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Der Mitternachtsschrei - Burschenschaftsgeschichte

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Schließlich noch ein Wort zum „Methorntrinkspruch“, der sich völlig im<br />

Rahmen der um 1900 in studentischen Kreisen üblichen Dichtung bewegt. 51 Anders<br />

als der eigentliche Schrei mit seinem literarischen und schnell vergessenen<br />

humoristischen Hintergrund liegt im Trinkspruch als dem wesentlichen Teil des<br />

Schreis immer die Betonung auf der eigenen Abstammung von den wahrhaften und<br />

wehrhaften Walhallsgenossen, den nimmermüden Recken der germanischen Vorzeit.<br />

In ihrer Tradition trinkt, singt und feiert man. Allerdings: Diese Helden sind nicht nur<br />

glückselig, sondern auch tot, schließlich befinden sie sich in Walhall oder streben ihm<br />

nach dem Schlachtentod – oder dem alkoholischen an der Kneiptafel? („der neue Tag<br />

...“) – zu. 52 Den Gegenpol bilden die verachteten Zwerge und Neidinge, deren Mägen<br />

den Met nicht bei sich behalten können und die nur Wasser und Milch – in neuerer<br />

Zeit auch: Soda, Selters, Cola 53 – vertragen: bezeichnenderweise alles nicht<br />

commentgemäße Getränke. Die Abwertung der Zwerge erinnert an die kleinen,<br />

grotesk-komischen, aber auch hinterlistig-grausamen Figuren 54 in Wagners „Ring der<br />

Nibelungen“, der zugleich ein Germanenbild transportiert, wie es seit der<br />

Wiederentdeckung von Tacitus’ „Germania“ immer mehr um sich griff 55 und das vor<br />

allem Felix Dahn nach der Reichsgründung in seinen Gotenromanen – in erster Linie<br />

im 1876 erschienenen „Ein Kampf um Rom“ – in der Form populär machte, wie es<br />

auch heute noch gängig ist: nordisch, groß an Gestalt, gehörnte oder geflügelte Helme<br />

und Bärenfelle tragend, ehrenhaft und edlen Sinnes, geradlinig, treu, ohne Fehl und<br />

Tadel, zurückhaltend, tapfer und kampffreudig, heimat-, schollen- und<br />

sippenverbunden. 56<br />

<strong>Der</strong> Jurist und Schriftsteller Dahn unterhielt als Breslauer Hochschullehrer enge<br />

Beziehungen zu den Korporationen. Durch rund 25 Jahre war er der Ehrenvorsteher<br />

der Sängerschaft Leopoldina. Dahn dichtete und schrieb, war politisch engagiert und<br />

51 Siehe etwa Wilhelm Sarges (Hrsg.), Aus dem Wingolf. Blütenlese, enthaltend Gedichte, Reden und Aufsätze,<br />

2. Aufl. Mühlhausen i. Thür. 1901 oder die seit 1904 erscheinenden, von Dr. Hugo Böttger (Arminia Jena)<br />

herausgegebenen Jahrbücher der Deutschen Burschenschaft, wo sich zahlreiche Beispiele finden.<br />

52 Richard M. Meyer, Altgermanische Religionsgeschichte, Berlin 1909 (Nachdruck Stuttgart o. J.), S. 268, 463.<br />

53 Nachlaß Geese, Notiz, wahrscheinlich Aug., Sept. oder Okt. 1957.<br />

54 Meyer, Altgermanische Religionsgeschichte, S. 125 f.<br />

55 Klaus von See, Deutsche Germanenideologie vom Humanismus bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 1970.<br />

<strong>Der</strong>s., Barbar, Germane, Arier. Die Suche nach der Identität der Deutschen, Heidelberg 1994. Gesa von Essen,<br />

Hermannsschlachten. Germanen- und Römerbilder in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, Göttingen<br />

1998. Speziell zu den Nibelungen als nationale Vorbilder: Wolfgang Storch (Hrsg.), Die Nibelungen. Bilder von<br />

Liebe, Verrat und Untergang, München 1987. Dieter Borchmeyer (Hrsg.), Wege des Mythos in die Moderne.<br />

<strong>Der</strong> „Ring der Nibelungen“. Eine Münchner Ringvorlesung, München 1987. Joachim Heinzle, Anneliese<br />

Waldschmidt (Hrsg.), Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente<br />

zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1991. Maike Oergel, The return<br />

of King Arthur and the Nibelungen. National myth in nineteenth-century English and German literature, Berlin,<br />

New York 1997 (= European cultures, Bd. 10).<br />

56 Alfons Schindler, Geschichte und Größe. Die Literatur des Großbürgertums. Geschichte als tragisches<br />

Schicksal: Dahn, in: Josef Jansen (Hrsg.), Einführung in die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts, Bd. 2,<br />

Opladen 1984, S. 243–261. Klaus-Peter Schroeder, Felix Dahn – Rechtsgelehrter und Erfolgsautor, in: Neue<br />

Juristische Wochenschrift 39/10 (1986), S. 1234–1235. Kurt Frech, Felix Dahn. Die Verbreitung völkischen<br />

Gedankenguts durch den historischen Roman, in: Uwe Puschner, Walter Schmitz, Justus H. Ulbricht (Hrsg.),<br />

Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München, New Providence, London, Paris 1996, S. 685–<br />

698.<br />

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