiert<br />
heute noch das Exemplar von Sartorio.<br />
Es ist seit 1952 im Besitz der<br />
Familie; damals wurde es mit der<br />
Bezeichnung „L’Etoile” (Der<br />
Stern”) von dem französischen<br />
Schausteller Emile Lapp übernommen.<br />
■<br />
Spinne von Petter<br />
Spinne von Bergert<br />
FOTOS<br />
Archiv Bonhoff, Archiv Petter,<br />
Archiv Distel<br />
19
VOR- & NACHKRIEG<br />
LOOP-O-PLANE / ROLL-O-PLANE / SWING-O-PLANE<br />
Fliegender Hammer<br />
von Schippers & v.d. Ville<br />
Loop-o-Plane „Kamikaze”<br />
im Wiener Prater<br />
FOTOS<br />
Archiv Bonhoff, Archiv<br />
Gerhard Eberstaller<br />
QUELLE<br />
Ton Koppei: Sturzbomber<br />
& Co., <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
10/98, Seiten 46-49<br />
Schröders Swing-o-Plane<br />
Der Typ der elektrisch angetriebenen Überkopfschaukel<br />
geht in die 30er-<strong>Jahre</strong> zurück. Geschichte<br />
schrieb dabei der amerikanische Pilot und<br />
Flugausbilder Lee Ulrich Eyerly, der mit seiner Firma<br />
eine Reihe patentierter Entwürfe realisierte. Ein von<br />
ihm konstruiertes Flugtrainingsgerät namens „Acroplane”<br />
mit nur einem Flugzeug, das auf öffentlichen<br />
Veranstaltungen von jedermann ausprobiert werden<br />
durfte, erwies sich als sensationell erfolgreiche Belustigungsanlage.<br />
Noch nach dem Kriege stand die<br />
Hamburger Firma Schippers & v.d.Ville mit einer solchen<br />
„Fliegerschule” auf deutschen <strong>Kirmes</strong>sen.<br />
1934 entstand bei Eyerly das erste Loop-o-Plane: An<br />
einem Mast aus Eisenrohr war ein senkrecht hängender<br />
und drehbar gelagerter Ausleger angebracht, der<br />
am unteren Ende eine vier Personen fassende Gondel<br />
trug. Der Antrieb erfolgte über eine vom Betreiber aktivierte<br />
Rutschkupplung, die den pendelnden Ausleger<br />
bis zum Kopfstand und Überschlag hochschaukelte.<br />
Der englische Schausteller John Collins holte<br />
1937 den ersten Loop-o-Plane nach Europa. Bald gab<br />
es von diesem Geschäftstyp auch Doppelanlagen mit<br />
zwei Auslegern mit je einer Gondel,<br />
die in entgegengesetzter Richtung<br />
drehten und die geringe Kapazität auf<br />
immerhin 8 Personen steigerten. Ein<br />
solches Karussell brachten Schippers<br />
& v.d. Ville unter der Bezeichnung<br />
„Fliegender Hammer” auf die deutsche<br />
50er-<strong>Jahre</strong>-Volksfeste. Es hielt<br />
sich relativ lange – Wiesn-Gastspiele<br />
gab es beispielsweise 1951 und 1957;<br />
und bis zum Ende der 60er-<strong>Jahre</strong> war<br />
auch Schausteller Hüttemann mit einer<br />
solchen Konstruktion auf dem Oktoberfest.<br />
Die Firma Bakker baute<br />
noch in den 70ern eine moderne Version dieser Doppel-Loop-o-Planes,<br />
die als „Bumerang” bekannt wurde.<br />
Der Roll-o-Plane von Eyerly war eine Anlage, bei der<br />
es nicht direkt überkopf ging, weil hier zweiteilige Gondeln<br />
an einem Drehkranz hingen und die Gondelteile<br />
durch ihr Gewicht dazu tendierten, nach unten zu drehen.<br />
Es entstand bei der Abfahrt eine Art Sturzflug,<br />
was der Anlage zum Namen „Sturzbomber” verhalf.<br />
Dieser Geschäftstyp entwickelte sich überall zum Renner.<br />
Eine Weiterentwicklung des Sturzbombers war der<br />
„Swing-o-Plane”, bei dem sich der Ausleger mit den<br />
Gondeln während der Fahrt zusätzlich schrägstellte.<br />
Roll-o-Planes und Swing-o-Planes gehörten zum festen<br />
Bestandteil der Festplätze in den 50er- und 60er-<br />
<strong>Jahre</strong>n. Willenborg, Rick, Hanstein oder Bruch sind<br />
Namen, die mit solchen <strong>Karussells</strong> in Verbindung gebracht<br />
werden. Schausteller Edmund Diebold stand<br />
mit seinem Swing-o-Plane sogar von 1957 bis 1977 in<br />
München; allerdings legte er zwischendurch eine 5-<br />
jährige Pause ein, weil auf der Wiesn 1970 bei seinem<br />
„Sturzbomber” eine Gondel abgebrochen war. ■<br />
20
KRINOLINE<br />
Ein richtiger Oldtimer war in den 50er-<strong>Jahre</strong>n bereits<br />
die Krinoline, eine Konstruktion mit schwankender<br />
Plattform, wie sie schon um 1900<br />
bekannt war und erstmals mit der<br />
„Schwankenden Weltkugel” gebaut<br />
wurde. Dennoch gehörte der<br />
Karusselltyp auch nach dem Krieg<br />
noch zu den gängigen Rundfahranlagen.<br />
Besonders berühmt wurde<br />
natürlich – und ist es immer<br />
noch – jenes Geschäft, das 1924<br />
von Schausteller Großmann als Eigenbau<br />
vorgestellt, 1936 elektrifiziert<br />
und mittlerweile zum Oktoberfest-Mythos<br />
wurde, der noch<br />
immer – jetzt unter Großmann-Enkel<br />
Niederländer – in München lebendig<br />
ist. In jenen Jahrzehnten<br />
war dieses Karussell jedoch – anders<br />
als heute – noch fleißig auf der<br />
Reise, und es hatte dabei auch gegen<br />
artverwandte Konkurrenz zu<br />
kämpfen. So war zum Beispiel Herbert<br />
Nier aus Kassel zwischen<br />
1957 und 1960 noch mit einer Original-Krinoline<br />
unterwegs, bevor<br />
er sie an die Firma Bockfeld aus<br />
Schafheim verkaufte; auch die Firmen<br />
Krug oder Schnellcke betrieben<br />
ein derartiges Fahrgeschäft.<br />
Und auf dem Eisenacher Sommergewinn<br />
taumelte und drehte sich in den 50er-<strong>Jahre</strong>n<br />
noch brav die Krinoline von Funke.<br />
■<br />
VOR- & NACHKRIEG<br />
Niers Krinoline<br />
Funkes Krinoline<br />
FOTOS<br />
Archiv Nier, Erich Moschkau<br />
DEMON WHIRL<br />
Ein besonders markantes Fahrgeschäft aus den<br />
30er-<strong>Jahre</strong>n stellte das „Doppelkarussell” dar, bei<br />
dem auf zwei nebeneinander liegenden Drehscheiben<br />
die darauf befestigten Fahrzeuge beinahe kollidierten,<br />
weil der Fahrkreis jeweils in den der anderen Scheibe<br />
eingriff. Der holländische Schausteller de Vries brachte<br />
mit dem „Demon Whirl” ein von der englischen Firma<br />
Ridecraft gebautes Karussell dieses Typs auf die<br />
Festplätze, das als „Cortina<br />
Bob” bis in die 70er-<br />
<strong>Jahre</strong> aktiv war. Auch im<br />
Wiener Prater stand eine<br />
derartige Anlage. Ferner<br />
fanden sich solche Geschäfte<br />
auch im Lieferprogramm<br />
italienischer<br />
Hersteller; so begründete<br />
die Firma Pinfari damit<br />
ihre Karussellbauabteilung.<br />
Ob in Deutschland<br />
ein Karussell dieser Art<br />
im Einsatz war, ist unklar.<br />
Möglicherweise geht der<br />
Slalom von Georg Hüttemann<br />
auf ein solches<br />
Geschäft zurück. ■<br />
QUELLE<br />
Ton Koppei: Demon Whirl,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 05/03, Seiten<br />
44-45<br />
(Fotos: Archiv Hennie van<br />
Oers, Archiv Pinfari)<br />
21
VOR- & NACHKRIEG<br />
ZEPPELIN<br />
FOTO<br />
Archiv Höcherl<br />
Alois Höcherls Zeppelin in<br />
den 60er-<strong>Jahre</strong>n<br />
Der legendäre Zeppelin-Wolkenflug wurde 1930<br />
von Hugo Haase entwickelt. Um eine Globusattrappe<br />
kreisten vier Zeppeline, die über eine Winde in<br />
sieben Meter Höhe befördert werden konnten und dort<br />
eine einfache Kreisfahrt vollzogen. Obwohl alles andere<br />
als spektakulär im Fahreffekt, war dieses optisch<br />
so auffällige Karussell ein Wahrzeichen vieler berühmter<br />
Veranstaltungen. Die Münchner Schaustellerfirma<br />
Mathieu reiste mit dem großen Geschäft ab den 50er-<br />
<strong>Jahre</strong>n durch ganz Deutschland und pries das später<br />
„Zeppelin-Weltflug” benannte Karussell in Werbeanzeigen<br />
als „schöner denn je” und „als Familiengeschäft<br />
unübertroffen” an. Ab 1950 stand der Zeppelin<br />
Jahr für Jahr in der Münchner Schaustellerstraße und<br />
verabschiedete sich erst, als er 1978 ins Ausland verkauft<br />
wurde. Bereits in den 40er-<strong>Jahre</strong>n hatte auch das<br />
Schweizer Publikum die Chance, eine Runde im Zeppelinkarussell<br />
zu drehen, dort unter Firma Weidauer. ■<br />
STEILWANDRAKETE<br />
FOTO<br />
Archiv Der Komet<br />
Mit einem Katapulteffekt arbeitete<br />
das Karussell „Steilwandrakete”,<br />
das in den 1930er-<br />
<strong>Jahre</strong>n von der Familie Birkeneder<br />
auf die Märkte gebracht wurde.<br />
Zwölf viertelkreisförmig gebogene<br />
Schienensegmente gaben dem<br />
Geschäft die Form einer großen<br />
Schüssel, die um ein überdachtes<br />
Zentrum kreiste, das wiederum<br />
über ein fliegerähnliches Podium<br />
zugänglich war. Die raketenförmigen<br />
Fahrzeuge, in denen die Passagiere<br />
jeweils in zwei Reihen hintereinander Platz fanden,<br />
wurden bei der Fahrt durch die Fliehkraft an den<br />
Schienen entlang nach außen hochkatapultiert. Der<br />
Name „Steilwandrakete” beschreibt die Ähnlichkeit<br />
zur Artistensteilwand, in der sich die Fahrer ebenfalls<br />
von unten her immer höher den Kessel hinauf bis zur<br />
totalen Schrägfahrt nach oben arbeiten. Nach dem<br />
Krieg wurde das Karussell von Anton Emde betrieben;<br />
es gastierte unter anderem 1949 und 1950 auf der<br />
Münchner Wiesn.<br />
■<br />
22
LUSTIGE SEEMUSCHEL<br />
Ihre große Popularität verdankte die Seemuschel<br />
dem Schausteller Walter Klugmann, der mit ihr<br />
weit über zwei Jahrzehnte lang die Plätze in<br />
Schleswig-Holstein und Niedersachsen bereiste<br />
und unter dessen Leitung das Geschäft sogar ein<br />
paar Mal auf dem Hamburger Dom zu bewundern<br />
war. Es handelte sich um eine Berg- und Talbahn<br />
mit drehbaren Gondeln, die Schausteller Ackermann<br />
aus Großefehn kurz nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg selbst entworfen und mit einfachen Mitteln<br />
aus einem ehemaligen Dampfkarussell selbst<br />
gebaut hatte. In hölzernen Chaisen, die an eine<br />
Schmetterlingsbahn erinnerten, ging es zunächst<br />
im klassischen Stil über jeweils zwei Berge und<br />
zwei Täler im Kreis herum. Während der Fahrt jedoch<br />
konnte der Operator vom Fahrstand aus kräftige kleine<br />
Elektromotoren aktivieren, die über einen Kettenantrieb<br />
je zwei Gondeln gleichzeitig in jede beliebige<br />
Position drehten. So fuhr man plötzlich seitwärts oder<br />
rückwärts auf und ab, doch ohne das Magenkribbeln<br />
erzeugende Hopsen der direkt auf den Auslegern befestigten<br />
Boote einer Seesturmbahn, sondern im sanften<br />
Bogen, denn die Gondeln der „Seemuschel” waren<br />
jeweils paarweise auf Fußböden gelagert, die zwischen<br />
zwei Auslegern hingen und so eine eher wellenförmige<br />
Fahrt ermöglichten. Als Water Klugmann<br />
das Karussell in den 50er-<strong>Jahre</strong>n erwarb, erschien die<br />
Optik des Geschäfts schon nicht mehr zeitgemäß.<br />
Also begann man zu investieren, zunächst in eine<br />
halbhohe, gerade geschnittene Dachkante mit Palmenstrand-<br />
und Wasserski-Motiven, die die strenge,<br />
auf vorgebauten Säulen thronende Fassade der alten<br />
Bahn ersetzte. Später wurde diese aufgestockt zu einer<br />
geschwungenen Prachtfassade, die mit Fernweh<br />
weckenden Szenen aus einem Urlaubsparadies in der<br />
Südsee bemalt wurde. Eine umlaufende Rundmarkise<br />
bot den an den Aufgängen wartenden Zuschauern<br />
Schutz. Stück für Stück wurden die überwiegend hölzernen<br />
Bauteile der Unterkonstruktion gegen Stahlrohre<br />
ausgetauscht. Zahlreiche Lichtbögen und<br />
eine Glühbirnen-Fontäne im Zentrum ließen nach<br />
Einbruch der Dunkelheit das Innere der Bahn erstrahlen.<br />
Auch für die etwas behäbig wirkenden<br />
Chaisen suchte man nach geeignetem Ersatz,<br />
denn die „Seemuschel” entpuppte sich als ausgesprochenes<br />
Jugendkarussell, und man konkurrierte<br />
damals mit chicen Raupen- und Bobbahnen.<br />
Bei der Firma Piper in Hannover wurde Walter<br />
Klugmann fündig, aus deren Werkstatt stammte<br />
bereits so manche neue Bobbesatzung ehemaliger<br />
Raketenbahnen. Also ließ man sich 16 stromlinienförmige<br />
Fahrzeuge mit Frontscheinwerfer<br />
und Chromzierteilen bauen. Der Name „Seemuschel”<br />
wollte nun nicht mehr so recht zum neuen Outfit passen,<br />
weshalb auf älteren Fotografien der Schriftzug<br />
„Miami Rolls” eingefügt wurde. Diese Bezeichnung<br />
setzte sich nicht durch, die „Lustige Seemuschel” war<br />
im Norden längst zum festen Begriff geworden. Auch<br />
der alte Drehmechanismus der Gondeln hatte seine<br />
Tücken. Fast regelmäßig 4- bis 5-mal am Tag sprangen<br />
die von den kleinen Antriebsmotoren in der Mitte<br />
der Plattformen zu den beiden dazugehörigen Gondeln<br />
führenden Ketten während der Fahrt ab und<br />
ließen die Fahrzeuge manövrierunfähig in der gerade<br />
erreichten Position verharren. Dann war immer schnelles<br />
Schrauben, Neuauflegen und Spannen der<br />
schmierigen Ketten angesagt.<br />
Als Familie Klugmann sich Ende der 1970er-<br />
<strong>Jahre</strong> zu einer Neuanschaffung entschloss,<br />
verkaufte sie das Karussell an ihren Hamburger<br />
Kollegen Michael Harder. Trotz der<br />
bekannten Schwachstellen war auch er über<br />
vier <strong>Jahre</strong> lang sehr zufrieden mit dem betagten<br />
und doch irgendwie zeitlosen Karussell.<br />
Später gelangte es in einen kleinen<br />
holländischen Freizeitpark, anschließend<br />
verliert sich seine Spur.<br />
■<br />
Das Karussell unter<br />
Schausteller Ackermann<br />
Die Seemuschel unter<br />
Klugmann mit Piper-Chaisen<br />
und Rundmarkise<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Die lustige<br />
Seemuschel, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 7/02, Seiten 38-41<br />
FOTOS<br />
Archiv Klugmann<br />
Probeweise auf das<br />
Foto aufgemalter Schriftzug<br />
23
40ER-JAHRE<br />
WELLENFLIEGER<br />
Wellenflieger von Fritz<br />
Hanstein<br />
Rudolphs Karussell<br />
als Globusflieger und nach dem<br />
Umbau mit Kettensitzen<br />
Das bislang früheste Datum, das für einen Wellenflieger<br />
auf europäischem Boden ermittelt werden<br />
konnte, ist das Jahr 1941. Im Wiener Prater drehte sich<br />
damals bereits ein Kettenflieger mit der charakteristischen<br />
Flugweise. Im deutschen Reisegewerbe gilt jedoch<br />
der Bremer Schausteller Fritz Hanstein als Wellenflug-Pionier.<br />
Noch in den 40er-<strong>Jahre</strong>n ließ er sich<br />
das erste transportable Wellenkettenkarussell patentieren<br />
und von einer kleinen Stahlbaufirma realisieren.<br />
Dieser Ur-Wellenflieger, der in den 50er- und 60er-<strong>Jahre</strong>n<br />
viele große Volksfeste (1960 und 1962 sogar München)<br />
bereiste, konnte sich eisern gegen die Zierer-<br />
Konkurrenz aus den 70ern behaupten und ist heute als<br />
„Powerwelle” noch immer – unter der Firma Lemoine<br />
und im Airbrush-Design – im Einsatz. Anders als bei<br />
den modernen Wellenfliegern liefen bei diesem Karussell<br />
die 24 Ausleger mit den Ketten auf Rädern über<br />
eine wellenförmige Schiene unterhalb des Dachbereichs.<br />
Kein hydraulisches Anheben oder Kippen des<br />
Drehverbunds war hier möglich, deshalb musste auch<br />
das Podium in einer entsprechenden Wellenform angelegt<br />
sein. Hansteins Flieger war ein Nachkriegs-<br />
Exot, der in die Volksfestgeschichte eingegangen ist.<br />
Obwohl Konstruktion und Fahrweise sofort geschützt<br />
wurden, gab es vereinzelte Nachahmer, die das Verbot<br />
umgingen, indem sie – zunächst – anstelle der Kettensitze<br />
andere Besatzungsteile<br />
auf ähnlich konstruierten<br />
Karussellbauten zum Einsatz<br />
brachten.<br />
Etwa das später von der<br />
Schaustellerfamilie Gerste aus<br />
Diepholz „The Great<br />
Rock'n'Roller“ genannte Karussell.<br />
Das ursprünglich als<br />
Globusflieger konzipierte<br />
Fahrgeschäft wurde nach dem<br />
Krieg vom damaligen Eigentümer<br />
„Manne“ Rudolph aus<br />
Kassel bei einer Schlosserei in<br />
Bad Lauterbach zum „Wellenflug”<br />
umgerüstet. Im Verlauf eines<br />
Rechtsstreits mit Hanstein<br />
musste damals die Wellenflug-<br />
Kopie mit Gondeln anstelle<br />
24
Ursprung des <strong>Karussells</strong> als Globusflieger. Später, unter<br />
Familie Gerste, wurde das Karussell in poppig-bunter<br />
Manier umgestaltet und vor einigen <strong>Jahre</strong>n an die<br />
Firma Volklandt verkauft.<br />
Vom Hanstein-Flieger inspiriert war auch der Meteor<br />
von 1953, über den Der Komet damals schrieb: „Ein<br />
neuartiges Fahrgeschäft in Form und Bewegung ist<br />
der Meteor. Die Kugel dreht sich mit den Auslegern,<br />
die auf einer nicht sichtbaren Fahrbahn über Berg und<br />
Tal laufen. An diesen Auslegern hängen Rundgondeln<br />
mit Sonnendächern, die nach Art der Triller von den Insassen<br />
selbst in Bewegung gesetzt werden können.”<br />
Wie eine Skizze des Dortmunder Ingenieurs Köppe<br />
zeigt, war der Meteor jedoch zunächst als<br />
Wellenkettenflieger konzipiert gewesen, die<br />
Trillergondeln des realisierten <strong>Karussells</strong><br />
wohl ein Kompromiss gegenüber Hansteins<br />
Patentrechten.<br />
Auch jenseits des Eisernen Vorhangs gab<br />
es einen Wellenflieger, den sich der Ostschausteller<br />
Karl Welte aus Magdeburg mit<br />
Hilfe von Fotografien und flüchtiger Handskizzen<br />
des Hanstein-Originals bei Gundelwein<br />
in Wutha bauen ließ. Diesem Karussell<br />
blieb jedoch der erhoffte Erfolg versagt und<br />
es wurde 1955 zu einer Walzerbahn umgebaut.<br />
■<br />
40ER-JAHRE<br />
FOTOS<br />
Archiv Hanstein, Archiv<br />
Schimanzik, Archiv Bonhoff,<br />
Archiv Horn, Archiv<br />
Welte<br />
Weltes Wellenflug<br />
Meteor von 1953 mit<br />
Entwurfszeichnung<br />
Wellenflug von Manne Rudolph mit verschiedenen<br />
Besatzungsteilen<br />
der üblichen „Stühle“ ausgerüstet werden, die im Lauf<br />
der folgenden Jahrzehnte den aktuellen Modeströmungen<br />
angepasst wurden: Kutschen, Raketen, Hollywood-Schaukeln.<br />
Erst viel später wurden dann doch<br />
noch je zwei Kettensitze an den insgesamt 16 Auslegern<br />
montiert. Das um zwei Berge aufgestockte Kettenfliegerpodium<br />
und die freistehenden, den Mast und<br />
die <strong>Karussells</strong>tube säulenartig umschließenden Pfosten<br />
verliehen dem kleinen Wellenflug einen eigenen<br />
Charakter. Das über der Konstruktion thronende kleine<br />
Runddach erinnerte dabei noch ein wenig an den<br />
QUELLE<br />
Michael Petersen: Powerwelle<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 10/96,<br />
Seite 32, Michael Bonhoff:<br />
Great Rock’n Roller, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 10/96, Seite<br />
33, Michael Bonhoff: Weltes<br />
Wellenflug <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
11+12/96, Seite 44,<br />
Karl Ruisinger: Kettenflieger-Variationen,<br />
<strong>Kirmes</strong><br />
Revue 8/2000, Seite 40-41<br />
25
40ER-JAHRE<br />
Luftscooter war eine<br />
Kombination aus Rundfahrgeschäft<br />
und Auto-Skooter<br />
FOTOS<br />
Archiv Drelischek<br />
LUFTSCOOTER<br />
Der Münchner Erfinder Martin Wöhrle schuf<br />
Ende der 40er-<strong>Jahre</strong> diese abenteuerliche<br />
Karussellkonstruktion. Das beliebte Motto<br />
des Autoskooters, bei dem „jeder sein eigener<br />
Chauffeur“ sein durfte, führte Wöhrle noch<br />
einen Schritt weiter: „Jeder sein eigener Pilot“<br />
– im Auto-Luftscooter! Die Geburtsstunde der<br />
Auslegerflugkarussells war gekommen. Mit<br />
Teilen diverser Zulieferbetriebe baute Wöhrle<br />
auf dem Gelände seiner Zimmerei in Berg am<br />
Starnberger See ein Karussell von fast 20 Metern<br />
Durchmesser. Allein zwei parallelgestellte<br />
und zusammengeflanschte Mittelbauwagen,<br />
jeder 5,7 m lang und 2,5 m breit mit hüfthoch angebrachten<br />
Achsen, wurden für das Drehwerk und die<br />
Hubmechanik benötigt. Zwölf Ausleger aus versteiften<br />
Eisenprofilen waren daran beweglich gelagert und trugen<br />
eine Kippvorrichtung mit chromblitzenden Skooterchaisen<br />
der Marke Ihle, die statt des Fahrgestells<br />
einen festen Boden erhielten und so zu Flugobjekten<br />
umfunktioniert wurden. Jede Chaise wiederum war<br />
über ein Stahlseil mit dem Mittelbau verbunden. Hob<br />
sich der Ausleger bis zur Höhe von 7 Metern, so neigte<br />
sich das zugehörige Kippgelenk mit der Gondel<br />
nach außen, jeweils so weit, wie das Zugseil nachgab.<br />
Umgekehrt spannte sich dieses Seil wieder, je weiter<br />
sich der Ausleger senkte, und zog die Gondel wieder<br />
nach innen. Auf diese Weise war es Wöhrle gelungen,<br />
die Sitzplätze der Fahrgäste in jeder Hubposition der<br />
Ausleger gerade zu halten. Als Fahrwerk erhielt jeder<br />
Arm zunächst ein Stützrad, um die Gondel nach der<br />
Landung in der richtigen Einstiegshöhe zu halten und<br />
den Ausleger zu entlasten, später konnte darauf jedoch<br />
verzichtet werden.<br />
Den Hub- und Senkvorgang der Ausleger löste Wöhrle<br />
mit einfachen Mitteln. Dazu bekam jeder Arm einen<br />
eigenen, sich auf dem Mittelbau mitdrehenden Elektromotor<br />
mit einem Schneckengetriebe. Eine sichelförmig<br />
nach oben gebogene Zahnstange, die fest mit<br />
dem Ende des Auslegers verbunden war, konnte von<br />
dem Schneckengetriebe schaukelartig vor- und zurückgedreht<br />
werden und bewegte dabei den etwa auf<br />
halber Höhe am Drehwerk gelagerten Tragarm stufenlos<br />
auf und ab. Über Endschalter wurde der maximale<br />
Schwenkbereich festgelegt, in dem die Fahrgäste<br />
ihre Flughöhe selbst bestimmen konnten. Drehte<br />
der Fahrgast das Steuer nach rechts, bekam der Elektromotor<br />
einen Impuls zum Hochfahren, drehte er das<br />
Steuer nach links, schaltete der Motor um und fuhr den<br />
Arm in die Ausgangsposition zurück. Drehte man das<br />
Lenkrad in die Mittelstellung, so wurde der Motor abgeschaltet<br />
und der Arm blieb in der gewünschten<br />
Höhe stehen. Um die im Ruhezustand steil nach oben<br />
ragenden Zahnstangen zu verbergen, erhielt das Karussell<br />
in der Mitte einen charakteristischen, mit Lichtleisten<br />
verzierten hohen Kuppelbau aus rotem Segeltuch.<br />
Die Chaisen waren knallrot, hellblau und lindgrün,<br />
mit jeweils schwarz-glänzenden Kotflügeln. Die<br />
Ausleger waren immer paarweise in der Farbe der zugehörigen<br />
Chaisen lackiert, die Kuppel leuchtend rot.<br />
Staunend standen die Menschen vor dieser eindrucksvollen<br />
Maschinerie, als Wöhrle seinen Eigenbau<br />
1950 in Regensburg und danach auch auf dem<br />
Münchner Oktoberfest präsentierte.<br />
Das Experimentieren mit der Technik hatte auch seinen<br />
Preis, viele Kinderkrankheiten ließen sich nicht<br />
ganz beheben – trotzdem konnte sich der Flugapparat<br />
auch in den folgenden <strong>Jahre</strong>n auf der Wiesn behaupten<br />
und schließlich ein Käufer gefunden werden.<br />
Mit Familie Drelischek gelangte der Luftscooter 1955<br />
in neue Hände. Weitere Besitzer waren die Firma Bobeck<br />
aus Amberg, Anfang der 60er-<strong>Jahre</strong> Franz Eberhardt<br />
aus Hanau. Ein letztes Mal wechselte der Luftscooter<br />
noch den Besitzer, dann endete er Mitte der<br />
60er-<strong>Jahre</strong> in der Schrottpresse.<br />
■<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Luftscooter,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 10/<br />
99, Seiten 34-36<br />
26
TEUFELSWIRBEL<br />
40ER-JAHRE<br />
Frotzheims<br />
Teufelswirbel<br />
Nach Kriegsende entschloss sich Schausteller<br />
Herrmann Froitzheim 1945 zum Kauf eines rasanten<br />
Rundfahrgeschäftes. Es gelang ihm, ein Karussell<br />
aus England zu erwerben, das den Namen „The Diabolic-Whirl“<br />
trug. Als „Teufelswirbel“ startete es 1946<br />
in seine erste Deutschlandsaison. Mit dem „schnellsten<br />
Karussell aller Zeiten“ standen Froitzheim sämtliche<br />
großen Veranstaltungen (München, Stuttgart,<br />
Nürnberg, etc.) offen. Die Fahrt dieses Unikats lässt<br />
sich wie folgt beschreiben: Auf einer großen Drehscheibe<br />
(Durchmesser circa 15 m) waren sternförmig<br />
zehn Schienenstränge angeordnet, auf denen sich jeweils<br />
eine verschiebbare Gondel für je sechs Personen<br />
befand. Diese Gondeln waren auf der Innenseite<br />
durch Zug- und Druckstangen miteinander verbunden,<br />
die wiederum außermittig an einem Exzenter befestigt<br />
waren. Wenn sich die Holzscheibe zu drehen<br />
begann, konnte der Exzenter jederzeit in beliebiger<br />
Richtung zugeschaltet werden. Drehte er sich entgegengesetzt<br />
zur Holzdrehscheibe, wurden durch die<br />
Überlagerung der Rotationen die Gondeln auf den<br />
Schienen hin- und hergeschoben. Der sich dadurch<br />
dauernd ändernde Radius bewirkte relativ schnelle<br />
Beschleunigungen beziehungsweise rapide Abbremsvorgänge.<br />
Wenn man so will, war der Teufelswirbel<br />
ein Vorfahr des viel später gebauten Exoten<br />
„Moonraker”, und er hielt sich bis weit in die 50er-<strong>Jahre</strong><br />
hinein als attraktives Karussell auf den deutschen<br />
Volksfesten.<br />
■<br />
QUELLE<br />
Michael Schottenloher:<br />
Familie Froitzheim, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 7/03, Seiten 44-48<br />
(Fotos: Archiv Heiner<br />
Froitzheim)<br />
TOLLE JAGD<br />
Dieses für damalige Verhältnisse sehr rasante Karussell<br />
war 1947 eine neue Sensation auf den<br />
Festplätzen: Die „Tolle Jagd” wurde von den Gebrüdern<br />
Hohmann präsentiert und ging erstmals auf dem<br />
Volksfest in Bayreuth ans Netz. Gebaut wurde sie von<br />
der Firma Messerschmied. Es handelte sich dabei um<br />
eine offene Rundfahrt, bei der langgezogene, mit jeweils<br />
zwei hintereinander angeordneten Sitzbänken<br />
versehene Gondeln über Berg und Tal jagten. ■<br />
27
50ER-JAHRE<br />
HURRICANE<br />
Kochs Hurricane-<br />
Versionen von 1951, 1952<br />
und 1953<br />
Die 50er-<strong>Jahre</strong> waren die Zeit der Hurricanes, der<br />
ersten Luftflieger mit pneumatischer Höhensteuerung.<br />
Damit begann ein neuer Abschnitt in der Geschichte<br />
der Fahrzeugbaufirma Kaspar Klaus in Memmingen,<br />
die so ihre Abteilung für Karussellbau begründete.<br />
Es gab insgesamt 59 Hurricane-Exemplare,<br />
die Zahl relativiert sich allerdings angesichts der Tatsache,<br />
dass nach England stets nur Teile – genauer<br />
gesagt die Luftanlagen – von Klaus geliefert und dann<br />
von der dort ansässigen Firma Laug Wheels weiterverwertet<br />
wurden (18 Stück). Die Väter der pneumatischen<br />
Flugkarussells waren die Münchner Schausteller<br />
Georg Koch und Hans Dom sowie der bei Klaus<br />
beschäftigte Techniker Matthias Haug gewesen. 1951<br />
wurde der erste Hurricane realisiert, wobei die Einführung<br />
des sogenannten Rotorventils im Karussellbau<br />
eine technische Pionierleistung darstellte. Die<br />
Hurricanes bestanden aus einem Grundrahmen, einem<br />
Ringkörper, zwölf Auslegern und zwölf Gondeln.<br />
Von einem externen Kompressor wurde die Luft über<br />
ein Mittelventil in zwölf Hubzylinder am Ringkörper geführt.<br />
Am oberen Rand des Ringkörpers waren zwölf<br />
Ausleger gelenkig über den einzelnen Hubzylindern<br />
gelagert und mit diesen durch Kolbenstangen verbunden.<br />
Durch eine Steuervorrichtung in jeder der 2-<br />
sitzigen Gondeln am jeweiligen Ende der Ausleger<br />
konnte man die Luftzufuhr individuell regeln und somit<br />
die Höhenlage der Flugbahn selbst bestimmen. Hierzu<br />
noch einige technische Daten: Der Flugbahndurchmesser<br />
des <strong>Karussells</strong> betrug 13,48 Meter, die Drehzahl<br />
lag bei 11,85 U/min. Der Schwenkbereich der<br />
Ausleger betrug 57 Grad; der Gondelneigungswinkel<br />
reichte dabei von -11 Grad (Ruheposition) bis +46<br />
Grad (maximaler Ausflug mit einer Flughöhe der Gondel<br />
von 5,45 Metern). Umzäunt wurden die Anlagen<br />
mit einem 75 cm hohen Holzlattenrost und etwa 3 Meter<br />
hohen Lichtträgern mit Lampen.<br />
Georg Koch erhielt seinen ersten Hurricane am 6. Juni<br />
1951 und präsentierte ihn auch auf dem Münchner Oktoberfest.<br />
Im Gegensatz zu den nachfolgenden Ausführungen<br />
des Hurricanes rotierte dieser Prototyp gegen<br />
den Uhrzeigersinn. In seiner Optik erinnerte das<br />
Karussell an die Rundfahrgeschäfte der Vorkriegszeit:<br />
eine einfache Holzeinfriedung mit schmucklosen<br />
Lichtträgern, zwischen denen girlandenartig Glühbirnen<br />
gespannt waren. Die Blechgondeln, in denen die<br />
Passagiere hintereinander Platz fanden, waren im Raketenstil<br />
gestaltet, liefen vorne und hinten spitz zu und<br />
28
50ER-JAHRE<br />
Hans Doms Hurricane,<br />
1952<br />
Skizze zum ursprünglichen<br />
Hurricane, Karl Meier,<br />
TÜV München<br />
waren mit zwei seitlichen Holzflügeln versehen. Kochs<br />
erster Hurricane war in Deutschland nur ein halbes<br />
Jahr beheimatet; im Dezember 1951 bereits wurde das<br />
Karussell nach Südafrika veräußert. Das Spiel des kurzen<br />
Betreibens und schnellen Verkaufs ins Ausland<br />
wiederholte sich bei den folgenden Ausführungen,<br />
wohl wegen ständiger technischer und gestalterischer<br />
Verbesserungen in den Anfangsjahren. Bis 1955 wurden<br />
Klaus-<strong>Karussells</strong> in Deutschland nur von Georg<br />
Koch und Hans Dom betrieben. Erst dann tauchen in<br />
der Liste der Erstkunden weitere deutsche Namen auf.<br />
1953 erhielt Georg Koch das Patent für seine Karussellerfindung<br />
mit Drehventil und Selbststeuerung, das<br />
zunächst 18 <strong>Jahre</strong> währte und dann noch einmal verlängert<br />
wurde. Patentrecht, Gebietsschutz und Lizenzpflicht<br />
führten dazu, dass interessierte Schausteller<br />
hierzulande als Ausweg zunächst zu anderen<br />
Fabrikaten griffen.<br />
Am 11. Januar 1952 erhielt Georg Koch seinen zweiten<br />
Hurricane, der im Uhrzeigersinn lief. Schon am 25.<br />
April desselben <strong>Jahre</strong>s holten Koch und Dom zusammen<br />
einen weiteren Hurricane aus Memmingen ab,<br />
und am 10.10.1952 wurde Dom Alleinbesitzer eines<br />
derartigen Geschäftes. 1953 ging noch einmal ein<br />
neues Exemplar an Koch; es verfügte bereits über den<br />
in den Folgejahren gängigen Deko-Aufbau im Karussellzentrum:<br />
ein aus geraden Lichtleisten bestehender<br />
Turm, am oberen Ende zweifach abgetreppt, ungefähr<br />
auf halber Höhe „schwebte” ein Schriftband mit Neonbuchstaben.<br />
Mit dieser Anlage war Koch Stammbeschicker<br />
so renommierter Plätze wie München, Crange,<br />
Nürnberg oder Erlangen. Am 14. Juni 1955 kam<br />
erstmals ein weiterer deutscher Schausteller in den<br />
Genuss eines Hurricanes: Die Berliner Firma Beuermann<br />
war der dritte deutsche Erstbesitzer einer derartigen<br />
Anlage, gefolgt von der Wiesbadener Firma Eller,<br />
die ihr Geschäft drei Tage später erhielt, aber bereits<br />
im Oktober desselben <strong>Jahre</strong>s an Bernhard Biermann<br />
aus Gelsenkirchen übergab. Diese 1955er-Hurricanes<br />
waren aufwändiger als bisher dekoriert, die<br />
Turmspitzen mehrfach abgetreppt, und als Gondeln<br />
kamen bulligere Raketen zum Einsatz, die für den Karusselltyp<br />
„Vampir” entwickelt worden waren.<br />
Hurricane-Konstruktion<br />
auf Fahrgestell, darüber die<br />
Anlage von Beuermann<br />
29
50ER-JAHRE<br />
Hurricane X<br />
Skizze zum Hurricane X,<br />
Karl Meier, TÜV München<br />
Mathieus Jet Clipper<br />
Bei der 1956 an die belgische Firma De Staebel/Roulers<br />
ausgelieferten Hurricane-Anlage taucht in der<br />
Lieferliste erstmals die Bemerkung „Konstruktion mit<br />
Fahrgestell” auf. Hier wurde der Grundrahmen des <strong>Karussells</strong><br />
in ein zweirädriges Fahrgestell integriert, auf<br />
dem der Korb mit dem Ringkörper ruhte – und zwar<br />
höher als bei den vorher realisierten Hurricane-Anlagen.<br />
Eine erhöhte feste Grundkonstruktion ist die Basis<br />
des weiterentwickelten „Hurricane X”. Hier hängen<br />
die Ausleger steiler nach unten; der Schwenkbereich<br />
betrug nun 59,5 Grad, die Neigungswinkel der Ausleger<br />
reichte von -19,5 Grad (Ruhestellung) bis +40<br />
Grad (maximaler Ausflug). Nicht so die Neigung der<br />
Gondel selbst: Sie beschrieb eine Spanne von +10 bis<br />
+20 Grad. Grund dafür war eine beweglich-verstellbare<br />
Aufhängung mittels zusätzlicher Zugstangen im<br />
Gegensatz zur früheren starren Befestigung am Ausleger.<br />
Der Hurricane X erreichte eine Flughöhe von<br />
6,30 Metern und einen Flugbahndurchmesser<br />
von 15,80 Metern. Mit der via Zugstange möglichen<br />
Verstellbarkeit der Gondel verschwand<br />
auch die alte Raketenform: Etwa ab diesem<br />
Zeitpunkt kreisten an den Auslegerflugkarussells<br />
von Klaus die später so typischen Flugzeugchaisen<br />
mit großem Heckflügel und zwei<br />
nebeneinander angeordneten Sitzmöglichkeiten.<br />
In der Folgezeit wurden noch fünf<br />
Hurricanes für Deutschland realisiert: Erster<br />
davon war die Nummer H63 für die Firma Eller<br />
aus Wiesbaden (30. Juli 1957), gefolgt von einem<br />
Exemplar für den Bremer Renoldi (Nr. H73<br />
am 24. März 1958). 1963 verließen noch einmal<br />
zwei „X”-Versionen den Betriebshof von<br />
Klaus: Im Frühjahr 1963 erhielt Schausteller<br />
Hurricane Heinz Fähtz / Heinz Koch
50ER-JAHRE<br />
Hurricane von Alfred Kalb<br />
FOTOS<br />
Archiv Gunz, Archiv Kärger,<br />
Archiv Wack, Archiv<br />
Mathieu, Archiv Fähtz,<br />
Archiv Kalb, Archiv Franke,<br />
Sicherheit Fliegender<br />
Bauten 1970<br />
Hurricane H 73 unter Renoldi und Franke<br />
Fähtz aus Edelsberg ein derartiges Karussell, kurz davor<br />
hatte der Münchner Mathieu den „Jet Clipper” bekommen,<br />
der zunächst als „Condor” angekündigt worden<br />
war. Den allerletzten Hurricane nahm sieben <strong>Jahre</strong><br />
später, am 25. März 1970, der Nürnberger Alfred<br />
Kalb entgegen. Insgesamt wurden also 12 Hurricane-<br />
<strong>Karussells</strong> von Klaus nach Deutschland ausgeliefert.<br />
Ihr weiterer Lebenslauf ist nur in Einzelfällen nachvollziehbar.<br />
Der letzte Koch-Hurricane soll Mitte der 50er-<br />
<strong>Jahre</strong> nach Finnland verkauft worden sein, den Renoldi-Hurricane<br />
übernahm Richard Franke aus Braunschweig.<br />
Der „Jet Clipper” von Mathieu war noch bis<br />
1978 auf dem Oktoberfest in München Stammgast und<br />
wanderte dann in den Holiday Park in Hassloch. Mit<br />
der 1963 an Heinz Fähtz gelieferten Anlage Nummer<br />
H110 reiste bis 1965 dessen Stiefsohn Heinz Koch.<br />
Später gelangte dieses Karussell an den Augsburger<br />
Siegfried Springer und landete schließlich bei Walter<br />
Wieser aus Dessau. Eines der <strong>Karussells</strong> der Firma Eller<br />
kam über die Besitzer Maniatopoulos und Hausladen<br />
an die Schaustellerin Claudia Zinnecker, die das<br />
Geschäft heute in aktueller „Star Wars”-Dekoration betreibt.<br />
Der Nachzügler-Hurricane H130 von Alfred Kalb<br />
ging nach sieben Betriebsjahren an die Firma Schütz,<br />
später an den Kronacher Schausteller Gratz und<br />
schließlich in der Schweiz zu Schausteller Stieger.<br />
Bis Ende der 80er-<strong>Jahre</strong> war der Hurricane H36 auf der<br />
Reise. Das Ex-Beuermann-Geschäft von 1955 wurde<br />
1959 von Franz Bruch übernommen, der das Karussell<br />
aber nur eine Saison behielt. Dann kaufte es der<br />
bayerische Schausteller Josef Wack und reiste 30 Saisons<br />
damit; 1990 setzte ein Brand der Sache ein Ende.<br />
Wack hatte die alten Raketen-Gondeln nur bis etwa<br />
1963 behalten und sich dann für Chaisen der Firma<br />
Wilhelm Peter aus Althegnenberg entschieden; sie waren<br />
ursprünglich für das Schwarzkopf-Karussell „Weltraumflug”<br />
entworfen und gebaut worden.<br />
■<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Hurricane –<br />
Rundfliegeranlagen von<br />
Klaus, <strong>Kirmes</strong> Revue 6/97,<br />
Seiten 14 - 23<br />
Hurricane von Josef Wack<br />
mit Peter-Flugzeugen, um 1963<br />
31
50ER-JAHRE<br />
HELIKOPTER<br />
Rilkes „Hurrikan”, 1956<br />
Verschiedene Anlagen der<br />
Schausteller Barth, Becker und<br />
Hoech<br />
Der Helikopter der in Frohnlach bei Lichtenfels ansässigen<br />
Firma Alfred Völker-Metallwaren war ein<br />
Auslegerflugkarussell mit hydraulischer Selbststeuerung.<br />
Schausteller Mölter aus Coburg hatte um 1950<br />
den Anstoß dazu gegeben. Kurze Zeit später ging der<br />
Helikopter in Serie und fand bald solchen Anklang,<br />
dass zwischen 1952 und 1961 rund 30 Anlagen dieses<br />
Typs gefertigt wurden. Allerdings blieb es der einzige<br />
Fahrgeschäftstyp, der in der Frohnlacher Firma<br />
produziert wurde. Der Durchmesser dieser Anlage betrug<br />
16 Meter. Die Flughöhe der zigarrenförmigen<br />
Gondeln, in denen jeweils<br />
zwei Passagiere hintereinander<br />
Platz fanden, betrug<br />
nur etwa fünf Meter und erscheint<br />
uns heute wenig<br />
spektakulär. Dennoch war<br />
der Helikopter in den 50er-<br />
<strong>Jahre</strong>n eine Großattraktion<br />
der Top-Volksfeste gewesen<br />
und viele klangvolle<br />
Namen werden mit einer<br />
derartigen Anlage in Verbindung<br />
gebracht: Bruch,<br />
Kipp, Barth, Uhse, Wendler,<br />
Gugel oder Rilke. Die <strong>Karussells</strong><br />
drehten sich in großer Zahl unter dem offiziellen<br />
Namen „Helikopter”, es gab auch Exemplare namens<br />
„Orion”, „Rakete”, „Düsenjäger” oder – in Anlehnung<br />
an die Klaus-Konkurrenz – „Hurrikan”. Der<br />
Münchner Schausteller Ernst Mathieu, der sein Geschäft<br />
mit den Attributen „schnell – geräuschlos (ein<br />
Seitenhieb auf die laut zischenden Pneumatikflieger<br />
aus Memmingen) bewarb, taufte es „Vulkan” und war<br />
damit von 1956 bis 1962 Dauergast auf dem Münchner<br />
Oktoberfest. Die Beliebtheit des Helikopters zeigt<br />
auch die Tatsache, dass in den <strong>Jahre</strong>n 1957/58 sogar<br />
eine Doublette auf der Wiesn stand:, nämlich das Karussell<br />
der Familie Hochleitner.<br />
Ein Exemplar aus der Helikopter-Serie war das Geschäft<br />
der fränkischen Schaustellerfamilie Eschenbacher<br />
gewesen. Das Podium wurde hier eigenhändig<br />
gefertigt, der Durchmesser betrug nur 14,5 Meter.<br />
Auch verzichtete man auf die sonst bei diesem Karusselltyp<br />
üblichen Lichtergirlanden. Stattdessen wurden<br />
selbstgertigte Lampen auf die Zaunsäulen gesetzt.<br />
Das Weglassen dieser oberen Beleuchtungselemente<br />
erleichterte und beschleunigte den Aufbau.<br />
Zudem erschien durch diese freiere „Einsicht” die<br />
Flughöhe der Gondeln etwas höher, was die Attraktivität<br />
der Anlage steigerte. Viele Kollegen folgten später<br />
diesem Beispiel und sägten ihre Lichtkränze ab.<br />
32
50ER-JAHRE<br />
Eschenbachers<br />
Helikopter<br />
FOTOS<br />
Archiv Rilke, Archiv Spieß,<br />
Archiv Becker, Archiv<br />
Hoech, Archiv Eschenbacher,<br />
Archiv Kreuser<br />
Von Saison zu Saison peppten die Eschenbachers das<br />
ursprünglich nur in Grüntönen lackierte Fahrgeschäft<br />
immer mehr auf. 1968 tauschte man die zigarrenförmigen<br />
Gondeln aus. Nach einer Idee von Konrad<br />
Eschenbacher konstruierte der Fahrzeugbauer Wilhelm<br />
Peter aus Althegnenberg neue Chaisen, in denen<br />
die Fahrgäste nebeneinander saßen; allerdings<br />
reduzierte sich durch diese Umrüstung die Geschwindigkeit<br />
von 11 auf 9 U/min. 1981 verkaufte die<br />
Familie das Karussell an den Fürther Schausteller<br />
Grauberger. Dessen Sohn betreibt es noch heute und<br />
ist damit jedes Jahr auf der Fürther Michaelis-Kärwa<br />
zu Gast – der einzige Völker-Helikopter, der heute noch<br />
auf einem Großvolksfest zu finden ist.<br />
Eine besondere Stellung in der Helikopter-Geschichte<br />
nimmt die Neuwieder<br />
Firma Kreuser ein, die im<br />
Lauf der Zeit mehrere derartige <strong>Karussells</strong><br />
betrieben hat, darunter eine<br />
technische Besonderheit, die mit<br />
seinem Baujahr 1961 zugleich das<br />
letzte in Frohnlach gebaute Geschäft<br />
gewesen ist: der Atom-Trabant.<br />
Das Besondere war die mechanische<br />
Neigungssteuerung der<br />
Gondel: Je nachdem, ob sie stieg<br />
oder sank, neigten sich Bug oder Heck. Zusätzlicher<br />
Clou war das Bugrad, mit dem man bei der Landung<br />
richtig auf einer Rollbahn aufsetzte. Leider gab es mit<br />
dieser Steuerung Probleme, so dass am Ende der Saison<br />
'61, in der man damit sogar auf dem Cannstatter<br />
Wasen gastiert hatte, das Karussell wieder zurück an<br />
die Firma gegeben werden musste. Dort wurde von<br />
Mechanik auf Hydraulik umgerüstet. Zusätzlich wurde<br />
am Fahrstand eine zentrale Ventilsteuerung eingebaut,<br />
mit der der Betreiber die Gondeln bei voller Fahrt<br />
auf „Absturzstellung” schalten konnte, daher der neue<br />
Name „Sturzflieger”. Betrieben wurde das Karussell<br />
bis 1972 und dann an den Schausteller Heinrich Weidauer<br />
aus Kirchheim bei Marburg verkauft. ■<br />
QUELLE<br />
Reiner Köhler / Peter Reuther:<br />
Helikopter – ein Klassiker<br />
aus Franken, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 10/97, Seiten 22-26<br />
Atomtrabant und<br />
Sturzflieger von Kreuser<br />
33
50ER-JAHRE<br />
VAMPIR<br />
Kochs Blizzard, 1954<br />
Der Ur-Vampir von 1953<br />
Der Vampir war eine Weiterentwicklung des Klaus-<br />
Hurricanes: Der Korb mit dem Drehteil wurde hier<br />
an einer Führungssäule um rund 2,5 m mittels einer zusätzlichen<br />
Hubvorrichtung hochgefahren. Die Gondeln<br />
erreichten so eine Flughöhe von knapp 8 Metern,<br />
der Auslegerschwenkbereich betrug 52 Grad, die<br />
Gondelneigung zwischen -3 Grad (Ruhestellung) und<br />
+49 Grad (höchster Ausflug). Wie beim frühen Hurricane<br />
waren die Gondeln unbeweglich mit den Auslegern<br />
verbunden und in der Raketenform mit hintereinanderliegenden<br />
Sitzen gestaltet. Die Entwicklung<br />
des Vampir-<strong>Karussells</strong> begann 1953, seine Realisierung<br />
führte über ein gänzlich anders geartetes Karussell,<br />
nämlich den Tornado, der floppte und nach einem<br />
einzigen Auftritt (Münchner Wiesn 1953) an die Firma<br />
Klaus zurückgegeben wurde. Die Aufstellung der Firma<br />
Klaus über ausgelieferte <strong>Karussells</strong> vermerkte bei<br />
der Baunummer T11 (Tornado): „Karussell besteht<br />
Vampir V26 von 1955,<br />
oben unter Firma Jockers,<br />
rechts Firma Frickenschmidt<br />
34
nicht mehr; wurde in ersten Vampir<br />
umgebaut”. Der erste Vampir wurde<br />
bereits im Dezember desselben<br />
<strong>Jahre</strong>s an die Firma Tissot<br />
ausgeliefert, die ihn im Februar<br />
1955 an die Züricher Firma Möckel<br />
veräußerte: Der „Vampire” unterscheidet<br />
sich von den folgenden<br />
Exemplaren dieses Typs insbesondere<br />
durch die vierkantige Führungssäule,<br />
die vom Tornado übernommen<br />
worden waren. Als Gondeln<br />
kamen noch die Hurricane-<br />
Raketen zum Einsatz, die ab 1952 üblich waren. Als<br />
Turmersatz hatte dieses erste Exemplar lediglich eine<br />
schmale Säule mit der Aufschrift „Vampire”.<br />
Die Technik des Tornados war also für den Vampir-Prototyp<br />
von Tissot verwendet worden. Die Dekoration<br />
hingegen behielt Georg Koch für sein eigenes, kurze<br />
Zeit später als erstes „offizielles” Vampir-Karussell<br />
ausgeliefertes Geschäft: Die Umzäunung sowie auch<br />
die von innen beleuchtete „Kathedralen”-Rosette am<br />
Fahrstand fanden sich bei Kochs am 13. Februar 1954<br />
gestarteten Neuheit (V17) wieder. Koch nannte seinen<br />
Vampir „Blizzard”; der Turmaufbau war etwas niedriger<br />
als der der Hurricanes ab 1953/54 und mit zusätzlichen<br />
farbigen Neonröhren dekoriert. Als zweiter<br />
deutscher Schausteller bekam am 16. März die Firma<br />
Jockers aus Saarbrücken ihren Vampir. Als relativ spätes<br />
Exemplar wurde im April 1957 der Vampir „Shooting<br />
Star” an den niederländischen Schausteller Theunissen<br />
(Nr. V59) geliefert und nach mehrmaligem Besitzerwechsel<br />
um 1967 ins Herstellerland (Rau & Weber<br />
aus Herford) verkauft. Charakteristisch für den<br />
Shooting Star war anfangs der filigrane, kirchturmähnliche<br />
Aufbau; im Lauf der 80er-<strong>Jahre</strong> wich dieser einer<br />
geschlossenen silbernen Rakete nebst amerikanischem<br />
Outfit in „Stars & Stripes”.Dieses Exemplar war<br />
mit den modernen Flugzeug-Gondeln à la Hurricane X<br />
ausgerüstet. Insgesamt wurden 14 (10 komplette, 4<br />
Luftanlagen für England) Vampir-Anlagen realisiert.<br />
Die Biografie der drei in Deutschland reisenden Anlagen<br />
lässt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren: Der<br />
Shooting Star war bis 1994 unter der Firma Klinkerfuß<br />
auf der Reise, 1996 übernahm ihn die Firma Völkl aus<br />
Hof, die aber nur fünf Plätze damit beschickte und ihn<br />
dann an Otmar Till aus Iphofen übergab; anschließend<br />
fand das Karussell im Parc de Loisir in Djerba eine<br />
neue Heimat. Der Vampir V26 von Jockers ging 1959<br />
für kurze Zeit an die Firma Ahrend in<br />
Hannover, die das Karussell an die<br />
Osnabrücker Familie Frickenschmidt<br />
weitergab. Diese rüstete<br />
das Karussell auf die neueren<br />
Flugzeuggondeln um und verpasste<br />
ihm den damals bereits gängigen<br />
Titan-Turmaufbau. 1963 trennten<br />
sich Frickenschmidts vom Vampir<br />
und übergaben ihn der Firma<br />
Göbel aus Worms. Kochs Blizzard<br />
wurde 1959 (vermutlich an die Firma<br />
Wendler) verkauft; die Dekoration<br />
war 1958 noch für den ersten<br />
Schiefen Turm verwendet worden,<br />
nach dem Erwerb eines neuen Titans<br />
jedoch der Blizzard komplett<br />
verkauft. Lange im Einsatz war ein<br />
Vampir unter Robert Thalkofer aus<br />
Frontenhausen. Dieses Karussell<br />
wurde – wie schon der Hurricane<br />
von Josef Wack – in den 60ern, damals<br />
im Besitz der Firma Schmack,<br />
mit Flugzeugen aus der Peter-Fabrikation<br />
aufgewertet.<br />
■<br />
50ER-JAHRE<br />
Shooting Star von<br />
Theunissen<br />
Skizze zum Vampir,<br />
Karl Meier, TÜV München<br />
FOTOS<br />
Archiv Kärger, Archiv Frickenschmidt,<br />
Hennie van<br />
Oers, Archiv Horn, Archiv<br />
Thalkofer, Sicherheit Fliegender<br />
Bauten 1970<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Vampir –<br />
Rundfliegeranlagen von<br />
Klaus, <strong>Kirmes</strong> Revue 6/97,<br />
Seiten 20-25<br />
Vampir mit Peter-Gondeln,<br />
oben das Karussell unter<br />
Thalkofer in jüngerer Zeit,<br />
links Archivfoto aus den 60ern<br />
35
50ER-JAHRE<br />
Erich Winters Tornado<br />
Tornado als „Orion”<br />
TORNADO / ZYKLON<br />
Der Schausteller Erich Winter hatte als erster die<br />
Idee eines gleichzeitig zu beladenden Looping-<br />
<strong>Karussells</strong>: der „Einschienen-Schleuderbahn”. Um ein<br />
motorgetriebenes Drehwerk herum sollten Ausleger<br />
aus Stahlrohr sternförmig angeordnet werden, zwischen<br />
deren äußeren Enden acht Gondeln für jeweils<br />
zwei Personen beweglich aufzuhängen waren. Der gesamte<br />
Auslegerverbund sollte sich über einen zweiten<br />
Getriebemotor mittels eines Ritzels selbsttätig an einer<br />
nach hinten gebogenen, viertelkreisförmigen Zahnschiene<br />
auf- und abbewegen können. Auf diese Weise<br />
sollte aus der einfachen Kreisfahrt in der horizontalen<br />
Ebene heraus zunächst eine Schrägfahrt und dann<br />
bei 90° der vollständige Looping in acht Metern Höhe<br />
möglich sein.<br />
Eine kleine Schlosserei in Exter wurde mit der Fertigung<br />
des ersten <strong>Karussells</strong> dieser Art beauftragt. Auf<br />
dem Herforder Volksfest 1954 sollte Winters eigene<br />
„Vision” von einer bahnbrechenden Neuheit Wirklichkeit<br />
werden: Vom Publikum wurde das „Tornado”<br />
getaufte Karussell regelrecht gestürmt. Dabei handelte<br />
es sich doch noch um ein<br />
recht schmuckloses Geschäft,<br />
mit eher unförmigen,<br />
ungepolsterten Gondeln mit<br />
einem Schutzkäfig aus<br />
Drahtgitter. Der große Erfolg<br />
sprach sich aber auch unter<br />
den Platzmeistern schnell<br />
herum.<br />
1957 gastierte der Tornado<br />
noch auf der Cranger <strong>Kirmes</strong>,<br />
aber mit dem Ende der<br />
Saison ging die Reisezeit<br />
des <strong>Karussells</strong> vorerst zu Ende, denn Winter machte<br />
sich in einem Zulieferbetrieb der Bremer Werftindustrie<br />
im benachbarten Leeste daran, eine größere und verbesserte<br />
Version der Einschienenschleuderbahn zu<br />
konstruieren. Wieder musste ein Präzisionsbogen zugeliefert<br />
werden, diesmal von einer Bremer Werft. Von<br />
der zweiten Winter’schen Schleuderbahn sind leider<br />
keine Bilddokumente mehr aufzutreiben. Auf einem Video<br />
über den Oldenburger Kramermarkt, wo diese Anlage<br />
ab 1958 regelmäßig gastierte, ist sie jedoch mehrmals<br />
in Aktion zu sehen. Das Karussell wurde wieder<br />
nach einem tropischen Wirbelsturm benannt und hatte<br />
auch wieder eine nach hinten gebogene, auf einer<br />
Bockkonstruktion ruhende Zahnschiene, an deren<br />
oberem Ende der Schriftzug „Zyklon” angebracht war.<br />
Die 10 Gondeln, die rings um einen Drehkranz von 9<br />
Metern Durchmesser angeordnet waren, wiesen aber<br />
schon die für die späteren Modelle typische Zigarrenform<br />
auf. Der Zyklon erreichte im Über-Kopf-Flug eine<br />
bereits beachtliche Höhe von 11 Metern. Winter verkaufte<br />
den Zyklon in den frühen 60ern nach Amerika.<br />
Tragischerweise stürzte der Mittelbau beim Löschen<br />
der Ladung vom Kranhaken und wurde zerstört.<br />
Der Hamburger Otto Friedrichs brachte zu dieser Zeit<br />
den Tornado wieder auf deutsche Volksfeste. 1965<br />
verkaufte er ihn an Armin Schultze, der das Karussell<br />
überarbeiten und eine neue, hohe Rückwand bauen<br />
ließ, die Motive aus der damals populären Science-<br />
Fiction-Serie „Raumpatrouille Orion” aufnahm. „Orion”<br />
wurde auch als neuer Name ausgewählt, und die kleine<br />
Bahn mit dem engen Radius hatte einen besonderen<br />
Effekt zu bieten: Die Gondeln drehten nicht immer<br />
nur stabile Loopings, sondern schlugen zuweilen auch<br />
noch seitliche Purzelbäume. Trotzdem wurde es für<br />
Schultze schwer, sich mit dem Oldie durchzusetzen;<br />
1972 verschwand das Raumschiff Orion alias Tornado<br />
endgültig in einem schwarzen Loch.<br />
■<br />
FOTOS<br />
Archiv Winter, Archiv<br />
Schultze<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Einschienenschleuderbahnen,<br />
<strong>Kirmes</strong><br />
Revue 11+12/97, Seiten<br />
58-65<br />
36
FLIEGENDE UNTERTASSE<br />
Günter Rilke aus dem bayerischen<br />
Wartenberg war Besitzer<br />
der Fliegenden Untertasse –<br />
ein von ihm selbst entwickeltes Patent.<br />
Der Entwurf dieses Karussell-<br />
Unikats war von einer Entwicklung<br />
jenseits des Großen Teiches inspiriert<br />
worden; dort hatte der Amerikaner<br />
Frank Hrubetz das Round<br />
Up auf den Markt gebracht, ein Karussell,<br />
das mittels eines hydraulischen<br />
Hebearms in die Schrägstellung<br />
(75°) gebracht werden<br />
konnte und das Schausteller Emde<br />
nach Deutschland importiert hatte.<br />
Noch bevor die Memminger Karussellbaufirma<br />
Klaus diese Hochrundfahrt in Lizenz<br />
nachbaute und damit die Round Up-Produktion auf<br />
deutschem Boden startete, hatte Günter Rilke mit den<br />
Plänen „für die Neukonstruktion eines auf Fliehkraft beruhenden<br />
<strong>Karussells</strong> mit hydraulischer Hebevorrichtung”<br />
begonnen, die am 20. November 1957 unterzeichnet<br />
wurden. Mit dem Bau der Anlage wurde die<br />
Nürnberger Firma Popp beauftragt, der Karussellname<br />
„Fliegende Untertasse” urheberrechtlich geschützt.<br />
Analog zum Round Up bestand der Effekt in<br />
einer mit 18 U/min schnell drehenden Passagierscheibe,<br />
die mittels Hydraulik hochgefahren werden<br />
konnte; die Fahrgäste wurden durch die Fliehkraft an<br />
die Scheibenwand gepresst. Abweichend vom Round<br />
Up standen den Passagieren Sitzbänke zur Verfügung,<br />
die Höchstauslage betrug nur 60°, die Scheibe<br />
hatte einen Durchmesser von 7 Metern und erreichte<br />
eine maximale Flughöhe von rund 9 bis 10 Metern. Sie<br />
bestand aus zwölf Segmenten, die insgesamt Platz für<br />
30 Personen boten. Die Grundfläche betrug etwa 10<br />
mal 9 Meter. Zehn der zwölf Scheibensegmente beherbergten<br />
jeweils drei Sitzplätze, die beiden anderen<br />
Felder waren für Ein- und Ausstieg freigehalten. Die<br />
Passagiere legten vor Beginn der Fahrt einfache Sicherheitsketten<br />
an, ein inneres Schutzgeländer diente<br />
zum Abstützen der Beine.<br />
Gestaltet wurde die Fliegende Untertasse von Günter<br />
Rilke selbst. Bei seiner Premiere präsentierte sich das<br />
Karussell noch überwiegend in nacktem Alu, für die<br />
zierende Illumination sorgten nur vier selbstgebaute<br />
Leuchtsternständer. Bald wurden die Stufen mit farbigem<br />
Plexiglas verkleidet und von hinten beleuchtet.<br />
Zwei einfache Raketen dienten links und rechts als zusätzlicher<br />
Blickfang; sie wurden später durch zwei von<br />
der Firma Zierer gefertigte Exemplare ersetzt. Diese<br />
beiden neuen Flugkörper waren auf Drehmotoren gelagert<br />
und von innen mit gleißendem Weißlicht erhellt.<br />
Feurig rote Lichtspiele am Fuß der Raketen simulierten<br />
den Abschuss ins Weltall. Kassenfront und Außenwand<br />
der Scheibe erhielten die zeittypische Bemalung<br />
in gegenstandslosem Stil und schönen Pastellfarben.<br />
Ein Schmuckstück wurde die Fliegende Untertasse,<br />
als der Innenbereich der Scheibe hinter dem Schutzgitter<br />
zur Welthalbkugel gestaltet wurde: Auf türkisfarbenen<br />
Ozeanen zogen Segelschiffe, über den Kontinenten<br />
kreisten Flugzeuge. Im abendlichen Licht<br />
zuckten Leuchtblitze über die Globusfläche hinweg,<br />
und eine am „Pol” befestigte Schwarzlichtlampe<br />
tauchte Szenerie und Fahrgäste in fremdartige<br />
flirrende Effekte.<br />
Rilkes reisten mit ihrer „Untertasse” weit über die<br />
Grenzen Bayerns hinaus, im Premierenjahr 1958<br />
stand sie auf dem Cannstatter Wasen, ab 1959 war<br />
sie Bestandteil des Münchner Oktoberfestes.<br />
1967 wurde sie dort von Patty Conklin aus Kanada<br />
entdeckt und auf der Stelle gekauft. Im Vergnügungsarsenal<br />
der Conklin Shows lief das Karussell<br />
dann als „Space Whirl”.<br />
■<br />
Das Karussell in verschiedenen<br />
Deko-Stadien<br />
FOTOS<br />
Archiv Rilke, Robert D. Paul<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Fliegende<br />
Untertasse – eine Begegnung<br />
der frühen Art, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 1+2/97, Seiten<br />
40-43<br />
Conklins „Space Whirl”<br />
37
50ER-JAHRE<br />
ROUND UP<br />
Emdes Hrubetz Round Up<br />
1958 in Brüssel<br />
Emdes Klaus Round<br />
Up auf der Münchner Wiesn<br />
präsentiert und zählte dort als eines der meistverkauften<br />
Fahrgeschäfte bald zum klassischen Repertoire<br />
der Carnivals. Das Geheimnis des Erfolges dieser<br />
amerikanischen Erfindung lag in der genialen Konzeption.<br />
12 sternförmig um einen Drehkranz gruppierte<br />
Ausleger waren an ihren äußeren Enden mit Fußbodenplatten<br />
und mannshohen Gittersegmenten zu einem<br />
freitragenden, runden Käfig verbunden. Die zehn<br />
sogenannten Körbe – ausgesteifte und mit einem Gitter<br />
bespannte Stahlrahmen mit jeweils drei als Stehplatz<br />
ausgeformten Mulden – wurden zusätzlich über<br />
Zugstangen mit der Mittelsäule verbunden. Angetrieben<br />
wurde das Karussell indirekt über zwei Gummireifen,<br />
die mit Elektromotoren verbunden waren und<br />
von außen gegen den umlaufenden Eisenring des Kä-<br />
Klaus Round Up von Emde<br />
Einer der Pioniere, die den modernen<br />
Karussellbau maßgeblich<br />
beeinflusst und vorangebracht<br />
haben, war der Amerikaner Frank<br />
Hrubetz. Er experimentierte schon<br />
früh mit hydraulischen Hebemechanismen<br />
und machte es sich zur<br />
Aufgabe, <strong>Karussells</strong> mit hoher Kapazität<br />
und Anziehungskraft zu<br />
entwickeln, die zugleich leicht aufund<br />
abzubauen und zu transportieren<br />
sind. Auf besonders spektakuläre<br />
Weise gelang ihm dies Anfang<br />
der 50er-<strong>Jahre</strong> mit dem Bau<br />
des ersten patentierten „Round<br />
Up“. Bereits 1954 wurde dieses<br />
neuartige Karussell auf den großen<br />
Volksfestveranstaltungen der USA<br />
38
50ER-JAHRE<br />
Round Up von Dölle<br />
figbodens drückten. Die bei schneller Umdrehungsgeschwindigkeit<br />
auftretenden Zentrifugalkräfte erzeugten<br />
den bereits vom Hoffmeister-Rotor her bekannten<br />
Effekt an der Wand klebender Fahrgäste. Revolutionär<br />
neu dagegen war der erstmals eingesetzte<br />
hydraulische Arm, der den rotierenden Käfig nun zusätzlich<br />
in eine Schrägstellung von circa 75 Grad anheben<br />
konnte. Der atemberaubende Anblick stehend<br />
durch die Luft wirbelnder Menschen zog die Besucher<br />
in Scharen an, die Möglichkeit des gleichzeitigen Einund<br />
Ausstiegs der jeweils 30 Passagiere sorgte für die<br />
gewünschte hohe Kapazität. Das war der Beginn einer<br />
neuen Ära im Karussellbau, und es dauerte nicht<br />
allzu lange, bis sich dies auch nach Europa herumgesprochen<br />
hatte.<br />
Es war der Schwede Gunnar Manson, der frühzeitig<br />
den Trend erkannte und das erste Round Up aus Amerika<br />
importierte. Durch eine Kooperation mit dem deutschen<br />
Schausteller Gustav Emde gelangte das Geschäft<br />
schließlich 1957 auf die großen deutschen Festplätze<br />
und erwies sich erwartungsgemäß als die Sensation.<br />
Emde konnte das amerikanische Round Up<br />
1957 zunächst exklusiv in Deutschland betreiben. Sein<br />
Erfolg sprach sich schnell herum und weckte bei vielen<br />
Kollegen Kaufinteresse. So wurde die Maschinenfabrik<br />
Klaus beauftragt, anhand des US-Modells ein<br />
auf hiesige Verhältnisse abgestimmtes Round Up mit<br />
deutscher Statik zu bauen. Schlag auf Schlag verließen<br />
bereits 1958 fabrikneue Round Ups das Memminger<br />
Herstellerwerk. Auf den ersten Blick entsprachen<br />
sie dem Original von Hrubetz, im Detail wurden<br />
jedoch die Wünsche der Kunden berücksichtigt. So<br />
kam bei Klaus statt des von Emde benutzten amerikanischen<br />
Sattelaufliegers ein klassischer, zweiachsiger<br />
Mittelbauwagen zum Einsatz, auf dem ursprünglich<br />
ebenfalls das ganze Karussell verladen werden konnte.<br />
Die Bedienung erfolgte wie beim Original von einem<br />
Fahrstand aus, wo über eine Art Lenkrad und ein<br />
Gestänge die Hydraulikventile des Hubarms manuell<br />
gesteuert werden konnten, sobald die erforderliche<br />
Umdrehungsgeschwindigkeit von 17,5 UpM erreicht<br />
war. Interessanterweise entstanden die insgesamt<br />
acht von Klaus gebauten Round Ups alle im Verlauf<br />
des <strong>Jahre</strong>s 1958. Das Interesse der Schausteller war<br />
zwar groß, doch war die Anzahl der für ein solches Geschäft<br />
in Frage kommenden Plätze und Reiserouten<br />
offenbar schon damals begrenzt.<br />
Die besten Plätze hatte<br />
Gustav Emde, und natürlich<br />
erhielt er am 15. März 1958<br />
auch das erste von Klaus gefertigte<br />
Round Up. Im April begann<br />
jedoch bereits die Brüsseler<br />
Weltausstellung, an der<br />
sich Emde noch mit dem amerikanischen<br />
Round Up von<br />
Manson beteiligen wollte. Also<br />
überließ er kurzerhand sein<br />
fabrikneues Klaus-Geschäft<br />
dem Kompagnon in Schweden.<br />
Der hatte ebenfalls ein<br />
Round Up bei Klaus bestellt,<br />
das aber erst einen Monat später<br />
ausgeliefert werden sollte.<br />
Deshalb verkaufte Manson<br />
das erste Geschäft anschlie-<br />
Round Up Nr. 2 unter<br />
Erich Weber<br />
39
50ER-JAHRE<br />
1969 betrieb die Firma Puls<br />
das ehemalige Karussell von<br />
Schippers<br />
Round Up von Schippers /<br />
Sippel<br />
ßend zurück nach Deutschland an den Fürther<br />
Schausteller Ernst Dölle. Unter der Regie von Dölle<br />
wurde das Karussell mit einer modernen Raumgleiter-<br />
und Düsenjet-Dekoration sowie einer markanten<br />
Lichterfontäne im Zentrum ausgestattet.<br />
Immerhin bis 1981 bereiste die Familie damit die<br />
Plätze zwischen Franken und dem Rheinland; Josef<br />
Dölle machte im Jahr 2000 mit einem anderen,<br />
aufgekauften Klaus-Round Up Schlagzeilen, das<br />
er als „Sunny Beach” für den Volksfesteinsatz wiederbelebte.<br />
Gunnar Manson trieb mit seinen Round<br />
Ups offenbar einen schwunghaften Handel,<br />
denn auch sein zweites Exemplar<br />
ging bald an einen deutschen<br />
Schausteller, die Berliner<br />
Firma Anton Beuermann. Über<br />
eine Anzeige im Komet wurde<br />
dieses Geschäft 1964 erneut<br />
zum Kauf angeboten und gelangte<br />
schließlich nach Herford:<br />
Bis 1981 reiste Erich Weber<br />
selbst mit dem Round Up, nach<br />
einer Saison unter Leitung seines<br />
Neffen wurde das Geschäft<br />
schließlich zurück nach Skandinavien<br />
verkauft. Round Up Nr. 3<br />
wurde am 24. April 1958 an Anton<br />
Gormanns aus Stolberg geliefert.<br />
Den Anfangserfolg konnte<br />
Anton Gormanns noch miterleben,<br />
doch verstarb er kurze<br />
Zeit später und hinterließ seinen<br />
Kindern und seiner Witwe Mia das Geschäft und die<br />
Tour. Der älteste Sohn Alex Gormanns erwarb später<br />
ebenfalls ein Round Up von Klaus, das ursprünglich<br />
als fünftes Exemplar der Baureihe eine Firma Maier bestellt<br />
hatte und mit dem er über viele <strong>Jahre</strong> hinweg<br />
selbstständig gereist ist. Mia Gormanns betrieb weiterhin<br />
das Geschäft ihres verstorbenen Mannes.<br />
In Hamburg war Round Up Nr. 4 der Firma Schippers<br />
und v.d. Ville beheimatet, das ebenfalls Ende April<br />
1958 auf den Markt gekommen war. Dieses Round Up<br />
mit seiner Kombination aus Neonlicht und klassischem,<br />
abstraktem 50er-<strong>Jahre</strong>-Dekor reiste unter Leitung<br />
von Günter Sippel in ganz Norddeutschland.<br />
1970 wurde das Geschäft – nachdem es eine Saison<br />
in den Händen der Bremer Firma Puls gewesen war –<br />
an die Brüder Manfred und Waldo Parpalioni verkauft.<br />
Bei Schippers hatte das Karussell zuletzt noch eine<br />
Weltraumdekoration und einen plastischen, halbrunden<br />
Polyester-Globus an der Stirnseite der Fassade erhalten.<br />
Noch vor wenigen <strong>Jahre</strong>n reiste die Firma Richard<br />
Mackels aus Wissen mit diesem Geschäft. Inzwischen<br />
ist es im Parc de Loisir in Djerba, Tunesien,<br />
im Einsatz.<br />
Zwei Round Ups lieferte Klaus zwischenzeitlich direkt<br />
ins Ausland. Die sechste Anlage der Baureihe ging im<br />
Mai 1958 an die Firma Moeckel in der Schweiz. Ende<br />
der 60er-<strong>Jahre</strong> gelangte auch dieses Karussell zurück<br />
nach Deutschland. Anton Beuermann erwarb es und<br />
verkaufte es 1969 weiter an Familie Isken aus Dortmund.<br />
Bauteile für ein weiteres Round Up schickte<br />
Klaus im Juni 1958 nach England, doch ist nicht bekannt,<br />
ob daraus tatsächlich jemals ein fertiges Ka-<br />
40
ussell entstanden ist. Zwar gelangte<br />
1958 ein Round Up aus Deutschland<br />
in den Besitz der englischen Firma<br />
Rose Bros., doch soll das ein Hrubetz-Karussell<br />
gewesen sein. Möglicherweise<br />
handelte es sich dabei<br />
also um das Original von Gunnar<br />
Manson und Gustav Emde, das nach<br />
Beendigung des Gastspiels auf der<br />
Brüsseler Weltausstellung verkauft<br />
worden ist. Seit einiger Zeit ist dieses<br />
Karussell als „Meteorite” in Irland unterwegs.<br />
Emde selbst hatte bereits im<br />
Juni desselben <strong>Jahre</strong>s das letzte fabrikneue<br />
Exemplar aus der Klaus-<br />
Produktion erhalten, um damit zur<br />
Hauptsaison seine wichtigen Plätze<br />
zwischen München und Bremen zu<br />
halten. Bis zu seinem Lebensende<br />
1977 war Gustav Emde mit dem<br />
Round Up unterwegs gewesen, dann<br />
verschwand dieses markante Geschäft<br />
von den großen Festplätzen.<br />
Später reiste die Firma Scheffer mit<br />
dem Karussell in Nordrhein-Westfalen, danach die Familie<br />
Koning. Noch auf der Reise ist das ehemalige<br />
Round Up Nr. 5 von Alex Gormanns. Mit dem Namen<br />
„Hot Wheel“ versehen, wird das Geschäft von der Firma<br />
Remmele präsentiert.<br />
Die Maschinenschlosserei Nijmeegs Lasbedrijf aus<br />
dem holländischen Nimwegen produzierte im <strong>Jahre</strong><br />
1959 mindestens zwei eigene Round Ups, von denen<br />
eines in die bis dahin noch nicht mit Klaus-Geschäften<br />
versorgte Region Stuttgart verkauft wurde, an eine<br />
Firma Reinhard. Dieses Karussell sollte sich im Laufe<br />
der Zeit erfolgreich gegen die anderen Modelle behaupten<br />
und zu einem echten Dauerbrenner entwickeln.<br />
Noch im Herbst 1978 wurde dieses Round Up<br />
von der Stuttgarter Schaustellerfamilie Renz übernommen<br />
und technisch vollständig überarbeitet, bevor<br />
es nach weiteren vier <strong>Jahre</strong>n an die Firma Weeber<br />
aus Reutlingen verkauft wurde und am Ende in einem<br />
französischen Park fest installiert worden sein soll.<br />
Das holländische Round Up war bedienungsfreundlicher,<br />
noch leichter gebaut und mit seinen kompakten<br />
Maßen 10 m x 11,5 m wohl ursprünglich gezielt auf die<br />
Platzverhältnisse der niederländischen Innenstadt-<br />
<strong>Kirmes</strong>sen abgestimmt gewesen. Optisch orientierte<br />
es sich jedoch weitgehend an dem Vorbild aus Memmingen.<br />
Der Reibradabtrieb der holländischen Version<br />
erfolgte mittels <strong>Spezial</strong>rädern, die ursprünglich für<br />
den harten Einsatz an Bahnsteigpaketwagen entwickelt<br />
worden waren. In Holland selbst blieb dem<br />
Round Up der Erfolg versagt. Zwar wurde die zweite<br />
Anlage von 1959 dort für kurze Zeit von dem Schausteller<br />
J.H. Kunkels aus Roermond betrieben, doch<br />
sollte dies das einzige Round Up bleiben, das je in<br />
Holland gereist ist.<br />
Stattdessen kam der nächste Auftrag bereits ein Jahr<br />
später wiederum aus Deutschland, nach Stuttgarter<br />
Vorbild bestellte die Münchner Schaustellerfamilie<br />
Aigner nun ebenfalls ein kleines Round Up aus Nimwegen.<br />
1968 orderte Karl Parpalioni ein fabrikneues<br />
Round Up mit 30 Plätzen aus Holland; späterer Eigentümer<br />
wurde der Münchner Schausteller Manfred<br />
Zehle. Dessen Kollege Aigner hatte sein kleines Round<br />
Up bereits 1962 an die Firma Roie nach Frankfurt weiterverkauft.<br />
■<br />
50ER-JAHRE<br />
Round Up von August<br />
Isken<br />
FOTOS<br />
Archiv Kärger, Archiv Dölle,<br />
Archiv Emde, Archiv<br />
Weber, Archiv Sippel, Archiv<br />
Parpalioni, Archiv Isken,<br />
Rolf Schmidt<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Round<br />
Up – Die Zukunft vor 40<br />
<strong>Jahre</strong>n, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
7/98, Seiten 60-66, und<br />
8/98, Seiten 30- 32<br />
De Boer Round Up von<br />
Parpalioni, 1968<br />
41
50ER-JAHRE<br />
SPUTNIK<br />
von 1959<br />
Sputnik-Ausführung<br />
Sputnik-Ausführungen<br />
von 1958, aufgenommen<br />
auf dem Schützenfest in<br />
Hannover und dem Oktoberfest<br />
in München<br />
Besonders viele Ausführungen des Flugkarussells<br />
„Sputnik” aus der Schwarzkopf-Werkstätte hat es<br />
nicht gegeben. Und sonderlich lange währte deren<br />
Höhenflug auf den Volksfesten ebenfalls nicht. 1958<br />
war Sputnik die große neue Sensation im <strong>Kirmes</strong>geschehen<br />
gewesen – nur wenige Monate, nachdem im<br />
wirklichen Leben der „Sputnik 1” ins All gestartet war.<br />
Die Cranger <strong>Kirmes</strong> in Herne, der Stoppelmarkt in<br />
Vechta, der Kramermarkt in Oldenburg und das Oktoberfest<br />
in München bildeten unter anderem die glanzvollen<br />
Startrampen für den Abschuss des Sputnik in<br />
den <strong>Kirmes</strong>himmel der 50er-<strong>Jahre</strong>. Die Firmen Willenborg<br />
und Van der Veen tauchen dabei in den Beschickerlisten<br />
von 1958 auf. 1959 erhielt die Familie<br />
Loeb einen weiteren fabrikneuen Sputnik, der zur <strong>Jahre</strong>smitte<br />
ausgeliefert wurde.<br />
Das Zentrum der Sputnik-<strong>Karussells</strong> war eine auf<br />
schräger Achse rotierende, illuminierte, buntbemalte<br />
42
Attrappe des Erdballs. Ein rotierender Kranz, an dem<br />
18 Gondeln fest montiert waren, konnte an zwei<br />
Führungssäulen hydraulisch angehoben und danach<br />
gekippt werden, so dass eine Umkreisung des Globusses<br />
in schräger Flugbahn nachgeahmt wurde.<br />
Vergleicht man Fotos der Sputnik-Anlagen von 1958<br />
und 1959 miteinander, so fallen – neben Unterschieden<br />
in der Farbgebung, im Schriftzugbogen und der<br />
andersgerichteten Polachse des Erdballes – vor allem<br />
die verschiedenen Gondeltypen ins Auge. Die Gondeln<br />
des Loeb'schen <strong>Karussells</strong> glichen Kleinautomobilen<br />
mit aufgesetzten Frontscheinwerfern und seitlichen<br />
Türen, die geöffnet und geschlossen werden<br />
mussten. Sie waren bulliger, kugeliger und höher als<br />
die Chaisen der 1958er-Version, in denen man zwar<br />
ebenfalls hintereinander Platz nehmen musste, die jedoch<br />
durch eine Öffnung im Frontbereich bestiegen<br />
werden konnten. Möglicherweise war die massivere<br />
Gondelform auf eine rasantere Fahrweise (steilere<br />
Flugbahn, Kippen nach beiden Seiten– wie auf dem<br />
erhaltenen Modell angedeutet) angelegt.<br />
Wie auch immer: Glücklich geworden ist kein Besitzer<br />
mit dem Karussell. Insgesamt reisten Loebs damit nur<br />
1 1/2 Saisons, wobei sie auf dem heimatlichen Topplatz,<br />
dem Bremer Freimarkt, mit dem gleichzeitig gastierenden<br />
Sputnik von Willenborg konkurrieren mus-<br />
Sputnik-Modell der Firma Schwarzkopf<br />
sten. Ende 1960 wurde der Loebsche Sputnik an die<br />
Firma Buser in der Schweiz verkauft. Erzählungen zufolge<br />
soll ihn der neue Besitzer nur einmal aufgebaut<br />
haben und überhaupt nicht damit zurechtgekommen<br />
sein, so dass das Karussell anschließend verschrottet<br />
wurde. Der Verkauf des Loeb'schen Sputniks wurde<br />
damals im Weser Kurier kommentiert.<br />
Unter „Konjunktur auch auf<br />
dem Rummelplatz” wurde deutlich<br />
Bilanz gezogen: „Ein großes Karussell,<br />
das heute gebaut wird, kostet<br />
ein paar hunderttausend Mark<br />
und muß sich in ein paar <strong>Jahre</strong>n<br />
amortisiert haben. Ist der Reiz der<br />
Neuheit erst einmal vorbei, bringt<br />
es seinem Besitzer nicht viel mehr<br />
als ein gutes Auskommen. Und<br />
nicht jedes neue Karussell gefällt<br />
dem Publikum, wie es der Verkauf<br />
eines Sputniks ins Ausland beweist,<br />
der nicht lange am deutschen<br />
Jahrmarktshimmel kreiste.”<br />
Auch die Willenborg-Anlage soll<br />
1959 nach ihrem zweiten München-Gastspiel<br />
Deutschland – in<br />
Richtung Skandinavien – verlassen<br />
haben.<br />
Besitzer eines Sputnik-<strong>Karussells</strong><br />
war später Erwin Ahrend aus Hannover;<br />
sein Geschäft fiel einem<br />
Großbrand zum Opfer. Der desaströse<br />
Auftritt eines Sputniks von<br />
Erich Bödeker aus Duisburg<br />
schließlich ist in die Annalen der<br />
Dürener Annakirmes 1962 eingegangen.<br />
■<br />
50ER-JAHRE<br />
FOTOS<br />
Archiv Loeb, Stadt München,<br />
Rolf Schmidt<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Sputnik –<br />
Back to the Fifties, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 9/97, Seiten 54-57<br />
Erinnerungen an Loebs<br />
Sputnik<br />
43
50ER-JAHRE<br />
CALYPSO<br />
Legendär:<br />
Die Calypso-Anlagen von<br />
Bausch & Distel<br />
Modell für den Prototyp<br />
von Mack, 1958<br />
Calypso war ein typisches „Wirtschaftswunder-Karussell”.<br />
Die Firma Mack aus Waldkirch entwickelte<br />
diesen Karusselltyp in Deutschland und vermarktete<br />
ihn äußerst erfolgreich. Beim Calypso befinden sich<br />
vier elektrisch angetriebene Drehkreuze mit je vier<br />
Gondeln auf einer schräg gestellten Drehscheibe. Diese<br />
wird mittels Reibräder in Bewegung gesetzt, wobei<br />
ihre Drehzahl optimal auf die Drehzahl der in entgegengesetzer<br />
Richtung rotierenden Kreuze abgestimmt<br />
ist. Das Ganze ergibt einen gelungenen Bewegungsablauf<br />
mit stets wechselnder Fahrtrichtung in<br />
einer Art Dreiecks-Kreisfahrt. Eine absolute Weltneuheit<br />
war diese Fahrweise allerdings nicht: Der amerikanische<br />
Scrambler bot den gleichen Bewegungsablauf<br />
wie der spätere Calypso, war jedoch eine flache<br />
Anlage ohne Podium und mit einer recht einfachen<br />
Verarbeitung. Die drei Drehkreuze waren zwischen einem<br />
oberen und einem unteren Ausleger eingehängt<br />
und wurden mittels einer Übersetzung vom mittleren<br />
Hauptantrieb aus in Bewegung gesetzt. 1958 lieferte<br />
die Firma Mack ihren ersten Calypso<br />
an die Münchner Schaustellerfirma<br />
Bausch & Distel. Das Geschäft<br />
entstand nach Anregungen<br />
von Heinz Distel, der in den USA<br />
auf diese Art von Drehkreuz-<strong>Karussells</strong><br />
aufmerksam geworden<br />
war. Die Erstbesitzer sicherten sich<br />
auch bald eine „Exklusivität”, indem<br />
sie mit der Firma Mack vereinbarten,<br />
dass für eine Periode<br />
von zwei <strong>Jahre</strong>n weitere Verkäufe in Deutschland nur<br />
an die Firma Bausch & Distel gestattet waren. Die Premierentour<br />
verlief sensationell – insbesondere auf dem<br />
Oktoberfest, wo Wächter und zusätzliche Geländer<br />
plaziert werden mussten, um den riesigen Publikumsandrang<br />
bewältigen zu können.<br />
Der große Erfolg des Calypso blieb natürlich nicht unbemerkt,<br />
und da über die Mack-Konstruktion die Exklusivitätsklausel<br />
verhängt war, wurden die Schaustellerkollegen<br />
erfinderisch. Bereits Anfang der Saison<br />
1959 gab es die erste Kopie zu vermelden: Der holländische<br />
Schausteller und Tüftler Adam van der Veen<br />
hatte sich eine artverwandte Anlage in Eigenregie bauen<br />
lassen und stellte sie am 30. April 1959 in Amsterdam<br />
zum ersten Mal vor. Nach Amsterdam wurde auch<br />
der deutsche TÜV geordert, denn 1959 gab es weitaus<br />
mehr Plätze zu vergeben, als Bausch und Distel<br />
je halten konnten, und somit kam der holländische<br />
Nachbau recht bald auch in Deutschland zum Einsatz.<br />
Van der Veen beschickte 1959 mit seinem Calypso unter<br />
anderem die Veranstaltungen in Goslar, Münster,<br />
Vechta und Oldenburg. In der technischen Ausführung<br />
gab es einen wesentlichen Unterschied zum<br />
Mack-Original. Um einen schnellen und sicheren Fahrgastwechsel<br />
zu gewährleisten, wurden die Gondeln<br />
nämlich nicht an einem Drehkreuz befestigt, sondern<br />
sie waren auf drei Scheiben montiert. Als „Leckerbissen”<br />
gab es zwischen diesen Scheiben noch weitere<br />
drei Gondeln, die drehbar auf einem Schwengel gelagert<br />
waren, wodurch für einen Teil der Fahrgäste eine<br />
ganz andere, Walzerbahn-ähnliche Fahrt entstand. Typisch<br />
für den Calypso von Van der Veen war auch sein<br />
44
diese Weise aktualisiert, kam Calypso<br />
OHO 1960 auch zu Münchner<br />
Wiesn-Ehren. Hüttemann verkaufte<br />
den Calypso OHO 1965 an<br />
Willi Perz aus Fürth, 1969 landete<br />
das Karussell bei Heinz Metz aus<br />
Nürnberg, um 1973 bei der niederbayerischen<br />
Schaustellerfamilie<br />
Zinnecker. Bei der Firma<br />
Schwarzkopf entstand 1960 ein<br />
Calypso, mit dem die Familien<br />
Wendler und Spangenberger auf<br />
die Reise gingen. Das Geschäft<br />
wurde – ebenfalls nach einem Modetanz<br />
– „Baion” genannt.<br />
Trotz dieser diversen Konkurrenz-<br />
Anlagen kann man die 60er-<strong>Jahre</strong><br />
in Deutschland in Sachen Calypso<br />
als „Mack-Episode” beschreiben.<br />
Nach Ablauf der Bausch-&-Distel-<br />
Exklusiv-Frist wurden es immer<br />
mehr Anlagen – Heinz Distel<br />
sprach von weiteren zwölf damals<br />
50ER-JAHRE<br />
Eigenbau von Adam v.d.<br />
Veen, 1959<br />
Eigenbau von Georg<br />
Hüttemann, 1959; unten unter<br />
Willi Perz<br />
drehbarer Schriftzug, der entweder „Calypso”, „Mambo”<br />
oder „Rumba” anzeigte. Van der Veen war nicht<br />
der einzige, der das Mack-Distel-Embargo durchbrach.<br />
Das Schaustellerunternehmen Schippers &<br />
v.d.Ville zum Beispiel baute in der eigenen Maschinenschlosserei<br />
in Hamburg-Altona eine Walzerfahrt<br />
der Firma Gundelwein kurzerhand in ein flaches, Calypso-ähnliches<br />
Karussell mit etwa 1 m hohem Podium<br />
und original Ihle-Gondeln um und nannte es „Mambo”.<br />
Dieser Eigenbau, der in den <strong>Jahre</strong>n 1960/61 auf<br />
den Beschickerlisten der ganz großen Volksfeste auftauchte,<br />
wurde später nach Dänemark verkauft.<br />
Auch in Bayern und bald sogar direkt in München bekamen<br />
Bausch und Distel schnell den Wettbewerb zu<br />
spüren. Der Schausteller Georg Hüttemann aus Augsburg-Lechhausen<br />
brachte bereits zur Saison 1959 den<br />
kleinsten Calypso, der in Deutschland je gebaut wurde.<br />
Hüttemann reiste in der zweiten Hälfte der 50er-<br />
<strong>Jahre</strong> mit einem Karussell namens „Slalom”, das er<br />
nach der Saison 1958 komplett umbauen ließ: Aus der<br />
ursprünglichen Ovalbahn wurde ein Rundfahrgeschäft<br />
mit 16 Metern Durchmesser, auf dem vier Gondelkreuze<br />
kreisten. 16 der ursprünglich 18 Chaisen rotierten<br />
nun in Vierereinheiten im Calypso-Stil, zusätzlich<br />
ausgestattet mit den obligatorischen Schirmchen.<br />
Es war wohl das einzige Geschäft dieser Art, bei dem<br />
die Passagiere in den Gondeln hintereinander sassen.<br />
Hüttemann entschied sich zunächst für die Bezeichnung<br />
„Hula Hoop”, bereits zur Saison 1960 nannte er<br />
es Calypso OHO. Gleichzeitig wurde das Karussell mit<br />
zeitgemäßeren Gondeln der Firma Peter bestückt. Auf<br />
45
50ER-JAHRE<br />
Mambo von Schippers &<br />
v.d. Ville, 1960<br />
Baion, Schwarzkopf, 1960<br />
davon ging bereits Mitte 1959 an die Schweizer Firma<br />
Weidauer (dieses Karussell kehrte jedoch 1963 nach<br />
Deutschland an einen anderen Besitzer zurück), der<br />
andere in die USA. Die Aufmachung der drei Bausch<br />
& Distel - Calypsos wurde dabei immer aufwändiger.<br />
Beim Ur-Calypso von 1958 – als einziges derartiges<br />
Mack-Geschäft noch mit den bulligeren, hinten hochgezogenen<br />
Gondeln der Firma Peter ausgerüstet – waren<br />
die Herzchen an der Rückwand noch zweidimensional<br />
aufgemalt, bereits der zweite Calypso war hingegen<br />
mit plastischen Herzen dekoriert. Die Rückwand<br />
erhielt neben den senkrechten Lichtsäulen die<br />
charakteristischen Leuchtsterne. 1962 montierten<br />
Bausch und Distel bei der in Deutschland verbliebenen<br />
Anlage vorübergehend an den Gondeldächern<br />
zusätzliche Drehleuchten.<br />
Mack-Calypso von Eckl<br />
ausgelieferten Anlagen im Bundesgebiet einschließlich<br />
einer in Westberlin. Und auch in den 70er-<br />
<strong>Jahre</strong>n wurden von Mack noch Exemplare in Deutschland<br />
ausgeliefert. Während der „Schonfrist” – also der<br />
exklusiven Bausch-Distel-Phase – besaßen und betrieben<br />
die beiden Münchner Schausteller der Reihe<br />
nach insgesamt drei Calypsos (der erste wurde 1958,<br />
die beiden anderen 1959 ausgeliefert). Die ersten beiden<br />
verkauften sie frühzeitig wieder ins Ausland. Einer<br />
Mack-Calypso von Rosai<br />
46
50ER-JAHRE<br />
Sonniers Orient-Zauber<br />
FOTOS<br />
Archiv Distel, Hennie van<br />
Oers, Archiv Perz, Archiv<br />
Eckl, Archiv Rosai, Archiv<br />
Hirsch, Archiv Mocken, Archiv<br />
Sonnier, Archiv Schäfer,<br />
Archiv Spangenberger,<br />
Stadt Nördlingen, Ton<br />
Koppei<br />
1963 baute Mack einen Calypso für die Firma Maniatopoulis-Krämer<br />
aus Stuttgart, Ende 1964 wurde dieser<br />
Calypso in die Schweiz verkauft. Auch die Firma<br />
Biermann aus Gelsenkirchen war schon früh mit einem<br />
Mack-Calypso auf der Reise. Auf dem Münchner Oktoberfest<br />
war Biermanns Geschäft von 1962 bis 1993<br />
vertreten. München bildete von Anfang an eine besondere<br />
Calypso-Hochburg, denn auf dem Oktoberfest<br />
waren Calypsos sehr lange und fast immer in<br />
mehrfacher Ausführung vertreten. Die Firma Bausch<br />
war bis 1980 mit ihrem Calypso auf dem Oktoberfest<br />
präsent und verpasste der Anlage Mitte der 70er-<strong>Jahre</strong><br />
sogar noch neue, zeitgemäßere Gondeln. Der ehemalige<br />
Biermann-Calypso kam unter der Firma Haas<br />
in München 1994 zum letzten Mal zum Einsatz. Von<br />
1965 bis 1968 gab es auf der Münchner Wiesn sogar<br />
drei Mack-Calypsos. In dieser Zeitspanne baute nämlich<br />
auch Hans Dom seine Anlage dort auf. Ein weiterer<br />
Münchner Calypso-Besitzer war von 1974 bis 1988<br />
die Familie Eckl – allerdings ohne damit auf der Wiesn<br />
zu gastieren. Selbiges gilt für Eduard Rosai, der zwischen<br />
1976 und 1980 einen Mack-Calypso besaß.<br />
Einer der frühen deutschen Calypso-Betreiber war<br />
auch die Familie Mocken gewesen, die ihr Mack-Karussell<br />
ab Mitte der 60er-<strong>Jahre</strong> betrieb. 1971 legte man<br />
sich einen anderen Calypso namens „La Bostella” zu,<br />
der vor allem durch seine geschwungene Rückwand<br />
und die aufwändige Lichter-Fontäne in der Mitte der<br />
Drehscheibe auffiel. Etwas ganz Besonderes in punkto<br />
Aufmachung war die Mack-Anlage „Orient Zauber”.<br />
Sie wurde – ebenfalls 1972 – für die saarländische<br />
Schaustellerfamilie Sonnier gebaut. Mitte der 80er-<br />
<strong>Jahre</strong> wurde dieses Prachtstück Opfer des Zeitgeistes<br />
und zum Breakdance umgebaut und umgestaltet.<br />
Auch die holländische Firma Bakker aus Apeldoorn<br />
blieb nicht unberührt von der „zweiten Jugend” des<br />
Calypso in den 70ern: Sie baute für Deutschland 1974<br />
für die Firma Mocken das „Moulin Rouge”. Es verfügte<br />
über 20 Gondeln, verteilt über fünf Kreuze und war<br />
somit Deutschlands größter reisender Calypso. ■<br />
Mockens Moulin Rouge<br />
und Schäfers Tarantella<br />
QUELLE<br />
Ton Koppei: Calypso, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 12/99, Seiten<br />
20-29, 1+2/2000, Seiten<br />
46-50<br />
Mockens La Bostella<br />
47
50ER-JAHRE<br />
TITAN<br />
Der Schiefe Turm bei<br />
der Wiesn-Premiere<br />
ständig als Luftanlage die Werkshallen in Memmingen<br />
verließ. Zunächst einige technische Daten: Der größte<br />
Flugbahndurchmesser des Schiefen Turmes betrug<br />
15,35 Meter, die Drehzahl lag bei 9,5 U/min. Der<br />
Schwenkbereich der Ausleger betrug 58 Grad (bei<br />
maximaler Schrägstellung 94 Grad). Die Neigung der<br />
via Zugstangen verstellbaren Gondeln reichte von -10<br />
Grad bis +38 Grad. Die Schräglage des Mittelbaus betrug<br />
bis zu 18 Grad. Die Gondeln erreichten eine maximale<br />
Flughöhe von 11,5 Metern, wobei der Korb in<br />
12 Sekunden um 2,5 Meter an der Führungssäule<br />
hochgefahren wurde. Als offizielle Gondelform des<br />
Schiefen Turmes nennt die uns vorliegende Ersatzteilliste<br />
die „Type IV”. In der zweiten Hälfte der 50er-<strong>Jahre</strong><br />
hatte die Firma Klaus ihre Produktion auf Gondeln<br />
mit zwei nebeneinanderliegenden Sitzplätzen umgestellt,<br />
die Raketenform verschwand, die Gondeln gli-<br />
Biermanns Anlage als<br />
Titan<br />
Die Weiterentwicklung des<br />
Vampirs – offiziell als „Schiefer<br />
Turm” bezeichnet – avancierte<br />
nach dem Hurricane zum zweiterfolgreichsten<br />
Klaus-Karussell.<br />
Die Produktionsliste der Firma<br />
weist 21 offizielle Auslieferungen<br />
von Schiefen Türmen aus, davon<br />
sechs Exemplare für Deutschland,<br />
acht Schiefe Türme gingen nach<br />
Amerika, vier nach Frankreich, je<br />
einer nach Dänemark und Österreich<br />
und schließlich einer nach<br />
England, der jedoch – wie alle<br />
Klaus-Anlagen, die auf die britische<br />
Insel gelangten – nur unvoll-<br />
48
50ER-JAHRE<br />
Der Titan von Koch /<br />
Gunz, Baujahr 1959<br />
chen nun eher Flugzeugen mit ausgeprägter Heckflosse.<br />
Durch die neue Anordnung der Sitze geriet die<br />
Form der Gondeln jetzt breiter, was durch die als Einstiegshilfe<br />
ausgeweiteten Seitenflügel noch optisch<br />
unterstützt wurde. Die Gondeln waren im Querschnitt<br />
nicht mehr kreisrund, sondern „gedrückt”: Front- und<br />
Heckpartie liefen im elliptischem Querschnitt aus.<br />
Der Prototyp eines Schiefen Turmes ging – laut Klaus-<br />
Liste aller ausgelieferten Karussell-Anlagen – bereits<br />
am 29. Mai 1957 in Amerika als „Super-Strato-Jet” in<br />
Betrieb. Die eigentliche Zeit der Schiefen Türme beginnt<br />
aber erst mit der Saison 1958; am 22. November<br />
1957 waren die Konstruktionspläne für die „Rundfliegeranlage<br />
Schiefer Turm” abgezeichnet worden, die<br />
deutsche <strong>Kirmes</strong>präsenz der Schiefen Türme startet<br />
am 19. Mai 1958 mit der Baunummer ST 69 D, die in<br />
Kooperation von Bernhard Biermann und Georg Koch<br />
ans Netz ging. Die ersten Fotos zeigen dieses Karussell<br />
– auch in seiner Dekoration – als schräggestellten<br />
Vampir. Der Turmaufbau glich exakt dem des Blizzard,<br />
von dem auch die Kasse mit der Leuchtrosette und<br />
dem Schriftzug „Koch’s Blizzard”<br />
übernommen wurde. Auf dem<br />
Schriftband am Turm stand nun<br />
„Kochs Schiefer Turm” zu lesen.<br />
Neu waren auf den ersten Blick die<br />
vereinfachten Umzäunungen mit<br />
den Lichtsäulen, natürlich die<br />
Scherenkonstruktion zur Schrägstellung<br />
und die Klaus-Flugzeuggondeln.<br />
Diese Optik des Schiefen<br />
Turms war jedoch nur eine Übergangslösung<br />
gewesen: Schon<br />
bald setzte sich die Bezeichnung<br />
„Der Titan” durch; die Anlagen<br />
wurden mit einer hohen, geschlossenen<br />
Rakete im Zentrum markiert.<br />
Skizze zum Schiefen Turm,<br />
Karl Meier, TÜV München<br />
49
50ER-JAHRE<br />
Lorenz Schweizers<br />
Titan, 1959<br />
Titan unter Weber<br />
Mit Beginn der Saison 1959 waren drei als „Titan” aufgemachte<br />
Anlagen in Deutschland unterwegs: Neben<br />
Biermann reiste nun auch der Nürnberger Lorenz<br />
Schweizer mit einem derartigen Karussell; Georg<br />
Koch erhielt eine Neuausführung: Diese hatte eine Besonderheit,<br />
durch die sie leicht zu identifizieren war:<br />
Koch ließ sich dieses Karussell mit Kunststoff-Gondeln<br />
der Althegnenberger Firma Wilhelm Peter ausrüsten.<br />
Die kompakt geformten Gondeln liefen vorne in ovale<br />
Form mit zwei Scheinwerfern aus, das Heck endete<br />
scheibenartig rund und wies einen zentralen, von mehreren<br />
kleinen Leuchten kreisförmig umgebenen Rückstrahler<br />
auf. Die Titan-Anlagen von Koch, Biermann<br />
und Schweizer blieben in Deutschland nur eine Saison<br />
unter sich. Im Laufe des <strong>Jahre</strong>s 1960 folgten drei weitere<br />
Auslieferungen: Zunächst erhielt die Firma Renoldi<br />
am 29. Februar mit der Baunummer ST 98 D ihren<br />
Schiefen Turm, den sie „Gigant” nannte. Am 17. November<br />
1960 startete ein Schiefer Turm der Firma Eller<br />
aus Wiesbaden, dem am 6. Dezember mit der Nummer<br />
ST 95 D ein entsprechendes Geschäft für die<br />
Schaustellerfirma Fock aus Neumünster folgte.<br />
Der Titan von Georg Koch ging im Lauf der <strong>Jahre</strong> an<br />
Schwiegersohn Ernst Gunz über, der ihn als Titan noch<br />
bis einschließlich 1976 betrieb. Im Winter 1976/77 mutierte<br />
diese Anlage zum „Drachenflug”: der Turm wurde<br />
geradegestellt, anstelle der Flugzeuggondeln hingen<br />
an den Auslegerenden nun freischwingend Doppelsitzer<br />
mit „Beinfreiheit”, genau gesagt: die abgeschnittenen<br />
hinteren Hälften alter Calypso-Gondeln.<br />
Die Hubbewegung wurde nun automatisch festgelegt,<br />
die Gondeln schwangen abwechselnd nach oben und<br />
unten. Drei <strong>Jahre</strong> reiste Ernst Gunz damit, nach dem<br />
dritten Wiesn-Gastspiel 1979 verschwand der Drachenflug<br />
im Ausland. Auch die anderen Titan-Anlagen<br />
erlebten im Lauf ihrer Lebensjahre diverse optische<br />
Änderungen sowie Besitzerwechsel. Bernhard Biermann<br />
reiste mit seinem Titan noch bis 1970, verkaufte<br />
das Karussell dann an den Bremer Karl-Heinz Heine,<br />
der die Anlage jedoch nur eine Saison lang betrieb.<br />
Der Titan ST 86 D von Lorenz Schweizer, ausgeliefert<br />
am 27. Februar 1959, wurde um 1970 in den hohen<br />
Norden verkauft, an die Firma Lange, die damit bis<br />
50
50ER-JAHRE<br />
Renoldis Gigant, 1960<br />
FOTOS<br />
Archiv Biermann, Archiv<br />
Kärger, Archiv Gunz, Archiv<br />
Frickenschmidt, Sicherheit<br />
Fliegender Bauten<br />
1970<br />
1978 auf Reisen war. 1980 gelangte die Anlage in den<br />
Besitz der Familie Landgrebe aus Worms, die das Karussell<br />
als „Starflight No.1” heute noch besitzt. 1986<br />
wurden die Klaus-Flugzeuge gegen neue der Firma<br />
Ihle ersetzt, der alte Dieselkompressor durch einen<br />
neuen Flüsterkompressor. Renoldis Gigant ST 98 D<br />
ging 1969 unter neuem Besitzer ins damals noch isolierte<br />
Berlin. Schausteller Heinz Michen versah es später<br />
ebenfalls mit Ihle-Gondeln, die das einzige sind,<br />
was heute vom Karussell noch übrig ist. Sie wanderten<br />
nach der Verschrottung der Anlage als Deko-Objekte<br />
in diverse Schaufensterauslagen, ehe sie wieder<br />
an einen Schausteller veräußert wurden.<br />
Mit einer gebrauchten Titan-Anlage war in den 60er-<br />
<strong>Jahre</strong>n die Münsteraner Firma Heitmann / Eisermann<br />
im nordwestdeutschen Raum unterwegs gewesen;<br />
dieses Karussell ging anschließend in den Besitz von<br />
Herbert Weber aus Nienburg über. Zum aktiven Einsatz<br />
kam das Karussell letztmalig Anfang der 80er-<br />
<strong>Jahre</strong>. Heinz Frickenschmidt aus Osnabrück schließlich<br />
hat seinen Titan 1962 übernommen. Die ursprünglichen<br />
Klaus-Gondeln vom Type IV wurden<br />
auch hier nach einigen <strong>Jahre</strong>n ausgewechselt, und<br />
zwar ebenfalls durch die modernen Ihle-Flugzeuge.<br />
Bei allem Erfolg und guter Resonanz waren die Schiefen<br />
Türme für die Betreiber nicht ganz unproblematisch<br />
gewesen. So musste etwa die Familie Koch/Gunz<br />
in den Wintermonaten Heizkörper im Turm anbringen,<br />
um die Ventile am Einfrieren zu hindern. Ein besonderes<br />
Kapitel freilich war das Aufstellen gewesen (siehe<br />
Anhang), ein mühseliger und auch gefährlicher Vorgang,<br />
denn es passierte durchaus, dass der Turm dabei<br />
wegrutschte und umkippte. Um den Aufbauprozess<br />
einfacher zu gestalten, rüstete Kurt Kalbfleisch<br />
aus Bad Wildungen, Erfinder und Erbauer der Fahrgeschäfte<br />
Taifun, Flamenco, Nessy, der Moonraker-<br />
Filmraketen, Zwei-Säulen-Skooter und Inhaber einiger<br />
Rechte an der Konstruktion der Zwei-Säulen-Fahrgeschäfte,<br />
erfolgreich mehrere Klaus-Geschäfte auf Hydraulik-Auf-und-Abbauhilfen<br />
um. Einige Exemplare,<br />
darunter der Titan von Bernhard Biermann, wurden<br />
von Klaus auf Hydraulikaufstellung umgebaut, und<br />
auch die Firma Tang in Hilden war mit derartigen Umrüstungen<br />
betraut.<br />
■<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Schiefe<br />
Türme – Rundflieger von<br />
Klaus, <strong>Kirmes</strong> Revue 7/97,<br />
Seiten 70-76<br />
Frickenschmidts Titan<br />
51
50ER-JAHRE<br />
DÜSENCLIPPER<br />
Düsenclipper im<br />
Urzustand, 1959<br />
Der Düsenclipper von Hans Dom aus München war<br />
ein nur einmal gebauter Exot in der Landschaft der<br />
Rundfliegeranlagen und ein einmaliger Versuch, den<br />
Schiefen Turm ohne Stützschere zu realisieren. Das<br />
Karussell wurde unter der Firmenbezeichnung „Schiefer<br />
Hurricane” in etwa zeitgleich mit dem Schiefen<br />
Turm entwickelt: Am 27. April 1959<br />
wurde dieses Karussell an Hans Dom<br />
ausgeliefert, es trug die Nummer SH<br />
90 D. Die Säule war beim Düsenclipper<br />
am Grundrahmen festgestellt,<br />
konnte also nicht gekippt werden.<br />
Zwei Pneumatikstempel am kegelförmigen<br />
Sockel unter dem Korb verweisen<br />
jedoch auf zusätzliche Funktionen:<br />
Wie beim Vampir fuhr der Drehteil<br />
an der Säule nach oben, konnte<br />
anschließend aber bis zu 15 Grad in<br />
die Schräglage gebracht werden. Anders<br />
als beim Titan trat beim Düsenclipper<br />
also der Kippeffekt erst nach<br />
der Hochfahrt an der Säule ein.<br />
Bei gleichem Flugbahndurchmesser<br />
von 15,35 Metern erreichte der Düsenclipper<br />
eine etwas geringere Flughöhe<br />
wie der Titan, rotierte aber mit<br />
9,6 U/min etwas schneller. Der Auslegerschwenkbereich<br />
lag bei 58 beziehungsweise<br />
88 Grad, die Gondelneigung<br />
variierte von -6 bis +29 Grad.<br />
Auch der Düsenclipper wurde mit den<br />
am Ausleger verstellbaren Flugzeuggondeln<br />
vom Typ IV ausgestattet. Im<br />
52
50ER-JAHRE<br />
Das Karussell in den<br />
60er-<strong>Jahre</strong>n<br />
FOTOS<br />
Archiv Kärger, Sicherheit<br />
Fliegender Bauten 1970<br />
Großen und Ganzen war der Fahreffekt bei beiden Karusselltypen<br />
der gleiche gewesen. Anscheinend jedoch<br />
hatte sich die Konstruktion des Düsenclippers<br />
nicht bewährt; er blieb ein Einzelstück.<br />
In seiner visuellen Ausstrahlung war Hans Doms Karussell<br />
eine beeindruckende Anlage gewesen, vielleicht<br />
der schönste aller Klaus-Rundflieger. Anstelle<br />
des geschlossenen Turms verfügte der Clipper über<br />
einen offenen Lichtleistenaufbau, der zunächst in der<br />
Art gotischer Spitzbögen gestaltet war, später vereinfacht<br />
wurde und dadurch das Karussell noch wuchtiger<br />
wirken ließ. Die Gondeln waren in den Farben birkengrau/bavariablau,<br />
weiß/coralle und resedagrün/<br />
steingrau gespritzt, eine wunderschön bemalte, wild<br />
gezackte Kulisse gab dem Düsenclipper den stimmigen<br />
Background für seine Höhenflüge auf schiefer<br />
Kreisbahn. Die Anlage, die zunächst „Stratoclipper”<br />
hätte heißen sollen, war von 1959 bis 1964 auf dem<br />
Münchner Oktoberfest zu Gast. Nach dem Erwerb der<br />
Weiterentwicklung „Mirage”<br />
trennte sich Hans Dom vom<br />
Düsenclipper, das Karussell<br />
wechselte die Besitzer<br />
mehrmals, es gelangte in<br />
die Hände des Münchners<br />
Jürgen Schratt, war 1968<br />
kurz in Besitz der Firma<br />
Bruch und landete schließlich<br />
in Schleswig-Holstein<br />
bei der Firma Rasch, die<br />
das Karussell noch bis<br />
Ende der 70er-<strong>Jahre</strong> betrieb<br />
und anschließend verschrottete.<br />
■<br />
Skizze zum Düsenclipper<br />
Karl Meier, TÜV München<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Schiefe<br />
Türme – Rundflieger von<br />
Klaus, <strong>Kirmes</strong> Revue 7/97,<br />
Seiten 76-77<br />
53
50ER-JAHRE<br />
HULA HOOP<br />
Hula Hupp von<br />
Schippers und v.d. Ville<br />
Zwei Ereignisse des <strong>Jahre</strong>s<br />
1958 haben die <strong>Kirmes</strong>szene<br />
um ein Rundfahrgeschäft bereichert,<br />
das als Klassiker gilt: der<br />
„Hula Hoop”. Namensgeber war<br />
ein bunter Plastikreifen, den man<br />
damals mit hawaiianischem Hüftschwung<br />
möglichst lange um die<br />
Taille kreiseln ließ. Ende 1958 fand<br />
diese amerikanische Modeerscheinung<br />
ihren weltweiten Höhepunkt.<br />
Die trendbewussten deutschen<br />
Schausteller und die sie<br />
beliefernde Karussellindustrie reagierten<br />
prompt, eignete sich das<br />
Thema doch hervorragend für ein<br />
Fahrgeschäft. Just zu dem Zeitpunkt<br />
machte die Firma Bausch<br />
und Distel mit dem bei Mack gebauten<br />
Calypso Furore. Die beiden<br />
Münchner hatten sich jedoch vorsorglich<br />
mit dem Hersteller geeinigt, dass man in den<br />
ersten zwei Saisons exklusiv beliefert wird, erst danach<br />
sollte diese Neuheit auch anderen Schaustellern<br />
in Deutschland zugänglich gemacht werden. So lange<br />
wollten einige natürlich nicht warten. Die Firma Löffelhardt<br />
machte sich damals Gedanken, wie man die<br />
Fahrweise des Calypso mit der Idee des Hula Hoop-<br />
Reifens verbinden könnte, die drehende Platte also anzuheben<br />
und die Gondeln quasi „in Hüfthöhe” der Mittelsäule<br />
tanzen zu lassen. Als <strong>Spezial</strong>ist auf dem Gebiet<br />
von pneumatischen und hydraulischen Hubwerken<br />
wurde die Kaspar Klaus KG in Memmingen mit der<br />
Konstruktion beauftragt. Während die Drehscheibe<br />
des Calypso in der schrägen Ebene durch einen<br />
Originalentwurf der Firma<br />
Klaus<br />
54
50ER-JAHRE<br />
Der Hula Hoop der<br />
Familie Löffelhardt<br />
außen liegenden Reibradantrieb in Schwung gebracht<br />
werden konnte, musste die anzuhebende und frei<br />
schwebende Scheibe des Hula Hoop über einen in der<br />
Mitte sitzenden Antrieb verfügen und auch in der ausgefahrenen<br />
Position absolut stabil sein. Matthias Haug<br />
von Klaus entwickelte einen Mittelbauwagen mit abnehmbaren<br />
Achsen, der quer zur Front gestellt wird.<br />
Auf einem Hubrahmen, der vorne angelenkt und hinten<br />
über eine Art Scherensystem mit dem Grundrahmen<br />
verbunden ist, sitzt der Hauptantrieb, von dem<br />
freitragend vier miteinander zu einer Drehscheibe verbundene<br />
Ausleger abgehen, die wiederum an ihren<br />
Enden die Antriebe für die vier Gondelkreuze tragen.<br />
Über einen zweifach ausfahrbaren Hydraulikstempel<br />
zwischen Grundrahmen und Hubrahmen kann die<br />
Drehscheibe so um circa zwei Meter angehoben und<br />
zusätzlich schräggestellt werden. Dadurch erlebt der<br />
Fahrgast neben der vom Calypso her bekannten Fahrweise<br />
bei sich rasch ändernden Kombinationen von<br />
Flieh- und Schwerkraftwirkung einen interessanten,<br />
zusätzlichen Effekt, er hebt ab und schwebt frei durch<br />
die Luft. Gottlieb Löffelhardt sen. arrangierte eine Kooperation<br />
mit der Karussellbaufirma Anton Schwarzkopf,<br />
die die gesamten Umbauten, Rückwände und<br />
Lichtdekorationen für die Hula Hoop-<strong>Karussells</strong> von<br />
Klaus liefern sollte.<br />
Bei der Auslieferung des ersten Hula Hoop ließ Familie<br />
Löffelhardt einem anderen Hamburger Schaustellerunternehmen<br />
den Vortritt. Als die Nr. 91 der von<br />
Klaus gebauten <strong>Karussells</strong> ging das Geschäft am 14.<br />
Mai 1959 an die Firma Schippers und v.d. Ville. Der<br />
Prototyp orientierte sich weitgehend an dem erhalten<br />
gebliebenen Originalentwurf. Während ursprünglich<br />
überdachte, nach vorn geöffnete und zur Mitte des<br />
Gondelkreuzes ausgerichtete Gondeln zum Einsatz<br />
kommen sollten, entschied man sich schließlich für in<br />
Fahrtrichtung angebrachte, seitlich zu besteigende<br />
„Blumenkübel”, die als Dach illuminierte Blüten mit geknicktem<br />
Stengel trugen. Durch die ungewöhnliche<br />
Aufmachung blieb dieser „Hula Hupp” während seiner<br />
Reisezeit in Deutschland ein Unikat und konnte sich so<br />
gegen die konkurrierenden Schwestergeschäfte und<br />
Calypsos behaupten, mit denen man im Laufe der Zeit<br />
immer mal wieder zusammen auf einem Platz stand.<br />
Geschäftsführer für den Hula Hupp war damals Reinhold<br />
Meinicke sen., der mit dem Karussell die großen<br />
Plätze in Norddeutschland bereiste und von 1960 bis<br />
1964 sogar auf dem Münchner Oktoberfest gastierte.<br />
Nur einen Monat nach Schippers bekam die Firma Löffelhardt<br />
den ersten serienreifen Hula Hoop. Man hatte<br />
inzwischen beschlossen, den Gondelbau in erfahrenere<br />
Hände zu legen, und die Firma Wilhelm Peter mit<br />
der Fertigung beauftragt. Peter, einst in der Nähe von<br />
Augsburg und später in Althegnenberg ansässig, war<br />
damals der erste Hersteller von Polyesterfahrzeugen<br />
gewesen und hatte ursprünglich Calypso-Gondeln für<br />
55
50ER-JAHRE<br />
Gottlieb Löffelhardt jun.’s<br />
Ausführung des Hula Hoop,<br />
1960<br />
Hula Hoop von Peter<br />
Lehmann<br />
die Firma Mack gebaut. Von den insgesamt in Auftrag<br />
gegebenen 48 Chaisen für die ersten drei an Bausch<br />
und Distel zu liefernden Calypsos fertigte Peter jedoch<br />
nur die ersten 24. Dann brach man die Geschäftsbeziehungen<br />
wegen unterschiedlicher Auffassungen<br />
zwischen kleinem Zulieferer und großem Hersteller ab.<br />
Stattdessen wurde Peters Calypso-Chaise entsprechend<br />
den TÜV-Bestimmungen für den Hula Hoop<br />
leicht abgewandelt und erhielt die charakteristische<br />
bauchige Form mit dem hochgezogenen Rückenteil<br />
und dem runden Frontscheinwerfer. Ausgestattet mit<br />
den neuen Schirmchen-Gondeln und einer insgesamt<br />
moderner wirkenden Aufmachung mit viel Neon und<br />
einer großen Lichtfontäne im Zentrum ging Löffelhardts<br />
Hula Hoop am 10. Juni 1959 an den Start zum<br />
bundesweiten Einsatz auf den großen Volksfesten. Der<br />
Erfolg muss die Erwartungen der Schaustellerfamilie<br />
voll erfüllt haben, denn bereits zur folgenden Saison<br />
wurde eine weitere Anlage bei Klaus geordert.<br />
Inzwischen waren auch andere Kollegen auf diesen<br />
Karusselltyp aufmerksam geworden: die Familie Rosenzweig<br />
aus Köln zum Beispiel, und auch aus Frankreich<br />
lag eine Bestellung vor für die Saison 1960. Pierre<br />
Hoffmann, ein alter Stammkunde von Klaus, erhielt<br />
bereits am 4. April 1960 das gewünschte Karussell, für<br />
das er interessanterweise nicht die gebräuchliche Bezeichnung,<br />
sondern einen Ausdruck aus<br />
dem französischen Jugendjargon wählte:<br />
„La Surboum”, der Überknaller oder Superbums.<br />
Auch dieser Hula Hoop unterschied<br />
sich wieder von seinen Vorläufern,<br />
indem ganz und gar auf eine Rückwand<br />
verzichtet worden war. Auf diese Weise kamen<br />
die kunstvollen Gitter, deren ineinander<br />
verflochtene Reifen so passend das<br />
Thema dieses Karusselltyps aufgreifen,<br />
erstmals richtig zur Geltung. Und über den<br />
in grellem Neonlicht erstrahlenden<br />
Lichtsäulen verkündete eine Leuchtschrift<br />
in großen Lettern die Botschaft der wirbelnden<br />
Tanzmaschine: Mambo, Rock<br />
und Cha Cha Cha: Voulez vous danser<br />
avec moi? Noch mindestens bis in die<br />
80er-<strong>Jahre</strong> war dieses eigentlich zeitlose<br />
Karussell im Raum Paris im Einsatz. Später<br />
wurde es Stammgast im französischen<br />
Antibesland, dort in „Cocktail Dance” umbenannt<br />
und unlängst komplett in ein „Take Off”-ähnliches<br />
Geschäft namens „Shark” umgebaut.<br />
Der vierte Hula Hoop von Klaus ging an Löffelhardt<br />
jun., der damals bereits seit acht <strong>Jahre</strong>n im elterlichen<br />
Betrieb tätig gewesen war. In Zusammenarbeit mit<br />
dem Dänen Oscar Pettersson setzte er diesen Hula<br />
56
50ER-JAHRE<br />
Das Lehmann-Karussell<br />
Hoop in skandinavischen Vergnügungsparks ein,<br />
schließlich wollte man dem ersten, zuhause reisenden<br />
Geschäft, mit dem Stiefbruder Peter Lehmann die<br />
großen Plätze zwischen Stuttgart, Bad Dürkheim und<br />
Hamburg beschickte, keine unnötige Konkurrenz machen.<br />
Denn auch Rosenzweigs Hula Hoop Nr. 5 stand<br />
dort bereits in den Startlöchern. Im Vorfeld hatte es<br />
zunächst kleine Unstimmigkeiten gegeben, denn Anton<br />
Schwarzkopf hatte sich zunächst vergeblich<br />
bemüht, der Schaustellerfamilie einen Sputnik aus eigener<br />
Fertigung zu verkaufen und weigerte sich nun<br />
trotzig, für den vermeintlich an die Konkurrenz verlorenen<br />
Kunden lediglich Podium und Rückwand eines<br />
Hula Hoops zu bauen. Zwar konnte Matthias Haug vermittelnd<br />
eingreifen und so doch noch die rechtzeitige<br />
Fertigstellung zum Pfingstmarkt in Bad Godesberg sicherstellen,<br />
doch sollte dies auch der letzte Hula Hoop<br />
von Klaus werden. Schwarzkopf baute später eigene<br />
<strong>Karussells</strong> vom Typ Calypso.<br />
Was ist nun aus diesen Geschäften geworden? Josef<br />
Schippers verkaufte seinen Hula Hoop an einen Venezuelaner<br />
aus Caracas, der 1966 im spanischen Barcelona<br />
den Parque de Atracciones de Montjuich eröffnete.<br />
Peter Lehmann reiste bis zu seinem Lebensende<br />
mit dem Hula Hoop in Deutschland. Zwischenzeitlich<br />
erhielt das Geschäft eine neue Rückwand von der Firma<br />
Mack, und ab und zu wurden Peter-Gondeln gegen<br />
neuere von Ihle ausgetauscht. Später befand sich<br />
das Geschäft im Besitz von Ludwig Roder aus Karlsruhe,<br />
ab 1999 gehörte es der Firma Klein aus dem<br />
Saarland. 2004 erwarb es die Familie Knörr aus Kaiserslautern.<br />
Der zweite Löffelhardt’sche Hula Hoop<br />
blieb in Dänemark. Heute dreht er sich unweit der<br />
deutsch-dänischen Grenze, nach einer völligen thematischen<br />
Umgestaltung kaum wiederzuerkennen, als<br />
afrikanisches „King-Kong-Karussell” im Sommerland<br />
Syd in Tinglev.<br />
Familie Rosenzweig hatte das jüngste Exemplar der<br />
Baureihe Anfang der 60er-<strong>Jahre</strong> an die Familie Wendler<br />
abgegeben, die wiederum verkaufte es weiter an<br />
Familie Kreuser aus Neuwied. Nach der deutschen<br />
Wiedervereinigung ging das Geschäft zur Familie<br />
Sachs in die Neuen Bundesländer, um schließlich<br />
Ende 1994 in den Besitz von Albert Dormeier aus Bassum<br />
zu gelangen, der es eindrucksvoll renovierte. Im<br />
Jahr 2000 wurde es nach Afrika verkauft. ■<br />
FOTOS<br />
Archiv Kärger, Münchner<br />
Stadtmuseum Abteilung<br />
Schaustellerei, Archiv Lehmann<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Hula<br />
Hoop – Lebendige Legende,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 5/98,<br />
Seiten 18-24<br />
Hoffmanns La Surboum,<br />
1960<br />
57
50ER-JAHRE<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Hurricane –<br />
Vampir, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
6/97, Seite 20, Michael<br />
Bonhoff: Holiday Bounce,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 9/02, Seiten<br />
32-35<br />
(Foto: Archiv Gunz)<br />
TORNADO<br />
Tornado war ein Rundfahrgeschäft, das Georg Koch<br />
1953 bei der Firma Klaus in Auftrag gegeben hatte:<br />
Zwölf Ausleger waren hier zu einem abgedeckten,<br />
schräggestellten Karussellaufbau verbunden, an dessen<br />
umlaufendem Holzsteg zwölf topfähnliche offene<br />
Passagiergondeln frei um die eigene Achse rotierten.<br />
Diese Rotation konnte per Handrad<br />
noch forciert werden. Gleichzeitig fuhr<br />
der Auslegerverbund an einer ebenfalls<br />
geneigten Säule um etwa 2 Meter<br />
auf und ab. Tornado wurde am 18.<br />
September 1953 pünktlich zur Münchner<br />
Wiesn fertig – und es blieb der<br />
einzige Platz für das Karussell, das<br />
technisch unausgereift war und vom<br />
Publikum nicht angenommen wurde.<br />
Koch gab das Karussell sofort an den<br />
Hersteller zurück, der Teile davon für<br />
den ersten Vampir verwendete. Im<br />
Grunde genommen war dieser Karusselltyp eine amerikanische<br />
Angelegenheit: Schon um 1940 hatte es<br />
dort ein ähnlich geartetes Geschäft namens „Bubble<br />
Bounce” gegeben, und in den 60ern griffen Dwayne<br />
Steck („Holiday Bounce”) und Frank Hrubetz („Tip<br />
Top”) die Idee mit großem Erfolg wieder auf. ■<br />
FLY-O-PLANE<br />
QUELLE<br />
Der Komet 3387 / Seite 30<br />
(Foto: Archiv Zierer)<br />
Anton Gormanns aus Eschweiler<br />
konstruierte und betrieb exklusiv<br />
das Fly-o-Plane, auch „Düsenflieger”<br />
genannt, mit sich überschlagenden<br />
Flugzeugen. Im September<br />
1956 inserierte er verbittert<br />
im Komet: „Im In- und Ausland auf<br />
allen Festplätzen beliebt und gesucht,<br />
nur nicht auf dem Münchener<br />
Oktoberfest zu finden.” Unter<br />
Gormanns hatte dieses Fluggerät tatsächlich keine<br />
Chance auf eine Wiesn-Zulassung. Um die Anschaffung<br />
eines Round Up zu finanzieren, verkaufte er das<br />
Fluggerät, bei dem zehn Gondeln via Seilzeug gesteuert<br />
werden konnten, um 1960 nach München, und<br />
von 1961 bis 1978 war Hüllers Düsenflieger fester Bestandteil<br />
des Oktoberfestes. Später stand das kuriose<br />
Karussell lange im Schwabenpark Gmainweiler. ■<br />
58<br />
SLALOM<br />
Georg Hüttemann aus Augsburg reiste Mitte der<br />
50er-<strong>Jahre</strong> mit einem Karussell namens „Slalom”<br />
zwischen Hamburg und München, wo er 1957 und<br />
1958 auch auf der Wiesn aufbauen durfte. Dabei handelte<br />
es sich um ein Karussell mit ovaler Rundfahrt.<br />
Hier wurden die Gondeln durch ein Stahlseil in Bewegung<br />
gebracht, das über zwei große, motorisch angetriebene<br />
Scheiben lief. Das Seil bildete eine Art<br />
Schiene für 18 vierrädrige Fahrgastträger. Auf dem<br />
Chassis der Gondeln waren um die eigene Achse beweglich<br />
die Karosserien angebracht, kleine Gefährte,<br />
die jeweils zwei Personen hintereinander sitzend Platz<br />
boten. Die Karosserien konnten auf den Untergestellen<br />
– zusätzlich zur ovalen Kreisfahrt – hin und her<br />
gedreht werden. Ferner war die gesamte Konstruktion<br />
auf einer schiefen Ebene gebaut. 1958/59 wurde Slalom<br />
zu einem Calypso umgebaut.<br />
■
KOMET<br />
In Deutschland lief dieses Karussell nur ein Jahr. Es<br />
wurde in der Nachkriegszeit von der amerikanischen<br />
Firma Allan Herschel unter dem Namen „Hurricane”<br />
gebaut. Der ein wenig an einen Öl-Bohrturm erinnernde<br />
eiserne Gittermast trug an seiner Spitze einen Drehkranz,<br />
von dem sechs beweglich gelagerte Ausleger<br />
herunterhingen. An ihrem unteren Ende trugen diese<br />
Arme jeweils eine vier Personen fassende Gondel, am<br />
entgegengesetzten Ende waren sie oberhalb der Aufhängung<br />
mit der Kolbenstange eines riesigen, zentralen<br />
Zylinders verbunden. Der Fahreffekt war ein<br />
zwangsgesteuertes, gleichzeitiges Auf und Ab der<br />
Arme. Die Hamburger Schaustellerfirma Schippers &<br />
v.d. Ville bereiste 1954 damit alle wichtige Plätze in<br />
Deutschland. Da das Karussell sehr störanfällig war,<br />
verschwand es sofort wieder von der Bildfläche. ■<br />
50ER-JAHRE<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Swing<br />
Around, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
3/97 Seiten 28-29<br />
(Foto: Archiv Schippers)<br />
TAIFUN<br />
Dieses vom Betreiber Michael Großmann aus Mindelheim<br />
erdachte, 1956 von der Maschinenfabrik<br />
Hutterer und Sohn gebaute Fahrgeschäft war ein<br />
Überschlagkarussell mit halbkreisförmiger Führungsschiene.<br />
Das nur 6-gondelige Drehteil wurde dabei<br />
über ein endloses Stahlseil und eine am Boden plazierte<br />
Antriebsrolle vom Podium auf der einen Seite<br />
über die Loopingfahrt in der Mitte der Schiene bis zum<br />
Absetzen auf dem Podium der gegenüberliegenden<br />
Seite gezogen. Im Premierenjahr 1956 gastierte das<br />
Geschäft auf dem Cannstatter Wasen, von 1957 bis<br />
1964 mit Unterbrechungen in München auf dem Oktoberfest.<br />
Auch auf anderen Spitzenplätzen wie Bremen<br />
stellte der langsame Fahrgastwechsel des <strong>Karussells</strong><br />
kein allzu gravierendes Problem dar. ■<br />
KREISELWIPPER<br />
EXPLORER<br />
Die Ursprünge der Taumler-<strong>Karussells</strong> liegen hier:<br />
1955 brachte der Schausteller Hamberger den<br />
Kreiselwipper, ein Karussell mit einem runden Kessel,<br />
in dem die Fahrgäste während der Rotation auf und ab<br />
wippten. Es war bis 1965 auf der Wiesn Stammgast<br />
und wurde dort bis 1973 von der Familie Merkl weiterbetrieben.<br />
Das Foto stammt aus den 70ern. ■<br />
Mit einer Mischung aus Sputnik und Fliegender<br />
Untertasse bereiste Ende der 50er-<strong>Jahre</strong> Hans<br />
Hille westfälische Plätze wie Dortmund oder Werne.<br />
„Explorer” verfügte bereits über einen hydraulischen<br />
Hubarm, die ringförmig in Fahrtrichtung kreisenden<br />
Zweier-Gondeln erinnern hingegen an die Schwarzkopf-<strong>Karussells</strong><br />
jener Zeit.<br />
■<br />
QUELLE<br />
1897-1987 – 90 <strong>Jahre</strong><br />
Schausteller-Verein „Rote<br />
Erde” Dortmund e.V.,<br />
1987, Seite 45<br />
59
50ER-JAHRE<br />
QUELLE<br />
Rolf Orschel: Hulla Hoop,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 5/2000,<br />
Seite 5<br />
(Foto: Archiv Drelischek)<br />
HULLA HOOP<br />
Ein Vorläufer des „Hexentanz” war dieses Karussell,<br />
bei dem 12 Gondeln paarweise überund<br />
untereinander rotierten. Es wurde von Schausteller<br />
Warzyniak geplant und gebaut, inspiriert<br />
von einer Konstruktion, die er in Brüssel entdeckte.<br />
Hulla Hoop reiste vorwiegend im Raum Wetzlar/Gießen;<br />
der Betrieb dieses Geschäfts mit dem<br />
planenbespannten Mittelbau wurde in den 60er-<br />
<strong>Jahre</strong>n wieder eingestellt.<br />
■<br />
SPIEGELRONDO<br />
QUELLE<br />
Michael Jantowski: Familie<br />
Hohmann, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
10/97, Seiten 38-39<br />
(Foto: Archiv Hohmann)<br />
Mitte der 50er baute der Münchner Wilhelm Hohmann<br />
in Eigenregie das Spiegelrondo. Auf einer<br />
walzerbahnähnlichen Piste kreisten in schnellem Tempo<br />
sechs Doppelgondeln für je sechs Personen um<br />
eine Spiegelkugel-Skulptur und rotierten dabei um die<br />
eigene Achse. Von 1955 bis 1964 war Hohmann damit<br />
in München anzutreffen. Es wurde mit dem Erwerb von<br />
„Rund um den Tegernsee” 1965 aufgegeben. ■<br />
LUFTTAXI / MOSQUITO<br />
Neben den Klaus- und Völker-Fliegern gab es in<br />
den 50er-<strong>Jahre</strong>n auch eine Reihe exotischer Flugzeugkarussells.<br />
Bei Adam v.d. Veens „Lufttaxi”, das<br />
von 1951 bis 1959 auf Plätzen wie Vechta oder Oldenburg<br />
anzutreffen war und später in den Besitz der<br />
Firma Köhrmann/Wimmert überging, waren die entgegen<br />
den Uhrzeigersinn kreisenden Gondeln an den<br />
auf und abfahrenden Auslegern zusätzlich frei ausschwingend<br />
befestigt. „Mosquito” war eine Hydraulik-<br />
Anlage im Stil des Helikopters in besonderer Ausstattung,<br />
die ihren Weg auch auf den Bremer Freimarkt<br />
fand. Besitzer Peter Wohld trennte sich von dem Karussell<br />
zugunsten der gebraucht erworbenen „Tollen<br />
Jolle”.<br />
■<br />
QUELLE<br />
Günter Müller: Der schöne<br />
alte Oldenburger Kramermarkt,<br />
Seite 165<br />
(Foto: Michael Bonhoff)<br />
60
TOLLE JOLLE<br />
Die „Tolle Jolle” war ein Karussell, das nach einer<br />
Idee der renommierten Schaustellerfirma Distel<br />
kreiert wurde. Eingedenk der glorreichen Zeiten der<br />
Seesturmbahnen, in den 30er-<strong>Jahre</strong>n von der Firma<br />
Heyn für die Schausteller Bergert und Distel gebaut,<br />
wurde die Tolle Jolle als Karussell mit maritimer Kulisse<br />
konzipiert, und auch die Fahrweise erinnerte – mit<br />
erweitertem Effektenspektrum – an die Seesturmbahn:<br />
Die als Segelboote von der Firma Ihle gebauten Gondeln<br />
sollen sich um die eigene Achse zur Vorwärtsund<br />
Rückwärtsfahrt gedreht haben. Die ursprüngliche,<br />
dem Wellengang nachempfundene Reise über Berge<br />
und Täler konnte nicht nur imitiert, sondern durch eine<br />
Fülle von Positionskombinationen erweitert werden.<br />
Die Führungssäule der Anlage war wie beim Vampir<br />
festgestellt. Anders<br />
als bei den sonstigen<br />
Anlagen von Klaus<br />
konnten die Boote jedoch<br />
nicht selbstgesteuert<br />
werden; ihr<br />
Auf und Ab regelte<br />
sich automatisch. In<br />
seiner Aufmachung<br />
war das Karussell<br />
eine einzige Augenweide.<br />
Die liebevolle<br />
Gestaltung im Seefahrt-Charakter<br />
setzte<br />
sich bis ins Detail<br />
fort; selbst die serienmäßigen<br />
Umzäunungen<br />
wurden in<br />
einer Sonderanfertigung<br />
mit Fisch- und Blubberblasen-Motiven aufgepeppt.<br />
Markantes Wahrzeichen des <strong>Karussells</strong> war der<br />
Leuchtturm im Zentrum. Und als besonderer Gag wurden<br />
im Lauf der Zeit innerhalb des umlaufenden Podiums<br />
Wasserspiele installiert, die fontänenartig aufsprudelten<br />
und der Fahrt mit den darauf auf- und abtanzenden<br />
Gondeln zusätzlich prickelnden Reiz verliehen.<br />
Die Tolle Jolle wurde am 2. September 1960 mit<br />
der Baunummer W 99 D ausgeliefert und war ein exklusives<br />
Einzelstück,<br />
das so manche Topplätze<br />
in den beginnenden<br />
<strong>1960er</strong>-<strong>Jahre</strong>n<br />
bereicherte. Stuttgart<br />
war dabei, auch Düren<br />
und Oldenburg, niemals<br />
aber – leider –<br />
München. Das Karussell<br />
ging um 1964 an<br />
die Firma Osselmann<br />
und in späteren <strong>Jahre</strong>n<br />
noch durch so manche<br />
Besitzerhand. ■<br />
60ER-JAHRE<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Rundflieger<br />
von Klaus Teil 2, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 7/97, Seiten<br />
73-75<br />
Distels Tolle Jolle, 1960<br />
FOTOS<br />
Archiv Distel, Archiv Kärger<br />
Das Karussell in<br />
späteren <strong>Jahre</strong>n
60ER-JAHRE<br />
WELTRAUMFLUG<br />
Weltraumflug, Röper, 1960<br />
Weltraumflug von Kleiner<br />
Das zweite diente als Packraum für<br />
die Gondeln, im dritten Wagen<br />
wurden Podium und Kasse verladen.<br />
Der Fahrstand des Weltraumfluges<br />
befand sich hinter dem Geschäft<br />
und fungierte gleichzeitig<br />
als Kasse. Anders als beim Sputnik<br />
waren die Aufzugsmasten beim<br />
Weltraumflug verkleidet, und zwar<br />
als schlanke Raketen. Der Schriftzug<br />
war analog zum Sputnik als<br />
Verbindungsbogen angebracht<br />
und auch hier in Schreibschrift<br />
Originaler Entwurf von<br />
Schwarzkopf<br />
Der Weltraumflug war der direkte Nachfolger<br />
des Sputnik. Er wurde um 1960 ebenfalls von<br />
der Firma Schwarzkopf entwickelt und gebaut.<br />
Analog zum Sputnik wurde auch hier ein<br />
schwerer Fahrbahnkranz mit festmontierten<br />
Gondeln mittels Hydraulik angehoben und in<br />
die Schräglage gebracht, wobei sich nun – anders<br />
als in der Entwurfsskizze vorgesehen – die<br />
Fahrzeuge gegen den Uhrzeigersinn drehten.<br />
Die Dimensionen waren allerdings kleiner als<br />
beim Original-Sputnik: Der Weltraumflug (Ø 14<br />
m) bot in zwölf Flugzeugen insgesamt 24 Personen<br />
Platz, auch die Fahrthöhe wurde nicht<br />
ganz erreicht. Der Antrieb des Weltraumfluges<br />
erfolgte über zwei Elektromotoren. Für den<br />
Transport waren insgesamt drei Fahrzeuge nötig,<br />
wobei eines ins Karussell eingebaut wurde.<br />
62
60ER-JAHRE<br />
Lunik, Zustand 70er-<br />
<strong>Jahre</strong>, Ponypark Slagharen<br />
Orion, Holland, 1968<br />
FOTOS<br />
Archiv Röper, Archiv Kleiner,<br />
Heiko Schimanzik,<br />
Collectie Stichting Kermiscultuur<br />
ausgeführt. Darunter befand sich jedoch keine erleuchtete<br />
Attrappe der Erdkugel, sondern ein Modell<br />
des Atomiums, des futuristischen Wahrzeichens der<br />
Brüsseler Weltausstellung von 1958. Anstelle der kugelförmigen<br />
Passagiergondeln kamen nun „richtige”<br />
Flugzeuge zum Einsatz: Chaisenformen, die irgendwo<br />
zwischen Flugzeug und Rakete anzusiedeln waren<br />
und von Firma Wilhelm Peter aus Althegnenberg gefertigt<br />
wurden.<br />
Nach den vorliegenden Angaben wurden insgesamt<br />
vier Exemplare des Weltraumflugs gebaut, wovon drei<br />
in Deutschland reisten und einer in Schweden. Schausteller<br />
Helmut Röper reiste ab 1960 mit dem Karussell,<br />
gab es aber 1963 zugunsten eines Twisters auf. Dieser<br />
Weltraumflug wurde bereits zu diesem Zeitpunkt<br />
weitgehend verschrottet. Lediglich das Atomium, die<br />
Geländer und der Fahrkranz überdauerten das Zeitliche:<br />
Der Fahrbahnkranz wurde in die Hofeinfahrt des<br />
Anwesens der Familie eingebaut, das Atomium im<br />
Garten aufgestellt.<br />
Bei dem ehemals in Schweden tourenden Karussell<br />
handelt es sich um den „Lunik” genannten Weltraumflug,<br />
der 1974 seinen Weg in den niederländischen<br />
Ponypark Slagharen fand und dort noch jahrelang seine<br />
Runden drehte.<br />
Ein weiterer Weltraumflug war im Besitz der Kölner Firma<br />
Kleiner gewesen und hatte 1962 eine einmalige Zulassung<br />
zum Münchner Oktoberfest bekommen. Ein<br />
viertes Exemplar, charakterisiert durch auf den Flugzeugen<br />
aufgemalte Ziffern- und Buchstabenkombinationen<br />
(zum Beispiel „D6”), war noch 1967 im<br />
bayerischen Raum auf der Reise. Ein Jahr darauf war<br />
es als „Orion” in Holland unterwegs, um nach kurzer<br />
Zeit wieder von der Bildfläche zu verschwinden. ■<br />
QUELLE<br />
Rainer Scholz / Karl Ruisinger:<br />
Weltraumflug –<br />
Space Feeling im Wirtschaftswunder,<br />
<strong>Kirmes</strong><br />
Revue 7/96, Seiten 20-22<br />
63
60ER-JAHRE<br />
LUFTWIPPER<br />
Luftwipper von Mack unter<br />
Löffelhardt & Kleiner, 1960<br />
FOTOS<br />
Archiv Löffelhardt-Kleiner,<br />
Archiv Zehle<br />
Die Experimentierfreude der Karussellhersteller<br />
zum Anfang der <strong>1960er</strong>-<strong>Jahre</strong> bescherte der <strong>Kirmes</strong>welt<br />
eine interessante Variante der klassischen<br />
Berg- und Talbahn, deren Grundidee es vielleicht verdient<br />
hätte, mit den heutigen, erweiterten technischen<br />
Möglichkeiten wieder aufgegriffen zu werden.<br />
So produzierte die Firma Mack im Winter 1959/60 für<br />
die damals in Bremen ansässige Schaustellerfirma<br />
Löffelhardt & Kleiner als Sonderanfertigung eine offene<br />
Berg- und Talbahn mit besonderem Clou: Die 20<br />
zwischen den Auslegern beweglich gelagerten, zweisitzigen<br />
Polyesterchaisen, in bewährter Weise vom<br />
Bruchsaler <strong>Spezial</strong>fahrzeugbauer Ihle beigesteuert,<br />
konnten mittels Luftzylinder während der Fahrt aufund<br />
niederwippen. Doch trotz dieses originellen Zusatzeffekts<br />
und des stark an das damals gerade populäre<br />
Calypso-Design angelehnten Outfits mit plastisch<br />
ausgeformter Arkadenrückwand und Lichterfontäne<br />
im Zentrum blieb der „Luft-Wipper” hierzulande<br />
überraschenderweise ein Exot.<br />
Bis 1962 war er auf vielen namhaften Volksfesten der<br />
Bundesrepublik und in West-Berlin vertreten, nach<br />
dem Verkauf an die Münchner Schaustellerfamilie Zehle<br />
kam er 1963 sogar noch zu Oktoberfest-Ehren. Doch<br />
für die neuen Eigentümer wurde dieses Geschäft von<br />
vornherein nur als Übergangslösung gesehen, da man<br />
zu dem Zeitpunkt bereits bei Zierer eine Neuauflage<br />
der Tarantella bestellt hatte und sich lediglich die Konstruktionszeit<br />
verzögert hatte. Ein Jahr später wurde<br />
der „Luft-Wipper” dann an den Montjuich-Vergnügungspark<br />
in Barcelona verkauft, wo sich leider seine<br />
Spur verliert.<br />
■<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Luftwipper<br />
und L’Everest, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 10/01, Seiten 32-34<br />
Luftwipper unter Zehle<br />
64
FALLSCHIRMFLUG<br />
60ER-JAHRE<br />
FOTOS<br />
Archiv Feldl, Sicherheit<br />
Fliegender Bauten 1970<br />
Fallschirmflug von<br />
Feldl, um 1960<br />
Sie gehören zu den erfolgreichsten <strong>Karussells</strong> in der<br />
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: die Sessellift-<br />
Anlagen, bei denen man in ausschwingenden, 2-sitzigen<br />
Gondeln mit Beinfreiheit Schrägfahrten zwischen<br />
Himmel und Erde genießen kann. Am Anfang der Entwicklung<br />
standen Anlagen, bei denen der Auslegerverbund<br />
mit den Gondeln nicht hydraulisch über einen<br />
Hubarm angehoben beziehungsweise abgesenkt<br />
werden konnte, sondern auch im Stillstand in der<br />
Schieflage verharrte. Bei diesen <strong>Karussells</strong>, bei denen<br />
das Drehwerk schräg im 45°-Winkel an einem senkrechten,<br />
starren Mast befestigt war, konnte der Fahrgastwechsel<br />
naturgemäß nur schleppend vor sich gehen:<br />
Es konnten immer nur drei Gondeln gleichzeitig<br />
über einem muldenförmigen Podiumsaufbau be- und<br />
entladen werden. Dennoch entwickelten sich diese<br />
„Paratrouper” in ihrer Heimat USA zum großen Erfolg,<br />
der ansatzweise auch nach Europa schwappte: Zu<br />
Beginn der 60er-<strong>Jahre</strong> griff die holländische Firma<br />
Bakker die Idee auf. Innerhalb Deutschlands startete<br />
die Familie Feldl mit einem derartigen Geschäft, das<br />
die Bezeichnung „Fallschirmflug” trug. Als Feldl die<br />
Anlage 1963 erstmals auf dem Münchner Oktoberfest<br />
aufbaute, war sie von ihrer Technik her aber bereits<br />
überholt und von vergleichbarer, aber attraktiverer<br />
Konkurrenz überflügelt worden. Dennoch konnte sich<br />
dieses Karussell über viele Wechsel hinweg in<br />
Deutschland bis heute halten: 1968 bis 1972 war der<br />
Fallschirmflug unter neuen Besitzern (Beirer, Rosenzweig)<br />
auf dem Oktoberfest. Später war er vor allem in<br />
Niederbayern und in der Oberpfalz zu sehen (Ott, Neigert,<br />
Höffner, Böhm, Brumbach). Seit 1989 steht er als<br />
Blumengondelbahn im Churpfalzpark in Loifling. ■<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Fallschirmflug<br />
zwischen Twister und<br />
Riesenrad, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
1+2/98, Seiten 40-41<br />
Skizze zum Fallschirmflug,<br />
Karl Meier, TÜV München<br />
65
60ER-JAHRE<br />
FLIEGENDER TEPPICH<br />
Das Orient-Konzept<br />
entwickelte die Familie Kraus<br />
aus Roth<br />
Münchner Wiesnflug<br />
Die Münchner Schaustellerfirma Heinrich und Zehle<br />
hatte Anfang der 60er-<strong>Jahre</strong> die Idee zu dieser<br />
Karussellneuheit. Mit Blick auf einen lukrativen Standplatz<br />
auf dem Oktoberfest war schnell ein passendes<br />
Thema gefunden: „Münchner Wiesnflug“. Auf einem<br />
exzentrisch gelagerten und hydraulisch aufgerichteten<br />
Drehteil sollten 16 zweisitzige Gondeln<br />
in Form von aufgeschnittenen Bierfässern<br />
durch die Luft wirbeln. Zur Herstellung<br />
wandte man sich an die kleine<br />
Fahrzeugbaufirma von Rudolf Höpler in<br />
Metten, die unter anderem auch schon<br />
als Zulieferer für die Karussellfabrik Josef<br />
Zierer im benachbarten Neuhausen tätig<br />
gewesen war. Die charakteristischen,<br />
sich überlagernden Drehbewegungen<br />
des Hubarms und des Gondelträgers<br />
wurden bereits mit Öldruckmotoren erzeugt.<br />
Bei einer steilen Schräglage von 75° sollte das<br />
Karussell ursprünglich rasante 18 Umdrehungen pro<br />
Minute bieten. „Zuviel“ befand der beim TÜV Bayern<br />
für die Sicherheit fliegender Bauten verantwortliche Diplom-Ingenieur<br />
Karl Meier und verweigerte seinen Segen<br />
bei der technischen Abnahme. Der Ausflugwinkel<br />
musste auf 60° und das Tempo auf 12 Umdrehungen<br />
pro Minute begrenzt werden. Der erhoffte Erfolg blieb<br />
aus, das Geschäft ging zurück zum Hersteller und erlebte<br />
so – Ironie des Schicksals – niemals einen Auftritt<br />
auf der namensgebenden Münchner Wiesn.<br />
Angeboten als preisgünstige Gebrauchtanlage erregte<br />
das Gerät jedoch die Aufmerksamkeit der Schaustellerfamilie<br />
Kraus aus Roth bei Nürnberg, die das<br />
Konzept des „Fliegenden Teppichs“ entwickelte. Dem<br />
Thema entsprechend wurde das Fahrgeschäft bei<br />
Höpler bis ins Detail umgestaltet. Die Bierfässer wurden<br />
durch Schlickerbahn-ähnliche, ebenfalls schau-<br />
Original-Entwurf von<br />
Paul Rauschenberger<br />
66
60ER-JAHRE<br />
FOTOS<br />
Archiv Voß, Archiv Hausladen,<br />
Archiv Heinrich/Zehle;<br />
Fritz Wolkenstörfer<br />
kelnd aufgehängte Teppichgondeln ersetzt, die bei einer<br />
für den Hersteller tätigen Polyesterfabrikation gefertigt<br />
wurden, ebenso wie die originelle Kasse mit geschwungenem<br />
Dach und der Teppich reitende Fakir<br />
mit der Wasserpfeife. Eingerahmt wurde das Karussell<br />
von einer aufwändig gestalteten Fassade. Entstanden<br />
war nun eine Art Gesamtkunstwerk, ein Traum aus<br />
1001 Nacht, bei dem die ungewöhnlichen Bewegungsabläufe,<br />
die zauberhafte Beleuchtung und die<br />
verspielten Formen eine harmonische Einheit bildeten.<br />
Dass dem Geschäft trotzdem der große kommerzielle<br />
Erfolg versagt blieb, mag unterschiedliche Gründe gehabt<br />
haben. Bedingt durch den hohen Mittelbauwagen<br />
etwa, der immer komplett mit Achsen und Rädern<br />
stehenblieb, waren 12- bis 15-stufige Freitreppen für<br />
den Ein- und Ausstieg notwendig, ein deutliches Hindernis,<br />
wenn potentielle Fahrgäste zum spontanen Zusteigen<br />
animiert werden sollten. Während in der Urversion<br />
die links und rechts neben der Drehscheibe<br />
befindlichen Treppen vor Fahrtbeginn noch seitlich<br />
weggeschwenkt werden mussten, um für die Exzenterbewegung<br />
Platz zu schaffen, erlaubte die versetzte<br />
Anordnung beim Fliegenden Teppich zumindest, dass<br />
nur die Geländer der Ausgangsplattform hydraulisch<br />
umgelegt werden mussten, damit die Drehscheibe<br />
darüber hinwegschweben konnte.<br />
Laut Aussage eines der späteren Besitzer war es dennoch<br />
wiederholt vorgekommen, dass die rotierende<br />
Drehscheibe sich mit dem Geländer verfangen und<br />
die Treppen weggerissen hatte. Auch das doppelte<br />
hydraulische Antriebssystem war damals wohl noch<br />
nicht ausgereift, jedenfalls gab es immer wieder technische<br />
Probleme mit längerem Stillstand.<br />
Mitte der 60er-<strong>Jahre</strong> verkaufte Familie Kraus das Geschäft<br />
an die Firma Reimschüssel in Bad Gandersheim.<br />
Vom Harz aus verschlug es den Fliegenden Teppich<br />
in den Kölner Raum, dort reiste zunächst 1969<br />
Bernhard von der Gathen mit dem Karussell, von 1970<br />
bis 1971 dann sein Bruder Gerfried. Der Inhaber einer<br />
Aachener Maschinenfabrik, Anton Pöttgens, verpasste<br />
dem Fliegenden Teppich einen neuen indirekten<br />
Reibradantrieb, bei dem Standard-VW-Käfer-Felgen<br />
mit Luftbereifung von zwei kräftigen Elektromotoren in<br />
Schwung gebracht wurden. Ein solches System hatte<br />
sich inzwischen bei den Hully-Gullys bewährt. Dieser<br />
in den Baupapieren vermerkte Umbau von 1970 wurde<br />
später fälschlicherweise als „Baujahr“ des <strong>Karussells</strong><br />
interpretiert. Nach einer kurzen Rückkehr in<br />
bayerische Gefilde unter der Regie<br />
von Johann Hausladen aus Cham<br />
übernahm Ende 1972 der Lüneburger<br />
Schausteller Wilfried Voß den Fliegenden<br />
Teppich und machte sich damit<br />
selbständig. Er erneuerte die gesamte<br />
Steuerung des <strong>Karussells</strong>,<br />
baute einen festen Fahrstand und installierte<br />
Lauflicht und kleine Lichtkästen,<br />
mit denen jedes Fensterchen in<br />
der Rückwand von hinten beleuchtet<br />
werden konnte, wodurch die märchenhafte<br />
Atmosphäre bei Einbruch<br />
der Dunkelheit noch zusätzlich unterstrichen<br />
wurde. Bis Ende 1975 bereiste<br />
Herr Voß die Festplätze in Niedersachsen<br />
und Hessen, 1976 wurde<br />
das Geschäft nach Amsterdam verkauft.<br />
Als „Skywheel” ist es bis heute<br />
in den Benelux-Ländern aktiv. ■<br />
Das Karussell 1964 in Fürth<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Fliegender<br />
Teppich – vom Wiesnflug<br />
zum Skydance, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 9/96, Seiten<br />
24-27<br />
67
60ER-JAHRE<br />
TWIST<br />
Das Karussell unter<br />
Erstbesitzer Kalb, 1962<br />
Der Name sagt es bereits: Dieses Karussell<br />
gehört in jene Epoche, in der<br />
auf aktuelle Modetänze getrimmte Rundfahrgeschäfte<br />
besonders gefragt waren:<br />
Calypso, Mambo, Bossa Nova – man<br />
kann eine längere Liste zusammenstellen.<br />
Klar, dass auch der Twist – der Kult-<br />
Verrenker der frühen Sixties – nach einer<br />
Manifestation in Karussellform geradezu<br />
schrie. Die Memminger Firma Klaus, die<br />
wenige <strong>Jahre</strong> zuvor den Hüftschwung-<br />
Boom mit dem Hula-Hoop-Reifen erfolgreich<br />
in eine Handvoll gleichnamiger Karussellanlagen<br />
verarbeitet hatte, reagierte<br />
schnell und brachte ein Geschäft auf<br />
den Markt, das nicht nur diesen Namen trug, sondern<br />
die auf- und abkreisende Bewegung des Twist-Tanzens<br />
nachzuempfinden suchte.<br />
Aus einer Fotomappe aus dem Archiv der Firma Klaus<br />
geht hervor, dass mit dem Bau dieses <strong>Karussells</strong> bereits<br />
in den 50er-<strong>Jahre</strong>n – unter dem Testnamen „Rock<br />
and Roll” – begonnen worden war, dieses Projekt jedoch<br />
in der angedachten Art und Weise wegen seiner<br />
zu hohen Komplexität nicht zu Ende geführt wurde.<br />
Beim späteren Twist wurden sechs Ausleger über<br />
sechs Seile, die jeweils über Rollen am Turmende liefen,<br />
synchron nach oben gezogen. An den Auslegern<br />
war beweglich schwingend ein zwölfteiliger Karussellring<br />
aufgehängt; an den Verbindungen dieser zwölf<br />
Segmente waren doppelsitzige Gondeln drehbar ge-<br />
Die vom Calypso<br />
bekannten Gondeln<br />
68
60ER-JAHRE<br />
FOTOS<br />
Archiv Kärger, Michael<br />
Bonhoff<br />
lagert. Der Aufbau konnte schräggestellt werden.<br />
Während der Fahrt wurde der kreiselnde Ring nach<br />
oben gezogen, die Fahrzeuge im Calypso-Design vollführten<br />
Zufallsrotationen um die eigene Achse.<br />
Twist wurde am 4. Juni 1962 an den Nürnberger<br />
Schausteller Kalb ausgeliefert. Das Karussell mit der<br />
Betriebsnummer T 108 war kein kommerzieller Erfolg<br />
und blieb ein Einzelstück. Immerhin gelang Kalb damit<br />
1965 die Zulassung zum Münchner Oktoberfest,<br />
und der Twist war über diverse Besitzerwechsel hinweg<br />
relativ lange auf der Reise. Er ging in die Hände<br />
des Schaustellers Rasch aus Hamburg, wo er unter<br />
der Bezeichnung „Mond-Taxi” mit abgewandeltem<br />
Fahreffekt und vereinfachter Technik noch einige Zeit<br />
im Einsatz war.<br />
■<br />
Das Thema „Twist” war auch<br />
auf der Rückwand verewigt<br />
In späteren <strong>Jahre</strong>n lief das<br />
Karussell als „Mond-Taxi”<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Twist –<br />
Tanzkarussell von Klaus,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 5/97, Seiten<br />
30-31<br />
69
60ER-JAHRE<br />
TWISTER<br />
Airborne-Twister, De Boer<br />
Der Twister von Berghaus<br />
Das Jahr 1962 gilt innerhalb<br />
Europas als die Geburtsstunde<br />
des „Twisters” – diese<br />
Bezeichnung wurde später speziell<br />
in Deutschland ein Begriff –,<br />
der als „hydraulischer Paratrouper”<br />
zuvor in den USA von Frank<br />
Hrubetz entwickelt worden war<br />
und mit seinem absenkbaren<br />
Drehwerk sowohl einen verbesserten<br />
Fahreffekt als auch einen<br />
beschleunigten Fahrgastwechsel<br />
gegenüber dem Vorgänger<br />
„Fallschirmflug” auf seiner Haben-Seite<br />
verbuchen konnte. Als<br />
europäischer Prototyp der hydraulischen<br />
Sessellift-<strong>Karussells</strong><br />
wird gemeinhin der „Airborne”<br />
der Firma N.L.B. im holländischen Nimwegen („Nijmegs<br />
Lasbetrijf”, später „Carouselbouw B.V.” von A.<br />
De Boer) genannt, die zu diesem Zeitpunkt bereits<br />
durch den Round Up Erfahrung im Bau von Hydraulikkarussells<br />
gesammelt hatte. Daneben gibt aber<br />
auch die deutsche Firma Schwarzkopf das Jahr 1962<br />
als die Geburtsstunde eines derartigen Geschäfts aus<br />
eigener Produktion an, das als „Skilift”-Twister angeboten<br />
wurde.<br />
Auf den Beschickerlisten der Spitzenvolksfeste waren<br />
in den Anfangsjahren des Twisters Anlagen beider<br />
Hersteller verzeichnet: Eines der ersten <strong>Karussells</strong> im<br />
Premierenjahr war der Airborne von Renoldi gewesen,<br />
auch die Firma H. G. Löffelhardt & Sohn reiste damals<br />
bereits mit einem Twister, Reisestationen waren unter<br />
anderem Crange, Düren oder Oldenburg, in München<br />
gastierte hingegen ein „Paratrouper” von Loeb aus<br />
Bremen. 1963 findet man in den erhalten gebliebenen<br />
Beschickerlisten den „Tel Star” von Rick, den „Kreisellift”<br />
von Wendler oder den „Münchner Sessellift” von<br />
Albert Aigner, der das Karussell gegen sein holländisches<br />
Round Up quasi „eingetauscht” hatte und auf<br />
der Wiesn von 1963 bis 1967 nonstopp damit vertreten<br />
war. Ein Schwarzkopf-Skilift war hingegen die<br />
„Windrose” von Schippers & v.d. Ville, die schon früh<br />
zum Repertoire von Plätzen wie Bremen oder Oldenburg<br />
zählte. In die Riege der hydraulischen Sessellifts<br />
reihten sich bis zur Mitte der 60er-<strong>Jahre</strong> darüber hinaus<br />
Anlagen wie der „Air-Twist” von Beuermann, der<br />
„Airlift” von Kind oder die Twister von Robrahn und<br />
Berghaus ein; letzerer, eine De Boer-Anlage, feierte<br />
1965 in Paderborn Premiere, ist noch immer unter dem<br />
Erstbesitzer im Einsatz und Stammgast auf wichtigen<br />
Skizze zum Airborne-Twister, Karl Meier, TÜV<br />
München<br />
70
60ER-JAHRE<br />
Twister im Staatszirkus<br />
der DDR, 1969<br />
Albert Aigners Münchner<br />
Sessellift, 1963<br />
nordrhein-westfälischen Plätzen wie Werne oder Menden.<br />
Auch die 1966 von der saarländischen Familie<br />
Dietz bei De Boer gekaufte Anlage ist heute noch unter<br />
dem Erstbesitzer auf der Reise.<br />
Eine Anzeige von N.L.B. aus Nijmegen aus den 60er-<br />
<strong>Jahre</strong>n gibt Aufschluss über die technischen Daten<br />
des „Airborne-Twisters”: Front 18,5 Meter, Tiefe 17,5<br />
Meter, Kapazität 24 Personen, Anschluss insgesamt<br />
65 kW. Optisch waren die „Holland”-Twister vor allem<br />
an zwei charakteristischen Deko-Elementen zu erkennen:<br />
zum einen an der inneren Umzäunung des Mittelbaus,<br />
deren einzelne Segmente jeweils drei nebenbeziehungsweise<br />
übereinandergesetzte Halbbögen<br />
zierte. Im Karussellzentrum thronte eine kleine, aber<br />
steile Kuppel aus gebogten Lichtleisten, auf die zwölf<br />
Ausleger waren jeweils Lichtbögen montiert, die dem<br />
gesamten Drehverbund optische Plastizität verliehen.<br />
Diese Dekorationen wurden von De Boer über die <strong>Jahre</strong><br />
hinweg beibehalten und finden sich heute noch auf<br />
den meisten der vorhandenen<br />
Twister dieser Herkunft.<br />
Unterschiede gab<br />
es bei den Gondeln und<br />
Gondelschirmen: Neben<br />
den offen gestalteten Sitzelementen<br />
und den mit einem<br />
Drahtgeflecht überspannten<br />
Schirmkörben<br />
existieren auch Exemplare<br />
mit geschlossenen<br />
Schirmen und plastisch<br />
geformten, ebenfalls geschlossenen<br />
Gondeln.<br />
Holländische Twister stehen<br />
in der deutschen <strong>Kirmes</strong>landschaft<br />
auch heute<br />
noch reichlich zur Verfügung.<br />
Eine ganze Reihe<br />
von Twistern aus Nijmegen dreht<br />
sich in den neuen Bundesländern;<br />
zwei davon gelangten bereits 1969<br />
und 1970 in den Staatszirkus der<br />
DDR, weitere Exemplare kamen<br />
nach der Wende dorthin. Beim Twister<br />
der württembergischen Firma<br />
Maier ist sogar noch die Originalbezeichnung<br />
„Airborne” zu lesen.<br />
Den alten „Münchner Sessellift”<br />
entdeckten wir noch um 1990 mit<br />
Originalschriftzug unter der Regie<br />
des Schaustellers Jansen. In München<br />
gab es unter der Bezeichnung<br />
„Olympialift” später einen<br />
weiteren De Boer-Twister, der unter<br />
De Boer-Anlage<br />
„Air Swing” von Günter Perz<br />
71
60ER-JAHRE<br />
FOTOS<br />
Archiv Horn, Zirkusarchiv<br />
Winkler, Archiv Scholz, Archiv<br />
Schwarzkopf, Archiv<br />
Perz, Michael Bonhoff, Daniel<br />
Kägi, Rudolf Hein<br />
Die Windrose<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Sessellift-<br />
<strong>Karussells</strong>, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
7/2001, Seiten 40-43, Dietmar<br />
Winkler: Staatszirkus<br />
der DDR, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
1+2/2001, Seiten 34-37<br />
Schausteller Kreis<br />
auch zu Wiesn-Ehren<br />
gekommen ist und den<br />
später der in Coburg<br />
beheimatete Harald<br />
Mölter übernahm.<br />
Im Gegensatz zur enormen<br />
Stückzahl der holländischen<br />
Twister beantwortet<br />
Schwarzkopf<br />
die Frage nach den<br />
tatsächlich realisierten<br />
„Skilift”-Anlagen mit<br />
„circa fünf”. Den Skilift<br />
gab es im Lauf der Zeit<br />
in unterschiedlichen<br />
Ausführungen, die<br />
analog zu Enterprise<br />
oder Monster mit Ziffern<br />
benannt wurden.<br />
Im Gegensatz zu den<br />
Anlagen aus Nimwegen<br />
waren die<br />
Schwarzkopf - Twister<br />
alle mit einem leicht ansteigenden<br />
Podium<br />
und ausschließlich mit einer Rückwandszenerie ausgestattet.<br />
Der Typ I hatte kleine flache Blechschirme,<br />
die beim Skilift II den klassischen Drahtkörben wichen.<br />
Die Daten des Skilift II gibt ein erhalten gebliebener<br />
Schwarzkopf-Katalog folgendermaßen wieder: Grundfläche<br />
20 m, 12 Sitzkörbe für je zwei Personen, Anschlusswert<br />
circa 90 kW, Kapazität circa 900 Personen<br />
pro Stunde. Der Schweizer Ernst Rodel betreibt<br />
heute noch einen Skilift, den sich sein Vater in den<br />
60er-<strong>Jahre</strong>n zugelegt hatte. In einem Freizeitpark in<br />
Kroation dreht sich ebenfalls noch ein Skilift aus der<br />
Schwarzkopf-Produktion. Die „Windrose” von Schip-<br />
Skilift, Ernst Rodel und Firmenprospekt<br />
pers gelangte später in den Besitz der Firma Hardt.<br />
Unter dem Namen „Hollywood Swing” war bis 1976<br />
Theo Lehmann aus Mannheim mit einem Karussell dieses<br />
Typs unterwegs gewesen. Lehmann kaufte dann<br />
1978 den Skilift III, einen Riesentwister mit 20 Sitzkörben<br />
für je 2 Erwachsene und 1 Kind, der einen gewaltigen<br />
Gesamtdurchmesser von 25,5 Meter aufweisen<br />
konnte.<br />
Holland und Deutschland waren jedoch nicht die einzigen<br />
europäischen Länder, in denen bereits in den<br />
frühen bis mittleren <strong>1960er</strong>-<strong>Jahre</strong>n hydraulische Twister-Anlagen<br />
gebaut wurden. Auch die Italiener waren<br />
früh schon mit von der Partie. Der „Airlift” etwa war ein<br />
Fabrikat der Firma Spaggiari & Barbieri, das ebenfalls<br />
bereits um die Mitte der 60er-<strong>Jahre</strong> die hiesige<br />
Sessellift-Landschaft aufmischte und das noch heute<br />
unter der Firma Hof in Nordrhein-Westfalen zu finden<br />
ist. Trotz der Vielzahl an Holland-Twistern und mehrerer<br />
weiterer <strong>Karussells</strong> anderer Hersteller waren die<br />
60er-<strong>Jahre</strong> hierzulande nur der Beginn einer riesigen<br />
Twister-Woge, die in den 70ern über Deutschland<br />
schwappte, dann aber in zunehmenden Maße mit neu<br />
gebauten Anlagen der Firmen Reverchon und vor<br />
allem Fähtz.<br />
■<br />
72
CARAVELLE<br />
60ER-JAHRE<br />
Die Urversion von<br />
1962, Produkt und Entwurf<br />
FOTOS<br />
Archiv Judenhofer<br />
Die Caravelle stammt aus dem Hause Schwarzkopf.<br />
Ausgeliefert wurde das Karussell als Einzelstück<br />
1962 für den Münchner Schausteller Karl Judenhofer.<br />
Das Urkonzept sah einen Drehkörper mit zwölfteiligem<br />
Auslegerverbund vor, der über eine Scherenhubkonstruktion<br />
mittels einer Hydraulikpresse auf einen Neigungswinkel<br />
von 40° hochgestellt werden sollte. Zwischen<br />
den Auslegern sollten stark ausschwingende,<br />
raumschiffähnliche Passagiergondeln für je zwei Personen<br />
aufgehängt werden, in denen die Fahrgäste<br />
eine rasante Schwungreise in schiefer Kreisbahn vollziehen<br />
konnten. Die Gesamtanlage sollte mit einem<br />
leicht schräggeneigten Podium und einer opulenten<br />
Rückwand ausgestattet werden. In der Realisierung<br />
mussten beim Neigungswinkel Abstriche gemacht<br />
werden. Die schweren Blechgondeln schwangen so<br />
stark aus, dass die Passagiere bei zu starker Schrägstellung<br />
des <strong>Karussells</strong> aus den Sitzen geschleudert<br />
worden wären. Doch auch die tatsächlich erreichten<br />
28° bis 30° hatten es noch in sich. Die Gondeln waren<br />
jede an vier beweglich gelagerten Stangen aufgehängt;<br />
sie pendelten bei der Fahrt nicht nur seitlich<br />
aus, sondern auch vor und zurück.<br />
Das fertige Karussell hatte einen Durchmesser von 18<br />
Metern, erreichte eine Flughöhe von gut 8 Metern, bot<br />
24 Personen Platz, der Anschlusswert lag bei 44 kW.<br />
Premiere hatte die Caravelle auf der Maidult in Passau..Es<br />
dauerte nicht lange, und das Karussell entwickelte<br />
sich zum Problemfall: Den Leuten wurde reihenweise<br />
speiübel. Der Entschluss, das Karussell wieder<br />
abzutreten, folgte sehr bald. Die Bilanz indes war<br />
so schlecht, dass kein Käufer für das fast neue Geschäft<br />
zu finden war. So kam es zu einem Kompromiss:<br />
Das Karussell wurde von Schwarzkopf zum Sessellift<br />
umgebaut. Auf dem Straubinger Gäubodenfest 1963<br />
spielte Caravelle zum letzten Mal in der Urversion. Vier<br />
Wochen später, auf der Münchner Wiesn, präsentierte<br />
sie sich bereits im neuen Kleid: Das Podium war auf<br />
21 Meter Durchmesser vergrößert,<br />
die Ausleger waren<br />
verlängert worden. Anstelle<br />
der „schwimmenden” Jets<br />
wurden die eben neuentwickelten<br />
Twister-Gondeln<br />
in etwas größerer Version<br />
montiert. Das Vor- und Zurückschwingen<br />
der Gondeln<br />
war nach dem Umbau<br />
noch in gemäßigter Form<br />
vorhanden, der seitliche<br />
Ausschwung jedoch – auf<br />
Stoßdämpfer verzichtete man bei dieser Sonderform<br />
des Twisters – nach wie vor gewaltig. Die Twister-Caravelle<br />
erreichte eine Flughöhe von etwa zehn Metern,<br />
die Neigung des Drehverbundes betrug jetzt 38°. In<br />
dieser Zwitterform fand das Karussell sein fahrwilliges<br />
Publikum, und es tourte bis einschließlich 1979 ausschließlich<br />
durch Bayern. 1982 erwarb der holländische<br />
Schausteller A. Speelman das Karussell; er taufte<br />
es „Disco Swing” und veräußerte es 1990 nach<br />
Marokko.<br />
■<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Caravelle –<br />
Twister mit Vergangenheit,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 1+2 1997,<br />
Seiten 44-45<br />
Caravelle 1963 nach<br />
dem Umbau
60ER-JAHRE<br />
ALLROUND<br />
Kochs Radar, 1963<br />
Renoldi 1967 auf dem<br />
Münchner Oktoberfest<br />
Skizze zum Allround, Karl<br />
Meier, TÜV München<br />
Parallel zum Twister, der im Lauf der Jahrzehnte zum<br />
auflagenstarken Klassiker avancierte, kam 1963 –<br />
also nur mit geringer Zeitverzögerung – der „Allround”<br />
auf den Markt, die ausgeklügelte Antwort der Memminger<br />
Firma Klaus auf die Kreationen aus Holland<br />
und Münsterhausen. Der Allround war bereits eine<br />
Weiterentwicklung: Sein 16-teiliges Drehwerk wurde<br />
durch eine Scherenkonstruktion in Verbindung mit<br />
zwei Hydraulikpressen angehoben und schräggestellt.<br />
Die Scherenkonstruktion konnte über einen<br />
Drehwerksantrieb zusätzlich rotieren, so dass beim<br />
Allround eine doppelte Drehung einen gesteigerten<br />
Fahreffekt lieferte. Allround war ein Karussell mit 23<br />
Metern Durchmesser Grundfläche, das bis zu 48 Passagiere<br />
aufnehmen konnte und eine Höhe von 16 Metern<br />
erreichte.<br />
Trotz seiner Attraktivität blieben Stückzahl und Verbreitung<br />
des Allround überschaubar. Klaus baute insgesamt<br />
sieben Anlagen, die ausschließlich an deutsche<br />
Schausteller verkauft wurden. Sechs davon wurden<br />
non stopp im ersten Halbjahr 1963 mit den Typenbezeichnungen<br />
A111D, A112D, A113D, A114 D,<br />
A115 D und A116 D ausgeliefert. Das erste Exemplar<br />
erhielt Georg Koch aus München, der, inspiriert von<br />
der um die eigene Achse rotierenden Form des <strong>Karussells</strong>,<br />
die Bezeichnung „Radar” wählte. Nummer 2<br />
ging an Löffelhardt aus Hamburg, Nummer 3 an Renoldi<br />
aus Bremen, Nummer 4 an Beuermann in Berlin,<br />
Nummer 5 an Fock in Neumünster und Nummer 6 an<br />
Heinz Fähtz in Edelsberg. Als Nachzügler verließ am<br />
5. April 1968 mit der Nummer A127D das 7. Allround-<br />
Exemplar für den künftigen Besitzer Johannes Krug<br />
aus München die Memminger Werkshallen.<br />
Mit Ausnahme der Löffelhardt-Anlage, die nach 1965<br />
ins Ausland verkauft wurde, hielten sich die anderen<br />
sechs Klaus-Allrounds bis in die Gegenwart in<br />
Deutschland. Kochs „Radar” wurde aus familiären<br />
Gründen sehr bald weiterverkauft und war nur im Pre-<br />
74
mierenjahr auf Spitzenplätzen wie München oder Bremen<br />
mit von der Partie. Das Geschäft ging zunächst<br />
an Schausteller Mocken über– der es auf Top-Veranstaltungen<br />
wie die Cranger <strong>Kirmes</strong> zurückbrachte – ,<br />
gelangte später für viele <strong>Jahre</strong> in den Besitz der Firma<br />
van Elkan, wurde dort im Miami-Design umdekoriert<br />
und 1997 an die Firma Jehn / Heim GbR in die neuen<br />
Bundesländer verkauft. Die Firma Renoldi behielt ihren<br />
„Allround” bis zum Ende der 60er-<strong>Jahre</strong>. Dieses Karussell<br />
hatte 1967 ein einziges – unverhofftes – Gastspiel<br />
auf dem Münchner Oktoberfest und unterbrach<br />
deswegen seine kontinuierliche Präsenz auf dem<br />
gleichzeitig stattfindenden Kramermarkt in Oldenburg.<br />
In jenem Jahr wurde es dort<br />
durch Beuermanns Allround vertreten,<br />
der im Jahr zuvor den Platz in<br />
München hatte, dort aber 1967 seinen<br />
neuen Polyp aufbaute. Renoldis<br />
Geschäft gelangte über die Firma<br />
Franke in den Besitz der Familie Klinge<br />
aus Koblenz, die in den 70ern die<br />
Gondeln mit Drehmotoren aufrüstete<br />
und das Karussell später an die Firma<br />
Kromin veräußerte. Beuermanns<br />
Allround übernahm um 1968/69 die<br />
Firma Krabbe aus Gronau. Auch diese<br />
Anlage erhielt im Lauf der Zeit<br />
Drehgondeln und wurde 1997 an die<br />
Firma Heckel in die neuen Bundesländer<br />
verkauft. Auch Focks Allround<br />
wechselte noch in den 60er-<strong>Jahre</strong>n<br />
den Besitzer und wanderte vom hohen<br />
Norden in den tiefen Süden: Leo<br />
Winter übernahm um 1968 dieses<br />
Karussell, das noch heute in Famili-<br />
60ER-JAHRE<br />
Radar, Ende der 60er-<strong>Jahre</strong><br />
FOTOS<br />
Archiv Gunz, Archiv Renoldi,<br />
Michael Bonhoff, Sicherheit<br />
Fliegender Bauten,<br />
1970, Münster-Send,<br />
Synode – Markt – Volksfest,<br />
1986, Seite 153<br />
Leo Winters Allround<br />
enbesitz seine Runden dreht. Ebenfalls nach München,<br />
wenn auch nur für eine Saison unter der Leitung<br />
von Eduard Rosai, kam der Allround von Heinz Fähtz.<br />
1981 nahm dieser das Karussell wieder zurück; später<br />
wurde es an die Firma Ahrend aus Lübbrechtsen<br />
veräußert und zum „La Bamba” umgestaltet. Letzte<br />
Station dieses Allrounds war die Firma Zintel in Berlin.<br />
Der Krug-Allround schließlich ist noch immer in der<br />
Hand des Erstbesitzers. Das Münchner Oktoberfest ist<br />
bis heute ein besonderes Pflaster für Allround-<strong>Karussells</strong>.<br />
Winter war von 1969 bis 1981 Stammgast, Krug<br />
von 1968 bis 1985. Beide <strong>Karussells</strong> erlebten inzwischen<br />
Wiesn-Comebacks: Krug 1997, Winter 2005.<br />
Nachdem Klaus 1971 die Karussellproduktion eingestellt<br />
hatte, erwarb die Firma Fähtz die Rechte an diesem<br />
Karussell und baute dann weitere vier Exemplare,<br />
die durch anders gestaltete Umzäunungen und andere<br />
Gondeltypen zu identifizieren sind.<br />
■<br />
Johannes Krugs Allround<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Sessellift-<br />
<strong>Karussells</strong>, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
7/2001, Seiten 40-43, Karl<br />
Ruisinger: Allround – der<br />
Klaus-Klassiker, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 11+12/96, Seiten<br />
22-26<br />
75
60ER-JAHRE<br />
SPRUNGSCHANZE<br />
Tissot<br />
Squaw Valley von<br />
In den 60er-<strong>Jahre</strong>n entstand in Deutschland bei der<br />
Firma Mack dieser eigenwilliger Fahrgeschäftstyp;<br />
seine Entwicklungsgeschichte reicht jedoch zurück in<br />
das Jahr 1958, und sie hat ihren Ursprung in Amerika,<br />
in der Werkstatt von Lowell Stapf und Norman Bartlett.<br />
Das Karussell hatte einen kreisförmigen Schienenkranz,<br />
der flach auf dem Boden verlief, um an einer<br />
Stelle plötzlich in einem Winkel von 38° anzusteigen<br />
und am Ende der Steigung steil abzufallen zurück auf<br />
das Bodenniveau. Beschleunigte man den von der<br />
Mitte aus angetriebenen und auf einem Rad über den<br />
Schienenkranz laufenden Ausleger, so hob er am<br />
Ende dieser Rampe ab und „flog“ bis zum Aufsetzen<br />
frei in der Luft. Da das Abheben und plötzliche Abstürzen<br />
das magenkribbelnde Gefühl eines Roller Coasters<br />
erzeugte, einigte man sich auf die Bezeichnung<br />
„Flying Coaster“. Insgesamt wurden acht Ausleger gebaut,<br />
an deren äußeren Enden über den Laufrädern 4-<br />
sitzige Gondeln befestigt und mit aufpralldämpfenden<br />
Luftkissen sowie handelsüblichen Stoßdämpfern versehen<br />
wurden. Jeder Ausleger wurde zusätzlich über<br />
eine Zugstange mit einem in der Mitte angehängten<br />
Hydraulikzylinder verbunden, der ähnlich einem Türschließmechanismus<br />
den Zeitpunkt des Aufsetzens<br />
verzögern und für eine sanfte Landung sorgen sollte.<br />
Die Hydraulikdämpfung wurde so konstruiert, dass die<br />
Zylinder beim Fallen nur langsam nachgaben, beim<br />
Ansteigen der Arme sich dagegen schnell und leicht<br />
zusammendrücken ließen. Als Gondeln dienten<br />
schlichte, gepolsterte Sitzbänke<br />
mit Sicherheitsbügel und luftdurchlässigem,<br />
grobmaschigem<br />
Fußbodenrost. Bereits im August<br />
1958 konnten sich Bartlett und<br />
Stapf mit dem neuen Karussell bei<br />
den Cetlin & Wilson Shows auf der<br />
großen Ionia Free Fair in Michigan<br />
einbuchen. Die genial einfach<br />
Konstruktion, die hohe Kapazität<br />
und vor allem der enorme Publikumszuspruch<br />
beeindruckte die<br />
Kollegen. Entsprechend groß war<br />
am Ende die Zahl der Kaufinteressenten.<br />
Bartlett hatte sich<br />
seine Idee unter der Nr. U.S.<br />
2,895,735 patentieren lassen, eine<br />
professionelle Statik hatte der <strong>Spezial</strong>ist<br />
Carlos Harrington aus Buffalo, N.Y., beigesteuert.<br />
Somit war das Konzept nun serienreif. Stampf beendete<br />
nach dem Bau des elften Flying Coasters seine<br />
Funktion als Hersteller. Die Firma Aeroaffiliates Inc.<br />
übernahm die weitere Produktion der Flying Coaster in<br />
US-Exklusivlizenz von Bartlett. Bereits 1962 konnte<br />
man so bereits auf 60 im Betrieb befindliche Anlagen<br />
verweisen, insgesamt sind wohl weit über 70 Stück gebaut<br />
worden.<br />
76
Nun begann die Idee sich auch in Deutschland Bahn<br />
zu brechen. Die Firma Mack in Waldkirch hatte sich<br />
zwischenzeitlich ebenfalls um eine Lizenz bemüht,<br />
nachdem der Münchner Schausteller Heinz Distel bei<br />
seinen Erkundungsreisen nach Übersee den Flying<br />
Coaster entdeckt hatte und bei Mack bauen lassen<br />
wollte. Im Team mit Hans Drayer, der im April 1961 gerade<br />
seine Arbeit als Konstrukteur bei der Firma aufgenommen<br />
hatte, und dem Kunstmaler und Designer<br />
Heinz Opitz sen. entwarf Franz Mack anhand der amerikanischen<br />
Pläne eine ganz eigene, eben typische<br />
Mack-Version dieses <strong>Karussells</strong>: die „Sprung Schanze“.<br />
Aus dem schlichten amerikanischen Vorläufer<br />
wurde ein aufwändig inszeniertes Gesamtkunstwerk.<br />
Die Laufschiene wurde angehoben, ein umlaufendes<br />
Einstiegspodium und ein seitlich überdachter Rundlauf<br />
gebaut, eine 7 Meter hohe, mehrteilige und damit<br />
plastisch wirkende Rückwand entworfen. Die Ausleger<br />
drehten sich im Gegensatz zum Original nun im Uhrzeigersinn.<br />
Statt der Rohrkonstruktion verwendete<br />
Mack flache, kastenförmige Stahlarme, die zur Reduzierung<br />
von Gewicht und Luftwiderstand der Länge<br />
nach mit großen runden Löchern versehen und rundherum<br />
mit zweifarbigen Lichtleisten verziert wurden.<br />
Die Gondeln wurden anstelle der Luftfederung mit Spiralfedern<br />
ausgestattet, der Antrieb erfolgte elektrisch<br />
über einen Kugeldrehkranz, wie er in ähnlicher Form<br />
bei den Flugzeugkarussells von Klaus vorkam. Die<br />
Fahrweise entsprach dem amerikanischen Vorbild.<br />
Die Chaisen stammten aus den<br />
Werkstätten der Gebrüder Ihle in<br />
Bruchsal; zunächst lieferte diese<br />
Firma ein an ein Automobil erinnerndes<br />
Fahrzeug mit Scheinwerfern,<br />
Kühlergrill und Heckflossen,<br />
das im Zusammenhang mit dem<br />
geplanten Skisprung-Thema in gewisser<br />
Hinsicht einen Stilbruch<br />
darstellte. Im Nachhinein hilft diese<br />
Gondelform jedoch heute bei<br />
der zeitlichen Zuordnung der Geschäfte.<br />
Insgesamt drei Anlagen<br />
wurden mit diesen Fahrzeugen<br />
ausgestattet, ein „Tourbillon Blanc“<br />
(Weißer Wirbel) mit Winterdekoration<br />
ging damals nach Belgien, eine nach den olympischen<br />
Winterspielen von 1960 in den USA „Squaw Valley“<br />
getaufte Anlage wurde an den Schweizer Schausteller<br />
Gilbert Tissot geliefert, und eine Anlage mit dem<br />
amerikanischen Originaltitel „Flying Coaster“ wurde<br />
von Robert Lehmann und seinem Kompagnon Julius<br />
Kinzler in Auftrag gegeben. Das zweite für Deutschland<br />
bestimmte Geschäft sollte schließlich Heinz Distel<br />
erhalten, zu dessen ausstattungstechnischen Sonderwünschen<br />
dann auch eine leicht veränderte Gondelgestaltung<br />
zählte. Hier wurde auf Scheinwerfer und<br />
Kühlergrill verzichtet, stattdessen erinnerte die kufenartig<br />
geschwungene und mit Blinkerlämpchen verzierte<br />
Frontpartie der neuen Gondeln nun eher an breite<br />
Schlitten. Der besonders ausgeprägte Hang zur Individualität<br />
in jener Zeit spiegelt sich übrigens besonders<br />
schön in den Gestaltungswünschen dieser beiden<br />
deutschen Schaustellerfirmen wider. Während<br />
Heinz Distel für seine „Münchner Sprung Schanze“<br />
das Schneethema aufgriff und sich von Maler Opitz<br />
und Bildhauer Willi Liszt eine geradezu märchenhaftschöne<br />
Winterlandschaft mit beleuchteten Tannenbäumen<br />
und Knusperhäuschen zaubern ließ, zu der<br />
sich noch ein großer, janusköpfiger Schneemann mit<br />
zwei Gesichtern (vor der Fahrt grimmig, nach der Fahrt<br />
fröhlich) und lebensgroße Skispringerfiguren auf den<br />
Gondeln gesellten, entschied sich Familie Lehmann<br />
für eine sommerliche Meeresstrand- und Badeszenerie<br />
von Opitz, komplett mit Motorboot, wellenreitenden<br />
60ER-JAHRE<br />
Wasserski-Läufern und einer<br />
dickbäuchigen Bademeister-Karikatur<br />
in der Mitte.<br />
Von dem exotischen<br />
„Flying Coaster“ abgesehen,<br />
setzte sich jedoch für<br />
diesen Karusselltyp generell<br />
das Wintersportthema<br />
durch. So erhielt 1963 die<br />
Heinz Distels<br />
Sprungschanze<br />
77
60ER-JAHRE<br />
Theodor Rosenzweigs<br />
Olympia Sprung Schanze<br />
Zwölfarmige Squaw Valley<br />
Firma Theodor Rosenzweig aus Köln-Ehrenfeld eine<br />
„Olympia Sprung Schanze“ in fast identischer Aufmachung<br />
zu Distels Geschäft. Allerdings erhielten die<br />
Ihle-Chaisen nun in der Mitte der Frontpartie einen<br />
ovalen, sonst an PKWs von Ford verwendeten Scheinwerfer.<br />
Mit diesen drei Geschäften war der deutsche<br />
Markt vorübergehend komplett abgedeckt. Während<br />
Distel die großen Plätze in Bayern, allen voran natürlich<br />
die Münchner Wiesn, aber auch so renommierte<br />
Feste wie den Bremer Freimarkt und den Hamburger<br />
Dom beschickte, stand Lehmanns „Flying Coaster“<br />
neben Stuttgart auch in Hannover, Düsseldorf, Bad<br />
Dürkheim und Bad Kreuznach, während Familie Rosenzweig<br />
überwiegend im Rheinland unterwegs war<br />
und Plätze wie Bonn-Pützchen und Düren anfuhr. Relativ<br />
früh, nach nur knapp drei Saisons, beendete Familie<br />
Lehmann bereits wieder ihren Ausflug ins Rundfahrgeschäft.<br />
Von West-Berlin aus verkaufte Lehmann<br />
das Geschäft in den VEB Staatszirkus in die DDR, wo<br />
man sogleich den amerikanischen<br />
Namen und leider auch die wohl<br />
als dekadent empfundene Wasserski-Kulisse<br />
entfernte. Da 1964<br />
wieder Olympische Winterspiele<br />
waren, wählten auch die neuen Betreiber<br />
das bewährte und eher unverfängliche<br />
Thema Skispringen<br />
und tauften das Geschäft um in<br />
„Flug Schanze“. Patty Conklin dagegen<br />
verliebte sich bei seinen<br />
Oktoberfestbesuchen in Distels<br />
Sprungschanze und holte sie sich<br />
am Ende der Saison '64 nach<br />
Kanada.<br />
In beiden Teilen Deutschlands war<br />
nur noch jeweils eine Anlage dieses<br />
Typs, und besonders der alte<br />
Prototyp in der DDR sorgte zunehmend<br />
für Kopfschmerzen. Bei den<br />
älteren Sprungschanzen versagte<br />
nämlich im Laufe der Zeit immer<br />
mal wieder die komplizierte Ölhydraulik<br />
zur Dämpfung der Fallgeschwindigkeit.<br />
Bei Mack ging man mit diesem Problem<br />
sehr pragmatisch um. Betroffene Geschäfte wurden<br />
dahingehend umgerüstet, dass der Absprungschanze<br />
ein sanfter Abrollhügel angefügt wurde. Bei zwischenzeitlichem<br />
Versagen der Hydraulik wurde so aus<br />
dem Sturz von einem steilen Kliff eine eher behutsame<br />
Fahrt über Berg und Tal. Rosenzweigs „Olympia-<br />
Sprungschanze“ wurde bald entsprechend umgerüstet,<br />
auch die „Squaw Valley“-Bahn von Tissot, als sie<br />
aus der Schweiz zu Mack zurückkam und dann nach<br />
78
on der Sprungschanze, sie wurde somit ausschließlich<br />
für den Export gefertigt. Die vermutlich letzte zwölfarmige<br />
Sprungschanze von Mack ging um 1970 nach<br />
Frankreich. Wohl im Tausch gegen die 8-armige<br />
„Squaw Valley“ und um auf den eingeführten Plätzen<br />
wiedererkannt zu werden, wählte der französische<br />
Kunde zehn <strong>Jahre</strong> nach der amerikanischen Olympiade<br />
erneut diese ungewöhnliche Bezeichnung für das<br />
neue Geschäft.<br />
Die 8-armige „Squaw Valley“ dagegen<br />
verkaufte Mack im Sommer 1971<br />
an die Schaustellerfamilie Welte aus<br />
Osnabrück weiter. Rosenzweigs<br />
Sprungschanze wurde 1969 an die<br />
Münchner Schaustellerfamilie Stey<br />
verkauft und hieß fortan „Münchner<br />
Olympia Sprung Schanze“. Anschließend<br />
reiste Manfred Winter aus Neu-<br />
Ulm kurz mit dem Geschäft, bis es<br />
Ende 1983 von Winfried Wirtele aus<br />
Pleinfeld übernommen wurde. Letzter<br />
Besitzer war ab Ende 2000 die<br />
60ER-JAHRE<br />
FOTOS<br />
Archiv Distel, Archiv Reverchon,<br />
Archiv Hennie<br />
van Oers, Archiv Wirtele,<br />
Archiv Bonhoff, Archiv<br />
Malfertheiner, Archiv Kunze<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Sprungschanze,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue<br />
7/00, Seiten 50-58<br />
Frankreich weiterverkauft wurde. Gleichzeitig tüftelte<br />
man bei Mack an einer eigenen Weiterentwicklung in<br />
einfacherer Ausstattung, mit 12 Auslegern und schmaleren<br />
Gondeln für nur noch bis zu 3 Personen, um die<br />
Belastung der einzelnen Arme zu verringern und die<br />
Kapazität des <strong>Karussells</strong> zu erhöhen. Chaisenlieferant<br />
Ihle nahm dazu zunächst die Grundform der modernen<br />
4-Personen-Gondel und verkürzte sie in der Breite<br />
um zwei Segmente. Wegen der bei<br />
voller Geschwindigkeit auftretenden<br />
enormen Fliehkräfte mussten die<br />
breiten Originalgondeln in der Mitte<br />
der Sitzreihe unterteilt sein, um den<br />
innen sitzenden Fahrgästen Halt zu<br />
bieten. Die neuen, schmaleren Gondeln<br />
hatten nun eine durchgehende<br />
Sitzbank und wurden auch nicht<br />
mehr zusätzlich mit angehängten Figuren<br />
belastet. Die hatten bei den<br />
Vorgängermodellen nämlich früher<br />
oder später tatsächlich den „Absprung“ geschafft und<br />
wurden zuletzt sowieso nur noch als feststehende<br />
Dekoration genutzt. Erstaunlicherweise fand sich in<br />
Deutschland kein Interessent mehr für die neue Versi-<br />
Familie Kollmann aus dem niederbayerischen Pfarrkirchen.<br />
Lehmanns ehemaliger „Flying Coaster“<br />
schließlich hat jenseits des Eisernen Vorhangs die<br />
langen DDR-<strong>Jahre</strong> überdauert.<br />
■<br />
Das frühere Lehmann-Geschäft<br />
in der DDR<br />
beim Zentralzirkus (links) und<br />
unter Schausteller Kunze<br />
79
60ER-JAHRE<br />
TRABANT<br />
Jürgen Wilds „The<br />
Allround Swing”, aktueller<br />
Zustand<br />
Die Geschichte des Trabant beginnt 1966 in den<br />
Werkstätten der Firma Nijmeegs Lasbedrijf aus<br />
Nijmeegen/Holland. Laut Baubuch wurden die Konstruktionspläne<br />
des Mittelbaus Ende 1966, der Rest<br />
(Podium, Gondelkonstruktion) Anfang 1967 erstellt.<br />
Die Auslieferung erfolgte im April 1967 unter dem Namen<br />
„The Allround Swing”. Erstbesitzer war die Firma<br />
Endres aus Worms. Das Geschäft hat einen Durchmesser<br />
von nur 15 m und erreicht eine Flughöhe von<br />
circa 8 m. Seine zwölf im 60er-<strong>Jahre</strong>-Look gestalteten<br />
Gondeln fassen 24 Personen.<br />
Zunächst beginnt sich der Hauptdrehkranz mit den<br />
darunterhängenden Gondeln zu drehen. Nach Erreichen<br />
seiner Drehzahl (19 U/min) fängt der Mittelbau<br />
an, in entgegengesetzter Richtung mit kleinerer Drehzahl<br />
(8 U/min) zu rotieren. Sind die Enddrehzahlen erreicht,<br />
wird der Hubbarm mit dem darauf befindlichen<br />
Hauptdrehkranz in 20 Sekunden um 35° angehoben.<br />
Durch die entgegengesetzten Drehungen und das Anheben<br />
entsteht eine Exzenterfahrweise.<br />
Die Firma Endres betrieb dieses Geschäft bis Ende<br />
1971 und verkaufte es dann an die Firma Ertinger, die<br />
allerdings nur eine Saison damit reiste. Auch der neue<br />
Betreiber Otmar Till behielt den „Allround Swing“ nur<br />
bis 1974 (zwei <strong>Jahre</strong>). Von 1974 bis 1982 wurde das<br />
Geschäft von der Firma Schramm aus Schauenstein<br />
betrieben. Seit 1982 ist es in Besitz von Jürgen Wild.<br />
Interessanterweise existierte dieser exotische Karus-<br />
In den frühen <strong>Jahre</strong>n besaß<br />
das Karussell noch Dächer<br />
über den Gondeln<br />
80
60ER-JAHRE<br />
Der Satellit in der<br />
DDR, oben im Zustand der<br />
80er-<strong>Jahre</strong>, unten in Besitz<br />
des VEB Zentral-Zirkus“<br />
FOTOS<br />
Archiv Wild, Karl Ruisinger,<br />
Michael Bonhoff, Zirkusarchiv<br />
Winkler<br />
selltyp parallel in beiden Hälften des damals geteilten<br />
Deutschlands, denn etwa zur gleichen Zeit erhielt<br />
auch die „Abteilung Volksfesteinrichtungen“ des von<br />
Ost-Berlin aus operierenden Staatszirkus der DDR ein<br />
solches Geschäft von dem holländischen Hersteller.<br />
Die Bezeichnung „The Allround Swing“ erschien den<br />
damaligen Verantwortlichen dann aber wohl doch als<br />
„zu amerikanisch“ für den real-sozialistischen Sprachgebrauch.<br />
Also wurde das Karussell kurzerhand „Satellit“<br />
getauft. Um mit der für ein staatliches Unternehmen<br />
ungewohnten Technik westlicher Fahrgeschäfte<br />
zurechtzukommen, wurden vom Staatszirkus immer<br />
wieder gezielt Schaustellersöhne oder gut ausgebildete<br />
Vorarbeiter der selbstständigen Schausteller der<br />
DDR angeworben. Auf diese Weise wurde Lutz Hucke<br />
Geschäftsführer des seit 1969 volkseigenen „Satellit“.<br />
Da das Geschäft damals noch nicht über eine hydraulische<br />
Aufbauhilfe verfügte, musste der Mittelbau<br />
per Hand mit Winden angehoben werden, um dann die<br />
Achsen herausziehen und das Karussell auf die acht<br />
Füße absetzen zu können. Weil sich die ursprünglich<br />
verwendeten Hilfsmittel als zu schwach erwiesen, organisierte<br />
Hucke moderne 20 t-Winden, um den Koloss<br />
auf- und abzubauen. Auch die vom Hersteller mitgelieferte,<br />
aus vier Wänden zusammenzubauende<br />
Kasse wurde gegen einen Bastei-Campingwagen<br />
ausgetauscht, in den dann die gesamte Elektroanlage<br />
und die in Eigenleistung erstellte Lauflicht- und Musikanlage<br />
fest installiert werden konnten. Am Ende<br />
brauchte das Karussell den internationalen Vergleich<br />
nicht zu scheuen, ja in puncto Fuhrpark wurde alles<br />
bisher Dagewesene in den Schatten gestellt, denn der<br />
VEB Staatszirkus genoss zu DDR-Zeiten beneidenswerte<br />
Vorteile bei der Material- und Fahrzeugzuteilung.<br />
1989 wanderte der Satellit in den Ost-Berliner<br />
Kulturpark Plänterwald. Anschließend wurde er von<br />
der Firma Zortel übernommen, dann reiste Heinz-<br />
Günther Schoppe damit in der Lausitz. Seit 2001 ist<br />
das Karussell – als „Ramba Zamba” generalüberholt<br />
– in Besitz von Henry Wittmann aus Nürnberg. ■<br />
QUELLE<br />
Michael Schottenloher /<br />
Michael Bonhoff: The Allround<br />
Swing, Trabant am<br />
<strong>Kirmes</strong>himmel, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
6/97, Seiten 26-28<br />
Dietmar Winkler: Staatszirkus<br />
der DDR, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
1+2/01, Seiten 34-37<br />
81
60ER-JAHRE<br />
PASSAT<br />
Der Original-Passat<br />
von 1964 wurde verwirrenderweise<br />
auf den Werbefotos der<br />
Firma Klaus mit derem Logo<br />
abgebildet<br />
Nach dem Verkauf seines Zyklon ließ Erich Winter<br />
bei der ehemaligen Hamburger Stülcken-Werft einen<br />
neuen Schienenbogen anfertigen, der diesmal jedoch<br />
nicht mit einer Verzahnung ausgestattet sein<br />
musste. Anstelle des Getriebemotors und der Aufwärtsbewegung<br />
des Drehwerks aus eigener Kraft sollte<br />
in der neuesten Version der Einschienenschleuderbahn<br />
erstmalig ein Hydraulikzylinder zum Einsatz kommen.<br />
Ein von diesem bewegter Hubarm sollte künftig<br />
das auf Rollen gleitende Drehwerk mit den 12 zwischen<br />
sternformigen Auslegern aufgehängten Gondeln<br />
heben und senken. Sämtliche Arbeiten, von der<br />
Gleitschiene über den Gondelbau bis zur Gestaltung<br />
der charakteristischen Umzäunung mit den stilisierten<br />
Erdhalbkugeln übernahm die Schiffswerft. Wieder erhielt<br />
das Geschäft den Namen eines tropischen Windes,<br />
der aber auch nicht nur zufällig an einen berühmten<br />
Hamburger Handelssegler erinnerte: „Passat”.<br />
Der Schienenbogen wies erstmals nach vorn, damit<br />
fand auch die Loopingfahrt im Gegensatz zu den beiden<br />
Vorläufermodellen im vorderen Bereich statt. Also<br />
musste für den Passat erstmals eine richtige Rückwand<br />
angefertigt werden. Familie Winter fuhr mit den<br />
rohen Fassadenteilen, den Panneaus und den Kassenwänden<br />
nach Friedrichshafen am Bodensee, um<br />
dort die Gestaltung von Günter Stritzel ausführen zu<br />
lassen. Es war dieser erfahrene Schaustellermaler,<br />
der das gerade aktuelle Raumfahrtthema für das neue<br />
Geschäft vorschlug, nachdem Winter ihm die Fahr-<br />
82
weise erklärt hatte. Der Kunde war einverstanden, und<br />
so wurde bereits für die gesamte weitere Entwicklung<br />
dieser <strong>Karussells</strong> die allen gemeinsame thematische<br />
Richtung vorgegeben. Neben der reinen Malerei entwarf<br />
der Polyesterfachmann auch das beleuchtete,<br />
lächelnde Mondgesicht, das den oberen Abschluss<br />
des Bogens bildete und zum typischen Erkennungsmerkmal<br />
künftiger Schleuderbahnen werden sollte.<br />
Mit dem Passat konnte sich Erich Winter die Grandplätze<br />
aussuchen; durch einen Gebrauchsmusterschutz,<br />
der 1965 sogar in ein Patent umgewandelt<br />
wird, sicherte er seine Monopolstellung. Als aus<br />
Holland die Kunde zu hören war, dass die Firma Bakker-Denies<br />
ein Looping-Karussell entwickelte, entschloss<br />
sich Winter, für einen holländischen Interessenten<br />
eine Nachbaulizenz an die Memminger Karussellfabrik<br />
Kaspar Klaus zu vergeben. So entstand dort<br />
eine exakte Kopie des von der Hamburger Werft gebauten<br />
Passat, inklusive der geschmiedeten Weltkugelgitter<br />
und einer bei Stritzel in Auftrag gegebenen<br />
Malerei. (Für Verwirrung bei den Recherchen sorgte<br />
übrigens die Tatsache, dass die Firma Klaus Fotos des<br />
Original-Passats mit dem eigenen Firmenlogo versehen<br />
hat, was lange Zeit die richtige Zuordnung erschwerte.)<br />
Im April 1967 wurde als Anlage Nr. Ps 121<br />
H der erste Passat aus dem Hause Klaus an den<br />
holländischen Schausteller J. Peeters aus Heerlen<br />
ausgeliefert, der auf der <strong>Kirmes</strong> von Haarlem Premiere<br />
feierte. Obwohl das Erscheinungsbild und die Fahrweise<br />
als beeindruckend empfunden wurden, konnte<br />
sich der Passat in unserem Nachbarland offenbar<br />
nicht durchsetzen. Bereits ein<br />
Jahr später wurde das Geschäft<br />
nach Deutschland<br />
zurückverkauft an die Münchner<br />
Schaustellerfamilie Feldl,<br />
die damit 1969 Topplätze wie<br />
die Cranger <strong>Kirmes</strong> oder das<br />
Münchner Oktoberfest hielt<br />
und es nach Eintreffen des<br />
Swing-Around 1970 nach<br />
Amerika exportierte (wo der<br />
Klaus-Passat übrigens zunächst<br />
einige <strong>Jahre</strong> in einem<br />
New Yorker Vergnügungspark<br />
stand und dann zu den Ray<br />
Cammack Shows in Arizona<br />
wechselte).<br />
Nun entschloss sich auch Erich<br />
Winter zu einer Neuanschaffung.<br />
Ebenfalls bei Klaus<br />
in Memmingen gab er eine<br />
weitere Einschienenschleuderbahn<br />
nach seinen patentierten<br />
Konstruktionsunterlagen<br />
in Auftrag. Den Original-<br />
Passat überließ er bereits Ende 1968 seinem jüngeren<br />
Bruder Heinrich. Auch bei dem neuen Geschäft wollte<br />
man dem Raumfahrtthema treu bleiben: „Mond-Lift”<br />
sollte es heißen. Neben einem etwas höheren Ausflug<br />
von 14 Metern und einem nach hinten leicht schräg ansteigenden<br />
Podium wurde als besonderer Clou bei der<br />
Firma Mack in Waldkirch eine spezielle, aufwändig ge-<br />
60ER-JAHRE<br />
Der erste von Klaus<br />
gebaute Passat ging 1967 an<br />
die holländische Firma Peters<br />
und wurde anschließend von<br />
der Münchner Familie Feldl<br />
übernommen<br />
83
60ER-JAHRE<br />
FOTOS<br />
Archiv Kärger, Archiv<br />
Feldl, Archiv Winter<br />
Winters Mondlift, 1969<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Einschienenschleuderbahnen,<br />
<strong>Kirmes</strong><br />
Revue 11+12/97, Seiten<br />
58-65<br />
Feldls Passat auf der Wiesn 1969<br />
staltete Riesenrückwand bestellt. Die letzten Wochen<br />
vor der Auslieferung des Geschäftes verbrachte<br />
Erich Winter mit Familie und Angestellten<br />
im Werk, um die Fertigstellung zu beschleunigen<br />
und schon die Packwagen mit den nötigen Gerüsten<br />
auszustatten.<br />
Im Laufe der Saison 1969 ging der fertige Mond-<br />
Lift aus Klaus-Produktion auf die Reise, und sogleich<br />
bekam Familie Winter mit diesem<br />
Schmuckstück die Zulassung auf den meisten<br />
wichtigen Veranstaltungen des Landes. Auch in<br />
den folgenden <strong>Jahre</strong>n war der Terminplan vom<br />
Hamburger Frühjahrsdom bis zur Allerheiligenkirmes<br />
in Soest ausgebucht, obwohl zeitweise bis zu<br />
vier Einschienenschleuderbahnen, davon zwei<br />
unter Winter-Regie sowie ein holländischer „Thunderbird”<br />
unter Leitung des Kölner Schaustellers von der<br />
Gathen, gleichzeitig in Deutschland auf der Reise waren.<br />
Die in großen Ziffern über dem Kassenfenster des<br />
Mond-Lift prangende Patentnummer 1478273 ließ<br />
aber keinen Zweifel aufkommen, wer der eigentliche<br />
Urheber dieser Looping-Variante war.<br />
Der Ur-Passat von Heinrich Winter reiste damals ebenfalls<br />
bundesweit, von Niedersachsen über Westfalen<br />
und den Niederrhein bis hinunter ins Saargebiet, um<br />
die Saison schließlich auf dem Hamburger Dom zu beenden.<br />
1971 hatte er dort sein letztes Gastspiel auf heimischem<br />
Boden. Im Verlauf des folgenden <strong>Jahre</strong>s wurde<br />
das Geschäft zerlegt und größtenteils verschrottet,<br />
um sich nicht irgendwann selbst Konkurrenz zu machen.<br />
Nur die auffallige Umzäunung und der „beste”<br />
Bogen von der Stülcken-Werft blieben übrig. Die Zäune<br />
schmückten fortan das Grundstück in Schmalfeld,<br />
während der Bogen zum Grundstock für eine letzte<br />
Einschienenschleuderbahn wurde, den „Super-Passat”,<br />
der dann 1973 Premiere feierte.<br />
Erich Winter war mit seinem Original Mond-Lift noch<br />
bis Mitte der 70er-<strong>Jahre</strong> auf Erfolgstour gewesen, bis<br />
ihn das Aufkommen der freitragenden Loopings vom<br />
Typ „Enterprise” zur Umstellung zwang. Mit dem Verkauf<br />
seines Geschäftes an die Stuttgarter Schaustellerfamilie<br />
Schmidt endete für Erich Winter die Ära der<br />
Einschienenschleuderbahnen, die er 20 <strong>Jahre</strong> zuvor<br />
eingeleitet hatte. Der Mondlift wurde später in „Super-<br />
Lift” umgetauft, die Firma Keller aus Aschaffenburg<br />
wurde dritter Besitzer dieser Anlage. Später übernahm<br />
sie Andreas Zinnecker, der aus dem Karussell den<br />
„Voyager” machte. Im Jahr 2000 ging das Geschäft<br />
dann mit der Familie Barber in Polen auf die Reise. ■<br />
84
BOSSA NOVA<br />
60ER-JAHRE<br />
Bossa Nova von Rick /<br />
Zocher<br />
FOTOS<br />
Archiv Zocher, Archiv Rosai<br />
Als die „Bossa-Nova”-Welle Europa überschwemmte,<br />
kam es 1963 auch zum Bau eines nach diesem<br />
Tanz benannten Scheibenkarussells. „Bossa Nova”<br />
war die holländische Antwort auf den Hula Hoop des<br />
deutschen Herstellers Klaus und stammte aus den<br />
Werkshallen von Nijmeegs Lasbedriif / De Boer. Die eigenwillige<br />
Kreation war ein Unikat und zunächst an<br />
das Schaustellergespann Rick/Zocher (Hannover/<br />
Berlin) ausgeliefert worden. Die Passagiere mussten<br />
über eine schräge Ebene „klettern” und von dort aus<br />
einige Treppen hochsteigen, um das hölzerne Kassenhäuschen<br />
zu erreichen. Auf drei Drehtellern waren jeweils<br />
sechs Gondeln starr angebracht. Zu Beginn der<br />
Fahrt rotierte die Gesamtkonstruktion, anschließend<br />
drehten sich die Teller, und sobald die Maschine richtig<br />
Gas gegeben hatte, hob sich die Anlage schräg auf<br />
eine Höhe von circa 10 Metern. Um 1967 gelangte das<br />
Karussell in den Besitz der Münchner Familie Rosai,<br />
die Ehre eines Wiesn-Gastspiels wurde ihm jedoch<br />
nicht zuteil. 1970 verkaufte man das exotische Karussell<br />
an die österreichische Familie Gschwandtner weiter.<br />
Die imposante Anlage hatte ein Gesamtgewicht<br />
von circa 90 Tonnen, allein die Dekoration mit den hoch<br />
aufragenden Kronen in der Mitte eines jeden Tellers<br />
sowie die Absperrgitter, die<br />
sich während der Fahrt mitbewegten,<br />
brachten einige Tonnen<br />
auf die Waage. Ungewöhnlich<br />
war auch der Mittelbauwagen;<br />
er allein wog 25<br />
Tonnen. Für das Umsetzen waren<br />
vier Transporte nötig, und<br />
mit fünf Arbeitskräften brauchte<br />
man drei Tage für den Aufbau.<br />
Später nahm der holländische<br />
Schausteller Scherphof<br />
den Bossa Nova unter seine<br />
Fittiche und verwendete ihn als<br />
Grundlage für das Karussell<br />
„Reggae”.<br />
■<br />
Das Karussell unter<br />
Familie Rosai<br />
QUELLE<br />
Michael Jantowski: Chronik<br />
Familie Rosai, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 3+4 2000, Seiten<br />
28-28<br />
85
60ER-JAHRE<br />
BAYERNKURVE<br />
Die klassische<br />
Bayernkurve von 1965<br />
Petters Bayernkurve<br />
Die Bayernkurve war eine der<br />
interessantesten Kreationen<br />
aus dem Hause Schwarzkopf. Bei<br />
dieser Anlage handelte es sich<br />
um ein Schienengeschäft: 16 gekuppelte<br />
Chaisen in Form von<br />
Bobs boten Platz für insgesamt 32<br />
Personen und fuhren auf einer<br />
schräg liegenden Schiene. Wie in<br />
einem richtigen Bob saßen die<br />
Fahrgäste hintereinander. Die<br />
formschönen Chaisen waren gelenkig<br />
miteinander verbunden<br />
und kippten mittels kleiner Elektroantriebe<br />
bei zunehmender Geschwindigkeit<br />
nach innen. Somit<br />
wurde eine rasante Fahrt im Eiskanal<br />
vermittelt. Der Antrieb der<br />
Bobs geschah mittels Reibrädern,<br />
die sich an mehreren Stellen zwischen<br />
den Schienen befanden.<br />
Das Geschäft hatte einen Durchmesser<br />
von 21 Metern, der Zug raste<br />
mit circa 60 Stundenkilometern<br />
durch den 200 m langen<br />
Fahrkreis.<br />
Die erste Bayernkurve tauchte 1965 unter der Regie<br />
von Heinz Distel auf. Sie wurde ein Riesenerfolg, und<br />
ähnlich wie sieben Jahr zuvor beim Mack-Calypso betrieb<br />
und veräußerte die Münchner Schaustellerfamilie<br />
mehrere Exemplare hintereinander. Bald meldeten<br />
sich weitere Kaufinteressenten bei Schwarzkopf, und<br />
die Bayernkurve verbreitete sich sehr schnell auf deutschen<br />
Plätzen. Es boomte richtig, und auf dem Höhepunkt<br />
des Erfolgs dürften hierzulande mindestens<br />
acht verschiedene Kurven unterwegs gewesen sein.<br />
Auch der Ost-Berliner Kulturpark hatte eine.<br />
Nicht alle Bayernkurven präsentierten sich im<br />
bayerisch-winterlichen Stil; es gab später auch einen<br />
„Flower Jet” mit bunten Blumenmotiven. Am bekanntesten<br />
blieb jedoch die Wintersport-Aufmachung mit<br />
den olympischen Ringen. Auch der Aussichtsturm,<br />
von dem Max und Moritz über die Anlage schauten,<br />
blieb vielen Volksfestfreunden in Erinnerung. Die letzte<br />
reisende Bayernkurve verschwand um 1986 von<br />
den deutschen Plätzen. Mit einer für damalige Vorstellungen<br />
relativ geringen Kapazität und einer recht<br />
aufwändigen Montage ohne integrierten Mittelbau taten<br />
sich die letzten hiesigen Bayernkurven-Betreiber<br />
wie Vorlop oder Wirsing schwer. Außerdem war zu diesem<br />
Zeitpunkt der Reiz der Anlage abgenutzt – aber<br />
immerhin konnte sich der Typ stolze 20 <strong>Jahre</strong> halten.<br />
86
60ER-JAHRE<br />
Zimmers Schlittenexpress<br />
FOTOS<br />
Archiv Schwarzkopf, Archiv<br />
Zierer, Archiv Petter,<br />
Michael Bonhoff, Archiv<br />
Zimmer, Archiv Renoldi<br />
Insgesamt verkaufte Schwarzkopf zwischen 1965 und<br />
1978 50 Exemplare. Einige der ehemals in Deutschland<br />
reisenden Bayernkurven gelangten als Gebrauchtanlagen<br />
in die USA, die dort meist unter den<br />
Bezeichnungen „Swiss Bobs” oder „Bobsleigh” liefen,<br />
und nach Frankreich und Holland wanderten ebenfalls<br />
mehrere Exemplare, die sich dort gut behaupten konnten.<br />
Auch die Bayernkurve war ein Geschäft, das der<br />
Kanadier Patty Conklin direkt bei einem Besuch auf<br />
dem Münchner Oktoberfest kaufte und es den Conklin<br />
Shows eingliederte.<br />
Heinz Distel war von 1965 bis 1967 mit der Bayernkurve<br />
auf dem Münchner Oktoberfest, bis er seinen<br />
Wiesn-Platz 1968 mit dem „Schwabinchen” belegte.<br />
Dennoch blieb die Münchner Schaustellerfamilie weiterhin<br />
in Besitz einer Kurve, und von 1974 bis 1978 gelang<br />
Schwiegersohn Wolf Clauß damit ein Wiesn-Comeback.<br />
Weitere prominente Bayernkurven-Besitzer<br />
waren Namen wie Bruch, Meeß, Petter oder Schäfer<br />
gewesen sowie der Nürnberger Schausteller Rudi<br />
Lang. 1998 erlebte man hierzulande ein Bayernkurven-Comeback<br />
durch Theo Hardt, der ein bis dahin in<br />
Holland aktives Exemplar nach Deutschland zurückgeholt<br />
hatte.<br />
Um 1967/68 gab es in Deutschland auch Exemplare<br />
mit Dachkonstruktion. Die Familie Zimmer aus Neuwied<br />
beispielsweise besaß den „Schlittenexpress”,<br />
der später nach Coney Island verkauft wurde, und<br />
auch als „Tiger Hai” war ein derartiges überdachtes<br />
und exklusiv ausgestattes Geschäft auf der Reise.<br />
Eine besonders eindrucksvolle überdachte Bayernkurve<br />
war das „Höllentaxi” der Firma Renoldi/Strothmann,<br />
bei dem Teufels- und Hexenfiguren die rasante<br />
Fahrt begleiteten und die hohnlächelnden Fratzen der<br />
Gondel-Gesichter einem schon beim Zuschauen den<br />
Angstschweiß auf die Stirn trieben. In den <strong>Jahre</strong>n 1968<br />
und 1969 ersetzte dieses Karussell die dort nicht mehr<br />
aufgebaute Original-Bayernkurve auf der Wiesn. Das<br />
Höllentaxi wurde in einen französischen Freizeitpark<br />
verkauft; eine Rückkehr in die deutsche <strong>Kirmes</strong>szene<br />
steht bevor – nicht mehr erkennbar im rustikalen Heustadel-Outfit.<br />
■<br />
QUELLE<br />
Ton Koppei: Bayernkurve<br />
von Schwarzkopf, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 8/96, Seiten 28-30.<br />
Renoldis Höllentaxi<br />
87
60ER-JAHRE<br />
RUND UM DEN TEGERNSEE<br />
Die von Spaggiari gebaute<br />
Bahn im Urzustand<br />
FOTOS<br />
Archiv Zierer, Michael<br />
Bonhoff<br />
Gondel der Zierer-Bahn,<br />
1967<br />
Bereits in den frühen 60er-<strong>Jahre</strong>n entwickelte der<br />
Münchner Schausteller Wilhelm Hohmann die<br />
Idee zu diesem rasanten Schienenexpress. Der Originalentwurf<br />
von 1964 sah einen riesigen künstlichen<br />
See vor, um den herum 34 zweisitzige Chaisen, die zu<br />
einem geschlossenen Ring miteinander verbunden<br />
werden sollten, eine rasante Berg- und Talfahrt<br />
vermitteln sollten. In Reggio Emilia fand Hohmann<br />
den an internationalen Aufträgen interessierten<br />
Betrieb von Walter Spaggiari, der die Herausforderung<br />
annahm und das gewünschte Karussell<br />
zunächst als Einzelstück fertigte. Der Prototyp entsprach<br />
äußerlich genau den Vorstellungen des<br />
Auftraggebers und war ein mit 23 Metern Durchmesser<br />
ausgesprochen imposantes Rundfahrgeschäft.<br />
Doch wie so oft bei Pionierleistungen zeigte<br />
das Karussell in technischer Hinsicht gleich auf<br />
den ersten Plätzen erhebliche Mängel. Das Antriebssystem<br />
etwa war ursprünglich mit einem umlaufenden<br />
Seilzug ausgestattet, der auf zwei gegenüberliegenden<br />
Seiten von motorgetriebenen Umlenkrollen<br />
gespannt und in Schwung gebracht wurde. Der Fahrzeugring,<br />
der einschienenbahnähnlich auf einer dreieckigen<br />
Schiene aus Stahlrohren lief, wurde über seitlich<br />
offene Führungslaschen von dem Stahlseil gezogen.<br />
Dabei geschah es auf dem Volksfest im oberfränkischen<br />
Hof, dass das Stahlseil während der Fahrt<br />
riss, sich um einen Bock wickelte und ihn kettensägenartig<br />
durchtrennte. Auf dem Münchner Oktoberfest<br />
1965 stand man zusammen mit Distels neuer Bayern-<br />
Kurve, und Wilhelm Hohmann war klar, dass er mit seinem<br />
Geschäft, das immer mehr Mängel aufwies, auf<br />
Dauer nicht bestehen konnte. Dipl.-Ing. Karl Meier vom<br />
TÜV München empfahl ihm, sich mit der Firma Zierer<br />
zusammenzusetzen, um nach einer Lösung zu suchen.<br />
Dort wurde vereinbart, die in der Praxis bewährten<br />
Teile des Originals zu übernehmen und den<br />
Rest neu zu konstruieren. 1967 ging die neue Tegernseebahn<br />
von Zierer an den Start. Zierers „Chefdekorateur“<br />
Josef Wallner hatte die Rückwand wieder mit<br />
landschaftlich reizvollen Tegernsee-Motiven bemalt.<br />
Auch der Wasserfall, der sich in den künstlichen See<br />
ergoss, fehlte nicht. Doch auch dieses Karussell hatte<br />
mit Schwierigkeiten zu kämpfen, Franz Schwarzkopf<br />
rüstete Ende 1969 die Tegernseebahn erneut um. Der<br />
Buckel am oberen Ende der Bahn fiel weniger steil aus,<br />
die Anzahl der Fahrzeuge wurde auf 32 reduziert. Unter<br />
dem Sitz jeder zweiten Chaise wurde ein 220 Volt<br />
Elektromotor installiert, der über Stromabnehmer gespeist<br />
wird, die auf parallel zwischen den beiden Laufschienen<br />
verlegten Stromschienen entlanggleiten.<br />
Statt der ursprünglichen 6 wurden nun sogar rasante<br />
10 Umdrehungen pro Minute erreicht. In dieser Form<br />
ist die Bahn ein beliebtes Unikat geblieben. ■<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Rund um<br />
den Tegernsee, feuchtfröhlicher<br />
Wiesn-Klassiker,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 9/97, Seiten<br />
40-43<br />
Wiesn-Premiere 1965<br />
88
TORNADO<br />
60ER-JAHRE<br />
Tornado, um 1968<br />
FOTOS<br />
Archiv Hauck-Schaa,<br />
Michael Bonhoff<br />
Die französische Karussellbaufirma Chereau hatte<br />
sich in der Branche bereits mit dem Bau der klassischen<br />
Himalaya-Bahn einen Namen gemacht und<br />
später mit luftgesteuerten Flugzeugkarussells experimentiert.<br />
Die Erfahrungen aus diesen beiden Bereichen<br />
flossen ein in die Konstruktion einer neuen Art<br />
von Berg- und Talbahn, die auch vom Namen her die<br />
Himalayas noch übertreffen sollte: „L'Everest”. Ähnlich<br />
wie bei Macks Luftwipper wurden die Chaisen<br />
während der Fahrt über Luftzylinder nach innen gekippt.<br />
Die Schräglage von etwa 40° ermöglichte eine<br />
rasantere Umdrehungsgeschwindigkeit und ließ die<br />
dabei auftretenden Zentrifugalkräfte für die Fahrgäste<br />
trotzdem erträglich wirken. Der „Everest” hatte auch<br />
eine interessante Kapazität zu bieten. 16 schneeweiße,<br />
aus stabilem Stahlblech geformte Karosserien<br />
in der schnittigen Form amerikanischer Straßenkreuzer<br />
sollten bei Vollauslastung 64 Personen Platz bieten.<br />
Die imposante, auf nur noch vier massiven Säulen<br />
ruhende Dachkonstruktion nahm das erfolgreiche Musik-Express-Design<br />
vorweg. Damals jedoch konnte<br />
Chereau lediglich zwei solcher Anlagen in fast identischer<br />
Aufmachung an französische Schausteller verkaufen.<br />
Zu schwer waren die verwendeten Bauteile für<br />
den Einsatz auf der Reise. Deshalb entwarf Chereau<br />
noch eine leicht veränderte Ausführung mit 20 kleineren<br />
Fahrzeugen und etwas filigranerer Dachkonstruktion,<br />
die „Troika”. Die Versorgung der Luftzylinder erfolgte<br />
in allen Fällen gleich über Kompressoren und<br />
Lufttanks am Mittelbau, von denen aus über zwei<br />
Ringleitungen im Zentrum und Schläuche entlang der<br />
Ausleger die Pressluft zu den Chaisen geführt wurde.<br />
Damit sollte es möglich sein, während der Fahrt entweder<br />
abwechselnd jedes zweite Fahrzeug oder alle<br />
gleichzeitig in die Schräglage zu kippen und so mit<br />
den Fahrgästen zu spielen. Der Saarländer Adolf<br />
Schar bestellte 1965 bei Chereau eine besondere Ausführung<br />
des „Everest” mit insgesamt 20 der großen<br />
Straßenkreuzer-Chaisen und nannte sie „Tornado”.<br />
Dieser Schriftzug war in großen Leuchtbuchstaben<br />
ausgeführt, Adolf Schaa hatte als zusätzlichen Blickfang<br />
eine selbstgebaute Tunnelwand integriert, die mit<br />
winterlichen Landschafts- und Schlittenmotiven bemalt<br />
war. Der Rundlauf führte über drei Berge und<br />
ebensoviele Täler. Während der Bauzeit stellte der<br />
französische Hersteller dann auf Grund finanzieller<br />
Probleme den Betrieb ein, so dass dieses letzte Geschäft<br />
aus der Baureihe bereits von Fremdfirmen fertiggestellt<br />
werden musste. Leider machten sich auch<br />
bald konstruktive Unzulänglichkeiten des Tornado<br />
bemerkbar. Drei <strong>Jahre</strong> kämpfte die Familie Schaa gegen<br />
Probleme an, dann wurde das Karussell nach<br />
Norddeutschland verkauft. Der nächste Besitzer, Otto<br />
Uhse aus Schleswig-Holstein, gastierte mit dem Tornado<br />
auch in Hamburg, wo sich dann ein schwerer<br />
Unfall ereignete. Der „Tornado” war zuletzt als Gebrauchtgeschäft<br />
auf dem Hof einer deutschen Herstellerfirma<br />
gesichtet worden, dann verliert sich seine<br />
Spur.<br />
■<br />
L’Everest-Gondel in Aktion<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: L’Everest,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 10/01,<br />
Seiten 32-34, Helmut Habermann:<br />
Tornado, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 11/99, Seiten 46-47<br />
Tornado, kurz nach der<br />
Fertigstellung 1967<br />
89
60ER-JAHRE<br />
MIRAGE<br />
Hans Doms<br />
3-D Hurrican<br />
Das letzte Kapitel der Geschichte der selbststeuerbaren<br />
Rundfliegerkarussells von Klaus beginnt<br />
1966, acht <strong>Jahre</strong> nach der Markteinführung des Vorgängers<br />
„Schiefer Turm”. Die Titan-Anlagen waren zu<br />
diesem Zeitpunkt noch gut im Geschäft, aber die Firma<br />
Klaus hatte zwischenzeitlich mit einem ganz anders<br />
gearteten Karussell für erneutes Aufsehen gesorgt:<br />
mit der Twister-Weiterentwicklung „Allround”,<br />
bei der das Drehwerk durch eine Scherenkonstruktion<br />
angehoben, schräggestellt<br />
und – zusätzlich zur Rotation<br />
des Auslegerverbundes<br />
– gedreht werden konnte.<br />
Der Erfolg dieses <strong>Karussells</strong><br />
muss die Firma Klaus<br />
veranlasst haben, die dreiteilige,<br />
rotierende Scherenkonstruktion<br />
auch bei den<br />
Selbststeuerkarussells anzuwenden<br />
und diesem Typ<br />
der Auslegerfluganlagen<br />
noch einmal einen neuen<br />
Kick zu verleihen.<br />
Am 12. April 1966 ging der<br />
Prototyp des Mirage in die<br />
Hände des Besitzers Hans<br />
Dom. Mirage war damals,<br />
wenn man so will, die<br />
Quintessenz aller bis dahin<br />
erfolgreich entwickelten<br />
Klaus-<strong>Karussells</strong>: Es verfügte<br />
über die beliebte<br />
Selbststeuerung des Klassikers<br />
Hurricane, potenzierte<br />
das Höhenerlebnis des Vampirs, bot die<br />
prickelnde Schrägfahrt des Schiefen Turms und erweiterte<br />
diese mit der zusätzlichen Drehbewegung der<br />
dreiteiligen Hubkonstruktion, die dem Spaß noch die<br />
„Taumelrotation” des Allround verlieh. Man kann gewiss<br />
sagen, dass mit dem Mirage-Karussell der Höhepunkt<br />
der pneumatisch gesteuerten Rundfliegeranlagen<br />
erreicht war. Dass deren Zeit sich insgesamt<br />
dem Ende zu bewegte, zeigt allerdings die Tat-<br />
90
Zunächst war geplant gewesen,<br />
dass der Korb mit<br />
den Luftkesseln während<br />
des Transportes abgehoben<br />
und auf dem Mittelbau<br />
mit transportiert werden<br />
sollte. Das war aus Gewichtsgründen<br />
nicht zu<br />
realisieren, so dass für<br />
den Korb ein eigener Wagen<br />
gebaut werden musste.<br />
Mirage wurde serienmäßig<br />
von Klaus mit einem<br />
Hydraulikkran geliefert,<br />
der den fünf Tonnen<br />
schweren Korb mit den<br />
Luftzylindern und der<br />
Stromübertragung abnehmen<br />
und die zwölf Ausleger<br />
einhängen konnte.<br />
60ER-JAHRE<br />
Mirage von Biermann<br />
/ Frickenschmidt<br />
sache, dass trotz der Attraktivität insgesamt nur noch<br />
fünf Exemplare dieses Typs angelegt wurden.<br />
Vergleicht man die technischen Daten des Mirage mit<br />
denen seiner Vorgänger, so trifft man nur auf Superlative:<br />
Der größte Flugbahndurchmesser betrug 16<br />
Meter, die Drehzahl lag insgesamt bei 10 U/min. Mirage<br />
erreichte einen Auslegerschwenkbereich von 60<br />
(durch die Schräglage 104) Grad, die Gondelneigung<br />
variierte zwischen -10 und +40 Grad. Die Flugzeuge<br />
erreichten eine maximale Flughöhe von 12,4 Metern,<br />
der Mittelbau stellte sich bis zu 22 Grad in die<br />
Schräglage. Auch bei diesem Karusselltyp waren die<br />
Flugzeuge verstellbar am Ausleger angebracht, die<br />
Gondeln selbst waren eine Weiterentwicklung der bis<br />
dahin üblichen Flugzeuge, sie verfügten unter anderem<br />
über eine V-förmig gespaltene Heckflosse und<br />
einen großen modernen Frontscheinwerfer.<br />
Die dreiteilige, für die zusätzliche Rotation verantwortliche<br />
Scherenhubkonstruktion wurde beim Mirage<br />
pneumatisch angehoben, entsprechend der pneumatischen<br />
Steuerung der Ausleger und im Gegensatz zur<br />
Scherenkonstruktion des Allround, bei dem die Herstellerfirma<br />
mit Hydraulikpressen gearbeitet hatte.<br />
Drei Mirage-Anlagen mit den Baunummern 117, 118<br />
und 119 gingen im April und Mai 1966 nach Deutschland:<br />
Das erste Exemplar erhielt der Münchner Schausteller<br />
Hans Dom, das zweite wurde gemeinschaftlich<br />
von den Schaustellern Frickenschmidt und Biermann<br />
(Osnabrück/Soest) betrieben, das dritte schließlich<br />
ging an die Hamburger Firma Löffelhardt. Letztere<br />
nannte das Karussell „Mondtaxi”, brachte es im Premierenjahr<br />
auf Spitzenplätze wie die Cranger <strong>Kirmes</strong>,<br />
Skizze zum Mirage, Karl<br />
Meier, TÜV München<br />
91
60ER-JAHRE<br />
Frickenschmidts Phantom<br />
Doms Hurrican wurde in<br />
den 70ern zum Mirage<br />
übergab es aber ziemlich bald an Aribert Schmitz aus<br />
Dortmund, der nur kurze Zeit damit reiste und es dann<br />
an Ludwig Meeß aus Neuwied weiterverkaufte. Meeß<br />
betrieb das Karussell von August 1968 bis Herbst<br />
1976 und veräußerte es anschließend ins Ausland.<br />
Das Karussell von Frickenschmidt-Biermann lief zunächst<br />
unter der offiziellen Firmenbezeichnung „Mirage”.<br />
Als sich die beiden Kompagnons 1968 trennten<br />
und das Geschäft sich fortan allein unter Frickenschmidts<br />
Regie drehte, wurde es in den hierzulande<br />
aussagekräftigeren Namen „Phantom” umgetauft. Die<br />
Besonderheit dieses Exemplars: Das Karussell<br />
hatte eine automatische Fahrtablaufschaltung,<br />
die über Wellenschalter eingestellt<br />
werden konnte. Im Gegensatz zu<br />
anderen Anlagen, die mit Straßenkompressoren<br />
arbeiteten und sehr laut waren,<br />
wurde die Anlage der Firma Frickenschmidt<br />
mit zwei fast geräuschlosen Maschinenwagen<br />
betrieben. So war es möglich<br />
gewesen, auch Plätze in den Innenstädten<br />
zu halten. Führt man sich die Zahl<br />
der benötigten Transporte vor Augen, so<br />
war die Firma Frickenschmidt mit einem<br />
„halben Zirkus” unterwegs gewesen. 1977<br />
war Frickenschmidts letzte Saison mit dem<br />
Phantom. 1979 wurde das Karussell an die<br />
Firma Marx aus Ingelheim verkauft, später<br />
ging es in den Besitz der Firma Prümbaum<br />
in Köln über. Heute steht das Phantom-Mirage<br />
im Park Americana in Marokko.<br />
Nur 20 Kilometer entfernt, im Sindibad-<br />
Park in Casablanca, hat ein weiteres Mirage-Karussell<br />
seinen Alters-Ruhesitz aufgeschlagen: das ehemalige<br />
Karussell von Hans Dom. Der Münchner Schausteller,<br />
der sein Geschäft elf Tage vor Biermann/Frickenschmidt<br />
erhalten hatte, nannte es „3-D-Hurrican”, vermutlich<br />
um die eigene Tradition und Verbundenheit mit<br />
den frühen Klaus-Selbststeuergeschäften auszudrücken.<br />
Das Karussell wurde von Dom bis einschließlich<br />
1974 betrieben und war Stammgast auf dem Münchner<br />
Oktoberfest – seltsamerweise jedoch erst drei <strong>Jahre</strong><br />
nach der Auslieferung, nämlich ab 1969. 1975 über-<br />
92
60ER-JAHRE<br />
Löffelhardts<br />
Mondtaxi<br />
FOTOS<br />
Archiv Biermann, Archiv<br />
Geier, Archiv Kärger, Archiv<br />
Frickenschmidt, Josef<br />
Ziegelmeister, Sicherheit<br />
Fliegender Bauten 1970<br />
Das vierte und das fünfte Mirage-<br />
Exemplar waren laut Klaus-Liste<br />
nach Frankreich sowie in die<br />
Schweiz verkauft worden. Im November<br />
1967 soll der Franzose<br />
Monier sein Karussell mit der Baunummer<br />
126 in Empfang genommen,<br />
die Baseler Firma Doesegger<br />
1970/71 das andere Mirage – mit<br />
dem Namen „Tornado” – erhalten<br />
haben: die Baunummer 131 und<br />
somit die allerletzte aller gebauten<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Mirage –<br />
Rundflieger von Klaus, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 8/97, Seiten<br />
32-36<br />
Klaus-Anlagen. ■ Doms Hurrican auf der<br />
Passauer Maidult, 1968<br />
nahm Kurt Geier Doms Hurrican-Mirage,<br />
Ende der 70er-<strong>Jahre</strong> gestaltete er das Karussell<br />
in die offizielle Mirage-Aufmachung<br />
um. Ab 1987, als der Stern derartiger <strong>Karussells</strong><br />
schon deutlich am Sinken war, entschloss<br />
sich Geier zu einer Neuaufmachung<br />
des <strong>Karussells</strong>. Inspiriert vom eigenen<br />
Familiennamen und der Bezeichnung<br />
einer Popgruppe, mutierte das Mirage auf<br />
seine alten Tage noch zu „Geiers Sturzflug”.<br />
Mit dem Ende der Saison 1991 war Schluss:<br />
Geier brachte seinen Sturzflug auf dem<br />
Münchner Oktoberfest zum allerletzten Mal<br />
zu Wiesn-Ehren. Im Mai 1992 ging das Karussell<br />
in besagten Park in Casablanca wieder<br />
in Betrieb, sehr effektvoll auf der Spitze<br />
eines weithin sichtbaren Hügels.<br />
93
60ER-JAHRE<br />
POLYP<br />
Der Prototyp von 1966<br />
Skizze zum Polyp, Karl<br />
Meier, TÜV München<br />
Der Ursprung des Polyp liegt im Grundkonzept der<br />
„Spinne". Bei diesem Geschäft war erstmalig eine<br />
Rundfahrt mit kombinierter Auf- und Abbewegung der<br />
Ausleger kreiert worden. Die Ausleger waren bei dieser<br />
Konstruktion beweglich mit Zugstangen an einem<br />
Exzenter verbunden. Dieser rotierte unabhängig von<br />
der Hauptdrehung und sorgte somit dafür, dass die<br />
Ausleger sich während der Fahrt bewegten. Der amerikanische<br />
Hersteller Lee Ulrich Eyerly ließ sich die Erfindung<br />
der Spinne 1936 patentieren. Großer Nachteil<br />
an diesem Karussell war der Fahrgastwechsel: Die<br />
Ausleger koonten<br />
nicht abgesenkt<br />
werden.<br />
Die Firma Eyerly-<br />
Aircraft Corp.<br />
entwickelte später<br />
den gegabelten<br />
Ausleger, der<br />
an seinem Ende<br />
jeweils zwei Gondeln<br />
Platz bot. Den Schlusspunkt in dieser Entwicklungsreihe<br />
bildete das „Monster”, bei dem die Auslegergabeln<br />
durch Drehkreuze mit jeweils vier Gondeln<br />
ersetzt wurden.<br />
Es war die deutsche Firma Kaspar Klaus aus Memmingen,<br />
die 1966 das Problem des Ein- und und Ausstiegs<br />
und der Kapazität erstmals effektiv löste und somit<br />
den ersten „echten” Polyp auf den Markt brachte.<br />
Die Zugstangen zwischen Auslegern und Exzenter besaßen<br />
nun die Möglichkeit einer Verlängerung mittels<br />
Hydraulik, wodurch sie gleichzeitig bis zum Boden abgesenkt<br />
werden konnten. Beim Prototyp ließ Klaus allerdings<br />
eine Zugstange starr ohne Verlängerungsmöglichkeit.<br />
Dies hatte den Nachteil, dass der Exzenter<br />
immer an der gleichen Position halten musste. Die<br />
fünf Ausleger bekamen jeweils ein elektrisch angetriebenes<br />
Drehkreuz mit vier fest montierten Gondeln. Den<br />
Prototyp erhielt 1966 der Schausteller Beuermann aus<br />
Berlin, der in den folgenden beiden <strong>Jahre</strong>n damit auf<br />
dem Münchner Oktoberfest gastierte. Zu diesem Geschäft<br />
lieferte Klaus noch Blechgondeln aus eigener<br />
Originalentwurf von Klaus<br />
94
60ER-JAHRE<br />
Die Firma Löffelhardt<br />
betrieb zwei Exemplare gleichzeitig<br />
Fertigung. Diese etwas unhandlich<br />
wirkenden Gondeln sollten die<br />
Vorlage liefern für die besonders<br />
formschöne „klassische” Polyp-<br />
Gondel, die sich der Hamburger<br />
Schausteller Gottlieb Löffelhardt<br />
kurz darauf für seinen Klaus-Polyp<br />
von der Firma Ihle bauen ließ. Die<br />
charakteristischen „Fischchaisen”<br />
mit den großen, beleuchteten Augen,<br />
den wulstigen Lippen und<br />
dem kleinen Schwänzchen sollten anschließend zum<br />
Polyp-Standard werden. Für die damalige Zeit war der<br />
Polyp eine echte Innovation und erhielt auf der amerikanischen<br />
Fachmesse 1967 sogar eine Auszeichnung.<br />
Allerdings stellte der Klaus-Polyp eine technisch<br />
sehr komplizierte Anlage dar, mit Elektroantrieb, Hydraulikantrieben<br />
und Luftdruckbremse. Vermutlich<br />
war dies einer der Gründe, warum nur wenige Exemplare<br />
davon realisiert wurden: Angelegt waren insgesamt<br />
sechs Stück, von denen drei für Amerika bestimmt<br />
waren. Polyp Nr. 6 ging im April 1969 wiederum<br />
an die Firma Löffelhardt, die dann über mehrere <strong>Jahre</strong><br />
hinweg gleich zwei Exemplare in ganz Deutschland<br />
auf Tournee schicken konnte und so auf fast allen<br />
Grandplätzen vertreten war, auch auf parallel laufenden<br />
Veranstaltungen wie etwa 1969 München und Oldenburg.<br />
Als man sich für den Ausbau des Freizeitparks<br />
Phantasialand entschied, wurde eines der beiden<br />
Löffelhardt-Exemplare dort fest installiert. Der<br />
zweite Polyp blieb unter der Leitung von Mia Gormanns<br />
weiter auf der Reise und wurde später von Helmut<br />
Schultze erworben, der damit weiterhin die namhaften<br />
Volksfeste in Deutschland bereicherte. Nächste<br />
Besitzer waren die Memminger Schaustellerfirma<br />
Staudenrausch, ab 1992 K. und T. Krämer aus Rothstein,<br />
2002 ging die Anlage nach Tschechien. Das<br />
Phantasialand veräußerte 1984 seinen Klaus-Polyp an<br />
einen belgischen Schausteller, der damit zwei <strong>Jahre</strong><br />
auf der Reise war und das Geschäft dann nach Frankreich<br />
verkaufte. Der Beuermann-Prototyp läuft in der<br />
Schweiz unter der Bezeichnung „Voom Voom”.<br />
Auch die Firma Anton Schwarzkopf beschäftigte sich<br />
frühzeitig mit dem Konzept des gleichzeitig zu beladenden<br />
„Monsters”. Ende 1967 inserierte man im Komet:<br />
„Monster (Polyp) – ein neuartiges Fahrgeschäft,<br />
in Neukonstruktion und Aufmachung einfacher als bisher<br />
bekannt.” Dieses „Monster 1” erwies sich als<br />
pompöse Konstruktion, kam jedoch ohne komplizierte<br />
Hydraulik aus, denn jeder der fünf Arme bekam einen<br />
eigenen elektrischen Exzenterantrieb. Das erste<br />
Exemplar erhielt 1968 Gunnar Manson, der seine Fahrgeschäfte<br />
im Vergnügungspark<br />
Liseberg<br />
fest installierte.<br />
Ein weiteres<br />
„Monster 1” ging<br />
1969 als „Pulpo” in<br />
den Park „Casa de<br />
Campo” nach Madrid.<br />
Als Reisegeschäft<br />
war das<br />
„Monster” von<br />
Schwarzkopf noch<br />
nicht geeignet. ■<br />
FOTOS<br />
Archiv Klaus, Archiv Bonhoff,<br />
Archiv Schwarzkopf,<br />
Sicherheit Fliegender Bauten<br />
1970<br />
QUELLE<br />
Ton Koppei: Polyp, <strong>Kirmes</strong><br />
Revue 1+2/98, Seiten 42-<br />
45, <strong>Kirmes</strong> Revue 3/98,<br />
Seiten 20-23<br />
„Monster 1” von<br />
Schwarzkopf<br />
95
60ER-JAHRE<br />
HULLY GULLY<br />
Tiemanns zweiter Hully<br />
Gully, 1968<br />
Der erste Trabant von<br />
Chance<br />
Die Geschichte des Hully Gully beginnt mit dem<br />
„Trabant”. Der Münchner Martin Wöhrle hatte die<br />
Idee zu einer Weiterentwicklung des gerade aus Amerika<br />
eingeführten Round-Up mit hydraulisch aufgerichtetem<br />
Hubarm; eine zusätzliche Drehbewegung<br />
der Unterkonstruktion sollte die steil aufgerichtete<br />
Scheibe wie eine Radarschüssel rotieren lassen. Der<br />
Stuttgarter Festwirt Karl Maier fand sich als Geldgeber<br />
für die Realisierung. Als Ergebnis entstand 1959 ein<br />
allzu stabil geratener „Eisenkasten”, der sich nur<br />
schwerfällig in Bewegung setzen wollte und so gar<br />
nichts mit dem einen Flug zu den Sternen suggerierenden<br />
Namen „Trabant” gemeinsam hatte. Auch der<br />
bayerische TÜV mochte die Konstruktion so nicht genehmigen,<br />
Nachbesserungen wurden erforderlich.<br />
Der Winkel des Hubarms betrug am Ende nur noch circa<br />
45° statt der ursprünglich angestrebten, fast senkrechten<br />
Fahrt. Durch die sich überlagernden Drehbewegungen<br />
der Scheibe mit der nach innen gerichteten,<br />
ringförmigen Sitzbank und dem sich entgegengesetzt<br />
drehenden Schemel mit dem hydraulischen<br />
Hubarm entstand nun eine ganz andere, krinolinenartige<br />
Taumelbewegung. Mit diesem umgebauten<br />
Trabant debutierte der Münchner Schausteller Friedrich<br />
K. Beirer 1960 auf dem Münchner Oktoberfest.<br />
Dort fanden Amerikaner Gefallen an der Fahrweise,<br />
und es wurde beschlossen, das Fahrgeschäft nach<br />
Amerika zu „verleasen” und schließlich zu verkaufen.<br />
In Amerika wurde der Trabant vom damals größten reisenden<br />
Carnival Unternehmen Royal American Shows<br />
des deutschstämmigen Schaustellers Carl Sedlmayr<br />
so erfolgreich betrieben, dass sogar die Serienfertigung<br />
einer praktischer konstruierten Version interessant<br />
erschien. Der an der Transaktion beteiligte Fahrgeschäftsimporteur<br />
Mack Duce wandte sich mit diesem<br />
Vorschlag an Harold Chance. Mit Sedlmayr, der<br />
nicht nur Eigentümer des <strong>Karussells</strong>, sondern – zusammen<br />
mit dem Ex-Besitzer Beirer – auch die Patentrechte<br />
besaß, vereinbarte man die Zahlung einer<br />
Lizenzgebühr für jede künftig von Chance gebaute Anlage<br />
dieses Typs.<br />
Chance veränderte die Anordnung der Sitze, indem er<br />
20 kleine Kabinen für jeweils zwei nebeneinander sitzende<br />
Erwachsene oder drei Kinder ringförmig und in<br />
Fahrtrichtung um den Auslegerkranz gruppierte. Der<br />
deutsche Name „Trabant” wurde wohl zur besseren<br />
Wiedererkennung des Nachfolgemodells beibehalten.<br />
Auch den Bewegungsablauf mit drehendem Schlitten,<br />
hydraulischem Hubarm und gegenläufig über Reibradantrieb<br />
drehendem Gondelring übernahm Chance<br />
vom deutschen Prototyp. Dieses neue Konzept war<br />
bereits von Anfang an so genial, dass es im Verlauf der<br />
Zeit kaum verändert werden musste. Der Chance-Trabant<br />
wurde zum Branchengespräch, die bislang unerreichte<br />
Kapazität von 40 Personen auf einem Karussell,<br />
das gleichzeitig beladen und auf einem Anhänger<br />
transportiert werden konnte, galt damals zu recht<br />
als revolutionär.<br />
96
60ER-JAHRE<br />
Uranus, Entwurf von<br />
Heinz Opitz, 1967<br />
Das Geschehen in den USA blieb auch der deutschen<br />
Herstellerfirma Mack nicht verborgen. Also wurden<br />
Chefkonstrukteur Hans Drayer und Designer Heinz<br />
Opitz mit der Aufgabe betraut, das amerikanische Modell<br />
für deutsche Verhältnisse zu verfeinern. Ohne die<br />
Vorgabe, alles auf einem einzigen Anhänger unterbringen<br />
zu müssen (am Ende waren es drei), konnte<br />
man bei Konstruktion und Gestaltung aus dem Vollen<br />
schöpfen. Das Ergebnis, das Ende 1966 einem kleinen<br />
Kreis deutscher Schausteller vorgestellt wurde,<br />
war „Hully Gully”, ein fröhlich-bunt dekoriertes Rundfahrgeschäft<br />
mit einem einladend-offenen, nach vorn<br />
schräg abfallenden Podium von 18 m Durchmesser<br />
und umrahmt von einer riesigen, vielfach geschwungenen,<br />
mit Lauflicht abgesetzten Rückwand. Die<br />
Fahrweise entsprach weitgehend der des amerikanischen<br />
Originals, wobei lediglich die Sitzkabinen spiegelverkehrt<br />
im Uhrzeigersinn ausgerichtet und die<br />
Drehscheibe schräg gelagert wurde. Da die Achsenmitte<br />
der Scheibe am Ende des entgegengesetzt rotierenden<br />
Hubarms gelagert ist und damit über die<br />
Achse des Drehkranzes hinausragt, entsteht bei Fahrtbeginn<br />
diese zusätzliche, über die schräge Plattform<br />
tanzende Exzenterbewegung mit ständigem Richtungswechsel<br />
und sich ändernden Beschleunigungskräften.<br />
Die Drehrichtungen der beiden Antriebe müssen<br />
dabei immer entgegengesetzt verlaufen, die<br />
Scheibe rotiert mit 22 UpM, der Schlitten auf dem<br />
Hauptdrehkranz halb so schnell.<br />
Überraschenderweise trauten sich zunächst nur zwei<br />
Schausteller an dieses neue Projekt heran: Der Hamburger<br />
Otto Tiemann entschied sich für den Originalentwurf<br />
des Hully Gully, der Stuttgarter Heinz Hohl ließ<br />
sich von Opitz für seine „Uranus” getaufte Version ein<br />
Weltraumthema entwerfen. Beide Anlagen gingen im<br />
Sommer/Herbst 1967 in Deutschland an den Start. Der<br />
zum Hannoverschen Schützenfest zuerst ausgelieferte<br />
Hully Gully von Tiemann stand bei den Kollegen sogleich<br />
im Mittelpunkt des Interesses. Bald war klar,<br />
dass auch Mack mit diesem Geschäft den großen<br />
Coup gelandet hatte. Otto Tiemann trennte sich bereits<br />
nach dem Hamburger Winterdom von seinem<br />
Prototyp (neuer Besitzer wurde der Münchner Albert<br />
Aigner), um sich in der folgenden Saison mit einer in<br />
fernweh-weckender Südseeatmosphäre dekorierten,<br />
fabrikneuen Luxusausführung gegen die aufkommende<br />
Konkurrenz zu behaupten.<br />
Heinz Distels tanzendes<br />
Schwabinchen, 1968<br />
97
60ER-JAHRE<br />
Hully Gully von Lauwers /<br />
Kreis, 1969<br />
Die Anlage von Robrahn /<br />
Tolisch, 1969<br />
Eine ganz eigenständige Aufmachung hatte sich der<br />
Münchner Schausteller Heinz Distel für seinen Platz<br />
auf dem Münchner Oktoberfest ausgedacht und sich<br />
vorsorglich gleich für den deutschen Markt schützen<br />
lassen. „Schwabinchen”, so benannt nach der Karikatur<br />
einer langbeinigen Schönheit aus dem Kultviertel<br />
Schwabing, die damals regelmäßig in einer Münchner<br />
Tageszeitung erschien, wurde zu einer bayerischmünchnerischen<br />
Version des Erfolgskarussells und<br />
feierte 1968 auf der Maidult in Passau seine Premiere.<br />
Das Jahr 1968 ging als das der Hully Gullys in die deutsche<br />
Karussellgeschichte ein. Viele prominente Namen<br />
entschieden sich spontan für die neue Tanzmaschine.<br />
Zu den beiden Pionieren Tiemann und Hohl<br />
gesellten sich neben Heinz Distel im Laufe der Saison<br />
die Kollegen Fritz Kinzler, Robert Weinert, Anton Beuermann,<br />
Bruno Tusch, Josef Schöneseifen, H. Loeb<br />
und Karl-Heinz Hempen. Auffällig ist, dass sich viele<br />
der Erstbesitzer nach relativ kurzer Zeit wieder von<br />
ihren Geschäften trennten. Schausteller wie Heinz<br />
Hohl oder Robert Weinert, die eigentlich auf Ausspielungsgeschäfte<br />
spezialisiert waren, sahen die Anschaffung<br />
ihrer Hully Gullys mehr als kurzfristiges und<br />
lukratives Experiment. Sie profitierten ebenso wie ihre<br />
karussellerfahrenen Kollegen von der allgemeinen<br />
Euphorie und den steigenden Marktpreisen, die sogar<br />
einen anschließenden Weiterverkauf mit Gewinn ermöglichten.<br />
So ging Hohls „Uranus“ bereits 1969 in<br />
den Parque de Atracciones Casa de Campo in Madrid.<br />
Auch die Schweiz erhielt ihren ersten Hully Gully,<br />
als sich Fritz Kinzler nach nur einer Saison bereits wieder<br />
von seinem Geschäft trennte und es an die Firma<br />
Tissot verkaufte. Trotzdem führte der Reiz des Erfolges<br />
der Hully Gullys auch in den nachfolgenden <strong>Jahre</strong>n zu<br />
weiteren Neubestellungen bei Mack. So ging bereits<br />
1969 noch mindestens eine weitere Anlage ins Ruhrgebiet,<br />
ein Hully Gully an Rudolf Robrahn in Bremen<br />
sowie ein Exemplar an die Firma Lauwers ins benachbarte<br />
Belgien. Eine für alle augenfällige Veränderung<br />
setzte 1971 ein. Wie im deutschen Karussellbau üblich,<br />
bezog auch Mack die am Hully Gully verwendeten<br />
Zierlampen von Zulieferern der Automobilindustrie.<br />
Als plötzlich die verchromten Blinkerlampen<br />
für die charakteristischen drei Schweife<br />
auf den Chaisen nicht mehr lieferbar waren,<br />
musste man ein neues Gondeldesign entwerfen,<br />
um künftig größere, runde Lampen einbauen zu<br />
können. Also wurden Hully Gullys seit dieser Zeit<br />
mit dem 3-Blüten-Muster ausgeliefert, was nun<br />
auch eine zeitliche Zuordnung dieser Geschäfte<br />
auf den ersten Blick erleichtert.<br />
Was geschah mit den Anlagen der ersten Generation?<br />
Das gute alte „Schwabinchen“ wurde nach<br />
fünfmaligem Wiesngastspiel an die Firma Müller in<br />
Hannover verkauft. Herr Müller reiste zunächst<br />
eine Zeitlang in der bayerischen Aufmachung,<br />
dann besorgte er sich die klassische Hully Gully-<br />
Rückwand eines Kollegen. Nach der Grenzöffnung<br />
war Müllers in Hully Gully umgetauftes Ex-
Schwabinchen eines der ersten West-Geschäfte, die<br />
auf den Plätzen der ehemaligen DDR auftauchten. Es<br />
blieb schließlich dort, anfangs im Besitz der Familie<br />
Friedrich aus Staakow, dann unter der Leitung von Familie<br />
Schwill aus Görlitz. Auch Tiemanns zweiter Hully<br />
Gully – 1973 verkauft an Georg Wirsing und unter dessen<br />
Leitung in Schleswig-Holstein und bis 1979 noch<br />
regelmäßig auf dem Hamburger Sommerdom vertreten<br />
– kam auf Umwegen in den Osten, und zwar zu<br />
Wolfgang Seeberger aus Genthin. Von ihrem Bruder<br />
Rudolf übernahm Hilde Tolisch-Robrahn dessen Hully<br />
Gully 1969. Nach Zwischenstationen bei den Schaustellerbetrieben<br />
Kuckartz, Herbert Meyer & Söhne und<br />
Weber gelangte das Karussell 1982 in den Besitz des<br />
Münchner Schaustellers Edmund Eckl. Der entwarf bei<br />
der dekorativen Umgestaltung des Geschäfts gleich<br />
einen neuen Schriftzug: „Disco-Fieber“. 1989 verkaufte<br />
Eckl sein Geschäft an Karl Lenz, und dem eröffnete<br />
die politische Wende die Möglichkeit, das Geschäft<br />
gleich weiterzuverkaufen in den Osten, nämlich an<br />
Andrea Merten aus Teutschental. 1994 übernahm Ines<br />
Sauerwald aus Torgau das Geschäft. Seit 2004 ist es<br />
in Besitz von Sascha Ernst aus Leer, und damit wieder<br />
im „Westen”.<br />
Noch zwei weitere <strong>Karussells</strong> dieses Typs gingen in<br />
den Osten. Der Sachse Rolf Thieme überredete Peter<br />
Schrod aus Hanau 1992, sich<br />
vorzeitig von seinem Hully<br />
Gully zu trennen, den er zuvor<br />
von Anton Scheffer übernommen<br />
hatte. Dieses Karussell<br />
ohne Dächer gehörte zu den<br />
ersten 1968 ausgelieferten Exemplaren<br />
und war ursprünglich<br />
von Robert Weinert bestellt<br />
worden, von 1970 bis<br />
1979 aber erst richtig berühmt<br />
geworden auf den westfälischen<br />
<strong>Kirmes</strong>sen als der Hully<br />
Gully von Otto Wendler.<br />
Thiemes Geschäft ist inzwischen<br />
wieder in den Westen<br />
gelangt, zu Oliver Spagerer<br />
aus Darmstadt. Weiterhin im<br />
Osten aktiv ist dagegen der<br />
Hully Gully von Andreas<br />
Kröckel aus Pößneck, dessen<br />
Geschäft ursprünglich für<br />
Beuermann gebaut und später<br />
über viele <strong>Jahre</strong> von Lutz<br />
Köhrmann betrieben worden<br />
war. Weiterverfolgen lassen<br />
sich auch die Spuren des Hully<br />
Gully von Kind-Hempen aus<br />
Oldenburg, der Ende der<br />
70er-<strong>Jahre</strong> noch im Besitz von<br />
August Langenscheidt aus Leer in Ostfriesland gewesen<br />
ist. Antonio und Daniela Weiß aus dem Fichtenau<br />
übernahmen dieses Karussell, später die Wiesbadener<br />
Firma Schramm. Zerstört wurde das Geschäft<br />
von Bernhard Biermann aus Gelsenkirchen, es ging<br />
1983 unfreiwillig in Rauch auf. In Augsburg war lange<br />
Zeit der Hully Gully von Helmut Kreis beheimatet, den<br />
die Familie Ende 1976 von der Firma Lauwers aus<br />
Belgien zurückgekauft hatte. Dieses Exemplar gehört<br />
inzwischen Familie Spieß aus Eschwege.<br />
Im Nachbarland Holland konnte der Hully Gully von<br />
Mack erstaunlicherweise<br />
nicht Fuß fassen.<br />
Stattdessen gab<br />
es eine Reihe von Eigenbauten,<br />
darunter<br />
1968 eine Kopie durch<br />
Schausteller de Vries<br />
sowie ein Hully Gully<br />
mit Raketenbesatzung,<br />
das aus einem<br />
von Adam v. d. Veen<br />
gebauten Flugkarussell<br />
entstand und später<br />
den Namen „Hawaii<br />
Beach erhielt”. ■<br />
FOTOS<br />
60ER-JAHRE<br />
Zwei 68er-<br />
Hully Gullys, Erstbesitzer<br />
Weinert und Hempen<br />
Archiv Tiemann, Archiv<br />
Chance, Archiv Mack, Archiv<br />
Hohl, Archiv Distel,<br />
Archiv Robrahn, Michael<br />
Bonhoff, Karl Ruisinger,<br />
Karel Loeff<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Hully<br />
Gully, Teil 1 - 3, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
1+2/99, Seiten 32-35,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 3+4/99, Seiten<br />
26-31, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
5/99, Seiten 20-22,<br />
Raketen-Hully Gully, Umbau<br />
von Adam v. d. Veen, 1969<br />
99
60ER-JAHRE<br />
THUNDERBIRD<br />
Das Karussell 1967 unter<br />
Schausteller Denies<br />
FOTOS<br />
Archiv SKC Holland, Michael<br />
Bonhoff)<br />
QUELLE<br />
Ton Koppei: Looping-<strong>Karussells</strong><br />
– Holländische Innovationen,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue<br />
1+2/98, Seiten 34-37<br />
Jan Bakker aus Apeldoorn konstruierte bereits in den<br />
60er-<strong>Jahre</strong>n erstmals ein freitragendes Loopingkarussell,<br />
das er bei der Maschinenbaufabrik N.V.<br />
Werklust bauen ließ. Dieses Überkopfgeschäft verzichtete<br />
auf die bei Wettbewerbsanlagen wie Passat,<br />
Tornado und Zyklon noch übliche Führungsschiene.<br />
Im Juni 1967 feierte die von Schausteller Denies betriebene<br />
Anlage namens „Thunderbird” ihre Weltpremiere.<br />
Bei diesem Karussell wurde der Hebearm mittels<br />
zweier seitlich angebrachter Hydraulik-Zylinder in<br />
seine Überkopfstellung gebracht. Die Anlage bestach<br />
durch ihre sehr schöne Aufmachung mit Motiven aus<br />
der damals beliebten SF-Fernsehserie „Die Thunderbirds”.<br />
Die Gondeln erinnerten mit ihrer runden Form<br />
ein wenig an den Telecombat und waren mit einer Art<br />
Gitterkäfig versehen. Im Gegensatz zu späteren vergleichbaren<br />
Karussellkonstruktionen saßén in der Bakker-Anlage<br />
jeweils zwei Personen nebeneinander in<br />
der Gondel.<br />
Der Thunderbird war durchaus erfolgreich auf der Reise,<br />
aber leider stellte sich bald heraus, dass die angewandte<br />
Technik noch nicht serienreif war: Im August<br />
1969 ereignete sich ein Unfall, indem der komplette<br />
Ausleger nach vorne fiel. Damit war die Weiterentwicklung<br />
von Loopingkarussells in Hollang erstmal gestoppt.<br />
Nach Umbauten und Reparaturen landete der<br />
„Thunderbird” zwei <strong>Jahre</strong> später in Deutschland: Mit<br />
dem Unikat war Rudolf von der Gathen auf den großen<br />
Volksfesten anzutreffen. Kurze Zeit nach der Übernahme<br />
wurde das Karussell als „Flaming Star” umgestaltet.<br />
Sein weiterer Lebenslauf führte über die Schausteller<br />
Stein und Mönnig zurück nach Holland, anschließend<br />
in die USA und nach Mexiko, und war von<br />
weiteren Unfällen begleitet<br />
■<br />
Die umgestaltete Anlage<br />
reiste unter Rudi von der<br />
Gathen durch Deutschland<br />
100
SATELLIT<br />
Den Satellit – einen Kettenflieger mit Schrägstellung<br />
– baute die Firma De Boer 1960 für den holländischen<br />
Schausteller Sipkema, ab 1962 wurden für eine<br />
holsteinische Firma deutsche Baupapiere<br />
ausgestellt. Zwischen<br />
1973 und 1985 reiste die Firma<br />
Karl Weihs & Sohn mit dem Karussell,<br />
anschließend gelangte es in<br />
den Besitz von Peter Swoboda.<br />
Eine zweite Anlage des Satellit soll<br />
ebenfalls in Norddeutschland gereist<br />
sein, vermutlich unter der Firma<br />
Müller aus Lohne.<br />
Am – oben abgeknickten – Turm<br />
dieses Kettenfliegers wurde mittels<br />
zweier Hydraulikstempel der<br />
Drehkranz mit den Auslegern<br />
hochgefahren bis zur Schrägstellung.<br />
Eine Rakete diente als Mastverkleidung.<br />
Das Geschäft war wegen<br />
seiner kompakten Ausmaße<br />
besonders für Innenstadt-Veranstaltungen<br />
interessant, da durch<br />
das Hochfahren der volle Ausflugradius<br />
erst weit über den Köpfen<br />
der Besucher erreicht wurde und<br />
auch vor dem Herunterfahren<br />
durch Abschaltung des Antriebs<br />
der Radius wieder entsprechend<br />
angepasst werden konnte. Angespornt<br />
durch den Erfolg realisierte<br />
1997 der ehemalige Besitzer Weihs im Spätsommer<br />
mit dem italienischen Hersteller eine fabrikneue Version,<br />
die „Old Flying Machine”.<br />
■<br />
Satellit unter<br />
Karl Weihs<br />
QUELLE<br />
60ER-JAHRE<br />
Michael Bonhoff: Satellit,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 8/96, Seiten<br />
16-17, <strong>Kirmes</strong> Revue 9/97,<br />
Seiten 44-47<br />
(Fotos: Michael Bonhoff)<br />
SATURN<br />
Der Bremer Erfinder Helmut Kastner hatte Anfang<br />
der 60er-<strong>Jahre</strong> die Idee, wie man ein schwingendes<br />
Karussell auch ohne Hubzylinder und komplizierte<br />
Ventilsteuerung konstruieren könnte. Er verlieh den<br />
Gondeln Flügel und machte sich so neben der Fliehkraft<br />
auch die Strömungslehre zunutze. Der Mast eines<br />
ausgedienten Kettenfliegers wurde umgebaut zu<br />
einem funktionstüchtigen Anschauungsmodell, mit<br />
dessen Hilfe der Schausteller Karl-Ernst Hartkopf aus<br />
Syke überzeugt werden konnte, nach diesem Prinzip<br />
ein Karussell bauen zu lassen. Als Hersteller wählte<br />
Hartkopf die italienische Firma Spaggiari & Barbieri,<br />
die damals neben Autoskootern auch Telecombats<br />
produzierte.<br />
Der für Hartkopf 1964 gefertigte Saturn wurde zu einem<br />
gigantischen Projekt. Erstmals wurde für den Aufund<br />
Abbau eines Rundfahrgeschäfts ein Kran benötigt,<br />
allein der Transport umfasste fünf Züge. Der<br />
elektrisch angetriebene Drehkranz des Mittelbaus trug<br />
einen Ring aus zwölf trichterförmig auseinandergehenden<br />
Gittermasten, an<br />
denen jeweils ein senkrechter<br />
Gondelausleger<br />
in halber Höhe pendelnd<br />
aufgehängt war. Die offenen<br />
Sitzschalen, in denen<br />
die Passagiere festgeschnallt<br />
wurden, waren<br />
links und rechts mit<br />
drehbaren Flügeln ausgerüstet,<br />
die von den<br />
Fahrgästen gelenkt werden<br />
konnten, um durch Fliehkraft und gewonnenen<br />
Auftrieb zu rasanten Höhenflügen über die 90°-Linie<br />
zu schwingen und in umgekehrter Richtung ebenso rasante<br />
Abstürze zu simulieren. Der Flugradius betrug<br />
24 Meter, 24 Passagiere hatten Platz. Leider erwies<br />
sich der Saturn als extrem störanfällig; so war Hartkopf<br />
froh, als er das Geschäft 1968 zum reinen Materialwert<br />
an den holländischen Vergnügungspark Beekse Bergen<br />
abgeben konnte.<br />
■<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Swing<br />
Around, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
3/97, Seiten 28-33<br />
(Foto: Archiv Vespermann<br />
& Hartkopf)<br />
101
60ER-JAHRE<br />
AIRLINER<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Airliner,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 8/96, Seiten<br />
16-17<br />
(Fotos: Archiv Bonhoff)<br />
Rechts Urfassung,<br />
unten mit Stützschere<br />
Ein De Boer-Exot war<br />
der Airliner. Als „Liebeskutsche”<br />
wurde dieses<br />
Karussell um 1964 für<br />
die Firmen Walter Rick<br />
aus Hannover sowie Friedrich<br />
Uhse, Bremen gebaut.<br />
Beide Versionen<br />
sind heute noch im Einsatz:<br />
Das Rick-Karussell<br />
betreibt die Firma Langenscheidt<br />
aus Leer, die<br />
Anlage von Uhse wird von<br />
Wilfried Voss aus Lüneburg weitergeführt. Der Typ des<br />
Airliner hatte ursprünglich einen Masten, der mitsamt<br />
der Drehkonstruktion in die Schräge gekippt werden<br />
konnte; so wurde der Prototyp in die USA geliefert. Ein<br />
Unfall zwang den Hersteller bei den folgenden Auslieferungen<br />
jedoch zu einer Hilfskonstruktion: Sie mussten<br />
mit einer Stützschere ausgestattet werden. Da<br />
diese von der Memminger Firma Klaus für den „Schiefen<br />
Turm” geschützt war, gab es einen Rechtsstreit.<br />
Vermutlich einigte man sich dahingehend, dass weitere<br />
Geschäfte dieses Typs nicht mehr nach Deutschland<br />
geliefert werden sollten beziehungsweise gebaut<br />
werden durften.<br />
■<br />
QUELLE<br />
Michael Bonhoff: Taifun /<br />
Flamenco <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
5/01, Seiten 24-28<br />
(Foto: Peter Reuther)<br />
TAIFUN<br />
Anfang der 60er-<strong>Jahre</strong> konstruierte Kurt Kalbfleisch<br />
ein Flugkarussell mit der Fahrweise eines Twisters<br />
oder Allrounds. Zusammen mit seinen Brüdern baute<br />
er im Winter 1964 statt einer aufwändigen Hydraulikanlage<br />
einen feststehenden Turm, an dem der Auslegerverbund<br />
emporgezogen und am<br />
oberen Ende in die gewünschte<br />
Schräglage von 45° gebracht wurde.<br />
Der abgeknickte Mast, der massive<br />
Kugeldrehkranz und das Mittelbaufahrzeug<br />
entstanden in Eigenarbeit.<br />
Für den Aufzug des schweren Drehwerks<br />
tüftelte man ein Verfahren aus,<br />
bei dem mit Hilfe eines kurzen aber<br />
kräftigen Hydraulikzylinders das umgekehrte<br />
Seilzugprinzip angewendet<br />
wurde. Ein Zugseil führte vom Drehkranz<br />
über eine Umlenkrolle an der<br />
Mastspitze zurück zum Mittelbau, wo<br />
es über mehrere weitere Umlenkrollen<br />
in der Waagerechten hin- und hergeführt und schließlich<br />
mit dem Stempel des waagerecht eingebauten Zylinders<br />
verbunden wurde. Statt nun wie üblich mit geringer<br />
Kraft eine schwere Last langsam nach oben zu<br />
befördern, konnte in umgekehrter Weise der kräftige<br />
Zylinder auf relativ kurzem Weg die Last des Drehwerks<br />
schnell auf eine große Höhe bringen. 16 Ausleger<br />
wurden gefertigt und am Drehwerk befestigt,<br />
außerdem ließ man 16 Hollywood-Schaukeln herstellen.<br />
Zum Saisonbeginn konnte Kalbfleisch mit seinem<br />
Taifun auf Tournee gehen. Für die Besitzer von Twistern<br />
und Allrounds jedoch stellte der Taifun in der damaligen<br />
Form keinen Grund zur Beunruhigung dar,<br />
man hielt ihn vielmehr für einen technischen Kompromiss,<br />
um eine ihren Geschäften ähnliche Fahrweise zu<br />
erreichen. Somit blieb Kalbfleischs Idee zunächst einmalig<br />
und konkurrenzlos. Nach einigen <strong>Jahre</strong>n wurde<br />
der Taifun verkauft. Bereits 1969 gastierte Walter Kreuser<br />
mit dem Geschäft unter anderem auf der Annakirmes<br />
in Düren. Später ging es an Georg Sonnier aus<br />
Bitburg. Die Idee des Taifun wurde in den 70er-<strong>Jahre</strong>n<br />
von Kalbfleisch mit dem Flamenco weiterentwickelt. ■<br />
102
TAUMLER<br />
Der Münchner Schausteller Hans Lechner ließ sich<br />
1961 den Taumler bauen. Inspiriert vom Kreiselwipper,<br />
ging Lechner auf die Suche nach einem Hersteller<br />
für ein Karussell, das in einer kreisförmigen<br />
Gondel eine Rundfahrt mit taumelndem Effekt sowie<br />
eine Auf- und Ab-Bewegung bieten sollte. Er verhandelte<br />
mit dem Werkzeugmacher Franz Hutterer, der<br />
schließlich mit der Herstellung des Mittelbaus beauftragt<br />
wurde. Erstmals an einem Karussell kamen<br />
Scheibenbremsen zum Einsatz, die von der Firma<br />
Knorr bezogen wurden. Die Fertigung der Segmente<br />
für die Sitzbank übernahm Rudolf Höpler aus Metten.<br />
Für die Gestaltung der Rückwand wurde der Münchner<br />
Schaustellerkollege Franz Xaver Heinrich gewonnen,<br />
der eine bis heute einmalige und pfiffige Konstruktion<br />
erdachte: eine aus sieben verschieden<br />
großen, drehbaren Scheiben bestehende Kulisse.<br />
Nach der Fertigstellung des <strong>Karussells</strong> Anfang 1963<br />
stellte sich heraus, dass die namensgebende Taumelbewegung<br />
technisch nicht befriedigend umgesetzt<br />
worden war; es blieb bei einer schnellen Rundfahrt mit<br />
dem Zusatzeffekt des Wippens. Doch bei der Premiere<br />
auf der Auer Dult in München zeichnete sich trotzdem<br />
bereits eine sehr gute Publikumsresonanz ab,<br />
und der Taumler machte auch so seinen Weg. Ab 1963<br />
gehörte das Karussell zum festen Wiesn-Inventar. Es<br />
gilt gleichzeitig als Vorläufer des Schunklers, mit dem<br />
in den 70ern die ganz große Ära derartiger Fahrgeschäfte<br />
begann.<br />
■<br />
60ER-JAHRE<br />
QUELLE<br />
Ralf Schmitt: Schunkler,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 9/2000, Seiten<br />
22-23<br />
(Foto: Ralf Schmitt)<br />
KOSMOS ROTATOR<br />
Kosmos Rotator war ein ostdeutsches Pendant zur<br />
Fliegenden Untertasse von Günter Rilke, das der<br />
Staatszirkus der DDR 1964 auf die Reise schickte. Es<br />
wurde unter dem Arbeitstitel „Rotierende Scheibe” von<br />
W. Gundelwein entwickelt. Dabei war eine drehbare<br />
Scheibe mit rund sechs Metern Durchmesser auf dem<br />
Mittelbau so angeordnet, dass sie bis in eine Schräglage<br />
von 45° gebracht werden konnte. Sie fasste 33<br />
Personen, die in sitzender Position bei einer Höchstgeschwindigkeit<br />
von 20 U/min durch die Zentrifugalkraft<br />
an die Sitzlehne gepresst wurden. Gebaut wurde<br />
das Geschäft in verschiedenen Betrieben, unter anderem<br />
der Firma Peukert in Freiberg und im eigenen<br />
Winterquartier; die Hydraulik kam vom VEB Orsta-Hydraulik.<br />
Der Kosmos-Rotator ging mit Saisonende<br />
1968, wohl aufgrund der Schwere der Anlage, an die<br />
Stadt Rostock. Dort wurde er im Vergnügungspark am<br />
Zoo aufgestellt und von Schausteller Rudolf Schöning<br />
betrieben, nach seinem Tod 1983 von Tochter und<br />
Schwiegersohn. 1987 war das Geschäft auf dem Rostocker<br />
Weihnachtsmarkt zu sehen, nach 1989 wurde<br />
der Betrieb eingestellt und wohl 1992 verschrottet ■<br />
QUELLE<br />
Dietmar Winkler: Staatszirkus<br />
der DDR, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />
1+2/01, Seiten 34-37<br />
(Foto: Zirkusarchiv Winkler)<br />
103
60ER-JAHRE<br />
TELECOMBAT<br />
Eigentlich begann die Zeit des Telecombats bereits<br />
in den 50er-<strong>Jahre</strong>n; italienische Karusselllbauer<br />
begannen damals ihre Laufbahn mit der Entwicklung<br />
und Fertigung derartiger Geschäfte. In Deutschland<br />
hatten diese Anlagen, in der Regel von Spaggiari &<br />
Barbieri gefertigt, in den 60ern ihre Blütezeit; die Hurricanes<br />
und Helikopter waren ihnen hierzulande im<br />
Wege, obwohl der Telecombat mehr zu bieten hatte.<br />
Hier wurden 12 Gondeln via Hydraulikkompressor auf<br />
eine Flughöhe bis zu sieben Metern gehoben. Mittels<br />
eines Lenkrades war es den Fluggästen möglich, die<br />
Gondeln um 180° zu drehen, woraus sich eine Vorwärts-,<br />
Rückwärts- oder Seitwärtsfahrt ergab. Das<br />
Rundfahrgeschäft mit den futuristischen Tellergondeln<br />
und den charakteristischen Schirmchen war auch auf<br />
Großvolksfesten wie dem Oldenburger Kramermarkt –<br />
dort durch die Firma Kind – präsent. Andere Exemplare<br />
liefen unter den Schaustellern Klinge, Ahrend<br />
oder Denk; letzterer war jahrzehntelang Stammbeschicker<br />
des Hamburger Doms.<br />
■<br />
ZEPPELIN<br />
QUELLE<br />
Karl Ruisinger: Karusselltürme,<br />
<strong>Kirmes</strong> Revue 4/97,<br />
Seiten 28-30<br />
(Foto: Archiv Schwarzkopf)<br />
Als der alte Zeppelin-Weltflug von Hugo Haase allmählich<br />
den Zenit seiner Popularität überschritten<br />
hatte, konstruierte die Firma Schwarzkopf zwei neue<br />
<strong>Karussells</strong> mit behäbiger Rundfahrt, aber bis dahin<br />
nicht dagewesenem Höhenerlebnis. In zwei Versionen<br />
gab es dieses Zeppelinkarussell: Die erste wurde<br />
1969 gebaut und erreichte – bei einer Turmhöhe von<br />
etwa 27 Metern – eine Flugbahn von rund 17 Metern.<br />
Sechs zeppelinförmige Flugobjekte mit Kabinen für je<br />
12 Personen rotierten im Kreisverbund um eine schlanke<br />
Säule. Das Geschäft wurde auf drei <strong>Spezial</strong>wagen<br />
aufgebaut, der Mast hydraulisch aufgerichtet. Diese<br />
Erstversion des Schwarzkopf-Zeppelins war im Prinzip<br />
nur eine Übergangslösung, denn bereits zwei <strong>Jahre</strong><br />
später kam der höhere Zeppelin II mit nur fünf Zeppelinen,<br />
der zum Wahrzeichen vieler 70er-<strong>Jahre</strong>-<strong>Kirmes</strong>sen<br />
wurde.<br />
■<br />
SUPER-COMET<br />
QUELLE<br />
Van Saturnus tot Hully Gully,<br />
Euro Kermis Magazine<br />
95/2, Seite 10<br />
(Foto: Collectie Stichting<br />
Kermiscultuur)<br />
Adam v.d. Veen, der holländische Karusselltüftler<br />
aus Purmerend, war auch in den 60ern Stammgast<br />
vieler großer (norddeutscher) Volksfeste. Beschickerlisten<br />
des Oldenburger Kramermarkts etwa führen ihn<br />
von 1964 bis 1966 mit dem Karussell „Super-Comet”.<br />
Ob es sich dabei um das in Holland auch unter „Cyclone”<br />
und „Saturnus” laufende Fluggeschäft handelte,<br />
aus dem 1968 ein Hully Gully-Nachbau wurde, ist<br />
nicht gesichert, aber zeitlich vorstellbar.<br />
■<br />
104
PATENTSKIZZE TRABANT<br />
ANHANG<br />
QUELLE<br />
Archiv Bonhoff<br />
ENTWURFSSKIZZE PASSAT<br />
QUELLE<br />
Archiv Winter<br />
Winters Passat im Bau<br />
105
ANHANG<br />
AUFSTELLSCHEMA SCHIEFER TURM<br />
106
AUFSTELLSCHEMA SCHIEFER TURM<br />
ANHANG<br />
QUELLE<br />
Skizzen Archiv Kärger<br />
(Fotos: Archiv Frickenschmidt)<br />
107
ANHANG<br />
BAU- UND TESTPHASE SPUTNIK<br />
QUELLE<br />
Archiv Loeb, Archiv Kärger<br />
108
ORIGINAL POSTKARTEN CALYPSO<br />
ANHANG<br />
QUELLE<br />
Jenseits des Großen<br />
Teichs galt der Calypso als<br />
das Luxuskarussell made<br />
in Germany. Er wurde um<br />
1960 auf den Souvenir-<br />
Karten vieler Freizeitparks<br />
abgebildet<br />
(Archiv Michael Bonhoff)<br />
Conneaut Lake Park<br />
Kennywood Park<br />
Elitch Gardens<br />
109
ANHANG<br />
PRODUKTIONSLISTE FIRMA KLAUS<br />
110
PRODUKTIONSLISTE FIRMA KLAUS<br />
ANHANG<br />
QUELLE<br />
Originallisten Archiv Kärger<br />
(Fotos Titan Testflug /<br />
Twist Aufbau: Archiv<br />
Klaus)<br />
111
ANHANG<br />
PRODUKTIONSLISTE FIRMA KLAUS<br />
112
PRODUKTIONSLISTE FIRMA KLAUS<br />
ANHANG<br />
113
ANHANG<br />
BESCHICKERLISTE LANDSHUT 1959<br />
QUELLE<br />
Archiv Stadt Landshut, Archiv<br />
Wack, Archiv Pötzsch<br />
Endres, Adolf:<br />
„Elektro-Globus-Hochflieger”<br />
Hochleitner, Ludwig:<br />
„Der Polyp”<br />
114
LITERATUR<br />
– Florian Dering: Volksbelustigungen, Nördlingen<br />
1986<br />
– Willi Thoma: Faszination Karussell- und Wagenbau<br />
Mack, 1988<br />
– Geoff Weedon / Richard Ward: Fairground Art,<br />
1981<br />
– Jahrbuch des Schaustellergewerbes der 70er-<br />
<strong>Jahre</strong>, Stuttgart 1971<br />
– Birgit Götz: Mit Romantik hat unser Beruf nichts<br />
zu tun, München 1999<br />
– Günter Müller: Der schöne alte Oldenburger Kramermarkt,<br />
Oldenburg 1982<br />
– Franz Hellbernd: Stoppelmarkt in Vechta, Vechta<br />
1988<br />
– Annette Kris-Bonazza: Auf Cranger <strong>Kirmes</strong>,<br />
Münster 1992<br />
– Münster-Send: Synode – Markt – Volksfest, Münster<br />
1986<br />
– Rainer Schulz, 625 <strong>Jahre</strong> Simon-Juda-Markt Werne,<br />
Werne 1987<br />
– Hinein ins Vergnügen: Geschichte und Geschichten<br />
zu 50 <strong>Jahre</strong>n Darmstädter Heinerfest,<br />
Darmstadt 2000<br />
– 250 <strong>Jahre</strong> Wendsche Kärmetze, Wenden 2002<br />
– Das Oktoberfest: 175 <strong>Jahre</strong> Bayerischer National-Rausch,<br />
München 1985<br />
– 175 <strong>Jahre</strong> Oktoberfest 1810 -1985, München<br />
1985<br />
– Oktoberfest: The Oktoberfest–Portrait of a Fair,<br />
München 1970<br />
– Andreas Jacob: Die Erlanger Bergkirchweih, Erlangen<br />
2005<br />
– 100 <strong>Jahre</strong> Süddeutscher Schaustellerverband<br />
1888-1988, Nürnberg 1988<br />
– 1897-1987: 90 <strong>Jahre</strong> Schausteller-Verein „Rote<br />
Erde”, Dortmund, 1987<br />
– Lauran Wijffels: Draaiboek van een kermisgek,<br />
Zaltbommel 2002<br />
– Max Stoop: S’isch Chilbi-Ziit, Stäfa 1997<br />
– Max Stoop: Sensationen – Attraktionen an Jahrmarkt<br />
und Chilbi, Stäfa 1999<br />
– Gerhard Eberstaller: Schön ist so ein Ringelspiel,<br />
Wien 2004<br />
– Marcello La Speranza: Prater-Kaleidoskop,<br />
Wien, 1997<br />
– Sinnlichkeit und Schaulust”: Die Geschichte des<br />
Oldenburger Kramermarktes, Video, Werkstattfilm<br />
Oldenburg, 2003<br />
– 100 <strong>Jahre</strong> Distel, DVD, München 2005<br />
– Euro Kermis Magazine, diverse Jahrgänge<br />
– Der Komet, diverse Jahrgänge<br />
– <strong>Kirmes</strong> & Park Revue, Ausgaben 1 - 100
Die 1996 gegründete Zeitschrift <strong>Kirmes</strong> & Park<br />
Revue legt einen ihrer Schwerpunkte auf die<br />
Erforschung der Geschichte der <strong>Karussells</strong> der<br />
<strong>1950er</strong>- und <strong>1960er</strong>-<strong>Jahre</strong> – eine Epoche, in der<br />
die Kreationen der Vorkriegszeit noch allerorten<br />
präsent waren, in der jedoch mit der Entwicklung<br />
hydraulisch und pneumatisch angetriebener<br />
Rundfahrgeschäfte und einer Fülle neuartiger<br />
Bewegungskombinationen eine moderne Ära im<br />
Karussellbau anbrach.<br />
Zur hundertsten Ausgabe der Zeitschrift wurden<br />
alle bislang ermittelten Fakten und Beiträge,<br />
die diesen Zeitraum betreffen, noch einmal<br />
überarbeitet, ergänzt und in diesem Sonderband<br />
erstmals zusammengestellt und geordnet.<br />
ISBN 3-980 8913-3-X<br />
4 197061 308001 01