Hamburger Morgenpost - Unser Hamburg Unser Hamburg – Fotos erzählen Stadtgeschichte(n) Teil 1 (Vorschau)
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<strong>Unser</strong><br />
Nr. 1/2013, 4,95 E<br />
HAMBURG<br />
<strong>Fotos</strong> <strong>erzählen</strong> <strong>Stadtgeschichte</strong>(n)<br />
Der Kiez<br />
Wie die Reeperbahn zur<br />
sündigen Meile wurde<br />
Der Weltkrieg<br />
Wie 213 Luftangriffe die<br />
Stadt für immer veränderten<br />
Der Alltag<br />
Wie wir früher wohnten,<br />
feierten und arbeiteten<br />
NEU!<br />
Zeitreise<br />
in das alte<br />
<strong>Hamburg</strong>
4 Editorial Inhalt<br />
Lieber Leserin,<br />
lieber Leser<br />
Bilder <strong>erzählen</strong> Geschichten <strong>–</strong> und<br />
Bilder <strong>erzählen</strong> Geschichte. „<strong>Unser</strong><br />
<strong>Hamburg</strong>“ zeigt die Stadt, wie sie<br />
früher einmal war. Es sind <strong>Fotos</strong>, die<br />
oft aus ganz persönlicher Perspektive den Alltag<br />
im <strong>Hamburg</strong> des 20. Jahrhunderts widerspiegeln:<br />
ganz Privates, das Berufsleben, das<br />
damals noch so ganz anders war, der sich entwickelnde<br />
Straßenverkehr, die einzigartige Architektur<br />
und die zerstörerischen Folgen des<br />
Zweiten Weltkrieges, der weite <strong>Teil</strong>e des alten<br />
<strong>Hamburg</strong>s unwiederbringlich ausgelöscht hat.<br />
„<strong>Unser</strong> <strong>Hamburg</strong>“ basiert auf einer Serie,<br />
die 2012 in der <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> <strong>Morgenpost</strong> erschienen<br />
ist. Wir haben historische <strong>Fotos</strong> aus<br />
dem MOPO-Archiv veröffentlicht und unsere<br />
Leser gebeten, uns ihre eigenen Bilder aus<br />
früheren Epochen der Stadt zu schicken. Die<br />
Resonanz übertraf unsere Erwartungen bei<br />
Weitem <strong>–</strong> und zeigt, wie groß das Interesse<br />
an der jüngeren Geschichte unserer Stadt ist.<br />
Die interessantesten <strong>Fotos</strong> haben wir auf<br />
den Wunsch vieler Leser in dem Heft, das Sie<br />
jetzt in der Hand halten, zusammengefasst.<br />
Es ist eine Zeitreise in das alte <strong>Hamburg</strong> geworden,<br />
einen Ort, den es sonst nur noch in<br />
Archiven, Familienalben und der verblassenden<br />
Erinnerung der Zeitzeugen gibt. Und es<br />
sind Bilder, die nachdenklich machen, weil<br />
sie zeigen, wie tiefgreifend sich das Leben in<br />
der Metropole an der Elbe innerhalb weniger<br />
Generationen verändert hat.<br />
10<br />
20<br />
30<br />
4 DIE WAHRZEICHEN<br />
Die Klassiker: Bismarck,<br />
Michel, Reeperbahn & Co.<br />
10 HAMBURGER ALLTAG<br />
Von Sandkasten-Helden,<br />
Mode-Sünden und Lametta<br />
20 DER HAFEN Von reichen<br />
Reedern, starken Arbeitern<br />
und weißen Schwänen<br />
30 DER KIEZ Wie die<br />
Reeperbahn zur sündigen<br />
Meile <strong>Hamburg</strong>s wurde<br />
38 DIE CITY Nach dem Großen<br />
Brand wurde <strong>Hamburg</strong>s<br />
Innenstadt radikal umgebaut<br />
44 DER KRIEG Nach 213<br />
Luftangriffen ist von <strong>Hamburg</strong><br />
nicht mehr viel übrig<br />
50 HAMBURGER BERUFE<br />
Die Jobs der <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong><br />
verändern sich so schnell<br />
wie die Stadt<br />
60 DER VERKEHR Nach dem<br />
Krieg soll die Stadt autogerecht<br />
umgebaut werden<br />
66 IMPRESSUM<br />
44<br />
Viel Spaß beim Lesen und Blättern,<br />
Ihr Frank Niggemeier<br />
Chefredakteur,<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> <strong>Morgenpost</strong><br />
38<br />
50<br />
60<br />
TITELFOTO: Ein Blick in die<br />
Mönckebergstraße Richtung<br />
Hauptbahnhof. Das Foto<br />
entstand vermutlich 1940.<br />
3
Die Klassiker<br />
Bismarck, Michel,<br />
Reeperbahn & Co<br />
WAS FÜR EIN MANNSBILD da auf<br />
dem Kutschbock sitzt! Es ist Henry<br />
Sandleben, der Großvater von<br />
MOPO-Leserin Anja Sandleben,<br />
der da vermutlich auf der Seewartenstraße<br />
stolz vor dem Bismarck-Denkmal<br />
posiert. Er war von<br />
Beruf Bierkutscher und wohnte<br />
an der Großen Freiheit 34. „Ich<br />
wohn‘ in Altona“, hat er immer<br />
stolz gesagt. Das Foto entstand<br />
vermutlich 1909.<br />
Wie <strong>Hamburg</strong>s Wahrzeichen sich verändert haben<br />
Seit dem Mittelalter prägen sie<br />
das Bild unserer Heimatstadt:<br />
die Türme der fünf Hauptkirchen.<br />
Diese Wahrzeichen<br />
<strong>Hamburg</strong>s überstanden die<br />
furchtbaren Bombenangriffe des Zweiten<br />
Weltkriegs <strong>–</strong> wenn auch mit schweren<br />
Schäden. Bis heute wird die Stadtsilhouette<br />
eben nicht von Hochhäusern, sondern<br />
von diesen fünf Türmen und dem Rathaushausturm<br />
geprägt. Kein Stadtplaner hat es<br />
bisher gewagt, das anzutasten. Erst durch<br />
<strong>Hamburg</strong>s neuestes Wahrzeichen, die 110<br />
Meter hohe Elbphilharmonie, hat sich das<br />
nun geändert.<br />
<strong>Hamburg</strong> 1945: Der Hafen liegt in<br />
Trümmern. Mehr als 43.000 Wohnhäuser<br />
sind zerstört. Bei 213 Angriffen haben<br />
die Alliierten etwa 100.000 Spreng- und<br />
mindestens 1,6 Millionen Brandbomben<br />
über der Hansestadt abgeworfen. Ganze<br />
Viertel sind ausradiert. Aber wie durch<br />
ein Wunder stehen die Wahrzeichen der<br />
Eine Ruine wird<br />
zum Mahnmal<br />
Stadt noch. Das Rathaus mit dem 112 Meter<br />
hohen Turm ist kaum beschädigt. Die<br />
Landungsbrücken haben zwar einen Volltreffer<br />
erhalten, doch der Uhrturm mit der<br />
Pegelstands-Anzeige steht unerschüttert.<br />
Gleich nebenan hat das Bismarck-Denkmal<br />
Bombentreffer abbekommen <strong>–</strong> aber nur im<br />
Sockel-Bereich.<br />
Der Michel ist zwar ebenfalls beschädigt,<br />
aber alle Schäden können behoben<br />
werden. Selbst der Turm der Nikolaikirche<br />
ist noch sichtbar <strong>–</strong> wenn auch wie das Kirchenschiff<br />
schwerst beschädigt. <strong>Hamburg</strong>s<br />
ehemals schönste Kirche wird als Ruine<br />
ein Mahnmal für die Opfer von Krieg und<br />
Gewaltherrschaft. Lediglich der Turm der<br />
Jacobikirche an der Steinstraße ist endgültig<br />
ein Raub der Flammen geworden.<br />
Ganz langsam beginnt der Aufbau. Bis<br />
1951 werden die schwer getroffenen Alsterarkaden<br />
wieder im alten Stil hergestellt.<br />
Der Sockel des Bismarcks wird ausgebessert<br />
<strong>–</strong> wenn auch etwas nachlässig. Was sich aktuell<br />
rächt. Eine fachgerechte Sanierung wird<br />
Millionen kosten. Erst 1963 wird der neue<br />
Turm der Jacobikirche fertiggestellt. Damit<br />
ist das berühmte <strong>Hamburg</strong>-Panorama wieder<br />
komplett: Die fünf Hauptkirchen St. Petri, St.<br />
Katharinen, St. Nikolai, St. Michaelis und St.<br />
Jacobi prägen seit Hunderten von Jahren in<br />
einzigartiger Weise die Stadtsilhouette <strong>Hamburg</strong>s.<br />
Erst 1897 kam der Rathausturm hinzu.<br />
1968 ändert sich wieder etwas: <strong>Hamburg</strong>s<br />
höchstes Bauwerk <strong>–</strong> der 279 Meter<br />
hohe Fernsehturm wird gebaut. Das Bild<br />
auf Seite 9 zeigt seinen Bau. Aber auch<br />
Bilder des historischen Jungfernstiegs, der<br />
im Laufe der Jahrhunderte immer wieder<br />
umgestaltet wurde, sind auf den folgenden<br />
Seiten zu sehen.<br />
1947 wird der erste Sommerdom nach<br />
dem Krieg eröffnet. Mit wenigen, meist<br />
ärmlichen Buden und kleinen Fahrgeschäften<br />
<strong>–</strong> aber immerhin. Bei Hagenbeck läuft<br />
es noch nicht wieder rund. Zu schwer waren<br />
die beinah totalen Kriegszerstörungen<br />
1943 in Stellingen. Wegen des Mangels an<br />
Traktoren und Räumfahrzeugen werden<br />
mit Indischen Elefanten die Trümmer und<br />
umgestürzte Bäume geräumt. Hagenbeck<br />
wird schöner denn je aufgebaut.<br />
4
Die Klassiker Bismarck, Michel, Reeperbahn & Co<br />
5
6<br />
1968 war sie das wildeste,<br />
was es auf dem <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong><br />
Dom gab: die Achterbahn.<br />
Die Wagen hatten einen Kühlergrill<br />
vom Opel Rekord. Das<br />
Mädchen trägt einen karierten<br />
Rock und weiße Kniestrümpfe.
Die Klassiker Bismarck, Michel, Reeperbahn & Co<br />
UM 1925 dürfte dieses Bild des Jungfernstiegs entstanden sein. Vorn ist der<br />
1914 fertiggestellte fünfte Alsterpavillon zu sehen. Er wurde 1942 von Bomben<br />
zerstört. Ganz links ist der Turm der Jacobi-Kirche zu sehen, der ebenfalls den<br />
Bomben zum Opfer fiel.<br />
UM 1935 entstand dieser nette Schnappschuss bei Hagenbeck. Zu sehen sind der<br />
Seemann Emil Karck (geb. 1902) und seine Tochter Katharina (geb. 1925). Sie ist<br />
die Zweite von links auf dem Rücken des Elefanten. Karck kam ursprünglich aus<br />
Bremen und hatte vier Töchter. Er starb 1980.<br />
1977 entstand dieses Foto an den Vorsetzen.<br />
„Bei Hedi an der Überseebrücke“ hieß die<br />
Kneipe in der rustikalen Holzhütte. Diese<br />
Bauten dominierten seit dem Krieg das Areal<br />
an den Vorsetzen zwischen Neustädter Neuem<br />
Weg und Stubbenhuk beim U-Bahnhof<br />
Baumwall. 1987 mussten die Holzhäuser dem<br />
Neubau des Verlags Gruner & Jahr weichen.<br />
7
UM 1955 entstand dieses Foto der St. Pauli Landungsbrücken. Die 1907-1909<br />
erbaute Anlage mit dem Uhrturm hatte den Krieg einigermaßen überstanden.<br />
Im Turm ist ein Wasserstandsanzeiger mit Sichtfenster im Mauerwerk,<br />
neben dem Uhrturm war damals das „Landungsbrücken-Restaurant“. Die<br />
Menschen im Vordergrund warten auf die Straßenbahn.<br />
DIESE ALLEGORIE auf das Maß- und Münzwesen stand von 1977-1980<br />
auf dem Rathausmarkt. Ursprünglich gehört die Bronze-Figurengruppe<br />
zur Einfassung des großen Kaiser-Wilhelm-Denkmals. Das 1903 aufgestellte<br />
Reiterstandbild war schon 1930 an den Rand des Sievekingplatzes<br />
versetzt worden.<br />
8<br />
1956 geht es<br />
tagsüber recht beschaulich<br />
zu auf der<br />
Reeperbahn. Ein<br />
Peterwagen („Ponton“-Mercedes)<br />
der<br />
Davidwache fährt Patrouille<br />
an der Ecke<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Berg.<br />
Das Lokal im Eckhaus<br />
heißt „Reeperbahn-Maxe“.<br />
Heute<br />
ist dort die Spielbank<br />
untergebracht.
1967 ist er fast fertig, der<br />
279 Meter hohe Fernsehturm.<br />
Aber eben nur fast. Die Spitze<br />
fehlt und die untere Plattform<br />
ist nur halb fertig. Dort eröffnete<br />
1968 das Dreh-Restaurant. Es<br />
drehte sich um die eigene Achse.<br />
Legendär das Angebot: Für fünf<br />
Mark (2,50 Euro) gab es Kuchen<br />
satt! MOPO-Leser Uwe Mathiessen<br />
schoss das Bild vom S-Bahnhof<br />
Sternschanze aus.<br />
Die Klassiker Bismarck, Michel, Reeperbahn & Co<br />
9
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Alltag Leben und Feiern in der Großstadt<br />
10<br />
1956 eröffnete <strong>Hamburg</strong>s<br />
schönstes Kino - das Streit's am<br />
Jungfernstieg. Ende März 2013<br />
schloss es für immer. In den 57<br />
Jahren seines Bestehens war es<br />
das wichtigste Premierenkino.<br />
Clint Eastwood, Barbra Streisand,<br />
Jack Nicholson und Romy<br />
Schneider (1938-1982) gaben sich<br />
die Ehre. Der deutsche Weltstar<br />
ließ es bei Premierenfeiern auch<br />
mal richtig krachen.
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Alltag<br />
Leben und Feiern<br />
in der Großstadt<br />
Von Sandkasten-Helden, Mode-Sünden und Lametta<br />
11
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Alltag Leben und Feiern in der Großstadt<br />
DIESE AUFNAHME ZEIGT<br />
MUTTER UND SOHN vor ihrem<br />
damaligen Wohnhaus in<br />
der Großen Freiheit, vermutlich<br />
entstand das Bild im Jahr<br />
1909. „Meinem Großvater<br />
war immer wichtig, dass sie<br />
in Altona gewohnt haben -<br />
das war wohl ein großer Unterschied<br />
zu <strong>Hamburg</strong>“, sagt<br />
Anja Sandleben, Einsenderin<br />
und Enkelin des kleinen Jungen<br />
auf dem Bild.<br />
Als die Große<br />
Freiheit noch<br />
familienfreundlich war<br />
12
1954 zog der damals extrem populäre Showmaster Vico Torriani (1920 -1998) als Leierkastenmann verkleidet<br />
durch die Neustadt. Er wollte mal sehen, ob er erkannt wird. Die Presse war natürlich dabei, als er von<br />
nichts ahnenden Polizisten kontrolliert wurde. Die fielen auf die Maskerade herein, lachten aber, als alles<br />
aufflog. Der nette Udl rechts ist Hermann Ahlrep, der in diesem Jahr im Alter von 86 gestorben ist.<br />
Das Gewusel in einem Wohnheim<br />
für junge Frauen,<br />
Helmut Schmidt vor seiner<br />
Kanzlerschaft entspannt als<br />
Lebemann <strong>–</strong> und der Blick<br />
in ein weihnachtliches Wohnzimmer mit<br />
einem der ersten Fernseher <strong>Hamburg</strong>s.<br />
Abseits der öffentlichen Plätze geht es in<br />
<strong>Hamburg</strong> seit jeher behaglich, aber auch<br />
extravagant zu. Die Bilder in diesem Kapitel<br />
geben Einblick in die ganz private<br />
Welt unserer Stadt.<br />
Der Beginn der 50er Jahre: Das Wirtschaftswunder<br />
wird langsam in <strong>Hamburg</strong><br />
sichtbar. Statt Hosen tragen die jungen<br />
Frauen weite Röcke und zeigen wieder<br />
Weiblichkeit, für Männer mit Stil gehört<br />
der Hut zur Pflichtgarderobe. Die wenigen<br />
Klamottengeschäfte in <strong>Hamburg</strong> versorgen<br />
sich meist mit Kommissionsware<br />
aus dem Ausland. Die noch blutjunge<br />
MOPO beginnt mit der Ausrichtung von<br />
Modenschauen, bei denen der neueste<br />
Chic zur Schau getragen wird.<br />
Die Aufbruchstimmung ist mit strengen<br />
Sitten gepaart. Abends gehen die<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> gern ins Kino <strong>–</strong> und erschrecken<br />
1951 zuhauf als sie den Skandalfilm<br />
„Die Sünderin“ mit Hildegard Knef<br />
und ihrer berüchtigten<br />
Nacktszene sehen. Die<br />
ersten Fernseher für<br />
1000 Deutsche Mark<br />
sind für die meisten<br />
noch ein unerschwingliches<br />
Luxusgut, beim<br />
Startschuss des regelmäßigen<br />
Programms mit „Stille Nacht,<br />
heilige Nacht“ am 25. Dezember 1952<br />
schauen nur einige Dutzend Haushalte<br />
in <strong>Hamburg</strong> zu.<br />
Bis zum Ende des Jahrzehnts tritt jedoch<br />
nicht nur die „Glotze“ ihren Siegeszug<br />
an. In den Zimmern der Wohnheime<br />
für junge Studenten gibt es zwar noch<br />
keine Telefone, aber immerhin Gemeinschaftsradios<br />
der Marke „Telefunken“.<br />
Die 60er Jahre treiben die etwas miefige<br />
Moral des vorangegangenen Jahrzehnts<br />
schnell mit Minirock, Rock ’n’<br />
Roll und der sexuellen Revolution aus.<br />
Seit jeher geht es<br />
Abseits der großen Plätze<br />
eher behaglich zu<br />
Die Schere zwischen privatem Vergnügen<br />
und öffentlicher Moral schließt sich. In<br />
den 70ern beginnt die Zeit der großen<br />
Offenheit, der auch die MOPO Rechnung<br />
trägt. Mit der Wahl zur „Miss <strong>Morgenpost</strong>“<br />
kürt sie jährlich die schönsten<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong>innen.<br />
13
AUCH BEIM SPORT packen Frauen zur Wirtschaftswunderzeit mit an. Dieses Bild<br />
zeigt zwei Damen bei einer privaten Feier im Kegelkeller eines Restaurants, es<br />
entstand vermutlich 1952. Die gefallenen Kegel werden zu dieser Zeit teilweise<br />
noch von „Kegeljungen“ nach jedem Wurf per Hand wieder aufgestellt.<br />
TÜTENLAMPE, VIEL LAMETTA UND EIN FRÜHES RADIOMODELL: Das Foto<br />
zeigt ein typisches Wohnzimmer der Mittelschicht in der Querstraße auf<br />
St. Pauli zur Weihnachtszeit 1956. Der 20-jährige Walter Schwertz auf dem<br />
Bild ist in die Lektüre der MOPO, die seit 1949 erscheint, vertieft.<br />
HELMUT SCHMIDT (damals<br />
52 Jahre alt) ist 1971<br />
bei der Wahl der „Miss<br />
<strong>Morgenpost</strong>“ zu Gast <strong>–</strong><br />
und hat sichtlich Spaß.<br />
Auf diesem Bild wird der<br />
damalige Verteidigungsminister<br />
von Marianne<br />
Köddermann (l.) und der<br />
der frisch gekürten „Miss<br />
<strong>Morgenpost</strong>“ Heidi Kappler<br />
umgarnt.<br />
14
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Alltag Leben und Feiern in der Großstadt<br />
STOLZ AUF FEINEN STOFF: Im Jahr 1970 sind die kittelartigen<br />
Cardin-Mäntel für Herren zu Hemd und Krawatte der letzte<br />
Schrei. Die MOPO-Fotografin Erika Krauß hielt das Mode-Glück<br />
dieser beiden Gentlemen auf dem Rathausmarkt fest.<br />
15
DREI JUNGE FRAUEN IM JAHR 1961 in ihrem Zimmer in einem „Ledigenheim“ in Wilhelmsburg. „Es<br />
war Chaos pur!“, erinnert sich Gudrun Wolf, auf dem Bild in der Mitte zu sehen. „Wir wohnten mit<br />
drei Mädchen im 12-Quadratmeter-Zimmer. Telefone waren verboten.“<br />
DAMALS WIE HEUTE EIN RITUAL: Am Vatertag lassen es <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Männer schon in den 50ern krachen.<br />
Das Bild zeigt eine feucht-fröhliche Bande beim Start einer Fahrradtour mit „Idioten“-Schriftzug. „Mein<br />
Vater ist der junge Mann mit dem I auf dem Rücken“, schreibt Einsender Michael Schütt.<br />
16
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Alltag Leben und Feiern in der Großstadt<br />
UM 1951 zeigt sich an der<br />
Edgar-Roß-Straße (Eppendorf) der<br />
damals elfjährige MOPO-Leser<br />
Ralf Schwarten stolz auf einem<br />
Motorrad. Der Besitzer stellte sein<br />
Krad für <strong>Fotos</strong> zur Verfügung.<br />
Eine Mark (50 Cent) kostete es,<br />
sich mit einem ausgestopften Eisbären<br />
auf dem Fahrzeug fotografieren<br />
zu lassen. Ralf Schwarten:<br />
„Dabei habe ich damals beim Gemüsehändler<br />
nur 20 Pfennig (10<br />
Cent) in der Stunde verdient.“<br />
17
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Alltag Leben und Feiern in der Großstadt<br />
Der kleine „Soldat“<br />
wurde später ein<br />
bekannter Fußballer<br />
UM 1914 dürfte dieses<br />
Foto entstanden sein. Der<br />
kleine „Soldat“ ist Erwin<br />
Ude (1909 - 2007) aus<br />
Winterhude, der später<br />
ein bekannter <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong><br />
Fußballer wurde. Daneben<br />
seine Schwester Irmgard<br />
(1905 - 1996). Sie machte<br />
eine Schauspielausbildung<br />
am Schauspielhaus, wurde<br />
später Buchhalterin bei<br />
„Betten Sass“ an der Langen<br />
Reihe (St. Georg).<br />
18
DIE HAMBURGERIN PEGGY<br />
MÜNSTER (Jahrgang 1935) posiert<br />
1955 im weißen Kleid mit einer<br />
Model-Kollegin für die Fotografin<br />
Sonja Georgi. „Es sieht aus wie ein<br />
Hochzeitskleid, war aber als ein<br />
normales Ausgehkleid gedacht“,<br />
sagt Münster. An der Weidestraße<br />
in Barmbek eröffnete Münster<br />
ihr eigenes Geschäft („Peggy-Moden“).<br />
„Die Leute sehnten sich<br />
nach eleganter, klassischer Mode.<br />
Chiffonkleider und Blazer wurden<br />
mir aus den Händen gerissen.<br />
Bald konnte man das Wirtschaftswunder<br />
schon am Aussehen der<br />
Menschen erkennen.“<br />
Wir gehören zu <strong>Hamburg</strong> wie Elbe und Wind,<br />
Tourismus und Gastronomie, Handwerk und Industrie.<br />
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AN EINEM SONNTAGMORGEN<br />
IM JULI 1965 legt ein Fischer mit<br />
seinem Kutter an den Landungsbrücken<br />
an, seine Partnerin<br />
nimmt Beschwerungsgewichte<br />
und frische Ware entgegen.<br />
Damals wird der Fischmarkt<br />
noch direkt von der See beliefert<br />
<strong>–</strong> heute kommen die<br />
Fischlieferungen tiefgefroren<br />
per Flugzeug oder Lkw in den<br />
Hafen. Eingesandt von Carl-<br />
Egon Schaaf.<br />
20
Der Hafen Hier schlägt das Herz der Stadt<br />
Der Hafen<br />
Hier schlägt das<br />
Herz der Stadt<br />
Von reichen Reedern, muskelbepackten Werftarbeitern und weißen Schwänen<br />
Das wirtschaftliche Herz<br />
<strong>Hamburg</strong>s kommt wieder<br />
in Schwung <strong>–</strong> und reißt<br />
die ganze Stadt mit. In den<br />
50er und 60er Jahren erlebt<br />
der Hafen eine der größten Blüten seiner<br />
Geschichte. Paletten revolutionieren den<br />
Güterumschlag, Werften und Reedereien<br />
wachsen <strong>–</strong> und die Arbeiter von der<br />
Waterkant machen <strong>Hamburg</strong> zum Motor<br />
des Wirtschaftswunders.<br />
Die letzten Kriegstrümmer werden<br />
geräumt, der Hafen ist bereit für einen<br />
Neuanfang. Überall im Land wächst der<br />
Bedarf an Importen, im Jahr 1952 wird<br />
mit der Planung für die Elbvertiefung an<br />
der Rhinplate begonnen. Noch ist der<br />
Umschlag im <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Hafen sehr<br />
mühsam: Die Schiffe werden mit konventionellem<br />
Stückgut beladen und gelöscht,<br />
technische Hilfsmittel gibt es kaum. Der<br />
Umschlag hängt von der Muskelkraft der<br />
Arbeiter ab.<br />
Mit dem Eintreffen der ersten Gabelstapler<br />
beginnt im Jahr 1952 der rasante<br />
Boom beim Güterumschlag. Mit<br />
dem aufkommenden Palettensystem<br />
kann bald ein Vielfaches der bisherigen<br />
Mengen umgeschlagen werden. Auch<br />
der Schiffbau entwickelt sich zum Wirtschaftsmotor.<br />
Im Juli 1953 läuft mit der<br />
253 Meter langen „Tina Onassis“ der<br />
weltgrößte Tanker in den Howaldtswerken<br />
vom Stapel <strong>–</strong> ein Großereignis mit<br />
mehr als 100.000 Schaulustigen auf dem<br />
Werftgelände und entlang der Kaimauern.<br />
An den Landungsbrücken hält die Tourismus-Schifffahrt<br />
langsam Einzug: Die<br />
erste „Wappen von <strong>Hamburg</strong>“ fährt die<br />
Gewinner des Wirtschaftswunders ab 1955<br />
für einen Tagesausflug nach Helgoland<br />
und zurück.<br />
Mit dem Aufschwung der Reedereien<br />
beginnt auch die industrielle Seite des<br />
Hafens zu erblühen. Immer dichter reihen<br />
sich die Werfthallen am Elbufer. Die<br />
Deutsche Werft und die Schlieker-Werft<br />
in Finkenwerder, Blohm + Voss und die<br />
benachbarte Stülckenwerft an den Landungsbrücken<br />
beschäftigen zum Ende<br />
der 50er Jahre nach Schätzungen mehr<br />
als 50.000 Menschen. Sie arbeiten regelmäßig<br />
in Doppelschichten, oft 14<br />
Stunden am Stück von sieben Uhr<br />
morgens an.<br />
Die reichen Reeder versorgen<br />
die Werften mit prestigeträchtigen<br />
Projekten. Zu Beginn der<br />
60er Jahre setzt <strong>Hamburg</strong>-Süd<br />
mit dem Bau der „Cap-San-Klasse“<br />
aus den Hallen der Deutschen<br />
Werft ein Ausrufungszeichen. Als letzter<br />
der sechs „Weißen Schwäne des Südatlantiks“<br />
wird die „Cap San Diego“ 1962 zu<br />
Wasser gelassen, ihr Bau hat 16 Millionen<br />
Mark verschlungen. Bis in die 80er Jahre<br />
hinein wird der Stückgutfrachter die Welt<br />
bereisen, ehe er als Museumschiff an den<br />
Landungsbrücken festmacht.<br />
Seit Kriegsende wuchsen die Produktion<br />
und der Umschlag stetig an <strong>–</strong> im<br />
Jahr 1962 zeichnet sich aber bereits das<br />
Ende der goldenen Schiffbauer-Ära in<br />
<strong>Hamburg</strong> ab. Der hemdsärmelige Willy<br />
Schlieker kann die Löhne der Arbeiter in<br />
seiner Werft nicht mehr bezahlen, bettelt<br />
um Geldgeber und eine millionenschwere<br />
Bürgschaft der Stadt. Vergebens: Die<br />
Schlieker-Werft, Musterkind des Wirtschaftswunders<br />
und eine der modernsten<br />
Werften Europas, muss ihre Pforten<br />
schließen.<br />
Die neue Konkurrenz aus Ostasien<br />
setzt die <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Schiffbauer immer<br />
stärker unter Druck. Bis zum Ende des<br />
Jahrzehntes wird es zu massenhaften Fusionen<br />
und Pleiten bei den Werften kommen.<br />
Statt für bessere Arbeitsbedingungen<br />
zu streiten, fürchten die Angestellten<br />
um ihre Existenz.<br />
Die Umbrüche in der Transportwelt<br />
sichern aber auch den Status <strong>Hamburg</strong>s<br />
Die Werfthallen<br />
reihen sich dicht an<br />
dicht am Elbufer<br />
als wichtiger Umschlagplatz. 1964 ist die<br />
fünfte Elbvertiefung abgeschlossen, die<br />
großen Pötte können die Hansestadt problemlos<br />
ansteuern. Die Einführung der<br />
Europalette beschleunigt den Umschlag<br />
im Hafen erneut. Im Zeitalter der Container,<br />
die in den 60ern langsam ihren Siegeszug<br />
beginnen, wird <strong>Hamburg</strong> erneut<br />
zu den großen Gewinnern gehören.<br />
21
AM 10. MAI 1967 wird die Schaartorschleuse<br />
zwischen Baumwall und Rödingsmarkt in Betrieb<br />
genommen. Sie ermöglicht den direkten Schiffsverkehr<br />
zwischen Alster und Elbe. Zuvor hatten<br />
die Dampfer den Umweg durchs Herrengrabenfleet<br />
nehmen müssen. Schaulustige beobachten,<br />
wie die Schiffe in die 44 Meter große Schleusenkammer<br />
steuern. Die MOPO-Fotografin Erika<br />
Krauß hielt den Moment fest.
Der Hafen Hier schlägt das Herz der Stadt<br />
DIE MONTEURE Rudolf Meyer<br />
und Erwin Erichs gönnen sich<br />
eine Zigarettenpause in 76 Metern<br />
Höhe. 1959 lässt die HHLA<br />
die Fliegerwarnleuchten auf<br />
dem 100-Tonnen-Schwimmkram<br />
„HHLA III“ im Kuhwerder Hafen<br />
erneuern. Mehr als ein dünnes<br />
Seil sichert die Männer nicht ab.<br />
Bis heute ist der „HHLA III“ mit<br />
seinem „kleinen Bruder“ „HHLA<br />
IV“ (50 Meter hoch) zur Ladung<br />
von Schwerfrachten im Einsatz.<br />
Das Foto wurde von MOPO-Leser<br />
Rudolf Meyer eingesandt.<br />
23
DIESES BILD ZEIGT DAS WITTENBERGENER FÄHRHAUS in Rissen während der Sturmflut 1976.<br />
„Es gab eine Warnung, da habe ich mir den Fotoapparat geschnappt und bin losgefahren“, sagt<br />
MOPO-Leser Peter Bürvenich, der das Bild einsandte. „Das Fährhaus war zu dieser Zeit bereits geschlossen.<br />
Ich war wohl der Einzige, der dort nasse Füße bekam.“<br />
24<br />
AM 3. JANUAR 1976 schlägt<br />
eine schwere Sturmflut auch am<br />
Fischmarkt in St. Pauli ans Ufer.<br />
„Die Menschen haben gebannt<br />
zugeguckt, wie das Wasser immer<br />
höher stieg“, erinnert sich Hanjo<br />
Herrmann, der mit einer Kamera<br />
vor Ort war. „Sie waren schnell<br />
völlig durchgefroren. Am späten<br />
Vormittag ist der Schuppen neben<br />
dem Restaurant ‚Fischer-Haus‘<br />
zusammengefallen.“ Auch die<br />
Geschäftsräume des Restaurants<br />
wurden überflutet <strong>–</strong> die Substanz<br />
des Altbaus von 1898 hielt der<br />
Flut aber stand. Mit modernisiertem<br />
Obergeschoss hat das „Fischer-Haus“<br />
bis heute geöffnet.
Der Hafen Hier schlägt das Herz der Stadt<br />
„Die Menschen haben gebannt<br />
zugeguckt, wie das Wasser<br />
immer höher stieg“<br />
HANJO HERRMANN fotografierte die Sturmflut 1976<br />
25
Der Hafen Hier schlägt das Herz der Stadt<br />
DIE FOLGEN DES ZWEITEN WELTKRIEGES sind<br />
1958 an den Landungsbrücken noch deutlich<br />
sichtbar. Zwischen den Brücken 2 und 3 prangt<br />
eine Lücke von einem Bombeneinschlag. Das<br />
historische <strong>Teil</strong>stück aus den 1840er Jahren<br />
wird erst 1976 wieder aufgebaut.<br />
IM JAHR 1973 läuft auf der ehemals größten Werft der Welt der letzte Riese vom Stapel. Dieses Bild zeigt den Bau<br />
der „City of Edinburgh“ auf dem Gelände der „Howaldtswerke-Deutsche Werft AG“ in Finkenwerder. Die 1600<br />
Mitarbeiter stellen den 57.000 Bruttoregistertonnen großen Koloss fertig, danach schließt die Werft ihre Pforten.<br />
26
IM KUHWERDER HAFEN geht es im Jahr 1959 betriebsam zu <strong>–</strong> der Güterumschlag floriert, an<br />
der Kaimauer reihen sich die Getreideheber aneinander und fertigen die Stückgutfrachter<br />
ab. Seit 1902 wird das Hafenbecken in Steinwerder für den Warenumschlag genutzt. Im hinteren<br />
Hafenbecken gibt es eine Durchfahrt zum Reiherstieg über die Grevenhofschleuse.<br />
DIE KOHLEN LIEGEN in den 50er Jahren noch auf<br />
Schuten offen auf dem Wasser im Hafen. Dieses Bild<br />
entstand um das Jahr 1955 <strong>–</strong> vermutlich im Hansahafen,<br />
der 1893 eröffnet wurde und heute unter anderem das<br />
Hafenmuseum im „Schuppen 50A“ beherbergt.<br />
27
28<br />
Der Hafen Hier schlägt das Herz der Stadt
WO HEUTE DIE ELBPHILHARMONIE<br />
entsteht, bestimmt auf diesem Foto<br />
noch der 1875 erbaute Turm des<br />
„Kaiserspeichers“ das Hafenpanorama.<br />
Im zweiten Weltkrieg wird<br />
der Kaispeicher A durch Bomben<br />
beschädigt. 1963 wird der Turm<br />
schließlich gesprengt, die Ruinen<br />
abgetragen und der Speicher auf<br />
1111 Betonpfählen neu errichtet.<br />
Sie dienen als Fundament für den<br />
Bau der Elbphilharmonie. Eingesandt<br />
von MOPO-Leser Matthias<br />
Krieghoff.<br />
AN BORD DES KRIEGSSCHIFFS „Tender Rhein“ lassen es Marinematrosen<br />
1962 bei Bier und Gitarre krachen. „Als Funker durften wir keine schwere<br />
körperliche Arbeit verrichten. Also haben wir es uns gut gehen lassen, während<br />
alle anderen draußen gepinselt haben“, erinnert sich Einsender Bernd<br />
Gehrke, auf dem Bild mit Gitarre zu sehen.<br />
DIE „TENDER RHEIN A-58“ im Trockendock der Schlieker-Werft. Im April<br />
1962 läuft das Versorgungsschiff der Marine in Steinwerder vom Stapel und<br />
bricht mit 120 Besatzungsmitgliedern zur Jungfernfahrt nach Kiel auf.<br />
DER INZWISCHEN<br />
VERSTORBENE Heido Buddike<br />
ist 1962 der Kapitän<br />
der „Tender Rhein“. „Er<br />
hat sehr streng auf Disziplin<br />
geachtet“, erzählt der<br />
damalige Matrose und<br />
Einsender Bernd Gehrke.<br />
„Im ersten Jahr gab es<br />
mehr als 100 Verweise,<br />
viele sind nie über<br />
den Rang eines Gefreiten<br />
hinausgekommen.“ 29
VOM GELERNTEN ELEKTRO-<br />
MECHANIKER bringt es<br />
Manfred Weißleder zu einem<br />
der mächtigsten Männer auf<br />
dem Kiez. Mit dem „Star-Club“<br />
eröffnet er 1962 den größten<br />
Rockclub der Stadt. Auf diesem<br />
Bild gibt Weißleder einer<br />
Kellnerin in dem Musiktempel<br />
genaue Anweisungen.<br />
Der Kiez<br />
Von schweren Jungs<br />
und leichten Mädchen<br />
Wie die Reeperbahn zur sündigen Meile <strong>Hamburg</strong>s wurde<br />
30
Der Kiez Von schweren Jungs und leichten Mädchen<br />
EIN MUSIK-MYTHOS: 1962<br />
eröffnet der „Star-Club“ an<br />
der Großen Freiheit 39 und<br />
wird schnell zu einer Institution.<br />
Fast alle Weltgrößen der<br />
Beatmusik treten in dem Club<br />
auf. Auf einer Tafel über dem<br />
Eingang sind Stars wie Bill<br />
Haley, die Beatles und Ray<br />
Charles verewigt.<br />
Die Bomben lassen nicht<br />
viel übrig von der sündigsten<br />
Meile der Welt. Nach<br />
Kriegsende im Mai 1945<br />
liegen zwei Drittel der großen<br />
Varieté-Theater auf der Reeperbahn in<br />
Trümmern. Notbeleuchtung flackert über<br />
der Reeperbahn, die britischen Besatzer<br />
verhängen zunächst ein Tanzverbot. Es<br />
ist ein kantiges Gesicht hinter schwarzen<br />
Brillenbügeln, das den Kiez wiederauferstehen<br />
lässt: der spätere „König von St.<br />
Pauli“, Willi Bartels.<br />
„Je mieser die Zeiten, desto vergnügungssüchtiger<br />
die Leute“, pflegt der Unternehmer<br />
zu sagen. Für einen Spottpreis<br />
kauft er Immobilien in ganz St. Pauli,<br />
lässt die zerstörte „Jungmühle“ seines Vaters<br />
ohne Genehmigung wieder herrichten.<br />
In den Seitenstraßen bieten junge<br />
Frauen ihren Körper britischen Soldaten<br />
für ein paar Dutzend Zigaretten feil, auf<br />
dem Spielbudenplatz floriert der größte<br />
Schwarzmarkt der Stadt. Die „Schieber“,<br />
die dort ein Vermögen machen, prassen<br />
abends in den Lokalen und schauen sich<br />
die „Schönheitstänze“ der Kiez-Damen an.<br />
Noch bleiben bei den Tanz-Shows die<br />
Höschen an, die Sitten sind streng. Im<br />
Publikum warten Anfang der 50er Jahre<br />
Ehepaare in feiner Abendgarderobe darauf,<br />
dass als Höhepunkt der Show der<br />
Büstenhalter fällt, und erröten dann gemeinsam.<br />
Etwas deftiger geht es in Willi<br />
Bartels‘ „Hippodrom“ zu: Die Ringkämpfe<br />
im Schlamm werden zu einer echten<br />
Attraktion. Die Gesellschaft gluckst und<br />
johlt, wenn sich die Damen barbusig in<br />
den Glibber schmeißen und sich am Ende<br />
des Kampfes Schlamm unter die Trikots<br />
schmieren. Den edleren Gästen in der<br />
ersten Reihe wird eine Schürze umgebunden,<br />
damit sie nichts von der Sauerei<br />
abbekommen.<br />
Der gebürtige Österreicher Erwin Ros<br />
lässt sich 1954 auf dem Kiez nieder und<br />
bald kennt man den „Reeperbahn-Rubens“<br />
auch weit über St. Pauli hinaus.<br />
Zeitgleich fallen Horden von skandinavischen<br />
Matrosen auf der Reeperbahn<br />
ein. Günstig wie in <strong>Hamburg</strong> haben sie<br />
in der Heimat nie Alkohol bekommen<br />
<strong>–</strong> entsprechend ausschweifend sind die<br />
Nächte. Auf dem Kiez wird Schwedisch<br />
zur zweiten Amtssprache, eine Reihe von<br />
neu eröffneten Bierhäusern trägt dem Ansturm<br />
Rechnung.<br />
➤<br />
31
32<br />
IM JAHR 1973 wird die Große Freiheit von<br />
Autofahrern als Parkplatz benutzt, es ist<br />
auch die goldene Zeit von Sex-Theatern wie<br />
dem „Safari“. Im Hintergrund ragt seit 1971<br />
das 16-geschossige Niebuhr-Hochhaus auf.<br />
Das Haus steht noch heute, Autoverkehr<br />
ist ab 19 Uhr und am Wochenende auf der<br />
Großen Freiheit inzwischen tabu.
Der Kiez Von schweren Jungs und leichten Mädchen<br />
DER REGISSEUR JÜRGEN ROLAND<br />
dreht 1964 auf dem Kiez den<br />
halbdokumentarischen Film<br />
„Polizeirevier Davidswache“ über<br />
48 Stunden im Leben von Polizisten<br />
auf der Reeperbahn <strong>–</strong> und<br />
filmt in einem Kiez-Lokal auch den<br />
„Schönheitstanz“ der Tänzerin<br />
Edith mit gebannten Zuschauern.<br />
Mit den Gästen kommt auch der organisierte<br />
Nepp auf die Reeperbahn. Auf<br />
den Straßen locken die Koberer Ende der<br />
1950er die Vergnügungssüchtigen immer<br />
aggressiver in die Lokale <strong>–</strong> wer die überhöhte<br />
Zeche später nicht zahlen will, bekommt<br />
es mit bezahlten Schlägern zu tun.<br />
Grazien sprechen ahnungslose Männer<br />
gezielt an und führen sie in die dunklen<br />
Wer nicht zahlen<br />
will, bekommt es mit<br />
Schlägern zu tun<br />
Ecken St. Paulis, wo ihnen ihre Wertsachen<br />
abgenommen werden<br />
Das „Faustrecht“ auf St. Pauli wird verkörpert<br />
von Willi Schulz, dem „Paten“.<br />
Wegen seines eitlen Auftretens in gestreiften<br />
Anzügen wird er „Frieda“ genannt. Das<br />
Geschäft mit den Prostituierten ist diskret,<br />
aber bereits reibungslos organisiert: Wer<br />
bei einer Dirne zu Gast ist, steckt das Geld<br />
vorab in einen Wandtresor. So können sich<br />
die Freier bei den Damen auf das Wesentliche<br />
konzentrieren <strong>–</strong> und das Finanzielle<br />
bleibt in der Hand der Zuhälter, die den<br />
Schlüssel zum Tresor besitzen. Immer offener<br />
präsentieren sich die Prostituierten vor<br />
den Stundenhotels.<br />
Die Unterwelt gedeiht, aber<br />
der Ruf der Reeperbahn leidet.<br />
In der Innenstadt warnen die<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> die Touristen vor der<br />
„sündigen Meile“ und ihren Bauernfängern.<br />
Den Bierhäusern und<br />
Show-Theatern bricht das Publikum<br />
aus der Mittelschicht weg. Dafür strömen<br />
Wochenende für Wochenende plötzlich<br />
Halbstarke auf Motorollern nach St.<br />
Pauli: Der Rock 'n' Roll erobert den Kiez.<br />
Im Spätsommer 1960 treten die Beatles<br />
zum ersten Mal im „Indra“ auf die Bühne,<br />
das erwachsene Publikum ist eher entgeistert.<br />
Aber die Gastronomen entdecken die<br />
Jugend für sich: In immer mehr Clubs gibt<br />
es Musikboxen und Bier für eine Mark. Es<br />
ist der Gegenentwurf zu Freddy Quinn,<br />
Hans Albers und den Schlagerstars der<br />
50er Jahre.<br />
Mit der Eröffnung des „Star-Club“ im<br />
April 1962 nimmt die Rock-Revolution<br />
Züge an. „Die Not hat ein Ende! Die Zeit<br />
der Dorfmusik ist vorbei!“, wirbt der Club<br />
zur Eröffnung <strong>–</strong> und hält Wort. Erst spielen<br />
sich die Beatles auf der Bühne zu immer<br />
größerem Ruhm, dann drücken sich<br />
auch die ganz Großen der Szene auf dem<br />
Kiez die Klinke in die Hand.<br />
Es ist gerammelt voll, wenn Chubby<br />
Checker, Bill Haley und sogar Ray Charles<br />
die Bühne im „Star-Club“ betreten. Die<br />
Gagen der Musiker bezahlt der Besitzer<br />
Manfred Weißleder mit den Einnahmen<br />
aus seinen Sexschuppen, die er überall<br />
auf dem Kiez eröffnet hat. Auch im ➤<br />
33
IN LOKALEN WIE DEM „LIDO“ an<br />
der Großen Freiheit trifft sich die<br />
Wirtschaftswunder-Gesellschaft zum<br />
Feiern. „Es gab die ersten Modenschauen,<br />
eine tolle Zeit. Ganz herausgeputzt<br />
sind wir danach noch nach<br />
St. Pauli, um in feiner Atmosphäre<br />
etwas zu trinken“, sagt Einsenderin<br />
Peggy Münster, auf diesem Bild von<br />
1959 links am Tisch abgelichtet.<br />
Ab den 60ern<br />
fallen beim Striptease<br />
alle Hüllen<br />
Club selbst geht es ruppig zu: Immer wieder<br />
kommt es zu Schlägereien. Mit dem<br />
Slogan „Bier oder Cola oder raus“ machen<br />
die Angestellten Gästen, die nicht genug<br />
Geld im „Star-Club“ lassen, klar, dass sie<br />
unerwünscht sind.<br />
Es ist auch die Zeit der Sittenwächter,<br />
die im Namen der Wirtschaftswunder-Gesellschaft<br />
dem Treiben auf St. Pauli ein<br />
Ende bereiten wollen. Nach 16 Schlägereien<br />
wird im Juni 1964 dem „Star-Club“ die<br />
Konzession entzogen. Doch die Halbstarken<br />
demonstrieren mit der Parole „Star-<br />
Club auf!“ entlang der Großen Freiheit<br />
<strong>–</strong> zwei Tage später eröffnet der „Star-Club“<br />
mit einem Strohmann als Lizenzträger<br />
neu.<br />
Die Unterwelt von St. Pauli findet immer<br />
neue Kniffe, um die Stadt auszutricksen.<br />
Mit dem „Safari“ (benannt nach dem<br />
Lied „Heiha Safari“) eröffnet Hans-Henning<br />
Schneidereit einen der schärfsten<br />
Läden auf St. Pauli <strong>–</strong> sogar zu Sex auf der<br />
Bühne soll es 1964 gekommen sein. Aber<br />
der ehemalige Schiffskapitän ist clever<br />
genug, sich nicht erwischen zu<br />
lassen: Das Programm wechselt<br />
schnell, meist können die Polizisten<br />
nur zu aufreizende Werbung<br />
bemängeln. Abgesehen<br />
von ein paar Bußgeldern kommt<br />
Schneidereit ungeschoren davon<br />
<strong>–</strong> und besitzt mit den Einnahmen<br />
aus dem „Safari“ bald die Mittel, um<br />
das Sex-Geschäft in der Großen Freiheit<br />
allein zu kontrollieren.<br />
Die wilde Seite von St. Pauli hat sich<br />
durchgesetzt. Der „Pate“ Wilfried Schulz<br />
verteidigt sein Revier, Mitte der 60er fallen<br />
beim Striptease längst alle Hüllen.<br />
Selbst der Senat erkennt den Kiez als<br />
sündiges Zentrum der Stadt an <strong>–</strong> und<br />
treibt die Planung für ein Mega-Bordell<br />
voran. Wenn sich die Prostitution schon<br />
nicht wirksam verbieten lässt, so sollen<br />
die leichten Damen zumindest weg von<br />
den Straßen. Passend zum 23-stöckigen<br />
Hochhaus, das die Iduna-Versicherung<br />
am Nobistor errichten lässt, soll der gesamte<br />
Kiez moderner werden.<br />
Kiez-König Willi Bartels soll das neue<br />
Rotlicht-Zentrum realisieren, er besitzt<br />
die passenden Grundstücke. 4,7 Millionen<br />
Mark kostet der Bau, es gibt Platz<br />
für fast 140 Prostituierte, erstmalig Alarmknöpfe<br />
gegen aufdringliche Freier <strong>–</strong> und<br />
die typischen Pin-up-Bilder von Erwin<br />
Ross als Fassadendeko. Den Namen erfindet<br />
der Legende nach Bartels' Ehefrau<br />
Gisela, nachdem sie ihrem Mann schon<br />
mit Scheidung drohte: Das Eros-Center.<br />
34
Der Kiez Von schweren Jungs und leichten Mädchen<br />
IM JAHR 1961 ist St. Pauli<br />
bereits mit Striptease-Bars<br />
wie dem „Casanova“ an der<br />
Reeperbahn 136 gepflastert,<br />
die Koberer bestimmen das<br />
Straßenbild. Aber auch der<br />
Nepp breitet sich aus: Im<br />
„Casanova“ sollen zwei Matrosen<br />
für ein paar Runden<br />
Schnaps 724 Mark bezahlen.<br />
Um den Ruf der Meile besorgt,<br />
gründen Kiez-Gastronomen<br />
wenig später das „Ehrengericht“<br />
für faire Preise.<br />
35
DIE STRIPPERIN „DIANA“ bereitet sich 1967 in der Garderobe des „Soho“<br />
auf der Reeperbahn auf ihren Auftritt vor. Die Sittenwächter geraten auf St.<br />
Pauli immer mehr ins Hintertreffen, bei den Tanz-Shows fallen längst auch<br />
die Höschen.<br />
DIE LEIHHÄUSER haben zu Beginn der 60er Jahre Hochkonjunktur, Glücksritter<br />
bringen ihr Hab und Gut auch zu dem Pfandleiher Pünjer auf der<br />
Reeperbahn. Die Zinssätze für die Verleihung werden verbindlich festgeschrieben,<br />
damit der Wucher bei einigen Leihern ein Ende hat.<br />
UMSTÄNDLICHER NAME<br />
für eine klare Angelegenheit:<br />
Im „Versuchsschuppen“<br />
auf der Reeperbahn<br />
ist 1962 die „Haiti-Hafen-<br />
Bar“ mit Strip-Shows und<br />
eindeutiger Werbung<br />
untergebracht.<br />
36
Der Kiez Von schweren Jungs und leichten Mädchen<br />
DIE VIER BEATLES John Lennon, Ringo Starr, Paul McCartney und George Harrison spielen<br />
sich im „Star-Club“ zu Beginn der 60er Jahre zu immer größerem Ruhm. Betreiber Manfred<br />
Weißleder hatte sie nach ersten Auftritten im „Indra“ abgeworben. Wenn die vier Briten<br />
nicht spielen, ziehen sie mit Groupies über die Reeperbahn.<br />
IM JAHR 1968 ist die Kiez-Filiale der <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong><br />
Sparkasse bereits am heutigen Standort an der Ecke<br />
Reeperbahn/Hein-Hoyer-Straße untergebracht.<br />
EIN WANDTRESOR dient in den 60er<br />
Jahren zur Bezahlung bei vielen Prostituierten.<br />
Die Freier stecken das Geld vorab<br />
einfach durch den Schlitz. Das System ist<br />
diskret <strong>–</strong> und praktisch für die Zuhälter, die<br />
den Schlüssel für die Tresore besitzen.<br />
37
UM 1900 dürfte dieses Foto der Speicherstadt<br />
entstanden sein. Zu sehen<br />
ist die Kreuzung Kannengießerort/<br />
Pickhuben. Pferdefuhrwerke sind<br />
damals noch das wichtigste Verkehrsmittel.<br />
Im Hintergrund steht der noch<br />
unversehrte Turm der Nikolaikirche<br />
(l.). Die 1874 fertiggestellte Kirche<br />
war mit ihrem 147 Meter hohen<br />
Turm damals das höchste Gebäude<br />
der Welt. Nach dem 279 Meter hohen<br />
Fernsehturm ist sie heute immer noch<br />
das zweithöchste Gebäude <strong>Hamburg</strong>s.<br />
Rechts ist die Katharinenkirche<br />
mit ihrem „nur“ knapp 117 Meter<br />
hohen Turm zu sehen.<br />
38
Die Innenstadt Vom Schmuddelkind zur Prinzessin<br />
Die Innenstadt<br />
Vom Schmuddelkind<br />
zur Prinzessin<br />
Nach dem Großen Brand entstehen die Prachtbauten<br />
Enge Gassen, verwunschene<br />
Plätze und Fachwerkhäuser<br />
dicht an dicht: Das war die<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Innenstadt bis<br />
1842. Dann kam der Große<br />
Brand und der Wiederaufbau wurde zur<br />
radikalen Modernisierung der inneren<br />
Stadt genutzt. Geniale Bauwerke wie die<br />
Alsterarkaden von Alexis de Chateauneuf<br />
prägen bis heute die City.<br />
1700 Häuser in 41 Straßen wurden ein<br />
Raub der Flammen. Das Rathaus und<br />
zwei Hauptkirchen vernichtet. Der Große<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Brand hatte ein Viertel der<br />
Stadt zerstört. Vor allem die City war betroffen.<br />
Unmittelbar nach dem Brand begann<br />
der Wiederaufbau. Radikal war der<br />
Umbau rund um die heutige Kleine Alster.<br />
Mit den Alsterarkaden entstand dort ein<br />
ganz neues Zentrum. Zwei Fleete<br />
wurden zugeschüttet, sogar der<br />
Abfluss der Alster zur Elbe wurde<br />
verlegt. Außerdem entstand der<br />
Platz, auf dem 1897 das Rathaus<br />
errichtet wurde.<br />
Beim Stil der Neubauten guckte<br />
man in Italien ab. Die Alsterarkaden<br />
und die Alte Post an der Poststraße<br />
sind schöne Beispiele für die italienisch<br />
inspirierte „Nachbrand-Architektur“.<br />
Auch die Südseite des Jungfernstiegs<br />
wurde neu bebaut. Schon 1843 war die<br />
erste Große Einkaufspassage <strong>Hamburg</strong>,<br />
„Sillems Basar“, fertig.<br />
Der nächste große Einschnitt bei der<br />
Gestaltung der Innenstadt begann 1892.<br />
Nach der verheerenden Cholera-Epidemie<br />
entschloss sich Bürgermeister Johann<br />
Georg Mönckeberg (1839-1908), das Gängeviertel<br />
in der östlichen Altstadt abzureißen.<br />
Die verbliebenen alten Häuschen,<br />
in denen vor allem Arbeiter lebten galten<br />
als Brutstätte der Krankheit, die in der<br />
Hansestadt 8605 Tote forderte. Hunderte<br />
Gebäude wurden plattgemacht und<br />
1909 wurde auf dem Areal die nach Bürgermeister<br />
Mönckeberg benannte Mönckebergstraße<br />
eingeweiht. Es entstanden<br />
großzügige Bauten, Kontorhäuser und<br />
Kaufhäuser. Die oft prächtigen, reich<br />
verzierten Fassaden prägten das Bild der<br />
30 Meter breiten Straße. Ganz unhanseatisch<br />
zeigte man hier mal, wer man war<br />
und was man hatte. Bereits 1906 war der<br />
Hauptbahnhof eingeweiht worden.<br />
Auch die Nordseite der Steinstraße<br />
wurde neu geplant. Hier entstand unter<br />
anderem die Karstadt-Hauptverwaltung <strong>–</strong><br />
das heutige Finanzamt.<br />
Rund um die<br />
Kleine Alster wurde<br />
radikal umgebaut<br />
1920 kam es schließlich mit dem Bau<br />
des Kontorhausviertels und des weltberühmten<br />
Chile-Hauses zur vorerst letzten<br />
einschneidenden Umbaumaßnahme<br />
der City.<br />
Der Zweite Weltkrieg hat die Innenstadt<br />
hart getroffen, doch im Gegensatz zu den<br />
Innenstädten von Köln oder Dortmund<br />
blieb viel erhalten oder wurde einfach<br />
im alten Stil wiederaufgebaut. Nach dem<br />
Krieg wurde die Spitalerstraße zur Fußgängerzone.<br />
Es kam außerdem zu Umgestaltungen<br />
von Mö und Jungfernstieg.<br />
39
40<br />
1897 entstand dieses Foto<br />
des Kaiser-Karl-Brunnens am<br />
Alten Fischmarkt. Das verspielte<br />
Brunnen-Bauwerk<br />
wurde im Zweiten Weltkrieg<br />
zerstört. Die Straßenbahn in<br />
der Schmiedestraße kommt<br />
aus Richtung Petrikirche, von<br />
der im Hintergrund ein <strong>Teil</strong> zu<br />
sehen ist. Das Gebäude rechts<br />
ist die 1529 gegründete Gelehrtenschule<br />
Johanneum. Es<br />
wurde ebenfalls 1943 zerstört.
Die Innenstadt Vom Schmuddelkind zur Prinzessin<br />
UM 1900 dürfte dieses undatierte<br />
Foto entstanden<br />
sein. Es zeigt das ehemalige<br />
Gängeviertel rund um den<br />
Großneumarkt. Seit dem 17.<br />
Jahrhundert wurde vor allem<br />
in der Neustadt immer enger<br />
gebaut. Es enstanden Labyrinthe<br />
aus Gassen und Höfen,<br />
die meist nur von Fußgängern<br />
benutzt werden konnten. Mit<br />
Wex- und Kaiser-Wilhelmstraße<br />
wurden ab 1867 große<br />
Schneisen in das Viertel geschlagen.<br />
Da die Bewohner vor<br />
allem „rote“ Arbeiter waren,<br />
rissen die Nazis bis 1938 fast<br />
alle Häuser ab.<br />
41
Die Innenstadt Vom Schmuddelkind zur Prinzessin<br />
1956 schoss MOPO-Leser Walter<br />
Schwertz (76) dieses tolle Foto<br />
auf dem Rathausmarkt. Der<br />
junge Metallbauer aus St. Pauli<br />
hatte sich gerade eine Voigtländer-Kamera<br />
(Typ Vito B) gekauft<br />
und knipste ein paar Tage lang<br />
in <strong>Hamburg</strong> alles, was ihm vor<br />
die Linse kam. Im Hintergrund<br />
ist am Haus ein Schriftzug „Kaufhalle“<br />
zu sehen. Davor sind die<br />
in den 50er Jahren gebauten<br />
und 1982 abgerissenen ovalen<br />
Imbiss-Bauten zu sehen.<br />
42
„AALE AALE“ war bis in die 70er Jahre in der <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Innenstadt ein vertrauter Anblick. Das<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Original, das eigentlich Karl-Wilhelm Schreiber hieß, zog mit einem Kinderwagen durch<br />
die Straßen und bot Aale an. Die Aaale sollen ausgezeichnet gewesen sein, auch wenn „Aale Aale“<br />
sie selbst niemals aß. Besonderes Erkennungszeichen Schreibers war die Melone, die er stets trug.<br />
An manchen Tagen schmückte er den Hut sogar mit frischen Blumen. Hochbetagt soll „Aale Aale“<br />
angeblich 1980 gestorben sein. Genaueres ist nicht bekannt.<br />
1962 entstand dieses<br />
Foto der Ecke Mönckebergstraße/Spitalerstraße.<br />
Die Spitalerstraße<br />
zweigt links ab<br />
und war damals noch<br />
keine Fußgängerzone.<br />
Die Mercedes-Taxen<br />
im Vordergrund waren<br />
damals noch alle<br />
schwarz und nicht<br />
beige. Die Bilder hat<br />
Harry Piel (1934-2006)<br />
gemacht. Der Vater<br />
von MOPO-Leser Stefan<br />
Piel war damals<br />
Taxifahrer.<br />
43
Der Krieg Bunker, Bomben und die halbe Stadt in Trümmern<br />
DIE TOTALE ZERSTÖRUNG<br />
weiter <strong>Teil</strong>e <strong>Hamburg</strong>s im Krieg<br />
<strong>–</strong> dieses Foto ist geradezu sinnbildlich<br />
dafür. Aufgenommen<br />
ist das Bild am Jungfernstieg,<br />
und zwar am 18. Juni 1944. Es<br />
zeigt das, was vom Restaurant<br />
Remter übrig ist: nichts als die<br />
Fassade. Insgesamt 213 Luftangriffe<br />
auf <strong>Hamburg</strong> werden<br />
bis Kriegsende tiefe Wunden<br />
hinterlassen. Rund 55000<br />
Menschen sterben. Die Hälfte<br />
des Wohnraums ist vernichtet.<br />
Der Alltag geht trotzdem<br />
irgendwie weiter. Menschen<br />
gehen durch die Trümmerwüste,<br />
schieben ihr Rad, hoffen<br />
darauf, dass bald Frieden ist.<br />
44
Der Krieg<br />
Bunker, Bomben<br />
und die halbe<br />
Stadt in Trümmern<br />
Vom alten <strong>Hamburg</strong> ist nicht mehr viel übrig<br />
45
46<br />
TANTE MOLLY HAT SICH FEIN GEMACHT, trägt<br />
Mantel und Fuchspelz. Gemeinsam mit ihrem<br />
Mann, der auf Heimaturlaub ist, spaziert sie durch<br />
die Stadt, genießt die wenige Zeit mit ihm. Vermutlich<br />
1940 ist dieses Foto entstanden. Der <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong><br />
Harald Wilhelm (84) hat es eingereicht. Es<br />
zeigt seine Cousine und ihren Ehemann. Noch ist<br />
in <strong>Hamburg</strong> von Trümmern kaum eine Spur.
Der Krieg Bunker, Bomben und die halbe Stadt in Trümmern<br />
DIE MÄNNER SIND IM KRIEG, nun werden Frauen<br />
zum Arbeiten zwangsverpflichtet. Gertrud Kalkbrenner<br />
(l., heute 87) muss ab 1943 Kriegshilfsdienst<br />
bei der Straßenbahn verrichten. Das Foto<br />
ist im April 1944 entstanden. Rechts steht Gertrud<br />
Kalkbrenners Kollegin Inge.<br />
AUSGEBOMBT <strong>–</strong> das Schicksal vieler <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong>. An<br />
den zerstörten Häusern hinterlassen die ehemaligen<br />
Bewohner Nachrichten für Angehörige: „Mutter<br />
lebt“. Das Foto entstand 1943 in Hammerbrook.<br />
DIE KLEINE MICHAELISKIRCHE am 11. März<br />
1945: Nur noch eine Ruine. Auf der Straße geschäftiges<br />
Treiben. Keine zwei Monate mehr,<br />
dann ist der Krieg vorbei.<br />
Angst. Jeder hatte Angst. Angst,<br />
einen Witz über Hitler zu<br />
reißen und dann abgeholt<br />
zu werden von der Gestapo.<br />
Angst, dass der Nachbar einen<br />
verpfeift, weil man „Feindsender“ hört.<br />
Angst, dass morgen ein Bote kommt mit<br />
der Meldung, dass der Mann oder der<br />
Sohn an der Front für „Führer, Volk und<br />
Vaterland“ den „Heldentod“ gefunden<br />
hat. Angst, dass man den nächsten Bombenangriff<br />
nicht überlebt.<br />
<strong>Fotos</strong> aus <strong>Hamburg</strong> im Krieg. Sie zeigen<br />
immer wieder eins: Trümmer. Ausgebrannte<br />
Fensterhöhlen. Gebäude, von denen<br />
nur die rußgeschwärzte Fassade steht.<br />
Und durch die Straßen, auf denen sich<br />
der Schutt türmt, schleichen gebeugt und<br />
mit leerem Blick die Menschen, die nun<br />
erkannt haben, wohin das Tausendjährige<br />
Reich Deutschland<br />
führt: in den Untergang. Bald<br />
glauben nur noch die völlig<br />
Verblendeten an den „Endsieg“.<br />
Hermann Göring, der<br />
Reichsluftmarschall, hat in einer<br />
Rundfunkansprache zu Beginn<br />
des Krieges gesagt: „Wenn<br />
auch nur ein feindliches Flugzeug unser<br />
Reichsgebiet überfliegt, will ich Meier heißen!“<br />
Bald wird er hinter vorgehaltener<br />
Hand nur noch „Meier“ genannt, denn<br />
allein <strong>Hamburg</strong> wird bis Kriegsende von<br />
17.000 britischen und amerikanischen<br />
Flugzeugen angegriffen. Sie werfen ihre<br />
todbringende Fracht ab und zerstören<br />
mehr als die Hälfte des Wohnraums.<br />
100.000 Spreng- und 1,6 Millionen Brandbomben<br />
gehen auf die Stadt nieder: Das<br />
alte <strong>Hamburg</strong> gibt es bald nicht mehr.<br />
Die ersten Bomben fallen am 18. Mai<br />
1940. Ziel ist die Werft Blohm + Voss,<br />
aber getroffen wird das sieben Kilometer<br />
entfernte Industriegebiet von Harburg. 34<br />
Menschen überleben den Angriff nicht.<br />
Und von jetzt an gibt es fast jede Nacht<br />
Fliegeralarm. Das Sirenengeheul, das<br />
durch Mark und Bein geht, wird zum<br />
ständigen Wegbegleiter. Genauso wie die<br />
Scheinwerfer, die während der Nacht den<br />
Himmel nach feindlichen Flugzeugen absuchen.<br />
Für die Alliierten ist <strong>Hamburg</strong>, die<br />
zweitgrößte Stadt des Deutschen Reiches,<br />
ein vorrangiges Ziel: Die deutschen<br />
U-Boote, die lange Zeit den Atlantik<br />
unsicher machen, werden auf den Werften<br />
Blohm + Voss, Howaldtswerke und<br />
H. C. Stülcken Sohn gebaut. Mit ihren<br />
Angriffen aus der Luft versuchen Briten<br />
<strong>Hamburg</strong>s Juden<br />
werden deportiert<br />
und umgebracht<br />
und Amerikaner, die Produktion lahmzulegen,<br />
den Nachschub zu unterbrechen.<br />
Das jedoch gelingt zunächst nicht. Weil<br />
die Bomben ihre Ziele meist verfehlen,<br />
schaffen es die <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Rüstungsbetriebe<br />
1941 sogar, ihre Produktion zu versechsfachen.<br />
Fieberhaft lässt Karl Kaufmann,<br />
<strong>Hamburg</strong>s Reichsstatthalter von Hitlers<br />
Gnaden, den Luftschutz ausbauen. Die<br />
Binnenalster wird mit Tarnnetzen überspannt,<br />
um den Piloten die Orientierung<br />
zu erschweren. Das Rathaus bekommt<br />
einen Tarnanstrich. 139 bombensichere<br />
Bunker werden aus dem Boden gestampft,<br />
Luftschutzräume stabilisiert. 80 Flakbatterien<br />
verteidigen die Stadt. Bis heute<br />
weithin sichtbar: die beiden mächtigen<br />
Bunker auf dem Heiligengeistfeld und in<br />
Wilhelmsburg, auf denen damals Flugabwehrgeschütze<br />
montiert waren.<br />
Das alltägliche Leben wird für die<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> immer unerträglicher. Weil<br />
die Männer an der Front sind, müssen<br />
Frauen in den Rüstungsbetrieben<br />
schuften <strong>–</strong> neben Kriegsgefangenen und<br />
KZ-Häftlingen aus Neuengamme. Viele<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Juden werden zur Zwangsarbeit<br />
herangezogen. Doch mit ihnen<br />
haben die Nazis noch viel Schlimmeres<br />
vor: 1941 beginnen die Deportationen<br />
in den Osten. Zu Tausenden pfercht die<br />
SS Männer, Frauen und Kinder ➤<br />
47
in Viehwaggons, transportiert sie nach<br />
Minsk, Riga, Warschau, Theresienstadt<br />
oder nach Auschwitz, wo sie an Hunger<br />
und Entbehrung sterben, erschlagen oder<br />
erschossen werden oder in der Gaskammer<br />
enden.<br />
Dann kommt der 24. Juli 1943. In<br />
<strong>Hamburg</strong> ist es drückend heiß. Schon seit<br />
drei Wochen hat es keinen Fliegeralarm<br />
mehr gegeben. Es scheint, als wollten<br />
die Alliierten die Stadt verschonen. Ein<br />
Irrtum. Die „Operation Gomorrha“ hat<br />
bereits begonnen. Um 23.55 Uhr fliegt<br />
der Bomberverband bei Büsum in den<br />
Unvorstellbares<br />
Verderben bricht über<br />
die Stadt hinein<br />
deutschen Luftraum ein. Die Piloten werfen<br />
Stanniolstreifen in großen Massen ab.<br />
Das stört die Radarortung. Die Flugabwehr<br />
kann nur blind Sperrfeuer schießen.<br />
Die Scheinwerfer tasten ins Leere. Bomben<br />
erschüttern die Innenstadt. Hoheluft,<br />
Eimsbüttel, Altona und die westlichen<br />
Vororte. Die Reeperbahn geht vom Millerntor<br />
bis zur Sophienstraße in Flammen<br />
auf. Die, die das überleben, fürchten, dass<br />
das noch nicht alles ist.<br />
Unvorstellbares Verderben kommt drei<br />
Tage später, in der Nacht vom 27. auf den<br />
28. Juli, über die Stadt. Die Bomber lassen<br />
ihre todbringende Last diesmal über Billbrook,<br />
Rothenburgsort, Hammerbrook,<br />
St. Georg, Wandsbek, Hamm und Barmbek<br />
fallen. Brand- und Phosphorbomben<br />
finden so reichlich Nahrung, dass der britische<br />
Pilot Richard Mayce auf „eine Art<br />
Dantes Inferno“ hinabblickt, „eine weite<br />
Fläche voller Weißglut <strong>–</strong> sogar das Wasser<br />
brannte.“ Der nach oben aufsteigende<br />
Rauch zieht die Luft in den Brandherd<br />
und nährt ihn mit Sauerstoff. Mit 270<br />
Stundenkilometern <strong>–</strong> schneller als ein Orkan<br />
<strong>–</strong> rast der Feuersturm durch die Häuserschluchten.<br />
Bäume werden entwurzelt,<br />
Dächer abgedeckt. Eine sieben Kilometer<br />
hohe schwarze Qualmwolke steht über<br />
der Stadt. Später wird man die Zerstörungen<br />
mit denen in Hiroshima nach dem<br />
Atombombenabwurf vergleichen.<br />
Schon ein halbes Jahr zuvor hat General<br />
Paulus' 6. Armee vor Stalingrad kapituliert.<br />
Der Krieg ist längst entschieden,<br />
aber dennoch werden in den nächsten<br />
Monaten noch weit mehr Menschen an<br />
der Front sterben als in den Jahren zuvor.<br />
Sinnlose Opfer. Immer mehr <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong><br />
Mütter brechen weinend zusammen,<br />
wenn die Nachricht vom Tod ihrer Männer<br />
und Söhne eintrifft. Soldaten auf<br />
Heimaturlaub heiraten noch schnell ihre<br />
Verlobten, denn wer weiß, wie lange sie<br />
noch leben. Zu Hause berichten sie von<br />
dem aussichtslosen Kampf. Viele kehren<br />
nur noch an die Front zurück, weil<br />
sie wissen, was ihnen blüht, wenn sie es<br />
nicht tun: In den letzten Kriegsmonaten<br />
nehmen auf dem Truppenübungsplatz<br />
Höltigbaum im Norden der Stadt Woche<br />
für Woche Exekutionskommandos<br />
Aufstellung, um<br />
Fahnenflüchtige zu erschießen.<br />
„Legt an! Feuer!“ Die<br />
letzten Todesurteile werden<br />
vier Tage vor Ankunft britischer<br />
Truppen vollstreckt.<br />
Hitlers Befehl ist eindeutig:<br />
Kampf bis zum letzten<br />
Mann. Er erklärt <strong>Hamburg</strong> zur „Festung“.<br />
20.000 reguläre Soldaten von Wehrmacht,<br />
Marine und Waffen-SS sowie 12.000<br />
Männer des „Volkssturms“, Kinder und<br />
Greise, sollen die Stadt um jeden Preis<br />
halten. Aussichtslos. Ein Wahnsinn. Das<br />
erkennen auch General Alwin Wolz,<br />
<strong>Hamburg</strong>s Kampfkommandant, und<br />
Reichsstatthalter Karl Kaufmann. Drei<br />
Unterhändler werden in die britischen<br />
Linien geschickt, um die Kapitulation<br />
auszuhandeln. Als am 3. Mai 1945 gegen<br />
18 Uhr die 7. britische Panzerdivision die<br />
Elbbrücken überquert, fällt kein Schuss.<br />
Die Angst ist vorbei. Es ist Frieden. Viele<br />
Kinder erleben das zum ersten Mal.<br />
Aber die Bilanz des Krieges ist furchtbar:<br />
Bis zu 55.000 Einwohner sind bei<br />
den Luftangriffen ums Leben gekommen.<br />
68.000 <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> fielen an der<br />
Front. 51.000 Kinder stehen ohne Eltern<br />
da. 7812 <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Juden und 1417 politisch<br />
Andersdenkende wurden ermordet.<br />
Und die halbe Stadt liegt in Trümmern.<br />
URSULA DIERKS, eine Kindergärtnerin<br />
aus Eppendorf, heiratet<br />
1944 ihren Geliebten, den<br />
Unteroffizier Bräuer. Das Bild<br />
stammt aus dem Bilderalbum von<br />
Ralf Schwarten (72), der jetzt in<br />
Ahrensburg lebt. „Tante Uschi<br />
war meine Erzieherin“, erzählt<br />
er. „Der Junge im Vordergrund<br />
bin ich. Ich durfte damals Blumen<br />
für das Brautpaar streuen.“<br />
EIN UNBEKANNTER SOLDAT auf Urlaub von der<br />
Front: Erinnerungsfoto an der Alster. Das Bild muss<br />
in den ersten Kriegsjahren entstanden sein. Noch<br />
haben die alliierten Luftangriffe keine nennenswerten<br />
Schäden angerichtet. Ob dieser Mann den<br />
Krieg überstanden hat? Oder ist er für „Führer,<br />
Volk und Vaterland“ gestorben?<br />
48
Der Krieg Bunker, Bomben und die halbe Stadt in Trümmern<br />
EINE SCHNEISE DER<br />
VERWÜSTUNG mitten durch<br />
die City: Dieses Foto, das<br />
am 20. März 1945 aufgenommen<br />
wurde, zeigt den<br />
Gerhart-Hauptmann-Platz.<br />
Im Hintergrund das offenbar<br />
weitgehend unbeschädigte<br />
Thalia-Theater. Vor einem<br />
Bombentrichter versammeln<br />
sich zahlreiche Menschen.<br />
Ein Volltreffer hat ein ganzes<br />
Haus zum Einsturz gebracht.<br />
Wie viele Tote mögen unter<br />
den Trümmern liegen?<br />
49
50<br />
MARKTHÄNDLER UND HELFER<br />
posieren für ein Foto. Diese<br />
Aufnahme entstand um das<br />
Jahr 1930, wahrscheinlich auf<br />
dem Gelände des ehemaligen<br />
Großmarktes an den Deichtorhallen,<br />
die heute Foto- und<br />
Kunstausstellungen beherbergen.<br />
„Mein Großvater hat auf<br />
dem Markt seinen Lebensunterhalt<br />
verdient“, sagt Einsenderin<br />
Sabine Heins. „Leider hat<br />
er den Zweiten Weltkrieg nicht<br />
überlebt.“
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Berufe So arbeiteten unsere Großväter<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Berufe<br />
So arbeiteten<br />
unsere Großväter<br />
Die Jobs verändern sich so schnell wie die Stadt<br />
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
werden die Voraussetzungen<br />
für den großen<br />
Aufschwung geschaffen. 1881<br />
steht in <strong>Hamburg</strong> das erste<br />
Telefonnetz, ein Jahr später brennt das<br />
erste elektrische Licht. Im Jahre 1888<br />
ist die Speicherstadt fertiggestellt. Es<br />
beginnt ein rasanter Wandel der Arbeit<br />
in <strong>Hamburg</strong> <strong>–</strong> zu einer modernen Mischung<br />
aus harter körperlicher Arbeit<br />
und kluger Dienstleistung.<br />
Die Dampfschifffahrt bringt <strong>Hamburg</strong><br />
bis zum Ersten Weltkrieg einen<br />
Aufschwung in Industrie und Hafen.<br />
Auch der Handel floriert. Ab 1914 werden<br />
auf dem Großmarkt an den neu gebauten<br />
Deichtorhallen Waren feilgeboten.<br />
<strong>Hamburg</strong>s Straßenbild wird bis in<br />
die 1920er Jahre von Pferden<br />
bestimmt. In äußeren Stadtteilen<br />
wie Jenfeld besteht die<br />
Landwirtschaft noch als bedeutendes<br />
Berufsfeld.<br />
Der Stadtkern entwickelt<br />
aber bereits seine Sogwirkung<br />
für Arbeiter <strong>–</strong> Wohnsiedlungen<br />
wie die in den 1920ern erbaute Jarrestadt<br />
in Winterhude nahe den damaligen<br />
Fabriken von „ Nagel & Kaemp“<br />
und „Heidenreich & Harbeck“ zeugen<br />
noch heute davon. Industriebetriebe<br />
haben sich insbesondere in den späteren<br />
Bezirken Altona und Wandsbek<br />
niedergelassen.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg bringen<br />
auch Handel und Dienstleistung die<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> wieder in Lohn und Brot.<br />
1949 gründet Werner Otto in <strong>Hamburg</strong>-Schnelsen<br />
seinen Versandhandel,<br />
Harte körperliche<br />
Arbeit und kluge<br />
Dienstleistungen<br />
der die blühende Nachkriegsgesellschaft<br />
mit Waren versorgt <strong>–</strong> und schon Mitte<br />
der 50er mehr als 800 Mitarbeiter in<br />
<strong>Hamburg</strong> zählt. Große Genossenschaften<br />
wie die Butter- und Eierzentrale<br />
Nordmark wählen <strong>Hamburg</strong> als Standort<br />
für ihre Büros, mit den Zentralredaktionen<br />
„Spiegel“ und „Zeit“ wird <strong>Hamburg</strong><br />
zur Medienhauptstadt des Landes.<br />
Im Wirtschaftswunder-<strong>Hamburg</strong><br />
finden Männer Anstellung in der wachsenden<br />
Verwaltung <strong>–</strong> und junge Frauen<br />
als „Liftboy“ in Nobel-Kaufhäusern, wie<br />
die Bilder in diesem Kapitel zeigen. Der<br />
durchschnittliche Bruttolohn eines Arbeitnehmers<br />
verdoppelte sich bis zum<br />
Ende der 60er Jahre laut Statistischem<br />
Bundesamt auf 1290 Mark. Noch wird<br />
der Lohn oft bar ausgezahlt, das Girokonto<br />
ist noch nicht flächendeckend<br />
verbreitet. Ab 1972 gibt es mit der Vereinigung<br />
aus „<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Sparkasse“<br />
und der „Neuen Sparcasse“ wieder eine<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Großbank, bei der die <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong><br />
ihren Lohn deponieren können.<br />
51
MITARBEITER DER BUTTER- UND EIERZENTRALE<br />
NORDMARK (BEZ) staunen über ein neues Motorrad,<br />
vermutlich entstand das Bild am Neuen Pferdemarkt<br />
in St. Pauli. Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
kontrolliert die genossenschaftliche BEZ mit Sitz<br />
in <strong>Hamburg</strong> den Großteil der Molkereien in Norddeutschland<br />
<strong>–</strong> und hat großen Einfluss auf die Butterpreise.<br />
Eingesandt von Marlies Meyer.<br />
BEIM BESUCH VON<br />
QUEEN ELIZABETH II.<br />
im Jahr 1965 wird der<br />
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Polizist<br />
Charley Schwarten<br />
(rechts neben der<br />
Königin) ihrer Leibgarde<br />
als Dolmetscher<br />
zugeteilt. „Aus der<br />
Begegnung mit dem<br />
Chief der Bobbys, Ron<br />
Jeffrey, wuchs eine<br />
jahrelange Freundschaft“,<br />
schreibt sein<br />
Sohn Ralf Schwarten,<br />
der dieses Foto eingesandt<br />
hat.
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Berufe So arbeiteten unsere Großväter<br />
IM JAHR 1953 sind die Banken in<br />
<strong>Hamburg</strong> noch kaum gegen Überfälle<br />
gesichert. Die Angestellten<br />
an der Kasse sind nur durch einige<br />
Gitterstangen an ihrem Schalter<br />
von den Kunden getrennt wie auf<br />
diesem Bild von einer Haspa-Filiale in<br />
Bergedorf zu sehen. Erst in den späten<br />
60er und 70er Jahren häufen sich<br />
die Fälle von Bankraub.<br />
53
JUGENDLICHE VERLADEN Anfang<br />
des 20. Jahrhunderts auf dem<br />
„Holstenhof“ in Jenfeld Stroh<br />
auf einen Ochsenkarren. Die Diakonie-Stiftung<br />
„Rauhes Haus“<br />
kaufte 1906 das Gelände und baute<br />
auf dem „Holstenhof“ einen<br />
landwirtschaftlichen Betrieb auf.<br />
Später wurde von der Stadt ein<br />
Altenheim auf dem Hof errichtet.<br />
DER KAUFMANN HERMANN AHLERS steht stolz vor seinem Gemischtwarengeschäft in Barmbek, die<br />
Aufnahme entstand um 1920. Mit seiner Frau Helene betreibt er den Laden etwa 10 Jahre. „Mit dem<br />
verdienten Geld kaufte er sich 1930 einen Bauernhof und überstand den Krieg später ohne Hunger“,<br />
schreibt sein Enkel Henning Kruse. „Das Gebäude mit dem Ladengeschäft wurde ausgebombt.“<br />
DIESE AUFNAHME ZEIGT<br />
ANGESTELLTE der Firma<br />
„Heidenreich & Harbeck“ in<br />
Barmbek im Jahr 1954. Die<br />
Gießerei und Maschinenfabrik<br />
produzierte ab 1868 am Rande<br />
der östlichen Jarrestadt, heute<br />
hat das Unternehmen seinen<br />
Sitz in Mölln. Einsender Walter<br />
Schwertz (76) ist auf den Boden<br />
blickend in der Mitte zu sehen.<br />
54
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Berufe So arbeiteten unsere Großväter<br />
Heuernte in Jenfeld:<br />
Harte Arbeit statt<br />
Vorstadt-Idylle<br />
55
EINE „ROLLENDE FILIALE“ der „Neuen Sparcasse“<br />
fährt 1962 durch Horn. Mit Bussen geben<br />
die Banken in den 50er und 60er Jahren<br />
den Bewohnern in den äußeren Stadtteilen<br />
die Möglichkeit, ihre Bankgeschäfte abzuwickeln.<br />
1972 fusioniert die „Neue Sparcasse“<br />
mit der „<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Sparkasse“.<br />
DIE MOBILE FUNKZENTRALE der <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Polizei bei einem Einsatz an der Binnenalster zu Beginn der 50er Jahre.<br />
„Mein Vater Paul Schielke war Nachrichtenchef und hat die Funkkompanie mit großem Einsatz geleitet“, sagt Einsenderin<br />
Ingrid Parchent. Schielke ist am Einstieg des Einsatzwagens am unteren rechten Bildrand zu sehen.<br />
56
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Berufe So arbeiteten unsere Großväter<br />
BEWOHNER DES ALTENHEIMS auf dem „Holstenhof“ im Jahr 1949. Mit Nahrung aus der Landwirtschaft vom eigenen<br />
Hof versorgen sich die Senioren selbst <strong>–</strong> auf diesem Bild sind sie dabei zu sehen, wie sie dicke Bohnen für das<br />
Abendessen palen. Heute steht auf dem Gelände eine moderne Seniorenresidenz von „Pflegen + Wohnen“.<br />
SCHON VOR DEM ZWEITEN WELT-<br />
KRIEG hatte der <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Georg<br />
Jung ein Fuhrunternehmen <strong>–</strong> nach<br />
dem Krieg sind nur vier Lkws übrig.<br />
Auf diesem Bild sind drei der Lastwagen<br />
1945 an der Rothenbaumchaussee<br />
zu sehen. „Mein Großvater und seine<br />
Männer haben in der wirren Nachkriegszeit<br />
einfach alles transportiert.<br />
In den 50ern kam dann aber die Insolvenz“,<br />
sagt MOPO-Leser Rolf Jung, der<br />
dieses Bild eingesandt hat.<br />
57
<strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Berufe So arbeiteten unsere Großväter<br />
EIN MOMENT DER RUHE:<br />
Dieses Bild von 1968 zeigt Hafenarbeiter<br />
auf einer Treppe<br />
nahe dem Altonaer Fischmarkt.<br />
„Die Hafenarbeiter haben dort<br />
wohl gerade Mittagspause<br />
gemacht und sich eine Pfeife<br />
gegönnt. Ich fand‘ das so idyllisch,<br />
dass ich mit der Kamera<br />
sofort abgedrückt habe“, sagt<br />
Einsender Uwe Matthiesen.<br />
58
IM JAHR 1948 arbeiten<br />
drei „Liftboy-Mädchen“<br />
im Alsterhaus am Jungfernstieg,<br />
bedienen die<br />
Fahrstuhlknöpfe und<br />
begleiten die Besucher<br />
in die richtige Etage.<br />
„Mit einer Kollegin<br />
von damals ist meine<br />
Mutter bis heute gut<br />
befreundet“, schreibt<br />
Vera Lorandt, Tochter<br />
des Liftboy-Mädchens<br />
auf diesen Bildern.<br />
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Der Verkehr Als <strong>Hamburg</strong> fahren lernte<br />
UM 1956 kam es auf der<br />
Kreuzung Sievekingsallee /<br />
Caspar-Voght-Straße in Hamm<br />
zu diesem kuriosen Unfall. Der<br />
Bus stand auf den Schienen<br />
und der Straßenbahnfahrer<br />
der Linie 2 sah ihn zu spät.<br />
Er klingelte wie wild, doch<br />
konnte er die Bahn nicht mehr<br />
rechtzeitig stoppen. Verletzt<br />
wurde niemand. Das Interesse<br />
der Anwohner an diesem Unfall<br />
war offenbar groß.<br />
Der Verkehr<br />
Als <strong>Hamburg</strong><br />
fahren lernte<br />
Nach dem Krieg soll die Stadt autogerecht werden<br />
Vor dem Zweiten Weltkrieg waren<br />
Autos in <strong>Hamburg</strong> eher<br />
selten. Doch nach 1945 setzte<br />
die Massen-Motorisierung ein.<br />
Mit teils dramatischen Folgen.<br />
1946 starben in der Hansestadt 67 Kinder<br />
im Straßenverkehr.<br />
Vom Fahrrad zum Motorrad zum Auto<br />
<strong>–</strong> so lief das in der Wirtschaftswunderzeit.<br />
Und jeder träumte davon, möglichst bald<br />
die motorisierte Endstufe, nämlich das<br />
Auto, zu erreichen. War das Kraftfahrzeug<br />
vor dem Krieg noch eher was für<br />
die „höheren“ Schichten, wurde es nach<br />
1945 immer mehr zum Allgemeingut.<br />
1954 gab es schon ab 3950 Mark (1975<br />
Euro) den 30-PS-Standard VW Käfer<br />
zu kaufen. Rund 3000 Mark kostete der<br />
„Leukoplastbomber“, ein Mini-Auto von<br />
Lloyd. Das war zu schaffen, auch wenn<br />
ein Arbeiter damals oft nur 500 Mark im<br />
Monat verdiente.<br />
60
1965 entstand dieses Foto<br />
an der Hoheluftbrücke. Der<br />
Verkehr staut sich bis weit<br />
in den Grindelberg hinein.<br />
Warum ist unbekannt. Polizisten<br />
regeln den Verkehr. Im<br />
Vordergrund drei Auto-Ikonen<br />
der Nachkriegszeit: Der<br />
„Ponton“-Mercedes <strong>–</strong> damals<br />
das Standard-Taximodell. Der<br />
VW-Käfer und dahinter eine<br />
„Heckflosse“ von Mercedes <strong>–</strong><br />
der Vorläufer der S-Klasse.<br />
Des Deutschen liebstes Kind, das Auto,<br />
eroberte <strong>Hamburg</strong>. Die vielen Verkehrs<br />
-toten führten 1948 zur Einführung der<br />
Polizeiverkehrslehrer, die mit ihrem legendären<br />
„Verkehrskasper“ die Schulen<br />
besuchten. Das war damals einmalig in<br />
Europa und es funktionierte. Die Zahl<br />
der im Verkehr getöteten Kinder sank.<br />
Die Verkehrsplaner hatten damals<br />
aber vor allem ein ganz anderes Ziel vor<br />
Augen: die autogerechte Stadt. Für die<br />
sechsspurige Ost-West-Straße wurden bis<br />
1959 diverse von den Weltkriegs-Bomben<br />
verschonte Häuser platt gemacht.<br />
1953 wurde sogar die Höchstgeschwindigkeit<br />
komplett aufgehoben. Es galt das<br />
Motto: „Freie Fahrt für freie Bürger“. Das<br />
Argument der Planer: Wenn generell nur<br />
Tempo 50 gefahren werden darf, bricht<br />
der Verkehr zusammen! Doch schon<br />
1957 galt wieder 50 als Spitzentempo in<br />
der Stadt. Bundesweit 12.000 Verkehrstote<br />
allein im Jahr 1955 waren dann doch<br />
etwas viel. Noch 1960 starben allein in<br />
<strong>Hamburg</strong> 172 Fußgänger. Überwacht wurde<br />
das Tempo ab 1958 erstmalig mit Radaranlagen.<br />
Doch der Liebe zum Auto tat<br />
die Überwachung keinen Abbruch. 1953<br />
gab es bereits mehr Autos als vor dem<br />
Krieg. Bis 1967 verdreifachte sich die Zahl<br />
der Autos auf 430.000.<br />
Wie schnell die Motorisierung<br />
stieg, kann man auch an der Zahl<br />
der Ampeln ablesen. 1922 war auf<br />
dem Stephansplatz die erste deutsche<br />
Ampel aufgestellt worden.<br />
1927 gab es drei weitere „Lichtzeichenanlagen“.<br />
1955 waren es 17.<br />
Doch 1960 war die Zahl bereits auf 314<br />
gestiegen.<br />
Zur selben Zeit wurde damit begonnen,<br />
die Straßenbahnen abzuschaffen.<br />
Begründung: Sie behindern den Autoverkehr.<br />
1978 fuhr mit der Linie 2 die letzte<br />
1953 wurde das<br />
Tempolimit komplett<br />
aufgehoben<br />
Straßenbahn ins Depot. Nur teilweise<br />
konnten U-Bahnen damals die Straßenbahnen<br />
ersetzen.<br />
Schon 1951 wurde das Veddeler Kreuz<br />
fertiggestellt. Anfang der 60er Jahre entstanden<br />
die Ringe 1 und 2. 1962 wurde<br />
der Deichtortunnel fertig. Aus heutiger<br />
Sicht nur als „wahnsinnig“ zu bezeichnende<br />
Projekte wie ein gigantischer Knoten<br />
Sternschanze, ein Autobahnzubringer<br />
quer durch Ottensen oder eine Stadtautobahn,<br />
für deren Trasse der Isebek-Kanal<br />
komplett zugeschüttet werden sollte,<br />
wurden glücklicherweise nie verwirklicht.<br />
61
UM 1955 dürfte diese Straßenszene entstanden sein. Das Cabrio rechts ist vermutlich ein Porsche<br />
356 <strong>–</strong> damals der Traum jedes Autofahrers. Links stehen noch zwei Vorkriegsfahrzeuge. Wo das Foto<br />
entstand, ist leider nicht bekannt.<br />
1954 dürfte dieses Bild entstanden sein. Man sieht den stolzen Carl Boldt vor einem Vorkriegs-Cabrio<br />
von Horch. Es ist der Dienstwagen von Wirtschaftssenator Ernst Plate (1900-1973). Boldt war Cheffahrer<br />
des FDP-Politikers, der sich maßgeblich beim Wiederaufbau des Hafens verdient gemacht hat.<br />
1976 schoss MOPO-Leser Knut-Michael<br />
Wolf dieses Foto an der Ecke<br />
Schanzenstraße /Ludwigstraße<br />
(Sternschanze). Auf den nassen Straßenbahnschienen<br />
war der Simca im<br />
Vordergrund ins Schleudern geraten<br />
und dann rückwärts gegen den Hanomag-Transporter<br />
gerutscht.<br />
62
Der Verkehr Als <strong>Hamburg</strong> fahren lernte<br />
ETWA 1970 ist wohl dieses Bild<br />
des Ampelausfalls an der Ecke<br />
Domstraße/Speersort in der City<br />
entstanden sein. Im Vordergrund<br />
ein „Schnellbus“, der damals<br />
rosa lackiert war. Normale Busse<br />
sind auch damals schon rot gewesen.<br />
Rechts vom Bus steht ein<br />
Opel Rekord, links eine Mercedes-„Heckflosse“.<br />
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DER TAXENSTAND AM<br />
GLOCKENGIESSERWALL UM<br />
1960. Im Vordergrund die<br />
damals typischen Mercedes-<br />
Taxen vom Typ „Ponton“.<br />
Rechts im Hintergrund sieht<br />
man eine Straßenbahn.<br />
IN DEN 60ER JAHREN dürfte dieses waghalsige<br />
Wendemanöver auf der Ost-West-Straße<br />
(heute Willy-Brandt-Straße) stattgefunden<br />
haben. Heute dürfte so ein Manöver<br />
dem Fahrer des Kleinwagens vom Typ Lloyd<br />
(„Leukoplastbomber“) schlecht bekommen.<br />
64
Der Verkehr Als <strong>Hamburg</strong> fahren lernte<br />
1962 präsentiert sich der Opa von MOPO-Leserin Brigitte Köhler stolz in einem<br />
DKW. „Opa fuhr damals Kohlen aus und hatte als einziger einen Führerschein.<br />
Jedes Wochenende lieh er sich den Wagen aus, besuchte Verwandte, fuhr Pilze suchen<br />
oder an die Nordsee. Er wechselte später zu den Harburger Phönix-Werken.“<br />
1951 präsentiert sich die Gesangs-Professorin Susanne Anders vor ihrem<br />
Haus an der feinen Bellevue stolz an ihrem Tatra. Dieses 80 PS starke, seltene<br />
tschechische Auto mit den charakteristischen drei Frontscheinwerfern war für<br />
damalige Zeiten mit etwa 160 Stundenkilometern Spitze extrem schnell.<br />
1950 sitzt der bekannte <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> Opernsänger Peter Anders (1908-1954) im gerade<br />
gekauften VW-Käfer und präsentiert das erbsengrüne Auto stolz seiner Frau<br />
Susanne. Der Sänger, der an der <strong>Hamburg</strong>ischen Staatsoper mit Otello von Verdi<br />
große Erfolge feierte, starb 1954 bei einem Verkehrsunfall.<br />
1962 trifft bei Hagenbeck der Mercedes 300SL auf ein Kamel. Was den<br />
Fotografen bewogen hat, den Traumsportwagen (225PS/250km/h Spitze)<br />
neben das Kamel zu stellen, bleibt sein Geheimnis. Mit 32.500 Mark<br />
(16.250 Euro) war das Cabrio damals eines der teuersten deutschen Autos.<br />
UM 1930 dürfte diese vorweihnachtliche<br />
Nacht-Aufnahme<br />
des Neuen Walls<br />
entstanden sein. Die Autos<br />
hatten auch damals schon<br />
ein HH-Kennzeichen. Links<br />
ist eine Leuchtreklame für<br />
„Hirschfeld“ zu sehen. Das bekannte<br />
Damen-Bekleidungsgeschäft<br />
wurde 1938 von den<br />
Nazis zerstört, Inhaber Benno<br />
Hirschfeld und sein Sohn<br />
wurden im KZ ermordet.<br />
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Impressum<br />
DEUTSCHE FAMILIENIDYLLE 1908: Die spätere Schauspielhaus-<br />
Darstellerin Irmgard Ude (1905-1996) mit ihren Eltern.<br />
Wir danken allen Einsenderinnen und Einsendern,<br />
die uns ihre ganz persönlichen <strong>Fotos</strong>chätze für „<strong>Unser</strong> <strong>Hamburg</strong>“ zur Verfügung gestellt haben.<br />
Peter Anders, Norbert Boldt, Elke Bonell, Torsten Borchers, Peter<br />
Bürvenich, Christa Cordes, Bernd Gehrke, Imke Göken, Paul Günter,<br />
Ilona Hammerschmidt, Sabine Heins, Hanjo Herrmann, Ilse Hirschbiegel,<br />
Ingeburg Hoeffgen, Rolf Jung, Gertrud Kalkbrenner, Brigitte<br />
Köhler, Erika Krauß, Matthias Krieghoff, Henning Kruse, Vera<br />
Lorandt, Peter Martens, Uwe Matthiessen, Marlies Meyer, Rudolf<br />
Meyer, Peggy Münster, Ingrid Parchent, Stefan Piel, Wiltrud Rosenkranz,<br />
Rudolf Sacha, Anja Sandleben, Carl-Egon Schaaf, Michael<br />
Schütt, Ralf Schwarten, Beate Schwertz, Stefan Sorgenfrei, Harald<br />
Wilhelm, Gudrun Wolf, Knut-Michael Wolf<br />
Leider konnten wir nicht alle Einsendungen berücksichtigen. Aufgrund der enormen Qualität und der Menge der Bilder, planen wir weitere<br />
Ausgaben, so dass wir weitere Bilder veröffentlichen können.<br />
Verlag: <strong>Morgenpost</strong> Verlag GmbH, Griegstraße 75, 22763 <strong>Hamburg</strong>, Tel.: (040) 809057-0, Fax: (040) 809057640, E-Mail: verlag@mopo.de<br />
Chefredakteur: Frank Niggemeier, Redaktion: Thomas Hirschbiegel, Christoph Heinemann, Schlussredaktion: Philipp Dudek, Layout und<br />
Produktion: Gaby Krabbe/www.layoutraum.de, Anzeigen: Dr. Matthias Rahnfeld, Druck: v. Stern’sche Druckerei GmbH & Co. KG, Zeppelinstraße<br />
24, 21337 Lüneburg<br />
Das Magazin „<strong>Unser</strong> <strong>Hamburg</strong>“ basiert auf Einsendungen von Leserinnen und Lesern der <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> <strong>Morgenpost</strong>. Mit größter Sorgfalt<br />
haben wir dafür gesorgt, uns die Rechte am Abdruck der Bilder zu sichern. Sollte es trotzdem in Einzelfällen nicht berücksichtigte Inhaber<br />
an Bildrechten geben, bitten wir Sie, sich gegebenenfalls mit dem Verlag in Verbindung zu setzen.<br />
Der Nachdruck dieser Ausgabe, auch auszugsweise, ist nicht gestattet.<br />
Dieses und weitere Produkte für <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> und <strong>Hamburg</strong>-Fans finden Sie unter www.mopo.de/shop<br />
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<strong>Hamburg</strong>s Weltstadtwarenhaus<br />
Karstadt in der Mönckebergstraße<br />
Lange Zeit konzentrierte sich Rudolph Karstadt bei seiner Expansion auf<br />
Norddeutschland und auf Klein- und Mittelstädte. 56 Jahre war er alt, als er erstmals<br />
den Schritt in die Metropole wagte: nach <strong>Hamburg</strong>.<br />
Das neue Warenhaus ist eine große Attraktion<br />
entlang der Mönckebergstraße, die als Verbindungsstraße<br />
zwischen Rathaus und Hauptbahnhof<br />
wenige Jahre zuvor realisiert wurde.<br />
Am 1.Oktober 1912, nachmittags um 16 Uhr, eröffnete<br />
Rudolph Karstadt in der Mönckebergstraße<br />
eine Filiale mit 34 Schaufenstern und 10.000 qm Verkaufsfläche.<br />
Hatten die Karstadt-Geschäfte bis dahin eher den<br />
Charakter von großen Spezialgeschäften <strong>–</strong> mit Textilwaren,<br />
Herren-und Damen-Konfektion, Teppichen,<br />
Gardinen und zum <strong>Teil</strong> Schuhwaren <strong>–</strong> gab es in der<br />
Mönckebergstraße erstmals so gut wie alles unter<br />
einem Dach.<br />
In den vielen Jahrzehnten gab es eine Reihe von<br />
Flächenerweiterungen und Umbauten. Im Zeitraum<br />
2006-2008 wurde das Warenhaus komplett auf<br />
32.000 qm modernisiert. Das Format eines Weltstadthauses<br />
fühlt man unmittelbar nach Betreten<br />
des klassizistischen Gebäudes mit eindrucksvollen<br />
Inhalten auf 7 Etagen. Breite Boulevards führen<br />
durch die einzelnen Produkt- und Markenwelten. Mit<br />
der Aufnahme von 50 neuen Bekleidungsmarken im<br />
Jubiläumsjahr 2012, konnte die besondere Stellung<br />
im Herzen der Stadt noch einmal deutlich unterstrichen<br />
werden.<br />
Das Traditionshaus an der Mönckebergstraße steht<br />
damit auch heute noch für eine große Sortimentsauswahl<br />
und guten Service. Die exponierte Lage in<br />
der Einkaufsmetropole <strong>Hamburg</strong> wird auch künftig<br />
Verpflichtung sein, die besondere Klasse zu halten<br />
und sich innovativ den Veränderungen im Einzelhandel<br />
zu stellen.<br />
Seit 100 Jahren halten<br />
die <strong><strong>Hamburg</strong>er</strong> ihrem Warenhaus<br />
die Treue.
Alles elektrisch<br />
electrum <strong>–</strong> Das Museum der Elektrizität bietet eine spannende Zeitreise durch<br />
130 Jahre Energiegeschichte. Erleben Sie Haushalts-, Radio- und Fernsehgeräte,<br />
Büromaschinen, kurz: alles, was einen Stecker hat. Entdecken Sie Vertrautes aus<br />
alter Zeit, erstaunliche Erfindungen und witzige Raritäten.<br />
Eine neue Sonderausstellung zeigt Geräte rund um das Thema:<br />
Alles elektrisch <strong>–</strong> ein Jahrhundert Komfort in Küche und Haushalt<br />
electrum <strong>–</strong> Das Museum der Elektrizität<br />
Harburger Schloßstraße 1, 21079 <strong>Hamburg</strong><br />
(gegenüber der Fußgängerunterführung)<br />
Geöffnet: sonntags 10<strong>–</strong>17 Uhr<br />
Eintritt: 3,- € für Erwachsene, Kinder frei<br />
www.electrum-hamburg.de