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Kirmes Spezial 1 Karussells 1950er & 1960er Jahre (Vorschau)

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SONDERBAND ZUR 100. KIRMES REVUE<br />

€ 8,00<br />

KARUSSELLS 1950 ER & 1960 ER JAHRE


IMPRESSUM<br />

<strong>Kirmes</strong> Special<br />

erscheint bei<br />

■ Gemi Verlags GmbH<br />

Pfaffenhofener Straße 3<br />

85293 Reichertshausen<br />

Tel.: 0 84 41/40 22-0<br />

Fax: 0 84 41/718 46<br />

Internet: www.kirmesparkrevue.de<br />

eMail: gemi.verlag@t-online.de<br />

■ Verlagsleiter<br />

Gerd Reddersen, Rudolf Neumeier<br />

■ Redaktion, Layout & Gesamtkonzept<br />

Karl Ruisinger<br />

■ Titelentwurf & Collage<br />

Maria Bander<br />

■ Lithos, Satz & Herstellung<br />

Markus Westner<br />

Grafischer Betrieb<br />

■ Druck<br />

Bernardinum, Stettin<br />

■ Vertrieb<br />

Gerd Reddersen<br />

■ Titelfotos<br />

Archive: Sippel, Zimmer, Gunz, Kärger,<br />

Judenhofer, Hohl, Loeb, Klaus, Rilke, Wirtele,<br />

Geier, Voß, Schultze und Spangenberger<br />

■ Foto Rückseite und unten<br />

Collection Viollet, Erich Moschkau<br />

■ Textbeiträge<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue, Ausgaben 1 - 100.<br />

Die Originalbeiträge mit Autorenbenennung sind<br />

in den einzelnen Kapiteln jeweils unter „Quelle”<br />

genannt.<br />

■ ISBN-Nummer<br />

3-980 8913-3-X


EDITORIAL<br />

Der vorliegende Band fasst – zur 100. Ausgabe<br />

der <strong>Kirmes</strong> Revue – noch einmal alle bisherigen<br />

Berichte und Infos über die deutsche <strong>Karussells</strong>zene<br />

der 50er- und 60er-<strong>Jahre</strong> zusammen,<br />

strafft, aktualisiert und ergänzt sie mit bislang bei<br />

uns noch nicht veröffentlichten Fotos, wo nötig und<br />

wo möglich.<br />

Die Beschränkung auf diesem Zeitraum – bei dessen<br />

Auswahl auch persönliche Interessen (die damals<br />

maßgeblich zur Gründung der Zeitschrift<br />

beigetragen haben) ausschlaggebend waren –<br />

brachte bei der Konzeption dieses Sonderbandes<br />

natürlich gewisse Probleme mit sich. Das<br />

Stimmungskarussell der Volksfeste jener Epoche<br />

erfordert es auch, die damals verbliebenen Vorkriegsklassiker<br />

sowie deren spätere Nachbauten<br />

zu berücksichtigen. So ist den zentralen 50er- und<br />

60er-<strong>Jahre</strong>-Themen der Einleitungsteil „Vor- &<br />

Nachkrieg” vorangestellt, gefolgt von einem kurzen<br />

Blick auf die ersten Pionierleistungen der<br />

40er-<strong>Jahre</strong>. Im Kapitel „Anhang” finden Sie eine<br />

Reihe von Originaldokumenten zum (technischen)<br />

Hintergrund einzelner <strong>Karussells</strong>, die bislang<br />

großenteils noch nirgends abgedruckt waren.<br />

In allen Kapiteln wurde in erster Linie auf Originalfotos<br />

zurückgegriffen, um diesen Trip in die<br />

Vergangenheit möglichst authentisch rüberzubringen.<br />

An dieser Stelle herzlichen Dank an alle, die der<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue im Lauf der letzten zehn <strong>Jahre</strong> ihr<br />

Archiv geöffnet haben, sowie an meine redaktionellen<br />

Mitarbeiter, in diesem speziellen Fall besonders<br />

an Michael Bonhoff, Ton Koppei und Rolf<br />

Orschel, die mit toll recherchierten Beiträgen viel<br />

Licht in die Karussellgeschichte der Nachkriegsjahrzehnte<br />

gebracht haben.<br />

Dieser Special-Band erhebt keinen Anspruch auf<br />

Vollständigkeit: <strong>Karussells</strong> wie „Weltraumbummler”<br />

oder „Weltraumsegler”, „Antilope” oder „Zepp-<br />

Bahn”, „Super Nova” oder „Schunkelbahn”, zu denen<br />

keine näheren Infos, geschweige dem Fotos<br />

beschafft werden konnten, bleiben außen vor.<br />

Auch die Geschäfte der ehemaligen DDR wurden<br />

weitgehend ausgespart – keine Diskriminierung,<br />

sondern weise Voraussicht: Ihnen wird das <strong>Kirmes</strong><br />

Special 2006 gewidmet sein.<br />

Bis dahin erst einmal viel Spaß auf der nostalgischen<br />

Reise durch die Karusselllandschaft der<br />

westdeutschen Wirtschaftswunder-Epoche.<br />

Karl Ruisinger


INHALT<br />

VOR- UND NACHKRIEG<br />

KETTENFLIEGER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

BERG- UND TALBAHN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

RAUPE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

SEESTURMBAHN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

SCHLICKERBAHN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

WALZERFAHRT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

RAKETENBAHN. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

THE WHIP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

SPINNE. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

STURZBOMBER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

DIVERSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

VIERZIGER JAHRE<br />

SEEMUSCHEL. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

WELLENFLIEGER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

LUFTSCOOTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

DIVERSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

FÜNFZIGER JAHRE<br />

HURRICANE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

HELIKOPTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />

VAMPIR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />

TORNADO / ZYKLON . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />

FLIEGENDE UNTERTASSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

ROUND UP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />

SPUTNIK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />

CALYPSO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />

TITAN. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />

DÜSENCLIPPER. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />

HULA HOOP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54<br />

DIVERSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />

4


SECHZIGER JAHRE<br />

INHALT<br />

TOLLE JOLLE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />

WELTRAUMFLUG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />

LUFTWIPPER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />

FALLSCHIRMFLUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65<br />

FLIEGENDER TEPPICH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66<br />

TWIST . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68<br />

TWISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />

CARAVELLE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />

ALLROUND. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74<br />

SPRUNGSCHANZE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76<br />

TRABANT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80<br />

PASSAT. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82<br />

BOSSA NOVA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85<br />

BAYERNKURVE. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86<br />

RUND UM DEN TEGERNSEE. . . . . . . . . . . . . . . . . 88<br />

TORNADO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />

MIRAGE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90<br />

POLYP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />

HULLY GULLY. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />

THUNDERBIRD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100<br />

DIVERSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101<br />

ANHANG<br />

KONSTRUKTION TRABANT / PASSAT . . . . . . . . . . . 105<br />

AUFBAU TITAN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106<br />

BAU UND TESTPHASE SPUTNIK . . . . . . . . . . . . . . 108<br />

ORIGINAL-POSTKARTEN CALYPSO . . . . . . . . . . . . 109<br />

PRODUKTIONSLISTE KLAUS. . . . . . . . . . . . . . . . 110<br />

BESCHICKERLISTE 1959 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114<br />

LITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115<br />

5


VOR- & NACHKRIEG<br />

KETTENFLIEGER<br />

Kettenflieger mit abstrakter<br />

Malerei von Inge<br />

Kollmann, 1956. Daneben<br />

Riesenkettenflieger von<br />

Friedrich Eberhardt, 1947<br />

Kettenflieger von<br />

Ludwig Horn, 60er-<strong>Jahre</strong><br />

Kettenflieger oder Kettenkarussells – wie sie im<br />

Volksmund heißen – sind die Urahnen aller späteren<br />

Hochrundfahrgeschäfte. Sie kamen um die Jahrhundertwende<br />

auf und entwickelten sich im Lauf der<br />

ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts mit zu den<br />

beliebtesten Fahrgeschäften. Auch in den 50er- und<br />

60er-<strong>Jahre</strong>n dominierten sie noch viele Festplätze; auf<br />

großen Veranstaltungen wie dem Münchner Oktoberfest<br />

standen zu Beginn der 50er noch sechs Anlagen<br />

dieses Typs, und jede kleinere <strong>Kirmes</strong>, die etwas auf<br />

sich hielt, präsentierte in ihrem Zentrum den hohen<br />

Kettenflieger als stolzen Platzwächter. Am Ende des in<br />

diesem Band beschriebenen Zeitraums waren, laut<br />

Dipl.-Ing. Karl Meier in Sicherheit fliegender Bauten,<br />

FOTOS<br />

Archiv Kollmann, Archiv<br />

Eberhardt, Archiv Horn,<br />

Archiv Diebold, Archiv<br />

Thalkofer, Archiv Fuhrmann<br />

Kettenflieger von Anna<br />

Kreis und Donat Diebold,<br />

Gundelwein, Vorkriegszeit<br />

Kettenflieger von Robert<br />

Thalkofer und August Isken,<br />

Eigenbau, Nachkriegszeit<br />

6


VOR- & NACHKRIEG<br />

Ludwig Horns<br />

Turmflieger, der um 1960 zum<br />

Globusflieger wurde<br />

Globus-Flieger, Adolf Endres, 60er-<strong>Jahre</strong><br />

noch rund 70 Kettenkarussells in Deutschland auf der<br />

Reise. Viele dieser Anlagen gingen auf die Vorkriegszeit<br />

und damit oft auf im Ostteil Deutschlands verbliebene<br />

Hersteller wie Gundelwein oder Bothmann<br />

zurück. Dennoch wurden im Westen noch in Eigenbau<br />

weitere Kettenflieger traditioneller Machart hergestellt.<br />

Obwohl im Fahreffekt meist unverändert, durchlief der<br />

Typ des einfachen Kettenfliegers in der Nachkriegszeit<br />

einige neue Trends. Die Dekoration betraf dies weniger;<br />

die meisten Flieger präsentierten sich weiterhin<br />

mit klassisch-traditionellen Bemalungen: Landschafte,<br />

Frauen in Schnörkelmedaillons, Papageien, Blumenarrangements.<br />

Es gab jedoch vereinzelt auch Geschäfte<br />

mit moderner gegenstandsloser Malerei, etwa<br />

den „Turmkettenflieger” von Inge Kollmann. Diese Bezeichnung<br />

weist klar auf die damaligen Bemühungen<br />

der Besitzer hin: Turmartig, groß sollte der Flieger wirken,<br />

um von der moderneren Karussellkonkurrenz<br />

nicht optisch erschlagen zu werden. Wer Überblicksfotos<br />

von Volksfesten jener Zeit anschaut, entdeckt viele<br />

hoch aufragende, massiv wirkende Kettenflieger,<br />

zwar in der Regel in der sich immer mehr durchsetzenden<br />

taillierten Trichterform, aber die Trichterteile<br />

waren oft sehr weit nach unten gezogen. Einige Besitzer<br />

wie der Augsburger Schausteller Eberhardt stockten<br />

ihren Flieger gleich um einen doppelten Trichter auf<br />

und nannten das Geschäft „Riesenkettenflieger”.<br />

Aus der Mode kam hingegen nach dem Krieg der ursprüngliche<br />

Typ des „Turmfliegers”, bei dem die Mastverkleidung<br />

bis an den Drehkranz beziehungsweise<br />

Plafond hochreichte. Kettenkarussells mit derartigen<br />

Proportionen wurden in jenen <strong>Jahre</strong>n gerne als Globusflieger<br />

gestaltet. Zwar gab es diese Form auch<br />

schon vor dem Krieg, aber in der Ära der Raumfahrtbegeisterung<br />

wirkte die rotierende Erdkugel eines Kettenfliegers<br />

erfrischend zeitgemäß. Eine Metamorphose<br />

vom Turm- zum Globusflieger erlebte beispielsweise<br />

das Karussell von Ludwig Horn aus Regensburg,<br />

vom Trichter- zum „Elektro-Globus-Hochflieger” das<br />

Geschäft von Adolf Endres aus Landshut.<br />

Der Fahreffekt der Kettenkarussells war bei aller optischer<br />

Verschiedenenheit überall der gleiche. Die noch<br />

in der Vorkriegszeit gängigen schweren Besatzungsteile<br />

wichen – bis auf wenige Relikte – nun gänzlich<br />

den beliebten, freischwingenden Kettenstühlen. Manche<br />

rotierten schneller, manche langsamer, und es war<br />

ein Trugschluss zu glauben, dass besonders hohe<br />

Fliegerbauten mit langen Ketten eine besondere Rasanz<br />

an den Tag gelegt hätten. Vereinzelte Exoten gab<br />

es freilich auch: Der Katapultflieger des Oldenburger<br />

Schaustellers Wilhelm Ottens bot um 1950 einen besonderen<br />

Effekt: Die Kettenbügel wurden an bogenförmig<br />

nach oben weiterführenden Schienen hochkatapultiert.<br />

In zwei Dingen unterschieden<br />

sich die damaligen Flieger<br />

noch stark von ihrem späteren<br />

Auftreten: Die Podien waren<br />

meist niedriger und schmäler,<br />

der TÜV verschärfte aus Sicherheitsgründen<br />

um 1970<br />

seine Auflagen; die Folge waren<br />

hässlich-wuchtige Alu-<br />

Treppenburgen an vielen <strong>Karussells</strong>.<br />

Und: Es gab noch<br />

keine Polyester-Panneaus: Die<br />

kamen erst ab 1972/73 mit<br />

dem Zierer-Wellenflug in<br />

Mode.<br />

■<br />

Globusflieger, Ahrend, 1946<br />

FOTOS<br />

Archiv Petz, Archiv Horn,<br />

Archiv Armbrecht, Günter<br />

Müller: Der schöne alte Oldenburger<br />

Kramermarkt,<br />

Seite 163<br />

Ottens’ Katapultflieger<br />

7


VOR- & NACHKRIEG<br />

BERG- & TALBAHN<br />

Jaguar von Mack,<br />

Roos, um 1960<br />

Frühe Formen: Seeungeheuer<br />

von Loch Ness und<br />

Fahrt ins Blaue<br />

Libelle mit fünf kreisförmigen<br />

Wagen<br />

Die Berg- und Talbahn gehört zu den ganz frühen<br />

Karussellformen, deren Ursprung im ausgehenden<br />

19. Jahrhundert in England liegt. Deutsche<br />

Ersthersteller derartiger <strong>Karussells</strong> waren die Firmen<br />

Bothmann und Stuhr. Die konstruktive Entwicklung<br />

führte über ein einfaches Gleis zum Schienenkranz,<br />

auf dem pro Ausleger ein Rad lief. Zwischen den Auslegern<br />

wurden räderlose Chaisen beweglich eingehängt.<br />

Die Fahrzeuge wurde in den ersten Jahrzehnten<br />

des 20. Jahrhunders kontinuierlich kleiner und<br />

handlicher und waren der jeweils aufgesetzten Thematik<br />

optisch angepasst. Formen der Berg- und Talbahn,<br />

die noch bis in die Nachkriegszeit gebräuchlich<br />

waren, liefen als „Fahrt ins Blaue”, bei der kutschenähnliche<br />

Chaisen auf- und abtanzten, und<br />

„Schlange”, die thematisch gerne mit dem „Seeungeheuer<br />

von Loch Ness” gleichgesetzt wurde; sie bot einen<br />

Fahrgastträger, auf dem man rittlings seine Runden<br />

drehte. In der Regel waren die damaligen Bergund<br />

Talbahnen überdachte Pfostengeschäfte mit unterschiedlich<br />

großem Durchmesser. Wichtige Hersteller<br />

waren bei diesen Geschäften die damals führenden<br />

Karussellbauer Heyn, Schumann und Gundelwein,<br />

aber auch viele Eigenbauten nahmen am <strong>Kirmes</strong>geschehen<br />

teil.<br />

Moderne Nachkriegsversionen der Berg- und Talbahn<br />

kamen zunächst in erster Linie aus den Fabrikhallen<br />

der französischen Firma Chereau, dem Vorfahren von<br />

Reverchon, die Seitenwangen der Gondeln erhielten<br />

bei diesem Hersteller die später so charakteristische<br />

Schneewolken-Form. Auch die Firma Zierer war relativ<br />

früh in die Fertigung derartiger Geschäfte involviert.<br />

Thematisch waren in den 50er-<strong>Jahre</strong>n zwei Trends zu<br />

erkennen: die Winter-Dekoration unter Geschäfts-<br />

Cortina-Bahn, Zimmer, 1963, und<br />

Squaw Valley, Schaa, um 1966<br />

8


VOR- & NACHKRIEG<br />

Cortina-Bob, Mack,<br />

links Menzel, 1959, unten Distel,<br />

1956<br />

namen wie „Himalaya”, „Bobsleigh-Eisgrottenbahn”,<br />

„Squaw Valley”, „Tourbillon des Neige” oder „Tourbillon<br />

Blanc”, „Polar-Express” oder „Weißer Traum” einerseits,<br />

auf der anderen Seite kam damals auch<br />

schon das heute noch gängige Urwald-Motiv a la „Jaguar”<br />

in Mode.<br />

Einen gravierenden Einschnitt in die Entwicklung der<br />

Berg- und Talbahnen konnte 1956 die Firma Mack mit<br />

dem „Cortina Bob” vollziehen, eine sehr schnelle<br />

Bahn, bei der Passagiere hintereinander in windschnittigen<br />

Bob-Chaisen saßen und deren Prototyp –<br />

mit einer Opitz-Fassade, die in der Planung den Namen<br />

„Mont Everest” trug – an die Münchner Firma<br />

Bausch & Distel ging. Gänzlich revolutionär war knappe<br />

zehn <strong>Jahre</strong> später die Einführung des „Musikexpress”<br />

mit nebeneinanderliegenden Sitzen, ebenfalls<br />

von Mack. Dieses Karussell sollte das erfolgreichstes<br />

Karussell des 20. Jahrhunderts werden; mit seinen unterschiedlichen<br />

Säulenversionen und nach ständigen<br />

Verbesserungen ist es heute der Klassiker schlechthin.<br />

Der offenen Variante, die als „Diskothek” das Musikthema<br />

weiter ausbaute und sich mit einer üppigen<br />

Kulisse an offenen Rundfahr-Rennern wie Calypso<br />

oder Hully Gully orientierte, blieb ein Erfolg auf breiter<br />

Ebene erstaunlicherweise versagt.<br />

Es gab natürlich auch eine Menge<br />

hübscher Exoten im Lager der<br />

Berg- und Talbahnen: Etwa den mit<br />

schnittigen Straßenkreuzer-Gondeln<br />

bestückten „Monaco Job”,<br />

den Hans Rosenzweig aus München<br />

aus der Substanz seiner<br />

Raupenbahn baute und der später<br />

als „Weißer Blitz” in Umlauf kam,<br />

oder die „Monza-Bahn” von Franz<br />

Bode aus Syke, die im Kontrast<br />

dazu mit dem Messerschmitt-<br />

Kabinenroller nachempfundenen<br />

Fahrzeugen versehen war. Eine Sonderform war<br />

schließlich die Libelle, ein riesiger Schienenkranz, auf<br />

dem ein Zug von fünf kreisrunden Gondeln seine Runde<br />

drehte.<br />

■<br />

Orkan, Spangenberger,<br />

um 1957<br />

Musik-Express, Kinzler<br />

Monza-Bahn, Bode<br />

FOTOS<br />

Archiv Roos, Archiv Distel,<br />

Archiv Malfertheiner, Archiv<br />

Zimmer, Archiv Moser,<br />

Archiv Menzel, Archiv Bode,<br />

Archiv Kinzler, Archiv<br />

Spangenberger, Archiv<br />

Bonhoff<br />

Diskothek von Mack<br />

9


VOR- & NACHKRIEG<br />

RAUPENBAHN<br />

Cronenberg, Fabrikat<br />

Achtendonk<br />

Honecker, 1950 – Markmann,<br />

Achtendonk – Steiger,<br />

Bothmann, 1926<br />

FOTOS<br />

Archiv Fellerhoff, Archiv<br />

Honecker, Archiv Markmann,<br />

Archiv Steiger, Archiv<br />

Lang, Archiv Feldl<br />

Rudi Langs „Amor Express”,<br />

Spaggiari & Barbieri<br />

Die Raupenbahn tauchte Mitte der 20er-<strong>Jahre</strong> erstmals<br />

in Europa auf. Sie war eine Weiterentwicklung<br />

der einfachen Berg- und Talbahn, allerdings mit<br />

einem recht wirkungsvollen Zusatzeffekt. Während der<br />

Fahrt stülpte sich ein Verdeck über die Gondeln. Für<br />

den Betrachter sah dieser über Berg und Tal rasende<br />

Schlauch wie eine kriechende Raupe aus – daher der<br />

Name. Für die Fahrgäste – die durch die Fliehkraft ohnedies<br />

nach außen und dadurch an- beziehungsweise<br />

aufeinander gedrückt wurden – bot sich hingegen<br />

durch dieses Verschwinden aus dem Blickfeld der<br />

Umstehenden die Chance auf Tuchfühlung. Nicht umsonst<br />

wurde die Raupenbahn gerade in den prüden<br />

50er-<strong>Jahre</strong>n ein echter Kultrenner bei der Jugend, da<br />

sie die ideale Spielwiese für den verborgenen Austausch<br />

von Zärtlichkeiten darstellte. Der Status als Karussell<br />

für die Jugend wurde von den Betreibern dergestalt<br />

untermauert, dass sie in den 50er- und 60er-<br />

<strong>Jahre</strong>n viele Raupen zu Diskotheken umfunktionierten,<br />

bei denen es die neuesten Schlager und Rock’n’Roll-<br />

Hits zu hören gab – der Begriff „Musikraupe” entstand<br />

in dieser Epoche ebenso wie der vielsagende Schriftzug<br />

„Amor-Bahn”.<br />

Die Ursprünge der Raupenbahn liegen in Amerika, wo<br />

um 1922 erstmals eine „Caterpillar”-Bahn entwickelt<br />

wurde. In Deutschland folgten wenige <strong>Jahre</strong> später<br />

insbesondere die Firmen Gundelwein und Bothmann<br />

mit eigenen Konstruktionen. Auch die Kölner Firma<br />

Achtendonk nimmt in der Geschichte der Raupenbahn<br />

eine besondere Stellung ein, indem sie bestehende<br />

Berg- und Talbahnen mit dem zusätzlichen Verdeck<br />

nachrüstete oder auch einige wenige komplette Raupen<br />

selbst baute. Neuere Raupenbahnen im Stil der<br />

60er-<strong>Jahre</strong> lieferte dann unter anderem die italienische<br />

Firma Spaggiari & Barbieri. Mack aus Waldkirch hingegen<br />

ließ sich mit der neuentwickelten Raupe bis<br />

1980 Zeit.<br />

Wie bei den „normalen” Berg- und Talbahnen ist es<br />

auch bei der Raupe unmöglich, eine auch nur annähernd<br />

komplette Auflistung aller Geschäfte zu erstellen.<br />

Erwähnenswert íst auf alle Fälle die Schlager-<br />

Raupenbahn der Familie Bretting aus Oldenburg, in<br />

den 30ern gebaut und später noch lange von Familie<br />

Ludewigt betrieben, ferner die Geschäfte von Kuckartz,<br />

Cronenberg (später Fellerhoff), Markmann,<br />

Stracke, Wendler oder die Münchner Raupenbahnen<br />

von Wild und Rosenzweig. Noch heute spielbereit sind<br />

die <strong>Karussells</strong> von Steiger, gebaut bei Bothmann 1926,<br />

Feldmann (Hersteller Orenstein & Koppel) oder<br />

Honecker (ehemals „Schneebahn”).<br />

■<br />

10


SEESTURMBAHN<br />

Eine besondere Variante der Berg- und<br />

Tal-Fahrt bot die 1936 erstmals von der<br />

Firma Heyn gebaute Seesturmbahn. Hier<br />

fungierte der in vier engen Tälern und Bergen<br />

angelegte Schienenkreis als Basis für<br />

einen wilden Ritt über die Wellen. Die als<br />

Segelboote gestalteten Gondeln konnten<br />

vom Fahrstand aus zusätzlich gedreht werden,<br />

ruckartige Wechsel in Vorwärts- und<br />

Rückwärtsbewegung waren die Folge. Die<br />

Schaustellerfamilie Bergert-Distel machte<br />

mit ihrer Ausführung dieses <strong>Karussells</strong><br />

wegen der opulenten Gestaltung Furore,<br />

und auch die Firmen Hanstein, Weber oder<br />

Sartorio waren Ende der 30er-<strong>Jahre</strong> mit<br />

solch einem Karussell unterwegs. Ob all<br />

diese „Seesturmbahn” getauften<br />

<strong>Karussells</strong> allerdings<br />

auch wirklich den<br />

Drehmechanismus besaßen<br />

oder lediglich maritim<br />

aufgemachte Berg- und Talbahnen<br />

waren, sei dahingestellt.<br />

Auch nach dem Krieg<br />

waren noch Exemplare mit<br />

entsprechender Thematik<br />

im Umlauf, etwa unter Firma<br />

Kleiner in Berlin. Und auch<br />

unter anderen Bezeichnungen<br />

– zum Beispiel als „Re-<br />

VOR- & NACHKRIEG<br />

Seesturmbahn von Bergert-Distel,<br />

1936<br />

Karussell von Sartorio<br />

gatta” – drehten sich derartige <strong>Karussells</strong><br />

in der Nachkriegszeit. In<br />

Norddeutschland berühmt war der<br />

„Wellenreiter”, der zunächst unter<br />

Familie Loeb, später unter Karl-<br />

Heinz Hempen lief.<br />

Als offiziell von Karussellbaufirmen<br />

angebotene Neuanfertigung war<br />

die Seesturmbahn nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg im Westen Deutschlands<br />

zunächst nicht zu bekommen.<br />

Der Familie Distel, die ihre<br />

Tradition mit diesen Bahnen gerne<br />

wieder aufleben lassen wollte, bot<br />

sich vorerst nur der Umweg über<br />

die „Tolle Jolle” von Klaus, eine<br />

ganz andere, von den Pressluftfliegern<br />

abgeleitete Konstruktion. Erst<br />

viel später, im Jahr 1978, schlug<br />

die Firma Mack in der Geschichte<br />

der Seesturmbahn wieder ein<br />

brandneues Kapitel auf, bei dem<br />

dann auch die Distels sofort wieder<br />

mitmischten.<br />

■<br />

Als Seesturmbahn aufgemachte<br />

Berg- und Talbahn<br />

FOTOS<br />

Archiv Distel, Archiv Sartorio,<br />

Archiv Kiel, Archiv<br />

Hempen<br />

Wellenreiter von Hempen<br />

11


VOR- & NACHKRIEG<br />

SCHLICKERBAHN<br />

Distels Zugspitzbahn<br />

Seiferths Schlickerbahn<br />

wurde 1938/39 zu Menzels<br />

Zugspitzbahn<br />

In den 30er-<strong>Jahre</strong>n baute die Firma<br />

Heyn in Orla die ersten Exemplare der<br />

sogenannten Schlickerbahn, eine Weiterentwicklung<br />

der Berg- und Talbahn,<br />

bei der die Gondeln während der Fahrt<br />

zusätzlich nach außen pendelten. Die<br />

Berge und Täler des Schienenkranzes<br />

waren hier steiler als gewohnt, so dass<br />

die Gondeln bei vollem Tempo über die<br />

Horizontale hinaus<br />

schwangen. Es war klar, dass diese<br />

prickelnde Angelegenheit bald<br />

ihre Bewunderer und Käufer fand.<br />

Einer der ersten war die damals<br />

schon für Innovationen bekannte<br />

Münchner Familie Distel, die<br />

gleichzeitig in punkto Namensgebung<br />

zukunftsweisend war und ihr<br />

Karussell, mit winterlichen Motiven<br />

dekoriert, „Zugspitzbahn” nannte.<br />

Die Distelsche Zugspitzbahn wurde<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg an<br />

den Schausteller Paul Grafe verkauft<br />

und blieb anschließend in der<br />

DDR. Den umgekehrten Weg von<br />

Ost nach West ging bereits 1938<br />

die Schlickerbahn von Arthur und<br />

Erich Seiferth, als sie an die Münchner<br />

Familie Menzel<br />

verkauft wurde.<br />

Ein Jahr später hieß<br />

auch diese Bahn<br />

„Zugspitzbahn”. Sie<br />

wurde im Laufe der<br />

Zeit optisch und<br />

technisch modernisiert;<br />

bereits 1947<br />

wurden zwei der 20<br />

Stützbalken im Frontbereich<br />

entfernt, um mit einem breiteren Eingang den<br />

Zustrom der Fahrwilligen besser zu bewältigen; zum<br />

gleichen Zeitpunkt entstand auch der große Schriftzug<br />

mit dem Edelweiß. 1970 wurden die alten Gondeln gegen<br />

neue von Mack ausgetauscht. Seitdem ist die<br />

Zugspitzbahn von Menzel ein Münchner Wiesn-Kleinod,<br />

das sich bis heute dort behaupten kann. Um<br />

1946/47 erwarb Menzel überdies eine zweite Zugspitzbahn,<br />

die jedoch nach dem Kauf eines „Cortina-<br />

12


Schilling, Löffelhardt, Hasenkamp, Ahrend, Hille oder<br />

Wendelin Nolli. Die Italien-Sehnsucht muss punktuell<br />

auch die Bürger der DDR ergriffen haben: Dort ließ<br />

sich nämlich Walter Stoll 1954/55 bei Gundelwein in<br />

Wutha eine Schlickerbahn dieses Namens bauen.<br />

Während die DDR-Schausteller durch Traditionsfirmen<br />

wie Heyn und Gundelwein (oder durch Eigenbauten)<br />

noch eine Weile mit Schlickerbahnen versorgt werden<br />

VOR- & NACHKRIEG<br />

Großglocknerbahn von<br />

Hasenkamp<br />

FOTOS<br />

Archiv Distel, Archiv Seiferth,<br />

Archiv Menzel, Archiv<br />

Eckl, Erich Stoll, Archiv<br />

Spangenberger, Münster-Send,<br />

Synode – Markt<br />

–Volksfest, 1986, Seite 152<br />

Großglocknerbahn von<br />

Stoll<br />

Alpenland-Thematik<br />

war der Renner<br />

Bob” wieder abgegeben wurde. In den 60er- und 70er-<br />

<strong>Jahre</strong>n reisten dann die Schausteller Hartmann sowie<br />

Eckl mit ihrer Zugspitzbahn durch Bayern.<br />

Die Bezeichnung „Schlickerbahn” hielt sich bei einem<br />

Original-Heyn-Geschäft aus den 30ern, das nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg an die Firma Resch aus Halle und<br />

später an Horst Ludwig aus Karl-Marx-Stadt ging. Im<br />

Westen Deutschlands hatte jedoch Alpenländisches<br />

Hochkonjunktur: Neben „Zillertalbahn” war es vor allem<br />

die Bezeichnung „Großglocknerbahn”, die den<br />

Schaustellern gefiel. Sie erinnerte an die Großglockner-Hochalpenstraße,<br />

auf der damals die italienhungrigen<br />

Deutschen in Massen ihrem Urlaubsziel entgegenfieberten.<br />

„Großglocknerbahnen” tauchen ab<br />

1950 in verschiedenen Exemplaren und Ausführungen<br />

auf; Besitzer waren unter anderem die Schausteller<br />

konnten, bestand in Westdeutschland bald akuter<br />

Handlungsbedarf, den die Firma Mack ab etwa 1960<br />

mit dem „Matterhorn” abdeckte. Mack verfeinerte diesen<br />

Karusselltyp im Lauf der <strong>Jahre</strong> immer mehr, Ende<br />

der 60er-<strong>Jahre</strong> entstanden die<br />

charakteristischen Gondeln, die<br />

man von Geschäften wie „Tropicana”,<br />

„Apollo 11” oder der generalüberholten<br />

Münchner Zugspitzbahn<br />

kennt. Mit der „Petersburger<br />

Schlittenfahrt” oder Kreationen<br />

wie „Disco Star” oder<br />

„Südseewellen” schlug die Firma<br />

später, in den 80er-<strong>Jahre</strong>n, noch<br />

weitaus zeitgemäßere und fortschrittlichere<br />

Töne an. ■<br />

Mack-Karussell<br />

„Apollo 11”; der Name steht<br />

im aktuellen Bezug zur<br />

Mondlandung 1969<br />

13


VOR- & NACHKRIEG<br />

WALZERFAHRT<br />

Barthels Berliner<br />

Walterfahrt<br />

Walzerbahn von<br />

Schönemann, umgebaute<br />

Schlangenbahn<br />

Tarantella von Möbius<br />

Hohmanns Walzerfahrt<br />

Eine Sonderform der Berg- und Talbahn war die Walzerfahrt,<br />

die Ende der 30er-<strong>Jahre</strong> erstmals gebaut<br />

wurde. Zwischen den Achsen waren hier einzelne Podiensegmente<br />

angebracht, auf denen sich Gondeln<br />

befanden, die exzentrisch befestigt waren, sei<br />

es durch ringförmige Laufschienen, sei es durch<br />

asymmetrisch an den Gondelböden gelagerte<br />

Drehverbindungen. Durch die Fahrt über Bergund<br />

Tal sowie die entstehende Fliehkraft wurden<br />

die Gondeln hin und her gerissen und<br />

vollführten dabei unvorhersehbare,<br />

auch vom Gewicht der Gondelinsassen<br />

abhängige Rotationen. Die Walzerfahrt<br />

ist eine englische Erfindung, und F. W.<br />

Siebold brachte sie als erster nach<br />

Deutschland. Nach dem Krieg waren es<br />

im Norden Deutschlands vor allem<br />

Schippers & v.d. Ville, im Süden die<br />

Schausteller Menzel (eine Bahn, die<br />

1949 während eines Gastspiels auf dem Berliner Weihnachtsmarkt<br />

beschlagnahmt wurde) und vor allem<br />

Hohmann, die Walzerfahrten auf die großen Volksfeste<br />

brachten und dafür sorgten, dass während der gesamten<br />

50er-<strong>Jahre</strong> derartige Kasrussells allerorten zur<br />

Verfügung standen. Auch Berlin war ein Walzerbahn-<br />

Pflaster; dort drehte sich bereits in den 40ern das noch<br />

heute erhaltene Karussell von Otto Barthel. 1948 baute<br />

sich darüber hinaus die Firma Möbius eine Sonderform<br />

der Walzerfahrt, die überdachte Tarantella mit<br />

kleinen, fast tütenförmigen Gondeln; die 1958 an Helmut<br />

Zehle aus München verkauft wurde, nach der Saison<br />

1962 jedoch wieder nach Berlin zurückkehrte,<br />

diesmal an Schausteller Nitsche.<br />

Insgesamt gesehen war jedoch die Walzerfahrt-Szene<br />

im westlichen Deutschlands überschaubar,<br />

während in der DDR dieser<br />

Karussell boomte wie kein anderes.<br />

Das lag zum einen daran,<br />

dass die klassischen Hersteller<br />

Gundelwein und Heyn für die westdeutschen<br />

Schausteller nicht mehr<br />

greifbar waren, andererseits an<br />

der Tatsache, dass hier das Bedürfnis<br />

nach Neuheiten mit ganz<br />

anderen moderneren Hydraulikkarussells<br />

besser bedient werden<br />

konnte. Die Hersteller im Westen<br />

kamen deshalb auch nur zögernd<br />

mit modernen Nachbauten von<br />

Walzerfahrten auf den Markt, die –<br />

14


VOR- & NACHKRIEG<br />

Neubau der Tarantella,<br />

Zierer 1964<br />

FOTOS<br />

Archiv Zehle, Archiv Welte,<br />

Archiv Schwarzkopf, Archiv<br />

Hohmann, Archiv<br />

Splitt, Archiv Barthel<br />

zumindest hierzulande – dann auch eher Exotenstatus<br />

erlangten. Eine neue Tarantella baute die Firma Zierer<br />

1964 für die Münchner Familie Zehle. Zwar konnte sich<br />

dieses Karussell ein Jahrzehnt auf dem Oktoberfest<br />

halten, aber es blieb ein Einzelstück, das unter seinem<br />

späteren Besitzer Pistorius in einen Musikexpress umgebaut<br />

wurde.<br />

Die Firma Schwarzkopf brachte nach 1967 eine neue<br />

Walzerfahrt mit neun großen Viersitzergondeln, die sie<br />

jedoch nur zweimal baute: Ein Exemplar ging als „Virvelvinden”<br />

in den schwedischen Liseberg Park, das<br />

andere erhielt der Hamburger Schausteller Otto v.d.<br />

Ville: Sein „Rendezvous” gehörte in den ausklingenden<br />

60ern zu den Neuheiten der norddeutschen Volksfeste<br />

und steht noch heute unverrückbar auf dem<br />

Hamburger Dom. Dieser hat sich in der Folgezeit, insbesondere<br />

durch die Firma Nülken, zu einer Walzer-<br />

Hochburg entwickelt; die ab den 70er-<strong>Jahre</strong>n aufkommenden<br />

Neubauten von Mack wanderten alle in die<br />

Hansestadt.<br />

In der damaligen DDR reisten um 1960 18 Walzerbahnen,<br />

teils von Heyn und Gundelwein gebaut, teils<br />

in Eigenarbeit realisiert. Hier nur einige Namen: Seifert<br />

(„Walzerfahrt zum Mond”), Meyer („Walzertraum”),<br />

Hadlock, Welte, Thieme, Stoll, Engelbrecht, Wetzel,<br />

Hadlok, Schönemann, Splitt, Walz und Eckstein. ■<br />

Walzerfahrt von Welte,<br />

Gundelwein, 1955<br />

QUELLE<br />

Rolf Orschel: Walzerfahrten<br />

in der DDR, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

11/2000, Seiten 36-42<br />

Rendezvous, Schwarzkopf<br />

15


VOR- & NACHKRIEG<br />

RAKETENFAHRT<br />

Raketenfahrt, Pötzsch<br />

Drei Gestaltungsmöglichkeiten<br />

der Schrägbahn<br />

Bis in die 60er-<strong>Jahre</strong> war sie auf den Volksfesten<br />

unverzichtbar: die „Raketenfahrt zum Mond”, eine<br />

einfache, aber schnelle Kreisfahrt auf schräger Ebene.<br />

Um 1937 tauchten die ersten solchen Anlagen auf,<br />

zunächst – als diese Art von Karussell noch zukunftsweisend<br />

schien – mit raketenförmigem Gondelring, in<br />

den 50ern dann – zeittypisch – auch oft mit Wintersport-<br />

und Gebirgsmotivik, und auch Schiffe kreisten<br />

– der Realität gänzlich fremd – auf schiefem Wasserspiegel.<br />

In ihrer Technik waren diese Anlagen einfach:<br />

Kleine Chaisen drehten auf einem schräggestellten<br />

Schienenkreis ihre Runden, wobei der besondere Reiz<br />

in der Geschwindigkeit lag. Aber auch das Höhengefälle<br />

der Kreisbahn hatte es in sich: Schienenhöhen bis<br />

zu sechs Metern im oberen Bereich waren keine Seltenheit.<br />

Das Gefühl von Tempo wurde oft durch eine<br />

gegenläufig zur Fahrtrichtung drehende Mittelverkleidung<br />

in Form eines Tellers („Globus”) verstärkt. Dieser<br />

war in der Regel der Thematik des <strong>Karussells</strong> angepasst<br />

und mit Raketen (auf denen beispielsweise die<br />

berühmten „Vater- und Sohn-Figuren” saßen), Leuchttürmen<br />

oder Skifahrern versehen. Als der Mack-Calypso<br />

die Plätze eroberte, gab es auch eine Calypso-<br />

Schrägbahn – mit der typischen Lichterfontäne in der<br />

Mitte. In den 60er-<strong>Jahre</strong>n verabschiedeten sich die Raketenfahrten<br />

allmählich, rasante Berg- und Tal-Neukonstruktionen<br />

wie der Musik-Express oder die Bayernkurve<br />

machten ihnen den Garaus. Trotzdem wurden<br />

vereinzelte Schrägbahnen damals noch neu gebaut,<br />

darunter 1965 „Blue Haway” von Mack für<br />

Schausteller Parpalioni.<br />

In den 50er-<strong>Jahre</strong>n waren die Schrägbahnen bei der<br />

Jugend gefragt wie heutzutage der Breakdance. Im<br />

Prinzip gehören sie zu den ganz typischen Fifties-<br />

<strong>Karussells</strong>, auch wenn ihr Ursprung in der Vorkriegszeit,<br />

in den Werkshallen der Firma Heyn in Orla, liegt.<br />

Liest man alte Beschickerlisten der Großveranstaltungen<br />

aus jenen Jahrzehnten durch, ist die Fülle der Na-<br />

Raketenfahrt, Weber,<br />

und Bobrennbahn, Walz<br />

Raketenfahrt, Dölle<br />

men, die einst mit einer Raketenfahrt<br />

in Verbindung standen,<br />

endlos. Die Familie Biermann<br />

etwa war sowohl vor<br />

dem Krieg als auch in den<br />

50ern mit ihrer Raketenfahrt<br />

präsent, ebenso die Firma<br />

Dölle. Schneider, Isken, Kleuser,<br />

Vorlop, Diebold, Pötzsch,<br />

Weber, Überacker, Erdmann,<br />

Fabrizius, Spangenberger –<br />

Raketenfahrten und -bahnen,<br />

Marsraketen, Marsbahnen allerorten.<br />

Die berühmten St.<br />

Moritzbahnen sind den<br />

Schaustellern Vespermann,<br />

Wendler und Parpalioni zuzu-<br />

16


VOR- & NACHKRIEG<br />

St. Gotthard-Bahn, Janßen<br />

FOTOS<br />

Archiv Pötzsch, Archiv<br />

Scholz, Archiv Walz, Archiv<br />

Weber, Archiv Dölle,<br />

Archiv Malfertheiner, Archiv<br />

Zierer, Archiv Janßen,<br />

Archiv Ahlendorf<br />

Die lustige Seefahrt, Knorr<br />

ordnen. Der alpine Gegenentwurf, die St. Gotthard-<br />

Bahn, ist durch die Schausteller Meyer, Janßen und<br />

Wohld in Erinnerung geblieben und war noch über die<br />

Mitte der 60er-<strong>Jahre</strong> hinaus auf Topplätzen wie dem<br />

Oldenburger Kramermarkt dabei. Dort stand bereits<br />

Ende der 40er-<strong>Jahre</strong> die Bahn von Schausteller Glöss,<br />

die um 1950 unter dem abenteuerlichen Namen „Thriller<br />

Contrefahrt” gemeldet war. Bei den Bahnen mit<br />

Schiffsthemaik war wohl die „U-Boot-Flotille” von Anton<br />

Benner die erste, die bereits in den 30ern nachzuweisen<br />

ist. Die gleichen, ein wenig bedrohlich-kriegerisch<br />

wirkenden U-Boot-Attrappen kreisten in den<br />

50er-<strong>Jahre</strong>n auf Hans Knorrs „Lustiger Seefahrt”, eine<br />

Schrägbahn, die bis 1962 in München ihre Spezies repräsentierte.<br />

Viel hübscher und mit zusätzlichem Effekt<br />

versehen war die „Venezianische<br />

Gondelbahn”<br />

von Guggemos,<br />

die in den 50er- und 60er-<br />

<strong>Jahre</strong>n durch Bayern<br />

tourte. Kleine Schiffschaukel-Gondeln<br />

für<br />

zwei Personen, die sich<br />

vis-a-vis saßen, waren so<br />

aufgehängt, dass sie bei<br />

der Beschleunigung seitlich<br />

ausschwangen. Je<br />

nachdem, wie man Platz nahm, konnte man vorwärts<br />

oder rückwärts an der Rückwand vorbeisausen, die<br />

als Rialto-Brücke gestaltet war.<br />

Es gab nicht nur offene, sondern auch überdachte<br />

Schrägbahnen, etwa den „Tiger Rag”, der 1957 von<br />

der Firma Hennecke für Gustav Burgdorf gebaut wurde<br />

und den der Schausteller<br />

Ahlendorf in die<br />

Gegenwart gerettet hat.<br />

Eine bereits 1936 gebaute<br />

„Bobrennbahn”<br />

der Firma Gundelwein<br />

war bis 1953 noch im<br />

östlichen Teil Deutschlands<br />

zu sehen, wurde<br />

dann aber von der Familie<br />

Walz zu einer Walzerfahrt<br />

umgebaut. ■<br />

Tiger Rag, Burgdorf<br />

QUELLE<br />

Ton Koppei: Raketenbahn,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 09/98, Seiten<br />

42-44, Rolf Orschel:<br />

Blue Haway, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

12/02, Seite 30-31,<br />

Hans-Peter Merklinghaus:<br />

Tiger Rag: <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

1+2/98, Seite 7<br />

Blue Haway, Parpalioni<br />

17


VOR- & NACHKRIEG<br />

THE WHIP<br />

Siebold & Herhaus<br />

FOTOS<br />

Archiv Froitzheim, Archiv<br />

Zierer, Heiko Schimanzik<br />

Jacobi, Plänterwald<br />

Die Peitsche war ein Oval-Karussell, dessen Ursprünge<br />

ins Jahr 1914 zurückgehen; der Amerikaner<br />

Mangels hatte dafür das Patent erhalten. Zehn<br />

<strong>Jahre</strong> später kam das erste derartige Geschäft nach<br />

Deutschland. Es bestand aus zwei großen Scheiben –<br />

davon eine mit Elektromotor – am jeweiligen Ende einer<br />

ovalen Fahrbahn, über die ein Stahlseil lief. Am Seil<br />

befanden sich 12 kleine Stahlausleger, an deren Ende<br />

jeweils eine Gondel für zwei Personen gelenkig angebracht<br />

war. An den Enden der Strecke schnellten die<br />

auf Rollen fahrenden Wägelchen durch die Fliehkraft<br />

ruckartig nach außen und beschrieben plötzlich einen<br />

größeren Radius, wodurch sich das Tempo an dieser<br />

Stelle der Fahrbahn stets erhöhte. Bei voller<br />

Fahrt rutschten die Gondeln über den Boden und<br />

wurden im 180°-Richtungswechsel nach außen<br />

geschleudert.<br />

Deutscher Erstbesitzer war ab 1924 die Firma Siebold<br />

& Herhaus, die in den 30er-<strong>Jahre</strong>n den<br />

Schausteller Herrmann Froitzheim als Geschäftsführer<br />

einsetzten und durch ganz Deutschland<br />

tourten. Weitere deutsche Besitzer bereits in den<br />

20er-<strong>Jahre</strong>n waren Anton Emde oder „Karussellkönig”<br />

Hugo Haase gewesen. In den Kriegs- und<br />

Nachkriegsjahren verbindet man die „Peitsche”<br />

mit Namen wie Familie Weber, Franz Köll oder auch<br />

Max Zierer, der 1958 mit einer Peitsche auf dem Münchner<br />

Oktoberfest gastierte, eher er sie dem Kanadier<br />

Conklin übergab. Die Firma Spangenberger brachte<br />

in den späten 40er- und 50er-<strong>Jahre</strong>n mit der „Schleuderbahn”<br />

ein vergleichbares Geschäft auf die Plätze.<br />

Als „Schwingreisel” existierte der Karusselltyp in abgewandelter<br />

Kreisform, so wie sie sich in Holland bis<br />

in die Gegenwart als „Swing Mill” erhalten hat und wie<br />

sie die Firma Huss später noch mit Zusatzeffekten als<br />

„Ben Hur” gebaut hat. Im Berliner Plänterwald hingegen<br />

betrieb die Familie Jacobi noch jahrzehntelang<br />

eine moderne „Whip”-Anlage in klassischer Ovalform.<br />

Ein „Whip”-Nachbau, ausgestattet mit originalen Gondeln<br />

und Dekorationsteilen eines Calypsos, ist in einem<br />

amerikanischen Pier als „Laligo” in Betrieb.<br />

Eine Sonderform von „The Whip” war der Taifun-Boomerang,<br />

dessen Fahrbahn eine tangentiale Abzweigung<br />

besaß, eine Auslaufstrecke, die erst mit steigender<br />

Rotation der Gondeln befahren wurde: Die Wagen<br />

schleuderten nacheinander aus dem Rundlauf heraus<br />

und glitten in hohem Bogen über die geschwungene<br />

Kurve. Diese Anlage gehörte der Firma Schippers &<br />

v.d. Ville – und zwischen 1950 und 1956 zu den großen<br />

Attraktionen, auch in München.<br />

■<br />

Max Zierer<br />

18


SPINNE<br />

VOR- & NACHKRIEG<br />

„Octopus” und „Die<br />

Spinne” von Schippers<br />

Bei diesem Geschäft waren 12 Ausleger, an denen<br />

sich frei drehende Zweisitzergondeln befanden,<br />

beweglich mit Zugstangen an einem Exzenter verbunden.<br />

Letzterer drehte sich entgegen die Fahrtrichtung<br />

und bewirkte, dass die Ausleger während der<br />

Fahrt auf und ab schwangen Der Amerikaner Lee Ulrich<br />

Eyerly ließ sich diese Erfindung 1936 patentieren.<br />

Dass dieses Patent nicht immer respektiert wurde,<br />

liegt auf der Hand. Fakt ist, dass die ersten Spinnen<br />

bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und<br />

England auftauchten. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

verbreitete sich die Spinne sehr schnell in ganz Europa.<br />

Die Hamburger Schaustellerfirma Schippers &<br />

v.d.Ville reiste mit einer Spinne zunächst unter der<br />

amerikanischen Originalbezeichnung „Octopus”, benannte<br />

dieses Karussell aber später in „Die Spinne”<br />

um. Dem Problem, dass die Ausleger zum Fahrgastwechsel<br />

nicht abgesenkt werden konnten und somit<br />

sich jeweils immer nur zwei Gondeln am Boden befanden,<br />

begegnete man bei Schippers mit der Idee,<br />

über seitliche Treppenaufgänge weitere Gondeln zu<br />

erreichen. Dennoch blieb die Stundenkapazität bei<br />

diesem Karusselltyp ein Minuspunkt, der jedoch seine<br />

Beliebtheit und Verbreitung in den 50er- und 60er-<strong>Jahre</strong>n<br />

kaum beeinträchtigen konnte.<br />

In den Nachkriegsjahren tauchten so berühmte Namen<br />

wie Siebold oder Haase auch mit diesem Karussell<br />

in den Vergnügungsarealen der großen und<br />

kleinen Volksfeste auf. Eine von den Hentschel-Werken<br />

in Kassel gebaute Spinne betrieb zwischen 1948<br />

und 1953 die Firma Petter, verkaufte sie dann an Ludwig<br />

Hochleitner nach München, der ihr kurioserweise<br />

den Namen „Polyp” gab – die Bezeichnung der erst<br />

Ende der 60er-<strong>Jahre</strong> aufkommenden Nachfolgekonstruktion.<br />

Die gesamten 50er-<strong>Jahre</strong> hindurch waren<br />

auch die Schausteller Winter<br />

oder Bergert mit Spinnen unterwegs.<br />

Letzteres Karussell erlebte<br />

unter Lotte Clauß 1961 und<br />

1962 seine letzten Münchner-<br />

Wiesn-<strong>Jahre</strong>.<br />

In Deutschland ist die Spinne<br />

heute fast ausgestorben. Nach<br />

der Wiedervereinigung reisten<br />

noch regelmäßig drei in den<br />

50ern bei Gundelwein in Thüringen<br />

gebaute Exemplare in der<br />

damaligen DDR, eine davon wurde mit Auto-Skooter-<br />

Chaisen bestückt. Apropos Chaisen: Im Zuge so mancher<br />

Spinnen-Restaurierung kamen in den 60er-<strong>Jahre</strong>n<br />

auch die bekannten Calypso-Gondeln zum Einsatz,<br />

etwa beim Geschäft der Firma<br />

Gebauer oder der Saarländer<br />

Familie Roos. Im Saarland existiert<br />

heute noch das Exemplar von Sartorio.<br />

Es ist seit 1952 im Besitz der<br />

Familie; damals wurde es mit der<br />

Bezeichnung „L’Etoile” (Der<br />

Stern”) von dem französischen<br />

Schausteller Emile Lapp übernommen.<br />

■<br />

Spinne von Petter<br />

Spinne von Bergert<br />

FOTOS<br />

Archiv Bonhoff, Archiv Petter,<br />

Archiv Distel<br />

19


VOR- & NACHKRIEG<br />

LOOP-O-PLANE / ROLL-O-PLANE / SWING-O-PLANE<br />

Fliegender Hammer<br />

von Schippers & v.d. Ville<br />

Loop-o-Plane „Kamikaze”<br />

im Wiener Prater<br />

FOTOS<br />

Archiv Bonhoff, Archiv<br />

Gerhard Eberstaller<br />

QUELLE<br />

Ton Koppei: Sturzbomber<br />

& Co., <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

10/98, Seiten 46-49<br />

Schröders Swing-o-Plane<br />

Der Typ der elektrisch angetriebenen Überkopfschaukel<br />

geht in die 30er-<strong>Jahre</strong> zurück. Geschichte<br />

schrieb dabei der amerikanische Pilot und<br />

Flugausbilder Lee Ulrich Eyerly, der mit seiner Firma<br />

eine Reihe patentierter Entwürfe realisierte. Ein von<br />

ihm konstruiertes Flugtrainingsgerät namens „Acroplane”<br />

mit nur einem Flugzeug, das auf öffentlichen<br />

Veranstaltungen von jedermann ausprobiert werden<br />

durfte, erwies sich als sensationell erfolgreiche Belustigungsanlage.<br />

Noch nach dem Kriege stand die<br />

Hamburger Firma Schippers & v.d.Ville mit einer solchen<br />

„Fliegerschule” auf deutschen <strong>Kirmes</strong>sen.<br />

1934 entstand bei Eyerly das erste Loop-o-Plane: An<br />

einem Mast aus Eisenrohr war ein senkrecht hängender<br />

und drehbar gelagerter Ausleger angebracht, der<br />

am unteren Ende eine vier Personen fassende Gondel<br />

trug. Der Antrieb erfolgte über eine vom Betreiber aktivierte<br />

Rutschkupplung, die den pendelnden Ausleger<br />

bis zum Kopfstand und Überschlag hochschaukelte.<br />

Der englische Schausteller John Collins holte<br />

1937 den ersten Loop-o-Plane nach Europa. Bald gab<br />

es von diesem Geschäftstyp auch Doppelanlagen mit<br />

zwei Auslegern mit je einer Gondel,<br />

die in entgegengesetzter Richtung<br />

drehten und die geringe Kapazität auf<br />

immerhin 8 Personen steigerten. Ein<br />

solches Karussell brachten Schippers<br />

& v.d. Ville unter der Bezeichnung<br />

„Fliegender Hammer” auf die deutsche<br />

50er-<strong>Jahre</strong>-Volksfeste. Es hielt<br />

sich relativ lange – Wiesn-Gastspiele<br />

gab es beispielsweise 1951 und 1957;<br />

und bis zum Ende der 60er-<strong>Jahre</strong> war<br />

auch Schausteller Hüttemann mit einer<br />

solchen Konstruktion auf dem Oktoberfest.<br />

Die Firma Bakker baute<br />

noch in den 70ern eine moderne Version dieser Doppel-Loop-o-Planes,<br />

die als „Bumerang” bekannt wurde.<br />

Der Roll-o-Plane von Eyerly war eine Anlage, bei der<br />

es nicht direkt überkopf ging, weil hier zweiteilige Gondeln<br />

an einem Drehkranz hingen und die Gondelteile<br />

durch ihr Gewicht dazu tendierten, nach unten zu drehen.<br />

Es entstand bei der Abfahrt eine Art Sturzflug,<br />

was der Anlage zum Namen „Sturzbomber” verhalf.<br />

Dieser Geschäftstyp entwickelte sich überall zum Renner.<br />

Eine Weiterentwicklung des Sturzbombers war der<br />

„Swing-o-Plane”, bei dem sich der Ausleger mit den<br />

Gondeln während der Fahrt zusätzlich schrägstellte.<br />

Roll-o-Planes und Swing-o-Planes gehörten zum festen<br />

Bestandteil der Festplätze in den 50er- und 60er-<br />

<strong>Jahre</strong>n. Willenborg, Rick, Hanstein oder Bruch sind<br />

Namen, die mit solchen <strong>Karussells</strong> in Verbindung gebracht<br />

werden. Schausteller Edmund Diebold stand<br />

mit seinem Swing-o-Plane sogar von 1957 bis 1977 in<br />

München; allerdings legte er zwischendurch eine 5-<br />

jährige Pause ein, weil auf der Wiesn 1970 bei seinem<br />

„Sturzbomber” eine Gondel abgebrochen war. ■<br />

20


KRINOLINE<br />

Ein richtiger Oldtimer war in den 50er-<strong>Jahre</strong>n bereits<br />

die Krinoline, eine Konstruktion mit schwankender<br />

Plattform, wie sie schon um 1900<br />

bekannt war und erstmals mit der<br />

„Schwankenden Weltkugel” gebaut<br />

wurde. Dennoch gehörte der<br />

Karusselltyp auch nach dem Krieg<br />

noch zu den gängigen Rundfahranlagen.<br />

Besonders berühmt wurde<br />

natürlich – und ist es immer<br />

noch – jenes Geschäft, das 1924<br />

von Schausteller Großmann als Eigenbau<br />

vorgestellt, 1936 elektrifiziert<br />

und mittlerweile zum Oktoberfest-Mythos<br />

wurde, der noch<br />

immer – jetzt unter Großmann-Enkel<br />

Niederländer – in München lebendig<br />

ist. In jenen Jahrzehnten<br />

war dieses Karussell jedoch – anders<br />

als heute – noch fleißig auf der<br />

Reise, und es hatte dabei auch gegen<br />

artverwandte Konkurrenz zu<br />

kämpfen. So war zum Beispiel Herbert<br />

Nier aus Kassel zwischen<br />

1957 und 1960 noch mit einer Original-Krinoline<br />

unterwegs, bevor<br />

er sie an die Firma Bockfeld aus<br />

Schafheim verkaufte; auch die Firmen<br />

Krug oder Schnellcke betrieben<br />

ein derartiges Fahrgeschäft.<br />

Und auf dem Eisenacher Sommergewinn<br />

taumelte und drehte sich in den 50er-<strong>Jahre</strong>n<br />

noch brav die Krinoline von Funke.<br />

■<br />

VOR- & NACHKRIEG<br />

Niers Krinoline<br />

Funkes Krinoline<br />

FOTOS<br />

Archiv Nier, Erich Moschkau<br />

DEMON WHIRL<br />

Ein besonders markantes Fahrgeschäft aus den<br />

30er-<strong>Jahre</strong>n stellte das „Doppelkarussell” dar, bei<br />

dem auf zwei nebeneinander liegenden Drehscheiben<br />

die darauf befestigten Fahrzeuge beinahe kollidierten,<br />

weil der Fahrkreis jeweils in den der anderen Scheibe<br />

eingriff. Der holländische Schausteller de Vries brachte<br />

mit dem „Demon Whirl” ein von der englischen Firma<br />

Ridecraft gebautes Karussell dieses Typs auf die<br />

Festplätze, das als „Cortina<br />

Bob” bis in die 70er-<br />

<strong>Jahre</strong> aktiv war. Auch im<br />

Wiener Prater stand eine<br />

derartige Anlage. Ferner<br />

fanden sich solche Geschäfte<br />

auch im Lieferprogramm<br />

italienischer<br />

Hersteller; so begründete<br />

die Firma Pinfari damit<br />

ihre Karussellbauabteilung.<br />

Ob in Deutschland<br />

ein Karussell dieser Art<br />

im Einsatz war, ist unklar.<br />

Möglicherweise geht der<br />

Slalom von Georg Hüttemann<br />

auf ein solches<br />

Geschäft zurück. ■<br />

QUELLE<br />

Ton Koppei: Demon Whirl,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 05/03, Seiten<br />

44-45<br />

(Fotos: Archiv Hennie van<br />

Oers, Archiv Pinfari)<br />

21


VOR- & NACHKRIEG<br />

ZEPPELIN<br />

FOTO<br />

Archiv Höcherl<br />

Alois Höcherls Zeppelin in<br />

den 60er-<strong>Jahre</strong>n<br />

Der legendäre Zeppelin-Wolkenflug wurde 1930<br />

von Hugo Haase entwickelt. Um eine Globusattrappe<br />

kreisten vier Zeppeline, die über eine Winde in<br />

sieben Meter Höhe befördert werden konnten und dort<br />

eine einfache Kreisfahrt vollzogen. Obwohl alles andere<br />

als spektakulär im Fahreffekt, war dieses optisch<br />

so auffällige Karussell ein Wahrzeichen vieler berühmter<br />

Veranstaltungen. Die Münchner Schaustellerfirma<br />

Mathieu reiste mit dem großen Geschäft ab den 50er-<br />

<strong>Jahre</strong>n durch ganz Deutschland und pries das später<br />

„Zeppelin-Weltflug” benannte Karussell in Werbeanzeigen<br />

als „schöner denn je” und „als Familiengeschäft<br />

unübertroffen” an. Ab 1950 stand der Zeppelin<br />

Jahr für Jahr in der Münchner Schaustellerstraße und<br />

verabschiedete sich erst, als er 1978 ins Ausland verkauft<br />

wurde. Bereits in den 40er-<strong>Jahre</strong>n hatte auch das<br />

Schweizer Publikum die Chance, eine Runde im Zeppelinkarussell<br />

zu drehen, dort unter Firma Weidauer. ■<br />

STEILWANDRAKETE<br />

FOTO<br />

Archiv Der Komet<br />

Mit einem Katapulteffekt arbeitete<br />

das Karussell „Steilwandrakete”,<br />

das in den 1930er-<br />

<strong>Jahre</strong>n von der Familie Birkeneder<br />

auf die Märkte gebracht wurde.<br />

Zwölf viertelkreisförmig gebogene<br />

Schienensegmente gaben dem<br />

Geschäft die Form einer großen<br />

Schüssel, die um ein überdachtes<br />

Zentrum kreiste, das wiederum<br />

über ein fliegerähnliches Podium<br />

zugänglich war. Die raketenförmigen<br />

Fahrzeuge, in denen die Passagiere<br />

jeweils in zwei Reihen hintereinander Platz fanden,<br />

wurden bei der Fahrt durch die Fliehkraft an den<br />

Schienen entlang nach außen hochkatapultiert. Der<br />

Name „Steilwandrakete” beschreibt die Ähnlichkeit<br />

zur Artistensteilwand, in der sich die Fahrer ebenfalls<br />

von unten her immer höher den Kessel hinauf bis zur<br />

totalen Schrägfahrt nach oben arbeiten. Nach dem<br />

Krieg wurde das Karussell von Anton Emde betrieben;<br />

es gastierte unter anderem 1949 und 1950 auf der<br />

Münchner Wiesn.<br />

■<br />

22


LUSTIGE SEEMUSCHEL<br />

Ihre große Popularität verdankte die Seemuschel<br />

dem Schausteller Walter Klugmann, der mit ihr<br />

weit über zwei Jahrzehnte lang die Plätze in<br />

Schleswig-Holstein und Niedersachsen bereiste<br />

und unter dessen Leitung das Geschäft sogar ein<br />

paar Mal auf dem Hamburger Dom zu bewundern<br />

war. Es handelte sich um eine Berg- und Talbahn<br />

mit drehbaren Gondeln, die Schausteller Ackermann<br />

aus Großefehn kurz nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg selbst entworfen und mit einfachen Mitteln<br />

aus einem ehemaligen Dampfkarussell selbst<br />

gebaut hatte. In hölzernen Chaisen, die an eine<br />

Schmetterlingsbahn erinnerten, ging es zunächst<br />

im klassischen Stil über jeweils zwei Berge und<br />

zwei Täler im Kreis herum. Während der Fahrt jedoch<br />

konnte der Operator vom Fahrstand aus kräftige kleine<br />

Elektromotoren aktivieren, die über einen Kettenantrieb<br />

je zwei Gondeln gleichzeitig in jede beliebige<br />

Position drehten. So fuhr man plötzlich seitwärts oder<br />

rückwärts auf und ab, doch ohne das Magenkribbeln<br />

erzeugende Hopsen der direkt auf den Auslegern befestigten<br />

Boote einer Seesturmbahn, sondern im sanften<br />

Bogen, denn die Gondeln der „Seemuschel” waren<br />

jeweils paarweise auf Fußböden gelagert, die zwischen<br />

zwei Auslegern hingen und so eine eher wellenförmige<br />

Fahrt ermöglichten. Als Water Klugmann<br />

das Karussell in den 50er-<strong>Jahre</strong>n erwarb, erschien die<br />

Optik des Geschäfts schon nicht mehr zeitgemäß.<br />

Also begann man zu investieren, zunächst in eine<br />

halbhohe, gerade geschnittene Dachkante mit Palmenstrand-<br />

und Wasserski-Motiven, die die strenge,<br />

auf vorgebauten Säulen thronende Fassade der alten<br />

Bahn ersetzte. Später wurde diese aufgestockt zu einer<br />

geschwungenen Prachtfassade, die mit Fernweh<br />

weckenden Szenen aus einem Urlaubsparadies in der<br />

Südsee bemalt wurde. Eine umlaufende Rundmarkise<br />

bot den an den Aufgängen wartenden Zuschauern<br />

Schutz. Stück für Stück wurden die überwiegend hölzernen<br />

Bauteile der Unterkonstruktion gegen Stahlrohre<br />

ausgetauscht. Zahlreiche Lichtbögen und<br />

eine Glühbirnen-Fontäne im Zentrum ließen nach<br />

Einbruch der Dunkelheit das Innere der Bahn erstrahlen.<br />

Auch für die etwas behäbig wirkenden<br />

Chaisen suchte man nach geeignetem Ersatz,<br />

denn die „Seemuschel” entpuppte sich als ausgesprochenes<br />

Jugendkarussell, und man konkurrierte<br />

damals mit chicen Raupen- und Bobbahnen.<br />

Bei der Firma Piper in Hannover wurde Walter<br />

Klugmann fündig, aus deren Werkstatt stammte<br />

bereits so manche neue Bobbesatzung ehemaliger<br />

Raketenbahnen. Also ließ man sich 16 stromlinienförmige<br />

Fahrzeuge mit Frontscheinwerfer<br />

und Chromzierteilen bauen. Der Name „Seemuschel”<br />

wollte nun nicht mehr so recht zum neuen Outfit passen,<br />

weshalb auf älteren Fotografien der Schriftzug<br />

„Miami Rolls” eingefügt wurde. Diese Bezeichnung<br />

setzte sich nicht durch, die „Lustige Seemuschel” war<br />

im Norden längst zum festen Begriff geworden. Auch<br />

der alte Drehmechanismus der Gondeln hatte seine<br />

Tücken. Fast regelmäßig 4- bis 5-mal am Tag sprangen<br />

die von den kleinen Antriebsmotoren in der Mitte<br />

der Plattformen zu den beiden dazugehörigen Gondeln<br />

führenden Ketten während der Fahrt ab und<br />

ließen die Fahrzeuge manövrierunfähig in der gerade<br />

erreichten Position verharren. Dann war immer schnelles<br />

Schrauben, Neuauflegen und Spannen der<br />

schmierigen Ketten angesagt.<br />

Als Familie Klugmann sich Ende der 1970er-<br />

<strong>Jahre</strong> zu einer Neuanschaffung entschloss,<br />

verkaufte sie das Karussell an ihren Hamburger<br />

Kollegen Michael Harder. Trotz der<br />

bekannten Schwachstellen war auch er über<br />

vier <strong>Jahre</strong> lang sehr zufrieden mit dem betagten<br />

und doch irgendwie zeitlosen Karussell.<br />

Später gelangte es in einen kleinen<br />

holländischen Freizeitpark, anschließend<br />

verliert sich seine Spur.<br />

■<br />

Das Karussell unter<br />

Schausteller Ackermann<br />

Die Seemuschel unter<br />

Klugmann mit Piper-Chaisen<br />

und Rundmarkise<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Die lustige<br />

Seemuschel, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 7/02, Seiten 38-41<br />

FOTOS<br />

Archiv Klugmann<br />

Probeweise auf das<br />

Foto aufgemalter Schriftzug<br />

23


40ER-JAHRE<br />

WELLENFLIEGER<br />

Wellenflieger von Fritz<br />

Hanstein<br />

Rudolphs Karussell<br />

als Globusflieger und nach dem<br />

Umbau mit Kettensitzen<br />

Das bislang früheste Datum, das für einen Wellenflieger<br />

auf europäischem Boden ermittelt werden<br />

konnte, ist das Jahr 1941. Im Wiener Prater drehte sich<br />

damals bereits ein Kettenflieger mit der charakteristischen<br />

Flugweise. Im deutschen Reisegewerbe gilt jedoch<br />

der Bremer Schausteller Fritz Hanstein als Wellenflug-Pionier.<br />

Noch in den 40er-<strong>Jahre</strong>n ließ er sich<br />

das erste transportable Wellenkettenkarussell patentieren<br />

und von einer kleinen Stahlbaufirma realisieren.<br />

Dieser Ur-Wellenflieger, der in den 50er- und 60er-<strong>Jahre</strong>n<br />

viele große Volksfeste (1960 und 1962 sogar München)<br />

bereiste, konnte sich eisern gegen die Zierer-<br />

Konkurrenz aus den 70ern behaupten und ist heute als<br />

„Powerwelle” noch immer – unter der Firma Lemoine<br />

und im Airbrush-Design – im Einsatz. Anders als bei<br />

den modernen Wellenfliegern liefen bei diesem Karussell<br />

die 24 Ausleger mit den Ketten auf Rädern über<br />

eine wellenförmige Schiene unterhalb des Dachbereichs.<br />

Kein hydraulisches Anheben oder Kippen des<br />

Drehverbunds war hier möglich, deshalb musste auch<br />

das Podium in einer entsprechenden Wellenform angelegt<br />

sein. Hansteins Flieger war ein Nachkriegs-<br />

Exot, der in die Volksfestgeschichte eingegangen ist.<br />

Obwohl Konstruktion und Fahrweise sofort geschützt<br />

wurden, gab es vereinzelte Nachahmer, die das Verbot<br />

umgingen, indem sie – zunächst – anstelle der Kettensitze<br />

andere Besatzungsteile<br />

auf ähnlich konstruierten<br />

Karussellbauten zum Einsatz<br />

brachten.<br />

Etwa das später von der<br />

Schaustellerfamilie Gerste aus<br />

Diepholz „The Great<br />

Rock'n'Roller“ genannte Karussell.<br />

Das ursprünglich als<br />

Globusflieger konzipierte<br />

Fahrgeschäft wurde nach dem<br />

Krieg vom damaligen Eigentümer<br />

„Manne“ Rudolph aus<br />

Kassel bei einer Schlosserei in<br />

Bad Lauterbach zum „Wellenflug”<br />

umgerüstet. Im Verlauf eines<br />

Rechtsstreits mit Hanstein<br />

musste damals die Wellenflug-<br />

Kopie mit Gondeln anstelle<br />

24


Ursprung des <strong>Karussells</strong> als Globusflieger. Später, unter<br />

Familie Gerste, wurde das Karussell in poppig-bunter<br />

Manier umgestaltet und vor einigen <strong>Jahre</strong>n an die<br />

Firma Volklandt verkauft.<br />

Vom Hanstein-Flieger inspiriert war auch der Meteor<br />

von 1953, über den Der Komet damals schrieb: „Ein<br />

neuartiges Fahrgeschäft in Form und Bewegung ist<br />

der Meteor. Die Kugel dreht sich mit den Auslegern,<br />

die auf einer nicht sichtbaren Fahrbahn über Berg und<br />

Tal laufen. An diesen Auslegern hängen Rundgondeln<br />

mit Sonnendächern, die nach Art der Triller von den Insassen<br />

selbst in Bewegung gesetzt werden können.”<br />

Wie eine Skizze des Dortmunder Ingenieurs Köppe<br />

zeigt, war der Meteor jedoch zunächst als<br />

Wellenkettenflieger konzipiert gewesen, die<br />

Trillergondeln des realisierten <strong>Karussells</strong><br />

wohl ein Kompromiss gegenüber Hansteins<br />

Patentrechten.<br />

Auch jenseits des Eisernen Vorhangs gab<br />

es einen Wellenflieger, den sich der Ostschausteller<br />

Karl Welte aus Magdeburg mit<br />

Hilfe von Fotografien und flüchtiger Handskizzen<br />

des Hanstein-Originals bei Gundelwein<br />

in Wutha bauen ließ. Diesem Karussell<br />

blieb jedoch der erhoffte Erfolg versagt und<br />

es wurde 1955 zu einer Walzerbahn umgebaut.<br />

■<br />

40ER-JAHRE<br />

FOTOS<br />

Archiv Hanstein, Archiv<br />

Schimanzik, Archiv Bonhoff,<br />

Archiv Horn, Archiv<br />

Welte<br />

Weltes Wellenflug<br />

Meteor von 1953 mit<br />

Entwurfszeichnung<br />

Wellenflug von Manne Rudolph mit verschiedenen<br />

Besatzungsteilen<br />

der üblichen „Stühle“ ausgerüstet werden, die im Lauf<br />

der folgenden Jahrzehnte den aktuellen Modeströmungen<br />

angepasst wurden: Kutschen, Raketen, Hollywood-Schaukeln.<br />

Erst viel später wurden dann doch<br />

noch je zwei Kettensitze an den insgesamt 16 Auslegern<br />

montiert. Das um zwei Berge aufgestockte Kettenfliegerpodium<br />

und die freistehenden, den Mast und<br />

die <strong>Karussells</strong>tube säulenartig umschließenden Pfosten<br />

verliehen dem kleinen Wellenflug einen eigenen<br />

Charakter. Das über der Konstruktion thronende kleine<br />

Runddach erinnerte dabei noch ein wenig an den<br />

QUELLE<br />

Michael Petersen: Powerwelle<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 10/96,<br />

Seite 32, Michael Bonhoff:<br />

Great Rock’n Roller, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 10/96, Seite<br />

33, Michael Bonhoff: Weltes<br />

Wellenflug <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

11+12/96, Seite 44,<br />

Karl Ruisinger: Kettenflieger-Variationen,<br />

<strong>Kirmes</strong><br />

Revue 8/2000, Seite 40-41<br />

25


40ER-JAHRE<br />

Luftscooter war eine<br />

Kombination aus Rundfahrgeschäft<br />

und Auto-Skooter<br />

FOTOS<br />

Archiv Drelischek<br />

LUFTSCOOTER<br />

Der Münchner Erfinder Martin Wöhrle schuf<br />

Ende der 40er-<strong>Jahre</strong> diese abenteuerliche<br />

Karussellkonstruktion. Das beliebte Motto<br />

des Autoskooters, bei dem „jeder sein eigener<br />

Chauffeur“ sein durfte, führte Wöhrle noch<br />

einen Schritt weiter: „Jeder sein eigener Pilot“<br />

– im Auto-Luftscooter! Die Geburtsstunde der<br />

Auslegerflugkarussells war gekommen. Mit<br />

Teilen diverser Zulieferbetriebe baute Wöhrle<br />

auf dem Gelände seiner Zimmerei in Berg am<br />

Starnberger See ein Karussell von fast 20 Metern<br />

Durchmesser. Allein zwei parallelgestellte<br />

und zusammengeflanschte Mittelbauwagen,<br />

jeder 5,7 m lang und 2,5 m breit mit hüfthoch angebrachten<br />

Achsen, wurden für das Drehwerk und die<br />

Hubmechanik benötigt. Zwölf Ausleger aus versteiften<br />

Eisenprofilen waren daran beweglich gelagert und trugen<br />

eine Kippvorrichtung mit chromblitzenden Skooterchaisen<br />

der Marke Ihle, die statt des Fahrgestells<br />

einen festen Boden erhielten und so zu Flugobjekten<br />

umfunktioniert wurden. Jede Chaise wiederum war<br />

über ein Stahlseil mit dem Mittelbau verbunden. Hob<br />

sich der Ausleger bis zur Höhe von 7 Metern, so neigte<br />

sich das zugehörige Kippgelenk mit der Gondel<br />

nach außen, jeweils so weit, wie das Zugseil nachgab.<br />

Umgekehrt spannte sich dieses Seil wieder, je weiter<br />

sich der Ausleger senkte, und zog die Gondel wieder<br />

nach innen. Auf diese Weise war es Wöhrle gelungen,<br />

die Sitzplätze der Fahrgäste in jeder Hubposition der<br />

Ausleger gerade zu halten. Als Fahrwerk erhielt jeder<br />

Arm zunächst ein Stützrad, um die Gondel nach der<br />

Landung in der richtigen Einstiegshöhe zu halten und<br />

den Ausleger zu entlasten, später konnte darauf jedoch<br />

verzichtet werden.<br />

Den Hub- und Senkvorgang der Ausleger löste Wöhrle<br />

mit einfachen Mitteln. Dazu bekam jeder Arm einen<br />

eigenen, sich auf dem Mittelbau mitdrehenden Elektromotor<br />

mit einem Schneckengetriebe. Eine sichelförmig<br />

nach oben gebogene Zahnstange, die fest mit<br />

dem Ende des Auslegers verbunden war, konnte von<br />

dem Schneckengetriebe schaukelartig vor- und zurückgedreht<br />

werden und bewegte dabei den etwa auf<br />

halber Höhe am Drehwerk gelagerten Tragarm stufenlos<br />

auf und ab. Über Endschalter wurde der maximale<br />

Schwenkbereich festgelegt, in dem die Fahrgäste<br />

ihre Flughöhe selbst bestimmen konnten. Drehte<br />

der Fahrgast das Steuer nach rechts, bekam der Elektromotor<br />

einen Impuls zum Hochfahren, drehte er das<br />

Steuer nach links, schaltete der Motor um und fuhr den<br />

Arm in die Ausgangsposition zurück. Drehte man das<br />

Lenkrad in die Mittelstellung, so wurde der Motor abgeschaltet<br />

und der Arm blieb in der gewünschten<br />

Höhe stehen. Um die im Ruhezustand steil nach oben<br />

ragenden Zahnstangen zu verbergen, erhielt das Karussell<br />

in der Mitte einen charakteristischen, mit Lichtleisten<br />

verzierten hohen Kuppelbau aus rotem Segeltuch.<br />

Die Chaisen waren knallrot, hellblau und lindgrün,<br />

mit jeweils schwarz-glänzenden Kotflügeln. Die<br />

Ausleger waren immer paarweise in der Farbe der zugehörigen<br />

Chaisen lackiert, die Kuppel leuchtend rot.<br />

Staunend standen die Menschen vor dieser eindrucksvollen<br />

Maschinerie, als Wöhrle seinen Eigenbau<br />

1950 in Regensburg und danach auch auf dem<br />

Münchner Oktoberfest präsentierte.<br />

Das Experimentieren mit der Technik hatte auch seinen<br />

Preis, viele Kinderkrankheiten ließen sich nicht<br />

ganz beheben – trotzdem konnte sich der Flugapparat<br />

auch in den folgenden <strong>Jahre</strong>n auf der Wiesn behaupten<br />

und schließlich ein Käufer gefunden werden.<br />

Mit Familie Drelischek gelangte der Luftscooter 1955<br />

in neue Hände. Weitere Besitzer waren die Firma Bobeck<br />

aus Amberg, Anfang der 60er-<strong>Jahre</strong> Franz Eberhardt<br />

aus Hanau. Ein letztes Mal wechselte der Luftscooter<br />

noch den Besitzer, dann endete er Mitte der<br />

60er-<strong>Jahre</strong> in der Schrottpresse.<br />

■<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Luftscooter,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 10/<br />

99, Seiten 34-36<br />

26


TEUFELSWIRBEL<br />

40ER-JAHRE<br />

Frotzheims<br />

Teufelswirbel<br />

Nach Kriegsende entschloss sich Schausteller<br />

Herrmann Froitzheim 1945 zum Kauf eines rasanten<br />

Rundfahrgeschäftes. Es gelang ihm, ein Karussell<br />

aus England zu erwerben, das den Namen „The Diabolic-Whirl“<br />

trug. Als „Teufelswirbel“ startete es 1946<br />

in seine erste Deutschlandsaison. Mit dem „schnellsten<br />

Karussell aller Zeiten“ standen Froitzheim sämtliche<br />

großen Veranstaltungen (München, Stuttgart,<br />

Nürnberg, etc.) offen. Die Fahrt dieses Unikats lässt<br />

sich wie folgt beschreiben: Auf einer großen Drehscheibe<br />

(Durchmesser circa 15 m) waren sternförmig<br />

zehn Schienenstränge angeordnet, auf denen sich jeweils<br />

eine verschiebbare Gondel für je sechs Personen<br />

befand. Diese Gondeln waren auf der Innenseite<br />

durch Zug- und Druckstangen miteinander verbunden,<br />

die wiederum außermittig an einem Exzenter befestigt<br />

waren. Wenn sich die Holzscheibe zu drehen<br />

begann, konnte der Exzenter jederzeit in beliebiger<br />

Richtung zugeschaltet werden. Drehte er sich entgegengesetzt<br />

zur Holzdrehscheibe, wurden durch die<br />

Überlagerung der Rotationen die Gondeln auf den<br />

Schienen hin- und hergeschoben. Der sich dadurch<br />

dauernd ändernde Radius bewirkte relativ schnelle<br />

Beschleunigungen beziehungsweise rapide Abbremsvorgänge.<br />

Wenn man so will, war der Teufelswirbel<br />

ein Vorfahr des viel später gebauten Exoten<br />

„Moonraker”, und er hielt sich bis weit in die 50er-<strong>Jahre</strong><br />

hinein als attraktives Karussell auf den deutschen<br />

Volksfesten.<br />

■<br />

QUELLE<br />

Michael Schottenloher:<br />

Familie Froitzheim, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 7/03, Seiten 44-48<br />

(Fotos: Archiv Heiner<br />

Froitzheim)<br />

TOLLE JAGD<br />

Dieses für damalige Verhältnisse sehr rasante Karussell<br />

war 1947 eine neue Sensation auf den<br />

Festplätzen: Die „Tolle Jagd” wurde von den Gebrüdern<br />

Hohmann präsentiert und ging erstmals auf dem<br />

Volksfest in Bayreuth ans Netz. Gebaut wurde sie von<br />

der Firma Messerschmied. Es handelte sich dabei um<br />

eine offene Rundfahrt, bei der langgezogene, mit jeweils<br />

zwei hintereinander angeordneten Sitzbänken<br />

versehene Gondeln über Berg und Tal jagten. ■<br />

27


50ER-JAHRE<br />

HURRICANE<br />

Kochs Hurricane-<br />

Versionen von 1951, 1952<br />

und 1953<br />

Die 50er-<strong>Jahre</strong> waren die Zeit der Hurricanes, der<br />

ersten Luftflieger mit pneumatischer Höhensteuerung.<br />

Damit begann ein neuer Abschnitt in der Geschichte<br />

der Fahrzeugbaufirma Kaspar Klaus in Memmingen,<br />

die so ihre Abteilung für Karussellbau begründete.<br />

Es gab insgesamt 59 Hurricane-Exemplare,<br />

die Zahl relativiert sich allerdings angesichts der Tatsache,<br />

dass nach England stets nur Teile – genauer<br />

gesagt die Luftanlagen – von Klaus geliefert und dann<br />

von der dort ansässigen Firma Laug Wheels weiterverwertet<br />

wurden (18 Stück). Die Väter der pneumatischen<br />

Flugkarussells waren die Münchner Schausteller<br />

Georg Koch und Hans Dom sowie der bei Klaus<br />

beschäftigte Techniker Matthias Haug gewesen. 1951<br />

wurde der erste Hurricane realisiert, wobei die Einführung<br />

des sogenannten Rotorventils im Karussellbau<br />

eine technische Pionierleistung darstellte. Die<br />

Hurricanes bestanden aus einem Grundrahmen, einem<br />

Ringkörper, zwölf Auslegern und zwölf Gondeln.<br />

Von einem externen Kompressor wurde die Luft über<br />

ein Mittelventil in zwölf Hubzylinder am Ringkörper geführt.<br />

Am oberen Rand des Ringkörpers waren zwölf<br />

Ausleger gelenkig über den einzelnen Hubzylindern<br />

gelagert und mit diesen durch Kolbenstangen verbunden.<br />

Durch eine Steuervorrichtung in jeder der 2-<br />

sitzigen Gondeln am jeweiligen Ende der Ausleger<br />

konnte man die Luftzufuhr individuell regeln und somit<br />

die Höhenlage der Flugbahn selbst bestimmen. Hierzu<br />

noch einige technische Daten: Der Flugbahndurchmesser<br />

des <strong>Karussells</strong> betrug 13,48 Meter, die Drehzahl<br />

lag bei 11,85 U/min. Der Schwenkbereich der<br />

Ausleger betrug 57 Grad; der Gondelneigungswinkel<br />

reichte dabei von -11 Grad (Ruheposition) bis +46<br />

Grad (maximaler Ausflug mit einer Flughöhe der Gondel<br />

von 5,45 Metern). Umzäunt wurden die Anlagen<br />

mit einem 75 cm hohen Holzlattenrost und etwa 3 Meter<br />

hohen Lichtträgern mit Lampen.<br />

Georg Koch erhielt seinen ersten Hurricane am 6. Juni<br />

1951 und präsentierte ihn auch auf dem Münchner Oktoberfest.<br />

Im Gegensatz zu den nachfolgenden Ausführungen<br />

des Hurricanes rotierte dieser Prototyp gegen<br />

den Uhrzeigersinn. In seiner Optik erinnerte das<br />

Karussell an die Rundfahrgeschäfte der Vorkriegszeit:<br />

eine einfache Holzeinfriedung mit schmucklosen<br />

Lichtträgern, zwischen denen girlandenartig Glühbirnen<br />

gespannt waren. Die Blechgondeln, in denen die<br />

Passagiere hintereinander Platz fanden, waren im Raketenstil<br />

gestaltet, liefen vorne und hinten spitz zu und<br />

28


50ER-JAHRE<br />

Hans Doms Hurricane,<br />

1952<br />

Skizze zum ursprünglichen<br />

Hurricane, Karl Meier,<br />

TÜV München<br />

waren mit zwei seitlichen Holzflügeln versehen. Kochs<br />

erster Hurricane war in Deutschland nur ein halbes<br />

Jahr beheimatet; im Dezember 1951 bereits wurde das<br />

Karussell nach Südafrika veräußert. Das Spiel des kurzen<br />

Betreibens und schnellen Verkaufs ins Ausland<br />

wiederholte sich bei den folgenden Ausführungen,<br />

wohl wegen ständiger technischer und gestalterischer<br />

Verbesserungen in den Anfangsjahren. Bis 1955 wurden<br />

Klaus-<strong>Karussells</strong> in Deutschland nur von Georg<br />

Koch und Hans Dom betrieben. Erst dann tauchen in<br />

der Liste der Erstkunden weitere deutsche Namen auf.<br />

1953 erhielt Georg Koch das Patent für seine Karussellerfindung<br />

mit Drehventil und Selbststeuerung, das<br />

zunächst 18 <strong>Jahre</strong> währte und dann noch einmal verlängert<br />

wurde. Patentrecht, Gebietsschutz und Lizenzpflicht<br />

führten dazu, dass interessierte Schausteller<br />

hierzulande als Ausweg zunächst zu anderen<br />

Fabrikaten griffen.<br />

Am 11. Januar 1952 erhielt Georg Koch seinen zweiten<br />

Hurricane, der im Uhrzeigersinn lief. Schon am 25.<br />

April desselben <strong>Jahre</strong>s holten Koch und Dom zusammen<br />

einen weiteren Hurricane aus Memmingen ab,<br />

und am 10.10.1952 wurde Dom Alleinbesitzer eines<br />

derartigen Geschäftes. 1953 ging noch einmal ein<br />

neues Exemplar an Koch; es verfügte bereits über den<br />

in den Folgejahren gängigen Deko-Aufbau im Karussellzentrum:<br />

ein aus geraden Lichtleisten bestehender<br />

Turm, am oberen Ende zweifach abgetreppt, ungefähr<br />

auf halber Höhe „schwebte” ein Schriftband mit Neonbuchstaben.<br />

Mit dieser Anlage war Koch Stammbeschicker<br />

so renommierter Plätze wie München, Crange,<br />

Nürnberg oder Erlangen. Am 14. Juni 1955 kam<br />

erstmals ein weiterer deutscher Schausteller in den<br />

Genuss eines Hurricanes: Die Berliner Firma Beuermann<br />

war der dritte deutsche Erstbesitzer einer derartigen<br />

Anlage, gefolgt von der Wiesbadener Firma Eller,<br />

die ihr Geschäft drei Tage später erhielt, aber bereits<br />

im Oktober desselben <strong>Jahre</strong>s an Bernhard Biermann<br />

aus Gelsenkirchen übergab. Diese 1955er-Hurricanes<br />

waren aufwändiger als bisher dekoriert, die<br />

Turmspitzen mehrfach abgetreppt, und als Gondeln<br />

kamen bulligere Raketen zum Einsatz, die für den Karusselltyp<br />

„Vampir” entwickelt worden waren.<br />

Hurricane-Konstruktion<br />

auf Fahrgestell, darüber die<br />

Anlage von Beuermann<br />

29


50ER-JAHRE<br />

Hurricane X<br />

Skizze zum Hurricane X,<br />

Karl Meier, TÜV München<br />

Mathieus Jet Clipper<br />

Bei der 1956 an die belgische Firma De Staebel/Roulers<br />

ausgelieferten Hurricane-Anlage taucht in der<br />

Lieferliste erstmals die Bemerkung „Konstruktion mit<br />

Fahrgestell” auf. Hier wurde der Grundrahmen des <strong>Karussells</strong><br />

in ein zweirädriges Fahrgestell integriert, auf<br />

dem der Korb mit dem Ringkörper ruhte – und zwar<br />

höher als bei den vorher realisierten Hurricane-Anlagen.<br />

Eine erhöhte feste Grundkonstruktion ist die Basis<br />

des weiterentwickelten „Hurricane X”. Hier hängen<br />

die Ausleger steiler nach unten; der Schwenkbereich<br />

betrug nun 59,5 Grad, die Neigungswinkel der Ausleger<br />

reichte von -19,5 Grad (Ruhestellung) bis +40<br />

Grad (maximaler Ausflug). Nicht so die Neigung der<br />

Gondel selbst: Sie beschrieb eine Spanne von +10 bis<br />

+20 Grad. Grund dafür war eine beweglich-verstellbare<br />

Aufhängung mittels zusätzlicher Zugstangen im<br />

Gegensatz zur früheren starren Befestigung am Ausleger.<br />

Der Hurricane X erreichte eine Flughöhe von<br />

6,30 Metern und einen Flugbahndurchmesser<br />

von 15,80 Metern. Mit der via Zugstange möglichen<br />

Verstellbarkeit der Gondel verschwand<br />

auch die alte Raketenform: Etwa ab diesem<br />

Zeitpunkt kreisten an den Auslegerflugkarussells<br />

von Klaus die später so typischen Flugzeugchaisen<br />

mit großem Heckflügel und zwei<br />

nebeneinander angeordneten Sitzmöglichkeiten.<br />

In der Folgezeit wurden noch fünf<br />

Hurricanes für Deutschland realisiert: Erster<br />

davon war die Nummer H63 für die Firma Eller<br />

aus Wiesbaden (30. Juli 1957), gefolgt von einem<br />

Exemplar für den Bremer Renoldi (Nr. H73<br />

am 24. März 1958). 1963 verließen noch einmal<br />

zwei „X”-Versionen den Betriebshof von<br />

Klaus: Im Frühjahr 1963 erhielt Schausteller<br />

Hurricane Heinz Fähtz / Heinz Koch


50ER-JAHRE<br />

Hurricane von Alfred Kalb<br />

FOTOS<br />

Archiv Gunz, Archiv Kärger,<br />

Archiv Wack, Archiv<br />

Mathieu, Archiv Fähtz,<br />

Archiv Kalb, Archiv Franke,<br />

Sicherheit Fliegender<br />

Bauten 1970<br />

Hurricane H 73 unter Renoldi und Franke<br />

Fähtz aus Edelsberg ein derartiges Karussell, kurz davor<br />

hatte der Münchner Mathieu den „Jet Clipper” bekommen,<br />

der zunächst als „Condor” angekündigt worden<br />

war. Den allerletzten Hurricane nahm sieben <strong>Jahre</strong><br />

später, am 25. März 1970, der Nürnberger Alfred<br />

Kalb entgegen. Insgesamt wurden also 12 Hurricane-<br />

<strong>Karussells</strong> von Klaus nach Deutschland ausgeliefert.<br />

Ihr weiterer Lebenslauf ist nur in Einzelfällen nachvollziehbar.<br />

Der letzte Koch-Hurricane soll Mitte der 50er-<br />

<strong>Jahre</strong> nach Finnland verkauft worden sein, den Renoldi-Hurricane<br />

übernahm Richard Franke aus Braunschweig.<br />

Der „Jet Clipper” von Mathieu war noch bis<br />

1978 auf dem Oktoberfest in München Stammgast und<br />

wanderte dann in den Holiday Park in Hassloch. Mit<br />

der 1963 an Heinz Fähtz gelieferten Anlage Nummer<br />

H110 reiste bis 1965 dessen Stiefsohn Heinz Koch.<br />

Später gelangte dieses Karussell an den Augsburger<br />

Siegfried Springer und landete schließlich bei Walter<br />

Wieser aus Dessau. Eines der <strong>Karussells</strong> der Firma Eller<br />

kam über die Besitzer Maniatopoulos und Hausladen<br />

an die Schaustellerin Claudia Zinnecker, die das<br />

Geschäft heute in aktueller „Star Wars”-Dekoration betreibt.<br />

Der Nachzügler-Hurricane H130 von Alfred Kalb<br />

ging nach sieben Betriebsjahren an die Firma Schütz,<br />

später an den Kronacher Schausteller Gratz und<br />

schließlich in der Schweiz zu Schausteller Stieger.<br />

Bis Ende der 80er-<strong>Jahre</strong> war der Hurricane H36 auf der<br />

Reise. Das Ex-Beuermann-Geschäft von 1955 wurde<br />

1959 von Franz Bruch übernommen, der das Karussell<br />

aber nur eine Saison behielt. Dann kaufte es der<br />

bayerische Schausteller Josef Wack und reiste 30 Saisons<br />

damit; 1990 setzte ein Brand der Sache ein Ende.<br />

Wack hatte die alten Raketen-Gondeln nur bis etwa<br />

1963 behalten und sich dann für Chaisen der Firma<br />

Wilhelm Peter aus Althegnenberg entschieden; sie waren<br />

ursprünglich für das Schwarzkopf-Karussell „Weltraumflug”<br />

entworfen und gebaut worden.<br />

■<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Hurricane –<br />

Rundfliegeranlagen von<br />

Klaus, <strong>Kirmes</strong> Revue 6/97,<br />

Seiten 14 - 23<br />

Hurricane von Josef Wack<br />

mit Peter-Flugzeugen, um 1963<br />

31


50ER-JAHRE<br />

HELIKOPTER<br />

Rilkes „Hurrikan”, 1956<br />

Verschiedene Anlagen der<br />

Schausteller Barth, Becker und<br />

Hoech<br />

Der Helikopter der in Frohnlach bei Lichtenfels ansässigen<br />

Firma Alfred Völker-Metallwaren war ein<br />

Auslegerflugkarussell mit hydraulischer Selbststeuerung.<br />

Schausteller Mölter aus Coburg hatte um 1950<br />

den Anstoß dazu gegeben. Kurze Zeit später ging der<br />

Helikopter in Serie und fand bald solchen Anklang,<br />

dass zwischen 1952 und 1961 rund 30 Anlagen dieses<br />

Typs gefertigt wurden. Allerdings blieb es der einzige<br />

Fahrgeschäftstyp, der in der Frohnlacher Firma<br />

produziert wurde. Der Durchmesser dieser Anlage betrug<br />

16 Meter. Die Flughöhe der zigarrenförmigen<br />

Gondeln, in denen jeweils<br />

zwei Passagiere hintereinander<br />

Platz fanden, betrug<br />

nur etwa fünf Meter und erscheint<br />

uns heute wenig<br />

spektakulär. Dennoch war<br />

der Helikopter in den 50er-<br />

<strong>Jahre</strong>n eine Großattraktion<br />

der Top-Volksfeste gewesen<br />

und viele klangvolle<br />

Namen werden mit einer<br />

derartigen Anlage in Verbindung<br />

gebracht: Bruch,<br />

Kipp, Barth, Uhse, Wendler,<br />

Gugel oder Rilke. Die <strong>Karussells</strong><br />

drehten sich in großer Zahl unter dem offiziellen<br />

Namen „Helikopter”, es gab auch Exemplare namens<br />

„Orion”, „Rakete”, „Düsenjäger” oder – in Anlehnung<br />

an die Klaus-Konkurrenz – „Hurrikan”. Der<br />

Münchner Schausteller Ernst Mathieu, der sein Geschäft<br />

mit den Attributen „schnell – geräuschlos (ein<br />

Seitenhieb auf die laut zischenden Pneumatikflieger<br />

aus Memmingen) bewarb, taufte es „Vulkan” und war<br />

damit von 1956 bis 1962 Dauergast auf dem Münchner<br />

Oktoberfest. Die Beliebtheit des Helikopters zeigt<br />

auch die Tatsache, dass in den <strong>Jahre</strong>n 1957/58 sogar<br />

eine Doublette auf der Wiesn stand:, nämlich das Karussell<br />

der Familie Hochleitner.<br />

Ein Exemplar aus der Helikopter-Serie war das Geschäft<br />

der fränkischen Schaustellerfamilie Eschenbacher<br />

gewesen. Das Podium wurde hier eigenhändig<br />

gefertigt, der Durchmesser betrug nur 14,5 Meter.<br />

Auch verzichtete man auf die sonst bei diesem Karusselltyp<br />

üblichen Lichtergirlanden. Stattdessen wurden<br />

selbstgertigte Lampen auf die Zaunsäulen gesetzt.<br />

Das Weglassen dieser oberen Beleuchtungselemente<br />

erleichterte und beschleunigte den Aufbau.<br />

Zudem erschien durch diese freiere „Einsicht” die<br />

Flughöhe der Gondeln etwas höher, was die Attraktivität<br />

der Anlage steigerte. Viele Kollegen folgten später<br />

diesem Beispiel und sägten ihre Lichtkränze ab.<br />

32


50ER-JAHRE<br />

Eschenbachers<br />

Helikopter<br />

FOTOS<br />

Archiv Rilke, Archiv Spieß,<br />

Archiv Becker, Archiv<br />

Hoech, Archiv Eschenbacher,<br />

Archiv Kreuser<br />

Von Saison zu Saison peppten die Eschenbachers das<br />

ursprünglich nur in Grüntönen lackierte Fahrgeschäft<br />

immer mehr auf. 1968 tauschte man die zigarrenförmigen<br />

Gondeln aus. Nach einer Idee von Konrad<br />

Eschenbacher konstruierte der Fahrzeugbauer Wilhelm<br />

Peter aus Althegnenberg neue Chaisen, in denen<br />

die Fahrgäste nebeneinander saßen; allerdings<br />

reduzierte sich durch diese Umrüstung die Geschwindigkeit<br />

von 11 auf 9 U/min. 1981 verkaufte die<br />

Familie das Karussell an den Fürther Schausteller<br />

Grauberger. Dessen Sohn betreibt es noch heute und<br />

ist damit jedes Jahr auf der Fürther Michaelis-Kärwa<br />

zu Gast – der einzige Völker-Helikopter, der heute noch<br />

auf einem Großvolksfest zu finden ist.<br />

Eine besondere Stellung in der Helikopter-Geschichte<br />

nimmt die Neuwieder<br />

Firma Kreuser ein, die im<br />

Lauf der Zeit mehrere derartige <strong>Karussells</strong><br />

betrieben hat, darunter eine<br />

technische Besonderheit, die mit<br />

seinem Baujahr 1961 zugleich das<br />

letzte in Frohnlach gebaute Geschäft<br />

gewesen ist: der Atom-Trabant.<br />

Das Besondere war die mechanische<br />

Neigungssteuerung der<br />

Gondel: Je nachdem, ob sie stieg<br />

oder sank, neigten sich Bug oder Heck. Zusätzlicher<br />

Clou war das Bugrad, mit dem man bei der Landung<br />

richtig auf einer Rollbahn aufsetzte. Leider gab es mit<br />

dieser Steuerung Probleme, so dass am Ende der Saison<br />

'61, in der man damit sogar auf dem Cannstatter<br />

Wasen gastiert hatte, das Karussell wieder zurück an<br />

die Firma gegeben werden musste. Dort wurde von<br />

Mechanik auf Hydraulik umgerüstet. Zusätzlich wurde<br />

am Fahrstand eine zentrale Ventilsteuerung eingebaut,<br />

mit der der Betreiber die Gondeln bei voller Fahrt<br />

auf „Absturzstellung” schalten konnte, daher der neue<br />

Name „Sturzflieger”. Betrieben wurde das Karussell<br />

bis 1972 und dann an den Schausteller Heinrich Weidauer<br />

aus Kirchheim bei Marburg verkauft. ■<br />

QUELLE<br />

Reiner Köhler / Peter Reuther:<br />

Helikopter – ein Klassiker<br />

aus Franken, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 10/97, Seiten 22-26<br />

Atomtrabant und<br />

Sturzflieger von Kreuser<br />

33


50ER-JAHRE<br />

VAMPIR<br />

Kochs Blizzard, 1954<br />

Der Ur-Vampir von 1953<br />

Der Vampir war eine Weiterentwicklung des Klaus-<br />

Hurricanes: Der Korb mit dem Drehteil wurde hier<br />

an einer Führungssäule um rund 2,5 m mittels einer zusätzlichen<br />

Hubvorrichtung hochgefahren. Die Gondeln<br />

erreichten so eine Flughöhe von knapp 8 Metern,<br />

der Auslegerschwenkbereich betrug 52 Grad, die<br />

Gondelneigung zwischen -3 Grad (Ruhestellung) und<br />

+49 Grad (höchster Ausflug). Wie beim frühen Hurricane<br />

waren die Gondeln unbeweglich mit den Auslegern<br />

verbunden und in der Raketenform mit hintereinanderliegenden<br />

Sitzen gestaltet. Die Entwicklung<br />

des Vampir-<strong>Karussells</strong> begann 1953, seine Realisierung<br />

führte über ein gänzlich anders geartetes Karussell,<br />

nämlich den Tornado, der floppte und nach einem<br />

einzigen Auftritt (Münchner Wiesn 1953) an die Firma<br />

Klaus zurückgegeben wurde. Die Aufstellung der Firma<br />

Klaus über ausgelieferte <strong>Karussells</strong> vermerkte bei<br />

der Baunummer T11 (Tornado): „Karussell besteht<br />

Vampir V26 von 1955,<br />

oben unter Firma Jockers,<br />

rechts Firma Frickenschmidt<br />

34


nicht mehr; wurde in ersten Vampir<br />

umgebaut”. Der erste Vampir wurde<br />

bereits im Dezember desselben<br />

<strong>Jahre</strong>s an die Firma Tissot<br />

ausgeliefert, die ihn im Februar<br />

1955 an die Züricher Firma Möckel<br />

veräußerte: Der „Vampire” unterscheidet<br />

sich von den folgenden<br />

Exemplaren dieses Typs insbesondere<br />

durch die vierkantige Führungssäule,<br />

die vom Tornado übernommen<br />

worden waren. Als Gondeln<br />

kamen noch die Hurricane-<br />

Raketen zum Einsatz, die ab 1952 üblich waren. Als<br />

Turmersatz hatte dieses erste Exemplar lediglich eine<br />

schmale Säule mit der Aufschrift „Vampire”.<br />

Die Technik des Tornados war also für den Vampir-Prototyp<br />

von Tissot verwendet worden. Die Dekoration<br />

hingegen behielt Georg Koch für sein eigenes, kurze<br />

Zeit später als erstes „offizielles” Vampir-Karussell<br />

ausgeliefertes Geschäft: Die Umzäunung sowie auch<br />

die von innen beleuchtete „Kathedralen”-Rosette am<br />

Fahrstand fanden sich bei Kochs am 13. Februar 1954<br />

gestarteten Neuheit (V17) wieder. Koch nannte seinen<br />

Vampir „Blizzard”; der Turmaufbau war etwas niedriger<br />

als der der Hurricanes ab 1953/54 und mit zusätzlichen<br />

farbigen Neonröhren dekoriert. Als zweiter<br />

deutscher Schausteller bekam am 16. März die Firma<br />

Jockers aus Saarbrücken ihren Vampir. Als relativ spätes<br />

Exemplar wurde im April 1957 der Vampir „Shooting<br />

Star” an den niederländischen Schausteller Theunissen<br />

(Nr. V59) geliefert und nach mehrmaligem Besitzerwechsel<br />

um 1967 ins Herstellerland (Rau & Weber<br />

aus Herford) verkauft. Charakteristisch für den<br />

Shooting Star war anfangs der filigrane, kirchturmähnliche<br />

Aufbau; im Lauf der 80er-<strong>Jahre</strong> wich dieser einer<br />

geschlossenen silbernen Rakete nebst amerikanischem<br />

Outfit in „Stars & Stripes”.Dieses Exemplar war<br />

mit den modernen Flugzeug-Gondeln à la Hurricane X<br />

ausgerüstet. Insgesamt wurden 14 (10 komplette, 4<br />

Luftanlagen für England) Vampir-Anlagen realisiert.<br />

Die Biografie der drei in Deutschland reisenden Anlagen<br />

lässt sich nur bruchstückhaft rekonstruieren: Der<br />

Shooting Star war bis 1994 unter der Firma Klinkerfuß<br />

auf der Reise, 1996 übernahm ihn die Firma Völkl aus<br />

Hof, die aber nur fünf Plätze damit beschickte und ihn<br />

dann an Otmar Till aus Iphofen übergab; anschließend<br />

fand das Karussell im Parc de Loisir in Djerba eine<br />

neue Heimat. Der Vampir V26 von Jockers ging 1959<br />

für kurze Zeit an die Firma Ahrend in<br />

Hannover, die das Karussell an die<br />

Osnabrücker Familie Frickenschmidt<br />

weitergab. Diese rüstete<br />

das Karussell auf die neueren<br />

Flugzeuggondeln um und verpasste<br />

ihm den damals bereits gängigen<br />

Titan-Turmaufbau. 1963 trennten<br />

sich Frickenschmidts vom Vampir<br />

und übergaben ihn der Firma<br />

Göbel aus Worms. Kochs Blizzard<br />

wurde 1959 (vermutlich an die Firma<br />

Wendler) verkauft; die Dekoration<br />

war 1958 noch für den ersten<br />

Schiefen Turm verwendet worden,<br />

nach dem Erwerb eines neuen Titans<br />

jedoch der Blizzard komplett<br />

verkauft. Lange im Einsatz war ein<br />

Vampir unter Robert Thalkofer aus<br />

Frontenhausen. Dieses Karussell<br />

wurde – wie schon der Hurricane<br />

von Josef Wack – in den 60ern, damals<br />

im Besitz der Firma Schmack,<br />

mit Flugzeugen aus der Peter-Fabrikation<br />

aufgewertet.<br />

■<br />

50ER-JAHRE<br />

Shooting Star von<br />

Theunissen<br />

Skizze zum Vampir,<br />

Karl Meier, TÜV München<br />

FOTOS<br />

Archiv Kärger, Archiv Frickenschmidt,<br />

Hennie van<br />

Oers, Archiv Horn, Archiv<br />

Thalkofer, Sicherheit Fliegender<br />

Bauten 1970<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Vampir –<br />

Rundfliegeranlagen von<br />

Klaus, <strong>Kirmes</strong> Revue 6/97,<br />

Seiten 20-25<br />

Vampir mit Peter-Gondeln,<br />

oben das Karussell unter<br />

Thalkofer in jüngerer Zeit,<br />

links Archivfoto aus den 60ern<br />

35


50ER-JAHRE<br />

Erich Winters Tornado<br />

Tornado als „Orion”<br />

TORNADO / ZYKLON<br />

Der Schausteller Erich Winter hatte als erster die<br />

Idee eines gleichzeitig zu beladenden Looping-<br />

<strong>Karussells</strong>: der „Einschienen-Schleuderbahn”. Um ein<br />

motorgetriebenes Drehwerk herum sollten Ausleger<br />

aus Stahlrohr sternförmig angeordnet werden, zwischen<br />

deren äußeren Enden acht Gondeln für jeweils<br />

zwei Personen beweglich aufzuhängen waren. Der gesamte<br />

Auslegerverbund sollte sich über einen zweiten<br />

Getriebemotor mittels eines Ritzels selbsttätig an einer<br />

nach hinten gebogenen, viertelkreisförmigen Zahnschiene<br />

auf- und abbewegen können. Auf diese Weise<br />

sollte aus der einfachen Kreisfahrt in der horizontalen<br />

Ebene heraus zunächst eine Schrägfahrt und dann<br />

bei 90° der vollständige Looping in acht Metern Höhe<br />

möglich sein.<br />

Eine kleine Schlosserei in Exter wurde mit der Fertigung<br />

des ersten <strong>Karussells</strong> dieser Art beauftragt. Auf<br />

dem Herforder Volksfest 1954 sollte Winters eigene<br />

„Vision” von einer bahnbrechenden Neuheit Wirklichkeit<br />

werden: Vom Publikum wurde das „Tornado”<br />

getaufte Karussell regelrecht gestürmt. Dabei handelte<br />

es sich doch noch um ein<br />

recht schmuckloses Geschäft,<br />

mit eher unförmigen,<br />

ungepolsterten Gondeln mit<br />

einem Schutzkäfig aus<br />

Drahtgitter. Der große Erfolg<br />

sprach sich aber auch unter<br />

den Platzmeistern schnell<br />

herum.<br />

1957 gastierte der Tornado<br />

noch auf der Cranger <strong>Kirmes</strong>,<br />

aber mit dem Ende der<br />

Saison ging die Reisezeit<br />

des <strong>Karussells</strong> vorerst zu Ende, denn Winter machte<br />

sich in einem Zulieferbetrieb der Bremer Werftindustrie<br />

im benachbarten Leeste daran, eine größere und verbesserte<br />

Version der Einschienenschleuderbahn zu<br />

konstruieren. Wieder musste ein Präzisionsbogen zugeliefert<br />

werden, diesmal von einer Bremer Werft. Von<br />

der zweiten Winter’schen Schleuderbahn sind leider<br />

keine Bilddokumente mehr aufzutreiben. Auf einem Video<br />

über den Oldenburger Kramermarkt, wo diese Anlage<br />

ab 1958 regelmäßig gastierte, ist sie jedoch mehrmals<br />

in Aktion zu sehen. Das Karussell wurde wieder<br />

nach einem tropischen Wirbelsturm benannt und hatte<br />

auch wieder eine nach hinten gebogene, auf einer<br />

Bockkonstruktion ruhende Zahnschiene, an deren<br />

oberem Ende der Schriftzug „Zyklon” angebracht war.<br />

Die 10 Gondeln, die rings um einen Drehkranz von 9<br />

Metern Durchmesser angeordnet waren, wiesen aber<br />

schon die für die späteren Modelle typische Zigarrenform<br />

auf. Der Zyklon erreichte im Über-Kopf-Flug eine<br />

bereits beachtliche Höhe von 11 Metern. Winter verkaufte<br />

den Zyklon in den frühen 60ern nach Amerika.<br />

Tragischerweise stürzte der Mittelbau beim Löschen<br />

der Ladung vom Kranhaken und wurde zerstört.<br />

Der Hamburger Otto Friedrichs brachte zu dieser Zeit<br />

den Tornado wieder auf deutsche Volksfeste. 1965<br />

verkaufte er ihn an Armin Schultze, der das Karussell<br />

überarbeiten und eine neue, hohe Rückwand bauen<br />

ließ, die Motive aus der damals populären Science-<br />

Fiction-Serie „Raumpatrouille Orion” aufnahm. „Orion”<br />

wurde auch als neuer Name ausgewählt, und die kleine<br />

Bahn mit dem engen Radius hatte einen besonderen<br />

Effekt zu bieten: Die Gondeln drehten nicht immer<br />

nur stabile Loopings, sondern schlugen zuweilen auch<br />

noch seitliche Purzelbäume. Trotzdem wurde es für<br />

Schultze schwer, sich mit dem Oldie durchzusetzen;<br />

1972 verschwand das Raumschiff Orion alias Tornado<br />

endgültig in einem schwarzen Loch.<br />

■<br />

FOTOS<br />

Archiv Winter, Archiv<br />

Schultze<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Einschienenschleuderbahnen,<br />

<strong>Kirmes</strong><br />

Revue 11+12/97, Seiten<br />

58-65<br />

36


FLIEGENDE UNTERTASSE<br />

Günter Rilke aus dem bayerischen<br />

Wartenberg war Besitzer<br />

der Fliegenden Untertasse –<br />

ein von ihm selbst entwickeltes Patent.<br />

Der Entwurf dieses Karussell-<br />

Unikats war von einer Entwicklung<br />

jenseits des Großen Teiches inspiriert<br />

worden; dort hatte der Amerikaner<br />

Frank Hrubetz das Round<br />

Up auf den Markt gebracht, ein Karussell,<br />

das mittels eines hydraulischen<br />

Hebearms in die Schrägstellung<br />

(75°) gebracht werden<br />

konnte und das Schausteller Emde<br />

nach Deutschland importiert hatte.<br />

Noch bevor die Memminger Karussellbaufirma<br />

Klaus diese Hochrundfahrt in Lizenz<br />

nachbaute und damit die Round Up-Produktion auf<br />

deutschem Boden startete, hatte Günter Rilke mit den<br />

Plänen „für die Neukonstruktion eines auf Fliehkraft beruhenden<br />

<strong>Karussells</strong> mit hydraulischer Hebevorrichtung”<br />

begonnen, die am 20. November 1957 unterzeichnet<br />

wurden. Mit dem Bau der Anlage wurde die<br />

Nürnberger Firma Popp beauftragt, der Karussellname<br />

„Fliegende Untertasse” urheberrechtlich geschützt.<br />

Analog zum Round Up bestand der Effekt in<br />

einer mit 18 U/min schnell drehenden Passagierscheibe,<br />

die mittels Hydraulik hochgefahren werden<br />

konnte; die Fahrgäste wurden durch die Fliehkraft an<br />

die Scheibenwand gepresst. Abweichend vom Round<br />

Up standen den Passagieren Sitzbänke zur Verfügung,<br />

die Höchstauslage betrug nur 60°, die Scheibe<br />

hatte einen Durchmesser von 7 Metern und erreichte<br />

eine maximale Flughöhe von rund 9 bis 10 Metern. Sie<br />

bestand aus zwölf Segmenten, die insgesamt Platz für<br />

30 Personen boten. Die Grundfläche betrug etwa 10<br />

mal 9 Meter. Zehn der zwölf Scheibensegmente beherbergten<br />

jeweils drei Sitzplätze, die beiden anderen<br />

Felder waren für Ein- und Ausstieg freigehalten. Die<br />

Passagiere legten vor Beginn der Fahrt einfache Sicherheitsketten<br />

an, ein inneres Schutzgeländer diente<br />

zum Abstützen der Beine.<br />

Gestaltet wurde die Fliegende Untertasse von Günter<br />

Rilke selbst. Bei seiner Premiere präsentierte sich das<br />

Karussell noch überwiegend in nacktem Alu, für die<br />

zierende Illumination sorgten nur vier selbstgebaute<br />

Leuchtsternständer. Bald wurden die Stufen mit farbigem<br />

Plexiglas verkleidet und von hinten beleuchtet.<br />

Zwei einfache Raketen dienten links und rechts als zusätzlicher<br />

Blickfang; sie wurden später durch zwei von<br />

der Firma Zierer gefertigte Exemplare ersetzt. Diese<br />

beiden neuen Flugkörper waren auf Drehmotoren gelagert<br />

und von innen mit gleißendem Weißlicht erhellt.<br />

Feurig rote Lichtspiele am Fuß der Raketen simulierten<br />

den Abschuss ins Weltall. Kassenfront und Außenwand<br />

der Scheibe erhielten die zeittypische Bemalung<br />

in gegenstandslosem Stil und schönen Pastellfarben.<br />

Ein Schmuckstück wurde die Fliegende Untertasse,<br />

als der Innenbereich der Scheibe hinter dem Schutzgitter<br />

zur Welthalbkugel gestaltet wurde: Auf türkisfarbenen<br />

Ozeanen zogen Segelschiffe, über den Kontinenten<br />

kreisten Flugzeuge. Im abendlichen Licht<br />

zuckten Leuchtblitze über die Globusfläche hinweg,<br />

und eine am „Pol” befestigte Schwarzlichtlampe<br />

tauchte Szenerie und Fahrgäste in fremdartige<br />

flirrende Effekte.<br />

Rilkes reisten mit ihrer „Untertasse” weit über die<br />

Grenzen Bayerns hinaus, im Premierenjahr 1958<br />

stand sie auf dem Cannstatter Wasen, ab 1959 war<br />

sie Bestandteil des Münchner Oktoberfestes.<br />

1967 wurde sie dort von Patty Conklin aus Kanada<br />

entdeckt und auf der Stelle gekauft. Im Vergnügungsarsenal<br />

der Conklin Shows lief das Karussell<br />

dann als „Space Whirl”.<br />

■<br />

Das Karussell in verschiedenen<br />

Deko-Stadien<br />

FOTOS<br />

Archiv Rilke, Robert D. Paul<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Fliegende<br />

Untertasse – eine Begegnung<br />

der frühen Art, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 1+2/97, Seiten<br />

40-43<br />

Conklins „Space Whirl”<br />

37


50ER-JAHRE<br />

ROUND UP<br />

Emdes Hrubetz Round Up<br />

1958 in Brüssel<br />

Emdes Klaus Round<br />

Up auf der Münchner Wiesn<br />

präsentiert und zählte dort als eines der meistverkauften<br />

Fahrgeschäfte bald zum klassischen Repertoire<br />

der Carnivals. Das Geheimnis des Erfolges dieser<br />

amerikanischen Erfindung lag in der genialen Konzeption.<br />

12 sternförmig um einen Drehkranz gruppierte<br />

Ausleger waren an ihren äußeren Enden mit Fußbodenplatten<br />

und mannshohen Gittersegmenten zu einem<br />

freitragenden, runden Käfig verbunden. Die zehn<br />

sogenannten Körbe – ausgesteifte und mit einem Gitter<br />

bespannte Stahlrahmen mit jeweils drei als Stehplatz<br />

ausgeformten Mulden – wurden zusätzlich über<br />

Zugstangen mit der Mittelsäule verbunden. Angetrieben<br />

wurde das Karussell indirekt über zwei Gummireifen,<br />

die mit Elektromotoren verbunden waren und<br />

von außen gegen den umlaufenden Eisenring des Kä-<br />

Klaus Round Up von Emde<br />

Einer der Pioniere, die den modernen<br />

Karussellbau maßgeblich<br />

beeinflusst und vorangebracht<br />

haben, war der Amerikaner Frank<br />

Hrubetz. Er experimentierte schon<br />

früh mit hydraulischen Hebemechanismen<br />

und machte es sich zur<br />

Aufgabe, <strong>Karussells</strong> mit hoher Kapazität<br />

und Anziehungskraft zu<br />

entwickeln, die zugleich leicht aufund<br />

abzubauen und zu transportieren<br />

sind. Auf besonders spektakuläre<br />

Weise gelang ihm dies Anfang<br />

der 50er-<strong>Jahre</strong> mit dem Bau<br />

des ersten patentierten „Round<br />

Up“. Bereits 1954 wurde dieses<br />

neuartige Karussell auf den großen<br />

Volksfestveranstaltungen der USA<br />

38


50ER-JAHRE<br />

Round Up von Dölle<br />

figbodens drückten. Die bei schneller Umdrehungsgeschwindigkeit<br />

auftretenden Zentrifugalkräfte erzeugten<br />

den bereits vom Hoffmeister-Rotor her bekannten<br />

Effekt an der Wand klebender Fahrgäste. Revolutionär<br />

neu dagegen war der erstmals eingesetzte<br />

hydraulische Arm, der den rotierenden Käfig nun zusätzlich<br />

in eine Schrägstellung von circa 75 Grad anheben<br />

konnte. Der atemberaubende Anblick stehend<br />

durch die Luft wirbelnder Menschen zog die Besucher<br />

in Scharen an, die Möglichkeit des gleichzeitigen Einund<br />

Ausstiegs der jeweils 30 Passagiere sorgte für die<br />

gewünschte hohe Kapazität. Das war der Beginn einer<br />

neuen Ära im Karussellbau, und es dauerte nicht<br />

allzu lange, bis sich dies auch nach Europa herumgesprochen<br />

hatte.<br />

Es war der Schwede Gunnar Manson, der frühzeitig<br />

den Trend erkannte und das erste Round Up aus Amerika<br />

importierte. Durch eine Kooperation mit dem deutschen<br />

Schausteller Gustav Emde gelangte das Geschäft<br />

schließlich 1957 auf die großen deutschen Festplätze<br />

und erwies sich erwartungsgemäß als die Sensation.<br />

Emde konnte das amerikanische Round Up<br />

1957 zunächst exklusiv in Deutschland betreiben. Sein<br />

Erfolg sprach sich schnell herum und weckte bei vielen<br />

Kollegen Kaufinteresse. So wurde die Maschinenfabrik<br />

Klaus beauftragt, anhand des US-Modells ein<br />

auf hiesige Verhältnisse abgestimmtes Round Up mit<br />

deutscher Statik zu bauen. Schlag auf Schlag verließen<br />

bereits 1958 fabrikneue Round Ups das Memminger<br />

Herstellerwerk. Auf den ersten Blick entsprachen<br />

sie dem Original von Hrubetz, im Detail wurden<br />

jedoch die Wünsche der Kunden berücksichtigt. So<br />

kam bei Klaus statt des von Emde benutzten amerikanischen<br />

Sattelaufliegers ein klassischer, zweiachsiger<br />

Mittelbauwagen zum Einsatz, auf dem ursprünglich<br />

ebenfalls das ganze Karussell verladen werden konnte.<br />

Die Bedienung erfolgte wie beim Original von einem<br />

Fahrstand aus, wo über eine Art Lenkrad und ein<br />

Gestänge die Hydraulikventile des Hubarms manuell<br />

gesteuert werden konnten, sobald die erforderliche<br />

Umdrehungsgeschwindigkeit von 17,5 UpM erreicht<br />

war. Interessanterweise entstanden die insgesamt<br />

acht von Klaus gebauten Round Ups alle im Verlauf<br />

des <strong>Jahre</strong>s 1958. Das Interesse der Schausteller war<br />

zwar groß, doch war die Anzahl der für ein solches Geschäft<br />

in Frage kommenden Plätze und Reiserouten<br />

offenbar schon damals begrenzt.<br />

Die besten Plätze hatte<br />

Gustav Emde, und natürlich<br />

erhielt er am 15. März 1958<br />

auch das erste von Klaus gefertigte<br />

Round Up. Im April begann<br />

jedoch bereits die Brüsseler<br />

Weltausstellung, an der<br />

sich Emde noch mit dem amerikanischen<br />

Round Up von<br />

Manson beteiligen wollte. Also<br />

überließ er kurzerhand sein<br />

fabrikneues Klaus-Geschäft<br />

dem Kompagnon in Schweden.<br />

Der hatte ebenfalls ein<br />

Round Up bei Klaus bestellt,<br />

das aber erst einen Monat später<br />

ausgeliefert werden sollte.<br />

Deshalb verkaufte Manson<br />

das erste Geschäft anschlie-<br />

Round Up Nr. 2 unter<br />

Erich Weber<br />

39


50ER-JAHRE<br />

1969 betrieb die Firma Puls<br />

das ehemalige Karussell von<br />

Schippers<br />

Round Up von Schippers /<br />

Sippel<br />

ßend zurück nach Deutschland an den Fürther<br />

Schausteller Ernst Dölle. Unter der Regie von Dölle<br />

wurde das Karussell mit einer modernen Raumgleiter-<br />

und Düsenjet-Dekoration sowie einer markanten<br />

Lichterfontäne im Zentrum ausgestattet.<br />

Immerhin bis 1981 bereiste die Familie damit die<br />

Plätze zwischen Franken und dem Rheinland; Josef<br />

Dölle machte im Jahr 2000 mit einem anderen,<br />

aufgekauften Klaus-Round Up Schlagzeilen, das<br />

er als „Sunny Beach” für den Volksfesteinsatz wiederbelebte.<br />

Gunnar Manson trieb mit seinen Round<br />

Ups offenbar einen schwunghaften Handel,<br />

denn auch sein zweites Exemplar<br />

ging bald an einen deutschen<br />

Schausteller, die Berliner<br />

Firma Anton Beuermann. Über<br />

eine Anzeige im Komet wurde<br />

dieses Geschäft 1964 erneut<br />

zum Kauf angeboten und gelangte<br />

schließlich nach Herford:<br />

Bis 1981 reiste Erich Weber<br />

selbst mit dem Round Up, nach<br />

einer Saison unter Leitung seines<br />

Neffen wurde das Geschäft<br />

schließlich zurück nach Skandinavien<br />

verkauft. Round Up Nr. 3<br />

wurde am 24. April 1958 an Anton<br />

Gormanns aus Stolberg geliefert.<br />

Den Anfangserfolg konnte<br />

Anton Gormanns noch miterleben,<br />

doch verstarb er kurze<br />

Zeit später und hinterließ seinen<br />

Kindern und seiner Witwe Mia das Geschäft und die<br />

Tour. Der älteste Sohn Alex Gormanns erwarb später<br />

ebenfalls ein Round Up von Klaus, das ursprünglich<br />

als fünftes Exemplar der Baureihe eine Firma Maier bestellt<br />

hatte und mit dem er über viele <strong>Jahre</strong> hinweg<br />

selbstständig gereist ist. Mia Gormanns betrieb weiterhin<br />

das Geschäft ihres verstorbenen Mannes.<br />

In Hamburg war Round Up Nr. 4 der Firma Schippers<br />

und v.d. Ville beheimatet, das ebenfalls Ende April<br />

1958 auf den Markt gekommen war. Dieses Round Up<br />

mit seiner Kombination aus Neonlicht und klassischem,<br />

abstraktem 50er-<strong>Jahre</strong>-Dekor reiste unter Leitung<br />

von Günter Sippel in ganz Norddeutschland.<br />

1970 wurde das Geschäft – nachdem es eine Saison<br />

in den Händen der Bremer Firma Puls gewesen war –<br />

an die Brüder Manfred und Waldo Parpalioni verkauft.<br />

Bei Schippers hatte das Karussell zuletzt noch eine<br />

Weltraumdekoration und einen plastischen, halbrunden<br />

Polyester-Globus an der Stirnseite der Fassade erhalten.<br />

Noch vor wenigen <strong>Jahre</strong>n reiste die Firma Richard<br />

Mackels aus Wissen mit diesem Geschäft. Inzwischen<br />

ist es im Parc de Loisir in Djerba, Tunesien,<br />

im Einsatz.<br />

Zwei Round Ups lieferte Klaus zwischenzeitlich direkt<br />

ins Ausland. Die sechste Anlage der Baureihe ging im<br />

Mai 1958 an die Firma Moeckel in der Schweiz. Ende<br />

der 60er-<strong>Jahre</strong> gelangte auch dieses Karussell zurück<br />

nach Deutschland. Anton Beuermann erwarb es und<br />

verkaufte es 1969 weiter an Familie Isken aus Dortmund.<br />

Bauteile für ein weiteres Round Up schickte<br />

Klaus im Juni 1958 nach England, doch ist nicht bekannt,<br />

ob daraus tatsächlich jemals ein fertiges Ka-<br />

40


ussell entstanden ist. Zwar gelangte<br />

1958 ein Round Up aus Deutschland<br />

in den Besitz der englischen Firma<br />

Rose Bros., doch soll das ein Hrubetz-Karussell<br />

gewesen sein. Möglicherweise<br />

handelte es sich dabei<br />

also um das Original von Gunnar<br />

Manson und Gustav Emde, das nach<br />

Beendigung des Gastspiels auf der<br />

Brüsseler Weltausstellung verkauft<br />

worden ist. Seit einiger Zeit ist dieses<br />

Karussell als „Meteorite” in Irland unterwegs.<br />

Emde selbst hatte bereits im<br />

Juni desselben <strong>Jahre</strong>s das letzte fabrikneue<br />

Exemplar aus der Klaus-<br />

Produktion erhalten, um damit zur<br />

Hauptsaison seine wichtigen Plätze<br />

zwischen München und Bremen zu<br />

halten. Bis zu seinem Lebensende<br />

1977 war Gustav Emde mit dem<br />

Round Up unterwegs gewesen, dann<br />

verschwand dieses markante Geschäft<br />

von den großen Festplätzen.<br />

Später reiste die Firma Scheffer mit<br />

dem Karussell in Nordrhein-Westfalen, danach die Familie<br />

Koning. Noch auf der Reise ist das ehemalige<br />

Round Up Nr. 5 von Alex Gormanns. Mit dem Namen<br />

„Hot Wheel“ versehen, wird das Geschäft von der Firma<br />

Remmele präsentiert.<br />

Die Maschinenschlosserei Nijmeegs Lasbedrijf aus<br />

dem holländischen Nimwegen produzierte im <strong>Jahre</strong><br />

1959 mindestens zwei eigene Round Ups, von denen<br />

eines in die bis dahin noch nicht mit Klaus-Geschäften<br />

versorgte Region Stuttgart verkauft wurde, an eine<br />

Firma Reinhard. Dieses Karussell sollte sich im Laufe<br />

der Zeit erfolgreich gegen die anderen Modelle behaupten<br />

und zu einem echten Dauerbrenner entwickeln.<br />

Noch im Herbst 1978 wurde dieses Round Up<br />

von der Stuttgarter Schaustellerfamilie Renz übernommen<br />

und technisch vollständig überarbeitet, bevor<br />

es nach weiteren vier <strong>Jahre</strong>n an die Firma Weeber<br />

aus Reutlingen verkauft wurde und am Ende in einem<br />

französischen Park fest installiert worden sein soll.<br />

Das holländische Round Up war bedienungsfreundlicher,<br />

noch leichter gebaut und mit seinen kompakten<br />

Maßen 10 m x 11,5 m wohl ursprünglich gezielt auf die<br />

Platzverhältnisse der niederländischen Innenstadt-<br />

<strong>Kirmes</strong>sen abgestimmt gewesen. Optisch orientierte<br />

es sich jedoch weitgehend an dem Vorbild aus Memmingen.<br />

Der Reibradabtrieb der holländischen Version<br />

erfolgte mittels <strong>Spezial</strong>rädern, die ursprünglich für<br />

den harten Einsatz an Bahnsteigpaketwagen entwickelt<br />

worden waren. In Holland selbst blieb dem<br />

Round Up der Erfolg versagt. Zwar wurde die zweite<br />

Anlage von 1959 dort für kurze Zeit von dem Schausteller<br />

J.H. Kunkels aus Roermond betrieben, doch<br />

sollte dies das einzige Round Up bleiben, das je in<br />

Holland gereist ist.<br />

Stattdessen kam der nächste Auftrag bereits ein Jahr<br />

später wiederum aus Deutschland, nach Stuttgarter<br />

Vorbild bestellte die Münchner Schaustellerfamilie<br />

Aigner nun ebenfalls ein kleines Round Up aus Nimwegen.<br />

1968 orderte Karl Parpalioni ein fabrikneues<br />

Round Up mit 30 Plätzen aus Holland; späterer Eigentümer<br />

wurde der Münchner Schausteller Manfred<br />

Zehle. Dessen Kollege Aigner hatte sein kleines Round<br />

Up bereits 1962 an die Firma Roie nach Frankfurt weiterverkauft.<br />

■<br />

50ER-JAHRE<br />

Round Up von August<br />

Isken<br />

FOTOS<br />

Archiv Kärger, Archiv Dölle,<br />

Archiv Emde, Archiv<br />

Weber, Archiv Sippel, Archiv<br />

Parpalioni, Archiv Isken,<br />

Rolf Schmidt<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Round<br />

Up – Die Zukunft vor 40<br />

<strong>Jahre</strong>n, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

7/98, Seiten 60-66, und<br />

8/98, Seiten 30- 32<br />

De Boer Round Up von<br />

Parpalioni, 1968<br />

41


50ER-JAHRE<br />

SPUTNIK<br />

von 1959<br />

Sputnik-Ausführung<br />

Sputnik-Ausführungen<br />

von 1958, aufgenommen<br />

auf dem Schützenfest in<br />

Hannover und dem Oktoberfest<br />

in München<br />

Besonders viele Ausführungen des Flugkarussells<br />

„Sputnik” aus der Schwarzkopf-Werkstätte hat es<br />

nicht gegeben. Und sonderlich lange währte deren<br />

Höhenflug auf den Volksfesten ebenfalls nicht. 1958<br />

war Sputnik die große neue Sensation im <strong>Kirmes</strong>geschehen<br />

gewesen – nur wenige Monate, nachdem im<br />

wirklichen Leben der „Sputnik 1” ins All gestartet war.<br />

Die Cranger <strong>Kirmes</strong> in Herne, der Stoppelmarkt in<br />

Vechta, der Kramermarkt in Oldenburg und das Oktoberfest<br />

in München bildeten unter anderem die glanzvollen<br />

Startrampen für den Abschuss des Sputnik in<br />

den <strong>Kirmes</strong>himmel der 50er-<strong>Jahre</strong>. Die Firmen Willenborg<br />

und Van der Veen tauchen dabei in den Beschickerlisten<br />

von 1958 auf. 1959 erhielt die Familie<br />

Loeb einen weiteren fabrikneuen Sputnik, der zur <strong>Jahre</strong>smitte<br />

ausgeliefert wurde.<br />

Das Zentrum der Sputnik-<strong>Karussells</strong> war eine auf<br />

schräger Achse rotierende, illuminierte, buntbemalte<br />

42


Attrappe des Erdballs. Ein rotierender Kranz, an dem<br />

18 Gondeln fest montiert waren, konnte an zwei<br />

Führungssäulen hydraulisch angehoben und danach<br />

gekippt werden, so dass eine Umkreisung des Globusses<br />

in schräger Flugbahn nachgeahmt wurde.<br />

Vergleicht man Fotos der Sputnik-Anlagen von 1958<br />

und 1959 miteinander, so fallen – neben Unterschieden<br />

in der Farbgebung, im Schriftzugbogen und der<br />

andersgerichteten Polachse des Erdballes – vor allem<br />

die verschiedenen Gondeltypen ins Auge. Die Gondeln<br />

des Loeb'schen <strong>Karussells</strong> glichen Kleinautomobilen<br />

mit aufgesetzten Frontscheinwerfern und seitlichen<br />

Türen, die geöffnet und geschlossen werden<br />

mussten. Sie waren bulliger, kugeliger und höher als<br />

die Chaisen der 1958er-Version, in denen man zwar<br />

ebenfalls hintereinander Platz nehmen musste, die jedoch<br />

durch eine Öffnung im Frontbereich bestiegen<br />

werden konnten. Möglicherweise war die massivere<br />

Gondelform auf eine rasantere Fahrweise (steilere<br />

Flugbahn, Kippen nach beiden Seiten– wie auf dem<br />

erhaltenen Modell angedeutet) angelegt.<br />

Wie auch immer: Glücklich geworden ist kein Besitzer<br />

mit dem Karussell. Insgesamt reisten Loebs damit nur<br />

1 1/2 Saisons, wobei sie auf dem heimatlichen Topplatz,<br />

dem Bremer Freimarkt, mit dem gleichzeitig gastierenden<br />

Sputnik von Willenborg konkurrieren mus-<br />

Sputnik-Modell der Firma Schwarzkopf<br />

sten. Ende 1960 wurde der Loebsche Sputnik an die<br />

Firma Buser in der Schweiz verkauft. Erzählungen zufolge<br />

soll ihn der neue Besitzer nur einmal aufgebaut<br />

haben und überhaupt nicht damit zurechtgekommen<br />

sein, so dass das Karussell anschließend verschrottet<br />

wurde. Der Verkauf des Loeb'schen Sputniks wurde<br />

damals im Weser Kurier kommentiert.<br />

Unter „Konjunktur auch auf<br />

dem Rummelplatz” wurde deutlich<br />

Bilanz gezogen: „Ein großes Karussell,<br />

das heute gebaut wird, kostet<br />

ein paar hunderttausend Mark<br />

und muß sich in ein paar <strong>Jahre</strong>n<br />

amortisiert haben. Ist der Reiz der<br />

Neuheit erst einmal vorbei, bringt<br />

es seinem Besitzer nicht viel mehr<br />

als ein gutes Auskommen. Und<br />

nicht jedes neue Karussell gefällt<br />

dem Publikum, wie es der Verkauf<br />

eines Sputniks ins Ausland beweist,<br />

der nicht lange am deutschen<br />

Jahrmarktshimmel kreiste.”<br />

Auch die Willenborg-Anlage soll<br />

1959 nach ihrem zweiten München-Gastspiel<br />

Deutschland – in<br />

Richtung Skandinavien – verlassen<br />

haben.<br />

Besitzer eines Sputnik-<strong>Karussells</strong><br />

war später Erwin Ahrend aus Hannover;<br />

sein Geschäft fiel einem<br />

Großbrand zum Opfer. Der desaströse<br />

Auftritt eines Sputniks von<br />

Erich Bödeker aus Duisburg<br />

schließlich ist in die Annalen der<br />

Dürener Annakirmes 1962 eingegangen.<br />

■<br />

50ER-JAHRE<br />

FOTOS<br />

Archiv Loeb, Stadt München,<br />

Rolf Schmidt<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Sputnik –<br />

Back to the Fifties, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 9/97, Seiten 54-57<br />

Erinnerungen an Loebs<br />

Sputnik<br />

43


50ER-JAHRE<br />

CALYPSO<br />

Legendär:<br />

Die Calypso-Anlagen von<br />

Bausch & Distel<br />

Modell für den Prototyp<br />

von Mack, 1958<br />

Calypso war ein typisches „Wirtschaftswunder-Karussell”.<br />

Die Firma Mack aus Waldkirch entwickelte<br />

diesen Karusselltyp in Deutschland und vermarktete<br />

ihn äußerst erfolgreich. Beim Calypso befinden sich<br />

vier elektrisch angetriebene Drehkreuze mit je vier<br />

Gondeln auf einer schräg gestellten Drehscheibe. Diese<br />

wird mittels Reibräder in Bewegung gesetzt, wobei<br />

ihre Drehzahl optimal auf die Drehzahl der in entgegengesetzer<br />

Richtung rotierenden Kreuze abgestimmt<br />

ist. Das Ganze ergibt einen gelungenen Bewegungsablauf<br />

mit stets wechselnder Fahrtrichtung in<br />

einer Art Dreiecks-Kreisfahrt. Eine absolute Weltneuheit<br />

war diese Fahrweise allerdings nicht: Der amerikanische<br />

Scrambler bot den gleichen Bewegungsablauf<br />

wie der spätere Calypso, war jedoch eine flache<br />

Anlage ohne Podium und mit einer recht einfachen<br />

Verarbeitung. Die drei Drehkreuze waren zwischen einem<br />

oberen und einem unteren Ausleger eingehängt<br />

und wurden mittels einer Übersetzung vom mittleren<br />

Hauptantrieb aus in Bewegung gesetzt. 1958 lieferte<br />

die Firma Mack ihren ersten Calypso<br />

an die Münchner Schaustellerfirma<br />

Bausch & Distel. Das Geschäft<br />

entstand nach Anregungen<br />

von Heinz Distel, der in den USA<br />

auf diese Art von Drehkreuz-<strong>Karussells</strong><br />

aufmerksam geworden<br />

war. Die Erstbesitzer sicherten sich<br />

auch bald eine „Exklusivität”, indem<br />

sie mit der Firma Mack vereinbarten,<br />

dass für eine Periode<br />

von zwei <strong>Jahre</strong>n weitere Verkäufe in Deutschland nur<br />

an die Firma Bausch & Distel gestattet waren. Die Premierentour<br />

verlief sensationell – insbesondere auf dem<br />

Oktoberfest, wo Wächter und zusätzliche Geländer<br />

plaziert werden mussten, um den riesigen Publikumsandrang<br />

bewältigen zu können.<br />

Der große Erfolg des Calypso blieb natürlich nicht unbemerkt,<br />

und da über die Mack-Konstruktion die Exklusivitätsklausel<br />

verhängt war, wurden die Schaustellerkollegen<br />

erfinderisch. Bereits Anfang der Saison<br />

1959 gab es die erste Kopie zu vermelden: Der holländische<br />

Schausteller und Tüftler Adam van der Veen<br />

hatte sich eine artverwandte Anlage in Eigenregie bauen<br />

lassen und stellte sie am 30. April 1959 in Amsterdam<br />

zum ersten Mal vor. Nach Amsterdam wurde auch<br />

der deutsche TÜV geordert, denn 1959 gab es weitaus<br />

mehr Plätze zu vergeben, als Bausch und Distel<br />

je halten konnten, und somit kam der holländische<br />

Nachbau recht bald auch in Deutschland zum Einsatz.<br />

Van der Veen beschickte 1959 mit seinem Calypso unter<br />

anderem die Veranstaltungen in Goslar, Münster,<br />

Vechta und Oldenburg. In der technischen Ausführung<br />

gab es einen wesentlichen Unterschied zum<br />

Mack-Original. Um einen schnellen und sicheren Fahrgastwechsel<br />

zu gewährleisten, wurden die Gondeln<br />

nämlich nicht an einem Drehkreuz befestigt, sondern<br />

sie waren auf drei Scheiben montiert. Als „Leckerbissen”<br />

gab es zwischen diesen Scheiben noch weitere<br />

drei Gondeln, die drehbar auf einem Schwengel gelagert<br />

waren, wodurch für einen Teil der Fahrgäste eine<br />

ganz andere, Walzerbahn-ähnliche Fahrt entstand. Typisch<br />

für den Calypso von Van der Veen war auch sein<br />

44


diese Weise aktualisiert, kam Calypso<br />

OHO 1960 auch zu Münchner<br />

Wiesn-Ehren. Hüttemann verkaufte<br />

den Calypso OHO 1965 an<br />

Willi Perz aus Fürth, 1969 landete<br />

das Karussell bei Heinz Metz aus<br />

Nürnberg, um 1973 bei der niederbayerischen<br />

Schaustellerfamilie<br />

Zinnecker. Bei der Firma<br />

Schwarzkopf entstand 1960 ein<br />

Calypso, mit dem die Familien<br />

Wendler und Spangenberger auf<br />

die Reise gingen. Das Geschäft<br />

wurde – ebenfalls nach einem Modetanz<br />

– „Baion” genannt.<br />

Trotz dieser diversen Konkurrenz-<br />

Anlagen kann man die 60er-<strong>Jahre</strong><br />

in Deutschland in Sachen Calypso<br />

als „Mack-Episode” beschreiben.<br />

Nach Ablauf der Bausch-&-Distel-<br />

Exklusiv-Frist wurden es immer<br />

mehr Anlagen – Heinz Distel<br />

sprach von weiteren zwölf damals<br />

50ER-JAHRE<br />

Eigenbau von Adam v.d.<br />

Veen, 1959<br />

Eigenbau von Georg<br />

Hüttemann, 1959; unten unter<br />

Willi Perz<br />

drehbarer Schriftzug, der entweder „Calypso”, „Mambo”<br />

oder „Rumba” anzeigte. Van der Veen war nicht<br />

der einzige, der das Mack-Distel-Embargo durchbrach.<br />

Das Schaustellerunternehmen Schippers &<br />

v.d.Ville zum Beispiel baute in der eigenen Maschinenschlosserei<br />

in Hamburg-Altona eine Walzerfahrt<br />

der Firma Gundelwein kurzerhand in ein flaches, Calypso-ähnliches<br />

Karussell mit etwa 1 m hohem Podium<br />

und original Ihle-Gondeln um und nannte es „Mambo”.<br />

Dieser Eigenbau, der in den <strong>Jahre</strong>n 1960/61 auf<br />

den Beschickerlisten der ganz großen Volksfeste auftauchte,<br />

wurde später nach Dänemark verkauft.<br />

Auch in Bayern und bald sogar direkt in München bekamen<br />

Bausch und Distel schnell den Wettbewerb zu<br />

spüren. Der Schausteller Georg Hüttemann aus Augsburg-Lechhausen<br />

brachte bereits zur Saison 1959 den<br />

kleinsten Calypso, der in Deutschland je gebaut wurde.<br />

Hüttemann reiste in der zweiten Hälfte der 50er-<br />

<strong>Jahre</strong> mit einem Karussell namens „Slalom”, das er<br />

nach der Saison 1958 komplett umbauen ließ: Aus der<br />

ursprünglichen Ovalbahn wurde ein Rundfahrgeschäft<br />

mit 16 Metern Durchmesser, auf dem vier Gondelkreuze<br />

kreisten. 16 der ursprünglich 18 Chaisen rotierten<br />

nun in Vierereinheiten im Calypso-Stil, zusätzlich<br />

ausgestattet mit den obligatorischen Schirmchen.<br />

Es war wohl das einzige Geschäft dieser Art, bei dem<br />

die Passagiere in den Gondeln hintereinander sassen.<br />

Hüttemann entschied sich zunächst für die Bezeichnung<br />

„Hula Hoop”, bereits zur Saison 1960 nannte er<br />

es Calypso OHO. Gleichzeitig wurde das Karussell mit<br />

zeitgemäßeren Gondeln der Firma Peter bestückt. Auf<br />

45


50ER-JAHRE<br />

Mambo von Schippers &<br />

v.d. Ville, 1960<br />

Baion, Schwarzkopf, 1960<br />

davon ging bereits Mitte 1959 an die Schweizer Firma<br />

Weidauer (dieses Karussell kehrte jedoch 1963 nach<br />

Deutschland an einen anderen Besitzer zurück), der<br />

andere in die USA. Die Aufmachung der drei Bausch<br />

& Distel - Calypsos wurde dabei immer aufwändiger.<br />

Beim Ur-Calypso von 1958 – als einziges derartiges<br />

Mack-Geschäft noch mit den bulligeren, hinten hochgezogenen<br />

Gondeln der Firma Peter ausgerüstet – waren<br />

die Herzchen an der Rückwand noch zweidimensional<br />

aufgemalt, bereits der zweite Calypso war hingegen<br />

mit plastischen Herzen dekoriert. Die Rückwand<br />

erhielt neben den senkrechten Lichtsäulen die<br />

charakteristischen Leuchtsterne. 1962 montierten<br />

Bausch und Distel bei der in Deutschland verbliebenen<br />

Anlage vorübergehend an den Gondeldächern<br />

zusätzliche Drehleuchten.<br />

Mack-Calypso von Eckl<br />

ausgelieferten Anlagen im Bundesgebiet einschließlich<br />

einer in Westberlin. Und auch in den 70er-<br />

<strong>Jahre</strong>n wurden von Mack noch Exemplare in Deutschland<br />

ausgeliefert. Während der „Schonfrist” – also der<br />

exklusiven Bausch-Distel-Phase – besaßen und betrieben<br />

die beiden Münchner Schausteller der Reihe<br />

nach insgesamt drei Calypsos (der erste wurde 1958,<br />

die beiden anderen 1959 ausgeliefert). Die ersten beiden<br />

verkauften sie frühzeitig wieder ins Ausland. Einer<br />

Mack-Calypso von Rosai<br />

46


50ER-JAHRE<br />

Sonniers Orient-Zauber<br />

FOTOS<br />

Archiv Distel, Hennie van<br />

Oers, Archiv Perz, Archiv<br />

Eckl, Archiv Rosai, Archiv<br />

Hirsch, Archiv Mocken, Archiv<br />

Sonnier, Archiv Schäfer,<br />

Archiv Spangenberger,<br />

Stadt Nördlingen, Ton<br />

Koppei<br />

1963 baute Mack einen Calypso für die Firma Maniatopoulis-Krämer<br />

aus Stuttgart, Ende 1964 wurde dieser<br />

Calypso in die Schweiz verkauft. Auch die Firma<br />

Biermann aus Gelsenkirchen war schon früh mit einem<br />

Mack-Calypso auf der Reise. Auf dem Münchner Oktoberfest<br />

war Biermanns Geschäft von 1962 bis 1993<br />

vertreten. München bildete von Anfang an eine besondere<br />

Calypso-Hochburg, denn auf dem Oktoberfest<br />

waren Calypsos sehr lange und fast immer in<br />

mehrfacher Ausführung vertreten. Die Firma Bausch<br />

war bis 1980 mit ihrem Calypso auf dem Oktoberfest<br />

präsent und verpasste der Anlage Mitte der 70er-<strong>Jahre</strong><br />

sogar noch neue, zeitgemäßere Gondeln. Der ehemalige<br />

Biermann-Calypso kam unter der Firma Haas<br />

in München 1994 zum letzten Mal zum Einsatz. Von<br />

1965 bis 1968 gab es auf der Münchner Wiesn sogar<br />

drei Mack-Calypsos. In dieser Zeitspanne baute nämlich<br />

auch Hans Dom seine Anlage dort auf. Ein weiterer<br />

Münchner Calypso-Besitzer war von 1974 bis 1988<br />

die Familie Eckl – allerdings ohne damit auf der Wiesn<br />

zu gastieren. Selbiges gilt für Eduard Rosai, der zwischen<br />

1976 und 1980 einen Mack-Calypso besaß.<br />

Einer der frühen deutschen Calypso-Betreiber war<br />

auch die Familie Mocken gewesen, die ihr Mack-Karussell<br />

ab Mitte der 60er-<strong>Jahre</strong> betrieb. 1971 legte man<br />

sich einen anderen Calypso namens „La Bostella” zu,<br />

der vor allem durch seine geschwungene Rückwand<br />

und die aufwändige Lichter-Fontäne in der Mitte der<br />

Drehscheibe auffiel. Etwas ganz Besonderes in punkto<br />

Aufmachung war die Mack-Anlage „Orient Zauber”.<br />

Sie wurde – ebenfalls 1972 – für die saarländische<br />

Schaustellerfamilie Sonnier gebaut. Mitte der 80er-<br />

<strong>Jahre</strong> wurde dieses Prachtstück Opfer des Zeitgeistes<br />

und zum Breakdance umgebaut und umgestaltet.<br />

Auch die holländische Firma Bakker aus Apeldoorn<br />

blieb nicht unberührt von der „zweiten Jugend” des<br />

Calypso in den 70ern: Sie baute für Deutschland 1974<br />

für die Firma Mocken das „Moulin Rouge”. Es verfügte<br />

über 20 Gondeln, verteilt über fünf Kreuze und war<br />

somit Deutschlands größter reisender Calypso. ■<br />

Mockens Moulin Rouge<br />

und Schäfers Tarantella<br />

QUELLE<br />

Ton Koppei: Calypso, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 12/99, Seiten<br />

20-29, 1+2/2000, Seiten<br />

46-50<br />

Mockens La Bostella<br />

47


50ER-JAHRE<br />

TITAN<br />

Der Schiefe Turm bei<br />

der Wiesn-Premiere<br />

ständig als Luftanlage die Werkshallen in Memmingen<br />

verließ. Zunächst einige technische Daten: Der größte<br />

Flugbahndurchmesser des Schiefen Turmes betrug<br />

15,35 Meter, die Drehzahl lag bei 9,5 U/min. Der<br />

Schwenkbereich der Ausleger betrug 58 Grad (bei<br />

maximaler Schrägstellung 94 Grad). Die Neigung der<br />

via Zugstangen verstellbaren Gondeln reichte von -10<br />

Grad bis +38 Grad. Die Schräglage des Mittelbaus betrug<br />

bis zu 18 Grad. Die Gondeln erreichten eine maximale<br />

Flughöhe von 11,5 Metern, wobei der Korb in<br />

12 Sekunden um 2,5 Meter an der Führungssäule<br />

hochgefahren wurde. Als offizielle Gondelform des<br />

Schiefen Turmes nennt die uns vorliegende Ersatzteilliste<br />

die „Type IV”. In der zweiten Hälfte der 50er-<strong>Jahre</strong><br />

hatte die Firma Klaus ihre Produktion auf Gondeln<br />

mit zwei nebeneinanderliegenden Sitzplätzen umgestellt,<br />

die Raketenform verschwand, die Gondeln gli-<br />

Biermanns Anlage als<br />

Titan<br />

Die Weiterentwicklung des<br />

Vampirs – offiziell als „Schiefer<br />

Turm” bezeichnet – avancierte<br />

nach dem Hurricane zum zweiterfolgreichsten<br />

Klaus-Karussell.<br />

Die Produktionsliste der Firma<br />

weist 21 offizielle Auslieferungen<br />

von Schiefen Türmen aus, davon<br />

sechs Exemplare für Deutschland,<br />

acht Schiefe Türme gingen nach<br />

Amerika, vier nach Frankreich, je<br />

einer nach Dänemark und Österreich<br />

und schließlich einer nach<br />

England, der jedoch – wie alle<br />

Klaus-Anlagen, die auf die britische<br />

Insel gelangten – nur unvoll-<br />

48


50ER-JAHRE<br />

Der Titan von Koch /<br />

Gunz, Baujahr 1959<br />

chen nun eher Flugzeugen mit ausgeprägter Heckflosse.<br />

Durch die neue Anordnung der Sitze geriet die<br />

Form der Gondeln jetzt breiter, was durch die als Einstiegshilfe<br />

ausgeweiteten Seitenflügel noch optisch<br />

unterstützt wurde. Die Gondeln waren im Querschnitt<br />

nicht mehr kreisrund, sondern „gedrückt”: Front- und<br />

Heckpartie liefen im elliptischem Querschnitt aus.<br />

Der Prototyp eines Schiefen Turmes ging – laut Klaus-<br />

Liste aller ausgelieferten Karussell-Anlagen – bereits<br />

am 29. Mai 1957 in Amerika als „Super-Strato-Jet” in<br />

Betrieb. Die eigentliche Zeit der Schiefen Türme beginnt<br />

aber erst mit der Saison 1958; am 22. November<br />

1957 waren die Konstruktionspläne für die „Rundfliegeranlage<br />

Schiefer Turm” abgezeichnet worden, die<br />

deutsche <strong>Kirmes</strong>präsenz der Schiefen Türme startet<br />

am 19. Mai 1958 mit der Baunummer ST 69 D, die in<br />

Kooperation von Bernhard Biermann und Georg Koch<br />

ans Netz ging. Die ersten Fotos zeigen dieses Karussell<br />

– auch in seiner Dekoration – als schräggestellten<br />

Vampir. Der Turmaufbau glich exakt dem des Blizzard,<br />

von dem auch die Kasse mit der Leuchtrosette und<br />

dem Schriftzug „Koch’s Blizzard”<br />

übernommen wurde. Auf dem<br />

Schriftband am Turm stand nun<br />

„Kochs Schiefer Turm” zu lesen.<br />

Neu waren auf den ersten Blick die<br />

vereinfachten Umzäunungen mit<br />

den Lichtsäulen, natürlich die<br />

Scherenkonstruktion zur Schrägstellung<br />

und die Klaus-Flugzeuggondeln.<br />

Diese Optik des Schiefen<br />

Turms war jedoch nur eine Übergangslösung<br />

gewesen: Schon<br />

bald setzte sich die Bezeichnung<br />

„Der Titan” durch; die Anlagen<br />

wurden mit einer hohen, geschlossenen<br />

Rakete im Zentrum markiert.<br />

Skizze zum Schiefen Turm,<br />

Karl Meier, TÜV München<br />

49


50ER-JAHRE<br />

Lorenz Schweizers<br />

Titan, 1959<br />

Titan unter Weber<br />

Mit Beginn der Saison 1959 waren drei als „Titan” aufgemachte<br />

Anlagen in Deutschland unterwegs: Neben<br />

Biermann reiste nun auch der Nürnberger Lorenz<br />

Schweizer mit einem derartigen Karussell; Georg<br />

Koch erhielt eine Neuausführung: Diese hatte eine Besonderheit,<br />

durch die sie leicht zu identifizieren war:<br />

Koch ließ sich dieses Karussell mit Kunststoff-Gondeln<br />

der Althegnenberger Firma Wilhelm Peter ausrüsten.<br />

Die kompakt geformten Gondeln liefen vorne in ovale<br />

Form mit zwei Scheinwerfern aus, das Heck endete<br />

scheibenartig rund und wies einen zentralen, von mehreren<br />

kleinen Leuchten kreisförmig umgebenen Rückstrahler<br />

auf. Die Titan-Anlagen von Koch, Biermann<br />

und Schweizer blieben in Deutschland nur eine Saison<br />

unter sich. Im Laufe des <strong>Jahre</strong>s 1960 folgten drei weitere<br />

Auslieferungen: Zunächst erhielt die Firma Renoldi<br />

am 29. Februar mit der Baunummer ST 98 D ihren<br />

Schiefen Turm, den sie „Gigant” nannte. Am 17. November<br />

1960 startete ein Schiefer Turm der Firma Eller<br />

aus Wiesbaden, dem am 6. Dezember mit der Nummer<br />

ST 95 D ein entsprechendes Geschäft für die<br />

Schaustellerfirma Fock aus Neumünster folgte.<br />

Der Titan von Georg Koch ging im Lauf der <strong>Jahre</strong> an<br />

Schwiegersohn Ernst Gunz über, der ihn als Titan noch<br />

bis einschließlich 1976 betrieb. Im Winter 1976/77 mutierte<br />

diese Anlage zum „Drachenflug”: der Turm wurde<br />

geradegestellt, anstelle der Flugzeuggondeln hingen<br />

an den Auslegerenden nun freischwingend Doppelsitzer<br />

mit „Beinfreiheit”, genau gesagt: die abgeschnittenen<br />

hinteren Hälften alter Calypso-Gondeln.<br />

Die Hubbewegung wurde nun automatisch festgelegt,<br />

die Gondeln schwangen abwechselnd nach oben und<br />

unten. Drei <strong>Jahre</strong> reiste Ernst Gunz damit, nach dem<br />

dritten Wiesn-Gastspiel 1979 verschwand der Drachenflug<br />

im Ausland. Auch die anderen Titan-Anlagen<br />

erlebten im Lauf ihrer Lebensjahre diverse optische<br />

Änderungen sowie Besitzerwechsel. Bernhard Biermann<br />

reiste mit seinem Titan noch bis 1970, verkaufte<br />

das Karussell dann an den Bremer Karl-Heinz Heine,<br />

der die Anlage jedoch nur eine Saison lang betrieb.<br />

Der Titan ST 86 D von Lorenz Schweizer, ausgeliefert<br />

am 27. Februar 1959, wurde um 1970 in den hohen<br />

Norden verkauft, an die Firma Lange, die damit bis<br />

50


50ER-JAHRE<br />

Renoldis Gigant, 1960<br />

FOTOS<br />

Archiv Biermann, Archiv<br />

Kärger, Archiv Gunz, Archiv<br />

Frickenschmidt, Sicherheit<br />

Fliegender Bauten<br />

1970<br />

1978 auf Reisen war. 1980 gelangte die Anlage in den<br />

Besitz der Familie Landgrebe aus Worms, die das Karussell<br />

als „Starflight No.1” heute noch besitzt. 1986<br />

wurden die Klaus-Flugzeuge gegen neue der Firma<br />

Ihle ersetzt, der alte Dieselkompressor durch einen<br />

neuen Flüsterkompressor. Renoldis Gigant ST 98 D<br />

ging 1969 unter neuem Besitzer ins damals noch isolierte<br />

Berlin. Schausteller Heinz Michen versah es später<br />

ebenfalls mit Ihle-Gondeln, die das einzige sind,<br />

was heute vom Karussell noch übrig ist. Sie wanderten<br />

nach der Verschrottung der Anlage als Deko-Objekte<br />

in diverse Schaufensterauslagen, ehe sie wieder<br />

an einen Schausteller veräußert wurden.<br />

Mit einer gebrauchten Titan-Anlage war in den 60er-<br />

<strong>Jahre</strong>n die Münsteraner Firma Heitmann / Eisermann<br />

im nordwestdeutschen Raum unterwegs gewesen;<br />

dieses Karussell ging anschließend in den Besitz von<br />

Herbert Weber aus Nienburg über. Zum aktiven Einsatz<br />

kam das Karussell letztmalig Anfang der 80er-<br />

<strong>Jahre</strong>. Heinz Frickenschmidt aus Osnabrück schließlich<br />

hat seinen Titan 1962 übernommen. Die ursprünglichen<br />

Klaus-Gondeln vom Type IV wurden<br />

auch hier nach einigen <strong>Jahre</strong>n ausgewechselt, und<br />

zwar ebenfalls durch die modernen Ihle-Flugzeuge.<br />

Bei allem Erfolg und guter Resonanz waren die Schiefen<br />

Türme für die Betreiber nicht ganz unproblematisch<br />

gewesen. So musste etwa die Familie Koch/Gunz<br />

in den Wintermonaten Heizkörper im Turm anbringen,<br />

um die Ventile am Einfrieren zu hindern. Ein besonderes<br />

Kapitel freilich war das Aufstellen gewesen (siehe<br />

Anhang), ein mühseliger und auch gefährlicher Vorgang,<br />

denn es passierte durchaus, dass der Turm dabei<br />

wegrutschte und umkippte. Um den Aufbauprozess<br />

einfacher zu gestalten, rüstete Kurt Kalbfleisch<br />

aus Bad Wildungen, Erfinder und Erbauer der Fahrgeschäfte<br />

Taifun, Flamenco, Nessy, der Moonraker-<br />

Filmraketen, Zwei-Säulen-Skooter und Inhaber einiger<br />

Rechte an der Konstruktion der Zwei-Säulen-Fahrgeschäfte,<br />

erfolgreich mehrere Klaus-Geschäfte auf Hydraulik-Auf-und-Abbauhilfen<br />

um. Einige Exemplare,<br />

darunter der Titan von Bernhard Biermann, wurden<br />

von Klaus auf Hydraulikaufstellung umgebaut, und<br />

auch die Firma Tang in Hilden war mit derartigen Umrüstungen<br />

betraut.<br />

■<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Schiefe<br />

Türme – Rundflieger von<br />

Klaus, <strong>Kirmes</strong> Revue 7/97,<br />

Seiten 70-76<br />

Frickenschmidts Titan<br />

51


50ER-JAHRE<br />

DÜSENCLIPPER<br />

Düsenclipper im<br />

Urzustand, 1959<br />

Der Düsenclipper von Hans Dom aus München war<br />

ein nur einmal gebauter Exot in der Landschaft der<br />

Rundfliegeranlagen und ein einmaliger Versuch, den<br />

Schiefen Turm ohne Stützschere zu realisieren. Das<br />

Karussell wurde unter der Firmenbezeichnung „Schiefer<br />

Hurricane” in etwa zeitgleich mit dem Schiefen<br />

Turm entwickelt: Am 27. April 1959<br />

wurde dieses Karussell an Hans Dom<br />

ausgeliefert, es trug die Nummer SH<br />

90 D. Die Säule war beim Düsenclipper<br />

am Grundrahmen festgestellt,<br />

konnte also nicht gekippt werden.<br />

Zwei Pneumatikstempel am kegelförmigen<br />

Sockel unter dem Korb verweisen<br />

jedoch auf zusätzliche Funktionen:<br />

Wie beim Vampir fuhr der Drehteil<br />

an der Säule nach oben, konnte<br />

anschließend aber bis zu 15 Grad in<br />

die Schräglage gebracht werden. Anders<br />

als beim Titan trat beim Düsenclipper<br />

also der Kippeffekt erst nach<br />

der Hochfahrt an der Säule ein.<br />

Bei gleichem Flugbahndurchmesser<br />

von 15,35 Metern erreichte der Düsenclipper<br />

eine etwas geringere Flughöhe<br />

wie der Titan, rotierte aber mit<br />

9,6 U/min etwas schneller. Der Auslegerschwenkbereich<br />

lag bei 58 beziehungsweise<br />

88 Grad, die Gondelneigung<br />

variierte von -6 bis +29 Grad.<br />

Auch der Düsenclipper wurde mit den<br />

am Ausleger verstellbaren Flugzeuggondeln<br />

vom Typ IV ausgestattet. Im<br />

52


50ER-JAHRE<br />

Das Karussell in den<br />

60er-<strong>Jahre</strong>n<br />

FOTOS<br />

Archiv Kärger, Sicherheit<br />

Fliegender Bauten 1970<br />

Großen und Ganzen war der Fahreffekt bei beiden Karusselltypen<br />

der gleiche gewesen. Anscheinend jedoch<br />

hatte sich die Konstruktion des Düsenclippers<br />

nicht bewährt; er blieb ein Einzelstück.<br />

In seiner visuellen Ausstrahlung war Hans Doms Karussell<br />

eine beeindruckende Anlage gewesen, vielleicht<br />

der schönste aller Klaus-Rundflieger. Anstelle<br />

des geschlossenen Turms verfügte der Clipper über<br />

einen offenen Lichtleistenaufbau, der zunächst in der<br />

Art gotischer Spitzbögen gestaltet war, später vereinfacht<br />

wurde und dadurch das Karussell noch wuchtiger<br />

wirken ließ. Die Gondeln waren in den Farben birkengrau/bavariablau,<br />

weiß/coralle und resedagrün/<br />

steingrau gespritzt, eine wunderschön bemalte, wild<br />

gezackte Kulisse gab dem Düsenclipper den stimmigen<br />

Background für seine Höhenflüge auf schiefer<br />

Kreisbahn. Die Anlage, die zunächst „Stratoclipper”<br />

hätte heißen sollen, war von 1959 bis 1964 auf dem<br />

Münchner Oktoberfest zu Gast. Nach dem Erwerb der<br />

Weiterentwicklung „Mirage”<br />

trennte sich Hans Dom vom<br />

Düsenclipper, das Karussell<br />

wechselte die Besitzer<br />

mehrmals, es gelangte in<br />

die Hände des Münchners<br />

Jürgen Schratt, war 1968<br />

kurz in Besitz der Firma<br />

Bruch und landete schließlich<br />

in Schleswig-Holstein<br />

bei der Firma Rasch, die<br />

das Karussell noch bis<br />

Ende der 70er-<strong>Jahre</strong> betrieb<br />

und anschließend verschrottete.<br />

■<br />

Skizze zum Düsenclipper<br />

Karl Meier, TÜV München<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Schiefe<br />

Türme – Rundflieger von<br />

Klaus, <strong>Kirmes</strong> Revue 7/97,<br />

Seiten 76-77<br />

53


50ER-JAHRE<br />

HULA HOOP<br />

Hula Hupp von<br />

Schippers und v.d. Ville<br />

Zwei Ereignisse des <strong>Jahre</strong>s<br />

1958 haben die <strong>Kirmes</strong>szene<br />

um ein Rundfahrgeschäft bereichert,<br />

das als Klassiker gilt: der<br />

„Hula Hoop”. Namensgeber war<br />

ein bunter Plastikreifen, den man<br />

damals mit hawaiianischem Hüftschwung<br />

möglichst lange um die<br />

Taille kreiseln ließ. Ende 1958 fand<br />

diese amerikanische Modeerscheinung<br />

ihren weltweiten Höhepunkt.<br />

Die trendbewussten deutschen<br />

Schausteller und die sie<br />

beliefernde Karussellindustrie reagierten<br />

prompt, eignete sich das<br />

Thema doch hervorragend für ein<br />

Fahrgeschäft. Just zu dem Zeitpunkt<br />

machte die Firma Bausch<br />

und Distel mit dem bei Mack gebauten<br />

Calypso Furore. Die beiden<br />

Münchner hatten sich jedoch vorsorglich<br />

mit dem Hersteller geeinigt, dass man in den<br />

ersten zwei Saisons exklusiv beliefert wird, erst danach<br />

sollte diese Neuheit auch anderen Schaustellern<br />

in Deutschland zugänglich gemacht werden. So lange<br />

wollten einige natürlich nicht warten. Die Firma Löffelhardt<br />

machte sich damals Gedanken, wie man die<br />

Fahrweise des Calypso mit der Idee des Hula Hoop-<br />

Reifens verbinden könnte, die drehende Platte also anzuheben<br />

und die Gondeln quasi „in Hüfthöhe” der Mittelsäule<br />

tanzen zu lassen. Als <strong>Spezial</strong>ist auf dem Gebiet<br />

von pneumatischen und hydraulischen Hubwerken<br />

wurde die Kaspar Klaus KG in Memmingen mit der<br />

Konstruktion beauftragt. Während die Drehscheibe<br />

des Calypso in der schrägen Ebene durch einen<br />

Originalentwurf der Firma<br />

Klaus<br />

54


50ER-JAHRE<br />

Der Hula Hoop der<br />

Familie Löffelhardt<br />

außen liegenden Reibradantrieb in Schwung gebracht<br />

werden konnte, musste die anzuhebende und frei<br />

schwebende Scheibe des Hula Hoop über einen in der<br />

Mitte sitzenden Antrieb verfügen und auch in der ausgefahrenen<br />

Position absolut stabil sein. Matthias Haug<br />

von Klaus entwickelte einen Mittelbauwagen mit abnehmbaren<br />

Achsen, der quer zur Front gestellt wird.<br />

Auf einem Hubrahmen, der vorne angelenkt und hinten<br />

über eine Art Scherensystem mit dem Grundrahmen<br />

verbunden ist, sitzt der Hauptantrieb, von dem<br />

freitragend vier miteinander zu einer Drehscheibe verbundene<br />

Ausleger abgehen, die wiederum an ihren<br />

Enden die Antriebe für die vier Gondelkreuze tragen.<br />

Über einen zweifach ausfahrbaren Hydraulikstempel<br />

zwischen Grundrahmen und Hubrahmen kann die<br />

Drehscheibe so um circa zwei Meter angehoben und<br />

zusätzlich schräggestellt werden. Dadurch erlebt der<br />

Fahrgast neben der vom Calypso her bekannten Fahrweise<br />

bei sich rasch ändernden Kombinationen von<br />

Flieh- und Schwerkraftwirkung einen interessanten,<br />

zusätzlichen Effekt, er hebt ab und schwebt frei durch<br />

die Luft. Gottlieb Löffelhardt sen. arrangierte eine Kooperation<br />

mit der Karussellbaufirma Anton Schwarzkopf,<br />

die die gesamten Umbauten, Rückwände und<br />

Lichtdekorationen für die Hula Hoop-<strong>Karussells</strong> von<br />

Klaus liefern sollte.<br />

Bei der Auslieferung des ersten Hula Hoop ließ Familie<br />

Löffelhardt einem anderen Hamburger Schaustellerunternehmen<br />

den Vortritt. Als die Nr. 91 der von<br />

Klaus gebauten <strong>Karussells</strong> ging das Geschäft am 14.<br />

Mai 1959 an die Firma Schippers und v.d. Ville. Der<br />

Prototyp orientierte sich weitgehend an dem erhalten<br />

gebliebenen Originalentwurf. Während ursprünglich<br />

überdachte, nach vorn geöffnete und zur Mitte des<br />

Gondelkreuzes ausgerichtete Gondeln zum Einsatz<br />

kommen sollten, entschied man sich schließlich für in<br />

Fahrtrichtung angebrachte, seitlich zu besteigende<br />

„Blumenkübel”, die als Dach illuminierte Blüten mit geknicktem<br />

Stengel trugen. Durch die ungewöhnliche<br />

Aufmachung blieb dieser „Hula Hupp” während seiner<br />

Reisezeit in Deutschland ein Unikat und konnte sich so<br />

gegen die konkurrierenden Schwestergeschäfte und<br />

Calypsos behaupten, mit denen man im Laufe der Zeit<br />

immer mal wieder zusammen auf einem Platz stand.<br />

Geschäftsführer für den Hula Hupp war damals Reinhold<br />

Meinicke sen., der mit dem Karussell die großen<br />

Plätze in Norddeutschland bereiste und von 1960 bis<br />

1964 sogar auf dem Münchner Oktoberfest gastierte.<br />

Nur einen Monat nach Schippers bekam die Firma Löffelhardt<br />

den ersten serienreifen Hula Hoop. Man hatte<br />

inzwischen beschlossen, den Gondelbau in erfahrenere<br />

Hände zu legen, und die Firma Wilhelm Peter mit<br />

der Fertigung beauftragt. Peter, einst in der Nähe von<br />

Augsburg und später in Althegnenberg ansässig, war<br />

damals der erste Hersteller von Polyesterfahrzeugen<br />

gewesen und hatte ursprünglich Calypso-Gondeln für<br />

55


50ER-JAHRE<br />

Gottlieb Löffelhardt jun.’s<br />

Ausführung des Hula Hoop,<br />

1960<br />

Hula Hoop von Peter<br />

Lehmann<br />

die Firma Mack gebaut. Von den insgesamt in Auftrag<br />

gegebenen 48 Chaisen für die ersten drei an Bausch<br />

und Distel zu liefernden Calypsos fertigte Peter jedoch<br />

nur die ersten 24. Dann brach man die Geschäftsbeziehungen<br />

wegen unterschiedlicher Auffassungen<br />

zwischen kleinem Zulieferer und großem Hersteller ab.<br />

Stattdessen wurde Peters Calypso-Chaise entsprechend<br />

den TÜV-Bestimmungen für den Hula Hoop<br />

leicht abgewandelt und erhielt die charakteristische<br />

bauchige Form mit dem hochgezogenen Rückenteil<br />

und dem runden Frontscheinwerfer. Ausgestattet mit<br />

den neuen Schirmchen-Gondeln und einer insgesamt<br />

moderner wirkenden Aufmachung mit viel Neon und<br />

einer großen Lichtfontäne im Zentrum ging Löffelhardts<br />

Hula Hoop am 10. Juni 1959 an den Start zum<br />

bundesweiten Einsatz auf den großen Volksfesten. Der<br />

Erfolg muss die Erwartungen der Schaustellerfamilie<br />

voll erfüllt haben, denn bereits zur folgenden Saison<br />

wurde eine weitere Anlage bei Klaus geordert.<br />

Inzwischen waren auch andere Kollegen auf diesen<br />

Karusselltyp aufmerksam geworden: die Familie Rosenzweig<br />

aus Köln zum Beispiel, und auch aus Frankreich<br />

lag eine Bestellung vor für die Saison 1960. Pierre<br />

Hoffmann, ein alter Stammkunde von Klaus, erhielt<br />

bereits am 4. April 1960 das gewünschte Karussell, für<br />

das er interessanterweise nicht die gebräuchliche Bezeichnung,<br />

sondern einen Ausdruck aus<br />

dem französischen Jugendjargon wählte:<br />

„La Surboum”, der Überknaller oder Superbums.<br />

Auch dieser Hula Hoop unterschied<br />

sich wieder von seinen Vorläufern,<br />

indem ganz und gar auf eine Rückwand<br />

verzichtet worden war. Auf diese Weise kamen<br />

die kunstvollen Gitter, deren ineinander<br />

verflochtene Reifen so passend das<br />

Thema dieses Karusselltyps aufgreifen,<br />

erstmals richtig zur Geltung. Und über den<br />

in grellem Neonlicht erstrahlenden<br />

Lichtsäulen verkündete eine Leuchtschrift<br />

in großen Lettern die Botschaft der wirbelnden<br />

Tanzmaschine: Mambo, Rock<br />

und Cha Cha Cha: Voulez vous danser<br />

avec moi? Noch mindestens bis in die<br />

80er-<strong>Jahre</strong> war dieses eigentlich zeitlose<br />

Karussell im Raum Paris im Einsatz. Später<br />

wurde es Stammgast im französischen<br />

Antibesland, dort in „Cocktail Dance” umbenannt<br />

und unlängst komplett in ein „Take Off”-ähnliches<br />

Geschäft namens „Shark” umgebaut.<br />

Der vierte Hula Hoop von Klaus ging an Löffelhardt<br />

jun., der damals bereits seit acht <strong>Jahre</strong>n im elterlichen<br />

Betrieb tätig gewesen war. In Zusammenarbeit mit<br />

dem Dänen Oscar Pettersson setzte er diesen Hula<br />

56


50ER-JAHRE<br />

Das Lehmann-Karussell<br />

Hoop in skandinavischen Vergnügungsparks ein,<br />

schließlich wollte man dem ersten, zuhause reisenden<br />

Geschäft, mit dem Stiefbruder Peter Lehmann die<br />

großen Plätze zwischen Stuttgart, Bad Dürkheim und<br />

Hamburg beschickte, keine unnötige Konkurrenz machen.<br />

Denn auch Rosenzweigs Hula Hoop Nr. 5 stand<br />

dort bereits in den Startlöchern. Im Vorfeld hatte es<br />

zunächst kleine Unstimmigkeiten gegeben, denn Anton<br />

Schwarzkopf hatte sich zunächst vergeblich<br />

bemüht, der Schaustellerfamilie einen Sputnik aus eigener<br />

Fertigung zu verkaufen und weigerte sich nun<br />

trotzig, für den vermeintlich an die Konkurrenz verlorenen<br />

Kunden lediglich Podium und Rückwand eines<br />

Hula Hoops zu bauen. Zwar konnte Matthias Haug vermittelnd<br />

eingreifen und so doch noch die rechtzeitige<br />

Fertigstellung zum Pfingstmarkt in Bad Godesberg sicherstellen,<br />

doch sollte dies auch der letzte Hula Hoop<br />

von Klaus werden. Schwarzkopf baute später eigene<br />

<strong>Karussells</strong> vom Typ Calypso.<br />

Was ist nun aus diesen Geschäften geworden? Josef<br />

Schippers verkaufte seinen Hula Hoop an einen Venezuelaner<br />

aus Caracas, der 1966 im spanischen Barcelona<br />

den Parque de Atracciones de Montjuich eröffnete.<br />

Peter Lehmann reiste bis zu seinem Lebensende<br />

mit dem Hula Hoop in Deutschland. Zwischenzeitlich<br />

erhielt das Geschäft eine neue Rückwand von der Firma<br />

Mack, und ab und zu wurden Peter-Gondeln gegen<br />

neuere von Ihle ausgetauscht. Später befand sich<br />

das Geschäft im Besitz von Ludwig Roder aus Karlsruhe,<br />

ab 1999 gehörte es der Firma Klein aus dem<br />

Saarland. 2004 erwarb es die Familie Knörr aus Kaiserslautern.<br />

Der zweite Löffelhardt’sche Hula Hoop<br />

blieb in Dänemark. Heute dreht er sich unweit der<br />

deutsch-dänischen Grenze, nach einer völligen thematischen<br />

Umgestaltung kaum wiederzuerkennen, als<br />

afrikanisches „King-Kong-Karussell” im Sommerland<br />

Syd in Tinglev.<br />

Familie Rosenzweig hatte das jüngste Exemplar der<br />

Baureihe Anfang der 60er-<strong>Jahre</strong> an die Familie Wendler<br />

abgegeben, die wiederum verkaufte es weiter an<br />

Familie Kreuser aus Neuwied. Nach der deutschen<br />

Wiedervereinigung ging das Geschäft zur Familie<br />

Sachs in die Neuen Bundesländer, um schließlich<br />

Ende 1994 in den Besitz von Albert Dormeier aus Bassum<br />

zu gelangen, der es eindrucksvoll renovierte. Im<br />

Jahr 2000 wurde es nach Afrika verkauft. ■<br />

FOTOS<br />

Archiv Kärger, Münchner<br />

Stadtmuseum Abteilung<br />

Schaustellerei, Archiv Lehmann<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Hula<br />

Hoop – Lebendige Legende,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 5/98,<br />

Seiten 18-24<br />

Hoffmanns La Surboum,<br />

1960<br />

57


50ER-JAHRE<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Hurricane –<br />

Vampir, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

6/97, Seite 20, Michael<br />

Bonhoff: Holiday Bounce,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 9/02, Seiten<br />

32-35<br />

(Foto: Archiv Gunz)<br />

TORNADO<br />

Tornado war ein Rundfahrgeschäft, das Georg Koch<br />

1953 bei der Firma Klaus in Auftrag gegeben hatte:<br />

Zwölf Ausleger waren hier zu einem abgedeckten,<br />

schräggestellten Karussellaufbau verbunden, an dessen<br />

umlaufendem Holzsteg zwölf topfähnliche offene<br />

Passagiergondeln frei um die eigene Achse rotierten.<br />

Diese Rotation konnte per Handrad<br />

noch forciert werden. Gleichzeitig fuhr<br />

der Auslegerverbund an einer ebenfalls<br />

geneigten Säule um etwa 2 Meter<br />

auf und ab. Tornado wurde am 18.<br />

September 1953 pünktlich zur Münchner<br />

Wiesn fertig – und es blieb der<br />

einzige Platz für das Karussell, das<br />

technisch unausgereift war und vom<br />

Publikum nicht angenommen wurde.<br />

Koch gab das Karussell sofort an den<br />

Hersteller zurück, der Teile davon für<br />

den ersten Vampir verwendete. Im<br />

Grunde genommen war dieser Karusselltyp eine amerikanische<br />

Angelegenheit: Schon um 1940 hatte es<br />

dort ein ähnlich geartetes Geschäft namens „Bubble<br />

Bounce” gegeben, und in den 60ern griffen Dwayne<br />

Steck („Holiday Bounce”) und Frank Hrubetz („Tip<br />

Top”) die Idee mit großem Erfolg wieder auf. ■<br />

FLY-O-PLANE<br />

QUELLE<br />

Der Komet 3387 / Seite 30<br />

(Foto: Archiv Zierer)<br />

Anton Gormanns aus Eschweiler<br />

konstruierte und betrieb exklusiv<br />

das Fly-o-Plane, auch „Düsenflieger”<br />

genannt, mit sich überschlagenden<br />

Flugzeugen. Im September<br />

1956 inserierte er verbittert<br />

im Komet: „Im In- und Ausland auf<br />

allen Festplätzen beliebt und gesucht,<br />

nur nicht auf dem Münchener<br />

Oktoberfest zu finden.” Unter<br />

Gormanns hatte dieses Fluggerät tatsächlich keine<br />

Chance auf eine Wiesn-Zulassung. Um die Anschaffung<br />

eines Round Up zu finanzieren, verkaufte er das<br />

Fluggerät, bei dem zehn Gondeln via Seilzeug gesteuert<br />

werden konnten, um 1960 nach München, und<br />

von 1961 bis 1978 war Hüllers Düsenflieger fester Bestandteil<br />

des Oktoberfestes. Später stand das kuriose<br />

Karussell lange im Schwabenpark Gmainweiler. ■<br />

58<br />

SLALOM<br />

Georg Hüttemann aus Augsburg reiste Mitte der<br />

50er-<strong>Jahre</strong> mit einem Karussell namens „Slalom”<br />

zwischen Hamburg und München, wo er 1957 und<br />

1958 auch auf der Wiesn aufbauen durfte. Dabei handelte<br />

es sich um ein Karussell mit ovaler Rundfahrt.<br />

Hier wurden die Gondeln durch ein Stahlseil in Bewegung<br />

gebracht, das über zwei große, motorisch angetriebene<br />

Scheiben lief. Das Seil bildete eine Art<br />

Schiene für 18 vierrädrige Fahrgastträger. Auf dem<br />

Chassis der Gondeln waren um die eigene Achse beweglich<br />

die Karosserien angebracht, kleine Gefährte,<br />

die jeweils zwei Personen hintereinander sitzend Platz<br />

boten. Die Karosserien konnten auf den Untergestellen<br />

– zusätzlich zur ovalen Kreisfahrt – hin und her<br />

gedreht werden. Ferner war die gesamte Konstruktion<br />

auf einer schiefen Ebene gebaut. 1958/59 wurde Slalom<br />

zu einem Calypso umgebaut.<br />


KOMET<br />

In Deutschland lief dieses Karussell nur ein Jahr. Es<br />

wurde in der Nachkriegszeit von der amerikanischen<br />

Firma Allan Herschel unter dem Namen „Hurricane”<br />

gebaut. Der ein wenig an einen Öl-Bohrturm erinnernde<br />

eiserne Gittermast trug an seiner Spitze einen Drehkranz,<br />

von dem sechs beweglich gelagerte Ausleger<br />

herunterhingen. An ihrem unteren Ende trugen diese<br />

Arme jeweils eine vier Personen fassende Gondel, am<br />

entgegengesetzten Ende waren sie oberhalb der Aufhängung<br />

mit der Kolbenstange eines riesigen, zentralen<br />

Zylinders verbunden. Der Fahreffekt war ein<br />

zwangsgesteuertes, gleichzeitiges Auf und Ab der<br />

Arme. Die Hamburger Schaustellerfirma Schippers &<br />

v.d. Ville bereiste 1954 damit alle wichtige Plätze in<br />

Deutschland. Da das Karussell sehr störanfällig war,<br />

verschwand es sofort wieder von der Bildfläche. ■<br />

50ER-JAHRE<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Swing<br />

Around, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

3/97 Seiten 28-29<br />

(Foto: Archiv Schippers)<br />

TAIFUN<br />

Dieses vom Betreiber Michael Großmann aus Mindelheim<br />

erdachte, 1956 von der Maschinenfabrik<br />

Hutterer und Sohn gebaute Fahrgeschäft war ein<br />

Überschlagkarussell mit halbkreisförmiger Führungsschiene.<br />

Das nur 6-gondelige Drehteil wurde dabei<br />

über ein endloses Stahlseil und eine am Boden plazierte<br />

Antriebsrolle vom Podium auf der einen Seite<br />

über die Loopingfahrt in der Mitte der Schiene bis zum<br />

Absetzen auf dem Podium der gegenüberliegenden<br />

Seite gezogen. Im Premierenjahr 1956 gastierte das<br />

Geschäft auf dem Cannstatter Wasen, von 1957 bis<br />

1964 mit Unterbrechungen in München auf dem Oktoberfest.<br />

Auch auf anderen Spitzenplätzen wie Bremen<br />

stellte der langsame Fahrgastwechsel des <strong>Karussells</strong><br />

kein allzu gravierendes Problem dar. ■<br />

KREISELWIPPER<br />

EXPLORER<br />

Die Ursprünge der Taumler-<strong>Karussells</strong> liegen hier:<br />

1955 brachte der Schausteller Hamberger den<br />

Kreiselwipper, ein Karussell mit einem runden Kessel,<br />

in dem die Fahrgäste während der Rotation auf und ab<br />

wippten. Es war bis 1965 auf der Wiesn Stammgast<br />

und wurde dort bis 1973 von der Familie Merkl weiterbetrieben.<br />

Das Foto stammt aus den 70ern. ■<br />

Mit einer Mischung aus Sputnik und Fliegender<br />

Untertasse bereiste Ende der 50er-<strong>Jahre</strong> Hans<br />

Hille westfälische Plätze wie Dortmund oder Werne.<br />

„Explorer” verfügte bereits über einen hydraulischen<br />

Hubarm, die ringförmig in Fahrtrichtung kreisenden<br />

Zweier-Gondeln erinnern hingegen an die Schwarzkopf-<strong>Karussells</strong><br />

jener Zeit.<br />

■<br />

QUELLE<br />

1897-1987 – 90 <strong>Jahre</strong><br />

Schausteller-Verein „Rote<br />

Erde” Dortmund e.V.,<br />

1987, Seite 45<br />

59


50ER-JAHRE<br />

QUELLE<br />

Rolf Orschel: Hulla Hoop,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 5/2000,<br />

Seite 5<br />

(Foto: Archiv Drelischek)<br />

HULLA HOOP<br />

Ein Vorläufer des „Hexentanz” war dieses Karussell,<br />

bei dem 12 Gondeln paarweise überund<br />

untereinander rotierten. Es wurde von Schausteller<br />

Warzyniak geplant und gebaut, inspiriert<br />

von einer Konstruktion, die er in Brüssel entdeckte.<br />

Hulla Hoop reiste vorwiegend im Raum Wetzlar/Gießen;<br />

der Betrieb dieses Geschäfts mit dem<br />

planenbespannten Mittelbau wurde in den 60er-<br />

<strong>Jahre</strong>n wieder eingestellt.<br />

■<br />

SPIEGELRONDO<br />

QUELLE<br />

Michael Jantowski: Familie<br />

Hohmann, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

10/97, Seiten 38-39<br />

(Foto: Archiv Hohmann)<br />

Mitte der 50er baute der Münchner Wilhelm Hohmann<br />

in Eigenregie das Spiegelrondo. Auf einer<br />

walzerbahnähnlichen Piste kreisten in schnellem Tempo<br />

sechs Doppelgondeln für je sechs Personen um<br />

eine Spiegelkugel-Skulptur und rotierten dabei um die<br />

eigene Achse. Von 1955 bis 1964 war Hohmann damit<br />

in München anzutreffen. Es wurde mit dem Erwerb von<br />

„Rund um den Tegernsee” 1965 aufgegeben. ■<br />

LUFTTAXI / MOSQUITO<br />

Neben den Klaus- und Völker-Fliegern gab es in<br />

den 50er-<strong>Jahre</strong>n auch eine Reihe exotischer Flugzeugkarussells.<br />

Bei Adam v.d. Veens „Lufttaxi”, das<br />

von 1951 bis 1959 auf Plätzen wie Vechta oder Oldenburg<br />

anzutreffen war und später in den Besitz der<br />

Firma Köhrmann/Wimmert überging, waren die entgegen<br />

den Uhrzeigersinn kreisenden Gondeln an den<br />

auf und abfahrenden Auslegern zusätzlich frei ausschwingend<br />

befestigt. „Mosquito” war eine Hydraulik-<br />

Anlage im Stil des Helikopters in besonderer Ausstattung,<br />

die ihren Weg auch auf den Bremer Freimarkt<br />

fand. Besitzer Peter Wohld trennte sich von dem Karussell<br />

zugunsten der gebraucht erworbenen „Tollen<br />

Jolle”.<br />

■<br />

QUELLE<br />

Günter Müller: Der schöne<br />

alte Oldenburger Kramermarkt,<br />

Seite 165<br />

(Foto: Michael Bonhoff)<br />

60


TOLLE JOLLE<br />

Die „Tolle Jolle” war ein Karussell, das nach einer<br />

Idee der renommierten Schaustellerfirma Distel<br />

kreiert wurde. Eingedenk der glorreichen Zeiten der<br />

Seesturmbahnen, in den 30er-<strong>Jahre</strong>n von der Firma<br />

Heyn für die Schausteller Bergert und Distel gebaut,<br />

wurde die Tolle Jolle als Karussell mit maritimer Kulisse<br />

konzipiert, und auch die Fahrweise erinnerte – mit<br />

erweitertem Effektenspektrum – an die Seesturmbahn:<br />

Die als Segelboote von der Firma Ihle gebauten Gondeln<br />

sollen sich um die eigene Achse zur Vorwärtsund<br />

Rückwärtsfahrt gedreht haben. Die ursprüngliche,<br />

dem Wellengang nachempfundene Reise über Berge<br />

und Täler konnte nicht nur imitiert, sondern durch eine<br />

Fülle von Positionskombinationen erweitert werden.<br />

Die Führungssäule der Anlage war wie beim Vampir<br />

festgestellt. Anders<br />

als bei den sonstigen<br />

Anlagen von Klaus<br />

konnten die Boote jedoch<br />

nicht selbstgesteuert<br />

werden; ihr<br />

Auf und Ab regelte<br />

sich automatisch. In<br />

seiner Aufmachung<br />

war das Karussell<br />

eine einzige Augenweide.<br />

Die liebevolle<br />

Gestaltung im Seefahrt-Charakter<br />

setzte<br />

sich bis ins Detail<br />

fort; selbst die serienmäßigen<br />

Umzäunungen<br />

wurden in<br />

einer Sonderanfertigung<br />

mit Fisch- und Blubberblasen-Motiven aufgepeppt.<br />

Markantes Wahrzeichen des <strong>Karussells</strong> war der<br />

Leuchtturm im Zentrum. Und als besonderer Gag wurden<br />

im Lauf der Zeit innerhalb des umlaufenden Podiums<br />

Wasserspiele installiert, die fontänenartig aufsprudelten<br />

und der Fahrt mit den darauf auf- und abtanzenden<br />

Gondeln zusätzlich prickelnden Reiz verliehen.<br />

Die Tolle Jolle wurde am 2. September 1960 mit<br />

der Baunummer W 99 D ausgeliefert und war ein exklusives<br />

Einzelstück,<br />

das so manche Topplätze<br />

in den beginnenden<br />

<strong>1960er</strong>-<strong>Jahre</strong>n<br />

bereicherte. Stuttgart<br />

war dabei, auch Düren<br />

und Oldenburg, niemals<br />

aber – leider –<br />

München. Das Karussell<br />

ging um 1964 an<br />

die Firma Osselmann<br />

und in späteren <strong>Jahre</strong>n<br />

noch durch so manche<br />

Besitzerhand. ■<br />

60ER-JAHRE<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Rundflieger<br />

von Klaus Teil 2, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 7/97, Seiten<br />

73-75<br />

Distels Tolle Jolle, 1960<br />

FOTOS<br />

Archiv Distel, Archiv Kärger<br />

Das Karussell in<br />

späteren <strong>Jahre</strong>n


60ER-JAHRE<br />

WELTRAUMFLUG<br />

Weltraumflug, Röper, 1960<br />

Weltraumflug von Kleiner<br />

Das zweite diente als Packraum für<br />

die Gondeln, im dritten Wagen<br />

wurden Podium und Kasse verladen.<br />

Der Fahrstand des Weltraumfluges<br />

befand sich hinter dem Geschäft<br />

und fungierte gleichzeitig<br />

als Kasse. Anders als beim Sputnik<br />

waren die Aufzugsmasten beim<br />

Weltraumflug verkleidet, und zwar<br />

als schlanke Raketen. Der Schriftzug<br />

war analog zum Sputnik als<br />

Verbindungsbogen angebracht<br />

und auch hier in Schreibschrift<br />

Originaler Entwurf von<br />

Schwarzkopf<br />

Der Weltraumflug war der direkte Nachfolger<br />

des Sputnik. Er wurde um 1960 ebenfalls von<br />

der Firma Schwarzkopf entwickelt und gebaut.<br />

Analog zum Sputnik wurde auch hier ein<br />

schwerer Fahrbahnkranz mit festmontierten<br />

Gondeln mittels Hydraulik angehoben und in<br />

die Schräglage gebracht, wobei sich nun – anders<br />

als in der Entwurfsskizze vorgesehen – die<br />

Fahrzeuge gegen den Uhrzeigersinn drehten.<br />

Die Dimensionen waren allerdings kleiner als<br />

beim Original-Sputnik: Der Weltraumflug (Ø 14<br />

m) bot in zwölf Flugzeugen insgesamt 24 Personen<br />

Platz, auch die Fahrthöhe wurde nicht<br />

ganz erreicht. Der Antrieb des Weltraumfluges<br />

erfolgte über zwei Elektromotoren. Für den<br />

Transport waren insgesamt drei Fahrzeuge nötig,<br />

wobei eines ins Karussell eingebaut wurde.<br />

62


60ER-JAHRE<br />

Lunik, Zustand 70er-<br />

<strong>Jahre</strong>, Ponypark Slagharen<br />

Orion, Holland, 1968<br />

FOTOS<br />

Archiv Röper, Archiv Kleiner,<br />

Heiko Schimanzik,<br />

Collectie Stichting Kermiscultuur<br />

ausgeführt. Darunter befand sich jedoch keine erleuchtete<br />

Attrappe der Erdkugel, sondern ein Modell<br />

des Atomiums, des futuristischen Wahrzeichens der<br />

Brüsseler Weltausstellung von 1958. Anstelle der kugelförmigen<br />

Passagiergondeln kamen nun „richtige”<br />

Flugzeuge zum Einsatz: Chaisenformen, die irgendwo<br />

zwischen Flugzeug und Rakete anzusiedeln waren<br />

und von Firma Wilhelm Peter aus Althegnenberg gefertigt<br />

wurden.<br />

Nach den vorliegenden Angaben wurden insgesamt<br />

vier Exemplare des Weltraumflugs gebaut, wovon drei<br />

in Deutschland reisten und einer in Schweden. Schausteller<br />

Helmut Röper reiste ab 1960 mit dem Karussell,<br />

gab es aber 1963 zugunsten eines Twisters auf. Dieser<br />

Weltraumflug wurde bereits zu diesem Zeitpunkt<br />

weitgehend verschrottet. Lediglich das Atomium, die<br />

Geländer und der Fahrkranz überdauerten das Zeitliche:<br />

Der Fahrbahnkranz wurde in die Hofeinfahrt des<br />

Anwesens der Familie eingebaut, das Atomium im<br />

Garten aufgestellt.<br />

Bei dem ehemals in Schweden tourenden Karussell<br />

handelt es sich um den „Lunik” genannten Weltraumflug,<br />

der 1974 seinen Weg in den niederländischen<br />

Ponypark Slagharen fand und dort noch jahrelang seine<br />

Runden drehte.<br />

Ein weiterer Weltraumflug war im Besitz der Kölner Firma<br />

Kleiner gewesen und hatte 1962 eine einmalige Zulassung<br />

zum Münchner Oktoberfest bekommen. Ein<br />

viertes Exemplar, charakterisiert durch auf den Flugzeugen<br />

aufgemalte Ziffern- und Buchstabenkombinationen<br />

(zum Beispiel „D6”), war noch 1967 im<br />

bayerischen Raum auf der Reise. Ein Jahr darauf war<br />

es als „Orion” in Holland unterwegs, um nach kurzer<br />

Zeit wieder von der Bildfläche zu verschwinden. ■<br />

QUELLE<br />

Rainer Scholz / Karl Ruisinger:<br />

Weltraumflug –<br />

Space Feeling im Wirtschaftswunder,<br />

<strong>Kirmes</strong><br />

Revue 7/96, Seiten 20-22<br />

63


60ER-JAHRE<br />

LUFTWIPPER<br />

Luftwipper von Mack unter<br />

Löffelhardt & Kleiner, 1960<br />

FOTOS<br />

Archiv Löffelhardt-Kleiner,<br />

Archiv Zehle<br />

Die Experimentierfreude der Karussellhersteller<br />

zum Anfang der <strong>1960er</strong>-<strong>Jahre</strong> bescherte der <strong>Kirmes</strong>welt<br />

eine interessante Variante der klassischen<br />

Berg- und Talbahn, deren Grundidee es vielleicht verdient<br />

hätte, mit den heutigen, erweiterten technischen<br />

Möglichkeiten wieder aufgegriffen zu werden.<br />

So produzierte die Firma Mack im Winter 1959/60 für<br />

die damals in Bremen ansässige Schaustellerfirma<br />

Löffelhardt & Kleiner als Sonderanfertigung eine offene<br />

Berg- und Talbahn mit besonderem Clou: Die 20<br />

zwischen den Auslegern beweglich gelagerten, zweisitzigen<br />

Polyesterchaisen, in bewährter Weise vom<br />

Bruchsaler <strong>Spezial</strong>fahrzeugbauer Ihle beigesteuert,<br />

konnten mittels Luftzylinder während der Fahrt aufund<br />

niederwippen. Doch trotz dieses originellen Zusatzeffekts<br />

und des stark an das damals gerade populäre<br />

Calypso-Design angelehnten Outfits mit plastisch<br />

ausgeformter Arkadenrückwand und Lichterfontäne<br />

im Zentrum blieb der „Luft-Wipper” hierzulande<br />

überraschenderweise ein Exot.<br />

Bis 1962 war er auf vielen namhaften Volksfesten der<br />

Bundesrepublik und in West-Berlin vertreten, nach<br />

dem Verkauf an die Münchner Schaustellerfamilie Zehle<br />

kam er 1963 sogar noch zu Oktoberfest-Ehren. Doch<br />

für die neuen Eigentümer wurde dieses Geschäft von<br />

vornherein nur als Übergangslösung gesehen, da man<br />

zu dem Zeitpunkt bereits bei Zierer eine Neuauflage<br />

der Tarantella bestellt hatte und sich lediglich die Konstruktionszeit<br />

verzögert hatte. Ein Jahr später wurde<br />

der „Luft-Wipper” dann an den Montjuich-Vergnügungspark<br />

in Barcelona verkauft, wo sich leider seine<br />

Spur verliert.<br />

■<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Luftwipper<br />

und L’Everest, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 10/01, Seiten 32-34<br />

Luftwipper unter Zehle<br />

64


FALLSCHIRMFLUG<br />

60ER-JAHRE<br />

FOTOS<br />

Archiv Feldl, Sicherheit<br />

Fliegender Bauten 1970<br />

Fallschirmflug von<br />

Feldl, um 1960<br />

Sie gehören zu den erfolgreichsten <strong>Karussells</strong> in der<br />

zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: die Sessellift-<br />

Anlagen, bei denen man in ausschwingenden, 2-sitzigen<br />

Gondeln mit Beinfreiheit Schrägfahrten zwischen<br />

Himmel und Erde genießen kann. Am Anfang der Entwicklung<br />

standen Anlagen, bei denen der Auslegerverbund<br />

mit den Gondeln nicht hydraulisch über einen<br />

Hubarm angehoben beziehungsweise abgesenkt<br />

werden konnte, sondern auch im Stillstand in der<br />

Schieflage verharrte. Bei diesen <strong>Karussells</strong>, bei denen<br />

das Drehwerk schräg im 45°-Winkel an einem senkrechten,<br />

starren Mast befestigt war, konnte der Fahrgastwechsel<br />

naturgemäß nur schleppend vor sich gehen:<br />

Es konnten immer nur drei Gondeln gleichzeitig<br />

über einem muldenförmigen Podiumsaufbau be- und<br />

entladen werden. Dennoch entwickelten sich diese<br />

„Paratrouper” in ihrer Heimat USA zum großen Erfolg,<br />

der ansatzweise auch nach Europa schwappte: Zu<br />

Beginn der 60er-<strong>Jahre</strong> griff die holländische Firma<br />

Bakker die Idee auf. Innerhalb Deutschlands startete<br />

die Familie Feldl mit einem derartigen Geschäft, das<br />

die Bezeichnung „Fallschirmflug” trug. Als Feldl die<br />

Anlage 1963 erstmals auf dem Münchner Oktoberfest<br />

aufbaute, war sie von ihrer Technik her aber bereits<br />

überholt und von vergleichbarer, aber attraktiverer<br />

Konkurrenz überflügelt worden. Dennoch konnte sich<br />

dieses Karussell über viele Wechsel hinweg in<br />

Deutschland bis heute halten: 1968 bis 1972 war der<br />

Fallschirmflug unter neuen Besitzern (Beirer, Rosenzweig)<br />

auf dem Oktoberfest. Später war er vor allem in<br />

Niederbayern und in der Oberpfalz zu sehen (Ott, Neigert,<br />

Höffner, Böhm, Brumbach). Seit 1989 steht er als<br />

Blumengondelbahn im Churpfalzpark in Loifling. ■<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Fallschirmflug<br />

zwischen Twister und<br />

Riesenrad, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

1+2/98, Seiten 40-41<br />

Skizze zum Fallschirmflug,<br />

Karl Meier, TÜV München<br />

65


60ER-JAHRE<br />

FLIEGENDER TEPPICH<br />

Das Orient-Konzept<br />

entwickelte die Familie Kraus<br />

aus Roth<br />

Münchner Wiesnflug<br />

Die Münchner Schaustellerfirma Heinrich und Zehle<br />

hatte Anfang der 60er-<strong>Jahre</strong> die Idee zu dieser<br />

Karussellneuheit. Mit Blick auf einen lukrativen Standplatz<br />

auf dem Oktoberfest war schnell ein passendes<br />

Thema gefunden: „Münchner Wiesnflug“. Auf einem<br />

exzentrisch gelagerten und hydraulisch aufgerichteten<br />

Drehteil sollten 16 zweisitzige Gondeln<br />

in Form von aufgeschnittenen Bierfässern<br />

durch die Luft wirbeln. Zur Herstellung<br />

wandte man sich an die kleine<br />

Fahrzeugbaufirma von Rudolf Höpler in<br />

Metten, die unter anderem auch schon<br />

als Zulieferer für die Karussellfabrik Josef<br />

Zierer im benachbarten Neuhausen tätig<br />

gewesen war. Die charakteristischen,<br />

sich überlagernden Drehbewegungen<br />

des Hubarms und des Gondelträgers<br />

wurden bereits mit Öldruckmotoren erzeugt.<br />

Bei einer steilen Schräglage von 75° sollte das<br />

Karussell ursprünglich rasante 18 Umdrehungen pro<br />

Minute bieten. „Zuviel“ befand der beim TÜV Bayern<br />

für die Sicherheit fliegender Bauten verantwortliche Diplom-Ingenieur<br />

Karl Meier und verweigerte seinen Segen<br />

bei der technischen Abnahme. Der Ausflugwinkel<br />

musste auf 60° und das Tempo auf 12 Umdrehungen<br />

pro Minute begrenzt werden. Der erhoffte Erfolg blieb<br />

aus, das Geschäft ging zurück zum Hersteller und erlebte<br />

so – Ironie des Schicksals – niemals einen Auftritt<br />

auf der namensgebenden Münchner Wiesn.<br />

Angeboten als preisgünstige Gebrauchtanlage erregte<br />

das Gerät jedoch die Aufmerksamkeit der Schaustellerfamilie<br />

Kraus aus Roth bei Nürnberg, die das<br />

Konzept des „Fliegenden Teppichs“ entwickelte. Dem<br />

Thema entsprechend wurde das Fahrgeschäft bei<br />

Höpler bis ins Detail umgestaltet. Die Bierfässer wurden<br />

durch Schlickerbahn-ähnliche, ebenfalls schau-<br />

Original-Entwurf von<br />

Paul Rauschenberger<br />

66


60ER-JAHRE<br />

FOTOS<br />

Archiv Voß, Archiv Hausladen,<br />

Archiv Heinrich/Zehle;<br />

Fritz Wolkenstörfer<br />

kelnd aufgehängte Teppichgondeln ersetzt, die bei einer<br />

für den Hersteller tätigen Polyesterfabrikation gefertigt<br />

wurden, ebenso wie die originelle Kasse mit geschwungenem<br />

Dach und der Teppich reitende Fakir<br />

mit der Wasserpfeife. Eingerahmt wurde das Karussell<br />

von einer aufwändig gestalteten Fassade. Entstanden<br />

war nun eine Art Gesamtkunstwerk, ein Traum aus<br />

1001 Nacht, bei dem die ungewöhnlichen Bewegungsabläufe,<br />

die zauberhafte Beleuchtung und die<br />

verspielten Formen eine harmonische Einheit bildeten.<br />

Dass dem Geschäft trotzdem der große kommerzielle<br />

Erfolg versagt blieb, mag unterschiedliche Gründe gehabt<br />

haben. Bedingt durch den hohen Mittelbauwagen<br />

etwa, der immer komplett mit Achsen und Rädern<br />

stehenblieb, waren 12- bis 15-stufige Freitreppen für<br />

den Ein- und Ausstieg notwendig, ein deutliches Hindernis,<br />

wenn potentielle Fahrgäste zum spontanen Zusteigen<br />

animiert werden sollten. Während in der Urversion<br />

die links und rechts neben der Drehscheibe<br />

befindlichen Treppen vor Fahrtbeginn noch seitlich<br />

weggeschwenkt werden mussten, um für die Exzenterbewegung<br />

Platz zu schaffen, erlaubte die versetzte<br />

Anordnung beim Fliegenden Teppich zumindest, dass<br />

nur die Geländer der Ausgangsplattform hydraulisch<br />

umgelegt werden mussten, damit die Drehscheibe<br />

darüber hinwegschweben konnte.<br />

Laut Aussage eines der späteren Besitzer war es dennoch<br />

wiederholt vorgekommen, dass die rotierende<br />

Drehscheibe sich mit dem Geländer verfangen und<br />

die Treppen weggerissen hatte. Auch das doppelte<br />

hydraulische Antriebssystem war damals wohl noch<br />

nicht ausgereift, jedenfalls gab es immer wieder technische<br />

Probleme mit längerem Stillstand.<br />

Mitte der 60er-<strong>Jahre</strong> verkaufte Familie Kraus das Geschäft<br />

an die Firma Reimschüssel in Bad Gandersheim.<br />

Vom Harz aus verschlug es den Fliegenden Teppich<br />

in den Kölner Raum, dort reiste zunächst 1969<br />

Bernhard von der Gathen mit dem Karussell, von 1970<br />

bis 1971 dann sein Bruder Gerfried. Der Inhaber einer<br />

Aachener Maschinenfabrik, Anton Pöttgens, verpasste<br />

dem Fliegenden Teppich einen neuen indirekten<br />

Reibradantrieb, bei dem Standard-VW-Käfer-Felgen<br />

mit Luftbereifung von zwei kräftigen Elektromotoren in<br />

Schwung gebracht wurden. Ein solches System hatte<br />

sich inzwischen bei den Hully-Gullys bewährt. Dieser<br />

in den Baupapieren vermerkte Umbau von 1970 wurde<br />

später fälschlicherweise als „Baujahr“ des <strong>Karussells</strong><br />

interpretiert. Nach einer kurzen Rückkehr in<br />

bayerische Gefilde unter der Regie<br />

von Johann Hausladen aus Cham<br />

übernahm Ende 1972 der Lüneburger<br />

Schausteller Wilfried Voß den Fliegenden<br />

Teppich und machte sich damit<br />

selbständig. Er erneuerte die gesamte<br />

Steuerung des <strong>Karussells</strong>,<br />

baute einen festen Fahrstand und installierte<br />

Lauflicht und kleine Lichtkästen,<br />

mit denen jedes Fensterchen in<br />

der Rückwand von hinten beleuchtet<br />

werden konnte, wodurch die märchenhafte<br />

Atmosphäre bei Einbruch<br />

der Dunkelheit noch zusätzlich unterstrichen<br />

wurde. Bis Ende 1975 bereiste<br />

Herr Voß die Festplätze in Niedersachsen<br />

und Hessen, 1976 wurde<br />

das Geschäft nach Amsterdam verkauft.<br />

Als „Skywheel” ist es bis heute<br />

in den Benelux-Ländern aktiv. ■<br />

Das Karussell 1964 in Fürth<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Fliegender<br />

Teppich – vom Wiesnflug<br />

zum Skydance, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 9/96, Seiten<br />

24-27<br />

67


60ER-JAHRE<br />

TWIST<br />

Das Karussell unter<br />

Erstbesitzer Kalb, 1962<br />

Der Name sagt es bereits: Dieses Karussell<br />

gehört in jene Epoche, in der<br />

auf aktuelle Modetänze getrimmte Rundfahrgeschäfte<br />

besonders gefragt waren:<br />

Calypso, Mambo, Bossa Nova – man<br />

kann eine längere Liste zusammenstellen.<br />

Klar, dass auch der Twist – der Kult-<br />

Verrenker der frühen Sixties – nach einer<br />

Manifestation in Karussellform geradezu<br />

schrie. Die Memminger Firma Klaus, die<br />

wenige <strong>Jahre</strong> zuvor den Hüftschwung-<br />

Boom mit dem Hula-Hoop-Reifen erfolgreich<br />

in eine Handvoll gleichnamiger Karussellanlagen<br />

verarbeitet hatte, reagierte<br />

schnell und brachte ein Geschäft auf<br />

den Markt, das nicht nur diesen Namen trug, sondern<br />

die auf- und abkreisende Bewegung des Twist-Tanzens<br />

nachzuempfinden suchte.<br />

Aus einer Fotomappe aus dem Archiv der Firma Klaus<br />

geht hervor, dass mit dem Bau dieses <strong>Karussells</strong> bereits<br />

in den 50er-<strong>Jahre</strong>n – unter dem Testnamen „Rock<br />

and Roll” – begonnen worden war, dieses Projekt jedoch<br />

in der angedachten Art und Weise wegen seiner<br />

zu hohen Komplexität nicht zu Ende geführt wurde.<br />

Beim späteren Twist wurden sechs Ausleger über<br />

sechs Seile, die jeweils über Rollen am Turmende liefen,<br />

synchron nach oben gezogen. An den Auslegern<br />

war beweglich schwingend ein zwölfteiliger Karussellring<br />

aufgehängt; an den Verbindungen dieser zwölf<br />

Segmente waren doppelsitzige Gondeln drehbar ge-<br />

Die vom Calypso<br />

bekannten Gondeln<br />

68


60ER-JAHRE<br />

FOTOS<br />

Archiv Kärger, Michael<br />

Bonhoff<br />

lagert. Der Aufbau konnte schräggestellt werden.<br />

Während der Fahrt wurde der kreiselnde Ring nach<br />

oben gezogen, die Fahrzeuge im Calypso-Design vollführten<br />

Zufallsrotationen um die eigene Achse.<br />

Twist wurde am 4. Juni 1962 an den Nürnberger<br />

Schausteller Kalb ausgeliefert. Das Karussell mit der<br />

Betriebsnummer T 108 war kein kommerzieller Erfolg<br />

und blieb ein Einzelstück. Immerhin gelang Kalb damit<br />

1965 die Zulassung zum Münchner Oktoberfest,<br />

und der Twist war über diverse Besitzerwechsel hinweg<br />

relativ lange auf der Reise. Er ging in die Hände<br />

des Schaustellers Rasch aus Hamburg, wo er unter<br />

der Bezeichnung „Mond-Taxi” mit abgewandeltem<br />

Fahreffekt und vereinfachter Technik noch einige Zeit<br />

im Einsatz war.<br />

■<br />

Das Thema „Twist” war auch<br />

auf der Rückwand verewigt<br />

In späteren <strong>Jahre</strong>n lief das<br />

Karussell als „Mond-Taxi”<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Twist –<br />

Tanzkarussell von Klaus,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 5/97, Seiten<br />

30-31<br />

69


60ER-JAHRE<br />

TWISTER<br />

Airborne-Twister, De Boer<br />

Der Twister von Berghaus<br />

Das Jahr 1962 gilt innerhalb<br />

Europas als die Geburtsstunde<br />

des „Twisters” – diese<br />

Bezeichnung wurde später speziell<br />

in Deutschland ein Begriff –,<br />

der als „hydraulischer Paratrouper”<br />

zuvor in den USA von Frank<br />

Hrubetz entwickelt worden war<br />

und mit seinem absenkbaren<br />

Drehwerk sowohl einen verbesserten<br />

Fahreffekt als auch einen<br />

beschleunigten Fahrgastwechsel<br />

gegenüber dem Vorgänger<br />

„Fallschirmflug” auf seiner Haben-Seite<br />

verbuchen konnte. Als<br />

europäischer Prototyp der hydraulischen<br />

Sessellift-<strong>Karussells</strong><br />

wird gemeinhin der „Airborne”<br />

der Firma N.L.B. im holländischen Nimwegen („Nijmegs<br />

Lasbetrijf”, später „Carouselbouw B.V.” von A.<br />

De Boer) genannt, die zu diesem Zeitpunkt bereits<br />

durch den Round Up Erfahrung im Bau von Hydraulikkarussells<br />

gesammelt hatte. Daneben gibt aber<br />

auch die deutsche Firma Schwarzkopf das Jahr 1962<br />

als die Geburtsstunde eines derartigen Geschäfts aus<br />

eigener Produktion an, das als „Skilift”-Twister angeboten<br />

wurde.<br />

Auf den Beschickerlisten der Spitzenvolksfeste waren<br />

in den Anfangsjahren des Twisters Anlagen beider<br />

Hersteller verzeichnet: Eines der ersten <strong>Karussells</strong> im<br />

Premierenjahr war der Airborne von Renoldi gewesen,<br />

auch die Firma H. G. Löffelhardt & Sohn reiste damals<br />

bereits mit einem Twister, Reisestationen waren unter<br />

anderem Crange, Düren oder Oldenburg, in München<br />

gastierte hingegen ein „Paratrouper” von Loeb aus<br />

Bremen. 1963 findet man in den erhalten gebliebenen<br />

Beschickerlisten den „Tel Star” von Rick, den „Kreisellift”<br />

von Wendler oder den „Münchner Sessellift” von<br />

Albert Aigner, der das Karussell gegen sein holländisches<br />

Round Up quasi „eingetauscht” hatte und auf<br />

der Wiesn von 1963 bis 1967 nonstopp damit vertreten<br />

war. Ein Schwarzkopf-Skilift war hingegen die<br />

„Windrose” von Schippers & v.d. Ville, die schon früh<br />

zum Repertoire von Plätzen wie Bremen oder Oldenburg<br />

zählte. In die Riege der hydraulischen Sessellifts<br />

reihten sich bis zur Mitte der 60er-<strong>Jahre</strong> darüber hinaus<br />

Anlagen wie der „Air-Twist” von Beuermann, der<br />

„Airlift” von Kind oder die Twister von Robrahn und<br />

Berghaus ein; letzerer, eine De Boer-Anlage, feierte<br />

1965 in Paderborn Premiere, ist noch immer unter dem<br />

Erstbesitzer im Einsatz und Stammgast auf wichtigen<br />

Skizze zum Airborne-Twister, Karl Meier, TÜV<br />

München<br />

70


60ER-JAHRE<br />

Twister im Staatszirkus<br />

der DDR, 1969<br />

Albert Aigners Münchner<br />

Sessellift, 1963<br />

nordrhein-westfälischen Plätzen wie Werne oder Menden.<br />

Auch die 1966 von der saarländischen Familie<br />

Dietz bei De Boer gekaufte Anlage ist heute noch unter<br />

dem Erstbesitzer auf der Reise.<br />

Eine Anzeige von N.L.B. aus Nijmegen aus den 60er-<br />

<strong>Jahre</strong>n gibt Aufschluss über die technischen Daten<br />

des „Airborne-Twisters”: Front 18,5 Meter, Tiefe 17,5<br />

Meter, Kapazität 24 Personen, Anschluss insgesamt<br />

65 kW. Optisch waren die „Holland”-Twister vor allem<br />

an zwei charakteristischen Deko-Elementen zu erkennen:<br />

zum einen an der inneren Umzäunung des Mittelbaus,<br />

deren einzelne Segmente jeweils drei nebenbeziehungsweise<br />

übereinandergesetzte Halbbögen<br />

zierte. Im Karussellzentrum thronte eine kleine, aber<br />

steile Kuppel aus gebogten Lichtleisten, auf die zwölf<br />

Ausleger waren jeweils Lichtbögen montiert, die dem<br />

gesamten Drehverbund optische Plastizität verliehen.<br />

Diese Dekorationen wurden von De Boer über die <strong>Jahre</strong><br />

hinweg beibehalten und finden sich heute noch auf<br />

den meisten der vorhandenen<br />

Twister dieser Herkunft.<br />

Unterschiede gab<br />

es bei den Gondeln und<br />

Gondelschirmen: Neben<br />

den offen gestalteten Sitzelementen<br />

und den mit einem<br />

Drahtgeflecht überspannten<br />

Schirmkörben<br />

existieren auch Exemplare<br />

mit geschlossenen<br />

Schirmen und plastisch<br />

geformten, ebenfalls geschlossenen<br />

Gondeln.<br />

Holländische Twister stehen<br />

in der deutschen <strong>Kirmes</strong>landschaft<br />

auch heute<br />

noch reichlich zur Verfügung.<br />

Eine ganze Reihe<br />

von Twistern aus Nijmegen dreht<br />

sich in den neuen Bundesländern;<br />

zwei davon gelangten bereits 1969<br />

und 1970 in den Staatszirkus der<br />

DDR, weitere Exemplare kamen<br />

nach der Wende dorthin. Beim Twister<br />

der württembergischen Firma<br />

Maier ist sogar noch die Originalbezeichnung<br />

„Airborne” zu lesen.<br />

Den alten „Münchner Sessellift”<br />

entdeckten wir noch um 1990 mit<br />

Originalschriftzug unter der Regie<br />

des Schaustellers Jansen. In München<br />

gab es unter der Bezeichnung<br />

„Olympialift” später einen<br />

weiteren De Boer-Twister, der unter<br />

De Boer-Anlage<br />

„Air Swing” von Günter Perz<br />

71


60ER-JAHRE<br />

FOTOS<br />

Archiv Horn, Zirkusarchiv<br />

Winkler, Archiv Scholz, Archiv<br />

Schwarzkopf, Archiv<br />

Perz, Michael Bonhoff, Daniel<br />

Kägi, Rudolf Hein<br />

Die Windrose<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Sessellift-<br />

<strong>Karussells</strong>, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

7/2001, Seiten 40-43, Dietmar<br />

Winkler: Staatszirkus<br />

der DDR, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

1+2/2001, Seiten 34-37<br />

Schausteller Kreis<br />

auch zu Wiesn-Ehren<br />

gekommen ist und den<br />

später der in Coburg<br />

beheimatete Harald<br />

Mölter übernahm.<br />

Im Gegensatz zur enormen<br />

Stückzahl der holländischen<br />

Twister beantwortet<br />

Schwarzkopf<br />

die Frage nach den<br />

tatsächlich realisierten<br />

„Skilift”-Anlagen mit<br />

„circa fünf”. Den Skilift<br />

gab es im Lauf der Zeit<br />

in unterschiedlichen<br />

Ausführungen, die<br />

analog zu Enterprise<br />

oder Monster mit Ziffern<br />

benannt wurden.<br />

Im Gegensatz zu den<br />

Anlagen aus Nimwegen<br />

waren die<br />

Schwarzkopf - Twister<br />

alle mit einem leicht ansteigenden<br />

Podium<br />

und ausschließlich mit einer Rückwandszenerie ausgestattet.<br />

Der Typ I hatte kleine flache Blechschirme,<br />

die beim Skilift II den klassischen Drahtkörben wichen.<br />

Die Daten des Skilift II gibt ein erhalten gebliebener<br />

Schwarzkopf-Katalog folgendermaßen wieder: Grundfläche<br />

20 m, 12 Sitzkörbe für je zwei Personen, Anschlusswert<br />

circa 90 kW, Kapazität circa 900 Personen<br />

pro Stunde. Der Schweizer Ernst Rodel betreibt<br />

heute noch einen Skilift, den sich sein Vater in den<br />

60er-<strong>Jahre</strong>n zugelegt hatte. In einem Freizeitpark in<br />

Kroation dreht sich ebenfalls noch ein Skilift aus der<br />

Schwarzkopf-Produktion. Die „Windrose” von Schip-<br />

Skilift, Ernst Rodel und Firmenprospekt<br />

pers gelangte später in den Besitz der Firma Hardt.<br />

Unter dem Namen „Hollywood Swing” war bis 1976<br />

Theo Lehmann aus Mannheim mit einem Karussell dieses<br />

Typs unterwegs gewesen. Lehmann kaufte dann<br />

1978 den Skilift III, einen Riesentwister mit 20 Sitzkörben<br />

für je 2 Erwachsene und 1 Kind, der einen gewaltigen<br />

Gesamtdurchmesser von 25,5 Meter aufweisen<br />

konnte.<br />

Holland und Deutschland waren jedoch nicht die einzigen<br />

europäischen Länder, in denen bereits in den<br />

frühen bis mittleren <strong>1960er</strong>-<strong>Jahre</strong>n hydraulische Twister-Anlagen<br />

gebaut wurden. Auch die Italiener waren<br />

früh schon mit von der Partie. Der „Airlift” etwa war ein<br />

Fabrikat der Firma Spaggiari & Barbieri, das ebenfalls<br />

bereits um die Mitte der 60er-<strong>Jahre</strong> die hiesige<br />

Sessellift-Landschaft aufmischte und das noch heute<br />

unter der Firma Hof in Nordrhein-Westfalen zu finden<br />

ist. Trotz der Vielzahl an Holland-Twistern und mehrerer<br />

weiterer <strong>Karussells</strong> anderer Hersteller waren die<br />

60er-<strong>Jahre</strong> hierzulande nur der Beginn einer riesigen<br />

Twister-Woge, die in den 70ern über Deutschland<br />

schwappte, dann aber in zunehmenden Maße mit neu<br />

gebauten Anlagen der Firmen Reverchon und vor<br />

allem Fähtz.<br />

■<br />

72


CARAVELLE<br />

60ER-JAHRE<br />

Die Urversion von<br />

1962, Produkt und Entwurf<br />

FOTOS<br />

Archiv Judenhofer<br />

Die Caravelle stammt aus dem Hause Schwarzkopf.<br />

Ausgeliefert wurde das Karussell als Einzelstück<br />

1962 für den Münchner Schausteller Karl Judenhofer.<br />

Das Urkonzept sah einen Drehkörper mit zwölfteiligem<br />

Auslegerverbund vor, der über eine Scherenhubkonstruktion<br />

mittels einer Hydraulikpresse auf einen Neigungswinkel<br />

von 40° hochgestellt werden sollte. Zwischen<br />

den Auslegern sollten stark ausschwingende,<br />

raumschiffähnliche Passagiergondeln für je zwei Personen<br />

aufgehängt werden, in denen die Fahrgäste<br />

eine rasante Schwungreise in schiefer Kreisbahn vollziehen<br />

konnten. Die Gesamtanlage sollte mit einem<br />

leicht schräggeneigten Podium und einer opulenten<br />

Rückwand ausgestattet werden. In der Realisierung<br />

mussten beim Neigungswinkel Abstriche gemacht<br />

werden. Die schweren Blechgondeln schwangen so<br />

stark aus, dass die Passagiere bei zu starker Schrägstellung<br />

des <strong>Karussells</strong> aus den Sitzen geschleudert<br />

worden wären. Doch auch die tatsächlich erreichten<br />

28° bis 30° hatten es noch in sich. Die Gondeln waren<br />

jede an vier beweglich gelagerten Stangen aufgehängt;<br />

sie pendelten bei der Fahrt nicht nur seitlich<br />

aus, sondern auch vor und zurück.<br />

Das fertige Karussell hatte einen Durchmesser von 18<br />

Metern, erreichte eine Flughöhe von gut 8 Metern, bot<br />

24 Personen Platz, der Anschlusswert lag bei 44 kW.<br />

Premiere hatte die Caravelle auf der Maidult in Passau..Es<br />

dauerte nicht lange, und das Karussell entwickelte<br />

sich zum Problemfall: Den Leuten wurde reihenweise<br />

speiübel. Der Entschluss, das Karussell wieder<br />

abzutreten, folgte sehr bald. Die Bilanz indes war<br />

so schlecht, dass kein Käufer für das fast neue Geschäft<br />

zu finden war. So kam es zu einem Kompromiss:<br />

Das Karussell wurde von Schwarzkopf zum Sessellift<br />

umgebaut. Auf dem Straubinger Gäubodenfest 1963<br />

spielte Caravelle zum letzten Mal in der Urversion. Vier<br />

Wochen später, auf der Münchner Wiesn, präsentierte<br />

sie sich bereits im neuen Kleid: Das Podium war auf<br />

21 Meter Durchmesser vergrößert,<br />

die Ausleger waren<br />

verlängert worden. Anstelle<br />

der „schwimmenden” Jets<br />

wurden die eben neuentwickelten<br />

Twister-Gondeln<br />

in etwas größerer Version<br />

montiert. Das Vor- und Zurückschwingen<br />

der Gondeln<br />

war nach dem Umbau<br />

noch in gemäßigter Form<br />

vorhanden, der seitliche<br />

Ausschwung jedoch – auf<br />

Stoßdämpfer verzichtete man bei dieser Sonderform<br />

des Twisters – nach wie vor gewaltig. Die Twister-Caravelle<br />

erreichte eine Flughöhe von etwa zehn Metern,<br />

die Neigung des Drehverbundes betrug jetzt 38°. In<br />

dieser Zwitterform fand das Karussell sein fahrwilliges<br />

Publikum, und es tourte bis einschließlich 1979 ausschließlich<br />

durch Bayern. 1982 erwarb der holländische<br />

Schausteller A. Speelman das Karussell; er taufte<br />

es „Disco Swing” und veräußerte es 1990 nach<br />

Marokko.<br />

■<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Caravelle –<br />

Twister mit Vergangenheit,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 1+2 1997,<br />

Seiten 44-45<br />

Caravelle 1963 nach<br />

dem Umbau


60ER-JAHRE<br />

ALLROUND<br />

Kochs Radar, 1963<br />

Renoldi 1967 auf dem<br />

Münchner Oktoberfest<br />

Skizze zum Allround, Karl<br />

Meier, TÜV München<br />

Parallel zum Twister, der im Lauf der Jahrzehnte zum<br />

auflagenstarken Klassiker avancierte, kam 1963 –<br />

also nur mit geringer Zeitverzögerung – der „Allround”<br />

auf den Markt, die ausgeklügelte Antwort der Memminger<br />

Firma Klaus auf die Kreationen aus Holland<br />

und Münsterhausen. Der Allround war bereits eine<br />

Weiterentwicklung: Sein 16-teiliges Drehwerk wurde<br />

durch eine Scherenkonstruktion in Verbindung mit<br />

zwei Hydraulikpressen angehoben und schräggestellt.<br />

Die Scherenkonstruktion konnte über einen<br />

Drehwerksantrieb zusätzlich rotieren, so dass beim<br />

Allround eine doppelte Drehung einen gesteigerten<br />

Fahreffekt lieferte. Allround war ein Karussell mit 23<br />

Metern Durchmesser Grundfläche, das bis zu 48 Passagiere<br />

aufnehmen konnte und eine Höhe von 16 Metern<br />

erreichte.<br />

Trotz seiner Attraktivität blieben Stückzahl und Verbreitung<br />

des Allround überschaubar. Klaus baute insgesamt<br />

sieben Anlagen, die ausschließlich an deutsche<br />

Schausteller verkauft wurden. Sechs davon wurden<br />

non stopp im ersten Halbjahr 1963 mit den Typenbezeichnungen<br />

A111D, A112D, A113D, A114 D,<br />

A115 D und A116 D ausgeliefert. Das erste Exemplar<br />

erhielt Georg Koch aus München, der, inspiriert von<br />

der um die eigene Achse rotierenden Form des <strong>Karussells</strong>,<br />

die Bezeichnung „Radar” wählte. Nummer 2<br />

ging an Löffelhardt aus Hamburg, Nummer 3 an Renoldi<br />

aus Bremen, Nummer 4 an Beuermann in Berlin,<br />

Nummer 5 an Fock in Neumünster und Nummer 6 an<br />

Heinz Fähtz in Edelsberg. Als Nachzügler verließ am<br />

5. April 1968 mit der Nummer A127D das 7. Allround-<br />

Exemplar für den künftigen Besitzer Johannes Krug<br />

aus München die Memminger Werkshallen.<br />

Mit Ausnahme der Löffelhardt-Anlage, die nach 1965<br />

ins Ausland verkauft wurde, hielten sich die anderen<br />

sechs Klaus-Allrounds bis in die Gegenwart in<br />

Deutschland. Kochs „Radar” wurde aus familiären<br />

Gründen sehr bald weiterverkauft und war nur im Pre-<br />

74


mierenjahr auf Spitzenplätzen wie München oder Bremen<br />

mit von der Partie. Das Geschäft ging zunächst<br />

an Schausteller Mocken über– der es auf Top-Veranstaltungen<br />

wie die Cranger <strong>Kirmes</strong> zurückbrachte – ,<br />

gelangte später für viele <strong>Jahre</strong> in den Besitz der Firma<br />

van Elkan, wurde dort im Miami-Design umdekoriert<br />

und 1997 an die Firma Jehn / Heim GbR in die neuen<br />

Bundesländer verkauft. Die Firma Renoldi behielt ihren<br />

„Allround” bis zum Ende der 60er-<strong>Jahre</strong>. Dieses Karussell<br />

hatte 1967 ein einziges – unverhofftes – Gastspiel<br />

auf dem Münchner Oktoberfest und unterbrach<br />

deswegen seine kontinuierliche Präsenz auf dem<br />

gleichzeitig stattfindenden Kramermarkt in Oldenburg.<br />

In jenem Jahr wurde es dort<br />

durch Beuermanns Allround vertreten,<br />

der im Jahr zuvor den Platz in<br />

München hatte, dort aber 1967 seinen<br />

neuen Polyp aufbaute. Renoldis<br />

Geschäft gelangte über die Firma<br />

Franke in den Besitz der Familie Klinge<br />

aus Koblenz, die in den 70ern die<br />

Gondeln mit Drehmotoren aufrüstete<br />

und das Karussell später an die Firma<br />

Kromin veräußerte. Beuermanns<br />

Allround übernahm um 1968/69 die<br />

Firma Krabbe aus Gronau. Auch diese<br />

Anlage erhielt im Lauf der Zeit<br />

Drehgondeln und wurde 1997 an die<br />

Firma Heckel in die neuen Bundesländer<br />

verkauft. Auch Focks Allround<br />

wechselte noch in den 60er-<strong>Jahre</strong>n<br />

den Besitzer und wanderte vom hohen<br />

Norden in den tiefen Süden: Leo<br />

Winter übernahm um 1968 dieses<br />

Karussell, das noch heute in Famili-<br />

60ER-JAHRE<br />

Radar, Ende der 60er-<strong>Jahre</strong><br />

FOTOS<br />

Archiv Gunz, Archiv Renoldi,<br />

Michael Bonhoff, Sicherheit<br />

Fliegender Bauten,<br />

1970, Münster-Send,<br />

Synode – Markt – Volksfest,<br />

1986, Seite 153<br />

Leo Winters Allround<br />

enbesitz seine Runden dreht. Ebenfalls nach München,<br />

wenn auch nur für eine Saison unter der Leitung<br />

von Eduard Rosai, kam der Allround von Heinz Fähtz.<br />

1981 nahm dieser das Karussell wieder zurück; später<br />

wurde es an die Firma Ahrend aus Lübbrechtsen<br />

veräußert und zum „La Bamba” umgestaltet. Letzte<br />

Station dieses Allrounds war die Firma Zintel in Berlin.<br />

Der Krug-Allround schließlich ist noch immer in der<br />

Hand des Erstbesitzers. Das Münchner Oktoberfest ist<br />

bis heute ein besonderes Pflaster für Allround-<strong>Karussells</strong>.<br />

Winter war von 1969 bis 1981 Stammgast, Krug<br />

von 1968 bis 1985. Beide <strong>Karussells</strong> erlebten inzwischen<br />

Wiesn-Comebacks: Krug 1997, Winter 2005.<br />

Nachdem Klaus 1971 die Karussellproduktion eingestellt<br />

hatte, erwarb die Firma Fähtz die Rechte an diesem<br />

Karussell und baute dann weitere vier Exemplare,<br />

die durch anders gestaltete Umzäunungen und andere<br />

Gondeltypen zu identifizieren sind.<br />

■<br />

Johannes Krugs Allround<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Sessellift-<br />

<strong>Karussells</strong>, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

7/2001, Seiten 40-43, Karl<br />

Ruisinger: Allround – der<br />

Klaus-Klassiker, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 11+12/96, Seiten<br />

22-26<br />

75


60ER-JAHRE<br />

SPRUNGSCHANZE<br />

Tissot<br />

Squaw Valley von<br />

In den 60er-<strong>Jahre</strong>n entstand in Deutschland bei der<br />

Firma Mack dieser eigenwilliger Fahrgeschäftstyp;<br />

seine Entwicklungsgeschichte reicht jedoch zurück in<br />

das Jahr 1958, und sie hat ihren Ursprung in Amerika,<br />

in der Werkstatt von Lowell Stapf und Norman Bartlett.<br />

Das Karussell hatte einen kreisförmigen Schienenkranz,<br />

der flach auf dem Boden verlief, um an einer<br />

Stelle plötzlich in einem Winkel von 38° anzusteigen<br />

und am Ende der Steigung steil abzufallen zurück auf<br />

das Bodenniveau. Beschleunigte man den von der<br />

Mitte aus angetriebenen und auf einem Rad über den<br />

Schienenkranz laufenden Ausleger, so hob er am<br />

Ende dieser Rampe ab und „flog“ bis zum Aufsetzen<br />

frei in der Luft. Da das Abheben und plötzliche Abstürzen<br />

das magenkribbelnde Gefühl eines Roller Coasters<br />

erzeugte, einigte man sich auf die Bezeichnung<br />

„Flying Coaster“. Insgesamt wurden acht Ausleger gebaut,<br />

an deren äußeren Enden über den Laufrädern 4-<br />

sitzige Gondeln befestigt und mit aufpralldämpfenden<br />

Luftkissen sowie handelsüblichen Stoßdämpfern versehen<br />

wurden. Jeder Ausleger wurde zusätzlich über<br />

eine Zugstange mit einem in der Mitte angehängten<br />

Hydraulikzylinder verbunden, der ähnlich einem Türschließmechanismus<br />

den Zeitpunkt des Aufsetzens<br />

verzögern und für eine sanfte Landung sorgen sollte.<br />

Die Hydraulikdämpfung wurde so konstruiert, dass die<br />

Zylinder beim Fallen nur langsam nachgaben, beim<br />

Ansteigen der Arme sich dagegen schnell und leicht<br />

zusammendrücken ließen. Als Gondeln dienten<br />

schlichte, gepolsterte Sitzbänke<br />

mit Sicherheitsbügel und luftdurchlässigem,<br />

grobmaschigem<br />

Fußbodenrost. Bereits im August<br />

1958 konnten sich Bartlett und<br />

Stapf mit dem neuen Karussell bei<br />

den Cetlin & Wilson Shows auf der<br />

großen Ionia Free Fair in Michigan<br />

einbuchen. Die genial einfach<br />

Konstruktion, die hohe Kapazität<br />

und vor allem der enorme Publikumszuspruch<br />

beeindruckte die<br />

Kollegen. Entsprechend groß war<br />

am Ende die Zahl der Kaufinteressenten.<br />

Bartlett hatte sich<br />

seine Idee unter der Nr. U.S.<br />

2,895,735 patentieren lassen, eine<br />

professionelle Statik hatte der <strong>Spezial</strong>ist<br />

Carlos Harrington aus Buffalo, N.Y., beigesteuert.<br />

Somit war das Konzept nun serienreif. Stampf beendete<br />

nach dem Bau des elften Flying Coasters seine<br />

Funktion als Hersteller. Die Firma Aeroaffiliates Inc.<br />

übernahm die weitere Produktion der Flying Coaster in<br />

US-Exklusivlizenz von Bartlett. Bereits 1962 konnte<br />

man so bereits auf 60 im Betrieb befindliche Anlagen<br />

verweisen, insgesamt sind wohl weit über 70 Stück gebaut<br />

worden.<br />

76


Nun begann die Idee sich auch in Deutschland Bahn<br />

zu brechen. Die Firma Mack in Waldkirch hatte sich<br />

zwischenzeitlich ebenfalls um eine Lizenz bemüht,<br />

nachdem der Münchner Schausteller Heinz Distel bei<br />

seinen Erkundungsreisen nach Übersee den Flying<br />

Coaster entdeckt hatte und bei Mack bauen lassen<br />

wollte. Im Team mit Hans Drayer, der im April 1961 gerade<br />

seine Arbeit als Konstrukteur bei der Firma aufgenommen<br />

hatte, und dem Kunstmaler und Designer<br />

Heinz Opitz sen. entwarf Franz Mack anhand der amerikanischen<br />

Pläne eine ganz eigene, eben typische<br />

Mack-Version dieses <strong>Karussells</strong>: die „Sprung Schanze“.<br />

Aus dem schlichten amerikanischen Vorläufer<br />

wurde ein aufwändig inszeniertes Gesamtkunstwerk.<br />

Die Laufschiene wurde angehoben, ein umlaufendes<br />

Einstiegspodium und ein seitlich überdachter Rundlauf<br />

gebaut, eine 7 Meter hohe, mehrteilige und damit<br />

plastisch wirkende Rückwand entworfen. Die Ausleger<br />

drehten sich im Gegensatz zum Original nun im Uhrzeigersinn.<br />

Statt der Rohrkonstruktion verwendete<br />

Mack flache, kastenförmige Stahlarme, die zur Reduzierung<br />

von Gewicht und Luftwiderstand der Länge<br />

nach mit großen runden Löchern versehen und rundherum<br />

mit zweifarbigen Lichtleisten verziert wurden.<br />

Die Gondeln wurden anstelle der Luftfederung mit Spiralfedern<br />

ausgestattet, der Antrieb erfolgte elektrisch<br />

über einen Kugeldrehkranz, wie er in ähnlicher Form<br />

bei den Flugzeugkarussells von Klaus vorkam. Die<br />

Fahrweise entsprach dem amerikanischen Vorbild.<br />

Die Chaisen stammten aus den<br />

Werkstätten der Gebrüder Ihle in<br />

Bruchsal; zunächst lieferte diese<br />

Firma ein an ein Automobil erinnerndes<br />

Fahrzeug mit Scheinwerfern,<br />

Kühlergrill und Heckflossen,<br />

das im Zusammenhang mit dem<br />

geplanten Skisprung-Thema in gewisser<br />

Hinsicht einen Stilbruch<br />

darstellte. Im Nachhinein hilft diese<br />

Gondelform jedoch heute bei<br />

der zeitlichen Zuordnung der Geschäfte.<br />

Insgesamt drei Anlagen<br />

wurden mit diesen Fahrzeugen<br />

ausgestattet, ein „Tourbillon Blanc“<br />

(Weißer Wirbel) mit Winterdekoration<br />

ging damals nach Belgien, eine nach den olympischen<br />

Winterspielen von 1960 in den USA „Squaw Valley“<br />

getaufte Anlage wurde an den Schweizer Schausteller<br />

Gilbert Tissot geliefert, und eine Anlage mit dem<br />

amerikanischen Originaltitel „Flying Coaster“ wurde<br />

von Robert Lehmann und seinem Kompagnon Julius<br />

Kinzler in Auftrag gegeben. Das zweite für Deutschland<br />

bestimmte Geschäft sollte schließlich Heinz Distel<br />

erhalten, zu dessen ausstattungstechnischen Sonderwünschen<br />

dann auch eine leicht veränderte Gondelgestaltung<br />

zählte. Hier wurde auf Scheinwerfer und<br />

Kühlergrill verzichtet, stattdessen erinnerte die kufenartig<br />

geschwungene und mit Blinkerlämpchen verzierte<br />

Frontpartie der neuen Gondeln nun eher an breite<br />

Schlitten. Der besonders ausgeprägte Hang zur Individualität<br />

in jener Zeit spiegelt sich übrigens besonders<br />

schön in den Gestaltungswünschen dieser beiden<br />

deutschen Schaustellerfirmen wider. Während<br />

Heinz Distel für seine „Münchner Sprung Schanze“<br />

das Schneethema aufgriff und sich von Maler Opitz<br />

und Bildhauer Willi Liszt eine geradezu märchenhaftschöne<br />

Winterlandschaft mit beleuchteten Tannenbäumen<br />

und Knusperhäuschen zaubern ließ, zu der<br />

sich noch ein großer, janusköpfiger Schneemann mit<br />

zwei Gesichtern (vor der Fahrt grimmig, nach der Fahrt<br />

fröhlich) und lebensgroße Skispringerfiguren auf den<br />

Gondeln gesellten, entschied sich Familie Lehmann<br />

für eine sommerliche Meeresstrand- und Badeszenerie<br />

von Opitz, komplett mit Motorboot, wellenreitenden<br />

60ER-JAHRE<br />

Wasserski-Läufern und einer<br />

dickbäuchigen Bademeister-Karikatur<br />

in der Mitte.<br />

Von dem exotischen<br />

„Flying Coaster“ abgesehen,<br />

setzte sich jedoch für<br />

diesen Karusselltyp generell<br />

das Wintersportthema<br />

durch. So erhielt 1963 die<br />

Heinz Distels<br />

Sprungschanze<br />

77


60ER-JAHRE<br />

Theodor Rosenzweigs<br />

Olympia Sprung Schanze<br />

Zwölfarmige Squaw Valley<br />

Firma Theodor Rosenzweig aus Köln-Ehrenfeld eine<br />

„Olympia Sprung Schanze“ in fast identischer Aufmachung<br />

zu Distels Geschäft. Allerdings erhielten die<br />

Ihle-Chaisen nun in der Mitte der Frontpartie einen<br />

ovalen, sonst an PKWs von Ford verwendeten Scheinwerfer.<br />

Mit diesen drei Geschäften war der deutsche<br />

Markt vorübergehend komplett abgedeckt. Während<br />

Distel die großen Plätze in Bayern, allen voran natürlich<br />

die Münchner Wiesn, aber auch so renommierte<br />

Feste wie den Bremer Freimarkt und den Hamburger<br />

Dom beschickte, stand Lehmanns „Flying Coaster“<br />

neben Stuttgart auch in Hannover, Düsseldorf, Bad<br />

Dürkheim und Bad Kreuznach, während Familie Rosenzweig<br />

überwiegend im Rheinland unterwegs war<br />

und Plätze wie Bonn-Pützchen und Düren anfuhr. Relativ<br />

früh, nach nur knapp drei Saisons, beendete Familie<br />

Lehmann bereits wieder ihren Ausflug ins Rundfahrgeschäft.<br />

Von West-Berlin aus verkaufte Lehmann<br />

das Geschäft in den VEB Staatszirkus in die DDR, wo<br />

man sogleich den amerikanischen<br />

Namen und leider auch die wohl<br />

als dekadent empfundene Wasserski-Kulisse<br />

entfernte. Da 1964<br />

wieder Olympische Winterspiele<br />

waren, wählten auch die neuen Betreiber<br />

das bewährte und eher unverfängliche<br />

Thema Skispringen<br />

und tauften das Geschäft um in<br />

„Flug Schanze“. Patty Conklin dagegen<br />

verliebte sich bei seinen<br />

Oktoberfestbesuchen in Distels<br />

Sprungschanze und holte sie sich<br />

am Ende der Saison '64 nach<br />

Kanada.<br />

In beiden Teilen Deutschlands war<br />

nur noch jeweils eine Anlage dieses<br />

Typs, und besonders der alte<br />

Prototyp in der DDR sorgte zunehmend<br />

für Kopfschmerzen. Bei den<br />

älteren Sprungschanzen versagte<br />

nämlich im Laufe der Zeit immer<br />

mal wieder die komplizierte Ölhydraulik<br />

zur Dämpfung der Fallgeschwindigkeit.<br />

Bei Mack ging man mit diesem Problem<br />

sehr pragmatisch um. Betroffene Geschäfte wurden<br />

dahingehend umgerüstet, dass der Absprungschanze<br />

ein sanfter Abrollhügel angefügt wurde. Bei zwischenzeitlichem<br />

Versagen der Hydraulik wurde so aus<br />

dem Sturz von einem steilen Kliff eine eher behutsame<br />

Fahrt über Berg und Tal. Rosenzweigs „Olympia-<br />

Sprungschanze“ wurde bald entsprechend umgerüstet,<br />

auch die „Squaw Valley“-Bahn von Tissot, als sie<br />

aus der Schweiz zu Mack zurückkam und dann nach<br />

78


on der Sprungschanze, sie wurde somit ausschließlich<br />

für den Export gefertigt. Die vermutlich letzte zwölfarmige<br />

Sprungschanze von Mack ging um 1970 nach<br />

Frankreich. Wohl im Tausch gegen die 8-armige<br />

„Squaw Valley“ und um auf den eingeführten Plätzen<br />

wiedererkannt zu werden, wählte der französische<br />

Kunde zehn <strong>Jahre</strong> nach der amerikanischen Olympiade<br />

erneut diese ungewöhnliche Bezeichnung für das<br />

neue Geschäft.<br />

Die 8-armige „Squaw Valley“ dagegen<br />

verkaufte Mack im Sommer 1971<br />

an die Schaustellerfamilie Welte aus<br />

Osnabrück weiter. Rosenzweigs<br />

Sprungschanze wurde 1969 an die<br />

Münchner Schaustellerfamilie Stey<br />

verkauft und hieß fortan „Münchner<br />

Olympia Sprung Schanze“. Anschließend<br />

reiste Manfred Winter aus Neu-<br />

Ulm kurz mit dem Geschäft, bis es<br />

Ende 1983 von Winfried Wirtele aus<br />

Pleinfeld übernommen wurde. Letzter<br />

Besitzer war ab Ende 2000 die<br />

60ER-JAHRE<br />

FOTOS<br />

Archiv Distel, Archiv Reverchon,<br />

Archiv Hennie<br />

van Oers, Archiv Wirtele,<br />

Archiv Bonhoff, Archiv<br />

Malfertheiner, Archiv Kunze<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Sprungschanze,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue<br />

7/00, Seiten 50-58<br />

Frankreich weiterverkauft wurde. Gleichzeitig tüftelte<br />

man bei Mack an einer eigenen Weiterentwicklung in<br />

einfacherer Ausstattung, mit 12 Auslegern und schmaleren<br />

Gondeln für nur noch bis zu 3 Personen, um die<br />

Belastung der einzelnen Arme zu verringern und die<br />

Kapazität des <strong>Karussells</strong> zu erhöhen. Chaisenlieferant<br />

Ihle nahm dazu zunächst die Grundform der modernen<br />

4-Personen-Gondel und verkürzte sie in der Breite<br />

um zwei Segmente. Wegen der bei<br />

voller Geschwindigkeit auftretenden<br />

enormen Fliehkräfte mussten die<br />

breiten Originalgondeln in der Mitte<br />

der Sitzreihe unterteilt sein, um den<br />

innen sitzenden Fahrgästen Halt zu<br />

bieten. Die neuen, schmaleren Gondeln<br />

hatten nun eine durchgehende<br />

Sitzbank und wurden auch nicht<br />

mehr zusätzlich mit angehängten Figuren<br />

belastet. Die hatten bei den<br />

Vorgängermodellen nämlich früher<br />

oder später tatsächlich den „Absprung“ geschafft und<br />

wurden zuletzt sowieso nur noch als feststehende<br />

Dekoration genutzt. Erstaunlicherweise fand sich in<br />

Deutschland kein Interessent mehr für die neue Versi-<br />

Familie Kollmann aus dem niederbayerischen Pfarrkirchen.<br />

Lehmanns ehemaliger „Flying Coaster“<br />

schließlich hat jenseits des Eisernen Vorhangs die<br />

langen DDR-<strong>Jahre</strong> überdauert.<br />

■<br />

Das frühere Lehmann-Geschäft<br />

in der DDR<br />

beim Zentralzirkus (links) und<br />

unter Schausteller Kunze<br />

79


60ER-JAHRE<br />

TRABANT<br />

Jürgen Wilds „The<br />

Allround Swing”, aktueller<br />

Zustand<br />

Die Geschichte des Trabant beginnt 1966 in den<br />

Werkstätten der Firma Nijmeegs Lasbedrijf aus<br />

Nijmeegen/Holland. Laut Baubuch wurden die Konstruktionspläne<br />

des Mittelbaus Ende 1966, der Rest<br />

(Podium, Gondelkonstruktion) Anfang 1967 erstellt.<br />

Die Auslieferung erfolgte im April 1967 unter dem Namen<br />

„The Allround Swing”. Erstbesitzer war die Firma<br />

Endres aus Worms. Das Geschäft hat einen Durchmesser<br />

von nur 15 m und erreicht eine Flughöhe von<br />

circa 8 m. Seine zwölf im 60er-<strong>Jahre</strong>-Look gestalteten<br />

Gondeln fassen 24 Personen.<br />

Zunächst beginnt sich der Hauptdrehkranz mit den<br />

darunterhängenden Gondeln zu drehen. Nach Erreichen<br />

seiner Drehzahl (19 U/min) fängt der Mittelbau<br />

an, in entgegengesetzter Richtung mit kleinerer Drehzahl<br />

(8 U/min) zu rotieren. Sind die Enddrehzahlen erreicht,<br />

wird der Hubbarm mit dem darauf befindlichen<br />

Hauptdrehkranz in 20 Sekunden um 35° angehoben.<br />

Durch die entgegengesetzten Drehungen und das Anheben<br />

entsteht eine Exzenterfahrweise.<br />

Die Firma Endres betrieb dieses Geschäft bis Ende<br />

1971 und verkaufte es dann an die Firma Ertinger, die<br />

allerdings nur eine Saison damit reiste. Auch der neue<br />

Betreiber Otmar Till behielt den „Allround Swing“ nur<br />

bis 1974 (zwei <strong>Jahre</strong>). Von 1974 bis 1982 wurde das<br />

Geschäft von der Firma Schramm aus Schauenstein<br />

betrieben. Seit 1982 ist es in Besitz von Jürgen Wild.<br />

Interessanterweise existierte dieser exotische Karus-<br />

In den frühen <strong>Jahre</strong>n besaß<br />

das Karussell noch Dächer<br />

über den Gondeln<br />

80


60ER-JAHRE<br />

Der Satellit in der<br />

DDR, oben im Zustand der<br />

80er-<strong>Jahre</strong>, unten in Besitz<br />

des VEB Zentral-Zirkus“<br />

FOTOS<br />

Archiv Wild, Karl Ruisinger,<br />

Michael Bonhoff, Zirkusarchiv<br />

Winkler<br />

selltyp parallel in beiden Hälften des damals geteilten<br />

Deutschlands, denn etwa zur gleichen Zeit erhielt<br />

auch die „Abteilung Volksfesteinrichtungen“ des von<br />

Ost-Berlin aus operierenden Staatszirkus der DDR ein<br />

solches Geschäft von dem holländischen Hersteller.<br />

Die Bezeichnung „The Allround Swing“ erschien den<br />

damaligen Verantwortlichen dann aber wohl doch als<br />

„zu amerikanisch“ für den real-sozialistischen Sprachgebrauch.<br />

Also wurde das Karussell kurzerhand „Satellit“<br />

getauft. Um mit der für ein staatliches Unternehmen<br />

ungewohnten Technik westlicher Fahrgeschäfte<br />

zurechtzukommen, wurden vom Staatszirkus immer<br />

wieder gezielt Schaustellersöhne oder gut ausgebildete<br />

Vorarbeiter der selbstständigen Schausteller der<br />

DDR angeworben. Auf diese Weise wurde Lutz Hucke<br />

Geschäftsführer des seit 1969 volkseigenen „Satellit“.<br />

Da das Geschäft damals noch nicht über eine hydraulische<br />

Aufbauhilfe verfügte, musste der Mittelbau<br />

per Hand mit Winden angehoben werden, um dann die<br />

Achsen herausziehen und das Karussell auf die acht<br />

Füße absetzen zu können. Weil sich die ursprünglich<br />

verwendeten Hilfsmittel als zu schwach erwiesen, organisierte<br />

Hucke moderne 20 t-Winden, um den Koloss<br />

auf- und abzubauen. Auch die vom Hersteller mitgelieferte,<br />

aus vier Wänden zusammenzubauende<br />

Kasse wurde gegen einen Bastei-Campingwagen<br />

ausgetauscht, in den dann die gesamte Elektroanlage<br />

und die in Eigenleistung erstellte Lauflicht- und Musikanlage<br />

fest installiert werden konnten. Am Ende<br />

brauchte das Karussell den internationalen Vergleich<br />

nicht zu scheuen, ja in puncto Fuhrpark wurde alles<br />

bisher Dagewesene in den Schatten gestellt, denn der<br />

VEB Staatszirkus genoss zu DDR-Zeiten beneidenswerte<br />

Vorteile bei der Material- und Fahrzeugzuteilung.<br />

1989 wanderte der Satellit in den Ost-Berliner<br />

Kulturpark Plänterwald. Anschließend wurde er von<br />

der Firma Zortel übernommen, dann reiste Heinz-<br />

Günther Schoppe damit in der Lausitz. Seit 2001 ist<br />

das Karussell – als „Ramba Zamba” generalüberholt<br />

– in Besitz von Henry Wittmann aus Nürnberg. ■<br />

QUELLE<br />

Michael Schottenloher /<br />

Michael Bonhoff: The Allround<br />

Swing, Trabant am<br />

<strong>Kirmes</strong>himmel, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

6/97, Seiten 26-28<br />

Dietmar Winkler: Staatszirkus<br />

der DDR, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

1+2/01, Seiten 34-37<br />

81


60ER-JAHRE<br />

PASSAT<br />

Der Original-Passat<br />

von 1964 wurde verwirrenderweise<br />

auf den Werbefotos der<br />

Firma Klaus mit derem Logo<br />

abgebildet<br />

Nach dem Verkauf seines Zyklon ließ Erich Winter<br />

bei der ehemaligen Hamburger Stülcken-Werft einen<br />

neuen Schienenbogen anfertigen, der diesmal jedoch<br />

nicht mit einer Verzahnung ausgestattet sein<br />

musste. Anstelle des Getriebemotors und der Aufwärtsbewegung<br />

des Drehwerks aus eigener Kraft sollte<br />

in der neuesten Version der Einschienenschleuderbahn<br />

erstmalig ein Hydraulikzylinder zum Einsatz kommen.<br />

Ein von diesem bewegter Hubarm sollte künftig<br />

das auf Rollen gleitende Drehwerk mit den 12 zwischen<br />

sternformigen Auslegern aufgehängten Gondeln<br />

heben und senken. Sämtliche Arbeiten, von der<br />

Gleitschiene über den Gondelbau bis zur Gestaltung<br />

der charakteristischen Umzäunung mit den stilisierten<br />

Erdhalbkugeln übernahm die Schiffswerft. Wieder erhielt<br />

das Geschäft den Namen eines tropischen Windes,<br />

der aber auch nicht nur zufällig an einen berühmten<br />

Hamburger Handelssegler erinnerte: „Passat”.<br />

Der Schienenbogen wies erstmals nach vorn, damit<br />

fand auch die Loopingfahrt im Gegensatz zu den beiden<br />

Vorläufermodellen im vorderen Bereich statt. Also<br />

musste für den Passat erstmals eine richtige Rückwand<br />

angefertigt werden. Familie Winter fuhr mit den<br />

rohen Fassadenteilen, den Panneaus und den Kassenwänden<br />

nach Friedrichshafen am Bodensee, um<br />

dort die Gestaltung von Günter Stritzel ausführen zu<br />

lassen. Es war dieser erfahrene Schaustellermaler,<br />

der das gerade aktuelle Raumfahrtthema für das neue<br />

Geschäft vorschlug, nachdem Winter ihm die Fahr-<br />

82


weise erklärt hatte. Der Kunde war einverstanden, und<br />

so wurde bereits für die gesamte weitere Entwicklung<br />

dieser <strong>Karussells</strong> die allen gemeinsame thematische<br />

Richtung vorgegeben. Neben der reinen Malerei entwarf<br />

der Polyesterfachmann auch das beleuchtete,<br />

lächelnde Mondgesicht, das den oberen Abschluss<br />

des Bogens bildete und zum typischen Erkennungsmerkmal<br />

künftiger Schleuderbahnen werden sollte.<br />

Mit dem Passat konnte sich Erich Winter die Grandplätze<br />

aussuchen; durch einen Gebrauchsmusterschutz,<br />

der 1965 sogar in ein Patent umgewandelt<br />

wird, sicherte er seine Monopolstellung. Als aus<br />

Holland die Kunde zu hören war, dass die Firma Bakker-Denies<br />

ein Looping-Karussell entwickelte, entschloss<br />

sich Winter, für einen holländischen Interessenten<br />

eine Nachbaulizenz an die Memminger Karussellfabrik<br />

Kaspar Klaus zu vergeben. So entstand dort<br />

eine exakte Kopie des von der Hamburger Werft gebauten<br />

Passat, inklusive der geschmiedeten Weltkugelgitter<br />

und einer bei Stritzel in Auftrag gegebenen<br />

Malerei. (Für Verwirrung bei den Recherchen sorgte<br />

übrigens die Tatsache, dass die Firma Klaus Fotos des<br />

Original-Passats mit dem eigenen Firmenlogo versehen<br />

hat, was lange Zeit die richtige Zuordnung erschwerte.)<br />

Im April 1967 wurde als Anlage Nr. Ps 121<br />

H der erste Passat aus dem Hause Klaus an den<br />

holländischen Schausteller J. Peeters aus Heerlen<br />

ausgeliefert, der auf der <strong>Kirmes</strong> von Haarlem Premiere<br />

feierte. Obwohl das Erscheinungsbild und die Fahrweise<br />

als beeindruckend empfunden wurden, konnte<br />

sich der Passat in unserem Nachbarland offenbar<br />

nicht durchsetzen. Bereits ein<br />

Jahr später wurde das Geschäft<br />

nach Deutschland<br />

zurückverkauft an die Münchner<br />

Schaustellerfamilie Feldl,<br />

die damit 1969 Topplätze wie<br />

die Cranger <strong>Kirmes</strong> oder das<br />

Münchner Oktoberfest hielt<br />

und es nach Eintreffen des<br />

Swing-Around 1970 nach<br />

Amerika exportierte (wo der<br />

Klaus-Passat übrigens zunächst<br />

einige <strong>Jahre</strong> in einem<br />

New Yorker Vergnügungspark<br />

stand und dann zu den Ray<br />

Cammack Shows in Arizona<br />

wechselte).<br />

Nun entschloss sich auch Erich<br />

Winter zu einer Neuanschaffung.<br />

Ebenfalls bei Klaus<br />

in Memmingen gab er eine<br />

weitere Einschienenschleuderbahn<br />

nach seinen patentierten<br />

Konstruktionsunterlagen<br />

in Auftrag. Den Original-<br />

Passat überließ er bereits Ende 1968 seinem jüngeren<br />

Bruder Heinrich. Auch bei dem neuen Geschäft wollte<br />

man dem Raumfahrtthema treu bleiben: „Mond-Lift”<br />

sollte es heißen. Neben einem etwas höheren Ausflug<br />

von 14 Metern und einem nach hinten leicht schräg ansteigenden<br />

Podium wurde als besonderer Clou bei der<br />

Firma Mack in Waldkirch eine spezielle, aufwändig ge-<br />

60ER-JAHRE<br />

Der erste von Klaus<br />

gebaute Passat ging 1967 an<br />

die holländische Firma Peters<br />

und wurde anschließend von<br />

der Münchner Familie Feldl<br />

übernommen<br />

83


60ER-JAHRE<br />

FOTOS<br />

Archiv Kärger, Archiv<br />

Feldl, Archiv Winter<br />

Winters Mondlift, 1969<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Einschienenschleuderbahnen,<br />

<strong>Kirmes</strong><br />

Revue 11+12/97, Seiten<br />

58-65<br />

Feldls Passat auf der Wiesn 1969<br />

staltete Riesenrückwand bestellt. Die letzten Wochen<br />

vor der Auslieferung des Geschäftes verbrachte<br />

Erich Winter mit Familie und Angestellten<br />

im Werk, um die Fertigstellung zu beschleunigen<br />

und schon die Packwagen mit den nötigen Gerüsten<br />

auszustatten.<br />

Im Laufe der Saison 1969 ging der fertige Mond-<br />

Lift aus Klaus-Produktion auf die Reise, und sogleich<br />

bekam Familie Winter mit diesem<br />

Schmuckstück die Zulassung auf den meisten<br />

wichtigen Veranstaltungen des Landes. Auch in<br />

den folgenden <strong>Jahre</strong>n war der Terminplan vom<br />

Hamburger Frühjahrsdom bis zur Allerheiligenkirmes<br />

in Soest ausgebucht, obwohl zeitweise bis zu<br />

vier Einschienenschleuderbahnen, davon zwei<br />

unter Winter-Regie sowie ein holländischer „Thunderbird”<br />

unter Leitung des Kölner Schaustellers von der<br />

Gathen, gleichzeitig in Deutschland auf der Reise waren.<br />

Die in großen Ziffern über dem Kassenfenster des<br />

Mond-Lift prangende Patentnummer 1478273 ließ<br />

aber keinen Zweifel aufkommen, wer der eigentliche<br />

Urheber dieser Looping-Variante war.<br />

Der Ur-Passat von Heinrich Winter reiste damals ebenfalls<br />

bundesweit, von Niedersachsen über Westfalen<br />

und den Niederrhein bis hinunter ins Saargebiet, um<br />

die Saison schließlich auf dem Hamburger Dom zu beenden.<br />

1971 hatte er dort sein letztes Gastspiel auf heimischem<br />

Boden. Im Verlauf des folgenden <strong>Jahre</strong>s wurde<br />

das Geschäft zerlegt und größtenteils verschrottet,<br />

um sich nicht irgendwann selbst Konkurrenz zu machen.<br />

Nur die auffallige Umzäunung und der „beste”<br />

Bogen von der Stülcken-Werft blieben übrig. Die Zäune<br />

schmückten fortan das Grundstück in Schmalfeld,<br />

während der Bogen zum Grundstock für eine letzte<br />

Einschienenschleuderbahn wurde, den „Super-Passat”,<br />

der dann 1973 Premiere feierte.<br />

Erich Winter war mit seinem Original Mond-Lift noch<br />

bis Mitte der 70er-<strong>Jahre</strong> auf Erfolgstour gewesen, bis<br />

ihn das Aufkommen der freitragenden Loopings vom<br />

Typ „Enterprise” zur Umstellung zwang. Mit dem Verkauf<br />

seines Geschäftes an die Stuttgarter Schaustellerfamilie<br />

Schmidt endete für Erich Winter die Ära der<br />

Einschienenschleuderbahnen, die er 20 <strong>Jahre</strong> zuvor<br />

eingeleitet hatte. Der Mondlift wurde später in „Super-<br />

Lift” umgetauft, die Firma Keller aus Aschaffenburg<br />

wurde dritter Besitzer dieser Anlage. Später übernahm<br />

sie Andreas Zinnecker, der aus dem Karussell den<br />

„Voyager” machte. Im Jahr 2000 ging das Geschäft<br />

dann mit der Familie Barber in Polen auf die Reise. ■<br />

84


BOSSA NOVA<br />

60ER-JAHRE<br />

Bossa Nova von Rick /<br />

Zocher<br />

FOTOS<br />

Archiv Zocher, Archiv Rosai<br />

Als die „Bossa-Nova”-Welle Europa überschwemmte,<br />

kam es 1963 auch zum Bau eines nach diesem<br />

Tanz benannten Scheibenkarussells. „Bossa Nova”<br />

war die holländische Antwort auf den Hula Hoop des<br />

deutschen Herstellers Klaus und stammte aus den<br />

Werkshallen von Nijmeegs Lasbedriif / De Boer. Die eigenwillige<br />

Kreation war ein Unikat und zunächst an<br />

das Schaustellergespann Rick/Zocher (Hannover/<br />

Berlin) ausgeliefert worden. Die Passagiere mussten<br />

über eine schräge Ebene „klettern” und von dort aus<br />

einige Treppen hochsteigen, um das hölzerne Kassenhäuschen<br />

zu erreichen. Auf drei Drehtellern waren jeweils<br />

sechs Gondeln starr angebracht. Zu Beginn der<br />

Fahrt rotierte die Gesamtkonstruktion, anschließend<br />

drehten sich die Teller, und sobald die Maschine richtig<br />

Gas gegeben hatte, hob sich die Anlage schräg auf<br />

eine Höhe von circa 10 Metern. Um 1967 gelangte das<br />

Karussell in den Besitz der Münchner Familie Rosai,<br />

die Ehre eines Wiesn-Gastspiels wurde ihm jedoch<br />

nicht zuteil. 1970 verkaufte man das exotische Karussell<br />

an die österreichische Familie Gschwandtner weiter.<br />

Die imposante Anlage hatte ein Gesamtgewicht<br />

von circa 90 Tonnen, allein die Dekoration mit den hoch<br />

aufragenden Kronen in der Mitte eines jeden Tellers<br />

sowie die Absperrgitter, die<br />

sich während der Fahrt mitbewegten,<br />

brachten einige Tonnen<br />

auf die Waage. Ungewöhnlich<br />

war auch der Mittelbauwagen;<br />

er allein wog 25<br />

Tonnen. Für das Umsetzen waren<br />

vier Transporte nötig, und<br />

mit fünf Arbeitskräften brauchte<br />

man drei Tage für den Aufbau.<br />

Später nahm der holländische<br />

Schausteller Scherphof<br />

den Bossa Nova unter seine<br />

Fittiche und verwendete ihn als<br />

Grundlage für das Karussell<br />

„Reggae”.<br />

■<br />

Das Karussell unter<br />

Familie Rosai<br />

QUELLE<br />

Michael Jantowski: Chronik<br />

Familie Rosai, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 3+4 2000, Seiten<br />

28-28<br />

85


60ER-JAHRE<br />

BAYERNKURVE<br />

Die klassische<br />

Bayernkurve von 1965<br />

Petters Bayernkurve<br />

Die Bayernkurve war eine der<br />

interessantesten Kreationen<br />

aus dem Hause Schwarzkopf. Bei<br />

dieser Anlage handelte es sich<br />

um ein Schienengeschäft: 16 gekuppelte<br />

Chaisen in Form von<br />

Bobs boten Platz für insgesamt 32<br />

Personen und fuhren auf einer<br />

schräg liegenden Schiene. Wie in<br />

einem richtigen Bob saßen die<br />

Fahrgäste hintereinander. Die<br />

formschönen Chaisen waren gelenkig<br />

miteinander verbunden<br />

und kippten mittels kleiner Elektroantriebe<br />

bei zunehmender Geschwindigkeit<br />

nach innen. Somit<br />

wurde eine rasante Fahrt im Eiskanal<br />

vermittelt. Der Antrieb der<br />

Bobs geschah mittels Reibrädern,<br />

die sich an mehreren Stellen zwischen<br />

den Schienen befanden.<br />

Das Geschäft hatte einen Durchmesser<br />

von 21 Metern, der Zug raste<br />

mit circa 60 Stundenkilometern<br />

durch den 200 m langen<br />

Fahrkreis.<br />

Die erste Bayernkurve tauchte 1965 unter der Regie<br />

von Heinz Distel auf. Sie wurde ein Riesenerfolg, und<br />

ähnlich wie sieben Jahr zuvor beim Mack-Calypso betrieb<br />

und veräußerte die Münchner Schaustellerfamilie<br />

mehrere Exemplare hintereinander. Bald meldeten<br />

sich weitere Kaufinteressenten bei Schwarzkopf, und<br />

die Bayernkurve verbreitete sich sehr schnell auf deutschen<br />

Plätzen. Es boomte richtig, und auf dem Höhepunkt<br />

des Erfolgs dürften hierzulande mindestens<br />

acht verschiedene Kurven unterwegs gewesen sein.<br />

Auch der Ost-Berliner Kulturpark hatte eine.<br />

Nicht alle Bayernkurven präsentierten sich im<br />

bayerisch-winterlichen Stil; es gab später auch einen<br />

„Flower Jet” mit bunten Blumenmotiven. Am bekanntesten<br />

blieb jedoch die Wintersport-Aufmachung mit<br />

den olympischen Ringen. Auch der Aussichtsturm,<br />

von dem Max und Moritz über die Anlage schauten,<br />

blieb vielen Volksfestfreunden in Erinnerung. Die letzte<br />

reisende Bayernkurve verschwand um 1986 von<br />

den deutschen Plätzen. Mit einer für damalige Vorstellungen<br />

relativ geringen Kapazität und einer recht<br />

aufwändigen Montage ohne integrierten Mittelbau taten<br />

sich die letzten hiesigen Bayernkurven-Betreiber<br />

wie Vorlop oder Wirsing schwer. Außerdem war zu diesem<br />

Zeitpunkt der Reiz der Anlage abgenutzt – aber<br />

immerhin konnte sich der Typ stolze 20 <strong>Jahre</strong> halten.<br />

86


60ER-JAHRE<br />

Zimmers Schlittenexpress<br />

FOTOS<br />

Archiv Schwarzkopf, Archiv<br />

Zierer, Archiv Petter,<br />

Michael Bonhoff, Archiv<br />

Zimmer, Archiv Renoldi<br />

Insgesamt verkaufte Schwarzkopf zwischen 1965 und<br />

1978 50 Exemplare. Einige der ehemals in Deutschland<br />

reisenden Bayernkurven gelangten als Gebrauchtanlagen<br />

in die USA, die dort meist unter den<br />

Bezeichnungen „Swiss Bobs” oder „Bobsleigh” liefen,<br />

und nach Frankreich und Holland wanderten ebenfalls<br />

mehrere Exemplare, die sich dort gut behaupten konnten.<br />

Auch die Bayernkurve war ein Geschäft, das der<br />

Kanadier Patty Conklin direkt bei einem Besuch auf<br />

dem Münchner Oktoberfest kaufte und es den Conklin<br />

Shows eingliederte.<br />

Heinz Distel war von 1965 bis 1967 mit der Bayernkurve<br />

auf dem Münchner Oktoberfest, bis er seinen<br />

Wiesn-Platz 1968 mit dem „Schwabinchen” belegte.<br />

Dennoch blieb die Münchner Schaustellerfamilie weiterhin<br />

in Besitz einer Kurve, und von 1974 bis 1978 gelang<br />

Schwiegersohn Wolf Clauß damit ein Wiesn-Comeback.<br />

Weitere prominente Bayernkurven-Besitzer<br />

waren Namen wie Bruch, Meeß, Petter oder Schäfer<br />

gewesen sowie der Nürnberger Schausteller Rudi<br />

Lang. 1998 erlebte man hierzulande ein Bayernkurven-Comeback<br />

durch Theo Hardt, der ein bis dahin in<br />

Holland aktives Exemplar nach Deutschland zurückgeholt<br />

hatte.<br />

Um 1967/68 gab es in Deutschland auch Exemplare<br />

mit Dachkonstruktion. Die Familie Zimmer aus Neuwied<br />

beispielsweise besaß den „Schlittenexpress”,<br />

der später nach Coney Island verkauft wurde, und<br />

auch als „Tiger Hai” war ein derartiges überdachtes<br />

und exklusiv ausgestattes Geschäft auf der Reise.<br />

Eine besonders eindrucksvolle überdachte Bayernkurve<br />

war das „Höllentaxi” der Firma Renoldi/Strothmann,<br />

bei dem Teufels- und Hexenfiguren die rasante<br />

Fahrt begleiteten und die hohnlächelnden Fratzen der<br />

Gondel-Gesichter einem schon beim Zuschauen den<br />

Angstschweiß auf die Stirn trieben. In den <strong>Jahre</strong>n 1968<br />

und 1969 ersetzte dieses Karussell die dort nicht mehr<br />

aufgebaute Original-Bayernkurve auf der Wiesn. Das<br />

Höllentaxi wurde in einen französischen Freizeitpark<br />

verkauft; eine Rückkehr in die deutsche <strong>Kirmes</strong>szene<br />

steht bevor – nicht mehr erkennbar im rustikalen Heustadel-Outfit.<br />

■<br />

QUELLE<br />

Ton Koppei: Bayernkurve<br />

von Schwarzkopf, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 8/96, Seiten 28-30.<br />

Renoldis Höllentaxi<br />

87


60ER-JAHRE<br />

RUND UM DEN TEGERNSEE<br />

Die von Spaggiari gebaute<br />

Bahn im Urzustand<br />

FOTOS<br />

Archiv Zierer, Michael<br />

Bonhoff<br />

Gondel der Zierer-Bahn,<br />

1967<br />

Bereits in den frühen 60er-<strong>Jahre</strong>n entwickelte der<br />

Münchner Schausteller Wilhelm Hohmann die<br />

Idee zu diesem rasanten Schienenexpress. Der Originalentwurf<br />

von 1964 sah einen riesigen künstlichen<br />

See vor, um den herum 34 zweisitzige Chaisen, die zu<br />

einem geschlossenen Ring miteinander verbunden<br />

werden sollten, eine rasante Berg- und Talfahrt<br />

vermitteln sollten. In Reggio Emilia fand Hohmann<br />

den an internationalen Aufträgen interessierten<br />

Betrieb von Walter Spaggiari, der die Herausforderung<br />

annahm und das gewünschte Karussell<br />

zunächst als Einzelstück fertigte. Der Prototyp entsprach<br />

äußerlich genau den Vorstellungen des<br />

Auftraggebers und war ein mit 23 Metern Durchmesser<br />

ausgesprochen imposantes Rundfahrgeschäft.<br />

Doch wie so oft bei Pionierleistungen zeigte<br />

das Karussell in technischer Hinsicht gleich auf<br />

den ersten Plätzen erhebliche Mängel. Das Antriebssystem<br />

etwa war ursprünglich mit einem umlaufenden<br />

Seilzug ausgestattet, der auf zwei gegenüberliegenden<br />

Seiten von motorgetriebenen Umlenkrollen<br />

gespannt und in Schwung gebracht wurde. Der Fahrzeugring,<br />

der einschienenbahnähnlich auf einer dreieckigen<br />

Schiene aus Stahlrohren lief, wurde über seitlich<br />

offene Führungslaschen von dem Stahlseil gezogen.<br />

Dabei geschah es auf dem Volksfest im oberfränkischen<br />

Hof, dass das Stahlseil während der Fahrt<br />

riss, sich um einen Bock wickelte und ihn kettensägenartig<br />

durchtrennte. Auf dem Münchner Oktoberfest<br />

1965 stand man zusammen mit Distels neuer Bayern-<br />

Kurve, und Wilhelm Hohmann war klar, dass er mit seinem<br />

Geschäft, das immer mehr Mängel aufwies, auf<br />

Dauer nicht bestehen konnte. Dipl.-Ing. Karl Meier vom<br />

TÜV München empfahl ihm, sich mit der Firma Zierer<br />

zusammenzusetzen, um nach einer Lösung zu suchen.<br />

Dort wurde vereinbart, die in der Praxis bewährten<br />

Teile des Originals zu übernehmen und den<br />

Rest neu zu konstruieren. 1967 ging die neue Tegernseebahn<br />

von Zierer an den Start. Zierers „Chefdekorateur“<br />

Josef Wallner hatte die Rückwand wieder mit<br />

landschaftlich reizvollen Tegernsee-Motiven bemalt.<br />

Auch der Wasserfall, der sich in den künstlichen See<br />

ergoss, fehlte nicht. Doch auch dieses Karussell hatte<br />

mit Schwierigkeiten zu kämpfen, Franz Schwarzkopf<br />

rüstete Ende 1969 die Tegernseebahn erneut um. Der<br />

Buckel am oberen Ende der Bahn fiel weniger steil aus,<br />

die Anzahl der Fahrzeuge wurde auf 32 reduziert. Unter<br />

dem Sitz jeder zweiten Chaise wurde ein 220 Volt<br />

Elektromotor installiert, der über Stromabnehmer gespeist<br />

wird, die auf parallel zwischen den beiden Laufschienen<br />

verlegten Stromschienen entlanggleiten.<br />

Statt der ursprünglichen 6 wurden nun sogar rasante<br />

10 Umdrehungen pro Minute erreicht. In dieser Form<br />

ist die Bahn ein beliebtes Unikat geblieben. ■<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Rund um<br />

den Tegernsee, feuchtfröhlicher<br />

Wiesn-Klassiker,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 9/97, Seiten<br />

40-43<br />

Wiesn-Premiere 1965<br />

88


TORNADO<br />

60ER-JAHRE<br />

Tornado, um 1968<br />

FOTOS<br />

Archiv Hauck-Schaa,<br />

Michael Bonhoff<br />

Die französische Karussellbaufirma Chereau hatte<br />

sich in der Branche bereits mit dem Bau der klassischen<br />

Himalaya-Bahn einen Namen gemacht und<br />

später mit luftgesteuerten Flugzeugkarussells experimentiert.<br />

Die Erfahrungen aus diesen beiden Bereichen<br />

flossen ein in die Konstruktion einer neuen Art<br />

von Berg- und Talbahn, die auch vom Namen her die<br />

Himalayas noch übertreffen sollte: „L'Everest”. Ähnlich<br />

wie bei Macks Luftwipper wurden die Chaisen<br />

während der Fahrt über Luftzylinder nach innen gekippt.<br />

Die Schräglage von etwa 40° ermöglichte eine<br />

rasantere Umdrehungsgeschwindigkeit und ließ die<br />

dabei auftretenden Zentrifugalkräfte für die Fahrgäste<br />

trotzdem erträglich wirken. Der „Everest” hatte auch<br />

eine interessante Kapazität zu bieten. 16 schneeweiße,<br />

aus stabilem Stahlblech geformte Karosserien<br />

in der schnittigen Form amerikanischer Straßenkreuzer<br />

sollten bei Vollauslastung 64 Personen Platz bieten.<br />

Die imposante, auf nur noch vier massiven Säulen<br />

ruhende Dachkonstruktion nahm das erfolgreiche Musik-Express-Design<br />

vorweg. Damals jedoch konnte<br />

Chereau lediglich zwei solcher Anlagen in fast identischer<br />

Aufmachung an französische Schausteller verkaufen.<br />

Zu schwer waren die verwendeten Bauteile für<br />

den Einsatz auf der Reise. Deshalb entwarf Chereau<br />

noch eine leicht veränderte Ausführung mit 20 kleineren<br />

Fahrzeugen und etwas filigranerer Dachkonstruktion,<br />

die „Troika”. Die Versorgung der Luftzylinder erfolgte<br />

in allen Fällen gleich über Kompressoren und<br />

Lufttanks am Mittelbau, von denen aus über zwei<br />

Ringleitungen im Zentrum und Schläuche entlang der<br />

Ausleger die Pressluft zu den Chaisen geführt wurde.<br />

Damit sollte es möglich sein, während der Fahrt entweder<br />

abwechselnd jedes zweite Fahrzeug oder alle<br />

gleichzeitig in die Schräglage zu kippen und so mit<br />

den Fahrgästen zu spielen. Der Saarländer Adolf<br />

Schar bestellte 1965 bei Chereau eine besondere Ausführung<br />

des „Everest” mit insgesamt 20 der großen<br />

Straßenkreuzer-Chaisen und nannte sie „Tornado”.<br />

Dieser Schriftzug war in großen Leuchtbuchstaben<br />

ausgeführt, Adolf Schaa hatte als zusätzlichen Blickfang<br />

eine selbstgebaute Tunnelwand integriert, die mit<br />

winterlichen Landschafts- und Schlittenmotiven bemalt<br />

war. Der Rundlauf führte über drei Berge und<br />

ebensoviele Täler. Während der Bauzeit stellte der<br />

französische Hersteller dann auf Grund finanzieller<br />

Probleme den Betrieb ein, so dass dieses letzte Geschäft<br />

aus der Baureihe bereits von Fremdfirmen fertiggestellt<br />

werden musste. Leider machten sich auch<br />

bald konstruktive Unzulänglichkeiten des Tornado<br />

bemerkbar. Drei <strong>Jahre</strong> kämpfte die Familie Schaa gegen<br />

Probleme an, dann wurde das Karussell nach<br />

Norddeutschland verkauft. Der nächste Besitzer, Otto<br />

Uhse aus Schleswig-Holstein, gastierte mit dem Tornado<br />

auch in Hamburg, wo sich dann ein schwerer<br />

Unfall ereignete. Der „Tornado” war zuletzt als Gebrauchtgeschäft<br />

auf dem Hof einer deutschen Herstellerfirma<br />

gesichtet worden, dann verliert sich seine<br />

Spur.<br />

■<br />

L’Everest-Gondel in Aktion<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: L’Everest,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 10/01,<br />

Seiten 32-34, Helmut Habermann:<br />

Tornado, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 11/99, Seiten 46-47<br />

Tornado, kurz nach der<br />

Fertigstellung 1967<br />

89


60ER-JAHRE<br />

MIRAGE<br />

Hans Doms<br />

3-D Hurrican<br />

Das letzte Kapitel der Geschichte der selbststeuerbaren<br />

Rundfliegerkarussells von Klaus beginnt<br />

1966, acht <strong>Jahre</strong> nach der Markteinführung des Vorgängers<br />

„Schiefer Turm”. Die Titan-Anlagen waren zu<br />

diesem Zeitpunkt noch gut im Geschäft, aber die Firma<br />

Klaus hatte zwischenzeitlich mit einem ganz anders<br />

gearteten Karussell für erneutes Aufsehen gesorgt:<br />

mit der Twister-Weiterentwicklung „Allround”,<br />

bei der das Drehwerk durch eine Scherenkonstruktion<br />

angehoben, schräggestellt<br />

und – zusätzlich zur Rotation<br />

des Auslegerverbundes<br />

– gedreht werden konnte.<br />

Der Erfolg dieses <strong>Karussells</strong><br />

muss die Firma Klaus<br />

veranlasst haben, die dreiteilige,<br />

rotierende Scherenkonstruktion<br />

auch bei den<br />

Selbststeuerkarussells anzuwenden<br />

und diesem Typ<br />

der Auslegerfluganlagen<br />

noch einmal einen neuen<br />

Kick zu verleihen.<br />

Am 12. April 1966 ging der<br />

Prototyp des Mirage in die<br />

Hände des Besitzers Hans<br />

Dom. Mirage war damals,<br />

wenn man so will, die<br />

Quintessenz aller bis dahin<br />

erfolgreich entwickelten<br />

Klaus-<strong>Karussells</strong>: Es verfügte<br />

über die beliebte<br />

Selbststeuerung des Klassikers<br />

Hurricane, potenzierte<br />

das Höhenerlebnis des Vampirs, bot die<br />

prickelnde Schrägfahrt des Schiefen Turms und erweiterte<br />

diese mit der zusätzlichen Drehbewegung der<br />

dreiteiligen Hubkonstruktion, die dem Spaß noch die<br />

„Taumelrotation” des Allround verlieh. Man kann gewiss<br />

sagen, dass mit dem Mirage-Karussell der Höhepunkt<br />

der pneumatisch gesteuerten Rundfliegeranlagen<br />

erreicht war. Dass deren Zeit sich insgesamt<br />

dem Ende zu bewegte, zeigt allerdings die Tat-<br />

90


Zunächst war geplant gewesen,<br />

dass der Korb mit<br />

den Luftkesseln während<br />

des Transportes abgehoben<br />

und auf dem Mittelbau<br />

mit transportiert werden<br />

sollte. Das war aus Gewichtsgründen<br />

nicht zu<br />

realisieren, so dass für<br />

den Korb ein eigener Wagen<br />

gebaut werden musste.<br />

Mirage wurde serienmäßig<br />

von Klaus mit einem<br />

Hydraulikkran geliefert,<br />

der den fünf Tonnen<br />

schweren Korb mit den<br />

Luftzylindern und der<br />

Stromübertragung abnehmen<br />

und die zwölf Ausleger<br />

einhängen konnte.<br />

60ER-JAHRE<br />

Mirage von Biermann<br />

/ Frickenschmidt<br />

sache, dass trotz der Attraktivität insgesamt nur noch<br />

fünf Exemplare dieses Typs angelegt wurden.<br />

Vergleicht man die technischen Daten des Mirage mit<br />

denen seiner Vorgänger, so trifft man nur auf Superlative:<br />

Der größte Flugbahndurchmesser betrug 16<br />

Meter, die Drehzahl lag insgesamt bei 10 U/min. Mirage<br />

erreichte einen Auslegerschwenkbereich von 60<br />

(durch die Schräglage 104) Grad, die Gondelneigung<br />

variierte zwischen -10 und +40 Grad. Die Flugzeuge<br />

erreichten eine maximale Flughöhe von 12,4 Metern,<br />

der Mittelbau stellte sich bis zu 22 Grad in die<br />

Schräglage. Auch bei diesem Karusselltyp waren die<br />

Flugzeuge verstellbar am Ausleger angebracht, die<br />

Gondeln selbst waren eine Weiterentwicklung der bis<br />

dahin üblichen Flugzeuge, sie verfügten unter anderem<br />

über eine V-förmig gespaltene Heckflosse und<br />

einen großen modernen Frontscheinwerfer.<br />

Die dreiteilige, für die zusätzliche Rotation verantwortliche<br />

Scherenhubkonstruktion wurde beim Mirage<br />

pneumatisch angehoben, entsprechend der pneumatischen<br />

Steuerung der Ausleger und im Gegensatz zur<br />

Scherenkonstruktion des Allround, bei dem die Herstellerfirma<br />

mit Hydraulikpressen gearbeitet hatte.<br />

Drei Mirage-Anlagen mit den Baunummern 117, 118<br />

und 119 gingen im April und Mai 1966 nach Deutschland:<br />

Das erste Exemplar erhielt der Münchner Schausteller<br />

Hans Dom, das zweite wurde gemeinschaftlich<br />

von den Schaustellern Frickenschmidt und Biermann<br />

(Osnabrück/Soest) betrieben, das dritte schließlich<br />

ging an die Hamburger Firma Löffelhardt. Letztere<br />

nannte das Karussell „Mondtaxi”, brachte es im Premierenjahr<br />

auf Spitzenplätze wie die Cranger <strong>Kirmes</strong>,<br />

Skizze zum Mirage, Karl<br />

Meier, TÜV München<br />

91


60ER-JAHRE<br />

Frickenschmidts Phantom<br />

Doms Hurrican wurde in<br />

den 70ern zum Mirage<br />

übergab es aber ziemlich bald an Aribert Schmitz aus<br />

Dortmund, der nur kurze Zeit damit reiste und es dann<br />

an Ludwig Meeß aus Neuwied weiterverkaufte. Meeß<br />

betrieb das Karussell von August 1968 bis Herbst<br />

1976 und veräußerte es anschließend ins Ausland.<br />

Das Karussell von Frickenschmidt-Biermann lief zunächst<br />

unter der offiziellen Firmenbezeichnung „Mirage”.<br />

Als sich die beiden Kompagnons 1968 trennten<br />

und das Geschäft sich fortan allein unter Frickenschmidts<br />

Regie drehte, wurde es in den hierzulande<br />

aussagekräftigeren Namen „Phantom” umgetauft. Die<br />

Besonderheit dieses Exemplars: Das Karussell<br />

hatte eine automatische Fahrtablaufschaltung,<br />

die über Wellenschalter eingestellt<br />

werden konnte. Im Gegensatz zu<br />

anderen Anlagen, die mit Straßenkompressoren<br />

arbeiteten und sehr laut waren,<br />

wurde die Anlage der Firma Frickenschmidt<br />

mit zwei fast geräuschlosen Maschinenwagen<br />

betrieben. So war es möglich<br />

gewesen, auch Plätze in den Innenstädten<br />

zu halten. Führt man sich die Zahl<br />

der benötigten Transporte vor Augen, so<br />

war die Firma Frickenschmidt mit einem<br />

„halben Zirkus” unterwegs gewesen. 1977<br />

war Frickenschmidts letzte Saison mit dem<br />

Phantom. 1979 wurde das Karussell an die<br />

Firma Marx aus Ingelheim verkauft, später<br />

ging es in den Besitz der Firma Prümbaum<br />

in Köln über. Heute steht das Phantom-Mirage<br />

im Park Americana in Marokko.<br />

Nur 20 Kilometer entfernt, im Sindibad-<br />

Park in Casablanca, hat ein weiteres Mirage-Karussell<br />

seinen Alters-Ruhesitz aufgeschlagen: das ehemalige<br />

Karussell von Hans Dom. Der Münchner Schausteller,<br />

der sein Geschäft elf Tage vor Biermann/Frickenschmidt<br />

erhalten hatte, nannte es „3-D-Hurrican”, vermutlich<br />

um die eigene Tradition und Verbundenheit mit<br />

den frühen Klaus-Selbststeuergeschäften auszudrücken.<br />

Das Karussell wurde von Dom bis einschließlich<br />

1974 betrieben und war Stammgast auf dem Münchner<br />

Oktoberfest – seltsamerweise jedoch erst drei <strong>Jahre</strong><br />

nach der Auslieferung, nämlich ab 1969. 1975 über-<br />

92


60ER-JAHRE<br />

Löffelhardts<br />

Mondtaxi<br />

FOTOS<br />

Archiv Biermann, Archiv<br />

Geier, Archiv Kärger, Archiv<br />

Frickenschmidt, Josef<br />

Ziegelmeister, Sicherheit<br />

Fliegender Bauten 1970<br />

Das vierte und das fünfte Mirage-<br />

Exemplar waren laut Klaus-Liste<br />

nach Frankreich sowie in die<br />

Schweiz verkauft worden. Im November<br />

1967 soll der Franzose<br />

Monier sein Karussell mit der Baunummer<br />

126 in Empfang genommen,<br />

die Baseler Firma Doesegger<br />

1970/71 das andere Mirage – mit<br />

dem Namen „Tornado” – erhalten<br />

haben: die Baunummer 131 und<br />

somit die allerletzte aller gebauten<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Mirage –<br />

Rundflieger von Klaus, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 8/97, Seiten<br />

32-36<br />

Klaus-Anlagen. ■ Doms Hurrican auf der<br />

Passauer Maidult, 1968<br />

nahm Kurt Geier Doms Hurrican-Mirage,<br />

Ende der 70er-<strong>Jahre</strong> gestaltete er das Karussell<br />

in die offizielle Mirage-Aufmachung<br />

um. Ab 1987, als der Stern derartiger <strong>Karussells</strong><br />

schon deutlich am Sinken war, entschloss<br />

sich Geier zu einer Neuaufmachung<br />

des <strong>Karussells</strong>. Inspiriert vom eigenen<br />

Familiennamen und der Bezeichnung<br />

einer Popgruppe, mutierte das Mirage auf<br />

seine alten Tage noch zu „Geiers Sturzflug”.<br />

Mit dem Ende der Saison 1991 war Schluss:<br />

Geier brachte seinen Sturzflug auf dem<br />

Münchner Oktoberfest zum allerletzten Mal<br />

zu Wiesn-Ehren. Im Mai 1992 ging das Karussell<br />

in besagten Park in Casablanca wieder<br />

in Betrieb, sehr effektvoll auf der Spitze<br />

eines weithin sichtbaren Hügels.<br />

93


60ER-JAHRE<br />

POLYP<br />

Der Prototyp von 1966<br />

Skizze zum Polyp, Karl<br />

Meier, TÜV München<br />

Der Ursprung des Polyp liegt im Grundkonzept der<br />

„Spinne". Bei diesem Geschäft war erstmalig eine<br />

Rundfahrt mit kombinierter Auf- und Abbewegung der<br />

Ausleger kreiert worden. Die Ausleger waren bei dieser<br />

Konstruktion beweglich mit Zugstangen an einem<br />

Exzenter verbunden. Dieser rotierte unabhängig von<br />

der Hauptdrehung und sorgte somit dafür, dass die<br />

Ausleger sich während der Fahrt bewegten. Der amerikanische<br />

Hersteller Lee Ulrich Eyerly ließ sich die Erfindung<br />

der Spinne 1936 patentieren. Großer Nachteil<br />

an diesem Karussell war der Fahrgastwechsel: Die<br />

Ausleger koonten<br />

nicht abgesenkt<br />

werden.<br />

Die Firma Eyerly-<br />

Aircraft Corp.<br />

entwickelte später<br />

den gegabelten<br />

Ausleger, der<br />

an seinem Ende<br />

jeweils zwei Gondeln<br />

Platz bot. Den Schlusspunkt in dieser Entwicklungsreihe<br />

bildete das „Monster”, bei dem die Auslegergabeln<br />

durch Drehkreuze mit jeweils vier Gondeln<br />

ersetzt wurden.<br />

Es war die deutsche Firma Kaspar Klaus aus Memmingen,<br />

die 1966 das Problem des Ein- und und Ausstiegs<br />

und der Kapazität erstmals effektiv löste und somit<br />

den ersten „echten” Polyp auf den Markt brachte.<br />

Die Zugstangen zwischen Auslegern und Exzenter besaßen<br />

nun die Möglichkeit einer Verlängerung mittels<br />

Hydraulik, wodurch sie gleichzeitig bis zum Boden abgesenkt<br />

werden konnten. Beim Prototyp ließ Klaus allerdings<br />

eine Zugstange starr ohne Verlängerungsmöglichkeit.<br />

Dies hatte den Nachteil, dass der Exzenter<br />

immer an der gleichen Position halten musste. Die<br />

fünf Ausleger bekamen jeweils ein elektrisch angetriebenes<br />

Drehkreuz mit vier fest montierten Gondeln. Den<br />

Prototyp erhielt 1966 der Schausteller Beuermann aus<br />

Berlin, der in den folgenden beiden <strong>Jahre</strong>n damit auf<br />

dem Münchner Oktoberfest gastierte. Zu diesem Geschäft<br />

lieferte Klaus noch Blechgondeln aus eigener<br />

Originalentwurf von Klaus<br />

94


60ER-JAHRE<br />

Die Firma Löffelhardt<br />

betrieb zwei Exemplare gleichzeitig<br />

Fertigung. Diese etwas unhandlich<br />

wirkenden Gondeln sollten die<br />

Vorlage liefern für die besonders<br />

formschöne „klassische” Polyp-<br />

Gondel, die sich der Hamburger<br />

Schausteller Gottlieb Löffelhardt<br />

kurz darauf für seinen Klaus-Polyp<br />

von der Firma Ihle bauen ließ. Die<br />

charakteristischen „Fischchaisen”<br />

mit den großen, beleuchteten Augen,<br />

den wulstigen Lippen und<br />

dem kleinen Schwänzchen sollten anschließend zum<br />

Polyp-Standard werden. Für die damalige Zeit war der<br />

Polyp eine echte Innovation und erhielt auf der amerikanischen<br />

Fachmesse 1967 sogar eine Auszeichnung.<br />

Allerdings stellte der Klaus-Polyp eine technisch<br />

sehr komplizierte Anlage dar, mit Elektroantrieb, Hydraulikantrieben<br />

und Luftdruckbremse. Vermutlich<br />

war dies einer der Gründe, warum nur wenige Exemplare<br />

davon realisiert wurden: Angelegt waren insgesamt<br />

sechs Stück, von denen drei für Amerika bestimmt<br />

waren. Polyp Nr. 6 ging im April 1969 wiederum<br />

an die Firma Löffelhardt, die dann über mehrere <strong>Jahre</strong><br />

hinweg gleich zwei Exemplare in ganz Deutschland<br />

auf Tournee schicken konnte und so auf fast allen<br />

Grandplätzen vertreten war, auch auf parallel laufenden<br />

Veranstaltungen wie etwa 1969 München und Oldenburg.<br />

Als man sich für den Ausbau des Freizeitparks<br />

Phantasialand entschied, wurde eines der beiden<br />

Löffelhardt-Exemplare dort fest installiert. Der<br />

zweite Polyp blieb unter der Leitung von Mia Gormanns<br />

weiter auf der Reise und wurde später von Helmut<br />

Schultze erworben, der damit weiterhin die namhaften<br />

Volksfeste in Deutschland bereicherte. Nächste<br />

Besitzer waren die Memminger Schaustellerfirma<br />

Staudenrausch, ab 1992 K. und T. Krämer aus Rothstein,<br />

2002 ging die Anlage nach Tschechien. Das<br />

Phantasialand veräußerte 1984 seinen Klaus-Polyp an<br />

einen belgischen Schausteller, der damit zwei <strong>Jahre</strong><br />

auf der Reise war und das Geschäft dann nach Frankreich<br />

verkaufte. Der Beuermann-Prototyp läuft in der<br />

Schweiz unter der Bezeichnung „Voom Voom”.<br />

Auch die Firma Anton Schwarzkopf beschäftigte sich<br />

frühzeitig mit dem Konzept des gleichzeitig zu beladenden<br />

„Monsters”. Ende 1967 inserierte man im Komet:<br />

„Monster (Polyp) – ein neuartiges Fahrgeschäft,<br />

in Neukonstruktion und Aufmachung einfacher als bisher<br />

bekannt.” Dieses „Monster 1” erwies sich als<br />

pompöse Konstruktion, kam jedoch ohne komplizierte<br />

Hydraulik aus, denn jeder der fünf Arme bekam einen<br />

eigenen elektrischen Exzenterantrieb. Das erste<br />

Exemplar erhielt 1968 Gunnar Manson, der seine Fahrgeschäfte<br />

im Vergnügungspark<br />

Liseberg<br />

fest installierte.<br />

Ein weiteres<br />

„Monster 1” ging<br />

1969 als „Pulpo” in<br />

den Park „Casa de<br />

Campo” nach Madrid.<br />

Als Reisegeschäft<br />

war das<br />

„Monster” von<br />

Schwarzkopf noch<br />

nicht geeignet. ■<br />

FOTOS<br />

Archiv Klaus, Archiv Bonhoff,<br />

Archiv Schwarzkopf,<br />

Sicherheit Fliegender Bauten<br />

1970<br />

QUELLE<br />

Ton Koppei: Polyp, <strong>Kirmes</strong><br />

Revue 1+2/98, Seiten 42-<br />

45, <strong>Kirmes</strong> Revue 3/98,<br />

Seiten 20-23<br />

„Monster 1” von<br />

Schwarzkopf<br />

95


60ER-JAHRE<br />

HULLY GULLY<br />

Tiemanns zweiter Hully<br />

Gully, 1968<br />

Der erste Trabant von<br />

Chance<br />

Die Geschichte des Hully Gully beginnt mit dem<br />

„Trabant”. Der Münchner Martin Wöhrle hatte die<br />

Idee zu einer Weiterentwicklung des gerade aus Amerika<br />

eingeführten Round-Up mit hydraulisch aufgerichtetem<br />

Hubarm; eine zusätzliche Drehbewegung<br />

der Unterkonstruktion sollte die steil aufgerichtete<br />

Scheibe wie eine Radarschüssel rotieren lassen. Der<br />

Stuttgarter Festwirt Karl Maier fand sich als Geldgeber<br />

für die Realisierung. Als Ergebnis entstand 1959 ein<br />

allzu stabil geratener „Eisenkasten”, der sich nur<br />

schwerfällig in Bewegung setzen wollte und so gar<br />

nichts mit dem einen Flug zu den Sternen suggerierenden<br />

Namen „Trabant” gemeinsam hatte. Auch der<br />

bayerische TÜV mochte die Konstruktion so nicht genehmigen,<br />

Nachbesserungen wurden erforderlich.<br />

Der Winkel des Hubarms betrug am Ende nur noch circa<br />

45° statt der ursprünglich angestrebten, fast senkrechten<br />

Fahrt. Durch die sich überlagernden Drehbewegungen<br />

der Scheibe mit der nach innen gerichteten,<br />

ringförmigen Sitzbank und dem sich entgegengesetzt<br />

drehenden Schemel mit dem hydraulischen<br />

Hubarm entstand nun eine ganz andere, krinolinenartige<br />

Taumelbewegung. Mit diesem umgebauten<br />

Trabant debutierte der Münchner Schausteller Friedrich<br />

K. Beirer 1960 auf dem Münchner Oktoberfest.<br />

Dort fanden Amerikaner Gefallen an der Fahrweise,<br />

und es wurde beschlossen, das Fahrgeschäft nach<br />

Amerika zu „verleasen” und schließlich zu verkaufen.<br />

In Amerika wurde der Trabant vom damals größten reisenden<br />

Carnival Unternehmen Royal American Shows<br />

des deutschstämmigen Schaustellers Carl Sedlmayr<br />

so erfolgreich betrieben, dass sogar die Serienfertigung<br />

einer praktischer konstruierten Version interessant<br />

erschien. Der an der Transaktion beteiligte Fahrgeschäftsimporteur<br />

Mack Duce wandte sich mit diesem<br />

Vorschlag an Harold Chance. Mit Sedlmayr, der<br />

nicht nur Eigentümer des <strong>Karussells</strong>, sondern – zusammen<br />

mit dem Ex-Besitzer Beirer – auch die Patentrechte<br />

besaß, vereinbarte man die Zahlung einer<br />

Lizenzgebühr für jede künftig von Chance gebaute Anlage<br />

dieses Typs.<br />

Chance veränderte die Anordnung der Sitze, indem er<br />

20 kleine Kabinen für jeweils zwei nebeneinander sitzende<br />

Erwachsene oder drei Kinder ringförmig und in<br />

Fahrtrichtung um den Auslegerkranz gruppierte. Der<br />

deutsche Name „Trabant” wurde wohl zur besseren<br />

Wiedererkennung des Nachfolgemodells beibehalten.<br />

Auch den Bewegungsablauf mit drehendem Schlitten,<br />

hydraulischem Hubarm und gegenläufig über Reibradantrieb<br />

drehendem Gondelring übernahm Chance<br />

vom deutschen Prototyp. Dieses neue Konzept war<br />

bereits von Anfang an so genial, dass es im Verlauf der<br />

Zeit kaum verändert werden musste. Der Chance-Trabant<br />

wurde zum Branchengespräch, die bislang unerreichte<br />

Kapazität von 40 Personen auf einem Karussell,<br />

das gleichzeitig beladen und auf einem Anhänger<br />

transportiert werden konnte, galt damals zu recht<br />

als revolutionär.<br />

96


60ER-JAHRE<br />

Uranus, Entwurf von<br />

Heinz Opitz, 1967<br />

Das Geschehen in den USA blieb auch der deutschen<br />

Herstellerfirma Mack nicht verborgen. Also wurden<br />

Chefkonstrukteur Hans Drayer und Designer Heinz<br />

Opitz mit der Aufgabe betraut, das amerikanische Modell<br />

für deutsche Verhältnisse zu verfeinern. Ohne die<br />

Vorgabe, alles auf einem einzigen Anhänger unterbringen<br />

zu müssen (am Ende waren es drei), konnte<br />

man bei Konstruktion und Gestaltung aus dem Vollen<br />

schöpfen. Das Ergebnis, das Ende 1966 einem kleinen<br />

Kreis deutscher Schausteller vorgestellt wurde,<br />

war „Hully Gully”, ein fröhlich-bunt dekoriertes Rundfahrgeschäft<br />

mit einem einladend-offenen, nach vorn<br />

schräg abfallenden Podium von 18 m Durchmesser<br />

und umrahmt von einer riesigen, vielfach geschwungenen,<br />

mit Lauflicht abgesetzten Rückwand. Die<br />

Fahrweise entsprach weitgehend der des amerikanischen<br />

Originals, wobei lediglich die Sitzkabinen spiegelverkehrt<br />

im Uhrzeigersinn ausgerichtet und die<br />

Drehscheibe schräg gelagert wurde. Da die Achsenmitte<br />

der Scheibe am Ende des entgegengesetzt rotierenden<br />

Hubarms gelagert ist und damit über die<br />

Achse des Drehkranzes hinausragt, entsteht bei Fahrtbeginn<br />

diese zusätzliche, über die schräge Plattform<br />

tanzende Exzenterbewegung mit ständigem Richtungswechsel<br />

und sich ändernden Beschleunigungskräften.<br />

Die Drehrichtungen der beiden Antriebe müssen<br />

dabei immer entgegengesetzt verlaufen, die<br />

Scheibe rotiert mit 22 UpM, der Schlitten auf dem<br />

Hauptdrehkranz halb so schnell.<br />

Überraschenderweise trauten sich zunächst nur zwei<br />

Schausteller an dieses neue Projekt heran: Der Hamburger<br />

Otto Tiemann entschied sich für den Originalentwurf<br />

des Hully Gully, der Stuttgarter Heinz Hohl ließ<br />

sich von Opitz für seine „Uranus” getaufte Version ein<br />

Weltraumthema entwerfen. Beide Anlagen gingen im<br />

Sommer/Herbst 1967 in Deutschland an den Start. Der<br />

zum Hannoverschen Schützenfest zuerst ausgelieferte<br />

Hully Gully von Tiemann stand bei den Kollegen sogleich<br />

im Mittelpunkt des Interesses. Bald war klar,<br />

dass auch Mack mit diesem Geschäft den großen<br />

Coup gelandet hatte. Otto Tiemann trennte sich bereits<br />

nach dem Hamburger Winterdom von seinem<br />

Prototyp (neuer Besitzer wurde der Münchner Albert<br />

Aigner), um sich in der folgenden Saison mit einer in<br />

fernweh-weckender Südseeatmosphäre dekorierten,<br />

fabrikneuen Luxusausführung gegen die aufkommende<br />

Konkurrenz zu behaupten.<br />

Heinz Distels tanzendes<br />

Schwabinchen, 1968<br />

97


60ER-JAHRE<br />

Hully Gully von Lauwers /<br />

Kreis, 1969<br />

Die Anlage von Robrahn /<br />

Tolisch, 1969<br />

Eine ganz eigenständige Aufmachung hatte sich der<br />

Münchner Schausteller Heinz Distel für seinen Platz<br />

auf dem Münchner Oktoberfest ausgedacht und sich<br />

vorsorglich gleich für den deutschen Markt schützen<br />

lassen. „Schwabinchen”, so benannt nach der Karikatur<br />

einer langbeinigen Schönheit aus dem Kultviertel<br />

Schwabing, die damals regelmäßig in einer Münchner<br />

Tageszeitung erschien, wurde zu einer bayerischmünchnerischen<br />

Version des Erfolgskarussells und<br />

feierte 1968 auf der Maidult in Passau seine Premiere.<br />

Das Jahr 1968 ging als das der Hully Gullys in die deutsche<br />

Karussellgeschichte ein. Viele prominente Namen<br />

entschieden sich spontan für die neue Tanzmaschine.<br />

Zu den beiden Pionieren Tiemann und Hohl<br />

gesellten sich neben Heinz Distel im Laufe der Saison<br />

die Kollegen Fritz Kinzler, Robert Weinert, Anton Beuermann,<br />

Bruno Tusch, Josef Schöneseifen, H. Loeb<br />

und Karl-Heinz Hempen. Auffällig ist, dass sich viele<br />

der Erstbesitzer nach relativ kurzer Zeit wieder von<br />

ihren Geschäften trennten. Schausteller wie Heinz<br />

Hohl oder Robert Weinert, die eigentlich auf Ausspielungsgeschäfte<br />

spezialisiert waren, sahen die Anschaffung<br />

ihrer Hully Gullys mehr als kurzfristiges und<br />

lukratives Experiment. Sie profitierten ebenso wie ihre<br />

karussellerfahrenen Kollegen von der allgemeinen<br />

Euphorie und den steigenden Marktpreisen, die sogar<br />

einen anschließenden Weiterverkauf mit Gewinn ermöglichten.<br />

So ging Hohls „Uranus“ bereits 1969 in<br />

den Parque de Atracciones Casa de Campo in Madrid.<br />

Auch die Schweiz erhielt ihren ersten Hully Gully,<br />

als sich Fritz Kinzler nach nur einer Saison bereits wieder<br />

von seinem Geschäft trennte und es an die Firma<br />

Tissot verkaufte. Trotzdem führte der Reiz des Erfolges<br />

der Hully Gullys auch in den nachfolgenden <strong>Jahre</strong>n zu<br />

weiteren Neubestellungen bei Mack. So ging bereits<br />

1969 noch mindestens eine weitere Anlage ins Ruhrgebiet,<br />

ein Hully Gully an Rudolf Robrahn in Bremen<br />

sowie ein Exemplar an die Firma Lauwers ins benachbarte<br />

Belgien. Eine für alle augenfällige Veränderung<br />

setzte 1971 ein. Wie im deutschen Karussellbau üblich,<br />

bezog auch Mack die am Hully Gully verwendeten<br />

Zierlampen von Zulieferern der Automobilindustrie.<br />

Als plötzlich die verchromten Blinkerlampen<br />

für die charakteristischen drei Schweife<br />

auf den Chaisen nicht mehr lieferbar waren,<br />

musste man ein neues Gondeldesign entwerfen,<br />

um künftig größere, runde Lampen einbauen zu<br />

können. Also wurden Hully Gullys seit dieser Zeit<br />

mit dem 3-Blüten-Muster ausgeliefert, was nun<br />

auch eine zeitliche Zuordnung dieser Geschäfte<br />

auf den ersten Blick erleichtert.<br />

Was geschah mit den Anlagen der ersten Generation?<br />

Das gute alte „Schwabinchen“ wurde nach<br />

fünfmaligem Wiesngastspiel an die Firma Müller in<br />

Hannover verkauft. Herr Müller reiste zunächst<br />

eine Zeitlang in der bayerischen Aufmachung,<br />

dann besorgte er sich die klassische Hully Gully-<br />

Rückwand eines Kollegen. Nach der Grenzöffnung<br />

war Müllers in Hully Gully umgetauftes Ex-


Schwabinchen eines der ersten West-Geschäfte, die<br />

auf den Plätzen der ehemaligen DDR auftauchten. Es<br />

blieb schließlich dort, anfangs im Besitz der Familie<br />

Friedrich aus Staakow, dann unter der Leitung von Familie<br />

Schwill aus Görlitz. Auch Tiemanns zweiter Hully<br />

Gully – 1973 verkauft an Georg Wirsing und unter dessen<br />

Leitung in Schleswig-Holstein und bis 1979 noch<br />

regelmäßig auf dem Hamburger Sommerdom vertreten<br />

– kam auf Umwegen in den Osten, und zwar zu<br />

Wolfgang Seeberger aus Genthin. Von ihrem Bruder<br />

Rudolf übernahm Hilde Tolisch-Robrahn dessen Hully<br />

Gully 1969. Nach Zwischenstationen bei den Schaustellerbetrieben<br />

Kuckartz, Herbert Meyer & Söhne und<br />

Weber gelangte das Karussell 1982 in den Besitz des<br />

Münchner Schaustellers Edmund Eckl. Der entwarf bei<br />

der dekorativen Umgestaltung des Geschäfts gleich<br />

einen neuen Schriftzug: „Disco-Fieber“. 1989 verkaufte<br />

Eckl sein Geschäft an Karl Lenz, und dem eröffnete<br />

die politische Wende die Möglichkeit, das Geschäft<br />

gleich weiterzuverkaufen in den Osten, nämlich an<br />

Andrea Merten aus Teutschental. 1994 übernahm Ines<br />

Sauerwald aus Torgau das Geschäft. Seit 2004 ist es<br />

in Besitz von Sascha Ernst aus Leer, und damit wieder<br />

im „Westen”.<br />

Noch zwei weitere <strong>Karussells</strong> dieses Typs gingen in<br />

den Osten. Der Sachse Rolf Thieme überredete Peter<br />

Schrod aus Hanau 1992, sich<br />

vorzeitig von seinem Hully<br />

Gully zu trennen, den er zuvor<br />

von Anton Scheffer übernommen<br />

hatte. Dieses Karussell<br />

ohne Dächer gehörte zu den<br />

ersten 1968 ausgelieferten Exemplaren<br />

und war ursprünglich<br />

von Robert Weinert bestellt<br />

worden, von 1970 bis<br />

1979 aber erst richtig berühmt<br />

geworden auf den westfälischen<br />

<strong>Kirmes</strong>sen als der Hully<br />

Gully von Otto Wendler.<br />

Thiemes Geschäft ist inzwischen<br />

wieder in den Westen<br />

gelangt, zu Oliver Spagerer<br />

aus Darmstadt. Weiterhin im<br />

Osten aktiv ist dagegen der<br />

Hully Gully von Andreas<br />

Kröckel aus Pößneck, dessen<br />

Geschäft ursprünglich für<br />

Beuermann gebaut und später<br />

über viele <strong>Jahre</strong> von Lutz<br />

Köhrmann betrieben worden<br />

war. Weiterverfolgen lassen<br />

sich auch die Spuren des Hully<br />

Gully von Kind-Hempen aus<br />

Oldenburg, der Ende der<br />

70er-<strong>Jahre</strong> noch im Besitz von<br />

August Langenscheidt aus Leer in Ostfriesland gewesen<br />

ist. Antonio und Daniela Weiß aus dem Fichtenau<br />

übernahmen dieses Karussell, später die Wiesbadener<br />

Firma Schramm. Zerstört wurde das Geschäft<br />

von Bernhard Biermann aus Gelsenkirchen, es ging<br />

1983 unfreiwillig in Rauch auf. In Augsburg war lange<br />

Zeit der Hully Gully von Helmut Kreis beheimatet, den<br />

die Familie Ende 1976 von der Firma Lauwers aus<br />

Belgien zurückgekauft hatte. Dieses Exemplar gehört<br />

inzwischen Familie Spieß aus Eschwege.<br />

Im Nachbarland Holland konnte der Hully Gully von<br />

Mack erstaunlicherweise<br />

nicht Fuß fassen.<br />

Stattdessen gab<br />

es eine Reihe von Eigenbauten,<br />

darunter<br />

1968 eine Kopie durch<br />

Schausteller de Vries<br />

sowie ein Hully Gully<br />

mit Raketenbesatzung,<br />

das aus einem<br />

von Adam v. d. Veen<br />

gebauten Flugkarussell<br />

entstand und später<br />

den Namen „Hawaii<br />

Beach erhielt”. ■<br />

FOTOS<br />

60ER-JAHRE<br />

Zwei 68er-<br />

Hully Gullys, Erstbesitzer<br />

Weinert und Hempen<br />

Archiv Tiemann, Archiv<br />

Chance, Archiv Mack, Archiv<br />

Hohl, Archiv Distel,<br />

Archiv Robrahn, Michael<br />

Bonhoff, Karl Ruisinger,<br />

Karel Loeff<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Hully<br />

Gully, Teil 1 - 3, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

1+2/99, Seiten 32-35,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 3+4/99, Seiten<br />

26-31, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

5/99, Seiten 20-22,<br />

Raketen-Hully Gully, Umbau<br />

von Adam v. d. Veen, 1969<br />

99


60ER-JAHRE<br />

THUNDERBIRD<br />

Das Karussell 1967 unter<br />

Schausteller Denies<br />

FOTOS<br />

Archiv SKC Holland, Michael<br />

Bonhoff)<br />

QUELLE<br />

Ton Koppei: Looping-<strong>Karussells</strong><br />

– Holländische Innovationen,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue<br />

1+2/98, Seiten 34-37<br />

Jan Bakker aus Apeldoorn konstruierte bereits in den<br />

60er-<strong>Jahre</strong>n erstmals ein freitragendes Loopingkarussell,<br />

das er bei der Maschinenbaufabrik N.V.<br />

Werklust bauen ließ. Dieses Überkopfgeschäft verzichtete<br />

auf die bei Wettbewerbsanlagen wie Passat,<br />

Tornado und Zyklon noch übliche Führungsschiene.<br />

Im Juni 1967 feierte die von Schausteller Denies betriebene<br />

Anlage namens „Thunderbird” ihre Weltpremiere.<br />

Bei diesem Karussell wurde der Hebearm mittels<br />

zweier seitlich angebrachter Hydraulik-Zylinder in<br />

seine Überkopfstellung gebracht. Die Anlage bestach<br />

durch ihre sehr schöne Aufmachung mit Motiven aus<br />

der damals beliebten SF-Fernsehserie „Die Thunderbirds”.<br />

Die Gondeln erinnerten mit ihrer runden Form<br />

ein wenig an den Telecombat und waren mit einer Art<br />

Gitterkäfig versehen. Im Gegensatz zu späteren vergleichbaren<br />

Karussellkonstruktionen saßén in der Bakker-Anlage<br />

jeweils zwei Personen nebeneinander in<br />

der Gondel.<br />

Der Thunderbird war durchaus erfolgreich auf der Reise,<br />

aber leider stellte sich bald heraus, dass die angewandte<br />

Technik noch nicht serienreif war: Im August<br />

1969 ereignete sich ein Unfall, indem der komplette<br />

Ausleger nach vorne fiel. Damit war die Weiterentwicklung<br />

von Loopingkarussells in Hollang erstmal gestoppt.<br />

Nach Umbauten und Reparaturen landete der<br />

„Thunderbird” zwei <strong>Jahre</strong> später in Deutschland: Mit<br />

dem Unikat war Rudolf von der Gathen auf den großen<br />

Volksfesten anzutreffen. Kurze Zeit nach der Übernahme<br />

wurde das Karussell als „Flaming Star” umgestaltet.<br />

Sein weiterer Lebenslauf führte über die Schausteller<br />

Stein und Mönnig zurück nach Holland, anschließend<br />

in die USA und nach Mexiko, und war von<br />

weiteren Unfällen begleitet<br />

■<br />

Die umgestaltete Anlage<br />

reiste unter Rudi von der<br />

Gathen durch Deutschland<br />

100


SATELLIT<br />

Den Satellit – einen Kettenflieger mit Schrägstellung<br />

– baute die Firma De Boer 1960 für den holländischen<br />

Schausteller Sipkema, ab 1962 wurden für eine<br />

holsteinische Firma deutsche Baupapiere<br />

ausgestellt. Zwischen<br />

1973 und 1985 reiste die Firma<br />

Karl Weihs & Sohn mit dem Karussell,<br />

anschließend gelangte es in<br />

den Besitz von Peter Swoboda.<br />

Eine zweite Anlage des Satellit soll<br />

ebenfalls in Norddeutschland gereist<br />

sein, vermutlich unter der Firma<br />

Müller aus Lohne.<br />

Am – oben abgeknickten – Turm<br />

dieses Kettenfliegers wurde mittels<br />

zweier Hydraulikstempel der<br />

Drehkranz mit den Auslegern<br />

hochgefahren bis zur Schrägstellung.<br />

Eine Rakete diente als Mastverkleidung.<br />

Das Geschäft war wegen<br />

seiner kompakten Ausmaße<br />

besonders für Innenstadt-Veranstaltungen<br />

interessant, da durch<br />

das Hochfahren der volle Ausflugradius<br />

erst weit über den Köpfen<br />

der Besucher erreicht wurde und<br />

auch vor dem Herunterfahren<br />

durch Abschaltung des Antriebs<br />

der Radius wieder entsprechend<br />

angepasst werden konnte. Angespornt<br />

durch den Erfolg realisierte<br />

1997 der ehemalige Besitzer Weihs im Spätsommer<br />

mit dem italienischen Hersteller eine fabrikneue Version,<br />

die „Old Flying Machine”.<br />

■<br />

Satellit unter<br />

Karl Weihs<br />

QUELLE<br />

60ER-JAHRE<br />

Michael Bonhoff: Satellit,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 8/96, Seiten<br />

16-17, <strong>Kirmes</strong> Revue 9/97,<br />

Seiten 44-47<br />

(Fotos: Michael Bonhoff)<br />

SATURN<br />

Der Bremer Erfinder Helmut Kastner hatte Anfang<br />

der 60er-<strong>Jahre</strong> die Idee, wie man ein schwingendes<br />

Karussell auch ohne Hubzylinder und komplizierte<br />

Ventilsteuerung konstruieren könnte. Er verlieh den<br />

Gondeln Flügel und machte sich so neben der Fliehkraft<br />

auch die Strömungslehre zunutze. Der Mast eines<br />

ausgedienten Kettenfliegers wurde umgebaut zu<br />

einem funktionstüchtigen Anschauungsmodell, mit<br />

dessen Hilfe der Schausteller Karl-Ernst Hartkopf aus<br />

Syke überzeugt werden konnte, nach diesem Prinzip<br />

ein Karussell bauen zu lassen. Als Hersteller wählte<br />

Hartkopf die italienische Firma Spaggiari & Barbieri,<br />

die damals neben Autoskootern auch Telecombats<br />

produzierte.<br />

Der für Hartkopf 1964 gefertigte Saturn wurde zu einem<br />

gigantischen Projekt. Erstmals wurde für den Aufund<br />

Abbau eines Rundfahrgeschäfts ein Kran benötigt,<br />

allein der Transport umfasste fünf Züge. Der<br />

elektrisch angetriebene Drehkranz des Mittelbaus trug<br />

einen Ring aus zwölf trichterförmig auseinandergehenden<br />

Gittermasten, an<br />

denen jeweils ein senkrechter<br />

Gondelausleger<br />

in halber Höhe pendelnd<br />

aufgehängt war. Die offenen<br />

Sitzschalen, in denen<br />

die Passagiere festgeschnallt<br />

wurden, waren<br />

links und rechts mit<br />

drehbaren Flügeln ausgerüstet,<br />

die von den<br />

Fahrgästen gelenkt werden<br />

konnten, um durch Fliehkraft und gewonnenen<br />

Auftrieb zu rasanten Höhenflügen über die 90°-Linie<br />

zu schwingen und in umgekehrter Richtung ebenso rasante<br />

Abstürze zu simulieren. Der Flugradius betrug<br />

24 Meter, 24 Passagiere hatten Platz. Leider erwies<br />

sich der Saturn als extrem störanfällig; so war Hartkopf<br />

froh, als er das Geschäft 1968 zum reinen Materialwert<br />

an den holländischen Vergnügungspark Beekse Bergen<br />

abgeben konnte.<br />

■<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Swing<br />

Around, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

3/97, Seiten 28-33<br />

(Foto: Archiv Vespermann<br />

& Hartkopf)<br />

101


60ER-JAHRE<br />

AIRLINER<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Airliner,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 8/96, Seiten<br />

16-17<br />

(Fotos: Archiv Bonhoff)<br />

Rechts Urfassung,<br />

unten mit Stützschere<br />

Ein De Boer-Exot war<br />

der Airliner. Als „Liebeskutsche”<br />

wurde dieses<br />

Karussell um 1964 für<br />

die Firmen Walter Rick<br />

aus Hannover sowie Friedrich<br />

Uhse, Bremen gebaut.<br />

Beide Versionen<br />

sind heute noch im Einsatz:<br />

Das Rick-Karussell<br />

betreibt die Firma Langenscheidt<br />

aus Leer, die<br />

Anlage von Uhse wird von<br />

Wilfried Voss aus Lüneburg weitergeführt. Der Typ des<br />

Airliner hatte ursprünglich einen Masten, der mitsamt<br />

der Drehkonstruktion in die Schräge gekippt werden<br />

konnte; so wurde der Prototyp in die USA geliefert. Ein<br />

Unfall zwang den Hersteller bei den folgenden Auslieferungen<br />

jedoch zu einer Hilfskonstruktion: Sie mussten<br />

mit einer Stützschere ausgestattet werden. Da<br />

diese von der Memminger Firma Klaus für den „Schiefen<br />

Turm” geschützt war, gab es einen Rechtsstreit.<br />

Vermutlich einigte man sich dahingehend, dass weitere<br />

Geschäfte dieses Typs nicht mehr nach Deutschland<br />

geliefert werden sollten beziehungsweise gebaut<br />

werden durften.<br />

■<br />

QUELLE<br />

Michael Bonhoff: Taifun /<br />

Flamenco <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

5/01, Seiten 24-28<br />

(Foto: Peter Reuther)<br />

TAIFUN<br />

Anfang der 60er-<strong>Jahre</strong> konstruierte Kurt Kalbfleisch<br />

ein Flugkarussell mit der Fahrweise eines Twisters<br />

oder Allrounds. Zusammen mit seinen Brüdern baute<br />

er im Winter 1964 statt einer aufwändigen Hydraulikanlage<br />

einen feststehenden Turm, an dem der Auslegerverbund<br />

emporgezogen und am<br />

oberen Ende in die gewünschte<br />

Schräglage von 45° gebracht wurde.<br />

Der abgeknickte Mast, der massive<br />

Kugeldrehkranz und das Mittelbaufahrzeug<br />

entstanden in Eigenarbeit.<br />

Für den Aufzug des schweren Drehwerks<br />

tüftelte man ein Verfahren aus,<br />

bei dem mit Hilfe eines kurzen aber<br />

kräftigen Hydraulikzylinders das umgekehrte<br />

Seilzugprinzip angewendet<br />

wurde. Ein Zugseil führte vom Drehkranz<br />

über eine Umlenkrolle an der<br />

Mastspitze zurück zum Mittelbau, wo<br />

es über mehrere weitere Umlenkrollen<br />

in der Waagerechten hin- und hergeführt und schließlich<br />

mit dem Stempel des waagerecht eingebauten Zylinders<br />

verbunden wurde. Statt nun wie üblich mit geringer<br />

Kraft eine schwere Last langsam nach oben zu<br />

befördern, konnte in umgekehrter Weise der kräftige<br />

Zylinder auf relativ kurzem Weg die Last des Drehwerks<br />

schnell auf eine große Höhe bringen. 16 Ausleger<br />

wurden gefertigt und am Drehwerk befestigt,<br />

außerdem ließ man 16 Hollywood-Schaukeln herstellen.<br />

Zum Saisonbeginn konnte Kalbfleisch mit seinem<br />

Taifun auf Tournee gehen. Für die Besitzer von Twistern<br />

und Allrounds jedoch stellte der Taifun in der damaligen<br />

Form keinen Grund zur Beunruhigung dar,<br />

man hielt ihn vielmehr für einen technischen Kompromiss,<br />

um eine ihren Geschäften ähnliche Fahrweise zu<br />

erreichen. Somit blieb Kalbfleischs Idee zunächst einmalig<br />

und konkurrenzlos. Nach einigen <strong>Jahre</strong>n wurde<br />

der Taifun verkauft. Bereits 1969 gastierte Walter Kreuser<br />

mit dem Geschäft unter anderem auf der Annakirmes<br />

in Düren. Später ging es an Georg Sonnier aus<br />

Bitburg. Die Idee des Taifun wurde in den 70er-<strong>Jahre</strong>n<br />

von Kalbfleisch mit dem Flamenco weiterentwickelt. ■<br />

102


TAUMLER<br />

Der Münchner Schausteller Hans Lechner ließ sich<br />

1961 den Taumler bauen. Inspiriert vom Kreiselwipper,<br />

ging Lechner auf die Suche nach einem Hersteller<br />

für ein Karussell, das in einer kreisförmigen<br />

Gondel eine Rundfahrt mit taumelndem Effekt sowie<br />

eine Auf- und Ab-Bewegung bieten sollte. Er verhandelte<br />

mit dem Werkzeugmacher Franz Hutterer, der<br />

schließlich mit der Herstellung des Mittelbaus beauftragt<br />

wurde. Erstmals an einem Karussell kamen<br />

Scheibenbremsen zum Einsatz, die von der Firma<br />

Knorr bezogen wurden. Die Fertigung der Segmente<br />

für die Sitzbank übernahm Rudolf Höpler aus Metten.<br />

Für die Gestaltung der Rückwand wurde der Münchner<br />

Schaustellerkollege Franz Xaver Heinrich gewonnen,<br />

der eine bis heute einmalige und pfiffige Konstruktion<br />

erdachte: eine aus sieben verschieden<br />

großen, drehbaren Scheiben bestehende Kulisse.<br />

Nach der Fertigstellung des <strong>Karussells</strong> Anfang 1963<br />

stellte sich heraus, dass die namensgebende Taumelbewegung<br />

technisch nicht befriedigend umgesetzt<br />

worden war; es blieb bei einer schnellen Rundfahrt mit<br />

dem Zusatzeffekt des Wippens. Doch bei der Premiere<br />

auf der Auer Dult in München zeichnete sich trotzdem<br />

bereits eine sehr gute Publikumsresonanz ab,<br />

und der Taumler machte auch so seinen Weg. Ab 1963<br />

gehörte das Karussell zum festen Wiesn-Inventar. Es<br />

gilt gleichzeitig als Vorläufer des Schunklers, mit dem<br />

in den 70ern die ganz große Ära derartiger Fahrgeschäfte<br />

begann.<br />

■<br />

60ER-JAHRE<br />

QUELLE<br />

Ralf Schmitt: Schunkler,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 9/2000, Seiten<br />

22-23<br />

(Foto: Ralf Schmitt)<br />

KOSMOS ROTATOR<br />

Kosmos Rotator war ein ostdeutsches Pendant zur<br />

Fliegenden Untertasse von Günter Rilke, das der<br />

Staatszirkus der DDR 1964 auf die Reise schickte. Es<br />

wurde unter dem Arbeitstitel „Rotierende Scheibe” von<br />

W. Gundelwein entwickelt. Dabei war eine drehbare<br />

Scheibe mit rund sechs Metern Durchmesser auf dem<br />

Mittelbau so angeordnet, dass sie bis in eine Schräglage<br />

von 45° gebracht werden konnte. Sie fasste 33<br />

Personen, die in sitzender Position bei einer Höchstgeschwindigkeit<br />

von 20 U/min durch die Zentrifugalkraft<br />

an die Sitzlehne gepresst wurden. Gebaut wurde<br />

das Geschäft in verschiedenen Betrieben, unter anderem<br />

der Firma Peukert in Freiberg und im eigenen<br />

Winterquartier; die Hydraulik kam vom VEB Orsta-Hydraulik.<br />

Der Kosmos-Rotator ging mit Saisonende<br />

1968, wohl aufgrund der Schwere der Anlage, an die<br />

Stadt Rostock. Dort wurde er im Vergnügungspark am<br />

Zoo aufgestellt und von Schausteller Rudolf Schöning<br />

betrieben, nach seinem Tod 1983 von Tochter und<br />

Schwiegersohn. 1987 war das Geschäft auf dem Rostocker<br />

Weihnachtsmarkt zu sehen, nach 1989 wurde<br />

der Betrieb eingestellt und wohl 1992 verschrottet ■<br />

QUELLE<br />

Dietmar Winkler: Staatszirkus<br />

der DDR, <strong>Kirmes</strong> Revue<br />

1+2/01, Seiten 34-37<br />

(Foto: Zirkusarchiv Winkler)<br />

103


60ER-JAHRE<br />

TELECOMBAT<br />

Eigentlich begann die Zeit des Telecombats bereits<br />

in den 50er-<strong>Jahre</strong>n; italienische Karusselllbauer<br />

begannen damals ihre Laufbahn mit der Entwicklung<br />

und Fertigung derartiger Geschäfte. In Deutschland<br />

hatten diese Anlagen, in der Regel von Spaggiari &<br />

Barbieri gefertigt, in den 60ern ihre Blütezeit; die Hurricanes<br />

und Helikopter waren ihnen hierzulande im<br />

Wege, obwohl der Telecombat mehr zu bieten hatte.<br />

Hier wurden 12 Gondeln via Hydraulikkompressor auf<br />

eine Flughöhe bis zu sieben Metern gehoben. Mittels<br />

eines Lenkrades war es den Fluggästen möglich, die<br />

Gondeln um 180° zu drehen, woraus sich eine Vorwärts-,<br />

Rückwärts- oder Seitwärtsfahrt ergab. Das<br />

Rundfahrgeschäft mit den futuristischen Tellergondeln<br />

und den charakteristischen Schirmchen war auch auf<br />

Großvolksfesten wie dem Oldenburger Kramermarkt –<br />

dort durch die Firma Kind – präsent. Andere Exemplare<br />

liefen unter den Schaustellern Klinge, Ahrend<br />

oder Denk; letzterer war jahrzehntelang Stammbeschicker<br />

des Hamburger Doms.<br />

■<br />

ZEPPELIN<br />

QUELLE<br />

Karl Ruisinger: Karusselltürme,<br />

<strong>Kirmes</strong> Revue 4/97,<br />

Seiten 28-30<br />

(Foto: Archiv Schwarzkopf)<br />

Als der alte Zeppelin-Weltflug von Hugo Haase allmählich<br />

den Zenit seiner Popularität überschritten<br />

hatte, konstruierte die Firma Schwarzkopf zwei neue<br />

<strong>Karussells</strong> mit behäbiger Rundfahrt, aber bis dahin<br />

nicht dagewesenem Höhenerlebnis. In zwei Versionen<br />

gab es dieses Zeppelinkarussell: Die erste wurde<br />

1969 gebaut und erreichte – bei einer Turmhöhe von<br />

etwa 27 Metern – eine Flugbahn von rund 17 Metern.<br />

Sechs zeppelinförmige Flugobjekte mit Kabinen für je<br />

12 Personen rotierten im Kreisverbund um eine schlanke<br />

Säule. Das Geschäft wurde auf drei <strong>Spezial</strong>wagen<br />

aufgebaut, der Mast hydraulisch aufgerichtet. Diese<br />

Erstversion des Schwarzkopf-Zeppelins war im Prinzip<br />

nur eine Übergangslösung, denn bereits zwei <strong>Jahre</strong><br />

später kam der höhere Zeppelin II mit nur fünf Zeppelinen,<br />

der zum Wahrzeichen vieler 70er-<strong>Jahre</strong>-<strong>Kirmes</strong>sen<br />

wurde.<br />

■<br />

SUPER-COMET<br />

QUELLE<br />

Van Saturnus tot Hully Gully,<br />

Euro Kermis Magazine<br />

95/2, Seite 10<br />

(Foto: Collectie Stichting<br />

Kermiscultuur)<br />

Adam v.d. Veen, der holländische Karusselltüftler<br />

aus Purmerend, war auch in den 60ern Stammgast<br />

vieler großer (norddeutscher) Volksfeste. Beschickerlisten<br />

des Oldenburger Kramermarkts etwa führen ihn<br />

von 1964 bis 1966 mit dem Karussell „Super-Comet”.<br />

Ob es sich dabei um das in Holland auch unter „Cyclone”<br />

und „Saturnus” laufende Fluggeschäft handelte,<br />

aus dem 1968 ein Hully Gully-Nachbau wurde, ist<br />

nicht gesichert, aber zeitlich vorstellbar.<br />

■<br />

104


PATENTSKIZZE TRABANT<br />

ANHANG<br />

QUELLE<br />

Archiv Bonhoff<br />

ENTWURFSSKIZZE PASSAT<br />

QUELLE<br />

Archiv Winter<br />

Winters Passat im Bau<br />

105


ANHANG<br />

AUFSTELLSCHEMA SCHIEFER TURM<br />

106


AUFSTELLSCHEMA SCHIEFER TURM<br />

ANHANG<br />

QUELLE<br />

Skizzen Archiv Kärger<br />

(Fotos: Archiv Frickenschmidt)<br />

107


ANHANG<br />

BAU- UND TESTPHASE SPUTNIK<br />

QUELLE<br />

Archiv Loeb, Archiv Kärger<br />

108


ORIGINAL POSTKARTEN CALYPSO<br />

ANHANG<br />

QUELLE<br />

Jenseits des Großen<br />

Teichs galt der Calypso als<br />

das Luxuskarussell made<br />

in Germany. Er wurde um<br />

1960 auf den Souvenir-<br />

Karten vieler Freizeitparks<br />

abgebildet<br />

(Archiv Michael Bonhoff)<br />

Conneaut Lake Park<br />

Kennywood Park<br />

Elitch Gardens<br />

109


ANHANG<br />

PRODUKTIONSLISTE FIRMA KLAUS<br />

110


PRODUKTIONSLISTE FIRMA KLAUS<br />

ANHANG<br />

QUELLE<br />

Originallisten Archiv Kärger<br />

(Fotos Titan Testflug /<br />

Twist Aufbau: Archiv<br />

Klaus)<br />

111


ANHANG<br />

PRODUKTIONSLISTE FIRMA KLAUS<br />

112


PRODUKTIONSLISTE FIRMA KLAUS<br />

ANHANG<br />

113


ANHANG<br />

BESCHICKERLISTE LANDSHUT 1959<br />

QUELLE<br />

Archiv Stadt Landshut, Archiv<br />

Wack, Archiv Pötzsch<br />

Endres, Adolf:<br />

„Elektro-Globus-Hochflieger”<br />

Hochleitner, Ludwig:<br />

„Der Polyp”<br />

114


LITERATUR<br />

– Florian Dering: Volksbelustigungen, Nördlingen<br />

1986<br />

– Willi Thoma: Faszination Karussell- und Wagenbau<br />

Mack, 1988<br />

– Geoff Weedon / Richard Ward: Fairground Art,<br />

1981<br />

– Jahrbuch des Schaustellergewerbes der 70er-<br />

<strong>Jahre</strong>, Stuttgart 1971<br />

– Birgit Götz: Mit Romantik hat unser Beruf nichts<br />

zu tun, München 1999<br />

– Günter Müller: Der schöne alte Oldenburger Kramermarkt,<br />

Oldenburg 1982<br />

– Franz Hellbernd: Stoppelmarkt in Vechta, Vechta<br />

1988<br />

– Annette Kris-Bonazza: Auf Cranger <strong>Kirmes</strong>,<br />

Münster 1992<br />

– Münster-Send: Synode – Markt – Volksfest, Münster<br />

1986<br />

– Rainer Schulz, 625 <strong>Jahre</strong> Simon-Juda-Markt Werne,<br />

Werne 1987<br />

– Hinein ins Vergnügen: Geschichte und Geschichten<br />

zu 50 <strong>Jahre</strong>n Darmstädter Heinerfest,<br />

Darmstadt 2000<br />

– 250 <strong>Jahre</strong> Wendsche Kärmetze, Wenden 2002<br />

– Das Oktoberfest: 175 <strong>Jahre</strong> Bayerischer National-Rausch,<br />

München 1985<br />

– 175 <strong>Jahre</strong> Oktoberfest 1810 -1985, München<br />

1985<br />

– Oktoberfest: The Oktoberfest–Portrait of a Fair,<br />

München 1970<br />

– Andreas Jacob: Die Erlanger Bergkirchweih, Erlangen<br />

2005<br />

– 100 <strong>Jahre</strong> Süddeutscher Schaustellerverband<br />

1888-1988, Nürnberg 1988<br />

– 1897-1987: 90 <strong>Jahre</strong> Schausteller-Verein „Rote<br />

Erde”, Dortmund, 1987<br />

– Lauran Wijffels: Draaiboek van een kermisgek,<br />

Zaltbommel 2002<br />

– Max Stoop: S’isch Chilbi-Ziit, Stäfa 1997<br />

– Max Stoop: Sensationen – Attraktionen an Jahrmarkt<br />

und Chilbi, Stäfa 1999<br />

– Gerhard Eberstaller: Schön ist so ein Ringelspiel,<br />

Wien 2004<br />

– Marcello La Speranza: Prater-Kaleidoskop,<br />

Wien, 1997<br />

– Sinnlichkeit und Schaulust”: Die Geschichte des<br />

Oldenburger Kramermarktes, Video, Werkstattfilm<br />

Oldenburg, 2003<br />

– 100 <strong>Jahre</strong> Distel, DVD, München 2005<br />

– Euro Kermis Magazine, diverse Jahrgänge<br />

– Der Komet, diverse Jahrgänge<br />

– <strong>Kirmes</strong> & Park Revue, Ausgaben 1 - 100


Die 1996 gegründete Zeitschrift <strong>Kirmes</strong> & Park<br />

Revue legt einen ihrer Schwerpunkte auf die<br />

Erforschung der Geschichte der <strong>Karussells</strong> der<br />

<strong>1950er</strong>- und <strong>1960er</strong>-<strong>Jahre</strong> – eine Epoche, in der<br />

die Kreationen der Vorkriegszeit noch allerorten<br />

präsent waren, in der jedoch mit der Entwicklung<br />

hydraulisch und pneumatisch angetriebener<br />

Rundfahrgeschäfte und einer Fülle neuartiger<br />

Bewegungskombinationen eine moderne Ära im<br />

Karussellbau anbrach.<br />

Zur hundertsten Ausgabe der Zeitschrift wurden<br />

alle bislang ermittelten Fakten und Beiträge,<br />

die diesen Zeitraum betreffen, noch einmal<br />

überarbeitet, ergänzt und in diesem Sonderband<br />

erstmals zusammengestellt und geordnet.<br />

ISBN 3-980 8913-3-X<br />

4 197061 308001 01

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